Start    Weiter

7  Verschiedene Ansichten oder Gespräche in entspannter Atmosphäre 

Reich-1992

 

118-135

Im folgenden will ich eine als dienstliche Unterhaltung aufgezogene Vernehmung dokumentieren, die ich sofort nachher gedächtnis­protokolliert habe. Ich will zeigen: 

Das Ziel der Gespräche ist mir letzten Endes nicht deutlich geworden. Einschüchterung? Oder haben sie aufgrund des Gesprächsverlaufs auf ihr eigentliches Ziel verzichtet? Womit habe ich erreicht, daß sie von mir abließen?  

 

9.7.85, 9-10 Uhr 

(Ich setze meine Antworten in Klammern oder lasse sie fort.)

 

Also, wir danken Ihnen erst einmal, daß Sie unserer Einladung zu diesem Gespräch gefolgt sind.
Wir wissen das zu schätzen. Für Sie ist es ja eine willkommene Ablenkung. 
Wissenschaftler leben ja immer in Gedanken, in ihren Sphären.
Mein Name ist Banzer. Ich sage das noch einmal, weil man bei den gemurmelten Vorstellungen in der Tür, bei der Begrüßung, nicht immer alles mitbekommt.
Und der Kollege hier heißt Thieme.
Ach so, wollen Sie vielleicht Tee?

(Danke, nein.)

Also, wir sind Mitarbeiter des MfS. Dr. Kroll hat Sie ja sicher vorbereitet, um was es geht.
Nein? Das hatten wir eigentlich so verabredet.
Einerlei. Wir haben um dieses Gespräch gebeten, weil wir einige Dinge in aller Offenheit klären möchten.
Ach so, möchten Sie rauchen?

(Nein, danke, rauche nicht.)

Wir, das kann ich ja nun offen sagen, wir beide schätzen es ebenfalls nicht, wenn geraucht wird.
Über manches werden wir vermutlich verschiedene Ansichten haben und behalten. Aber ein Gespräch kann hier vielleicht teilweise Übereinstimmung bringen. Das wäre uns sehr wichtig.

Also, lassen Sie mich geradewegs aufs Ziel losgehen: Dr. Guntram Herzfeld. Er gehörte ja auch zu Ihren Bekannten. Er ist ja von uns mittlerweile nach Westberlin ausgewiesen worden.

Welche Verbindungen haben Sie noch zu ihm, wie stellen Sie sich Ihre weiteren Verbindungen zu ihm vor, angesichts der neuen Umstände? Haben Sie überhaupt Kontakt zu ihm?

Noch ein Wort zuvor, bevor Sie antworten: Selbstverständlich müssen Sie uns keine Auskunft geben. Wir bestehen nicht darauf, wir haben gar nicht das Recht dazu.

119


(Ich bin seit fast zwanzig Jahren mit Herzfeld eng befreundet. Wir haben uns ursprünglich auf dienstlicher Schiene getroffen, als er noch bei der Akademie der Wissenschaften als Philosoph war. Er hat sich damals mit Positivismus befaßt. Sie wissen sicher, daß das enge Beziehungen zu den exakten Wissenschaften hat. Später entwickelte sich eine persönliche Freundschaft. Ich habe es sehr bedauert, daß es keinen Weg gab, ihn in unsere Gesellschaft zu integrieren. Jetzt ist er drüben. Für mich ist das ein Verlust. Ich weiß noch nicht, wie es mit uns persönlich weitergehen wird. Die traurige Erfahrung zeigt leider, daß solche Beziehungen mit der Dauer der Trennung langsam eintrocknen, wenn kein Kontakt mehr da ist. Und Westberlin ist ja weiter weg als Honoulu ...)

Wie meinten Sie das: in die Gesellschaft integrieren?

(Er war zehn Jahre ohne Arbeit. Nur etwas Honorararbeit beim Verlag. Ich bin der Meinung, er hätte eine Arbeitsstelle haben müssen, wo er sein Talent hätte entwickeln können, zu unserem Nutzen, anstatt herumzusitzen.)

Sie haben noch nicht auf meine Frage nach den gegenwärtigen Beziehungen geantwortet.

(Was heißt Beziehungen, wenn man sich nicht mehr sieht. Wir rufen uns bisweilen an. Vor einiger Zeit habe ich ihm zum 45. Geburtstag einen langen Brief geschrieben.)

