Samuel Scheffler

Professor für Philosophie und Recht an der New York University


2013
Der Tod und das Leben danach
155 Seiten

Death and the Afterlife
Schriftenreihe: The Berkeley Tanner lectures

2013 Oxford University Press, New York
2015 bei Suhrkamp

wikipedia  Scheffler  *1951 

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S.htm

Dreitzel

Verlag: suhrkamp.de/buch/samuel-scheffler-der-tod-und-das-leben-danach-t-9783518586235  mit Leseprobe in pdf

 


KLAPPENTEXT
Wie würden Sie reagieren, wenn Sie wüssten, dass 30 Tage nach Ihrem Tod die Erde und damit alles Leben auf ihr unwiederbringlich zerstört würden?
Würde dieses Wissen die Art und Weise, wie Sie Ihr Leben führen, beeinflussen?
Das ist das Gedankenexperiment, zu dem uns der amerikanische Philosoph Samuel Scheffler in seinem faszinierenden Buch einlädt.
Er zeigt, dass ein solches Wissen weitreichende Folgen für unser Leben hätte - nichts wäre mehr wie zuvor!


aus wikipedia-2023
Samuel Scheffler (* 20. Oktober 1951) ist ein US-amerikanischer Philosoph und Professor für Philosophie und Recht an der New York University.
Scheffler studierte in Harvard (Abschluss als B.A., 1973) und Princeton (Abschluss mit dem Ph.D., 1977), wobei er unter anderem von Thomas Nagel betreut wurde. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem in der Ethik und der Politischen Philosophie. Bekannt wurde er vor allem für seine Zurückweisung des maximierenden Handlungs-Konsequentialismus, gemäß dem wir immer die beste aller möglichen Handlungen ausführen müssen. Von 1977 bis 2008 war er an der Philosophischen Fakultät der University of California, Berkeley tätig, zuletzt als Professor für Philosophie und Recht.[1] Danach wurde er an die New York University, ebenfalls als Professor für Philosophie und Recht, berufen.[2] Seit 2004 ist er Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.


Verlagstext
Wie würden Sie reagieren, wenn Sie wüssten, dass 30 Tage nach Ihrem Tod die Erde und damit alles Leben auf ihr unwiederbringlich zerstört würden? Würde dieses Wissen die Art und Weise, wie Sie Ihr Leben führen, beeinflussen? Das ist das Gedankenexperiment, zu dem uns der amerikanische Philosoph Samuel Scheffler in seinem faszinierenden Buch einlädt. Er zeigt, dass ein solches Wissen weitreichende Folgen für unser Leben hätte – nichts wäre mehr wie zuvor!

In ebenso luziden wie psychologisch verblüffenden Analysen, die immer wieder auf geniale Weise Beispiele aus der Populärkultur heranziehen, zeigt Scheffler, dass ein solches Wissen um den Untergang der Menschheit den Wert zahlreicher unserer Tätigkeiten in Frage stellen würde: Die langfristige medizinische Forschung nach einer Krebstherapie verlöre ihren Sinn, aber auch der Kampf gegen den Klimawandel oder der Einsatz für internationale Gerechtigkeit. Und würden wir noch Kunstwerke schaffen, Traditionen und Bräuche pflegen, uns verlieben, Kinder kriegen? Wohl kaum. Vielmehr steht zu befürchten, dass gesellschaftliche Regeln und Konventionen nicht mehr beachtet würden und anarchische Zustände drohten, wie Scheffler anhand des Romans Children of Men von P. D. James und seiner Verfilmung vorführt.

