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7  "Und jetzt...."

Postman-1985

 

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Der amerikanische Humorist H.A.Smith hat gelegentlich behauptet, von allen bedrohlich klingenden Wörtern der englischen Sprache sei »uh oh« das bedrohlichste, zu deutsch ungefähr »Tja, hm« — etwa wenn der Arzt das Röntgenbild eines Patienten betrachtet und dann mit gerunzelter Stirn murmelt: »Uh, oh«. 

Ich behaupte, daß die Wörter, aus denen die Überschrift dieses Kapitels besteht, nicht minder unheil­verkündend sind, zumal sie ganz ohne Stirnrunzeln, vielmehr mit einer Art von idiotischem Entzücken ausgesprochen werden. Diese Redewendung, falls man sie so nennen darf, erweitert unsere Grammatik um eine neue Wortklasse — die Klasse der Bindewörter, die nichts verbinden, sondern im Gegenteil alles von allem trennen. Als solche wirkt sie wie ein kompaktes Sinnbild für die Diskontinuitäten in weiten Bereichen dessen, was gegenwärtig in Amerika als öffentlicher Diskurs gilt.

Mit »Und jetzt...« wird in den Nachrichtensendungen von Radio und Fernsehen im allgemeinen angezeigt, daß das, was man soeben gehört oder gesehen hat, keinerlei Relevanz für das besitzt, was man als nächstes hören oder sehen wird, und möglicherweise für alles, was man in Zukunft einmal hören oder sehen wird, auch nicht. 

Der Ausdruck »Und jetzt...« umfaßt das Eingeständnis, daß die von den blitzschnellen elektronischen Medien entworfene Welt keine Ordnung und keine Bedeutung hat und nicht ernst genommen zu werden braucht. 

Kein Mord ist so brutal, kein Erdbeben so verheerend, kein politischer Fehler so kostspielig, kein Torver­hältnis so niederschmetternd, kein Wetterbericht so bedrohlich, daß sie vom Nachrichtensprecher mit seinem »Und jetzt...« nicht aus unserem Bewußtsein gelöscht werden könnten. 

Der Nachrichten­sprecher will damit sagen, daß Sie jetzt lange genug über das vorige Thema nachgedacht haben (runde fünfundvierzig Sekunden), daß Sie sich in dieses Thema nicht verbeißen sollten (sagen wir, für neunzig Sekunden) und daß Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt einem anderen Nachrichtenbruchstück oder einem Werbespot zuwenden müssen.

Das Fernsehen hat die »Und jetzt...«-Weltanschauung nicht erfunden. Wie ich zu zeigen versuchte, ist sie aus der Verbindung von Telegraphie und Photographie hervorgegangen. Aber das Fernsehen hat diese Weltanschauung genährt und zu einer pervertierten Reife gebracht. Denn im Fernsehen haben wir es ungefähr alle halbe Stunde mit einem separaten Ereignis zu tun, das seinem Inhalt, seinem Kontext und seiner Gefühlslage nach mit dem Vorangegangenen und dem Folgenden nichts gemein hat. Einmal, weil das Fernsehen seine Zeit nach Sekunden und Minuten verkauft, sodann, weil das Fernsehen Bilder und nicht Wörter verwenden muß, und schließlich, weil sich die Zuschauer dem Fernseher ganz nach Belieben zuwenden oder von ihm abkehren können, sind die Sendungen so strukturiert, daß jedes Acht-Minuten-Segment als in sich geschlossenes Ereignis für sich stehen kann. Nur selten wird von den Zuschauern verlangt, einen Gedanken oder eine Empfindung von einem Segment ins andere mit hinüberzunehmen.

In der Art, wie das Fernsehen die »Tagesnachrichten« präsentiert, hat der Diskursmodus des »Und jetzt« seine dreisteste und peinlichste Gestalt angenommen. Denn die Nachrichten, die uns dort mitgeteilt werden, sind nicht nur zerstückelt, sie haben auch keinerlei Kontext, sie sind ebenso folgenlos wie wertlos, es fehlt ihnen also wirkliche Ernsthaftigkeit: Nachrichten als bare Unterhaltung.

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Überlegen Sie einmal, was Sie tun würden, wenn Sie Gelegenheit bekämen, eine Fernseh­nachrichten­sendung für eine Station zu produzieren, die damit möglichst viele Zuschauer zu gewinnen sucht. Zunächst würden Sie die Sprecherrollen mit Leuten besetzen, deren Gesicht »liebenswürdig« und »glaubwürdig« wirkt. Die Bewerber würden ihre 18x24-Hochglanz-bilder einreichen, und Sie würden jene aussortieren, deren Gesicht sich für eine abendliche Darbietung nicht eignet, also Frauen, die nicht hübsch oder älter als fünfzig sind, Männer mit Glatze, alle, die Übergewicht haben, deren Nase zu lang ist, deren Augen zu eng zusammenstehen. Mit anderen Worten, Sie würden versuchen, eine Truppe redender Frisuren zu versammeln. Und schließlich würden Sie diejenigen bevorzugen, die auch auf dem Umschlag einer Zeitschrift nicht unwillkommen wären.