Wie ist er drüben untergekommen?

(Da kann ich Ihnen nur wenig Informationen geben. Seine Frau hat eine Stelle im Krankenhaus, er noch keine. Es wird als Gesellschaftswissenschaftler aus dem Osten nicht leicht für ihn werden.)

Haben Sie etwas über politische Aktivitäten gehört?

(Nein.)  (Das war gelogen!)

120


Haben Sie bemerkt, daß Dr. Herzfeld Verbindungen zu Botschaften anderer Länder und ähnliches hatte? Wir haben solche Hinweise.

(Nein. Sie müssen wissen, daß ich da wenig Auskunft geben kann. Unsere Freundschaft erstreckte sich nicht auf alles. Er hatte viele andere Freunde und war über vieles auch schweigsam. Auch ich öffnete mich nicht in allem, zum Beispiel dienstliche Dinge...)

Das wäre ja auch nur korrekt gehandelt!

(Aber man konnte sich in persönlichen Krisen auf seinen Rat verlassen. Im übrigen trafen wir uns des öfteren beim Tee, zum geistigen Austausch, auch mit den Kindern zum Baden am See bei unserem Grundstück, dann auch monatelang wieder gar nicht.)

Hat eigentlich Ihre Teerunde, wo man, wie Sie sagen, geistigen Austausch pflegt, regelmäßigen Charakter?

(Wir treffen uns oft und tauschen uns aus über Theater, Bücher und anderes ...)

Hatte Dr. Herzfeld eine leitende Rolle, oder hat er die angestrebt? Hat er versucht, dem Ganzen organisierten Charakter aufzuprägen?

(Nein. Er ist sehr gründlich und hat darauf gedrängt, daß etwas durchgeführt wird, wenn man es geplant hat, ein Ausflug, ein Diskussionsthema usw. Aber zu einem organisierten Seminar kann unser Kreis nicht werden. Wir sind außerhalb der Arbeit und wollen uns abends unterhalten und nicht arbeiten.)

Also: eine lose Runde, auch wenn öfters ein Thema gut vorbereitet wird ...?

(Ja, so ist es.)

(Mit eindringlichem Blick:) Gestatten Sie noch eine Nachfrage: Sie sagen also ganz bestimmt, daß es niemals eine von Dr. Herzfeld hergestellte Verbindung mit einem Vertreter einer westlichen Botschaft, also auch der Ständigen Vertretung gegeben habe?

(Pause)

121


(Wenn Sie so fragen - das einzige, was Sie möglicherweise im Blick haben, war ein Teeabend, bei dem ein zunächst nicht vorgestellter Gast zugegen war, der sich im Gespräch als Westdeutscher herausstellte. Er sollte dann zu weiteren Diskussionen eingeladen werden, aber es gab einige bei uns, die dagegen waren, weil wir unter uns bleiben wollen. Er wurde wieder ausgeladen, und es blieb bei der einen Episode.)

Noch eine Zwischenfrage: Ist es bei Ihnen nicht üblich, sich vorzustellen und den Namen zu sagen und woher man ist?

(Wenn ich Gastgeber bin, und jemand bringt einen anderen mit, dann werde ich natürlich an der Tür flüchtig mit ihm bekannt gemacht, aber ... wie soll ich das ausdrücken?)

Sie lassen sich nicht den Ausweis zeigen?

(So ist es.)

Zu diesem Westdeutschen möchten wir Ihnen folgendes sagen. Sie sind da in eine ganz gefährliche Grube geraten. Er war zu der Zeit bei der BRD-Vertretung für Wirtschaftsverbindungen tätig. Er interessierte sich allerdings weniger für die Vertiefung von Wirtschaftsbeziehungen, sondern reiste in der DDR herum und war überall zu finden, wo sich Aussteiger fanden, Dresdener Punks, der Jenaer Kreis, mit einem Wort überall, wo Leute zusammenkommen, die mit der Arbeiter- und Bauernmacht nicht viel im Sinn haben.

Und hier bot sich die Chance des Einstieges in einen Kreis von Wissenschaftlern und Künstlern, Architekten usw., alles Leute, die einer geregelten Tätigkeit nachgehen, wenn Sie diese Verallgemeinerung erlauben.

