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8   Im Wiegeschritt nach Bethlehem

Postman-1985

detopia-2005:  "Wiegeschritt" bezieht sich wohl auf den federnden, kraftvollen, wiegenden Gang, wenn ein Star 'auftritt'. Vielleicht wird Wiegeschritt im folgenden erklärt.

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Im Fernsehen tritt eine evangelische Predigerin mit Namen Reverend Terry auf. Sie scheint Anfang fünfzig zu sein und zeichnet sich durch eine Frisur aus, von der manche sagen, sie könne nicht in Unordnung geraten, sondern nur zu Bruch gehen. (detopia-2023: Im Internet kann ich nichts finden über sie.)

Reverend Terry ist energisch, sie gibt sich volkstümlich und predigt in einem Stil, der sich am frühen Milton Berle orientiert. Wenn ihre Zuhörer von der Kamera gezeigt werden, dann fast immer lachend. Deshalb fällt es schwer, diese Leute etwa von den Gästen im Sands-Hotel in Las Vegas zu unterscheiden — sie sehen lediglich gesitteter und gesünder aus. 

Reverend Terry will sie und die Zuschauer »an den Bildschirmen daheim« zu einer Änderung ihres Lebens bewegen, indem sie ihnen den Weg zu Jesus Christus zeigt. Dazu bietet sie als Unterstützung ein »Aufschwung-Programm« an, das offenbar einen doppelten Zweck erfüllen soll — es führt uns zu Jesus und liefert uns gleichzeitig Tips, wie wir unseren Kontostand erhöhen können. Das macht ihre Anhänger ungemein zufrieden und bestärkt sie in der Annahme, daß der »Aufschwung« das eigentliche Ziel der Religion sei.

Pat Robertson ist der Zeremonienmeister des äußerst erfolgreichen »700 Club«, einer Fernsehsendung und zugleich einer Art von Religionsgemeinschaft, der man dadurch beitreten kann, daß man 15 Dollar im Monat zahlt. (Wer über einen Kabelanschluß verfügt, kann die Sendung selbstverständlich gebührenfrei empfangen.) Reverend Robertson gibt sich bei seinen Auftritten sehr viel zurückhaltender als Reverend Terry. Er ist bedächtig, intelligent und besitzt jenen Charme, der die Fernsehzuschauer vielleicht an den besonnenen Gastgeber einer Talkshow erinnert. Sein Appell an die Gottesfurcht ist erheblich anspruchsvoller als der von Reverend Terry, zumindest aus der Sicht des Fernsehens. Anscheinend hat er sich Entertainment Tonight zum Vorbild für seine Sendung genommen. Sie umfaßt Interviews, Gesangseinlagen und Filmstreifen mit Unter­haltungs­künstlern, die eine christliche Wiedergeburt erlebt haben. 

  wikipedia  Milton_Berle  1908-2002, Entertainer, USA   wikipedia Sands-Hotel    wikipedia  Pat_Robertson *1930      wikipedia  Entertainment_Tonight  CBS-"Unterhaltungs-Nachrichten-Magazin"

So sind zum Beispiel alle Chorusgirls von Don Ho's Hawaii-Vorstellung wiedergeboren, und in einem kurzen Film werden sie uns beim Gebet und auf der Bühne (allerdings nicht gleichzeitig) vorgeführt. In der Sendung gibt es auch nachgestellte Szenen aus dem Leben von Leuten, die, nachdem sie an den Rand der Verzweiflung geraten waren, vom »700 Club« gerettet wurden. Sie spielen sich in diesen ausgefeilten Dokumentarstücken selbst. 

Da erscheint zum Beispiel eine Frau, die unter heftigen Angstzuständen leidet. Sie kann sich nicht auf ihre fraulichen Pflichten konzentrieren. Die Fernseh­sendungen und Filme, die sie sieht, flößen ihr Angst vor der Außenwelt ein. Verfolgungswahn überwältigt sie. Sie fängt an zu glauben, ihre eigenen Kinder wollten sie umbringen. Eines Tages schaltet sie im Fernsehen zufällig den »700 Club« ein. Dessen Botschaft beginnt sie zu interessieren. Sie öffnet Jesus ihr Herz. Sie ist gerettet. Am Schluß des Stücks sehen wir, wie sie ihrer Arbeit nachgeht, gelassen und heiter, die Augen von innerem Frieden strahlend. Man könnte sagen, daß der »700 Club« sie auf doppelte Weise in die Sphäre der Transzendenz erhoben hat — erstens dadurch, daß er sie Jesus nähergebracht hat; zweitens dadurch, daß er aus ihr einen Fernsehstar gemacht hat. Unklar bleibt für den Nichtein­geweihten, welche Sphäre die höhere ist.

