Jewgenij SamjatinWir
Roman einer Zukunftswelt (Phantastik + Science-Fiction)
1920 fertiggestellt 1923 auf französisch, 1925 auf englisch 1958 auf deutsch bei KiWi (Ü: Gisela Drohla), 253 Seiten 1988-vorher im Samisdat auf russisch 1988 auf russisch, erstmals/offiziell in der Sowjetunion 1994 bei Oberbaum von Thomas Reschke übersetzt 2015 von Elena Boulé, Hemmingen : Ganymed Edition |
wikipe Autor *1884
in
dnb Buch (mit Hörbuch) detopia |
detopia |
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deutschlandfunk.de/ein-meister-der-utopischen-literatur-100.html 2011 dlf
"Wir" ist das erste Buch, welches offiziell in der Sowjetunion verboten wurde. "Wir" gilt als Widerspruch auf die utopischen Romane Der rote Planet (1907) und Ingenieur Menni (1913) von Alexander Bogdanow.
Audio Hörspiel https://www.youtube.com/watch?v=k9_06cmFf_4 1:20 https://www.youtube.com/watch?v=OOIX5PR4qn0 Zusammenfassung
detopia-2005: Eine soziale Vorausschau. Es kommt eben nicht "immer anders als man denkt". Prognosen sind eben nicht "immer schwierig, besonders, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen". (Manchmal kommt es eben auch genauso wie man denkt, dass es kommt - nicht schlimmer, nicht besser, sondern genauso, wie man dachte.)
Das Nachwort von Jürgen Rühle 1972
Saage, Richard, Professor (1999) Samjatins WIR und die Zukunft der politischen Utopie (Essay)
Oberbaumausgabe:
KiWi-Ausgabe
1958-2000: AUDIO Audio 2015 Wir dlf Audio 2019 Wir dlf, Theater Mannheim
Klappentext Wie die Romane von George Orwell und Aldous Huxley, die von dem russischen Schriftsteller Jewgenij Samjatin beeinflußt wurden, gehört Wir zu den großen visionären Romanen dieses Jahrhunderts. Schon 1920 entwarf Samjatin (1884-1937), von der Revolution enttäuscht, in seinem Roman die alptraumhafte Welt eines totalitären Staates. D 503, Bürger des Einzigen Staates und Konstrukteur des Raketenweltraumschiffes Integral, berichtet in seinem Tagebuch vom Leben in einer strahlenden, kristallen durchsichtigen Stadt, in der die Bürger als uniformierte Nummern leben. Von der Arbeit bis zur Liebe ist das Leben streng nach mathematischen Gesetzen organisiert, jede Regung wird beobachtet und kontrolliert. Doch D 503 entdeckt in sich dunkle Triebe aus einer längst vergangenen Zeit — bei ihm hat sich »eine Seele gebildet«. Die ganze seelenlose Ordnung der technischen Welt gerät durcheinander.... »Ein Buch, das allen Dogmatikern und Menschheitsbeglückern gleich welcher Couleur sowie ihren Anhängern zur Pflichtlektüre gemacht werden sollte.« Die Zeit
Autor - wikipedia-2021 Während seines Studiums als Schiffbauingenieur in Sankt Petersburg schloss er sich den Bolschewiki an. Er agitierte für die Partei, organisierte den Aufstand auf dem Panzerkreuzer Potemkin mit und beteiligte sich, nach der Februarrevolution 1917 aus der englischen Emigration nach Russland zurückgekehrt, aktiv an der Oktoberrevolution. Gemäß Wolfgang Kasack „ernüchterte“ ihn „die Realität mit ihrer Gewalt, dem Primat der Ratio und der Leugnung des seelischen Lebens“.[1] 1920 beschrieb er in dem Roman Wir eine fiktive Gesellschaft, in der jegliche Individualität unterdrückt wurde. Samjatin zog sich aufgrund der indirekten Kritik an der sich im Aufbau befindenden sowjetischen Gesellschaft den Unmut der Parteiführung zu und erhielt Schreibverbot. Wir war dabei eine direkte Entgegnung der beiden als fortschrittlich apostrophierten Romane Der rote Planet und Ingenieur Menni von Alexander Bogdanow. Der Roman Wir wurde 1924/25 in verschiedenen Sprachen im Ausland veröffentlicht. Erst 1988 erschien das Werk in der Sowjetunion in vollständiger russischer Fassung. Neben Wir veröffentlichte Samjatin auch verschiedene Märchen (Der Gott, Märchen über Fita etc.). 