122


Wir haben Grund zu der Annahme, daß Dr. Herzfeld diesen Mann zielbewußt eingeführt hat. Er hat das im Gespräch uns gegenüber offen zugegeben. Hat er Ihnen eigentlich erzählt, daß wir oft mit ihm Unterredungen hatten?

(Nein. Ich sagte Ihnen ja, daß er nicht in allem sein Herz ausschüttete.)

Wir haben nun Anlaß zu der ernsten Beunruhigung, daß er bei seinen Intimkenntnissen der gesellschaftlichen Szene westliche Geheimdienste auf die Spur setzen könnte. Ich will nicht dramatisieren. Es gibt viele Kreise, viele sind uns bekannt. Die einen musizieren, andere spielen Rommé, andere tauschen sich geistig aus ... Aber hier ist doch einiges, was uns sehr ernst stimmt. So haben wir zum Beispiel die Information, daß in Ihrem Kreis über Totalitarismus gesprochen wurde und unser System als totalitär gekennzeichnet. Sie haben an dieser Diskussion teilgenommen. 

Lassen Sie mich ganz offen dazu ein persönliches Bekenntnis machen. Wir beide sind ja etwa gleichen Alters und haben andere Zeiten miterlebt. Ich hatte zwei Onkel, Reinhold und Herbert. Sie haben mir als Kind viel bedeutet. Jetzt, wo ich das älteste männliche Mitglied der Familie bin, wurde ich mit zwei Briefen bekannt gemacht: einer, in dem meiner Tante mitgeteilt wurde, daß Onkel Reinhold die Ehre hatte, als Offizier für Volk und Vaterland den Heldentod zu sterben, und ein anderer, in dem die Ortsgruppe der NSDAP mitteilt, daß Onkel Herbert bei einem bedauerlichen Unfall ums Leben gekommen sei.

Dieses Erlebnis hat meinen beruflichen Weg stark mit beeinflußt. Daß ich zum Beispiel beim Ministerium für Staatssicherheit bin, um zu verhindern, daß es diese Art Unfälle wieder gibt. Und wenn ich dann höre, daß Sie Totalitarismus und unser sozialistisches System in einen Zusammenhang bringen, dann frage ich mich doch, ob das nicht automatisch Widerstand und Aktion impliziert. Und das ist der Grund die dienstlicher Unruhe, wenn ich von einem Kreis höre, in dem solche Dinge systematisch besprochen werden. 

123


Ich habe Ihnen eine lange Rede gehalten, was sagen Sie dazu?

(Ich bin nicht unbeeindruckt. Auch wie Sie Ihre Sorge menschlich motiviert haben. Ich kann dazu nur sagen: Wir wollen keine organisierte politische Kraft sein oder werden. Wir haben keine Verbindungen mit Vertretern von Botschaften. Die Beziehung von Totalitarismus und unserem System ist diskutiert worden, aber die Gleichsetzung wurde abgelehnt, wir haben darüber geredet, um einen Begriff zu bestimmen, der im Westsender täglich auftritt. Ich sehe die Rolle, die das MfS bei der Aufrechterhaltung der Stabilität in Europa einnimmt, und auch, wie es in anderen Teilen der Welt zugeht, wo Bürgerkrieg herrscht.) 

Welche Meinung haben sie nun zu alldem? Wir haben Ihnen unsere ernste Beunruhigung mitgeteilt und würden gern im weiteren Gespräch mit Ihnen bleiben. Wir sehen durchaus, daß Sie subjektiv nichts Böses wollen, aber das Kind soll nicht in den Brunnen fallen, sondern der Zusammenhang zwischen spielenden Kindern und dem Brunnen soll vorher hergestellt werden.

Unsere Absicht ist, für Sie und Ihren Kreis eine Konfrontation mit der Staatsmacht zu vermeiden. Dieses Gespräch soll eine Warnung sein. Unsere Sicht auf die Dinge ist zum Teil ganz anders als Ihre. Wir haben keinen Zweifel an Ihrer Loyalität gegenüber unseren Gesetzen. Das Beispiel beim Moskauer Kongreß im vorigen Jahr haben wir durchaus registriert. 

Wir schlagen, wenn Sie einverstanden sind, ein weiteres Gespräch vor ...

124


(Ich muß Ihnen gestehen, daß ich diese Art Gespräche sehr belastend finde und nicht einsehe, weshalb sie fortgesetzt werden müssen. Ich habe auch, bei aller Offenheit, die ein Prinzip ist, Skrupel, hier über Freunde mit Ihnen zu reden. Ich hätte es auch nicht gern, wenn jemand mit dem MfS über mich ...)