Gegen Ende jeder »700 Club«-Sendung werden die Auftritte für den nächsten Tag angekündigt. Sie sind zahlreich und bunt gemischt. Die Sendung schließt mit den Worten: »Das alles und mehr... morgen im 700 Club.«

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Jimmy Swaggart ist als Evangelist altmodischer. Zwar spielt er ganz gut Klavier, verfügt über eine ordentliche Stimme und nutzt das gesamte Arsenal der Mittel, die das Fernsehen bietet, aber wenn er in Fahrt kommt, dann neigt er dazu, Feuer und Schwefel auf die Häupter seiner Zuschauer regnen zu lassen. Doch weil das im Fernsehen geschieht, mildert er seine Botschaft oft mit einer Prise Ökumenismus. Seine Predigt über die Frage »Treiben die Juden Gotteslästerung?« zum Beispiel beginnt damit, daß er seinen Zuhörern versichert, dies sei nicht der Fall; er erinnert an die Bar-Mizwa Jesu und betont, daß die Christen den Juden viel zu verdanken haben. Am Ende erklärt er, mit dem Verlust ihres Tempels in biblischer Zeit seien die Juden aus der Bahn geraten. Mit dem, was er sagt, gibt er zu verstehen, daß man die Juden nicht verachten sollte, sondern bemitleiden muß und daß auf jeden Fall viele von ihnen nette Menschen sind. 

  wikipedia  Jimmy_Swaggart  *1935      wikipedia  Joseph_McCarthy  1908-1957

Es ist die perfekte Fernsehpredigt — theatralisch, gefühlsbetont und auf eine eigenartige Weise erquickend, selbst für einen jüdischen Zuschauer. Denn das Fernsehen eignet sich - Gott sei dank - nicht für Botschaften, aus denen der blanke Haß spricht. Einerseits weiß man nie, wer zusieht, und deshalb gibt man sich am besten nicht ungebührlich aggressiv. Andererseits wirken Hasser mit geröteten Gesichtern und dämonischen Gesten im Fernsehen nur albern, was Marshall McLuhan schon vor Jahren festgestellt hat und was Senator Joseph McCarthy zu seinem Schrecken am eigenen Leibe erfahren mußte.

Das Fernsehen begünstigt versöhnliche Stimmungen, und am nachhaltigsten wirkt es, wenn substantielle Positionen erst gar nicht hervortreten. (Eine Ausnahme muß man hier nur für die Fälle machen, in denen sich Prediger wie Swaggart dem Teufel und dem weltlichen Humanismus zuwenden. Dann sind sie in der Wut ihrer Angriffe ganz kompromißlos, teilweise wohl deshalb, weil weder der Teufel noch die weltlichen Humanisten in den Zuschauer­statistiken von Nielsen auftauchen. Außerdem sitzen sie nur selten vor dem Fernseher.)

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Zur Zeit gibt es in den Vereinigten Staaten fünfunddreißig Fernsehstationen, die sich im Besitz von Religions­gemeinschaften befinden und von diesen betrieben werden, doch sämtliche Fernsehsender bringen religiöse Programme dieser oder jener Art. Um mich auf die Arbeit an diesem Kapitel vorzubereiten, habe ich mir zweiundvierzig Stunden lang angesehen, wie das Fernsehen mit der Religion umgeht, insbesondere die Sendungen von Robert Schuller, Oral Roberts, Jimmy Swaggart, Jerry Falwell, Jim Bakker und Pat Robertson. 

Zweiundvierzig Stunden waren viel zuviel. Schon nach fünf Stunden hätte ich alle Schlüsse, zu denen ich gelangt bin, ziehen können. Zwei von ihnen scheinen mir besonders wichtig.

Der erste:  

Im Fernsehen wird auch die Religion einschränkungslos ohne jede Nachsicht als Unterhaltung präsentiert. Alles, was aus der Religionsausübung ein geschichtlich begründetes, innig erlebtes und geheiligtes Handeln macht, ist abgedunkelt; da gibt es kein Ritual und kein Dogma, keine Tradition und keine Theologie und vor allem keinen Sinn für spirituelle Transzendenz. In diesen Sendungen gibt der Prediger den Ton an. Der liebe Gott spielt die zweite Geige. 

