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Wofür wir Verantwortung tragen - Gedanken zur Situation der Zeit

Teil-2 (2020)  Von Hans Peter Dreitzel     2007-Teil-1  

Dies ist der zweite Teil meiner Betrachtungen zur gegenwärtigen Situation der Zeit. Er enthält eine Skizze zu einem Vortrag, zu dem ich von der Akademie Heiligenfeld zu deren Kongress über Reifung im Mai 2020 eingeladen wurde. Die Einladung konnte ich aus gesundheitlichen Gründen nicht annehmen, schon bevor er wegen der Corona-Krise abgesagt wurde.

Quelle-2023:   dreitzel-gestalttherapie.org      Klimabuch     PDF

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"I want you to panic"! - rief Greta Thunberg der Vollversammlung der Vereinten Nationen im November letzten Jahres entgegen. Nun heißt es ja, dass Angst ein schlechter Ratgeber sei: zurecht, weil Angst uns lähmt, uns blockiert, und damit genau an dem hindert, das zu tun, was notwendig ist.

Panik ist etwas anderes. Sie entsteht aus der Erkenntnis, dass jede Vorwärtsverteidigung sinnlos ist und mobilisiert uns zur Flucht, die einzig noch Rettung verspricht.

Was aber, wenn es keine Flucht-Räume mehr gibt, wenn die Klima-Katastrophe die ganze Erde umfasst, wenn alle Schutzräume nur vorläufigen Unterschlupf bieten, wenn der Begriff Exil seinen Sinn verloren hat?

Dann bliebe wohl außer den neurotischen Pseudolösungen: Selbst-Betäubung, Suizid und sinnloses Ausagieren durch Gewalt, nur noch der Kampf gegen das Unheil selbst, auch wenn die Aussichten ihn zu gewinnen, schon heute sehr schwach erscheinen und Jahr für Jahr geringer werden. Das ist wohl die verzweifelte Hoffnung, auf die Greta Thunberg setzt.

Aber gibt es schon Grund für solche Verzweiflung, sollten wir wirklich in Panik geraten?

Im Oktober des letzten Jahres (2019) hat das von der UNO eingesetzte International Panel on Climate Change, kurz IPCC, seinen neusten Bericht herausgegeben: "Global Warming of 1.5° -An IPCC-Special-Report".  (https://www.ipcc.ch ). Dieser Forschungsbericht ist über 500 Seiten stark und von weltweit 99 Wissenschaftlern erstellt.

Ich beziehe mich hier auf die Zusammenfassung von Bill McKibben - dem renommierten amerikanischen Umweltkämpfer, zu dem er inzwischen geworden ist -, die als Rezension in der New-York-Review-of-Books erschien.  (NYRB, 27th of June 2019, Seite 4,1., Übersetzung von HPDreitzel).

"Das IPCC...",  so heißt es in seinem Text, ...

"...bezieht sich hier zunächst auf die Ergebnisse der Pariser-Klimakonferenz von 2015, deren ursprüngliches Ziel, sich auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2° zu einigen, auf Druck der durch ihre geograph­ische Lage auf oder gar unter der Meereshöhe am frühesten bedrohten Länder auf 1.5° herabgesetzt wurde. Ein schönes Ziel - nur: wenn alle Zusagen, die die in Paris versammelten Länder auf dieser Konferenz gemacht haben, dereinst erfüllt wären - so der Bericht des IPCC -, wäre die globale Temperatur dennoch auf 3.5 Grad Celsius angestiegen, was jenseits jeder Sicherheitslinie läge, ja kaum noch vorstellbar ist."

David Wallace-Wells, ein amerikanischer Journalist, hat es ("vorstellbar") in seinem Buch <Die unbewohnbare Erde> (2019) versucht. Auf seine "... Worst-Case-Szenarien bekam er einen öffentlichen Brief von drei Klimawissenschaftlern, die ihm vorhielten, sein Buch verharmlose die Folgen des Klima-Wandels“.