1929, nach schlimmster Hetze gegen ihn, verließ Samjatin, der zu Beginn der 20er-Jahre eine Ausreisemöglichkeit abgelehnt hatte (ein Ausreisevisum lag ihm vor), den sowjetischen Schriftstellerverband. 1931 erhielt er über Maxim Gorki die Erlaubnis Stalins, nach Frankreich auszureisen. Samjatin behielt bis zu seinem Lebensende die sowjetische Staatsbürgerschaft. Er starb 1937 in Paris und ist auf dem Friedhof von Thiais begraben. |
2015 dlf jewgeni-samjatin-wir-vorlaeufer-von-1984-als-grandioses
2011 dlf ein-meister-der-utopischen-literatur
2019 dlf jewgenij-samjatins-dystopie-wir-duestere-allegorie
KOMPRESSOR | Beitrag vom 24.05.2019
Jewgenij Samjatins Dystopie „Wir“ Düstere Allegorie auf den Stalinismus
Roscha A. Saïdow im Gespräch mit Max Oppel
Das Nationaltheater Mannheim bringt einen vergessenen Sci-Fi-Klassiker auf die Bühne: Der Roman „Wir“ des Russen Jewgenij Samjatin beschreibt, vor Huxley und Orwell, einen Überwachungsstaat. Dessen Optimierungswahn sei sehr aktuell, sagt Regisseurin Roscha Saïdow.
Die ferne Zukunft. - Die letzten Menschen leben innerhalb der Mauern des „Einzigen Staates“ und sind heilfroh, sich nicht mehr mit überholten Konzepten wie Liebe und Freiheit abmühen zu müssen. So kann sich auch D-503, Konstrukteur des Raketenschiffs „Integral“, nichts Besseres vorstellen, als eine perfekte Nummer im Kollektiv zu sein, sein rosa Billett beim streng geregelten intimen Kontakt abzugeben und durch die gläsernen Wände seiner Wohnung die heile, logische Welt zu betrachten.
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aus wikipedia-2021 - Wir (Roman)
Wir ist ein 1920 fertiggestellter, dystopischer Roman des russischen Autors Jewgeni Samjatin. Wir spielt im „Vereinigten Staat“, einem Gebilde, das nach einem 200-jährigen Krieg und der „allerletzten Revolution“ entstand. Dieser Staat besteht aus einer von einer Mauer geschützten Stadt, die Häuser dieser Stadt besitzen Wände aus Glas. Heerscharen von „Beschützern“ wachen über das „Wohl“ der Einwohner, deren Leben bis zum kleinsten Handgriff reglementiert ist, über allen steht ein übermächtiger „Wohltäter“. „Nummern“ – gemeint sind Menschen –, die sich gegen diese „Fürsorge“ wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht, was zählt, ist das Kollektiv. Im Laufe der Erzählung wird unter anderem eine Gehirnoperation entdeckt, die das Fantasiezentrum entfernt und somit Gedanken des Widerstands unmöglich macht. Der Roman schildert die Ereignisse in Form eines Tagebuchs von D-503. D-503 ist Konstrukteur der Rakete Integral, eines Raumschiffes, das den Weltraum erobern und die Errungenschaften der „letzten Revolution“ exportieren soll. D-503 verherrlicht seinen Staat – so lange, bis er die Staatsfeindin I-330 und andere Rebellen kennenlernt. Immer wieder taucht im Roman der Name Taylor auf, der für seine „Wissenschaftliche Betriebsführung“ vom Regime verehrt wird. „Vereinigter Staat“ „Vereinigter Staat“ ist die übliche Übersetzung der russischen Originalbezeichnung, was allerdings nicht präzise ist. Die genauere Übersetzung des russischen Adjektivs würde wohl „einig“ im Sinne „unitär“ sein. Figuren D-503 (Ich-Erzähler) Als Konstrukteur des Integral ist er mitverantwortlich für den Export der Revolution auf andere Welten. Um den Fremden Zeugnisse des Einzigen Staates vorlegen zu können, sollen Traktate, Poeme, Manifeste, Oden