Genau so ein Gesicht besitzt Christine Craft, und deshalb bewarb sie sich als Nachrichtenmoderatorin bei der Station KMBC-TV in Kansas City. Wie der Rechtsanwalt erklärte, der sie dann bei einem Verfahren wegen Sexismus vertrat, das sie später gegen den Sender anstrengte, habe dem Management von KMBC-TV »das Aussehen von Christine sehr gut gefallen«. Sie wurde also im Januar 1981 eingestellt — und im August 1981 wieder gefeuert, weil Umfragen ergeben hatten, daß ihre äußere Erscheinung »die Zuschauerakzeptanz beeinträchtigte«.(1) Aber was heißt das — »beeinträchtigte Zuschauerakzeptanz«? Und was hat sie mit den Nachrichten zu tun? 

Beeinträchtigte Zuschauerakzeptanz bedeutet bei den Fernsehnachrichten das gleiche wie bei jeder anderen Fernsehsendung: Die Zuschauer sehen den Fernsehsprecher oder die Sprecherin nicht gern. Es bedeutet ferner, daß sie ihm oder ihr nicht glauben, daß es ihm oder ihr an Glaubwürdigkeit mangelt. Im Falle einer Theateraufführung können wir uns vorstellen, was das bedeutet: Dem Schauspieler gelingt es nicht, das Publikum mit seiner Rolle zu überzeugen. Was bedeutet jedoch mangelnde Glaubwürdigkeit im Fall einer Nachrichtensendung? Was für eine Rolle spielt eine Moderatorin oder ein Moderator? 

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Und wie kommen wir zu der Feststellung, daß es ihrem Auftritt an Wahrscheinlichkeit gebricht? Meint das Publikum, daß der Nachrichtensprecher lügt, daß das, worüber berichtet wird, in Wirklichkeit gar nicht passiert ist, daß ihm etwas Wichtiges verheimlicht wird?

Der Gedanke, daß es sich tatsächlich so verhalten könnte, daß also die Antwort auf die Frage, ob ein Bericht als wahr aufgenommen wird, weitgehend davon abhängt, ob der Nachrichtensprecher akzeptabel erscheint, kann einem Angst machen. In alten Zeiten gab es den Brauch, den Überbringer schlechter Nachrichten zu ächten oder zu töten. Hat das Fernsehen dieser Tradition auf eine merkwürdige Weise wieder zu neuem Leben verholfen? Ächten wir jene, die uns die Nachrichten überbringen, wenn uns ihr Gesicht nicht gefällt? Schlägt das Fernsehen alles in den Wind, was wir einmal über den Irrtum jener Argumente gelernt haben, die statt der Sache, die sie meinen, nur die Person treffen?

Wenn eine dieser Fragen auch nur mit einem eingeschränkten »Ja« beantwortet werden muß, dann haben wir es hier offenbar mit einem Problem zu tun, das die Aufmerksamkeit der Epistemologen verdient. Es besteht, einfach gesagt, darin, daß das Fernsehen eine neue Definition von Wahrheit hervorbringt (oder möglicherweise eine alte erneuert): Letztes Kriterium für die Wahrheit eines Satzes ist die Glaubwürdigkeit des Sprechers. »Glaubwürdigkeit« bezieht sich hier nicht etwa darauf, wie viele Aussagen des Sprechers schon früher eine strenge Prüfung ihrer Wahrheit bestanden haben. »Glaubwürdigkeit« meint hier nur den Eindruck von Aufrichtigkeit, Authentizität, Verletzlichkeit oder Attraktivität (der Leser suche sich eines oder mehrere dieser Attribute heraus), den der Darsteller/Reporter vermittelt.

Diese Problematik hat erhebliches Gewicht und weist über die Frage hinaus, auf welche Weise Wahrheit in den Nachrichten­sendungen des Fernsehens wahrgenommen wird. Denn wenn die Glaubwürdigkeit als entscheidendes Wahrheits­kriterium im Fernsehen an die Stelle der Realität tritt, dann brauchen sich die Politiker um die Realität so lange nicht sonderlich zu kümmern, wie es ihnen mit ihren Auftritten gelingt, einen Eindruck von Wahrscheinlichkeit zu wecken. 

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Ich glaube zum Beispiel, daß der Ruch der Ehrlosigkeit, der Richard Nixon heute umgibt, nicht daher rührt, daß er gelogen hat, sondern daher, daß er im Fernsehen wie ein Lügner ausgesehen hat. Worüber sich, wenn es zutrifft, keiner freuen sollte, auch kein altgedienter Nixon-Hasser. Denn die alternativen Möglichkeiten wären hier, daß einer wie ein Lügner aussieht, obwohl er die Wahrheit sagt, oder, noch schlimmer, daß einer aussieht, als würde er die Wahrheit sagen, während er in Wirklichkeit lügt.

Als Produzent einer Fernsehnachrichtensendung würden Sie das alles berücksichtigen und ihr Sprecher­team anhand jener Kriterien zusammenstellen, die auch David Merrick und andere erfolgreiche Impresarios verwendet haben. Auch Sie würden darauf bedacht sein, die Sendung so in Szene zu setzen, daß der Unterhaltungswert maximiert wird. Sie würden zum Beispiel eine bestimmte Erkennungsmelodie auswählen. 