Die zweite Schlußfolgerung: Daß dies so ist, hat mehr mit der inneren Tendenz des Fernsehens als mit den Fehlern der »elektronischen Prediger«, wie man sie nennt, zu tun. Gewiß, manche von ihnen sind ungebildet, engstirnig und sogar bigott. Und im Vergleich mit bekannten Protestanten früherer Zeiten, mit Jonathan Edwards, George Whitefield und Charles Finney, allesamt Männer von tiefer Bildung, theologischem Scharfsinn und einer ausgeprägten Gabe zur Erörterung von Problemen, schneiden sie gewiß nicht gut ab. Dennoch unterscheiden sich die zeitgenössischen Fernsehprediger wahrscheinlich nicht sehr von der Mehrzahl früherer Prediger oder von vielen heutigen Geistlichen, die ihr Wirken auf Kirchen und Synagogen beschränken. Nicht ihre eigenen Schwächen machen die Fernsehprediger zu Feinden der Religiosität, sondern die Schwächen des Mediums, in dem sie arbeiten.

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Den meisten Amerikanern, auch den Predigern, fällt es, falls sie je darüber nachdenken, schwer zu akzeptieren, daß man nicht jede Diskursform aus einem Medium in ein anderes übertragen kann. Es ist naiv, anzunehmen, daß man etwas, das in einem bestimmten Medium zum Ausdruck gebracht wurde, in einem anderen ausdrücken kann, ohne seine Bedeutung, seine Struktur und seinen Wert erheblich zu verändern.

Prosatexte lassen sich meist recht gut von einer Sprache in eine andere übersetzen, aber für Gedichte gilt das bekanntlich nicht — vielleicht vermittelt uns die Übersetzung eine grobe Vorstellung von der Bedeutung eines Gedichts, doch das, was seine Schönheit begründet, geht dabei in aller Regel verloren. Die Übersetzung macht aus ihm etwas, das es vorher nicht war. 

Ein anderes Beispiel: Es mag uns bequem erscheinen, einem Freund, der einen Todesfall zu beklagen hat, eine Kondolenzkarte zu schicken; wir täuschen uns jedoch, wenn wir glauben, unsere Karte werde die gleiche Bedeutung übermitteln wie die gestammelten, geflüsterten Worte, die wir dem Freund sagen würden, wenn wir bei ihm wären. Die Karte verändert nicht nur diese Worte, sie eliminiert auch den Kontext, aus dem sie ihre Bedeutung ziehen. Genauso täuschen wir uns, wenn wir glauben, das meiste von dem, was ein Lehrer normalerweise tut, lasse sich mit höherer Effizienz mittels eines Microcomputers nachahmen, einiges vielleicht, doch immer stellt sich die Frage: Was geht bei der Übersetzung verloren? Und womöglich lautet die Antwort: Alles, worauf es bei der schulischen Erziehung ankommt.

Anders ausgedrückt: Das, was im Fernsehen übertragen wird, wird zugleich verwandelt, wobei der ursprüngliche Wesenskern entweder erhalten bleibt oder nicht. Die Fernsehprediger haben sich mit diesem Problem allerdings kaum ernsthaft auseinandergesetzt. Sie meinen, das, was sie früher in einer Kirche oder einem Zelt und im direkten Kontakt mit ihrer Gemeinde getan haben, lasse sich im Fernsehen ebenfalls tun, ohne daß sich der Charakter der religiösen Erfahrung veränderte.

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Daß sie sich mit dem Übersetzungsproblem nicht beschäftigt haben, rührt vielleicht aus der Selbstüberhebung, zu der sie die schwindelerregende Zahl von Menschen verleitet, die sie mit Hilfe des Fernsehens erreichen können.

  wikipedia  Billy_Graham  (1918-2018) 

»Das Fernsehen«, so hat Billy Graham geschrieben, »ist das machtvollste Kommunikationsinstrument, das der Mensch je ersonnen hat. Alle meine specials in der Hauptsendezeit werden jetzt von fast 300 Stationen überall in den USA und in Kanada übertragen, so daß ich mit einer einzigen Predigt im Fernsehen viele Millionen Menschen mehr erreiche, als Christus in seinem ganzen Leben erreicht hat.«(1)