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Nun haben die ersten Autoren auf diese Lage reagiert und uns mit der Aussichtslosigkeit unserer Abwendungsbemühungen konfrontiert. Erstaunlicherweise sind es zunächst US-Amerikaner aus dem Land des Donald Trump, der wie die AfD den Klima-Wandel leugnet, und dem Silicon Valley, wo man ihn rein technisch besiegen zu können glaubt.

Wie schon David Wallace-Wells zögert auch Nathaniel Rich in seinem Buch Losing Earth (letztes Jahr unter dem gleichen Titel auf deutsch erschienen) nicht, klar zu sagen, worum es geht: Ich möchte ihn hier ausführlich zitieren: "Wir wissen“ schreibt Rich,

"dass die Transformation unseres Planeten, die allmählich und plötzlich zugleich erfolgt, die politische Weltordnung umgestalten wird. Wir wissen, dass wir, wenn wir die Emissionen nicht stark reduzieren, den Zusammenbruch der Zivilisation riskieren. Wir wissen auch, dass die kommenden Veränderungen für unsere Kinder schlimmer und für deren Kinder - deren Leben, wie unsere Handlungen zeigen, uns nichts bedeuten - noch schlimmer sein werden. Wenn wir diese Aufgabe nicht lösen, wird die Erde für zukünftige Generationen unbewohnbar sein."

Und diese Aussicht hat tiefgreifende Konsequenzen für uns.

In den Wochen nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts stieß ich auf ein kleines Buch mit dem Titel <Tod und das Leben nach dem Tod> (deutsch 2013), das auf einer Reihe von Vorträgen des Philosophen Samuel Scheffler an der New-York-University basiert. Scheffler interessiert sich weniger für den Glauben an ein Leben nach dem Tod - was er das "persönliche Leben nach dem Tod" nennt - als für unsere (stillschweigende) Annahme, dass die Menschheit lange nach dem Tod unseres individuellen Selbst Bestand haben wird. Dieser Sinn für ein "kollektives Leben nach dem Tod", so argumentiert er, ist uns viel wichtiger, als wir glauben.

Was wäre, wenn Sie wüssten, dass 30 Tage nach unserem Tod unser Planet von einem Asteroiden zerstört würde, fragt Scheffler, oder wenn die gesamte menschliche Bevölkerung unfruchtbar würde, wie in dem Roman von P. D. James <Die Menschenkinder>? Welches Projekt und welche Aktivitäten würden Ihnen dann noch wert sein, weiter zu verfolgt zu werden?“

"Unser eigenes Überleben und sogar das Überleben derer, die wir am tiefsten lieben und für die wir uns am tiefsten interessieren, ist für uns weniger wichtig als das Überleben von Fremden, als das Überleben der Menschheit selbst", schreibt Scheffler.

"Die Aussicht auf das baldige Verschwinden unserer Spezies stellt eine weitaus größere Bedrohung für unsere Fähigkeit dar, Dinge als wichtig für uns zu betrachten, und stellt damit eine weitaus größere Bedrohung für unsere fort dauernde Fähigkeit dar, ein für uns sinnvolles Leben zu führen. Das ist letztendlich das, was wir verlieren können, wenn wir keine Antwort auf den Klimawandel finden: nicht nur eine bewohnbare Erde, sondern auch den Wert unseres eigenen, sich noch entfaltenden Lebens."

(Zitiert nach Michele Nihuis, in: NYRB, June 27, p. 2019,p.4/1)

Weitere Stimmen haben sich diesem Tenor inzwischen angeschlossen.

Ich erwähne zunächst den deutschen Journalisten Arno Widmann in einer Rezension des Buches von Nathaniel Rich, die kürzlich in der ZEIT unter dem Titel <Die Zukunft hat keine Chance>, erschienen ist.    wikipedia  Arno_Widmann *1946 in FaM   https://www.zeit.de 

Ich möchte sie hier als ganze zitieren. 