Alle Nachrichtensendungen im Fernsehen beginnen mit Musik, enden mit Musik und werden von Zeit zu Zeit von Musik unterbrochen. Mir sind nur sehr wenige Amerikaner begegnet, denen diese Gepflogenheit seltsam vorkommt — wie mir scheint, ein deutliches Indiz für die Auflösung der Demarkationslinie zwischen ernsthaftem öffentlichen Diskurs und Unterhaltung. Was hat die Musik mit den Nachrichten zu tun? Wozu ist sie da? 

Sie dient vermutlich dem gleichen Zweck wie die Musik im Theater und im Film — sie erzeugt eine Stimmung und bildet das Leitmotiv der Unterhaltung. Würde die Musik fehlen — wie es der Fall ist, wenn das laufende Programm wegen einer Sondermeldung unterbrochen wird —, so würden die Zuschauer denken, es sei etwas wirklich Beunruhigendes, womöglich ihr Leben Veränderndes geschehen. Aber solange die Musik der Sendung einen Rahmen gibt, darf sich der Zuschauer in dem Glauben wiegen, daß nichts geschehen ist, worüber er sich ernstlich aufregen müßte, ja, daß die Ereignisse, die da berichtet werden, mit der Wirklichkeit im Grunde nicht mehr zu tun haben als die Szenen eines Theaterstücks.

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Der Eindruck, daß die Nachrichtensendung eine kunstvolle schauspielerische Darbietung ist, deren Inhalt so inszeniert wird, daß er unterhaltsam wirkt, wird noch durch mehrere andere Merkmale verstärkt, etwa dadurch, daß die durchschnittliche Dauer eines Berichts bei fünfundvierzig Sekunden liegt. Kürze bedeutet nicht immer Belanglosigkeit, in diesem Falle freilich ganz gewiß. Es ist schlechterdings nicht möglich, etwas Ernsthaftes über ein Ereignis mitzuteilen, dessen tiefere Bedeutung in weniger als einer Minute abgehandelt wird. Und es liegt ja auf der Hand, daß die Fernsehnachrichten gar nicht den Eindruck erwecken wollen, die einzelnen Berichte hätten eine tiefere Bedeutung, denn dann müßte der Zuschauer womöglich nach einem solchen Bericht eine Weile darüber nachdenken — was ihn hindern würde, sich dem nächsten Bericht zuzuwenden, der schon im Hintergrund wartet.

In jedem Falle haben die Zuschauer kaum eine Chance, den nächsten Bericht unbeachtet zu lassen, denn auch er besteht aller Wahrscheinlichkeit nach aus Filmbildern, und für Bilder ist es ein Leichtes, sich gegen Worte durchzusetzen und die Besinnung kurzzuschließen. Als Fernsehproduzent würden Sie gewiß jene Ereignisse hervorheben und nach vorne stellen, die sich mit Bildern dokumentieren lassen. Ein Mordverdächtiger, der aufs Polizeirevier gebracht wird, das wütende Gesicht eines betrogenen Verbrauchers, ein Faß, das (angeblich mit einem Menschen darin) den Niagara-Fall hinabstürzt, der Präsident, der auf dem Rasen vor dem Weißen Haus einem Helikopter entsteigt — solche Bilder sind stets faszinierend oder amüsant und erfüllen die Forderungen, die man an eine unterhaltsame Sendung stellt. Selbstverständlich ist es nicht nötig, daß die Filmbilder tatsächlich den Kern einer Meldung dokumentieren. Und ebensowenig muß man erklären, warum das öffentliche Bewußtsein mit solchen Bildern behelligt wird. Filmbilder, das weiß jeder Fernsehproduzent, rechtfertigen sich selbst.

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Außerordentlich hilfreich für die Aufrechterhaltung eines hohen Grades an Irrealität ist es übrigens, daß die Nachrichtensprecher und -sprecherinnen, wenn sie die Vor- oder Nachreden zu den einzelnen Filmbeiträgen sprechen, in ihren Gesten und ihrem Gesichtsausdruck unbeteiligt wirken. Viele Sprecher scheinen die Bedeutung dessen, was sie sagen, überhaupt nicht zu erfassen, und manche von ihnen tragen auch dann einen unerschütterlichen, einnehmenden Enthusiasmus zur Schau, wenn sie von Erdbeben, Massenmorden und anderen Katastrophen berichten. 

Anzeichen von Besorgnis oder Schrecken bei den Nachrichtensprechern würden die Zuschauer wahrscheinlich ziemlich irritieren. In der »Und jetzt...«-Kultur sind die Zuschauer schließlich die Partner der Nachrichten­sprecher und -Sprecherinnen und erwarten von ihnen, daß sie ihre Rollen als Leute, die sich bei einem Minimum an Ernsthaftigkeit von jedem tieferen Verständnis freihalten, auch tatsächlich spielen. Und die Zuschauer ihrerseits wird man nicht dabei ertappen, daß sie ihre Reaktionen mit Wirklichkeitssinn infizieren, so wie ja auch der Theaterbesucher nicht aus dem Saal rennt und zu Hause anruft, wenn eine Figur auf der Bühne sagt, in der Nachbarschaft gehe ein Mörder um.