Und Pat Robertson fügt hinzu: »Zu sagen, daß sich die Kirche auf das Fernsehen nicht einlassen soll, ist ganz und gar töricht. Die Bedürfnisse sind dieselben, die Botschaft ist dieselbe, aber die Vermittlung kann sich ändern. [...] Es wäre töricht, wenn sich die Kirche um den stärksten Bildungsfaktor in Amerika nicht kümmern wollte.«(2)

Dahinter steht eine eklatante technologische Naivität. Wenn die Vermittlung nicht die gleiche ist, dann ist höchstwahrscheinlich auch die Botschaft nicht die gleiche. Und wenn der Kontext, in dem die Botschaft aufgenommen wird, sich von dem, wie er zu Lebzeiten Jesu war, ganz und gar unterscheidet, dann darf man wohl vermuten, daß auch seine soziale und psychologische Bedeutung eine ganz andere ist.

Der entscheidende Punkt ist, daß mehrere Eigentümlichkeiten des Fernsehens und seiner Umgebung zusammen­kommen, die bewirken, daß authentisches religiöses Erleben verhindert wird. Es gehört zu den Grund­voraussetzungen jeder traditionellen religiösen Zeremonie, daß der Raum, in dem sie stattfindet, mit einer gewissen sakralen Weihe ausgestattet sein muß. Kirchen oder Synagogen sind natürlich Orte, die eigens für den Vollzug des Rituals geschaffen sind, so daß fast alles, was dort geschieht, selbst eine Bingo-Partie, eine religiöse Aura gewinnt. Religiöse Zeremonien sind jedoch nicht an eine Kirche oder eine Synagoge gebunden.

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Fast jeder Ort ist geeignet, vorausgesetzt, daß er zuvor dekontaminiert, das heißt, seiner profanen Nutzung enthoben wird. Das kann geschehen, indem man ein Kreuz an die Wand hängt, indem man Kerzen auf den Tisch stellt oder einen heiligen Text öffentlich ausstellt. Auf diese Weise läßt sich eine Turnhalle oder ein Speisesaal oder ein Hotelzimmer in einen Ort der Andacht verwandeln; ein Stück Raum-Zeit wird aus der Welt der profanen Ereignisse herausgelöst und in eine neue Wirklichkeit transformiert. 

Damit diese Transformation möglich wird, gilt es, bestimmte Verhaltensregeln zu befolgen. Man soll zum Beispiel nicht essen und keine unnötigen Gespräche führen. Vielleicht ist man gehalten, ein Käppchen aufzusetzen oder in bestimmten Augenblicken niederzuknien oder in stiller Betrachtung zu verharren. Unser Verhalten muß jedenfalls mit der »Jenseitigkeit« des Ortes in Einklang stehen. Das aber ist normalerweise nicht der Fall, wenn wir eine religiöse Sendung im Fernsehen betrachten. Unser Tun und Treiben im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer oder — der Herrgott steh uns bei — in der Küche bleibt das gleiche, gleichgültig, ob eine religiöse Sendung oder The A-Team oder Dallas läuft. Man ißt, man geht ins Bad, man macht Kniebeugen, wie man es auch sonst tut, wenn der Fernseher läuft. Wird das Publikum nicht in eine vom Mysterium und von symbolischer Jenseitigkeit erfüllte Atmosphäre hineingezogen, so findet es wahrscheinlich auch nicht zu jener Geisteshaltung, die uns für ein nicht-triviales religiöses Erlebnis öffnet.

Im übrigen hat der Bildschirm selbst eine starke Tendenz zu einer Psychologie der Diesseitigkeit. Er ist so sehr mit unseren Erinnerungen an profane Sendungen gesättigt, so eng mit der Welt der Werbung und der Unterhaltung verbunden, daß es schwerfällt, ihn in einen Rahmen für sakrale Vorgänge zu verwandeln. Der Zuschauer ist sich zum Beispiel jederzeit bewußt, daß er mit einem einfachen Tastendruck ein anderes, diesseitiges Ereignis auf den Bildschirm holen kann — ein Hockeyspiel, einen Werbespot, einen Zeichentrickfilm.