Die Zukunft hat keine Chance
Der Titel der deutschen Ausgabe des Buches ist der Titel der englischen: Losing Earth. Die Erde verlieren. Rich's Buch ist nicht der zweitausendeinhundertsiebenundachtzigste Versuch, uns davon zu überzeugen, dass wir uns auf eine von Menschen gemachte Klimakatastrophe zubewegen. Rich's Buch zeigt uns, dass wir das offenen Auges tun. Wir wissen seit langem Bescheid. Wir wissen auch, was zu tun wäre. Tun es aber nicht. Warum?
Weil wir dazu in einem Krieg ziehen müssten gegen die Klimakiller. Wir ziehen es vor, uns ihnen auszuliefern. Je größer die Katastrophe wird, desto mehr unterwerfen wir uns ihnen. Als die US-Bürger im Jahre 2000 die Wahl zwischen Al Gore und George W. Bush hatten, stimmten sie zwar in ihrer Mehrheit für Al Gore. Bush aber wurde Präsident weil er die Mehrheit der Wahlmänner hatte.
Aber davon spricht Nathaniel Rich nicht mehr. Er zeigt was zwischen 1979 und 1989 versäumt wurde. <Eine dramatische Reportage über ein Menschheitsversagen>, heißt es auf dem Klappentext. Das stimmt und stimmt nicht. Das Buch zeigt dass es 'die Menschheit' nicht gibt.
Es gibt die Wissenschaft, die seit 1979 weiß und es jedem sagt, der es hören und nicht hören will, dass wir dank unseres CO2-Ausstoßes die Erderwärmung gefährlich in die Höhe treiben und so unsere Lebensgrundlage zerstören. Es gibt die Firmen deren Geschäfte nur mit CO2 blühen. Es gibt die Politiker, die sich dafür interessieren, wer ihren Wahlkampf bezahlt - und es gibt uns das dicke, breite Uns, das lieber nicht aufsteht und in den Krieg zieht gegen die Klimakiller.
Nathaniel Richs Buch zeigt, dass die Zukunft keine Chance hat gegen die Gegenwart.
Aber er schrieb es, um widerlegt zu werden. Es ist nicht fünf vor zwölf. Es ist schon zwei nach zwölf. 1979 hätten wir noch mit kleinen Maßnahmen das Schlimmste verhindern können. Inzwischen stecken wir schon in der Katastrophe. Aus ihr herauszukommen wird jeden Tag schwieriger, ja unwahr­scheinlicher. Wir hatten unsere Chance. Wir haben sie verspielt.

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In den Krieg ziehen gegen die Klima-Killer, also gegen die Firmen, deren Geschäfte nur mit CO2-Ausstoß funktionieren, gegen die Politiker und Wissenschaftler, die sich vorrangig dafür interessieren, wer ihre Wahlkämpfe und ihre Forschungsgelder finanziert, und auch gegen diejenigen, und das wären wohl die meisten, deren Hauptinteresse die Vermeidung von Unruhe in der Bevölkerung gilt, die ihrem Machterhalt stören könnte.

Ein solcher Krieg ist nicht denkbar, ist ein unnützes Gedankenspiel, mehr nicht. Und zwar nicht nur deshalb, weil es keine Armee gibt, die ihn führen könnte, sondern deshalb, weil der Gegner ein System ist, in dem wir alle eingeschlossen sind, an dem wir alle mitwirken, das konstitutiv für unseren Lebensstil und für die Sehnsüchte fast der gesamten Weltbevölkerung ist. Gewöhnlich nennen wir dieses System Kapitalismus.

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Allerdings gäbe es ein Zielobjekt eines solchen Kampfes, dass eine kleine Hoffnung auf Erfolg in sich bürgen könnte, nämlich das internationale Finanz-System; jedenfalls glaubt da Bill McKibben in seinem neuen Aufsatz A very Hot Year (in: New-York-Review-of-Books, Vol. LXVII, No 4, March 12, 2020), der inzwischen darin bereits als Aktivist einige Erfahrungen gesammelt hat mit seiner Divestment Campaign, in der Investoren überredet wurden, die riesige Summe von 12 Trillionen Dollar aus der Kohle-, Gas- und Öl-Produktion abzuziehen und anderswo zu investieren.