Die Zuschauer wissen auch, daß jedem Nachrichtenbruchstück, und mag es noch so bedeutungsschwer erscheinen (an dem Tag beispielsweise, da ich dies zu Papier bringe, hat ein General des Marine Corps erklärt, ein Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland sei unvermeidlich), schon bald eine Reihe von Werbespots folgen wird, die die Bedeutung der Nachrichtenmeldung augenblicklich entschärfen, sie gar belanglos machen werden. Es ist dies ein zentrales in der Struktur von Nachrichtensendungen und widerlegt sich schon die Behauptung, Fernsehnachrichten zielten auf eine ernsthafte Form von öffentlichem Diskurs. Was würden Sie von mir und von diesem Buch halten, wenn ich an dieser Stelle innehielte und erklärte, ich würde nach einer kurzen Unterbrechung zu meinen Überlegungen zurückkehren, und wenn ich dann ein paar freundliche Worte über die United Airlines oder die Chase Manhattan Bank einschöbe? 

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Sie würden mit Recht denken, daß ich keinen Respekt vor Ihnen habe und gewiß auch nicht vor meinem Thema. Und wenn ich dies nicht nur einmal, sondern mehrmals in jedem Kapitel täte, würden Sie mit Gründen annehmen, daß die ganze Veranstaltung Ihre Aufmerksamkeit nicht wert ist. Warum denken wir so nicht auch über die Fernsehnachrichten? Das liegt meiner Ansicht nach daran, daß wir von Büchern und von anderen Medien (etwa vom Film) eine konsistente Tonlage und inhaltliche Kontinuität erwarten, während wir vom Fernsehen und speziell von den Fernsehnachrichten dergleichen nicht erwarten. 

So sehr haben wir uns an ihre Diskontinuitäten gewöhnt, daß wir auf das »Und jetzt...« nicht mehr wie Menschen mit gesundem Verstand reagieren, also maßlos verblüfft sind, wenn uns der Nachrichten­sprecher, der eben noch erklärt hat, ein Atomkrieg sei unvermeidlich, nun zu verstehen gibt, er werde gleich wieder da sein, doch zunächst ein Wort von Burger King... Den Schaden, den solche Verquickungen unserer Vorstellung von der Ernsthaftigkeit der Welt zufügen, kann man kaum überschätzen. Besonders groß ist er bei jungen Zuschauern, die sich ihre Anregungen dafür, wie man auf diese unsere Welt reagieren kann, in einem erheblichen Umfang aus dem Fernsehen holen. Wenn sie sich die Nachrichten im Fernsehen ansehen, werden sie mehr als jede andere Zuschauergruppe in eine Epistemologie hineingezogen, die auf der Annahme beruht, daß alle Berichte über Grausamkeit und Tod stark übertrieben sind, daß man sie jedenfalls nicht ernst zu nehmen und sich nicht auf verständige Weise mit ihnen auseinanderzusetzen braucht.

Ich gehe so weit, zu behaupten, daß dem surrealistischen Rahmen der Fernsehnachrichten eine Theorie der Anti-Kommunikation zugrunde liegt, die einen Diskurstypus propagiert, der Logik, Vernunft, Folgerichtigkeit und Widerspruchslosigkeit preisgegeben hat. In der Ästhetik bezeichnet man diese Erscheinung zumeist als Dadaismus, in der Philosophie als Nihilismus, in der Psychiatrie als Schizophrenie. Die Theatersprache kennt sie unter dem Namen Varieté.

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Für jene, die meinen, ich machte mich damit einer Übertreibung schuldig, hier die Beschreibung, die Robert MacNeil, der verantwortliche Redakteur und Ko-Moderator der MacNeil-Lehrer Newshour, von den Fernsehnachrichten gibt: Der Grundgedanke, so schreibt er, ist. »alles kurz zu halten, die Aufmerk­samkeit der Zuschauer nicht zu belasten und sie statt dessen durch Abwechslung, Neuigkeit, Aktion und Bewegung ständig zu stimulieren. Keinem Begriff, keiner Gestalt, keinem Problem braucht man mehr als ein paar Sekunden seiner Aufmerksamkeit zu schenken.«2) 

Die Komposition der Fernsehnachrichten, so erklärt er weiter, folgt dem Grundsatz, »daß der Happen die richtige Größe hat, daß Komplexität vermieden werden muß, daß man auf Nuancen verzichten kann, daß Einschränkungen die einfache Botschaft unnötig belasten, daß visuelle Stimulierung ein Ersatz für Denken und daß sprachliche Genauigkeit ein Anachronismus ist«.3)

Robert MacNeil weiß besser als mancher andere, wovon er spricht, wenn er die Fernsehnachrichten als Varieteveranstaltung bezeichnet. Die MacNeil-Lehrer Newshour ist der ungewöhnliche und erfreuliche Versuch, im Fernsehen einige Elemente des vom Buchdruck geprägten Diskurses zur Geltung zu bringen. Die Sendung verzichtet auf visuelle Stimulierung, sie besteht hauptsächlich aus ausführlichen Kommentaren zu den einzelnen Ereignissen und aus gründlichen Interviews (die freilich auch hier nicht länger als fünf oder zehn Minuten dauern); sie grenzt die Zahl ihrer Berichte ein und legt großes Gewicht auf Hintergründe und Zusammenhänge. Aber das Fernsehen fordert seinen Preis dafür, daß MacNeil es ablehnt, sich dem Rahmen des Showbusiness anzupassen. Gemessen an anderen Sendungen ist die Zuschauerzahl verschwindend gering, die Sendung wird nur von den öffentlichen Fernsehstationen ausgestrahlt, und man darf wohl annehmen, daß MacNeil und ein Lehrer zusammen vielleicht ein Fünftel von dem verdienen, was Nachrichtensprecher wie Dan Rather oder Tom Brokaw kassieren.