Könnte es daher sein, dass uns das Überleben der Menschheit wichtiger ist als unser eigenes? Und was folgt daraus für unser Denken und Handeln in der Welt von heute?
Ein kleines philosophisches Meisterwerk, das unser eigenes Leben in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.


perlentaucher.de/buch/samuel-scheffler/der-tod-und-das-leben-danach.html

zu Neue Zürcher Zeitung, 01.09.2015
Ganz glücklich wird Uwe Justus Wenzel nicht mit dm Gedankenexperiment des Philosophen Samuel Scheffler. Was wäre, wenn wir vom nahen Untergang der Welt wüssten? Doch nicht die Frage betrübt Wenzel, sondern die Antworten, die der Autor anbietet. Allzu akademisch und ein wenig an den Haaren herbeigezogen wirken Details des entfalteten Szenarios auf den Rezensenten. Das kollektive Weiterleben der Menschheit nach dem Tod als Bedingung eines sinnhaften Lebens, das der Autor behandelt, scheint Wenzel zwar einzuleuchten, aber viel mehr auch nicht.


zu Die Zeit, 16.07.2015
In seinem Buch "Der Tod und das Leben danach" beschreibt der US-amerikanische Philosoph Samuel Scheffler die Bedeutung der Nachwelt für die Lebenden, berichtet Michael Hampe, selbst Professor für Philosophie an der ETH-Zürich. Menschliches Handeln, so wie es in Gesellschaften statthat, sei nur vor dem Hintergrund sinnvoll, dass es mit uns nicht innerhalb der nächsten paar Jahre aus und vorbei sei, fasst der Rezensent zusammen. Allerdings fragt sich Hampe, ob die stillschweigende Voraussetzung, die Scheffler treffe, dass das kollektive Leben sinnvoll sein solle, nicht eine unzulässige Verallgemeinerung ist, und die ebenfalls mögliche, gegenteilige Meinung ignoriere. Der Rezensent hätte sie gerne berücksichtigt gesehen.


zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.03.2015
Wie würden wir leben, wüssten wir, dass kurz nach unserem Tod die ganze Menschheit zugrunde geht? Wir wären verzweifelt - auf eine Art, wie es der eigene Tod oder der eines geliebten Menschen nicht bewirken würde. Dies beweist, dass wir nicht nur aus Eigennutz handeln, sondern durchaus ein Interesse am Überleben der Menschheit haben. Soweit die Theorie des amerikanischen Philosophen Samuel Scheffler. Rezensent Gerd Schrager leuchtet das nur halb ein: Klar wären wir verzweifelt, aber das heißt noch lange nicht, dass wir hier und heute unser Verhalten ändern. Trotzdem findet er das Buch lesenswert: wegen der eingestreuten Science-Fiction-Exkurse.


Lesebericht dlf Von Christian Gampert | 22.01.2016

deutschlandfunk.de/philosoph-samuel-scheffler-die-zeit-nach-dem-tod-schon-zu-100.html

Der US-Philosoph Samuel Scheffler macht in seinem Buch „Der Tod und das Leben danach“ ein hochdifferenziertes Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, wir wüssten schon zu Lebzeiten, dass 30 Tage nach unserem eigenen Tod die Erde von einem Asteroiden getroffen und vollständig vernichtet wird – wie würde dieses Wissen unser Leben verändern?

Nein, das Buch von Samuel Scheffler handelt nicht vom ewigen Leben, von einem elysischen Dasein nach unserem physischen Ende – daran glaubt der amerikanische Philosoph natürlich nicht. Scheffler macht sich lediglich eine simple, bei uns allen unbewusst stets mitschwingende Einsicht zunutze: nach unserem Tod geht das Leben der anderen weiter, das Leben der Menschheit. Welche Rolle dieses Wissen für unser individuelles Selbstkonzept spielt, das will er untersuchen.

Schefflers Buch besteht aus drei Vorlesungen und ist ein hochdifferenziertes Gedankenexperiment. Es geht so: stellen wir uns vor, wir wüssten schon zu Lebzeiten, dass dreißig Tage nach unserem eigenen Tod die Erde von einem Asteroiden getroffen und vollständig vernichtet wird – wie würde dieses Wissen unser Leben verändern? Klar ist, dass ein solches Untergangs-Szenario uns nicht gleichgültig ließe, obgleich wir selbst gar nicht mehr betroffen wären. Aber viele Dinge, die nach unserem Tod geschehen werden, sind für uns bedeutungsvoll. Die auf die Zeit nach unserem Tod verlängerte Zeitperspektive ist bestimmend auch für das, was wir heute tun.