und andere Werke mit dem Integral auf die Reise gehen. Das ist auch der Grund für das Tagebuch von D. Wir wissen nicht viel über das Aussehen von D. Er ist zweiunddreißig Jahre alt. Seine behaarten Hände empfindet er als Makel. Er schämt sich für sie. Dennoch scheint der Protagonist gutaussehend zu sein oder zumindest einen gewissen Charme zu besitzen. Durch die Ereignisse, die er selbst durch sein Tagebuch beschreibt, entwickelt er sich von einem funktionierenden Teil eines Kollektivs zu einem Menschen mit Gefühlen, Empfindungen und eigenen Gedanken. Doch zu Beginn ist D-503 noch durch und durch Wissenschaftler und Mathematiker. Gleichungen bestimmen sein Leben. Seine Konstante ist der Einzige Staat. Das alles ändert sich, als er auf einem Spaziergang I-330 kennenlernt. D-503 selbst schreibt, dass nur zwei Dinge die Logik aus dem Gleichgewicht bringen können: Die Liebe und der Hunger. Und auch im Einzigen Staat hat man die endgültige Lösung für das Problem Glück noch nicht gefunden. Es bewegt sich also noch etwas im großen WIR. Das erfährt D vor allem durch I. Sie zeigt ihm das Alte Haus, bietet ihm Alkohol an und er hat später auch Sex mit ihr – ohne staatliche Erlaubnis. Die klare, geordnete Welt von D-503 gerät durcheinander. Eigentlich ist der Protagonist auf O-90 abonniert und empfindet für sie, wenn auch nicht Liebe, so doch zumindest tiefe Zuneigung. Zusammen mit ihr und R-13, den er seit Kindestagen kennt, bilden sie eine Art Familie. Das alles zerbricht durch die Liebe von D zu I. Die imaginäre Zahl {\displaystyle i={\sqrt {-1}}}i=\sqrt{-1} machte D schon von jeher Angst – weil sie vollkommen unlogisch ist und nicht existieren dürfte, es aber dennoch tut – und diese Angst wird immer größer. Er beginnt, sich als Kranken zu sehen. Auch U, die Kontrolleurin, kann ihm nicht helfen. Sie muss D immer wieder schmerzliche Briefe überreichen. Die Beziehung zwischen I und D ist geprägt von einem ständigen Auf und Ab. I bekommt die Erlaubnis zum Sex mit D, erscheint aber nicht. Dann wieder treffen sich die beiden im Alten Haus; nach dem Treffen verschwindet sie spurlos. Nun scheint nichts mehr klar (das Lieblingswort von D) zu sein. Immer öfter findet D keine Überschriften mehr für seine Tagebuchaufzeichnungen. Er beginnt Phantasien zu entwickeln. Träume plagen ihn. Der Arzt diagnostiziert ihm eine Seele. D wird immer mehr zum Ich und kapselt sich vom Kollektiv ab. Außerdem hat er Angst, dass seine Aufzeichnungen gefunden werden – das wäre sein Todesurteil. Vielleicht ahnt D, dass I gegen den Einzigen Staat arbeitet. Er erfährt es jedenfalls, als er von einem Fahrstuhl, getarnt als Kleiderschrank, im Alten Haus in den Untergrund gefahren wird. Dort befindet sich das Lager der Untergrundkämpfer, zu denen auch I gehört. Die Ereignisse überschlagen sich. Bei der Wahl des Diktators (Wohltäters) am Tag der Einstimmigkeit bricht die Rebellion aus. D willigt ein, bei dem Aufstand mitzuwirken. Die Sabotage des Integral misslingt und I macht D dafür verantwortlich. Nun sollen Operationen die Phantasie der Nummern beseitigen. D ringt mit sich. Er möchte nicht mehr träumen. Dank I entscheidet er sich jedoch gegen eine Operation. D wird von U verraten. Er ist kurz davor, die Kontrolleurin zu erschlagen, als sie sich vor ihm entblößt und ihm ihre Liebe gesteht. D wird verhaftet, kann aber fliehen. Letztendlich wird er wieder gefasst und, wie alle anderen Nummern auch, operiert. In seiner letzten Aufzeichnung scheint er „geheilt“. D ist wieder ein Teil des WIR. Seine Liebe, I, hat