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Wenn hingegen Sie eine Nachrichtensendung für einen kommerziellen Sender produzieren würden, so stünden Sie gar nicht vor der Wahl, ob Sie sich den Anforderungen des Fernsehens widersetzen sollen oder nicht. Von Ihnen würde verlangt werden, möglichst hohe Einschaltquoten anzustreben, und deshalb würden Sie, ihren besten Absichten zum Trotz, schließlich zu einer Produktion gelangen, die der Beschreibung von MacNeil sehr nahekommt. Sie würden auch noch manches tun, was MacNeil gar nicht erwähnt. Sie würden versuchen, aus Ihren Nachrichtensprechern und -sprecherinnen Prominente zu machen. Sie würden in der Presse und im Fernsehen selbst Reklame für die Sendung machen. Sie würden eine »Nachrichten-Vorschau« ausstrahlen, um Zuschauer anzulocken. Sie würden den Mann für die Wettervorhersage als komische Person auftreten lassen und einen Sportreporter mit einer derben Ausdrucks­weise einstellen (um auf diese Weise Verbindung mit dem einfachen, biertrinkenden Mann aufzunehmen). Kurz, Sie würden die ganze Veranstaltung so »trimmen«, wie es jeder andere Produzent in der Unterhaltungsbranche ebenfalls tut.

 

So kommt es, daß die Amerikaner die am besten unterhaltenen und zugleich wahrscheinlich die am schlechtesten informierten Leute der westlichen Welt sind. Ich betone das deshalb, weil man sich bei uns vielfach einbildet, das Fernsehen als Fenster zur Welt habe die Amerikaner zu überaus gut informierten Zeitgenossen gemacht. Es kommt hier natürlich darauf an, was man unter Informiertsein versteht. Ich übergehe hier die inzwischen langweilig gewordenen Umfragen, die uns sagen, daß zu jedem beliebigen Zeitpunkt 70 Prozent unserer Mitbürger nicht wissen, wie der Außenminister der Vereinigten Staaten oder der Vorsitzende des Obersten Bundesgerichts heißt. 

Betrachten wir statt dessen den Fall des Iran während des sogenannten »Geiseldramas«. Ich glaube, es hat seit Jahren kein Ereignis mehr gegeben, dem sich das Fernsehen mit so beharrlicher Aufmerksamkeit zugewendet hat. Man sollte daher annehmen, daß die Amerikaner das meiste von dem wissen, was es über dieses unerfreuliche Ereignis zu wissen gibt. 

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Und nun stelle ich Ihnen folgende Fragen: Wäre es übertrieben, zu behaupten, daß von hundert Amerikanern nicht einer weiß, welche Sprache die Iraner sprechen? Oder was das Wort »Ajatol-lah« heißt oder bedeutet? Daß nicht einer von hundert etwas Genaueres über die Glaubensgrundsätze der iranischen Religionen weiß? Oder die wichtigsten Umrisse persischer Geschichte kennt? Oder weiß, wer der Schah war und woher er kam?

Und doch hatte jeder eine Meinung zu diesem Ereignis, denn in Amerika hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung, und es ist gewiß nützlich, sich die eine oder andere zurechtzulegen., falls ein Meinungsforscher auftaucht. Allerdings sind dies Meinungen von ganz anderem Rang als die des 18. und 19. Jahrhunderts. Nicht Meinungen sollte man sie nennen, sondern Gefühlsregungen, womit auch erklärt wäre, daß sie sich, wie uns die Meinungsforscher mitteilen, von Woche zu Woche verändern. Wir stehen hier vor der Tatsache, daß das Fernsehen die Bedeutung von »Informiertsein« verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte. Ich gebrauche dieses Wort fast in demselben Sinne, wie Spione der CIA oder des KGB es benutzen. 

Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information — unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information —, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt, Damit will ich nicht behaupten, die Fernsehnachrichten seien bewußt darauf angelegt, den Amerikanern ein kohärentes, kontextuelles Verständnis ihrer Welt zu rauben. Ich will vielmehr sagen, das dies, wenn die Nachrichten als Unterhaltung präsentiert werden, das unvermeidliche Ergebnis ist. 

Und wenn ich sage, daß die Fernsehnachrichten-Show Unterhaltung bietet, aber keine Information, dann heißt das nicht nur, daß uns authentische Informationen vorenthalten werden. Ich weise damit auf einen äußerst, beunruhigenden Sachverhalt hin. nämlich darauf, daß wir das Gefühl dafür verlieren, was es bedeutet, gut informiert zu sein. Unwissenheit läßt sich allemal beheben. Aber was sollen wir tun, wenn wir die Unwissenheit für Wissen halten?