Scheffler diskutiert zunächst im Sinne einer Wertetheorie, ob der Weltuntergang überhaupt ein Unglück wäre – er wäre das Ende aller Freude, Liebe, Freundschaft, Solidarität, aber auch das Ende von Krieg, Hunger, Krankheit und sozialer Benachteiligung. Obgleich sich bei einer solchen „konsequentialistischen“ Plus-Minus-Rechnung kein eindeutiges Ergebnis erzielen lässt, wäre der Weltuntergang für die meisten von uns eine Katastrophe – und zwar nicht nur aus „egoistischen“ Gründen, weil dann nämlich auch unsere Kinder und Verwandten ausgelöscht würden, sondern in einem viel allgemeineren Sinn: auch von uns geschätzte Werte, Praktiken, Institutionen, Lebensweisen wären dann nicht mehr existent.

Natürlich würde der nahende Untergang auch unser Verhalten beeinflussen: intellektuelle und politische, also auf Zukunft setzende Tätigkeiten verlören ihren Sinn – wie etwa die Krebsforschung oder Gesellschaftsreformen. Denn selbst Projekte, deren erfolgreicher Abschluss gar nicht im Laufe unserer eigenen Lebensspanne zu erwarten ist, sind auf unser Vertrauen in die Zukunft, auf das „nach uns“ angewiesen. Unsere Kinder ermöglichen uns, dieses Verhältnis zur Zukunft quasi zu personalisieren – aber jenseits jeder Evolutionsbiologie haben natürlich auch Kinderlose diesen Wunsch nach Zukunft, nach einer Fortexistenz der Gattung Mensch.
Das Untergangs-Szenario bedroht also von uns geschätzte Normen und Traditionen; das von Scheffler des Weiteren zitierte „Unfruchtbarkeits-Szenario“ (nach einem Roman von P. D. James) dagegen verschärft noch die Apathie und Hoffnungslosigkeit, in die eine Welt ohne Kinder, also ohne Zukunft fallen würde. Denn ein „gutes Leben“ sei immer auf eine „sich fortschreibende Menschheitsgeschichte“ angewiesen.
Scheffler formuliert ganz allgemeine Bedingungen unseres Alltagsdenkens, und hier spielt die Zeitdimension, die über unsere eigene Biografie hinausreicht, eine überraschend wichtige Rolle. Die Argumentation ist streng logisch, oft auch etwas bürokratisch aufgebaut; der Autor kann seine Herkunft aus der analytischen Philosophie (er hat bei Thomas Nagel studiert) nie verbergen. Er wälzt die Begriffe und sucht dann wieder Zuflucht bei grotesken Bespielen aus Literatur und Film.

Etwa so: der neunjährige Alvy Singer in Woody Allens „Der Stadtneurotiker“ weigert sich, seine Hausaufgaben zu machen – mit der Begründung, „das Universum expandiere“ und breche auseinander. Auch die Versicherung, das Ende der Welt drohe erst in einigen Millionen Jahren, kann ihn nicht umstimmen. Angesichts der Absurdität dieser hausaufgaben-vermeidenden Argumentation wird aber klar: weit entfernte Katastrophen ängstigen uns normalerweise nicht, unmittelbar drohende allerdings schon.