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Und nicht nur das — sowohl vor als auch unmittelbar nach den meisten religiösen Sendungen werden Werbespots, Programmankündigungen für beliebte Shows und eine Vielzahl anderer säkularer Bilder und Diskurse gesendet, so daß die eigentliche Botschaft des Bildschirms auf ein ständiges Unterhaltungsversprechen hinausläuft. Die Geschichte des Bildschirms sowie seine Möglichkeiten arbeiten der Vorstellung entgegen, Introspektion und geistige Versenkung seien in seiner Gegenwart wünschenswert. Der Zuschauer soll nie vergessen, daß ihm die Bildwelt des Fernsehens zu Amüsement und Vergnügen stets verfügbar ist.

Das alles wissen auch die Fernsehprediger. Sie wissen, daß ihre Sendungen keinen Bruch mit dem kommerziellen Fernsehen darstellen, sondern sich nahtlos in dieses einfügen. Viele ihrer Sendungen werden gar nicht zu den traditionellen Sonntagszeiten ausgestrahlt. Unter den beliebteren Predigern ist mancher durchaus bereit, sich mit weltlichen Programmen »anzulegen«, weil er meint, er könne eine attraktivere Show veranstalten. Das hierzu benötigte Geld ist übrigens leicht zu beschaffen. Die Gebührenzuwendungen für diese Sendungen gehen in die Millionen. Man hat die Gesamteinnahmen der »elektronischen Kirche« auf mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr geschätzt.

Ich erwähne dies bloß, um anzudeuten, warum es diesen Predigern möglich ist, bei den hohen Produktions­kosten mit jedem streng kommerziellen Programm mitzuhalten. Und fürwahr, da lassen sie sich nicht lumpen. Die meisten religiösen Sendungen präsentieren uns funkelnde Springbrunnen, Blumen­arrangements, Chorgruppen und aufwendige Szenenbilder. Sie orientieren sich in ihrer Anlage an irgendeiner bekannten kommerz­iellen Sendung, Jim Bakker zum Beispiel an der Merv Griffin Show. Nicht selten werden die Sendungen »vor Ort« aufgenommen, an exotischen Plätzen mit attraktiven, ungewohnten Ausblicken.

Außerdem sind ständig überaus sympathische, freundliche Menschen im Bild, auf der Bühne wie im Publikum. Robert Schuller hat eine Vorliebe für Prominente, vor allem Filmstars wie Efrem Zimbalist Jr. und Cliff Robertson, die sich als seine Anhänger bekannt haben.   wikipedia  Robert_Schuller  1926-2015

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Aber Schuller läßt Prominente nicht nur in seiner Sendung auftreten, in seinen Reklameankündigungen benutzt er ihre Anwesenheit auch, um Zuschauer anzulocken. Ja, man darf wohl sagen, das eigentliche Ziel dieser Sendungen genau wie das von The A-Team oder Dallas besteht darin, Zuschauer anzulocken.

Um das zu erreichen, macht man ausgiebigen Gebrauch von den modernsten Marketing- und Promotion­methoden — man verteilt Broschüren, Bibeln oder andere Geschenke oder im Falle Jerry Falwells zwei kostenlose »Jesus First«-Anstecknadeln. Die Prediger bekennen offen, wie sie den Inhalt ihrer Predigten so gestalten, daß sie möglichst hohe Einschaltquoten erzielen. Wer von einem Teleprediger etwas über die Schwierigkeiten des Reichen hören will, ins Himmelreich zu gelangen, der kann lange warten. Der Vorsitzende der National Religious Broadcasters Association faßt das ungeschriebene Gesetz aller Fernsehprediger, wie er es nennt, folgendermaßen zusammen: »Man bekommt seinen Publikumsanteil nur, wenn man den Menschen etwas bietet, was sie wollen.«3

Der Leser wird bemerken, wie ungewöhnlich dieses Glaubensbekenntnis ist. Kein einziger großer Religions­stifter — weder Buddha noch Moses, weder Jesus noch Mohammed, noch Luther — hat den Menschen je das geboten, was sie wollten. Sondern immer nur das, was ihnen nottat

Das Fernsehen jedoch ist nicht sonderlich geeignet, den Menschen das zu bieten, was ihnen nottut. Es ist »benutzer­freundlich«. Man kann es leicht abstellen. Am verlockendsten ist es, wenn es in dynamischen Bildern zu uns spricht. Eine komplexe Sprache oder gestrenge Forderungen passen nicht zu ihm. Infolgedessen hat das, was im Fernsehen gepredigt wird, mit der Bergpredigt nicht das Geringste zu tun. Religiöse Fernsehsendungen sind erfüllt von guter Laune. Sie feiern den Überfluß. Und ihre Hauptdarsteller werden gefeierte Berühmtheiten. Und obwohl das, was sie mitzuteilen haben, trivial ist, verzeichnen sie hohe Einschaltquoten — nein, gerade deshalb. Das Christentum ist eine anspruchsvolle, ernsthafte Religion. Wenn man es als leichte Unterhaltung darbietet, dann wird aus ihm eine ganz andere Art von Religion.

