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5  John Rosen und die direkte Psychoanalyse  

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Ein prominenter Psychiater und Professor der Psychiatrie, John Rosen, der bei seinen Kollegen als »Entdecker« einer neuen Behandlungsmethode, der »direkten Psychoanalyse« in hohem Ansehen stand, gab den Behörden in Harrisburg, Pennsylvania, am 29. März 1983 seine Zulassung als Arzt zurück.1)

Er tat es, um nicht vom State Board of Medical Education and Licensure des Department of State von Pennsylvania vor Gericht gestellt zu werden, das ihn wegen 67 Verletzungen des Pennsylvania Medical Practices Act und 35 Verletzungen der von der Ärztekammer herausgegebenen Anweisungen und Regeln anzeigen wollte.2)

Zu der Untersuchung kam es, weil einige von Rosens Patienten sich nicht länger mißhandeln lassen wollten und beschlossen, ihre Rechte geltend zu machen. Die Ärztekammer schloß sich ihnen nur widerwillig an. Diese Vorfälle sagen uns eine Menge über die Psychotherapie in den Vereinigten Staaten. 

Wenn der Leser erfährt, was John Rosen seinen Patienten angetan hat, wird er vielleicht den Eindruck gewinnen, Rosen gehöre in eine alptraumhafte Welt der Grausamkeit und der unglaublichen Exzesse. Das ist, glaube ich, nicht ganz richtig. John Rosen ist einer von sehr vielen Therapeuten, die ihre Patienten unter dem Deckmantel ihres angeblich besseren Wissens verletzen. Er hatte nur das Pech, dabei ertappt zu werden. Was er getan hat, fällt durchaus nicht aus dem Rahmen. Diese Behandlungsmethoden gibt es, ohne daß sie aufgedeckt werden, in Tausenden von psychiatrischen Anstalten überall in den Vereinigten Staaten, und sie werden unter den verschiedensten Vorwänden angewendet. Es geschehen sogar noch sehr viel schlimmere Dinge. John Rosen ist in Wirklichkeit nur die Spitze eines Eisbergs. 

Aber bei ihm handelt es sich um einen typischen Fall, weil er von seinen Kollegen so sehr gepriesen wurde, nachdem er in Fachkreisen bekannt geworden war. 


Noch bezeichnender ist aber vielleicht die Tatsache, daß seine Kollegen nur sehr ungern über diese Dinge gesprochen haben, nachdem seine Verbrechen aufgedeckt worden waren. Ich kenne nur sehr wenige Psychiater, die bereit sind, sich öffentlich von John Rosen zu distanzieren. Privat empören sich allerdings die meisten Psychiater ebenso lautstark wie jeder andere über die bekanntgewordenen Mißhandlungen. Ihre Solidarität sagt uns mehr über die Psychotherapie als das Aufdecken eines einzelnen solchen Falles. Der Fall einer Patientenmißhandlung ist es jedoch wert, genauer betrachtet zu werden, weil er auf ganz bestimmte Mißstände in diesem Beruf hinweist.

John Nathaniel Rosen wurde 1902 in Brooklyn geboren. Er hat in New York Medizin und Psychiatrie studiert. 1959 erhielt er einen Lehrauftrag als Professor für Psychiatrie an der Temple University Medical School in Philadelphia und wurde Vorsitzender der Philadelphia Mental Health and Mental Retardation Foundation. 1953 brachte der medizinische Verlag Grune & Stratton in New York sein Buch Direct Analysis: Selected Papers heraus. In einem 1970 erschienenen Bericht über amerikanische Psychiater und Psychoanalytiker wurde John Rosen als der zweite der vierzehn umstrittensten lebenden Psychiater in den USA bezeichnet.3

1971 zeichnete ihn die American Academy of Psychotherapy als »Mann des Jahres« aus. Seine am meisten beachtete Arbeit wurde 1947 in der angesehenen Zeitschrift Psychiatrie Quarterly veröffentlicht. Sie trug den Titel »Die Behandlung der schizophrenen Psychose durch die direkte analytische Therapie« und wurde als so bedeutend angesehen, da sie sowohl von den Herausgebern im Vorwort als auch in einem von der Zeitschrift abgedruckten Gespräch von sechs angesehenen Psychiatern (fünf von ihnen waren Psychoanalytiker) aufs Höchste gepriesen wurde. Rosen behauptete, er habe für die Schizophrenie eine neue Behandlung anzubieten, die er als »direkte Psychoanalyse« bezeichnete. Dabei beschäftigte sich der Analytiker viele Stunden mit seinen Patienten und ging auf deren »aus Wahnideen bestehendes System« ein, konfrontierte sie mit dessen Irrationalität und zwang sie, sich der Wirklichkeit zu stellen. Viele Psychiater glaubten — fälschlicherweise, wie aus dem Kapitel über Ferenczi unmißverständlich erkennbar wird —, daß sich diese Therapie auf die Techniken von Ferenczi gründete.

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Vielleicht war dieser Irrtum dadurch entstanden, daß Rosen erstaunlicherweise behauptete, er verbringe bis zu zehn Stunden täglich mit einem einzigen Patienten:

Die Patientin, eine verheiratete Frau Ende der Zwanzig, begann endlich zu sprechen. Der Arzt pflegte sie, fütterte sie und behandelte sie neun Monate wie ein Baby. Zwei Monate lang war er täglich zehn Stunden bei ihr gewesen, während der folgenden sieben Monate waren es vier (S. 45).4)

Ist so etwas wahrscheinlich oder überhaupt möglich? Wie viele Patienten kann ein Psychiater behandeln, wenn die Behandlung eines einzigen zehn Stunden am Tag in Anspruch nimmt? Hier stellt Rosen offensichtlich eine Behauptung auf, die nicht wahr sein kann. Rätselhaft ist es auch, daß die Psychoanalytiker, die die Arbeit gelesen hatten, genau wußten, daß Rosen nicht als Psychoanalytiker ausgebildet war, obwohl er sich augenscheinlich selbst einer Analyse unterzogen hatte. Wenn er sich aufgrund dessen, daß er selbst analysiert worden war, als Psychoanalytiker bezeichnete, dann könnte sich jeder, der einmal operiert worden ist, als Chirurg ausgeben. Und doch spricht Rosen in seiner ganzen Arbeit immer wieder von »gewöhnlichen analytischen Verfahren« und tut so, als praktiziere er die Psychoanalyse, wenn er zum Beispiel schreibt: »Einige Patienten sind als <wiederhergestellt> entlassen worden, und andere befinden sich noch in Analyse« (S. 46).