er verraten. O-90 Sie ist auf D-503 und R-13 abonniert. Ihr Aussehen wird als rundlich, „nur aus Kreisen und Kurven“ bestehend beschrieben. O-90 schläft abwechselnd mit D-503 und R-13. Sie verlässt D-503, nachdem sie von seiner Beziehung zu I-330 erfährt. O liebt D – deshalb muss sie ihn verlassen, denn „Liebe führt zur Abkehr von der Logik“. Dennoch hat O eine letzte Bitte an D, die ihr auch erfüllt wird: Sie möchte ein Kind von ihm, obwohl sie genau weiß, dass darauf der Tod steht. D bittet sie zu fliehen, I soll ihr dabei helfen. O-90 willigt schließlich widerwillig ein. I-330 D-503 lernt sie auf einem Spaziergang kennen. Er merkt, dass er eine tiefe Zuneigung für sie empfindet. Er verliebt sich in sie. Ob I seine Liebe in gleichem Maße erwidert, bleibt unklar. I-330 ist Mitglied der MEPHI, einer Untergrundorganisation, die gegen den Einzigen Staat kämpft. Sie weiß, dass D-503 einer der Konstrukteure des Integral ist. Als D mit dem Wohltäter spricht, meint der, dass I-330 ihn lediglich benutzt habe, um an den Integral zu gelangen. U sieht das genauso. Fakt ist, dass I-330 ihn fallen lässt, nachdem die Sabotage des Integral misslingt – sie verdächtigt ihn, für das Misslingen verantwortlich zu sein. Zu Beginn scheint I ihm scheinbar grundlos zu vertrauen. So weiß sie, dass D nicht zu den Beschützern gehen wird, um sie anzuzeigen. Dennoch weiht sie ihn nicht ein, erst nach dem Tag der Einstimmigkeit zeigt sie D die Welt außerhalb der grünen Mauer. I-330 glaubt an zwei Kräfte: An die Entropie und an die Energie. Die eine schafft selige Ruhe und glückliches Gleichgewicht, die andere führt zur Zerstörung des Gleichgewichts, zu qualvoll-unendlicher Bewegung. Die MEPHI sehen sich als Nachfahren der Antichristen. I-330 glaubt an die alte Welt, an Gefühle, an die Phantasie und an die Menschen. Sie stellt am ehesten einen Menschen dar, der uns nahekommt. Sie wird vermutlich, nachdem sie vom operierten D-503 verraten wird, hingerichtet werden. Wohltäter Über den Wohltäter wird wenig ausgesagt, er tritt praktisch nicht in Erscheinung. Auffallend sind die Parallelen zu späteren Diktatoren wie Stalin und dem Großen Bruder von Orwell: Eine gottgleiche Gestalt, die über das „Wohl“ der Untertanen wacht und in „Wahlen“ immer wieder vom Volk bestätigt wird. Der Roman wird somit zu einer prophetischen Vision der Zeit des Stalinismus. Weitere Charaktere R-13: der „stupsnasige“ Dichter mit den „Negerlippen“ S-4711: ein „Beschützer“ U („ich will ihre Nummer lieber nicht nennen“): die Kontrolleurin mit ihren „Hängebacken“ der kleine Doktor Erzählstil/Sprache Das Werk zählt zur Gattung der Epik. Wir erzählt die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur, also aus einer personalen Perspektive. Die Handlung wird linear erzählt und beschränkt sich auf nur einen Handlungsstrang. Die erzählte Zeit kann dadurch, dass es sich um ein Tagebuch handelt, gut eingeschränkt werden: Die Erzählung spielt sich in einem Zeitraum von mindestens einem dreiviertel Jahr ab (zu Beginn ist Frühling und am Ende Herbst). Die am Geschehen beteiligten Figuren kommen in direkter Rede zu Wort, wobei sich ein Großteil des Geschehens im Kopf des Erzählers abspielt und einen oft mehrere Seiten langen, inneren Monolog ergibt. Auffällig ist, dass der Ich-Erzähler den Leser anspricht, was oft wie ein Appell wirkt. Als Beispiel sei der Anfangssatz von Eintragung 32 zitiert: „Können Sie sich vorstellen, dass Sie sterben werden?“ Der Stil ist vor allem durch den starken Kontrast zwischen vielen technischen/mathematischen Begriffen (Nummern, Gleichung) und solchen aus der Gefühlswelt (wie Liebe, Freiheit) geprägt. Sie spiegelt den Inhalt, vor allem den inneren Kampf des Protagonisten, wider. |