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Natürlich gibt es Argumente, die sich gegen die These richten, das Fernsehen führe zu einer Verflachung der Religion, etwa der Hinweis, daß das Schauspiel der Religion keineswegs fremd ist. Sieht man einmal von den Quäkern und ein paar anderen strengen Sekten ab, so kann man feststellen, daß jede Religion bestrebt ist, durch Kunst, Musik, Kultbilder und ein ehrfurchteinflößendes Ritual zu faszinieren. In der ästhetischen Dimension der Religion gründet für viele Menschen ihre Anziehungskraft. 

Das gilt vor allem für den Katholizismus und die jüdische Religion, die ihre Gläubigen mit ergreifenden Gesängen, prächtigen Gewändern und Umhängen, magischen Hüten, Hostien und Wein, bunten, in Blei gefaßten Fenstern und dem geheimnisvollen Klang alter Sprachen beeindrucken. Der Unterschied zwischen diesem religiösen Beiwerk und den Blumenarrangements, den Springbrunnen und den aufwendigen Szenenbildern, die wir im Fernsehen beobachten, besteht darin, daß jenes Beiwerk nicht bloß Staffage, sondern fester Bestandteil der Geschichte und der Lehre dieser Religionen selbst ist; es verlangt von den Gläubigen eine entsprechende Einstellung.

Ein Jude bedeckt sein Haupt nicht deshalb mit einer Kappe, weil das im Fernsehen gut aussieht. Ein Katholik zündet eine Weihekerze nicht an, damit der Altar ein schöneres Aussehen erhält. Rabbis, katholische Priester oder presbyterianische Geistliche lassen nicht während des Gottesdienstes Filmstars Zeugnis darüber ablegen, warum sie religiöse Menschen sind. Das Schauspiel, dem wir in authentischen Religionen begegnen, zielt auf Verzauberung, nicht auf Unterhaltung. Ein entscheidender Unterschied. Indem die Verzauberung den Dingen Magie verleiht, ist sie das Mittel, Zugang zum Heiligen zu erlangen; die Unterhaltung ist das Mittel, uns von ihm zu entfernen.

Man könnte dem Hinweis auf das spektakuläre Element der traditionellen Religion entgegenhalten, daß gerade die Religion, die uns im Fernsehen geboten wird, größtenteils »fundamentalistisch« ist; sie verschmäht ausdrücklich Ritual und Theologie zugunsten einer direkten Kommunikation mit der Bibel, das heißt, mit Gott.

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Ohne mich hier auf theologische Überlegungen einlassen zu wollen, worauf ich nicht vorbereitet bin, halte ich es doch für angemessen und naheliegend, zu sagen, daß Gott im Fernsehen eine schemenhafte, untergeordnete Gestalt ist. Sein Name wird zwar ständig angerufen, aber das Erscheinungsbild des Predigers vermittelt in seiner konkreten, beharrlichen Präsenz die deutliche Botschaft, daß er, und nicht ER, angebetet werden soll. Ich will damit nicht behaupten, daß der Prediger dies beabsichtigt, sondern nur, daß die Eindringlichkeit eines in Großaufnahme auf dem Bildschirm gezeigten Gesichts in Farbe die Götzendienerei zu einer ständigen Gefahr macht. 

Ich vermute (obwohl ich keine direkten Beweise dafür habe), daß die von katholischer Seite erhobenen Einwände gegen die Fernsehauftritte von Bischof Fulton Sheen (vor einigen Jahren) dem Eindruck entsprangen, daß die Zuschauer ihrer Andacht eine falsche Richtung gaben, daß sie sie nicht Gott, sondern Bischof Sheen zulenkten, der mit seinem durchdringenden Blick, seinem ehrfurchtgebietenden Umhang und seinem würdevollen Ton dem Erscheinungsbild einer Gottheit so nahe kam, wie es das Charisma nur zuließ.