Mit seiner Arbeit sollen bemerkenswerte Erfolge nachgewiesen werden: Rosen behauptet, mit seiner neuen Methode 37 Fälle von »Schizophrenie mit Persönlichkeitsabbau« behandelt zu haben (der jüngste Patient war 15, der älteste 52 Jahre alt), und »in 36 dieser Fälle wurde die Psychose geheilt«. Diese erstaunliche Behauptung wird vom Herausgeber mit einer ebenso erstaunlichen Fußnote kommentiert:

Der Herausgeber von The Psychiatrie Quarterly und drei andere Mitglieder der Redaktion haben diesen Patienten gesehen und sowohl formell als auch im Rahmen eines gewöhnlichen freundlichen Gesprächs interviewt. Der Herausgeber bestätigt, und seine drei Mitarbeiter stimmen mit ihm überein, daß Dr. Rosens Darstellungen und Auswertung seiner Erfolge das beinhalten, was sich tatsächlich beobachten läßt. (S. 46)

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Rosen behauptet, alle seine Patienten seien erkrankt, weil es ihnen in der Kindheit an Liebe gefehlt habe. Er sagte:

Im Falle der direkten Psychoanalyse muß die Gegenübertragung [das sind die Gefühle, die der Therapeut dem Patienten entgegenbringt] den Gefühlen entsprechen, die ein guter Vater oder eine gute Mutter für ein geistig stark gestörtes Kind empfindet. Der Therapeut muß sich wie ein guter Elternteil mit dem unglücklichen Kind identifizieren und durch das Unwohlsein des Kindes so gestört sein, daß er selbst nicht zur Ruhe kommen kann, bevor das Kind seinen Frieden wiedergefunden hat. (S. 72)

Was befähigt Rosen in seiner eigenen Sicht, »unheilbare Schizophrene« zu »heilen«? Er erklärt es uns auf Seite 73:

Um den Schizophrenen zu behandeln, muß der Arzt über einen so hohen Grad an innerer Sicherheit verfügen, daß er unabhängig funktionieren kann, ob er nun von dem Patienten geliebt wird oder nicht. Oder vielleicht wäre es besser zu sagen, daß der Arzt fähig sein muß, mit der geringstmöglichen Liebe des Patienten auszukommen. Er muß den ungeheuren Mangel an Liebe, den der Patient in seinem Leben erfahren hat, ausgleichen können. Einige Menschen besitzen diese Liebesfähigkeit wie eine Gottesgabe. Man kann sie aber auch unter großen Mühen erwerben durch die Psychoanalyse. Sie ist das sine qua non für die Anwendung dieser Methode bei der Behandlung der Schizophrenie.

Um zu zeigen, wie diese Liebe in der Praxis aussieht, schreibt Rosen: »Mein Problem war, den Patienten davon zu überzeugen, daß er ein Mann war, das heißt, daß er einen Penis hatte. Beim nächsten Besuch wandte ich mich ganz direkt diesem Problem zu. Als der Patient aufstand, sagte ich ihm, er solle seinen Penis mit der Hand anfassen, und half ihm bei diesem Manöver« (S. 74). (Hervorh. des Verfassers.) Das ganze Buch hindurch beschäftigt sich Rosen besonders mit homosexuellen Männern. Er behauptet, keiner von ihnen sei wirklich homosexuell gewesen, und er habe seine Aufgabe darin gesehen, ihnen das zu beweisen.

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Jeder, der diese Arbeit liest, sollte mißtrauisch gegenüber einem Mann werden, der von sich behauptet, so erstaunliche Erfolge zu haben. Und doch ließen sich die Analytiker, die ihm zuhörten, oder Persönlichkeiten wie Paul Federn (ein angesehener Internist, der mit Freud befreundet war und nach dem Zweiten Weltkrieg als beliebter Analytiker in New York gearbeitet hatte), die diese Arbeit gelesen hatten und sie in der Zeitschrift Quarterly kommentierten, vollkommen von ihm überzeugen. 

So schrieb Federn: »Zum großen Teil erteilt Rosen seinen Patienten, die immer noch in einem unsichtbaren mentalen Kinderzimmer leben, einen zwar verspäteten, aber höchst notwendigen Sexualunterricht und vermittelt ihnen eine Sexualaufklärung.« (S. 78) Natürlich hatte Federn bestimmte Hintergedanken bei dem, was er hier sagt:

Es ist mir klar, daß diese Technik mit ihren guten Erfolgen von Psychiatern angewendet werden kann, die so uneingeschränkt von der Richtigkeit der Deutung des Unbewußten durch Freud überzeugt sind wie Rosen. Rosens Entdeckungen sind ein weiterer Beweis für die Richtigkeit der Lehrsätze Freuds... Ich spreche Dr. Rosen meine Hochachtung dafür aus, daß er als Psychiater die Arbeit Freuds in sein Denken einbezogen hat und dieses Denken sehr deutlich mit der Begeisterung eines Pioniers vereinigt. (S. 79)

Federn rät nur an einer einzigen Stelle zur Vorsicht, wenn er sagt: »Ich meine, zunächst wäre es vielleicht zu empfehlen, die Versuche mit dieser Therapie nur ausgebildeten Psychiatern zu überlassen, die zugleich qualifizierte Psychoanalytiker sind.« Das ist eine eigenartige Aussage. Rosen selbst war kein qualifizierter Psychoanalytiker, und Federn wußte das sehr gut. Wäre es nicht eigenartig, die Anwendung einer von einem Nichtpsychoanalytiker entwickelten Methode auf Psychoanalytiker zu beschränken? Das wäre so, als wollte man sagen, die Methoden von Freud könnten nur von Psychiatern angewendet werden, die keine Analytiker sind. Dr. Jules Eisenbud schrieb:5)

Es gibt jedoch eines, was mich an der Arbeit von Dr. Rosen in der Zeit, in der ich den Vorzug gehabt habe, sie zu beobachten, beeindruckt hat, und das ist die Tatsache, daß Dr. Rosen, soweit ich es sehen konnte, gegenüber dem Patienten, gegenüber dem psychotischen Patienten, keine Gefühle der Feindschaft zeigt

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Dann geht er noch näher auf dieses Thema ein:

Ich habe Dr. Rosen mit mehreren Patienten beobachtet, und zuerst war ich erstaunt festzustellen, wie zwanglos er mit ihnen umging und die hervorragende Anweisung von Frieda Fromm-Reichmann einfach über Bord warf. Ich habe sehr aufmerksam zugesehen und sagte mir, daß ich einen Patienten niemals auf so zwanglose Weise behandeln könnte. Aber ich bemerkte eines: Soweit ich sehen konnte, fürchtet sich Rosen nicht davor, das zu tun, weil er gegenüber dem Patienten keinerlei Feindschaft empfindet. (S. 85)

Dr. Hyman Spotnitz sagt am Ende seiner Besprechung: »Ich möchte Dr. Rosen zu seinem Mut und zu seinen tiefen Einsichten auf diesem Gebiet beglückwünschen. Ich glaube, es erfordert viel Mut, Hingabe und Aufrichtigkeit, diese Art Arbeit zu leisten« (S. 91). Die Kollegen von Rosen hatten, wie man sieht, keine Hemmungen, zu behaupten, er habe einen wesentlichen Beitrag zur Psychotherapie geleistet. So schrieb der angesehene Psychoanalytiker Leon Stone in einer Besprechung über Rosens Buch Direct Analysis: »Im Lauf der Zeit hatte Rosen die Gelegenheit, seine Arbeit vor gelehrten Gesellschaften und dem Personal abgelegener Kliniken zu demonstrieren und zu erläutern. Viele haben diese Arbeit positiv gewürdigt, und einige sind seiner Methode gefolgt. Bekannt ist sie sicherlich allen seinen Kollegen.«6 