Sie werden bemerkt haben, daß wir unsererseits jeden anderen Namen aus dem Spiel gelassen haben. Wir möchten Sie eindringlich um ein weiteres Gespräch am nächsten Donnerstag bitten. Wir haben noch eine andere, recht ernste Sache. Wäre Ihnen 10 Uhr hier in diesem Raum recht? Hier ist es bequem. Man kann auch härter sitzen. Übrigens: Wir haben nichts dagegen, wenn Sie den Inhalt dieses Gespräches Ihren Freunden weitererzählen. Das ist eine ganz offene Unterredung gewesen.

 

18.7.85.    10 Uhr bis 11.45 Uhr.

(Heute nehme ich Tee an.)

Sie hatten jetzt neun Tage Zeit zum Nachdenken. Vielleicht haben Sie noch etwas zu Ihren Eindrücken zu sagen? Gibt es Unklarheiten? Fragen?

(Ja, ich habe nochmals alles durchdacht. 1. Zu den Teegesprächen. Ich möchte nochmals betonen, daß es sich um keine politische Organisation handelt, wie Sie vermuten. Es ist ein kulturell und historisch interessierter Gesprächskreis. Es wird auch keine Organisation werden. Insofern stellen wir keine «Information» für Sie dar. 2. Es ist klar, daß wir gelegentlich auch Gäste dabeihaben. Auch einmal einen Nicht-DDR-Bürger. Das ist in der Hauptstadt eines europäischen Landes wohl kaum zu vermeiden.

125


3. Guntram Herzfeld. Sie bauen mir hier einen Konflikt auf. Er ist ein Freund von mir. Auch jetzt, wo er in Westberlin ist. Ich bin überzeugt, daß er kein Feind der DDR ist. Er ist für immer ausgewandert und kann kein Thema für Ermittlungen sein. Ich habe keine Veranlassung, den Kontakt mit ihm abzubrechen. Es kann keine Staatsgefahr von gelegentlichen Briefen oder Telefonkontakten ausgehen. Wie sollte ich auch Kontakt einstellen? Soll ich den Hörer auflegen, wenn er anruft?) 

(Hier kam ein sehr langer Monolog. Gekürzt:)

Kennen Sie aus den westlichen Medien den Fall Dr. Frauendorf? Na, dann will ich Sie kurz informieren. Unlängst war ein Physikerkongreß in Wisby. Da widmet ein englischer Nobelpreisträger seinen Vortrag öffentlich Dr. Frauendorf. Er bringt eine Resolution der Teilnehmer zur Befreiung und Wiedereinstellung Frauendorfs durch. Was steckt wirklich dahinter?

Frauendorf sitzt im Gefängnis. Wegen Spionage. Im Herbst wird er sein Verfahren haben. Dessen Ausgang ist natürlich offen, aber eine Verurteilung ist fast sicher, da alle Beweise unsererseits vorliegen. Er ist ein richtiger Spion. Sie werden es nicht glauben. Mit Vertrag beim Bundesnachrichtendienst. Deckname und so weiter, alles wie im Krimi. 

Für ein paar lumpige Westmark hat er sein Institut verraten, seine Heimat. Er hat zum Beispiel, das müssen Sie sich vorstellen, handschriftlich das Telefonverzeichnis des Instituts- für Kernforschung der Akademie in Rossendorf abgeschrieben und nach drüben verschoben! So daß man jederzeit einwählen konnte und außerdem die ganze Struktur sichtbar. 

126


Später, nach dem Verfahren, sind entsprechende Veröffentlichungen zu erwarten. Dann werden Sie sich überzeugen können.

Wozu wir das alles erzählen?
Mich machen die Wissenschaftler mit der Resolution von Wisby betroffen. Sie werden sich schämen, wenn die Belege veröffentlicht werden. Für was sie sich da hergegeben haben.
Sie denken an Demokratisierung und Freiheit, sie sind subjektiv keine Feinde, aber lassen sich objektiv vor den Karren spannen.
In diesem Sinne sind alle Stimmungen und Meinungen bei uns politisch relevant. Überhaupt das Verhalten der Intellektuellen. Sie spielen eine hochwichtige Rolle in der Gesellschaft, daher wird auch der feindliche Angriffshebel dort angesetzt. Das klare Ziel ist Destabilisierung unserer Ordnung durch Destabilisierung der Gehirne der Intelligenz!

