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Teil 1 - Wer sind sie, die Reichen?

1. Der Traum vom großen Geld - doch wieviel ist zuviel?

 

Ich kenne wahrhaftig kein Land, in dem die Liebe zum Geld einen größeren Einfluß auf den Gemütszustand
des Menschen hat. Alexis de Tocqueville, berühmter französischer Amerikareisender, 1835

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Etwas Außergewöhnliches ist mit unserem Entlohnungssystem auf den höheren Ebenen geschehen. Das Bemühen dieses Buches gilt der Erkundung der wachsenden Konzentration des Vermögens in den Händen der Reichen. Die Konzentration des Privatvermögens hat erst kürzlich ihren Höchststand innerhalb der letzten fünfzig Jahre erreicht. Dies wirft wirtschaftliche, soziale und für jeden einzelnen ganz persönliche Fragen auf.

Ist diese Konzentration des Vermögens zum Teil in unseren wirtschaftlichen Problemen begründet? Sind diese enormen Vermögen gesellschaftlich noch zu rechtfertigen? Brauchen wir die Ultra-Reichen? Was bewirkt dieser Reichtum bei den Menschen, deren Vermögen sich auf mehrere hundert Millionen und gar auf Milliarden Dollar beläuft?

Wie stehen sie zu ihrem Reichtum, und was fangen sie damit an? Was sind ihre Pläne zur Nutzung dieses Vermögens - wenn solche überhaupt existieren? Ist Verantwortung gegenüber der Gesellschaft Teil ihres Denkens?

Zu den erfreulicheren Erfordernissen meiner Recherche gehörten die Besuche bei rund dreißig außerordentlich vermögenden Menschen. Sie lebten in sechzehn unterschiedlichen Bundesstaaten. Im Durchschnitt verfügten sie zu dem Zeitpunkt, an dem ich meine Gespräche im Jahre 1985 einleitete, über ein Reinvermögen von rund 330 Millionen Dollar. Einer meiner Gesprächspartner war sogar Dollarmilliardär.

Als ich meine Studie etwa zwei Jahre später fertiggestellt hatte, war ihr Reichtum im Durchschnitt um 28 Prozent auf 425 Millionen Dollar angewachsen. Vier weitere von mir besuchte Gesprächspartner wurden inzwischen von der Zeitschrift Fortune1 als Dollarmilliardäre geführt.

Aufgrund der jüngsten Wirtschaftsturbulenzen wird sich das Durchschnittsvermögen dieser dreißig Personen wohl etwas verringert haben, dürfte aber wohl kaum auf den Stand von 330 Millionen Dollar zurückgegangen sein, der zu dem Zeitpunkt aktuell war, als ich sie besuchte. Viele haben große Vermögenswerte in Immobilien. Nur bei vieren bestand der größte Teil ihres Vermögens zum Zeitpunkt des Crash im Oktober 1987 aus Aktienbesitz. Nur einer hatte Wertpapiere in seinem Bestand, die für das Gesamtjahr 1987 einen Verlust zu verzeichnen hatten.

Überraschend war, daß nur wenige dem von den Medien verbreiteten Bild vom Lebensstil und den Merkmalen der sehr Reichen entsprachen. Sie stellten sich als eine erstaunlich vielfältige und aufschlußreiche Gruppe heraus. Mehrere fielen durch ihre Eigenheiten auf, andere wirkten auch verschroben, und manche waren erstaunlich freimütig.

Einer der reichsten Männer in Texas gestand seine Enttäuschung darüber, daß alle seine vier Söhne entweder unfähig oder nicht daran interessiert waren, das Familienunternehmen weiter zu betreiben.

In der Nähe von Kansas City führte ich eines Abends ein Gespräch mit einem Industriemagnaten, der mich in einem Hausmantel empfing, und seiner Frau, der Finanzchefin seines Unternehmens. Sie wohnten in einem weitläufigen Haus mit wunderschöner Aussicht. Während unserer Unterhaltung warf er beiläufig ein, daß er glaube, daß ihr Reinvermögen sich in den letzten drei Wochen um 43 Millionen Dollar erhöht habe.