In dieser Besprechung bezeichnet Stone die Krankengeschichten Rosens als »bewegend« und seine Bemühungen um die Heilung der Patienen als geradezu »heroisch«. Er spricht von seinem »Mut«, seiner »leidenschaftlichen Hingabe« und seinem »intuitiven Einfallsreichtum«. Stone setzte als selbstverständlich voraus, daß Rosens Patienten so krank waren, daß sie sich in einem »verzweifelten« Zustand befanden. Das geschieht so häufig (um zu entschuldigen, was andernfalls als ein barbarisches Verfahren angesehen werden müßte), daß man sich fragte, woher diese Leute das wissen können. Die Menschen hatten Rosen mit Sicherheit geglaubt, er liebe seine Patienten. Und sobald man das glaubt, werden alle Hinweise darauf, daß hier irgend etwas nicht stimmen könnte, mit großer Nachsicht beiseitegeschoben. Vieles von dem, was Rosen schreibt, ist ganz einfach sinnlos. 


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Stone erklärt, daß seine geradezu wilden Deutungen »für den geplagten psychotischen Patienten mehr bedeuten können als präzise Deutungen oder - in einigen Fällen - als die Frage, ob diese Deutungen wirklich etwas mit seinem Grundkonflikt zu tun haben oder nicht«. Diese gefährliche Haltung ist, wie Stone meint, akzeptabel, weil Rosen »die seltene Fähigkeit besitzt, aus ganzem Herzen mit dem Patienten zu fühlen, seinen Standpunkt gegenüber seiner Umwelt zu verstehen, während er seine <Wahnideen> bekämpft (wobei ihm jedes Mittel recht ist). Darüber hinaus besteht ein rückhaltloses, ungehindertes Eingehen auf den Patienten, furchtlos, überschwenglich, liebevoll, autoritär, zeitweilig kämpferisch und strafend, aber immer stark und positiv«. Das heißt, daß niemand Rosen spontan hassen konnte oder, was noch schlimmer ist, daß Rosen einen Patienten nicht spontan hassen konnte. Es wird so getan, als existierten diese Gefühle im Bereich der Psychotherapie überhaupt nicht. Und Stone hatte sein Ansehen der Tatsache zu verdanken, daß er die Gefahren des Mißbrauchs der Übertragung in der Psychotherapie aufdeckte!

In all seinen Artikeln (sie sind in seinem Buch Direct Analysis enthalten) bringt Rosen Beispiele, die jedermann beunruhigt haben sollten, sogar jeden Psychiater. Daß dies nicht geschah, ist ein deutlicher Beweis dafür, daß John Rosen auf dem Gebiet der Psychiatrie keine einmalige Erscheinung war.

Seine Grundthese ist, daß der Patient sich in eine Psychose geflüchtet hat, um den Schmerz zu übertönen, den er empfindet, weil er nicht geliebt wird. Nun muß der Therapeut »Verschlagenheit, Betrug, Scharfsinn und Verlockung« einsetzen, die in seinem eigenen Unbewußten verborgen sind, um die Geheimnisse des Patienten hervorzulocken. Mit anderen Worten, der Therapeut überläßt sich unbewußten, primitiven Instinkten, um besser an den Patienten heranzukommen. Man kann sich unschwer vorstellen, daß eine solche Haltung dazu führt, jede nur denkbare Verhaltensweise des Therapeuten zu rechtfertigen. So häßlich oder gewalttätig sein Vorgehen dem Betrachter auch erscheinen mag, der Therapeut kann stets behaupten, was er tue, sei lediglich eine Strategie. Und da Rosen voraussetzt, daß jeder Therapeut ein »liebevoller Beschützer« (S. 19) ist, werden diese Maßnahmen logischerweise nur zum Besten des Patienten getroffen.

In dem Kapitel über Ferenczi haben wir gesehen, mit welcher Sorge er die Neigung betrachtete, den Patienten in der Therapie zu täuschen, zu verführen und in die Rolle des Kindes zu drängen, weil das zu Mißhandlungen und sogar zu Folterungen führen kann.


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Nun ist nicht nur der Therapeut herzensgut, sondern jeder, der mit ihm zusammenarbeitet, hat diese Eigenschaften:

Eine Patientin glaubte, ihr Vater sei in der Hauptstadt des Staates zum Tode verurteilt worden. Ich arrangierte ein Zusammentreffen der Familie und legte ihr eine gefälschte Begnadigung des Gouverneurs vor. Die Nachricht wurde entsprechend gefeiert. Die Patientin war wie benommen und beteiligte sich schweigend an der Feier. Anschließend verlor sie den Appetit und verweigerte längere Zeit das Essen, bis sie 40 Pfund an Gewicht verloren hatte. Man darf annehmen, daß sie die Aussicht auf Rückkehr des Vaters an die Möglichkeit eines Inzests denken ließ, der die Mutter erzürnen und ihr entfremden könnte. Deshalb glaubte sie, die Mutter könnte sie mit vergifteter Milch bestrafen. (S. 22)

Dieses ganze Szenarium ist erschütternd. Wir sehen hier, daß Rosen von seiner Allmacht überzeugt, glaubt, er könne sich alles erlauben: die idiotischen Deutungen, und daß er die Patientin nur deshalb in Gefahr bringt, weil er seine ausgefallenen Methoden anwenden will.

Rosen wird noch deutlicher, wenn es um das Thema Gewalt geht. Er sagt, wenn er bei seinen Patienten die Neigung zur Gewaltanwendung feststellt, sagt er ihnen: »Wenn Sie je wieder Hand an Ihre Mutter, Ihren Vater, Ihren Mann, Ihre Frau, Ihr Kind, Ihren Bruder oder Ihre Schwester legen, werde ich Ihnen Schlimmeres antun, als Sie es jemals diesen Menschen antun wollten.« (S. 26) Und das sind nicht nur leere Drohungen. In einem Aufsatz über Behandlungstechniken schreibt er:

Eine weitere Möglichkeit, den Patienen mit der Realität zu konfrontieren, besteht darin, ihm in dramatischer Weise verständlich zu machen, daß er sich durch Wahnvorstellungen täuschen läßt, und dann auf die Absurdität seines Verhaltens hinzuweisen. Ich habe das mit dem Patienten getan..., der mir endlos wimmernd erklärte, man wolle ihn in kleine Stücke zerschneiden und den Tigern zum Fraß vorwerfen. Schließlich konnte ich das nicht mehr mit anhören, ging mit einem großen Messer in sein Zimmer und sagte: >Na schön, wenn Sie so gerne zerstückelt werden wollen, dann werde ich es tun.< (S. 149)


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Nach wenigen Seiten drückt er sich noch deutlicher aus: »Manchmal, wenn ich den Patienten auf den Boden drücke und ihn festhalte, so daß er nicht mehr aufstehen kann, sage ich: >Ich kann Sie kastrieren. Ich kann Sie töten, ich kann Sie auffressen. Ich kann mit Ihnen machen, was ich will, aber ich werde es nicht tun.<« (S.151)