Genau das aber ist falsch, meint Samuel Scheffler. Nach vielen Exkursen (etwa in eine Theorie des Spiels) präsentiert er am Ende seines Todes-Diskurses nämlich einige illusionslose Einsichten: Unvernünftigerweise fürchten wir uns vor dem eigenen Tod, den wir nicht verhindern können, sind aber nur sehr wenig besorgt über die drohende Klima-Katastrophe, die sehr wohl zu bekämpfen wäre. Am Ende setzt sich der areligiöse Autor dann doch noch mit dem vom Christentum versprochenen „ewigen Leben“ auseinander, das er als einen egoistischen, weil rein persönlichen Wunsch enttarnt. Die Perspektive der Ungläubigen, die lediglich das Überleben der Gattung wünschen, sei weitaus sozialer.

Mit seinem Kollegen Bernard Williams ist Scheffler der Meinung, dass die Unsterblichkeit langweilig sei und der Tod unser Leben strukturiere, weil wir unsere begrenzte Zeit nutzen müssten. Dieser Gedanke gelte jedoch nicht für die Menschheit als Ganzes, deren Fortbestand, ergo Unsterblichkeit, sich durchaus erreichen lasse. Gerade unsere Angst vor dem persönlichen Tod, sagt dieses luzide Buch, zeuge von unserem Vertrauen in die Werte, die uns wichtig sind und die wir gern verteidigen würden. Und die jenseits unseres Todes weiterleben sollen.


https://literaturkritik.de/id/21089

Philosophie der Grenzsituation

Samuel Scheffler untersucht in „Der Tod und das Leben danach“, was ,uns‘ im Angesicht des universellen Todes noch wichtig ist

Von Max Beck

In einer Rückblende in Woody Allens Opus magnum Annie Hall (1977) sieht man den jungen Protagonisten Alvy Singer mit seiner Mutter bei einem Psychiater. Die Mutter ist aufgebracht, da ihr Sohn seine Schulaufgaben nicht mehr erledigen möchte, hat dieser doch gelesen, dass das Universum expandiert und damit irgendwann zugrunde geht, was den neurotischen Alvy am Sinn der Erledigung seiner Schulaufgaben zweifeln lässt – auch wenn dies erst in Millionen von Jahren passieren wird, wie Arzt und Mutter immer wieder beteuern. Anhand dieser Szene illustriert Samuel Scheffler, Professor für Philosophie und Recht an der New York University, prägnant seine Thesen über die Bedeutung des Lebens nach dem Tod für die menschlichen Werte.

Schefflers Überlegungen spielen mit der Semantik ‚des Lebens danach‘. Schließlich könne man dieses sowohl in einem „landläufigen Sinne“ – also vorgestellt als immaterielles Weiterleben nach dem biologischen Tod – als auch in einem „unüblichen Sinne“ verstehen, nämlich als Weiterleben anderer Menschen nach dem eigenen Tod. Insbesondere für dieses „unübliche“ Verständnis interessiert sich Scheffler, sei das Wissen um ein Weiterleben anderer doch besonders wichtig dafür, dass wir im Leben etwas wertschätzen. Alvy Singers Haltung mutet Scheffler somit absurd an, tritt der Weltuntergang doch erst Millionen Jahre nach dessen eigenem Tod ein. Würde der Weltuntergang aber bereits wenige Wochen nach seinem eigenen Tod mit Sicherheit kommen, hätte Alvy „möglicherweise einen Punkt“ (wie es holprig in der deutschen Übersetzung heißt), das heißt sein Wissen darum einen beträchtlichen Einfluss darauf, was ,uns‘ wertvoll ist.