Eine Rockefeller-Erbin bekannte, es gebe nichts, womit sie ihren Reichtum rechtfertigen könne.

Ein männlicher hundertfacher Millionär meinte offen und ehrlich, aber etwas verdrießlich, er habe versehentlich eine Lesbierin geheiratet, die mehr an ihm als Vater ihrer Kinder und Versorger als als Lebensgefährten interessiert sei.

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Ein in der Bauindustrie tätiger Einwanderer erzählte mir von einer interessanten Bestimmung in seinem Testament: Keines seiner Kinder kann aus dem Treuhandvermögen pro Jahr mehr Geld beziehen, als das Gehalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten beträgt, und das sind lediglich 250.000 Dollar. Bei dieser Quote braucht ein Erbe einhundert Jahre, bis er 25 Millionen Dollar hat, und erst ab dieser Summe etwa werden Vermögen als Großvermögen bezeichnet.

Die zentrale Frage, die sich aus meinen Untersuchungen ergab, lautete, ob sich Vermögen in einer Höhe von fünfzig Millionen bis acht Milliarden Dollar im heutigen Amerika noch rechtfertigen lassen. Diese Frage wird deswegen besonders relevant, weil der Großteil solcher Vermögen wieder weitervererbt wird. Sollen wir solche Menschen als phantastisch reich oder einfach als unverschämt reich betrachten? Sind sie »ultrareich« in dem Sinne, daß ihr Reichtum über die »gebührliche Grenze« hinausgeht?

In diesem Buch werden wir, so hoffe ich, einen kritischen Blick auf das Vermögenshäufungssystem werfen, wie es in den Vereinigten Staaten funktioniert. Dabei gehen wir auch auf die übrigen Staaten der westlichen Welt ein und untersuchen mögliche Veränderungen. Den Amerikanern ist es immer schwergefallen, eindeutig Stellung zur Konzentration großer privater Vermögen zu beziehen. Der erste Satz in der amerikanischen Unabhängigkeits­erklärung lautet: »Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, daß alle Menschen gleich geschaffen sind, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.«

Zum Streben nach Glück gehört im allgemeinen auch die Möglichkeit, sich durch erfolgreiches Streben nach eigenem Vermögen über die Masse zu erheben. Wo aber bleibt hier die Gleichheit? Gleichheit bedeutet für die Amerikaner im allgemeinen das Recht auf einen gleichen Start im Leben, auf gleiche Chancen, den Weg nach oben anzutreten.

Als Lebensziel hat die Gleichheit für die meisten nie dieselbe tiefsitzende Anziehungskraft gehabt wie das Streben nach Glück durch Reichtum, auch nicht bei der Masse der Unterprivilegierten. Im Laufe unserer Geschichte hat sich eine tiefe Kluft zwischen den Reichen und den Nichtreichen entwickelt, weil die Wohlhabenden zu einflußreich und zu mächtig wurden. Deswegen fordert die Öffentlichkeit Korrekturmaßnahmen, will sie diesen Konflikt­stoff entschärfen.

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Der amerikanische Revolutionskrieg war nicht so sehr eine Erhebung gegen die royalistische Gruppe des Adels, sondern gegen die ererbte politische Macht des Königs Georg. Zwei Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung, John Hancock und Charles Carroll, konnten, gemessen am damaligen Standard, als unermeßlich reich bezeichnet werden.