Ebenso hemmungslos emotional sind die Dialoge, die Rosen in seinen veröffentlichten Berichten zitiert (wir dürfen annehmen, daß es die Dialoge sind, auf die er besonders stolz ist; den Inhalt der Gespräche, die er nicht veröffentlicht hat, können wir uns nur vorstellen). Sein Prinzip ist es, den Patienten mit Beschimpfungen zu konfrontieren. Das folgende Beispiel ist der Teil eines Dialogs, den er in einem Aufsatz über die Heilungschancen der Schizophrenie veröffentlicht hat:

Patient: Ich bin als Jude geboren.
Rosen: Was kümmert mich das schon?
Patient: Also sind Sie wahrscheinlich der Verrückte.
Rosen: Nein, Sie sind verrückt.
Patient: Ich weiß. Wie wollen Sie mich heilen?
Rosen: Nun, ich bin Psychiater und weiß, wie man heilt.
Patient: Wie tun Sie es?
Rosen: Durch Sprechen.
Patient: Dann sprechen Sie doch.
Rosen: Ich versuche, festzustellen, was Sie verrückt gemacht hat. Ich glaube, es war Ihre Mutter.
Patient: Ich bin schon immer nervös gewesen.
Rosen: Ich weiß. Ich glaube nicht, daß Ihre Mutter Sie gemocht hat.
Patient: Woher wissen Sie das?
Rosen: Ich kenne Ihre Mutter... Warum sind Sie hier?
Patient: Um geheilt zu werden.
Rosen: Was ist los mit Ihnen?
Patient: Nichts. Ich weiß nicht, Ich war nur krank.
Rosen: Was ist das für eine Krankheit? Scheuen Sie sich nicht, es mir zu sagen.
Patient: Ich weiß nicht.
Rosen: Was ist Ihre Krankheit?
Patient: Ich war nervös. Ich war außer mir. Ich weiß nicht.
Rosen: Ich mag keine Lügner.
Patient: Nein, ich lüge nicht. Warum sollte ich Sie belügen? 
Rosen: Weil Sie mir verschweigen wollen, daß Sie verrückt waren. (S. 132)


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Aber Rosen beschränkt sich nicht auf diese emotionale Aggressivität mit Worten. Wie er selbst bereitwillig und stolz zugibt, arbeitet er auch mit Tricks und Täuschung. So schreibt er:

Am 6. November fuhr ich mit meiner Methode, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, fort und machte Mary auf die Tatsache aufmerksam, daß ihre Mutter sie in den drei Wochen, in denen sie in der Klinik war, kein einziges Mal besucht hatte. Die Patientin fiel sofort in Ohnmacht. Um fair zu sein, sollte ich sagen, daß die Mutter auf meine Anweisung nicht gekommen war. Das ist vielleicht ein grausames Verfahren, aber nicht so grausam wie die Schizophrenie. Meine Absicht war es, die Aufmerksamkeit der Patientin auf den krankhaften Liebesmangel zu lenken, und sie sollte sich nicht durch die liebevolle Haltung ihrer Mutter verwirren lassen. (S. 134)

Mit dieser ungewöhnlichen Aussage behauptet Rosen, er habe gewußt, die Mutter glaube vielleicht, sie liebe ihre Tochter, täte es in Wirklichkeit aber gar nicht, und nur Rosen habe Zugang zu ihrem Unbewußten und wisse es daher. Deshalb hätte es die Patientin nur verwirrt, wenn ihre Mutter erschienen und damit gezeigt hätte, daß sie sie liebte, während Rosen wußte, daß dies nicht der Fall war. So veranlaßte Rosen die Mutter, ihre Tochter nicht zu besuchen und redete der Tochter ein, die Tatsache, daß ihre Mutter nicht gekommen sei, bewiese seine Behauptung, daß sie die Tochter nicht liebe.

Dies ist kein Einzelfall. Er ist typisch für die von Rosen veröffentlichten Krankengeschichten. Es folgt ein zweites Beispiel aus einem Artikel mit der Überschrift »Die Überlebensfunktion der Schizophrenie« der im Bulletin of the Menninger Clinic 14,1950, S. 81-91, abgedruckt worden ist.


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Am ersten Behandlungstag verlangte ich zum ersten Mal, daß Joan mit mir im Behandlungszimmer blieb. Sie tat es, aber als ich sie aufforderte, sich auf die Couch zu legen, tat sie so, als habe sie nichts gehört. Sie ging fröhlich im Zimmer umher und sah sich meine Bücher und die Möbel an. Dann bemerkte sie eine Zigarette, die auf dem Tisch lag, und nahm sie. Als ich sehr streng sagte, »lassen Sie die Zigarette los«, warf sie sie auf den Boden und lief zur Tür. Ich packte sie, zog sie ins Zimmer und warf sie auf die Couch. Während ich ihre Handgelenke festhielt, versuchte Joan sich zu befreien, stieß mit den Füßen nach mir und kämpfte verzweifelt. Ihr ganzes Verhalten deutete darauf hin, daß sie in ihrer Phantasie starke sexuelle Erlebnisse hatte. Das Ringen dauerte etwa eine halbe Stunde, und ich enthielt mich jeder Deutung, bis sie sich vollkommen erschöpft beruhigte.

Rosen berichtet, er habe ihr dann gesagt: »Kommen Sie, genug gefickt.« Er erklärt: »Ich sagte <genug gefickt>, denn das ist eine Deutung aus dem Genitalbereich, und nicht <genug auf und ab> — in der Hoffnung, die Patientin zu schockieren und zu vernünftigerem Nachdenken zu bewegen« (S. 86). Dann erlaubte er der Patienten, an seinem Daumen zu lutschen:

Rosen: Sie können ihn so lange behalten wie Sie wollen. Es ist schon gut, es ist schon gut. Macht es Ihnen Spaß?
Patientin: Ja.
Rosen: Ist es sehr erregend?
Patientin: Ja. Ja. Schwer. Schwer. Schwer. Schwer...
Rosen: Ich bin jetzt Ihre Mutter und werde Ihnen erlauben zu tun, was Sie wollen.

 

Nach einer Reihe der ausgefallensten Deutungen sagt ihr Rosen schließlich: »Sie können sicher sein, daß Sie in einem Kampf zwischen uns nicht gewinnen können. Ich werde gewinnen... Ich bin der Stärkere und werde Sie vor allem Schaden bewahren, weil ich Sie liebe.«

In der alptraumhaften Welt, in die Rosen seine Patienten stürzte, beherrschte er diese Menschen vollkommen. Man hat den Eindruck, daß er sich wie ein gefährlicher und gewalttätiger Guru verhielt, der die Kontrolle über sich selbst verloren hatte, nicht aber über die Personen, mit denen er umging.