In Polen ist das gelungen. Die Versuche in der CSSR 1968, in Ungarn 1956, in der DDR 1953 sind mißraten. Aber sie geben es nicht auf.
Immer wieder ist das Ziel: von innen auflösen! Unter dem Deckmantel der Kirche, durch Ausnutzung von Idealen. Zum Beispiel Frieden und Abrüstung.
Ansatz erfolgt immer bei Menschen, die subjektiv guten Willens sind. Über die Strategie der Einflüsterung mit scheinbar plausiblen Argumenten: Nicht die USA sind aggressiv, nicht der Imperialismus. Sondern: Die beiden Supermächte vertragen sich nicht. Daran liegt es! Rüsten sei an sich die Hauptgefahr. Dagegen muß man Widerstand leisten. Gegen Reagan und Gorbatschow. Jeder soll bei sich zu Hause protestieren. Raketen bei uns müssen raus.

Das ist die typische Situation. Die diesen Argumenten folgen, sind subjektiv nicht böswillig, aber objektiv mißbraucht.

127


Diese Leute sind immer da, wenn bei uns etwas passiert. Wenn in Jena Studenten ihrem Unmut Luft machen, dann ist immer wer mit Kamera und Mikrofon da. Wie die das eigentlich erfahren, wenn wir sogar Mühe damit haben? Wenn unsere Polizei sich ganz beobachtend verhält - sie hätten es sicher lieber, wenn geschossen würde.

Nun auch zu Herzfeld. Sie werden sich schon über meinen weitschweifigen Umweg gewundert haben. Welche Rolle spielt er? Er wäre ein guter Fall für eine Medienkampagne. Gesellschaftswissenschaftler. Philosoph. Direkt aus der DDR. Für einige Zeit wäre er als Medienwellenreiter geeignet.

Unlängst, Anfang Juli, bevor unser Kontakt mit Ihnen zustande kam, da war in Amsterdam ein Kongreß der Friedensbewegung. Herzfeld war dabei. Seine Rolle war unklar. Er verlas einen Brief von DDR-«Friedenskämpfern», die wegen der Zustände in der DDR verständlicherweise anonym bleiben sollten. Verständlich? Friedenskämpfer in der DDR müssen anonym bleiben? Da sehen Sie seine Verdrehungen.

Wie auch immer: Herzfeld, welche Rolle spielt er? Für westliche Geheimdienste wäre das eine ideale Lenkung, einen solchen Mann Richtung Osten in die Spur zu bringen. Er wäre beschäftigt, würde nicht mehr gegen NATO usw. protestieren, sondern gegen den Osten.

Wir haben mit Herzfeld vor seiner Abreise Vereinbarungen getroffen. Er wollte keine politische Arbeit gegen DDR aufnehmen. Wir haben ihm gesagt, daß eventuell Besuche bei seiner Mutter und seinen Kindern hier von diesem seinem Verhalten abhängen, vom Einhalten der Abmachung ...
Jetzt sind wir unsicher. Was geht vor? Ist das ein Wortbruch vor» Herzfeld?
Hier ist unser Anliegen an Sie: Könnten Sie Ihre Verbindung nutzen, um zu erfahren, ob er zu seinem Verhalten steht? Gegebenenfalls ihn an seine Absichten erinnern, vielleicht einwirken, daß er dabei bleibt?

128


(Ein bis zwei Minuten Pause. Quälend lange.)

(Ich muß gestehen, daß ich verwirrt bin. Ich hätte die gegenteilige Forderung, Abbruch aller Kontakte, erwartet.)

Bitte seien Sie ganz offen. Ihre Antwort muß nicht sofort erfolgen. Es soll kein Überfall sein. Wir können uns vertagen.

(Pause)

(Also: Ich kann Ihnen sagen, daß Herzfeld kein DDR-Berufsanalytiker werden wollte. Er wollte ganz neu anfangen, Richtung Ökologie und Kultur. Sich auch nicht mit Geheimdiensten einlassen. Auch die Besuchsmöglichkeit hatte er im Blick. Das hat er vor Abreise überall laut gesagt. Ich sehe keine Veranlassung, an seinen Absichten zu zweifeln.)