Die Französische Revolution war sehr viel stärker eine über die Guillotine ausgetobte zornige Erhebung aus wirtschaftlichen Gründen gegen eine Klasse von Menschen mit ererbtem Reichtum, die die Unterklassen beherrschte. Dennoch wurden während und nach der amerikanischen Revolution viele Besitztümer zerschlagen. Als sich unsere junge Generation auf den Weg machte, sorgten sich politisch führende Männer wie John Adams darum, daß die Revolutionsstimmung außer Kontrolle geraten und die gesellschaftliche Ordnung bedrohen könne. Wilde Vorfälle wie die Shays-Rebellion schürten diese Angst. Die vorherrschende Sorge der Gründerväter aber ging in die andere Richtung - nämlich Vorsorge dafür zu treffen, daß es einer Klasse mit ererbtem Reichtum nicht gelingen werde, das Ruder zu übernehmen. Es wurde davon gesprochen, daß man einen »Bürger« an der Spitze des Landes brauche. Manche drückten ihr Unbehagen darüber aus, daß gerade George Washington der erste Präsident werden sollte. Die Gründe lagen nicht nur darin, daß er General war und auch Pomp nicht abgeneigt gegenüberstand, sondern daß er auch über ein beträchtliches Vermögen verfügte. Ein großer Teil davon stammte von der Seite seiner Frau Martha. Er selbst hatte einen riesigen Grundbesitz, und erst als er starb, entdeckte man, daß er einer der reichsten Männer im Land gewesen war.

Nach George Washington war einhundert Jahre lang kein Präsident mit auffälligem Vermögen zu verzeichnen.(2) Der Argwohn, möglicherweise unter die Herrschaft einer Wirtschaftselite zu geraten, hat sicherlich eine Rolle dabei gespielt.

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Die einzig wirklich reichen Präsidenten, die wir je hatten - Theodore Roosevelt, Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy -, konnten sich alle überzeugend als Vorreiter des einfachen Menschen ausweisen. Die Gefahr konzentrierter Vermögen hatte sicherlich in den Gedanken der hervorragendsten der amerikanischen Gründerväter eine Rolle gespielt. Während seines Besuches im vorrevolutionären Frankreich erschrak Thomas Jefferson über die ernsten Folgen für die französische Gesellschaft, die sich aus der Tatsache ergaben, daß der Besitz dort »absolut in wenigen Händen konzentriert« war. Ende 1875 schrieb er James Madison über seine tiefe Besorgnis und riet den amerikanischen Gesetzgebern dazu, sie könnten »gar nicht genug Pläne zur Zerstückelung von Besitz fassen, um so die demokratischen und produktiven Kapazitäten der entstehenden Nation sicherzustellen«.3     wikipedia  Theodore_Roosevelt 1858-1919    wikipedia  Franklin_D._Roosevelt  1882-1945

John Adams schloß, daß das Gleichgewicht der Macht in der neuen Nation stark dadurch beeinflußt würde, wie Eigentum und Grundbesitz verteilt würden. Er schrieb: »Wenn eine große Zahl im Besitz von Land ist, wird die große Zahl auch das Machtgleichgewicht bilden ... Die große Zahl wird sich um die Freiheit und die Interessen der großen Zahl in allen Handlungen des Staates kümmern.«(4)

Der neue Staat war rund dreißig Jahre alt, als sich im Land beträchtliche Unruhe aus Angst davor entwickelte, daß die Reichen - besonders eine regionale Aristokratie aus alten Neuenglandfamilien - zuviel Macht im Lande erlangten. Thomas Skidmore erhob in seiner Proklamation der Gründung der Working Men's Party im Jahre 1829 den Vorwurf, daß großer Reichtum zu einem Instrument geworden sei, »das gleichmäßig dazu benutzt werde, anderen ihren Besitz abzuringen«. Er forderte, »er müsse seinen Besitzern nach demselben Prinzip abgenommen werden, wie man einem Räuber ein Schwert oder eine Pistole entreißen dürfe«. Andrew Jackson, selbst ein wohlhabender Mann, glättete die Spannungen für eine Weile, weil er aus dem »Westen« kam und in das Weiße Haus einzog.