Rosens Schriften sagen auch viel über seine Einstellung zu Frauen aus, und obwohl sie in den fünfziger Jahren verfaßt worden sind, zeigen sie selbst dafür ausgesprochen starke Vorurteile:


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Unsere psychoanalytischen Praktiken, die aufgrund von Erfahrungen mit psychotischen und neurotischen Patienten entwickelt wurden, helfen uns zu verstehen, warum Frauen Männerkleidung tragen, sich im Geschäftsleben um leitende Positionen bemühen, ungern für ihre Kinder sorgen und statt dessen Kinder­mädchen als Ersatzmütter anstellen. (S. 101)

Der Abscheu, den ich bei der Lektüre der Werke von Rosen empfand, wurde offensichtlich nicht von den führenden Persönlichkeiten unter seinen Kollegen geteilt. O. Spurgeon English schreibt in einem Artikel mit der Überschrift »Klinische Beobachtungen bei der direkten Analyse«7: »Im Juni 1956 wurde das Institut für direkte Analyse im Department für Psychiatrie am Temple University Medical Center eingerichtet. Dieses Projekt wurde während der ersten drei Jahre seines Bestehens vom Rockefeller Brothers Fund betreut und finanziert. Die dort zu behandelnden Fälle wurden von einem aus drei Personen, zwei Psychiatern und einem Psychologen, bestehenden Ausschuß ausgewählt.«

Die Psychiater waren Kenneth Appel, Professor und Chef des Department für Psychiatrie an der University of Pennsylvania School of Medicine, und Robert Bookhammer, leitender Direktor des Philadelphia Psychoanalytic Institute. Der Psychologe war Erving Lorge, Professor für Erziehungswissenschaft an der Columbia University. Drei Jahre später wurde Rosen als Dozent an der medizinischen Fakultät der Temple University eingestellt. Mit anderen Worten, John Rosen genoß die Unterstützung einflußreicher Mitglieder seines Berufsstands, wie von Universitäts- und Finanzkreisen. Man betrachtete ihn keineswegs als Außenseiter, der von seinen konservativen Kollegen abgelehnt wurde. Spurgeon, der viele Jahre Vorsitzender des Department für Psychiatrie an der Temple University School of Medicine war, lobt Rosen und seine neuen Behandlungsmethoden in dem von ihm verfaßten und an vielen Universitäten benutzten Lehrbuch Introduction to Psychiatry.8

Einige Psychiater kritisierten zwar nicht, was Rosen tat, waren jedoch skeptisch im Hinblick auf die Heilungs­erfolge seiner Behandlungsmethoden. In einer Reihe von Artikeln wurden die Ergebnisse dieser Behandlung kritisch untersucht, und man stellte fest, daß sie sehr viel weniger positiv waren, als Rosen behauptet hatte. 1958 wurde eine Studie über mit der »direkten Analyse« behandelte Fälle von Schizophrenie von William A. Horwitz und drei anderen Psychiatern veröffentlicht.9)


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Am Schluß dieses Berichts heißt es: »Die Ergebnisse unserer über einen Zeitraum von zehn Jahren angestellten Beobachtungen der 19 Patienten bestätigen nicht die ursprünglich aufgestellte Behauptung der therapeutischen Wirksamkeit der Therapie mit direkter Analyse bei Schizophrenie. Viele Patienten, deren Zustand sich zur Zeit des ersten Berichts gebessert hatte, erlitten anschließend Rückfälle und mußten anderen Therapien unterzogen werden. Welches die Vorteile der Behandlung der Schizophrenie mit der direkten analytischen Therapie auch sein mögen, die Behauptung, daß ein hoher Prozentsatz der Patienten damit geheilt werden kann, bleibt unbewiesen.«

In einem ähnlichen Sinn veröffentlichten fünf andere Psychiater später eine Studie über eine fünf Jahre dauernde klinische Beobachtung von Schizophrenen, die mit Rosens »direkter Analyse« behandelt worden waren, und deren Zustand mit dem von Kontrollpersonen verglichen wurde (Robert S. Bookhammer u.a. American Journal of Psychiatry 123,1966, S. 602-604). Diese Studie schließt mit den Worten: »Diese auswertende Studie zeigt, daß eine Gruppe von Patienten, die mit der Methode der >direkten Analyse< behandelt wurden, keine wesentlich besseren Ergebnisse aufwies als eine zufällig ausgewählte Kontrollgruppe oder eine gezielt ausgewählte Kontrollgruppe.«

Aber keiner der Verfasser dieser Arbeiten hat wirklich kritisiert, daß an Rosens Behandlungsmethode irgend etwas ungewöhnlich, um nicht zu sagen unethisch sei. Sein Ansehen als ein Therapeut mit wirksamen neuen Heilmethoden nahm sogar noch zu. Er behandelte ein Mitglied der Familie Rockefeller, und diese Tatsache, deren Bekanntwerden er natürlich nicht verhinderte, brachte ihm viele andere Patienten aus angesehenen und wohlhabenden Familien. Sein Ansehen wurde zudem gefördert durch die Veröffentlichung des Romans Savage Sleep von Millen Brand im Jahr 1968, der sich ausdrücklich auf die Arbeit von John Rosen beruft und seine Methoden mit der Begeisterung eines überzeugten Jüngers lobt.10 Brand war ein ehemaliger Mitarbeiter. Zwanzig Jahre früher hatte er das Drehbuch für den Film The Snake Pit geschrieben.

Die Behauptung Rosens, daß er seine Patienten liebe, ist offensichtlich kein Beweis dafür, daß er es wirklich getan hat. Sie beweist allerdings auch nicht das Gegenteil. Aber sein Verhalten, das er in seinen Veröffentlichungen selbst schildert, veranlaßt uns doch, diese Behauptungen mit einiger Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen.

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Wichtiger als die Interpretation seiner Lehre ist die kritische Beobachtung von Rosens Tätigkeit. Und das ist offenbar sehr viel mehr, als seine Kollegen bereit waren, vor aller Öffentlichkeit zu tun, denn sie haben sich bisher geweigert, über die Exzesse zu sprechen, die sie beobachtet haben müssen. Sie bleiben damit allerdings auch hinter seinen Patienten aus jener Zeit zurück. Eine seiner Patientinnen, Sally Zinman, ging sogar noch viel weiter.

Sally Zinman wurde 1937 in Philadelphia als Tochter eines angesehenen Bankiers geboren. Sie besuchte das Sarah Lawrence College und bestand an der University of Pennsylvania das Magisterexamen. 1964 wurde sie als Assistentin für das Fach Englisch am Queens College in New York angestellt. Im Alter von 33 Jahren, im Oktober 1970, wachte sie eines Morgens auf und hatte das Gefühl, daß sie persönlich mit ihrer Vergangenheit nichts mehr zu tun habe. Zwar erinnerte sie sich noch an alles, was sie erlebt hatte, glaubte aber nicht mehr, daß es ihre Erlebnisse waren.