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Hier ein alarmierendes Beispiel dafür, wie uns dieser Vorgang in seinen Bann zieht. Ein Artikel aus der New York Times vom 15. Februar 1983 trägt die Überschrift: Nachlassendes Interesse für Reagans Fehldar­stellungen. Der Artikel beginnt folgendermaßen:

»Berater von Präsident Reagan waren in der Vergangenheit des öfteren sichtlich beunruhigt, wenn darauf hingewiesen wurde, daß er seine Politik oder allgemeine Tagesereignisse in entstellender und vielleicht auch irreführender Weise dargestellt hatte. Solche Hinweise scheint es jetzt kaum noch zu geben.  

Tatsächlich stellt der Präsident auch weiterhin anfechtbare Tatsachenbehauptungen auf, aber die Berichterstattung der Medien beschäftigt sich nicht mehr so ausführlich wie früher damit. Aus der Sicht der Beamten des Weißen Hauses spiegelt die nachlassende Berichterstattung ein Nachlassen des Interesses in der breiten Öffentlichkeit wider.«
(Hervorhebung von mir.)  

Diese Meldung ist keine Nachricht, sondern eine Nachricht über die Nachrichten, und unsere jüngere Vergangenheit läßt darauf schließen, daß sie nicht von Ronald Reagans Charme handelt. Sie handelt davon, wie man definiert, was Nachrichten sind, und diese Nachricht, so glaube ich, würde die Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheiten ebenso wie die Tyrannen früherer Zeit einigermaßen verblüffen. Walter Lippmann z.B., der große amerikanische Publizist, schrieb im Jahre 1920: »Für eine Gemeinschaft, der die Mittel fehlen, um Lügen aufzudecken, kann es keine Freiheit geben.« Obwohl er die Chancen für eine Wiederbelebung des öffentlichen Diskurses auf dem Niveau des 18. und des 19. Jahrhunderts pessimistisch beurteilte, ging Lippmann, wie vor ihm Thomas Jefferson, doch davon aus, daß mit einer geübten, als Lügendetektor funktionierenden Presse ein Präsident, der die Wahrheit entstellt, in der Öffentlichkeit sowohl Interesse als auch Anstoß erregen würde. 

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Sind die Mittel zur Aufdeckung von Lügen vorhanden, meinte er, so kann sich die Öffentlichkeit gegenüber dem, was ihre Anwendung erbringt, nicht teilnahmslos verhalten.

 

Der hier beschriebene Fall widerlegt jedoch seine Hypothese. Die Reporter, die über das Weiße Haus berichten, sind willens und imstande, Lügen bloßzustellen, und schaffen so die Grundlage für informierte und entrüstete Meinungsäußerungen. Aber die Öffentlichkeit lehnt es offenbar dankend ab, sich dafür zu interessieren. Auf Presseberichte über Vertuschungsversuche im Weißen Haus hat die Öffentlichkeit mit dem berühmten Ausspruch der Königin Victoria geantwortet: We are not amused. Diese Worte haben allerdings heute eine Bedeutung, an die die Königin gewiß nicht dachte. Sie besagen, daß das, was nicht amüsant ist, auch keine Aufmerksamkeit verdient. Wenn man die Lügen des Präsidenten mit Bildern beweisen und mit Musik untermalen könnte — vielleicht würde die Öffentlichkeit dann neugierig aufblicken.

Wenn man einen Film wie All the President's Men über seine irreführenden Darstellungen der Regierungs­politik drehen könnte, wenn es einen Einbruch gegeben hätte oder einige finstere Gestalten eine Geldwaschanlage betrieben, dann würde dies sehr wahrscheinlich zur Kenntnis genommen werden. Wir erinnern uns noch gut daran, daß es mit Präsident Nixon erst bergab ging, als man mit den Watergate-Hearings eine Bühne für seine Lügen errichtet hatte. Etwas Ähnliches ist in unserem Fall nicht in Sicht. Präsident Reagan tut offenbar nichts weiter als Dinge zu sagen, die nicht ganz wahr sind. Und daran ist nichts Unterhaltsames.

Aber es muß hier noch auf einen schwierigen Punkt hingewiesen werden. Viele »Fehldarstellungen« des Präsidenten gehören in die Kategorie der Widersprüche. Widersprüchlich sind zwei Aussagen, wenn sie einander ausschließen und unmöglich im selben Kontext beide wahr sein können. Die Betonung liegt hier auf »im selben Kontext« — denn dieser Kontext definiert den Widerspruch. Wenn jemand einmal behauptet, er möge lieber Äpfel als Apfelsinen, und ein andermal, er möge lieber Apfelsinen als Äpfel, dann ist das völlig unproblematisch, sofern der Kontext in dem einen Fall die Wahl eines Tapetenmusters und im anderen Fall die Wahl eines Desserts ist.

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Solche Aussagen stehen in einem Gegensatz, nicht aber in einem Widerspruch zueinander. Werden diese Aussagen aber in einem einzigen kontinuierlichen und kohärenten Kontext gemacht, so widersprechen sie einander und können nicht beide wahr sein. Widersprüche kann es nur dort geben, wo Aussagen und Ereignisse als miteinander verknüpfte Elemente eines kontinuierlichen und kohärenten Kontextes wahrgenommen werden. Bringt man den Kontext zum Verschwinden oder löst man ihn in Bruchstücke auf, so verschwindet zugleich der Widerspruch. 