Damit war die Sache aber nicht vollständig beigelegt. Im Jahre 1838 ergriff Daniel Webster, der große Redner aus Neuengland, im Senat das Wort und beklagte das andauernde Geschrei über »den verderblichen Einfluß des Reichtums«.     wikipedia  Daniel_Webster  1782-1852  Die Beschwerdeführer, behauptete er, würden den Brunnen der Industrieentwicklung versiegen und »alle Flüsse austrocknen« lassen.

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Etwa zu jener Zeit vermaß de Tocqueville, der berühmte Amerikareisende aus Frankreich, den amerikanischen Charakter. Trotz des Argwohns gegenüber einer reichen Elite sah er kaum Anhaltspunkte für eine wahrhaft gleichmacherische Stimmung im Land. In seiner Schrift Democracy in America sagte er, er kenne kein Land, in dem eine tiefergehende Verachtung für die Theorie der permanenten Gleichheit des Besitzes ausgedrückt werde.

Im Wachstum der neuen Fertigungskonzerne aber - die anscheinend Arbeiter brauchten, die gehorchten, und Unternehmer, die befahlen - sah er die mögliche Saat einer neuen Aristokratie. Wenn sie käme, würde es keine Aristokratie von adeligen Landbesitzern sein, die für die Menschen auf ihrem Land sorgten, sondern eine härtere befehlende Elite. Er ermahnte die »Freunde der Demokratie«, diese Gefahr im Auge zu halten. Mehrere Jahrzehnte später wurde diese Bedrohung in Form der »Räuberbarone« der Großindustrie allerdings Wirklichkeit.

In den Jahren, die schließlich in den Bürgerkrieg mündeten, war in der republikanischen Bewegung überall eine feindliche Einstellung zu Reichtum und Grundbesitzprivileg als mögliche Quelle korrumpierender Macht zu spüren. Zu den befriedigenden Ergebnissen des Bürgerkrieges gehörte für viele, daß die Machtelite des Südens, deren Einfluß auf Plantagen beruhte, die mit Hilfe von Sklavenarbeit aufgebaut wurden, einen großen Rückschlag erlitt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschte in einer Reihe von Staaten beträchtliche politische Korruption. Dies zeigte sich darin, daß sich mehrere enorm vermögende Männer ihren Weg in den amerikanischen Senat hinein erkauften, um so für ihre Pläne günstige Gesetze sicherzustellen. Der hierauf folgende Aufschrei überzeugte ehrgeizige Männer von Vermögen, daß sie mit weniger offensichtlichen Mitteln arbeiten müßten. Sie begannen damit, Strohmänner zu finanzieren.

Das tiefe persönliche Streben nach Reichtum, das de Tocqueville als Teil des amerikanischen Charakters erkannt hatte, zeigte sich Ende des 19. Jahrhunderts deutlich im sensationellen Erfolg des Predigers und Autors Horatio Alger. Er produzierte etwa 135 Bücher, in denen es um den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär ging. Wichtigstes Thema war, daß jeder arme amerikanische Junge Millionär werden konnte.

  wikipedia  Horatio_Alger 1832-1899 

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In der Zwischenzeit waren aus der industriellen Revolution die Anfänge wahrhaft großer Unternehmen gewachsen: Stahlfabriken, interkontinentale Eisenbahnen, Ölfelder und Kohlenbergwerke, Großfabriken zur Herstellung von landwirtschaftlichen Maschinen, enorme Textilfabriken und Fleisch-Verpackungsanlagen. Damals wurden enorme Vermögen angehäuft.