Die westlichen Dienste haben so ihre Methoden. Wenn er sich zickig zeigt, können sie ihm schon deutlich machen, welche Nachteile das bringt. Die Umstände können auch bei subjektiv guten Absichten Erstaunliches bewirken ...
Wären Sie bereit, Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden und ihn zu erinnern?

(Ich überlege, ob ich ihm einfach offen sage, daß Sie mich danach gefragt haben.)

Nein. Das wäre nicht unser Interesse. Sie sollen nicht den Hörer auflegen. Ihn auch nicht ausfragen. Nur genau hinhören, was er sagt.
Im übrigen: Das «Wie» könnte besprochen werden. Uns interessiert Ihr «Ob».

(Ich komme in eine unannehmbare Lage. Einwirkung, Umstimmung scheidet bei einem Mann wie Herzfeld ohnehin aus — er hat sich noch nie in etwas umstimmen lassen. Sie kennen ihn doch sicher auch aus den Konflikten mit dem Philosophieinstitut und der Parteigruppe.)

129


Uns interessiert zunächst seine Absicht. Sie sagen selbst, daß er Ihnen seine Verabredung mit uns mitgeteilt hat. Sie könnten am Telefon ganz zwanglos darauf zurückkommen.
Übrigens wären Ihre Verpflichtungen gegen Ihre Dienststelle, Genehmigung für Telefongespräch usw., nicht berührt. Sie sind automatisch abgedeckt, wenn Sie mit uns so etwas vereinbaren. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

(Sie berühren einen wichtigen Punkt. Ich bin mit Herzfeld vor seiner Abreise übereingekommen, daß unser Kontakt nicht mehr wie früher sein kann. Ich muß Kontakte genehmigen lassen und kann nicht ständig die Dienststelle mit einen Antrag herausfordern. Er hat Verständnis gezeigt, er weiß ja, wie es hier zugeht.
Mit einem Wort: Ich sehe kein «Wie» und möchte deshalb das «Ob» gar nicht erst beantworten.)

 

Haben Sie grundsätzliche, weltanschauliche Bedenken gegen ein Übereinkommen mit uns?

(Ich habe keine Berührungsangst mit dem MfS ...) (Das war gelogen!)  

(..., wenn alles offen geschieht. Wenn ich am Telefon plötzlich auf politische Themen eingehe, dann kann ich die Übereinkunft mit Ihnen nicht verbergen. Er wird sofort wissen, daß ich nicht ungedeckt solche Probleme am Telefon bespreche. Sie können ihn dann ebensogut selbst anrufen. Meine einzige Handlungsmöglichkeit ist, ihm offene Karten zu zeigen und zu sagen, die Staatssicherheit will das und das wissen.)

(Pause)

Also, das Problem sehe ich jetzt auch. Ich schlage Vertagung unseres Gesprächs vor, eine beiderseitige Denkpause.

Wann haben Sie Urlaub?

(28.7. bis 19.8.)

Fahren Sie fort?

(Nein.)

130


Dann könnten wir Sie vielleicht anrufen? Wir kommen gern zu Ihnen nach Hause zu Besuch.

(Hier ist ein Mißverständnis. Nicht fortfahren meint: in der DDR bleiben. Wir haben einen CSSR-Aufenthalt erwogen, bleiben jetzt aber bei Freunden bei Greiffenberg.)

Ach so. Sind Sie dann einverstanden, wenn wir uns nach dem 20. 8. melden?

(Ich sehe eigentlich keinen Grund. Ich wiederhole mich. Diese Gespräche belasten mich psychisch, und ich kann nicht zur Aufklärung Ihrer Besorgnisse beitragen.)

 

Ich wiederhole nochmals die Bitte um ein weiteres Gespräch, im dienstlichen Rahmen, hier in der Abteilung Kontrolle und Auswertung, also AdW-intern, zwischen Mitarbeitern sozusagen. Sie würden doch auch ein Gespräch mit anderem Ministerium über Fachfragen nicht ablehnen? Eigentlich dürfen Sie gar nicht. Nehmen Sie es als Fachgespräch. Für uns ist es das ohnehin.
Da fällt mir noch eine Frage ein: Wie haben Sie unser Gespräch vom letzten Mal behandelt?