Der mit ihrem Vater befreundete Psychiater Dr. Harvey Corman besuchte sie in ihrer Wohnung und stellte sich ihr als Geschäftsfreund ihres Vaters vor, der nur ein unverbindliches Gespräch mit ihr führen wollte. In Wirklichkeit war er jedoch gekommen, um ihren »Geisteszustand« zu untersuchen. Er blieb nur fünf Minuten. Im Januar 1971 erschien ihr Vater in Begleitung einiger Familienmitglieder und von zwei kräftigen Männern, die, wie sich später herausstellte, Mitarbeiter von Dr. Rosen waren. Er forderte sie auf, mitzukommen. Mit einem gecharterten Flugzeug flog er mit ihr nach Boca Raton in Florida und übergab sie Dr. Rosen. Dieser war mit Philip Zinman bekannt, weil sie Mitglieder desselben Clubs waren. Die Therapie, die Sally Zinman erwartete, war alles andere als das, was man sich nach den Artikeln von Rosen vorstellen würde.

Verständlicherweise hatte Sally Zinman von Anfang an ein ungutes Gefühl und fürchtete sich vor Rosen. Trotzdem geschah zunächst nichts besonders Beängstigendes. Sie lebte in einem von ihrem Vater gemieteten Haus zusammen mit zwei »Therapeuten«.11

Dort verbrachte sie ihre Zeit zunächst damit, sich körperlich zu erholen. Niemand sprach mit ihr über ihre wirklichen Probleme. Nur Rosen machte ihr gegenüber ein paar törichte Andeutungen darüber, daß die Muttermilch, die sie eingesogen hätte, sauer gewesen sei, daß sie sich vorstelle, inzestuöse Beziehungen zu ihrem Vater zu haben und ähnliches. Niemand hatte sie vorher gefragt,

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was ihr fehlte, wie ihr Leiden begonnen habe und wie sie sich jetzt fühlte. Zwischen ihr und Rosen entwickelte sich während dieser Zeit keine engere persönliche Beziehung. In Boca Raton lebte auch ihre Mutter, die häufig Ausflüge mit ihrer Tochter unternahm. Sie führte also ein angenehmes, aber recht kostspieliges Leben. Philip Zinman zahlte Rosen 5000 Dollar monatlich für die Behandlung.

Nach einem Monat hatte Sally Zinman das Gefühl, es sei sinnlos, noch länger zu bleiben, und fragte Rosen, ob sie nicht in das Haus ihrer Eltern umziehen und zur Behandlung täglich zu ihm kommen könne. Er erklärte sich einverstanden. So packte sie ihre Sachen und wartete auf Rosen, der vor dem Umzug um 17.00 Uhr noch zu ihr kommen wollte. Aber dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Als Rosen mit einem seiner Helfer, einem ehemaligen Marineinfanteristen, erschien, rissen ihr die beiden Männer ohne ein Wort der Erklärung die Kleider vom Leibe, und sie stand, nur mit einem Slip bekleidet, vor ihnen. Während der Helfer sie festhielt, schlug Rosen ihr ins Gesicht und auf die Brüste. Anschließend fesselten sie das nackte Mädchen ans Bett und ließen sie dort unter strenger Bewachung 24 Stunden liegen. Nach einer Woche gelang es ihr zu fliehen. Sie lief nach Key West, rief ihre Eltern an und sagte ihnen, Rosen habe sie geprügelt und eingesperrt. Die Eltern versprachen ihr, sie würde Rosen nie wieder zu Gesicht bekommen. Sie holten sie ab, und ihr Vater begleitete sie auf einem Flug nach Philadelphia.

Am Flughafen wurden sie mit einem von einem Chauffeur gelenkten Wagen abgeholt, und Sally Zinman, die sich laut schreiend wehrte, wurde nach Rosens Twin Silos Farm in Gardenville, Pennsylvania, gebracht. Im Keller von Rosens Haus wurde sie zwei Nächte lang in einem »Sicherheitsraum« eingesperrt und mußte eine Woche in dem Haus bleiben. Dann lief sie fort, wurde aber mit Hilfe der Polizei wieder zurückgebracht, obwohl es keine gerichtliche Anordnung dafür gab. Nach ihrer Rückkehr wurde sie von Rosen mißhandelt und durch das Zimmer gejagt. Sie blieb zwei Monate und wurde ständig von zwei Personen bewacht, sogar beim Waschen und auf der Toilette. Indessen setzte Rosen seinen Urlaub in Florida fort. Als er schließlich zurückkehrte, begann die »Behandlung« von neuem. Sie bestand darin, daß Rosen ihr erklärte, er werde sie nicht freilassen, bevor sie gesagt habe, ihr Name sei Sally Zinman. Um freizukommen, gab sie schließlich nach. Dann durfte sie gehen.


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Heute erklärt Sally Zinman ihre Zweifel an ihrer Identität auf eine unpsychologische, aber sehr überzeugende Weise. Vor einiger Zeit sagte sie einem Reporter in San Francisco:

Damals haßte ich mich. Ich war eine eitle, materialistische Person und lebte in einer teuren Wohnung mit teuren Möbeln. Ich gefiel mir nicht in dieser Rolle. Aber ich konnte nicht rebellieren, wie andere Menschen es taten, und ich konnte mich nicht anpassen. Was dann geschah, war meine Art, erwachsen zu werden. Es war ein Ausbruch und kein Zusammenbruch. Ich glaube, erst an diesem Tag hat mein Leben wirklich begonnen.12)

Während der folgenden zwei Jahre ließ sich Sally Zinman noch in einigen sehr kurzen (und teuren) Sitzungen »ambulant« von Rosen behandeln. Als sie ihn schließlich bat, die Therapie beenden zu dürfen, ging Rosen zu ihren Eltern und sagte ihnen, Sally werde nicht länger als ein Jahr am Leben bleiben, wenn sie ihm ihre Tochter nicht auch weiterhin anvertrauten. Außerdem beunruhigte er die Eltern mit der Behauptung, sie habe eine Gonorrhö und gäbe ihr ganzes Geld irgendwelchen Schwarzen. Das war zwar gelogen, aber damit bestätigte er die schlimmsten Befürchtungen der Eltern. Die »Therapie« bestand darin, daß er ihr einredete, sie litte unter den verschiedensten »Wahnvorstellungen«. Dabei streichelte er, wenn er mit ihr allein war, ihre Brüste, und einmal faßte er ihr sogar an die Vagina. Auf die Frage, weshalb sie sich trotzdem weiter von Rosen behandeln ließ, erklärte sie: »Ich war so eingeschüchtert, und dann hatte er eine regelrechte Gehirnwäsche mit mir vorgenommen, daß ich das Gefühl hatte, nirgends Hilfe finden zu können. Wo ich auch hinging und mit wem ich auch sprach, alles führte zurück zu Rosen, und dort erwartete mich eine noch strengere Bestrafung als vorher.« 1973 war sie das letzte Mal bei ihm.

In jenem Jahr kaufte sie eine Farm in Florida, wo sie in den folgenden Jahren organisch gedüngtes Gemüse anbaute. Nun fing sie auch an, über die »Theorie« nachzudenken, die sie bei Rosen hatte durchmachen müssen, und kam schließlich zu dem Schluß, daß sie etwas unternehmen müsse. Endlich fühlte sie sich sicher genug vor Rosen, um sich an die Behörden zu wenden. 1977 sprach sie mit der in Delray Beach lebenden Privatdetektivin Virginia Snyder.