Die Industriemagnaten, die diese Unternehmen schufen, verabredeten sich häufig im geheimen miteinander in der Verfolgung von Vorteilen durch Monopole, Kartelle und durch gegenseitiges Zuschieben von Direktoren­posten. Der Superbanker J. P. Morgan brachte es einmal auf 341 Direktorenposten in 112 Unternehmen.5

Viel wurde darüber geklagt, daß die Räuberbarone die Arbeiter ausbeuteten. Zum erstenmal las man in den Zeitungen beinahe täglich Berichte über heftige Zusammenstöße zwischen Streikenden und angeheuerten Streikbrechern. Es erschienen enthüllende Aufsätze von so hervorragenden Autoren wie Upton Sinclair und Ida Tarbell. Zur gleichen Zeit beobachtete der kühle sardonische Thorstein Veblen, Autor des Buches Theorie der feinen Leute, folgendes: Wenn der individuelle Reichtum über »einen bestimmten recht undefinierten Durchschnitt« hinausgehe, entwickelte sich eine Stimmung, die auf eine »Nivellierungspolitik« hinauslaufe.

Der republikanische Präsident Teddy Roosevelt war entsetzt über die wachsende Plutokratie. Als Mann, der den Kampf nicht scheute, schwang er sich zum »Kartellbrecher« und zum Kritiker großer ererbter Vermögen auf. Er war es vor allen Dingen, der die Bewegung in Gang setzte, aus der schließlich der Sherman Antitrust Act hervorging.   wikipedia  Sherman_Antitrust_Act

Als Präsident bemühte er sich darum, große Konzentrationen ererbten Vermögens durch Besteuerung zu zerbrechen. In einer Botschaft zum Thema Steuern an den Kongreß führte er aus: »Das erste Ziel sollte es sein, diese angeschwollenen Vermögen, deren ewiger Erhalt dem Lande sicherlich nicht nutzen werde, mit einer ständig wachsenden Erbschaftsteuer zu belegen.«6 Der Ruf danach, den Reichen »Saures zu geben«, war auch im 20. Jahrhundert noch deutlich hörbar.

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Senator Williams, Mississippi, verkündete im Jahre 1913:

»Ich glaube, es wird die Zeit kommen, daß der Summe, die ererbt oder einem anderen vererbt werden kann, eine Grenze gesetzt werden muß, um die Macht zu zerstören, die durch große Vermögen von Generation zu Generation übertragen werden.«(7)

Noch im selben Jahr wurde eine bescheidene Einkommensteuer eingeführt. Drei Jahre später, 1916, konnte ein Gesetz zur Erbschaftsteuer verabschiedet werden. Während der zwanziger Jahre wurden viele Menschen reich, und die allgemeine Bevölkerung hoffte, daß sich diese Blütezeit immer weiter fortsetzen würde. Diese Hoffnung erwies sich aber als trügerisch, wie wir alle wissen. Warum - das versuchen wir in den folgenden Abschnitten zu klären.

Nach dem Börsenkrach des Jahres 1929 entwickelte sich eine neue Ära, in der die negativen Auswirkungen großer Vermögensansammlungen untersucht wurden. Manche meinten sogar, diese Tatsache sei schuld an der Misere der großen Depression. Im Rückblick auf jene Zeit argumentiert der Wirtschaftswissenschaftler John Ken-neth Galbraith in seinem 1972 erschienen Buch Der große Crash, die Weltwirtschaftskrise sei zum Teil deswegen entstanden, weil sich das Vermögen so konzentriert habe, daß es dem Normalbürger an Geld mangelte, um die großen Mengen an Gütern kaufen zu können, die die Industrie herstellte.

Der amerikanische Senator Huey Long aus Louisiana, ein begabter Stimmungsmacher, avancierte mit seinen Schlachtrufen »Teilt den Reichtum!« und »Jedermann ein König!« zu einer herausfordernden nationalen Persönlichkeit, ehe er im Jahre 1935 einem Attentat zum Opfer fiel.

Während des New Deal des Franklin D. Roosevelt wurde eine Vielzahl von Gesetzen nicht nur zur Ankurbelung der Wirtschaft verabschiedet, sondern auch in dem Versuch, die Wirtschaft für die sozial Schwachen und für die Angehörigen der arbeitenden Schicht fairer zu gestalten. Er zog gegen die »Wirtschafts-Royalisten« zu Felde, verankerte eine steilere Staffelung der Einkommensteuer und höhere Grundsteuern auf hoher Vermögensebene im Gesetz.