Nirgendwo wird mir das so klar, wie wenn ich mit meinen Studenten über ihre schriftlichen Arbeiten spreche. »Sehen Sie hier«, sage ich, »in diesem Abschnitt haben Sie das und das gesagt. Und hier nun sagen Sie das Gegenteil. Was gilt denn nun?« Sie sind höflich und wollen einen guten Eindruck machen, aber über meine Frage sind sie so verdutzt wie ich über ihre Antwort. »Ich weiß«, heißt es dann, »aber das steht dort, und dies steht hier.« Der Unterschied zwischen mir und ihnen besteht darin, daß ich darauf beharre, »dort« und »hier«, »jetzt« und »dann«, dieser Abschnitt und der nächste seien miteinander verknüpft, es gebe eine Kontinuität zwischen ihnen, sie seien Teile ein und derselben kohärenten Gedankenwelt. So verhält es sich in dem vom Buchdruck geprägten Diskurs, und aus dem Universum dieses Diskurses komme ich, wie man so sagt. Sie dagegen kommen aus einem völlig andersgearteten Diskursuniversum, aus der »Und jetzt...«-Welt des Fernsehens. Die Grundannahme dieser Welt ist nicht Kohärenz, sondern Diskontinuität. Und in einer Welt der Diskontinuitäten ist der Widerspruch als Wahrheitskriterium oder Wertmaßstab nutzlos, weil es in ihr keinen Widerspruch gibt.

Wir haben uns inzwischen so sehr an die »Und jetzt....«-Welt der Nachrichten angepaßt, an eine Welt der Bruchstücke, in der jedes Ereignis, bar jeder Verbindung zur Vergangenheit, zur Zukunft oder zu anderen Ereignissen, für sich steht, daß alle Kohärenzerwartungen verblaßt sind. 

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Und damit notgedrungen auch der Widerspruch. Im Kontext der Kontextlosigkeit verschwindet er. Und was soll, wenn der Widerspruch verschwunden ist, an einer Aufzählung neuer und älterer Aussagen des Präsidenten aufschlußreich sein? Das ist Schnee von gestern, und der ist weder interessant noch unterhaltsam. Unterhaltsam ist einzig und allein die Verwirrung der Reporter über die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit. Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß gerade die Gruppe, die die Welt zerstückelt hat, sich nun bei dem Versuch, sie wieder zusammenzusetzen, darüber wundert, daß es keinem auffällt und niemand sich darum kümmert.

Trotz seines Scharfblicks hätte George Orwell mit dieser Situation wohl nicht viel anzufangen gewußt; sie hat nichts Orwellsches an sich. Der Präsident nimmt die Presse nicht an die Kandare. Die New York Times und die Washington Post sind nicht die Prawda; Associated Press ist nicht Tass. Und eine »Neusprache« gibt es nicht. Man hat die Lüge nicht als Wahrheit definiert, und die Wahrheit nicht als Lüge. Es ist nichts weiter geschehen, als daß die Öffentlichkeit sich an die Inkohärenz gewöhnt und in die Teilnahmslosigkeit hineinamüsiert hat. 

Worüber Aldous Huxley nicht im mindesten erstaunt gewesen wäre. Denn genau dies hatte er prophezeit. Er hielt es für weitaus wahrscheinlicher, daß sich die westlichen Demokratien aus eigenem Antrieb in die Gedankenlosigkeit hineintanzen und -träumen, als daß sie in Reih und Glied, mit Handschellen gefesselt, in sie hineinmarschieren. Anders als Orwell hat Huxley erfaßt, daß man vor einer Öffentlichkeit, die gegenüber dem Widerspruch unempfindlich geworden ist und sich mit technologischen Zerstreuungen betäubt, nichts zu verbergen braucht. Aldous Huxley hat zwar nicht prognostiziert, das Fernsehen würde unsere wichtigste Droge werden, aber er hätte Robert MacNeils Feststellung durchaus zustimmen können, das Fernsehen sei »das Soma aus Aldous Huxleys Schöner neuer Welt«. Der Große Bruder entpuppt sich als Howdy Doody.

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Ich behaupte nicht, daß sich die Trivialisierung der öffentlichen Information ausschließlich im Fernsehen vollzieht. Wohl aber liefert das Fernsehen das Modell für unsere Vorstellung von öffentlicher Information. Wie früher die Druckpresse hat heute das Fernsehen die Macht erlangt, zu bestimmen, in welcher Form Nachrichten übermittelt werden sollen, und es bestimmt auch, wie wir darauf reagieren sollen. Indem das Fernsehen die Nachrichten in Form einer Varieteveranstaltung präsentiert, regt es andere Medien zur Nachahmung an, so daß die gesamte Informationsumwelt das Fernsehen widerzuspiegeln beginnt.