Er zitiert das Stockholm-Environment-Institute mit dessen Untersuchung The-Production-Gap, 2019 mit der der erstaunlichen Feststellung, dass die Staaten dieser Welt unbeschadet ihrer Versprechungen auf der Pariser Umwelt-Konferenz was die Senkung ihrer CO2-Emissionen anbetrifft, gleichzeitig ihre Öl-, Gas, und Kohle-Produktionen bis 2030 um 120% zu steigern planen, was 50% mehr sei als was selbst mit einem 2%-Ziel vereinbar wäre!

McKibben schließt daraus u. a. dass man direkt am Finanzsystem ansetzen muss, und zählt die amerikanischen Banken auf, die die Hauptfinanzierer dieser geplanten gigantischen Ausbeutung de Erde sind. Darunter findet sich als größter Player die Chase Bank, wo uns ein alter Bekannter aus der Geschichte des amerikanischen Kapitalismus wieder begegnet: David Rockefeller, der Erbe von Standard Oil, als besonders erfolgreicher Manager von der Chase Bank.

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Andererseits ist inzwischen auch klar, dass die Konzentration auf einem privaten Verzicht von Konsumchancen an der globalen Wirklichkeit der Klima-Katastrophe nichts ändert, eine Erkenntnis, die natürlich zur allgemeinen Verdrossenheit und Bereitschaft, sich ablenken zu lassen ebenso beiträgt, wie auch zu zahlreichen gewiss uns allen bekannten moralischen Verrenkungen führt. Dennoch halte ich die natürlich mit Verzicht verbundene Entwicklung eines neue Umwelt-Bewusstseins, wie es zumindest in Deutschland langsam wächst, für wichtig und notwendig in unserer Situation, weil es ethisch zwingend ist und zugleich den Mut und die Kraft, der Realität ins Auge zu sehen, stärkt.

Und nun hat auch Jonathan Franzen, der zur Zeit berühmtestes Romanschriftsteller Amerikas - empfohlen aufzugeben. In seinem gerade auf deutsch unter dem Titel <Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? - Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können> (rororo-2020) erschienenen Essay, der letztes Jahr im New-Yorker publiziert wurde.

Während Widman völlig zu kapitulieren scheint, gibt Franzen die Hoffnung nicht ganz auf, sondern differenziert zunächst: "Chaotisches Wetter und steigende Meeresspiegel sind wahrscheinlich keine existenzielle Bedrohung für den Menschen. Die wirklich massive Gefahr erwächst eher aus der gezielten Anwendung von Technologie – Atomwaffen, die Herstellung von rekombinanter DNA“ (…), und wird dann persönlich: „Mir tut es leid um den Planeten, aber ich stehe immer noch jeden Morgen auf und versuche gut zu leben. Ich gehe zur Arbeit, ich schätze das Leben, und ich tue so viel ich kann, für die Menschen und die Orte und die Tiere, an denen mir liegt, zu wissen, dass nichts ewig währt, erhöht die Wichtigkeit all dessen, es verringert sie nicht.“ (Franzen, op. cit, S. 58/59).

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Richtig deutlich wird nun aber Reiner Geulen in seinem Buch <Jenseits der Hoffnung. Die unumkehrbare Vernichtung des Lebens und der Abgesang der deutschen Philosophie>. (2020). Geulen war jahr­zehnte­lang der wichtigste und erfolgreichste juristische Kämpfer gegen die Macht der deutschen und der internationalen Atom-Industrie. Und deshalb weiß er auch mehr über die Technologie bzw. über unseren grundlegenden Sündenfall: unserer Technik mehr zuzutrauen als uns Menschen selbst.

Geulen weiß alles über die fortschreitende atomare Hochrüstung und über zunehmende Verstrahlung der Welt. Seine klare präzise Analyse reicht von der Entwicklung von Raketen mit atomarem Sprengstoffen, die inzwischen das 24.000-fache Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe mit sich führen (was unvorstellbar aber wahr ist), über die Illusion eines "Gleichgewichts des Schreckens" bis zu den gegenwärtigen Bemühungen der Militärs, eine künstlich Intelligenz (KI) zu entwickeln, die auch atomare Entscheidungen aus eigener "Rationalität" treffen können soll.  