Ausgaben in deutscher Sprache Jewgenij Samjatin: Wir. Roman. Aus dem Russischen von Gisela Drohla. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1958; ebd. 1984, ISBN 3-462-01607-5 (Nachwort von Jürgen Rühle) Wir. Roman. Manesse, Zürich 1977 (Nachwort von Ilma Rakusa) Wir. Ein klassischer utopischer Roman. Wilhelm Heyne, München 1970 Wir. Roman. disadorno edition, Berlin 2011, ISBN 978-3-941959-03-3 (Mit einem Essay von Richard Saage) Jewgeni Samjatin: Wir. Roman. Aus dem Russischen von Marga und Roland Erb. Kiepenheuer, Leipzig 1991, ISBN 3-378-00461-4 Jewgenij Samjatin: Wir. Roman. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Arnold und Geitner, Chemnitz 1994, ISBN 3-926409-92-4 Evgenij Samjatin: Wir. Roman. Aus dem Russischen von Josef Meinolf Opfermann. Europäischer Literaturverlag, Bremen 2013, ISBN 978-3-86267-770-2 Verfilmung Das Buch wurde 1981 von Regisseur Vojtech Jasný mit Dieter Laser als D-503 und Sabine von Maydell als I-330 verfilmt. Hörspiel Eine erste Hörspielversion wurde 1979 von Südwestfunk, Bayerischer Rundfunk und RIAS nach einer Bearbeitung von Hans-Gerd Krogmann produziert. In den Hauptrollen spielten u. a. Dieter Borsche, Christian Brückner und Eva Garg.[2] 1985 wurde eine weitere Version vom Bayerischen Rundfunk produziert.[3] 2014 wurde Wir in der Bearbeitung von Ben Neumann vom SWR vertont. Unter anderem mit Hanns Zischler, Andreas Pietschmann und Jana Schulz. Musikalisch wird das Hörspiel vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter dem Dirigenten Jonathan Stockhammer begleitet.[4] 2015 wurde Wir vom speak low Verlag als Hörbuch, gelesen von Heikko Deutschmann, herausgebracht.[5] Literatur George Orwell: Review of We by E. I. Zamyatin. In: Tribune, 4. Januar 1946 Richard Saage: Die konstruktive Kraft des Nullpunkts. Samjatins »Wir« und die Zukunft der politischen Utopie. In: Utopie Kreativ, Nr. 64, Februar 1996 (PDF) ders.: Utopische Profile. Band 4. Widersprüche und Synthesen des 20. Jahrhunderts. Lit, Münster [u. a.], ISBN 3-8258-5431-0 Utopie von 1920: Aktualität von heute. In: Die Zeit, Nr. 47/1958 (Rezension) Joshua Glenn: In a perfect world. In: Boston Globe, 23. Juli 2006 (Rezension) Weblinks Jewgenij Samjatin: Wir. Volltext in Nemesis – Sozialistisches Archiv für Belletristik Jewgenij Samjatin: Wir. E-Book auf Scribd, hochgeladen am 22. April 2007 Jewgenij Samjatin: Wir. E-Book-Download in den Formaten ePub, LRF, LIT und MOBI (z. B. für Kindle). Rezension von Corinna Hein auf Buchwurm.info, 13. Juni 2005 L’antipanlogismo di Evgenij Zamjatin, italienischer Kritik-Essay zu Wir Heyne Science Fiction Classics, Folge 11: Jewgenij Samjatin: Wir im Zauberspiegel |
Ein Meister der utopischen Literatur
Der anti-utopische Roman „Wir“ des russisches Schriftstellers Evgenij Zamjatin von 1920 steht in einer Reihe mit Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“. Der Bremer elv-Verlag bringt ihn jetzt wieder in Erinnerung, während die Friedenauer Presse drei essayistische Texte Zamjatins vorstellt.
Von Brigitte van Kann | 11.11.2011#
Der russische Autor Evgenij Zamjatin kam 1884 in der Familie eines russisch-orthodoxen Priesters zur Welt. Zum Studium ging er ans Polytechnische Institut nach St. Petersburg, das er 1908 mit dem Diplom eines Schiffbau-Ingenieurs verließ. In dieses Jahr fallen auch seine ersten literarischen Veröffentlichungen.