In seiner Forderung nach solchen Steuern führte er in seiner Botschaft an den Kongreß im Juni 1935 aus, daß der Transfer großer Vermögen von Generation zu Generation »durch Testament, Erbe oder Schen-

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kung« weder den Idealen noch den Gefühlen der amerikanischen Bevölkerung entspreche.

Außerdem, meinte er, gebe es keine Möglichkeit, große Anhäufungen von Vermögen auf der Grundlage einer vorstellbaren Absicherung der Familie zu rechtfertigen. Die neuen Steuern versetzten viele wirklich Reiche, wie beispielsweise die Fords, in solchen Schrecken, daß sie zig Millionen Dollar in Stiftungen, die ihren Namen trugen, einbrachten und all ihr Bemühen darauf verwendeten, sich vor dieser Besteuerung zu schützen.

Während des Zweiten Weltkrieges stieg die Besteuerung neu erworbenen Reichtums auf über 90 Prozent, und Präsident Roosevelt sprach sogar davon, die Einkommen während der Dauer des Krieges auf eine pauschale Höchstsumme zu begrenzen. Im dritten Quartal des 20. Jahrhunderts entwickelte sich trotz einer ansehnlichen Rezession um das Jahr 1973 eine permissivere Einstellung zu den Reichen. Der Soziologe G. William Domhoff ging immer noch davon aus, daß sich die Menschen großen Vermögens zu sehr verschworen hätten. 1979 beschrieb er seine Besorgnisse in dem Buch The Powers That Be: Processes of Ruling Class Domination in America. Er haderte mit der marxistischen Theorie, neigte aber dazu, die Wurzel der politischen und wirtschaftlichen Probleme im modernen Amerika in den Konflikten und Kompromissen zwischen einer herrschenden und der arbeitenden Schicht zu sehen. Im allgemeinen aber, war ein Rückgang an warnenden Büchern über die Reichen - Beispiele sind die Lords of Creation und The Power Elite (Die amerikanische Elite) - zu verzeichnen. Bücher über die Reichen erschienen primär zur Informationsvermittlung (Beispiele: The Very Rich Book von Jacqueline Thompson im Jahre 1981, Texas Rich von Harry Hurt III., 1981, The Richest Woman in the World von Kit Konolige, 1985, The Founding Fortunes von Michael Patrick Allen im Jahre 1987).

Ende der achtziger Jahre war die öffentliche Einstellung zu den Erbauern großer Vermögen absolut wohlwollend. Die Amerikaner sahen die Anhaltspunkte für spektakuläre Anhäufungen von Vermögen in den Jahreslisten, die das Magazin Forbes über die vierhundert reichsten Amerikaner veröffentlichte. Große Vermögen wurden nicht nur von einigen wenigen angehäuft, sondern von vielen.

Im großen und ganzen waren die Amerikaner wieder dazu zurück-

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gekehrt, Reichtum mit Erfolg gleichzusetzen und auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

Die Zeitschrift Money veröffentlichte im März 1984 einen Artikel, in dem es hieß, reich zu sein, sei nun in Mode. In dem Artikel wurde keine geringere Autorität als Präsident Reagan mit den Worten zitiert: »Was ich vor allen Dingen erreichen möchte ist, daß dies ein Land bleibt, in dem jedermann reich werden kann.«

Und er hat den Prozeß mächtig gefördert. Im Blue Room des Weißen Hauses ersetzte er das Portrait von Thomas Jefferson durch das von Calvin Coolidge, der, soweit ich feststellen kann, bei keinem Historiker auf der Liste der bedeutenden amerikanischen Präsidenten zu finden ist. Coolidge hat zwar keine großen Wellen geschlagen, aber er hatte den bedeutenden Satz ausgesprochen: »Das Geschäft Amerikas ist das Geschäft.«8