<= Geulen 2020, Seite 30

 

detopia-2023:
also das gesamte ("einsatzbereite") nukleare
Sprengstoffpotential ist gemeint.

Der Satz bei Dreitzel hatte mich
irregeleitet.

 

Kaum weniger entschieden fallen Geulens Analysen zur Klimaktastrophe aus.

Geulens Szenarien sind so kenntnisreich und zwingend dargelegt, das dem Leser kaum ein anderer Ausweg bleibt, als seiner Empfehlung zu folgen, das universale Gesetz der Entropie jetzt schon zu akzeptieren. Das ist, worauf offenbar sein neues Buch hinaus will.

Demgegenüber ist die Frage nach der Berechtigung seiner "Polemik", wie er sie selbst nennt, gegen das "dumpfe Verstummen" der deutschen Philosophie, die den Schlussteil dieses makaberen Buches ausmacht, unerheblich.

Aber für Geulen folgt aus dem zwingenden Schluss, das Gesetz der Entropie auch für die Menschheit zu akzeptieren - und zwar als ein Geschehen in unserer Gegenwart - nicht eine resignative Haltung, kein Nihilismus, sondern der aufrechte Gang des Menschen, der sein unausweichliches Ende kennt und ihm gelassen, ja mit Freude über das klare Licht dieser Erkenntnis, entgegen sieht; der ohne es zu akzeptieren seinem Schicksal offen entgegen schaut: das ist Camus' <Mensch in der Revolte>, den er am Schluss seines Buches so zitiert: "Am Ende folgen wir dem großen Albert Camus: Wir entscheiden uns für Ithaka, die treue Erde, das kühne und einfache Denken, die klare Tat, die Großzügigkeit des wissenden Menschen. Im Lichte bleibt unsere Welt unsere erste und letzte Liebe."

(Albert Camus, L'Homme Révolté, S. 381 – zitiert nach Geulen, op. cit., S.198.)   

Ich gestehe, dass mir bislang die Phantasie fehlt, mir auszumalen, was das jenseits dieser heroischen Haltung bedeuten würde. Nachdem sich der Himmel aus früheren Weltuntergangs­szenarien zurück gezogen hat, fehlt uns eine Kultur des kollektiven Sterbens, ein Totenkult für alle und alles, eine Ars Moriendi für die Menschheit als ganzes. Nur Neurotisches fällt mir ein: sinnlose Gewalt und tiefe Depression.    wikipedia  Ars_moriendi  "Sterbekunst"

Allerdings bleibt da noch die unausrottbare Hoffnung, die, wie es heißt, immer zuletzt stirbt – also am Ende allen Sterbens, die aber doch ihre Wirksamkeit immer schon zuvor entfaltet. Ich jedenfalls kann sie nicht abschütteln – und ich will es auch nicht. Denn sie muss unsere Phantasie beflügeln, während wir, in der Gewissheit unserer Liebe zur Erde zu den Sternen aufschauen und unsere Trauer aufgehoben finden im Anblick eines Kosmos, der so viel größer ist als alle Objekte unserer Liebe.

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In diesem Geist möchte ich noch eine letzte Zeugin unseres Untergangs zu Wort kommen lassen: Joanna Macy, Begründerin der Tiefenökologie, Buddhistin und Umweltaktivistin. Auch sie, die nun 91 Jahre alt ist, bestätigt den Befund in einem neuen Interview (in: Evolve, Magazin für Bewusstsein und Kultur, Ausgabe 25, 2020, S. 32-43): "Selbst wenn wir alles tun, um die CO2- und Methan-Emissionen zu verringern oder zu stabilisieren, können wir die schwerwiegenden Folgen der Klimaveränderung nicht mehr verhindern“, sagt auch sie. "Es ist schon zu weit fortgeschritten. Mit etwas Glück können wir den Grad der Erderwärmung bei 1.5° stoppen, aber das würde trotzdem massenhafte Migration und unvorstellbare Verluste bedeuten“.  Aber dann fährt sie fort:

"Woran wir arbeiten können ist – vielleicht mit gewachsenem Empfinden für die vor uns liegende Aufgabe – die CO2-Emissionen zu stabilisieren, damit in den weniger betroffenen Regionen der Erde komplexe und damit bewusstere Lebensformen überleben. Es wird wahrscheinlich viel weniger Menschen geben, aber es wird die Möglichkeit für eine lebenserhaltende, nicht vergiftende Wirtschaft bestehen. Wenn wir dies als unser Ziel ansehen, haben wir mehr Energie und ein stärkeres Empfinden einer entschiedenen Aufgabe, der wir uns mit ganzem Herzen widmen können. Das ist mehr als wenn wir nur den Klimawandel bekämpfen, so dass die alten Mächte uns weiter auseinander reißen können.“

Joanna Macy fasst also schon eine post-katastrophische Welt ins Auge, in der jenseits von Depression und Verzweiflung menschliches Handeln wieder sinnvoll und lebendig sein könnte. Sie nennt dann allerdings auch noch eine Vorbedingung für diesen Mentalitätswandel, der zugleich auf eine der Ursachen der Katastrophe hinweist, die Soziologen seit langem diagnostiziert haben, aber in der Regel ohne den Zusammenhang der beiden Phänomene zu erkennen.   en.wikipedia  Joanna_Macy *1929 in NYC

"Es widerstrebt mir das sagen zu müssen, aber der Klimawandel ist schlimm genug, um uns zu erschüttern und wachzurütteln aus dem extremen Individualismus der letzten 500 Jahre. Wir empfinden uns als getrennt, ängstlich und stehen miteinander in Konkurrenz, und das macht uns sehr folgsam gegenüber den Regierungen und der Konsumgesellschaft. Daher ist dies ein prekärer Moment für die Evolution des komplexen Erlebens auf diesem Planeten.“ (op. cit, S. 33)

In der Tat: ohne eine Wiederbelebung und mancherorts Neuentdeckung des Solidaritätsprinzips als Gefühl und als Handlungsmaxime unter uns wird auch die Erschütterung durch die Klimakatastrophe nicht ausreichen, uns zur Menschlichkeit zu verhelfen!

   duden  mondial  weltweit, weltumspannend 

Jetzt mehren sich die Stimmen, die ausgerechnet aus der der Corona-Pandemie neue Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel schöpfen. Was dafür spricht ist die unabweisbare Tatsache, dass dieses Ereignis, das uns so überraschend überfallen hat, ein mondiales Geschehen ist, das zwar manche verschonen wird, das aber niemanden gleichgültig lässt und allen Angst macht.

Zugleich zwingt es die kapitalistische Wirtschaftsmaschine in die Knie und zwingt sehr viele Menschen zu einer Zwangspause, die zum Nachdenken und vor allem Nachspüren genutzt werden könnte. Eigentlich müsste jetzt der Moment des Abbremsens sein, in dem für jeden Menschen in dieser Welt der Rilke-Satz gelten müsste: "Du musst Dein Leben ändern!"

Es ist durchaus möglich, dass die Corona-Seuche, diese neueste Weltkatastrophe, sich als hilfreich bei diesem Bewusstseinswandel erweisen wird - aber gewiss ist das nicht. Zu vieles spricht dagegen, nicht zuletzt die Bemühungen der Regierungen, schon jetzt für eine schnelle Wiederbelebung der Wirtschaft Sorge zu tragen, deren Hilfsmaßnahmen ja von sehr vielen Menschen sehnlichst gewünscht und erwartet und in vielen Fällen auch existentiell notwendig sind.

Auch diese Krise ist in erster Linie eine politit-ökonomische Krise, dort nämlich, wo Politik und Wirtschaft schon zuvor durch mangelnde Vorsorge und dann oft durch Verharmlosung und zu spätes Handeln bereits versagt haben, vor allem aber jetzt, wo die richtigen Entscheidungen getroffen werden müssen.

"Ich bin, aber ich habe mich nicht – darum werden wir erst.“ sagte Ernst Bloch, als er aus dem Osten (DDR) kam. (Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie, 1963).

Möge uns die Zeit dazu bleiben!

peter.dreitzel @ yahoo.de
dreitzel-gestalttherapie.org 

 

              

 

 

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