Zamjatin war ein Widerständiger: Er wurde Mitglied der Russischen Sozial-Demokratischen Arbeiterpartei, aus der die Bolschewiki und die spätere KPdSU hervorgingen. Im Zarenreich machte er die Erfahrung einer Verhaftung mit anschließender Verbannung in die Provinzstadt, aus der er stammte. Seine ersten Romane – es waren Satiren – wurden hoch gelobt und sicherten ihm einen festen Platz in der russischen Literatur. Im Ersten Weltkrieg entsandte ihn die russische Armee nach England, wo Zamjatin in seiner Eigenschaft als Schiffbau-Ingenieur den Bau eines russischen Eisbrechers überwachte. Auf die Nachricht von der Oktoberrevolution kehrte er noch im Herbst 1917 nach Petersburg zurück – bereit, seinen Beitrag zur neuen sozialistischen Gesellschaft zu leisten.
Doch auch jetzt wurde er kein Jasager: Sein berühmter anti-utopischer Roman „Wir“ durfte 1920 in Russland nicht erscheinen, er kam erst 1924 in englischer, französischer und tschechischer Übersetzung heraus. Als eine russische Emigrantenzeitschrift in Prag 1929 ohne sein Wissen einen rückübersetzten Auszug veröffentlichte, begann in der Sowjetunion die übliche Hetzkampagne gegen den Autor – mit der unausbleiblichen Folge des Publikationsverbots.
1931 bat Zamjatin Stalin um die Genehmigung zur Ausreise.
„Ich weiß“,
schrieb der Autor in seinem furchtlosen Brief,
„dass ich die unangenehme Angewohnheit habe, nicht das zu sagen, was im gegebenen Augenblick von Vorteil ist, sondern das, was ich für die Wahrheit halte.“
Auf Fürsprache von Maxim Gorki durfte Zamjatin ausreisen. Er ging nach Paris, wo er 1937 arm und verlassen an Tuberkulose starb.
Erst 1988, gegen Ende der Sowjetunion, konnte sein Roman „Wir“ in Russland erscheinen. 30 Jahre davor erlebte er sein Debüt in deutscher Übersetzung und war dem SPIEGEL eine lange Rezension wert. Immer wieder einmal erschien Zamjatins Roman in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland, zuletzt 1990 im Rahmen einer Werkausgabe. Während fast jedes Schulkind George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ kennenlernt, bleibt Zamjatins „Wir“ unbeachtet – dabei gilt als erwiesen, dass seine britischen Kollegen Huxley und Orwell den Roman kannten und – vorsichtig gesprochen – als Inspirationsquelle benutzten.
Die Parallelen liegen auf der Hand: Alle drei Romane spielen in einer Zukunft, in der ein allmächtiger Staat das Leben seiner Untertanen bis ins Kleinste kontrolliert, alles Individuelle ausmerzt und diejenigen, die versuchen, sich ihr Menschenrecht zu nehmen, grausam maßregelt.
Zamjatins Held D-503 – alle haben Nummern statt Namen – ist Konstrukteur eines Raumschiffs, das die Segnungen des Einzigen Staates zu fernen Planeten bringen soll – denn dort existieren möglicherweise noch Menschen im „unzivilisierten Stand der Freiheit“ – auch sie sollen unter das „segensreiche Joch der Vernunft“ gebeugt werden.
D-503 ist ein stolzer Bewohner des Einzigen Staates. In seinen Tagebucheintragungen macht er den Leser mit den Segnungen des Systems bekannt – Armut, Schmutz, Hunger und Seuchen sind in diesem hoch technisierten Paradies besiegt. Der Staat übernimmt die Bevölkerungsplanung ebenso wie er das Sexualleben seiner Bewohner regelt.
Alle tragen die gleiche Uniform, hören die gleiche staatstragende Musik, essen zur gleichen Zeit ein standardisiertes Nahrungsmittel aus Erdöl, der Tagesablauf in gläsernen Wohnungen ist durchgetaktet, anstatt einen Spaziergang in der Mittagspause zu machen, marschieren die Werktätigen in grauen Blöcken zur Hymne des Einzigen Staates – ein Bild, mit dem der Autor schon 1920 die Überwältigungsästhetik totalitärer Massenspektakel vorwegnahm.