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Virginia Snyder, die für ihre journalistische Recherchier-Arbeit ausgezeichnet worden war, ist eine der wenigen weiblichen Privatdetektive in den Vereinigten Staaten und hat sich, seit sie im Alter von 55 Jahren 1976 ein eigenes Büro gründete, mit ihrer Integrität und Intelligenz hohes Ansehen erworben. Sie ist inzwischen so bekannt geworden, daß sich viele zum Tode verurteilte Strafgefangene an sie wenden, die behaupten unschuldig zu sein. Fünfzehn der von ihr betreuten und des Mordes beschuldigten Sträflinge warteten schon auf ihre Hinrichtung. Ihr kommt es nicht in erster Linie auf das Geld an, sondern es geht ihr um die Wahrheit, und diese Verurteilten wußten das.

Zu ihren Klienten gehören auch zahlreiche Unterprivilegierte und Menschen, die glauben, durch die staatlichen Behörden geschädigt worden zu sein, besonders durch die für die Geisteskranken zuständigen Einrichtungen. Sally Zinman hätte niemand finden können, der ihre Interessen besser vertreten würde als sie, und Rosen befand sich nun in keiner beneidenswerten Situation. Frau Snyder war eine Frau, die an die Gerechtigkeit glaubte und es für notwendig hielt, jeder Ungerechtigkeit entgegenzutreten. Sie hörte sich an, was Sally Zinman zu berichten hatte, glaubte ihr und nahm sich ihrer Sache an. Für John Rosen war das der Anfang vom Ende.

Sehr bald stellte Frau Snyder fest, daß Sally Zinman kein Einzelfall war. In dem gleichen Zimmer, in dem sie festgehalten worden war, starb am 13. Juni 1977 ein anderer Patient, ein älterer Mann. Rosen hatte den Totenschein unterschrieben. Ein zur Zeit des Todes dieses Mannes bei Rosen Angestellter gab später vor dem Pennsylvania Department of Public Weifare eine eidesstattliche Erklärung ab, in der er bestätigte, man habe den Mitarbeitern von Rosen mitgeteilt, der Patient sei nach Hause entlasen worden. Erst später sei bekanntgeworden, daß er im Sicherheitsraum gestorben war. Sally Zinman und Frau Snyder sammelten schriftliches Beweismaterial und legten es allen zuständigen Behörden und der Polizei in Florida und Pennsylvania vor. Dann übergaben sie ihren Bericht persönlich dem Staatsanwalt von Palm Beach County, der jedoch nichts unternahm.

Am 18. September 1977 brachte die für Palm Beach bestimmte Ausgabe des Miami Herald einen ausführlichen Artikel von dem Reporter Tim Pallesen mit dem Titel »Dr. Rosen: Praise and Fear in Boca Raton«. In diesem Artikel schrieb Pallesen, daß »fünf ehemalige Mitarbeiter — darunter eine Frau, die gesehen hatte, wie die Patientin (Sally Zinman) nackt ausgezogen und geschlagen wurde — dem Herold von ähnlichen Vorgängen berichtet haben.


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Sie behaupten allerdings, es sei nur selten zu solchen Vorfällen gekommen.« In dem Artikel wird ausführlich über den Fall Sally Zinman berichtet. Der Reporter hatte auch mit der ehemaligen Mitarbeiterin von Rosen, Jane Purtzer, gesprochen, die für Frau Zinman verantwortlich gewesen war. Sie bestätigte, daß »Rosen Frau Zinman bis auf den Slip ausgezogen und dann mit den Fäusten auf ihr Gesicht und ihre Brüste eingeschlagen hatte«. Der Artikel berichtet auch von anderen Patienten wie der 44jährigen Julia Blythe, die 16 Jahre von Rosen »versorgt« wurde, und 1975 an die Polizei von Boca Raton schrieb, Rosen habe sie »entführt«. Zwei ehemalige Mitarbeiter und ein ehemaliger Patient sagten, Rosen habe sie geschlagen, »weil sie sich mit eingebildeten Stimmen unterhielt«. (Wie wir oben gesehen haben, entspricht das durchaus der üblichen Haltung von Rosen.) Noch im gleichen Jahr, am 6. Dezember, wurden Teile dieses Berichts vom Philadelphia Inquirer bestätigt, der eine eidesstattliche Erklärung zitierte, die am Tage zuvor von Merry Humose bei der Wohlfahrtsbehörde abgegeben worden war. In dem Artikel heißt es:

Während sie auf Rosens Farm als Hilfstherapeutin angestellt war, hat sie zweimal gesehen, wie er Patienten schlug. Sie erklärte, Rosen habe seinen Mitarbeitern gesagt, >daß man die besten Ergebnisse erzielt, wenn man die Patienten das Fürchten lehrt<. Aus der Wohlfahrtsbehörde ist zu erfahren, daßMiss Humose den Untersuchungsbeamten sagte, sie habe Rosen um eine Behandlung gebeten, habe aber das hohe Honorar nicht bezahlen können. Deshalb habe er ihr angeboten, sie als Hilfstherapeutin anzustellen. Sie gab die Stelle nach etwa vier Monaten wieder auf, weil >ich mir unter anderem auch Sorgen um die Umstände des Todes von Ted machte<. Sie sagte, Ted sei ein Patient gewesen, der in einem Sicherheitsraum im Keller eines der Häuser auf der Twin Silos Farm eingesperrt worden war, in dem es nicht einmal eine Toilette gab. Sie sagte, Rosen habe seinen Mitarbeitern mitgeteilt, Ted sei nach Hause entlassen worden, aber später hätten sie erfahren, daß er im Sicherheitsraum gestorben war.


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Rosen beantwortete diese Anschuldigungen mit einer Beleidigungsklage gegen den Herald, den Reporter Tim Pallesen, der die Berichte geschrieben hatte, und den Philadelphia Inquirer. Die vorhandenen Akten, die heute bei den zuständigen Behörden liegen, sind wertvolle Informationsquellen über Rosen, denn er hatte unter Eid eine eigene Darstellung der Vorgänge abgegeben.13)

Rosen erklärte, er habe oft für eine Stunde nur einen Dollar verlangt, aber »bei X und Y monatlich 10.000 Dollar gefordert. Und Mr. John D. Rockefeller III., der unser Bevollmächtigter und der Bevollmächtigte von Mrs. X war, sagte, als ich ihm die Jahresrechnung über 120.000 Dollar schickte, er würde nichts dagegen haben, wenn ich noch eine Null daranhängte« (S. 162).