(Ich bin der Meinung, daß ich Ihre vorgetragenen Bedenken den Freunden mitzuteilen habe. Jeder muß entscheiden, wie er sich zu verhalten hat.)

 

Haben Sie das schon in die Tat umgesetzt?

(Ja.)

Wir haben nichts dagegen. Es ist sogar sinnvoll. Wer, bitte, wurde informiert?

(Ich nenne Eva, und Freundinnen und Freunde.)

Ich möchte Sie vor Panikreaktionen Ihrer Freunde warnen. Es gibt oft große Berührungsangst mit dem MfS.

Unsere Bitte ist: Bis zum 20.8. keine Tatsachen schaffen. Kein Kontaktabbruch. Keine Information über unser Angebot an Herzfeld, auch nicht indirekt! Das ist uns sehr wichtig! Wir würden das als extremen Vertrauensbruch ansehen ...

131


9.9.85 Neues Treffen.

Inzwischen ist mehr Zeit verstrichen als beabsichtigt. Es lag nichts Dringendes vor. Wie war Ihr Urlaub? Wir sind ja schon in dem Alter, wo man einen ruhigen Urlaub vorzieht.
Es gibt keinen Grund, nicht sofort zur Sache zu kommen. Wie sind Ihre Überlegungen ausgegangen?

(Welche Überlegungen?)

Unser Angebot bezüglich Herrn Herzfeld.

(Es war gut, daß einige Zeit vergangen ist. Das Angebot kam für mich sehr überraschend. Ich will offen meine Überlegungen schildern.
Sie schlagen Kooperation über Dinge aus der Privatsphäre vor, laden mich aber als Mitarbeiter der Akademie hier vor.)

Wir laden Sie ein, nicht vor!

(Gerade meine Privatsphäre, meine Freunde sind die Ursache für einen schweren Konflikt mit meiner staatlichen Leitung. Er hat dazu geführt,
- daß meine Abteilung aufgelöst wurde,
- daß mir ein neuer, ungeeigneter Leiter vor die Nase gesetzt wurde,
- daß das Thema, das ich über Jahrzehnte hatte, abgebrochen werden mußte, was das Ende meiner wissenschaftlichen Laufbahn bedeutet,
- daß ich die erfolgreiche Zusammenarbeit im RGW-Rahmen mit Puschtschino abbrechen mußte,
- daß ich meine Aufgaben als Koordinator für Biophysik in der DDR und im RGW aufgeben mußte, unter anderem, weil man mir nicht den Status eines Reisekaders geben wollte oder konnte.

132


Mit einem Wort, mir ist bedeutet worden, daß ich in die Wissenschaftslandschaft der DDR nicht mehr hineinpasse.
Der Auslöser für diese Entwicklung ist meine private Lebensgestaltung, meine Kontakte. Das ist mir deutlich signalisiert worden.)

Durch wen?

(Ich möchte hier nicht Beschwerde führen, sondern nur klarmachen, daß ich in diesen Sachen nicht kooperationsfähig bin. Ich bin zu Gesprächen überhaupt nur aus Angst bereit. Sie haben den ernsten Verdacht auf einen illegalen Zusammenschluß dargelegt. Ich kenne die Strafgesetze und wollte klarstellen, daß das bei uns nicht zutrifft.)

 

Das ist ja ein ganzes Bündel komplizierter Fragen. Es ist zweckmäßig und sauber, unseren Aspekt dessen, was in Ihrer Sicht Privatangelegenheiten sind, von dem zu trennen, was daran zu Konflikten mit Ihrer Dienststelle geführt hat. Ich will nur sagen, daß auch wir über die Kaderstelle der Akademie (Prof. Schiller) unsere Informationen haben, daß es zu bedauerlichen Meinungsverschiedenheiten gekommen ist. 

Betonen möchte ich, daß es prinzipiell möglich ist, die Interessen des einzelnen und der Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen und daß - anders als etwa in Südafrika, wo den Schwarzen gar nichts anderes übrigbleibt als Widerstand - diese Übereinstimmung herstellbar ist, vorausgesetzt, daß es nicht zu störenden Eingriffen von außen kommt, die allerdings immer wieder versucht werden.