Weil man aber noch ein paar Schritte vom Ideal entfernt ist, kommt es im Einzigen Staat vor, dass jemand „das wilde Echo der Affen“ vernimmt und „den Lauf der großen Staatsmaschine“ hemmt. Am „Tag der Gerechtigkeit“ wird er wird vom „Wohltäter“, wie Orwells „Big Brother“ ist der Diktator mit einem euphemistischen Namen ausgestattet, in einer gewaltigen öffentlichen Zeremonie im wahrsten Sinne des Wortes liquidiert: per Knopfdruck mit 100.000 Volt in eine „kleine Pfütze chemisch reinen Wassers“ verwandelt.D-503, der ideale Bewohner dieser schönen neuen Welt, verliebt sich in eine Frau – sie macht ihn nicht nur mit richtiger Musik, schönen Kleidern und Alkohol bekannt – sie zieht ihn auch in eine Verschwörung zur Abschaffung des Einzigen Staates hinein. Erschüttert, verunsichert, von anachronistischen Gefühlen wie Eifersucht geplagt, vertraut D-503 das Unerhörte, das ihm widerfährt, seinem Tagebuch an.
Erst als man ihm wie allen anderen Bewohnern des Staates die Fantasie, die Seele, die sich regelwidrig und krankhaft wie ein Geschwür gebildet hat, herausoperiert, gelangt D-503 wieder in vollkommene Übereinstimmung mit sich und dem Einzigen Staat.
Habe ich, D-503, tatsächlich all diese Seiten geschrieben? Habe ich das wirklich jemals empfunden, was ich hier aufgezeichnet habe? ... Ja, es ist meine Handschrift. Auch auf dieser Seite ist es meine Handschrift ... aber hier ist nicht mehr von Fantasien und Gefühlen die Rede, sondern nur noch von Fakten. Ich bin nämlich wieder gesund, völlig gesund. Unwillkürlich muss ich lächeln, ich kann nicht anders: man hat mir einen Splitter aus dem Kopf gezogen, und ich spüre ein große Leere und Erleichterung. Nein, keine Leere, es ist nur nichts mehr das, was mich am Lächeln hindert (das Lächeln ist der Normalzustand eines normalen Menschen).
Unbeteiligt schaut D-503 zu, wie die Frau, die er vor kurzem noch geliebt hat, gefoltert wird, um sie zu einem Geständnis zu bringen.
Aldous Huxley schrieb „Schöne neue Welt“ 1932, George Orwell „1984“ erst nach dem Ende des Dritten Reichs. Ihr russischer Kollege Zamjatin aber nahm in seinem Roman „Wir“ schon 1920, zwei Jahre nach der Oktoberrevolution, hellsichtig fast alles vorweg, was später Nationalsozialismus und Stalinismus, die beiden das 20. Jahrhundert prägenden totalitären Systeme, kennzeichnen würde: Paradiesverheißung, Konformität und Führerkult, Heiligung der Mittel durch den Zweck, Spitzelwesen, Schauprozesse und ein durchgehend euphemistischer Sprachgebrauch.
Eine so scharfe Warnung vor der zwangsweisen Menschheitsbeglückung kann gar nicht oft genug ausgesprochen werden – insofern ist es gut, dass der elv-Verlag aus Bremen nun Zamjatins Roman wieder veröffentlicht hat. Weniger gut ist, wie das Buch daher kommt: Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass bei übersetzten Werken der Übersetzer zu nennen ist, ganz gleich, ob er unbekannt, alt oder gar schon tot ist. Auch auf eine editorische Notiz hat die Herausgeberin Julia Deutschländer verzichtet. Von wem stammt diese Übersetzung, wo wurde sie zuerst gedruckt, hat jemand sie überarbeitet? Man erfährt es nicht. Das Vorwort der Herausgeberin wirkt wie eine missglückte Übersetzung aus dem Russischen, so viele ärgerliche Russizismen enthält es. Hier wäre ein Lektor segensreich gewesen.