So ist beispielsweise Amerikas jüngste landesweit verbreitete Zeitung, das äußerst erfolgreiche Blatt USA Today, genau nach dem Schnittmuster des Fernsehens gestaltet Auf der Straße wird es in Behältern verkauft, die wie Fernsehapparate aussehen. Die Artikel sind ungewöhnlich kurz, das Layout ist deutlich von Bildern, Tabellen und anderen Graphiken geprägt, manche davon in mehreren Farben gedruckt. Die Wetterkarten sind die reinste Augenweide; der Sportteil enthält eine solche Fülle sinnloser Statistiken, daß selbst ein Computer aus der Fassung geriete. Infolgedessen ist USA Today, das seit dem September 1982 erscheint, inzwischen (nach den Angaben des Audit Bureau of Circulations für Juli 1984) zur drittgrößten Tageszeitung der Vereinigten Staaten geworden und schickt sich an, die Daily News und das Wall Street Journal zu überholen. 

Journalisten vom alten Schlag haben die Zeitung wegen ihrer Oberflächlichkeit und ihrer Effekthascherei kritisiert, aber ihre Redakteure lassen sich in ihrer Mißachtung der alten, aus dem Buchdruck erwachsenen Maßstäbe nicht beirren. Der Chefredakteur John Quinn hat erklärt: »Wir sind nicht auf Projekte von der Größenordnung aus, mit der man Auszeichnungen gewinnt. Für die beste Kurzmeldung gibt es keine Preise.«(4) 

Eine erstaunliche Huldigung an die Epistemologie des Fernsehens! Im Fernsehzeitalter wird die Kurzmeldung zur Grundeinheit für die Nachrichten in den Print-Medien. Im übrigen wird sich Mr. Quinn nicht allzu lange über das Ausbleiben von Auszeichnung ärgern müssen; andere Zeitungen ziehen mit, und es kann nicht mehr lange dauern, bis Preise für die beste Ein-Satz-Meldung vergeben werden.

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Man muß auch darauf hinweisen, daß neue, erfolgreiche Zeitschriften wie People und Us nicht nur Beispiele für fernsehorientierte Druckmedien sind, sondern zugleich einen Rückkoppelungseffekt auf das Fernsehen haben. Das Fernsehen hat den Zeitschriften beigebracht, daß Nachrichten nur Unterhaltung sind, aber die Zeitschriften haben dem Fernsehen beigebracht, daß nur die Unterhaltung Nachrichten abwirft. Sendungen wie Entertainment Today verwandeln Informationen über Unterhaltungskünstler und Prominente in »ernsthafte« kulturelle Zeichen. So schließt sich der Kreis: Sowohl die Form als auch der Inhalt der Nachrichten werden zur Unterhaltung.

Vom Radio sollte man gewiß am allerwenigsten erwarten, daß es sich dem Abstieg in Huxleys Welt der technologischen Narkotika anschließt. Schließlich ist es besonders gut zur Übermittlung von rationaler, komplexer Sprache geeignet. Aber selbst wenn wir außer acht lassen, wie sehr die Musikindustrie den Hörfunk mit Beschlag belegt, stehen wir vor der entmutigenden Tatsache, daß die Sprache, die wir im Radio vernehmen, zusehends primitiver und fragmentarischer wird und weitgehend darauf aus ist, viszerale Reaktionen auszulösen; mit anderen Worten, sie entwickelt sich zum sprachlichen Pendant der allgegenwärtigen Rockmusik, die die wichtigste Einnahmequelle des Radios ist. 

Während ich dies schreibe, geht der Trend in Sendungen, an denen sich die Hörer telefonisch beteiligen können, dahin, daß der »Gastgeber« in beleidigendem Ton mit Anrufern spricht, deren Sprache über ein menschen­ähnliches Grunzen kaum hinauskommt. Derartige Sendungen haben wenig Inhalt, wenn man dieses Wort in seiner alten Bedeutung nimmt, und sind allenfalls von archäologischem Interesse, insofern sie uns eine Vorstellung davon vermitteln, wie ein Dialog zwischen Neandertalern geklungen haben könnte. 

Wichtiger noch ist in unserem Zusammenhang, daß die Sprache der Radionachrichten unter dem Einfluß des Fernsehens immer stärker dekontextualisiert und immer diskontinuierlicher geworden ist, so daß die Möglichkeit, über das bloße Hören hinaus auch etwas zu begreifen, praktisch versperrt ist.

Der Radiosender WINS in New York City fleht seine Hörer an: »Geben Sie uns 22 Minuten, und wir geben Ihnen die Welt«. Das ist ernst gemeint, und wir dürfen annehmen, daß auch die Hörer diesen Slogan nicht für die Ausgeburt eines verwirrten Hirns halten.

Und so bewegen wir uns mit hohem Tempo in eine Informationsumwelt hinein, die man mit vollem Recht als trivial pursuit, als trivialen Zeitvertreib, bezeichnen kann. Unsere Nachrichtenmedien gehen mit den Tatsachen genauso um wie das Spiel dieses Namens — sie benutzen sie zum Amüsement. Schon viele Male hat sich erwiesen, daß eine Kultur an Falschinformationen und irrigen Meinungen nicht zugrunde gehen muß. Aber es ist noch nicht erwiesen, daß eine Kultur überleben kann, wenn sie sich in zweiundzwanzig Minuten ihr Urteil über die Welt bildet und diese Welt daran mißt, wie viele Lacher dabei herauskommen.

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