Das Buch beginnt, wie so oft in der gegenwärtigen Analytischen Philosophie, mit einem „Gedankenexperiment“. Man solle sich vorstellen, dass 30 Tage nach dem eigenen Tod die Erde mit einem Asteroiden kollidieren würde, was unausweichlich den Weltuntergang zur Folge hätte. Die Pointe dieser Überlegung ist, dass die Katastrophe erst nach meinem Tod passieren wird, mich also im Grunde nichts angehen müsste. Scheffler arbeitet nun kompliziert heraus, welche Folgen ein solches Wissen für die eigenen Werte und die Wertschätzung anderer Dinge hätte. Menschen seien nicht nur am eigenen Weiterleben interessiert, es gehe ihnen keineswegs nur um den eigenen Erfahrungshorizont. Somit würde wohl keiner mit Gleichgültigkeit auf die drohende Apokalypse reagieren. Gerade durch das Weitergeben eigener Werte und Ideen an eine andere Generation entstehe ein persönliches Verhältnis zur Zukunft. Menschen beteiligen sich zu Lebzeiten an Projekten, deren Verwirklichung sie nicht mehr erleben werden, trotzdem arbeiten sie mit Freude daran. Im Angesicht des universellen Todes hingegen würden manche Dinge, wie etwa die Krebsforschung, unwichtig, andere hingegen, wie etwa die kurzfristige Vermeidung von Leiden oder künstlerische Aktivitäten, blieben Scheffler zufolge hingegen vermutlich von Bedeutung.

Diesem „Untergangsszenario“ wird noch ein an P.D. James’ Roman „Im Land der leeren Häuser“ angelehntes „Unfruchtbarkeitsszenario“ beiseite gestellt, und man fragt sich bei der Lektüre ständig, ob die Welt denn nicht schlecht genug eingerichtet ist, dass der Philosoph ständig neue Naturkatastrophen aus dem Hut zaubern muss. Zumal es solche Szenarien immer an sich haben, dass nichts Reales der zweiten Natur an sie herantritt, sie verschlossen sind gegenüber der Welt, wie sie nun einmal eingerichtet ist. Bei den realen Widersprüchen im Hier und Jetzt fängt die Szenarien-Philosophie noch gar nicht an; sie braucht die großen, apokalyptischen Vorstellungen, die ihr als Ausgangspunkt zur Behandlung ganz weltlicher Probleme dienen. Diese Philosophie der Grenzsituation mag in einer Gesellschaft, in der das Schockmoment gewinnt, Aufmerksamkeit erzeugen, die realen Verhältnisse erfasst sie jedoch nicht.

Michael Hampe hat in der „Zeit“ darauf hingewiesen, dass Scheffler bei aller Akribie seiner Deduktionen den Leser darüber im Unklaren lässt, auf welcher kulturellen Grundlage seine Überlegungen überhaupt plausibel sind und diesen Ansatz als generellen Mangel gegenwärtiger Analytischer Philosophie ausgewiesen. Das wäre noch zu präzisieren, denn Schefflers Überlegungen sind nicht nur ahistorisch und unterlassen jede gesellschaftliche Kontextualisierung. Ebenfalls zu fragen wäre, ob eine derartige Einstellungs-Hypostasierung überhaupt plausibel sein kann, sind Einstellungen doch immer vermittelt mit der gesellschaftlichen Einrichtung und damit keineswegs überhistorisch gültig. Die neurotische Angst vor dem Tod eines Alvy Singer lässt sich damit sowieso nicht erklären. Zumal die Szene ja eine eindeutige Reverenz gegenüber der Psychoanalyse ist (die Scheffler pikanterweise jedoch mit keinem Wort erwähnt), sinnvollerweise bei der Interpretation jener Szene also eher nach dem Verhältnis von Todesangst und Neurose zu fragen wäre. „Wenn ich von unseren Einstellungen spreche, meine ich damit meine eigenen Einstellungen und diejenigen derer, die sie teilen; egal wie viele das letztlich sein mögen“, erklärt Scheffler. Seine Analyse trifft also auf die zu, auf die sie eben zutrifft. Mit diesem bescheidenen und doch allumfassenden Anspruch lässt sich alles und nichts erklären.