Sehr passend ausgewählt wurde die Titelillustration – viele hochgereckte Hände, die zu einer großen Hand werden, ein Ausschnitt aus einem berühmten Sowjetplakat von Gustav Klucis, dessen Titel dann aber mit „Erfüllen den Plan der großen Arbeiten!“ in gebrochenes Deutsch übersetzt ist. Die Qualität des kunststoffbeschichteten Einbands ist dermaßen schlecht, dass er nach dem ersten Aufschlagen permanent aufgeklappt bleibt. Erfüllen die Gebote guter Gepflogenheiten, bitte!
Wie man Bücher nicht nur sorgfältig ediert, sondern auch kunstvoll und schön gestaltet, hätten die Macher des elv-Verlags von der Friedenauer Presse lernen können. Dort hat Peter Urban unter dem Titel „Ich fürchte...“ drei Essays von Evgenij Zamjatin mustergültig übersetzt und herausgegeben. Sie stammen aus den Jahren 1919 bis 1921 und lassen sich als fortschreitender Kommentar des Autors zur Revolution und ihren Folgen, aber auch zur Entstehung und zum Schicksal seines Romans lesen
Erlebt haben wir die Epoche der Unterdrückung der Massen; erleben werden wir eine Epoche der Unterdrückung der Persönlichkeit im Namen der Massen; das Morgen – wird die Befreiung der Persönlichkeit bringen – im Namen des Menschen. Der imperialistische und der Bürgerkrieg – haben den Menschen zu Material für den Krieg verwandelt, in Nummern, in Ziffern. Der Mensch ist vergessen – um des Sabbats willen; wir wollen an ein anderes erinnern: der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht. ... Der Mensch liegt im Sterben. Der stolze homo erectus geht auf allen Vieren, ihm wachsen Reißzähne und Fell – das Tier in ihm gewinnt die Oberhand. Zurückgekehrt ist das wüste Mittelalter, eine neue Welle von Judenpogromen rollt. Wir dürfen nicht länger schweigen. Es ist Zeit für den Ruf: der Mensch ist des Menschen – Bruder!
Hellsicht, Analyse, Anklage, Appell – so mischt sich der Autor 1919 in die Geschicke seines von der Revolution erschütterten Landes ein, noch voller Hoffnung auf ein „Morgen“, so heißt der Text, der als Vorrede für eine Zeitschrift gedacht war, die nie erschien. Mit einem skeptischen „Ich fürchte ...“ reagiert Zamjatin ein Jahr später wohl auf die Ablehnung seines Romans „Wir“ durch sowjetische Verlage. Bei seinen Schriftstellerkollegen diagnostiziert er einen Hang zur politisch geforderten Loyalität und Nützlichkeit. Wahre Literatur werde nicht von „zuverlässigen Vollzugsbeamten“, sondern von „Wahnwitzigen, Abtrünnigen, Ketzern, Träumern ... (und) Skeptikern“ geschrieben.
Ich fürchte, wahre Literatur wird es bei uns nicht geben, bevor wir nicht geheilt sind von jener neuen Art des Katholizismus, der nicht weniger als der alte, vor jedem Ketzerwort zurückschreckt. Und wenn diese Krankheit unheilbar ist – fürchte ich, hat die russische Literatur nur eine Zukunft: ihre Vergangenheit.
In puncto Dogmatik haben sich Zamjatins Befürchtungen bestätigt. Aber dennoch gab es Sowjetschriftsteller, die am Dogma vorbei schrieben und der russischen Literatur eine Zukunft gaben: Man denke nur an Babel, Dobycin, an Grossman, von den Dichtern ganz zu schweigen, zu denen auch Aleksandr Blok gehört hätte, wäre er nicht 1921 gestorben. Dem Dichter Blok ist Zamjatins dritter Essay in diesem Band gewidmet – ein Nachruf auf einen Menschen, der sich der praktischen revolutionären Arbeit verschrieb, weil er es als seine Pflicht empfand, und der angesichts der Bürgerkriegsgreuel, der Not und der Fahrt aufnehmenden neuen Bürokratie nicht mehr schreiben konnte. Im Grunde sind diese „Erinnerungen an Blok“ auch ein Abschied von den Hoffnungen, die in die Revolution gesetzt wurden – Zamjatin hat ihn sehr früh und unmissverständlich vollzogen.
Evgenij Samjatin: „Wir.“
elv-Verlag, Bremen 2011, 160 Seiten.
Evegenij Zamjatin: „Ich fürchte ...“.
Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Urban.
Friedenauer Presse, Berlin 2011, 30 Seiten.