Wir verstehen, daß gewisse Dinge Sie belasten, und möchten Ihnen sagen, daß wir unabhängig von Ihren Überlegungen ebenfalls zu dem Schluß gekommen sind, daß eine Kooperation — zu der Sie sich ja eben nicht für fähig erklärt haben — unsererseits nicht mehr für zweckmäßig gehalten wird und wir unseren Vorschlag zurückziehen. Das läßt uns mit einer Reihe von Problemen im Fall Herzfeld allein; aber das ist natürlich unsere Arbeit und nicht Ihre Aufgabe.

133


Ich möchte betonen, daß es unser Anliegen ist, daß Sie in Ruhe Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nachgehen können. Wir haben das Urteil maßgeblicher Experten, daß Sie zu hervorragenden Leistungen für unsere DDR-Wissenschaft befähigt sind, und wollen sichern helfen, daß Sie für diese Arbeit störungsfreie Voraussetzungen behalten, und sehen unsere Aufgabe darin, daß nicht subjektiv unbeabsichtigt Konflikte zwischen Ihnen und der Gesellschaft entstehen.

Wir verstehen Sie so, daß Sie in dem, was Sie als privat ansehen, nicht die Absicht haben, eine konflikt­trächtige Richtung einzuschlagen. Wir sind zu der gleichen Schlußfolgerung gekommen und haben auch registriert, daß Sie Handlungen mitgetragen haben, der Gefahr vorzubeugen, zum Beispiel, indem sie die Einladung von Herrn Dehmel von der Ständigen Vertretung (Dieser Name ist falsch. Er wurde falsch genannt.) rückgängig gemacht haben.

Wenn Sie also einverstanden sind, dann beenden wir dieses Gespräch. Oder haben Sie noch irgendwelche Fragen? Wir stehen für eventuelle weitere Gespräche zur Verfügung und würden Sie darum bitten, im Fall einer Gelegenheit zu einem Informationsgespräch zur Verfügung zu stehen.
Es wäre günstig, sich an uns zu wenden.

(Wie kann man Sie erreichen?)

Über Dr. Kroll, unseren Beauftragten in Berlin-Buch, oder über Dr. John oder Frau Regler, Abteilung Auswertung und Kontrolle in der Zentrale der Akademie, Etage des Präsidenten, also hier, oder direkt beim MfS. Wir stehen im Telefonbuch unter Ministerrat der DDR. Sie brauchen nur Ihren Namen nennen und den zuständigen Mitarbeiter erfragen.

Zwei ausdrückliche Feststellungen darf ich anfügen. Vielleicht sind sie überflüssig, aber wir legen Wert darauf.

1. Bei der Gestaltung Ihrer Beziehungen zu Herzfeld gelten die allgemeinen staatlichen Vorschriften sowie die speziellen, die aus Ihrem Arbeitsverhältnis kommen. Sie können sich im Konfliktfalle nicht mehr auf unser Kooperationsangebot berufen. Das hätte Ihnen nur im Annahmefalle, gewissermaßen als Dienstauftrag, die Vorschriften modifiziert.
2. Wir haben nichts dagegen, möchten Sie sogar ermutigen, aber nicht veranlassen, wenn Sie unsere Bedenken in Form einer Warnung an Ihre Bekannten weitergeben.
Nicht einverstanden wären wir, wenn Sie außer dieser Tatsache andere Einzelheiten preisgeben, genauere Informationen sozusagen über «die Nase des Mannes von der Staatssicherheit». Das sehen wir nicht gern, da sind wir empfindlich.

(Ich möchte im Bekanntenkreis nicht weitergeben, daß Sie sich für Dr. Herzfeld interessieren und darüber mit mir geredet haben.)

Sie können davon ausgehen, daß auch von uns dies nicht weitergegeben wird. Da ist noch eine Bitte um Klarstellung. Wie kommen Sie darauf, daß wir den Verdacht eines «illegalen Zusammenschlusses» Ihrer Gruppe ausgesprochen hätten?

(Nein, Sie haben das nicht ausgesprochen, auch Professor Schiller hat so etwas nur angedeutet. Aber Sie sagen, daß Sie Juristen seien, und ich weiß genau, wohin Juristen denken, wenn Sie Ermittlungsgespräche führen.)

Ja, «illegaler Zusammenschluß» ist denkbar. Als Limes, Grenzwert sozusagen, als Begriff am Horizont durchaus nützlich. Aber mit Ihnen sind wir noch nicht so weit gekommen.

(Verabschiedung unter Floskeln.)

134-135

#

 

www.detopia.de    ^^^^