Zudem wäre zu fragen, welches Bedürfnis diese Philosophie apokalyptischer Werte im Spätkapitalismus bedient, sind doch die vorgestellten Katastrophen der ersten Natur verbunden mit der Einrichtung der zweiten. Vermeintlich exakte Phänomenologien wie die Schefflers versagen dort, wo Philosophie anzufangen hätte: das Verhältnis von individueller Psyche, Werten des Individuums und gesellschaftlicher Einrichtung zu kritisieren, also deren Zusammenhang offenzulegen. Was den Menschen im Kapitalismus lieb und teuer scheint, muss ihnen nämlich noch lange nicht wichtig sein. Schefflers Philosophieren bleibt somit notgedrungen an der Oberfläche, psychologische wie gesellschaftliche ,Tiefen‘ bleiben außen vor – stattdessen werden apokalyptische Szenarien herbeizitiert. So bleibt auch der Tod ein ungesellschaftliches Abstraktum gleich einem Asteroiden, der einen nun einmal irgendwann treffe.

Scheffler ist sichtlich um exakte Formulierungen bemüht, die jedoch immer wieder wie unfreiwillige Parodien der Sprache exakter Philosophie klingen, wie sie in avancierter und ernstzunehmender Form etwa noch vom Wiener Kreis angestrebt wurde. In der amerikanisch-analytischen Gegenwartsphilosophie klingt das dann so: „So wie viele Menschen heutzutage – allerdings auch im Gegensatz zu vielen anderen – glaube ich nicht an die Existenz eines Lebens nach dem Tod im landläufigen Sinne.“ Wenn Scheffler zu diesen „vielen Menschen“ gehört, und nicht zu den meisten, die so etwas glauben, ist impliziert, dass viele andere etwas anderes glauben, könnte man ganz ohne Dialektik, nur mit der von der Analytischen Philosophie so hoch geschätzten Logik einwenden. Auch die für Scheffler so wichtigen Begriffe ,Wertschätzung‘, ,Sorge‘, ,wichtig‘ et cetera werden nicht aus der Sache heraus entwickelt, sondern schulmeisterlich definiert. Oder es werden Banalitäten als exakte Erkenntnis ausgegeben: „Jeder dieser Begriffe unterscheidet sich in verschiedenen Hinsichten von den anderen, und diese Unterschiede sind für verschiedene Zwecke von Bedeutung.“

Ähnliche Sätze finden sich im ganzen Buch. Äpfel unterscheiden sich auch in mancher Hinsicht von Birnen, ist man versucht zu sagen bei der Lektüre der folgenden Erkenntnisse, die Scheffler dem Leser über das Verhältnis zweier Autoren und deren Verhältnis zu ihm zu berichten weiß: „Ihre Vermutungen unterscheiden sich auch in mancher Hinsicht. Ebenso wie sich meine Vermutungen von Ihren und Ihre sich vielleicht von meinen unterscheiden.“ Dieser Jargon aufgeplusterter Banalität gipfelt dann in handfesten Erkenntnissen, die eine Phänomenologie der Wertschätzung ad absurdum führt: „Ohne das Vorhandensein von Sauerstoff in der Atmosphäre wäre uns beispielsweise gar nichts wichtig, weil wir nicht am Leben wären.“ Könnte man das noch als Selbstentlarvung einer Spielart der heutigen Analytischen Philosophie abtun, so wird es spätestens bei Sätzen wie dem folgenden zu einem ernsthaften Problem beziehungsweise sehr anschaulich, wo eine solche Banalitäts-Akribie hinführen kann: „Auch ist die Tragödie des Selbstmords eine viel zu häufige Erscheinung.“ Der Leser, dem es noch nicht ganz schummrig vor lauter (Vorab-)Definitionen und Annahmen ist, darf sich fragen, ob Scheffler lediglich der Gaul scheinbar exakter Sprache durchgegangen ist, er also eigentlich etwas anderes sagen wollte, oder ob er tatsächlich der Meinung ist, dass der Selbstmord an sich nicht das Problem sei, sondern lediglich das ein bisschen zu häufige Auftreten desselben. In solchen Fehlleistungen verrät sich die Schludrigkeit scheinbar exakter Philosophie.


 

 

 

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Samuel Scheffler, *1951