Präsident Reagan begab sich auf einen Kreuzzug, um die Zwänge, die den reichen Einzelbürgern und ihren Unternehmen auferlegt wurden, zu mildern. Das von ihm 1981 durch den Kongreß durchgepeitschte Steuergesetz ermöglichte es den Reichen, ihr Geld ihren Ehegatten ohne jegliche Besteuerung zu überschreiben und mehr als eine halbe Million Dollar zu verschenken, ohne daß eine Schenkungssteuer fällig wird. Die maximalen Steuerstufen wurden beträchtlich reduziert. Er ließ verlauten, unter seiner Regierung würde das Kartellamt Größe nicht mit Schlechtigkeit gleichsetzen.

1986 wurde ein von ihm unterstütztes Steuer­verein­fachungsgesetz verabschiedet. Mit ihm konnten einige ursprünglich für die Reichen eingebaute protektionistische Klauseln abgeschafft werden, im Kern aber bedeutete es, daß der hundertfache Millionär und der Zahnarzt sich sehr bald in derselben maximalen Steuerklasse bei etwa 28 Prozent Höchsteinkommensteuer wiederfinden würde. Steuerregression trat an Stelle von Steuerprogression.

Viele amerikanische Normalbürger hofften, zumindest einen kleinen Reibach in dieser permissiven, von hohen Schulden geprägten Umwelt zu machen. Von ihren eigenen einzelstaatlichen Regierungen wurden sie noch dazu ermuntert, die Situation noch besser auszunutzen. Die einzelstaatlichen Regierungen hatten das Lotteriespiel aus der Illegalität herausgeholt und zu einer anerkannten staatlichen Einkommensquelle gemacht. Die angebotenen Quoten waren eigentlich Schwindel, denn die Hälfte des von den Menschen verwetteten Geldes behielten sie für sich, und es gelang ihnen, das Wettfieber hochzuhalten, weil sie die Preise immer attraktiver und attraktiver werden ließen, bis sie für einen Normalmenschen kaum mehr begreifbar waren. Ihre Angebote klangen irgendwie phantastisch.

Der Staat New York setzte Preise in Höhe von zig Millionen Dollar aus und nannte seine Lotterie »The American Dream Come True«, »Der amerikanischen Traum, der Wirklichkeit wurde«. Illinois war der erste Staat, in dem vierzig Millionen Dollar als erster Preis ausgesetzt wurden. Der Gewinner, ein junger Drucker, sagte, er plane, einen Teil seines Geldes zur Begleichung einiger Rechnungen und zum Kauf eines Verlobungsringes für seine Freundin zu verwenden. Im übrigen wollte er weiter in seinem Beruf als Drucker arbeiten. Andere amerikanische Großgewinner sagten, sie wollten ein neues Auto kaufen, eine Reise nach Hawaii machen oder ein besseres Haus erwerben.

Ihre Träume und Vorstellungen entsprachen, wie sich herausstellte, überhaupt nicht der wirklichen Höhe dieser Riesengewinne. Ihre Gedanken drehten sich weiterhin nur darum, das Leben bequemer oder erfreulicher zu gestalten und sonst nichts. Mehrere Staaten richteten solche Gewinnspiele mit Supergewinnchancen ein, beispielsweise Megalotterien, in denen wöchentlich bis zu einhundert Millionen Dollar als erster Preis zu gewinnen waren. Ende der achtziger Jahre verbreitete sich Unbehagen über die gewaltige Staatsverschuldung, die Defizite im Außenhandel und weitere Anzeichen für eine bedenkliche Wirtschaftslage. Geld aber wurde in großen Mengen verbuttert. Für viele war es verblüffend zu hören, daß es Menschen gab, die unglaubliche Summen verdienten.

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Vance Packard (1989) Die Ultra-Reichen - Anatomie eines amerikanischen Phänomens