Die Stärke des Fernsehens besteht darin, unser Herz den »Persönlichkeiten« zu öffnen, nicht unseren Kopf den abstrakten Vorstellungen. 

Deshalb hießen die Sendungen von CBS über das Weltall Walter Cronkite's Universe. Man sollte meinen, das Weltall bedürfe des Beistandes von Walter Cronkite nicht. Man irrt sich. CBS weiß, daß Walter Cronkite im Fernsehen besser ankommt als die Milchstraße. Und Jimmy Swaggart kommt besser an als Gott. Denn Gott existiert nur in unseren Köpfen, während Swaggart da ist, man kann ihn sehen, bewundern, anbeten. Deshalb ist er der Star der Sendung. Deshalb ist Billy Graham eine Berühmtheit, deshalb hat Oral Roberts eine eigene Universität, und deshalb hat Robert Schuller eine Kristallkathedrale ganz für sich allein. Wenn ich mich nicht irre, nennt man so etwas Blasphemie.

Ein letztes Argument zugunsten der Fernsehreligion weist auf die Tatsache hin, daß sie bei aller eventuell berechtigten Kritik jedenfalls Millionen von Zuschauern anzieht. Das besagen, wie es scheint, auch die weiter oben zitierten Bemerkungen von Billy Graham und Pat Robertson, es gebe bei der großen Menge ein Bedürfnis nach ihr. Die beste Erwiderung hierauf, die ich kenne, stammt von Hannah Arendt, die im Hinblick auf die Erzeugnisse der Massenkultur geschrieben hat:

»Diesen Zustand, der tatsächlich nirgendwo auf der Welt seinesgleichen hat, kann man wohl zutreffend als Massenkultur bezeichnen; gefördert und propagiert wird er nicht von den Massen und auch nicht von den Unter­haltungskünstlern, sondern von denen, die versuchen, die Massen mit Dingen zu unterhalten, welche früher einmal authentische Kulturobjekte waren, und die ihnen einreden, Hamlet könne genauso unterhaltsam sein wie My Fair Lady und außerdem auch noch zur Bildung beitragen. Die Gefahr solcher Bildungsangebote für die Massen besteht gerade darin, daß sie möglicherweise wirklich sehr unterhaltsam sein werden; viele bedeutende Autoren der Vergangenheit haben Jahrhunderte der Vergessen­heit und der Vernachlässigung überlebt, aber noch ist die Frage nicht beantwortet, ob sie auch eine unterhaltsame Version dessen, was sie gesagt haben, überleben werden.«(4) 

Wenn wir »Hamlet« durch das Wort »Religion« und »bedeutende Autoren der Vergangenheit« durch »bedeutende religiöse Traditionen« ersetzen, dann liefert uns dieses Zitat die entscheidende Kritik an der Fernsehreligion. Mit anderen Worten, es besteht kein Zweifel, daß man die Religion unterhaltsam machen kann. Die Frage ist nur: Zerstören wir sie damit als »authentisches Kulturobjekt«? Und verwandelt die Popularität einer Religion, die die Mittel des Varietes voll ausschöpft, traditionelle religiöse Vorstellungen in triviale Versatzstücke einer hektischen Show?

Auf die peinlichen Bemühungen von Erzbischof O'Connor, sich beliebt zu machen und amüsant zu wirken, und auf den Pfarrpriester, der die Rockmusik freudestrahlend der katholischen Liturgie einzuverleiben versucht, habe ich schon hingewiesen.

Ich weiß von einem Rabbi, der seiner Gemeinde allen Ernstes vorgeschlagen hat, Luciano Pavarotti bei einem Gottesdienst zum Jom Kippur-Fest das Kol Nidre singen zu lassen. Er glaubt, dieser Auftritt werde die Synagoge füllen wie niemals zuvor. Wer mag das bezweifeln? Aber, so würde Hannah Arendt sagen, genau darin liegt das Problem, nicht die Lösung.

Als Mitglied des Ausschusses für Medientheologie, Bildung und elektronische Medien des <National Council of the Churches of Christ> weiß ich, mit welcher Besorgnis die »etablierten« protestantischen Religionen Tendenzen beobachten, den protestantischen Gottesdienst »fernsehgerecht« zu machen. 

Wie man im National Council erkannt hat, besteht die Gefahr nicht darin, daß die Religion zum Inhalt von Fernsehshows wird, sondern darin, daß Fernsehshows zum Inhalt der Religion werden.

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