Folgendes sagte Rosen zum Tod eines seiner Patienten:

Frage: Hatten Sie einen Patienten namens Ted Schwartz? 
Antwort: Ja, ich hatte einen Patienten mit den Namen Ted Schwartz.
Frage: Wie lange war Mr. Schwartz Ihr Patient? 
Antwort: Mehrere Jahre. 
Frage: Ist Mr. Schwartz dann gestorben? 
Antwort: Er starb...
Frage: Haben Sie Mr. Schwartz jemals geschlagen? 
Antwort: Wenn er nicht essen wollte. Ich habe ihn nicht geschlagen. Ich habe gedroht, ihn zu schlagen, und ich sagte, »Sie müssen essen«, weil er an Gewicht verlor. Und er hat es dann auch getan. Und ich sagte ihm, er sollte essen, er sei ungezogen, er sei ein ungezogener Junge, und ich würde ihn schlagen, wenn er nicht äße. Dann aß er oder versuchte zu essen. (S. 121)

Ein Beispiel für das tiefe Verständnis von Rosen (von Sympathie gar nicht zu reden) für seine Patientin Sally Zinman zeigt sich auf Seite 98 dieser Akte, wo er eine Erklärung über die Ursache ihrer »Psychose« abgibt:

Von Anfang an hat ihre Mutter sie als das mißratene Kind, das häßliche Entlein abgelehnt, und sie hatte große Schwierigkeiten in der Schule wegen ihrer Schwester, von der ihre Mutter sagte, sie sei schön, und sie war auch schön, aber Sally ist sehr häßlich. Ich weiß nicht, ob Sie sie je gesehen haben. Und sie konnte nie—ich meine, es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie jemanden gefunden hätte, der sie heiraten wollte, denn sie ist so häßlich.


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Diese absurde Behauptung ist so beleidigend und verletzend, daß sie jeder Beschreibung spottet. Auf der folgenden Seite erklärt Rosen im Sinne der Theorien von Freud, daß Sally Zinman »blutschänderische Phantasien« in bezug auf ihren Vater gehabt habe. Sally Zinman sagte mir, das sei einfach gelogen, ebenso wie die Behauptung, sie habe geglaubt, Geschlechtsverkehr mit ihrem Vater gehabt zu haben. Es sei ganz einfach nicht wahr. Rosen hatte ausgesagt:

So daß ihre Zuneigung zu ihrem Vater und das Bedürfnis von ihrem Vater geliebt zu werden, weil die Mutter ihr diese Liebe nicht gab, nach meiner Auffassung die Ursache für ihre inzestuösen Phantasien über ihren Vater war. Und ich fragte Phil einmal, hast du ihr je erlaubt, in dein Schlafzimmer zu kommen oder irgend etwas mit Sally zu machen? Durchaus nicht.

Aber sie glaubte, sie habe sexuelle Beziehungen zu ihrem Vater gehabt.

Das von Rosen als anstößig bezeichnete Verhalten von Sally Zinman wird auf Seite 85 der Akte geschildert, wo er erklärt, daß sie in Italien als Anhalterin in fremden Autos mitgefahren sei:

Frage: Glaubten Sie, daß sie aufgrund der Tatsache, daß sie sich als Anhalterin mitnehmen ließ, beaufsichtigt werden müsse? Antwort: ]a. Und besonders weil sie von Schwarzen mitgenommen werden wollte, und außerdem hatte sie beschlossen, ein schwarzes Baby zu haben, das sie, wie Sie wissen, auch hat. Wenn Sie es nicht wissen sollten, dann sage ich es Ihnen. Und ich halte das für ein abnormes Verhalten. Ein jüdisches Mädchen wird normal erweise keinen Wert darauf legen, mit einem Schwarzen eine Verabredung zu haben; normalerweise.

In Wirklichkeit hat Sally Zinman als unverheiratete Frau ein schwarzes Kind adoptiert. Rosen erlaubt sich hier, eigene Maßstäbe für korrektes Verhalten zu setzen, und alles, was von dem abweicht, was Rosen für normal hält, ist »pathologisch«. 


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Sally Zinman ist einmal vergewaltigt worden, aber John Rosen sieht die Sache, wie sich denken läßt, ganz anders:

Sie hatte eine besondere Vorliebe für Schwarze. Sie hat sogar einen Schwarzen verführt und dann behauptet, er habe sie vergewaltigt. Er hat ihr den Arm gebrochen und sie grausam verprügelt. Und als das geschehen war, bat sie mich und meine Frau, in das Haus zu kommen, das sie gemietet hatte. Ich brachte sie mit einem Kriminalbeamten in das Bethesda Hospital. Dort wurde sie von einem Arzt untersucht, der feststellte, daß sie Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Ich weiß allerdings nicht, ob sie vergewaltigt wurde oder nicht. Doch anschließend hat sie alles geleugnet. Als es herauskam und sie anfing, vernünftiger zu reden, glaubte sie, sie habe Geschlechtsverkehr mit ihrem eigenen Vater gehabt. Und das, glaube ich, stand hinter dem Leugnen: Er ist mein Vater, und wegen der Verabscheuungswürdigkeit des Inzests hat sie auch ein schwarzes Baby adoptiert. (S. 67)

Über ihr Einverständnis mit einer Behandlung durch Rosen sagt er aus:

Frage: Glaubten Sie, daß Sally Zinman einverstanden damit war, von Ihnen behandelt zu werden? Antwort: Sie wußte nichts über die Behandlung. Ich war eine Art Schurke wie wir alle. Und sie wurde entführt, gefangengehalten oder so ähnlich.^ Und sie wußte nicht, daß sie geisteskrank war.

Hielt Rosen es für richtig, sexuelle Beziehungen zu seinen Patienten zu haben? In seinen Aussagen erklärt er, er habe es nicht für richtig gehalten. Aber er behauptete, seine Patienten hätten oft den Wunsch gehabt, sexuelle Beziehungen mit ihm aufzunehmen. Er habe ihnen dann folgendes gesagt: »Dann sagte ich vielleicht, wenn es möglich sein sollte, daß Sie geheilt werden, und wenn Sie geheilt sind und dann noch wünschen, sexuelle Beziehungen mit mir zu haben, werden wir noch einmal darüber reden» (S. 64). Das ist eine erstaunliche Art, sich zu rechtfertigen.

Aufgrund der Anzeige von Sally Zinman und der Ermittlungsergebnisse der Privatdetektivin Virginia Snyder begann das State Board of Medical Education and Licensure 1977, die gegen Rosen erhobenen Vorwürfe zu untersuchen. Doch zwei Jahre lang geschah nichts. Dann kam es zu einer dramatischen Entwicklung.


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Die 31jährige Künstlerin Claudia Ehrman aus New York City war eine von Rosens Patientinnen. Er beauftragte zwei seiner Therapeuten mit ihrer Behandlung, die ebenfalls 31jährige Karmen »Jay« Patete und den 22jährigen Robin Samuels. Claudia Ehrman weigerte sich, mit ihnen zu sprechen. Am 26. Dezember 1979 wurde sie in ihrem Zimmer in einer von Rosen geleiteten Anstalt tot aufgefunden. In dem Bericht des Leichenbeschauers (Office of the District Medical Examiner, Broward County, Florida) heißt es, daß bei der »Autopsie mehrere (frische und kürzlich erlittene) Prellungen auf der Brust, auf dem Bauch, an den Extremitäten und am Kopf festgestellt wurden. Im Inneren war die Leber außerordentlich stark verletzt, und es zeigten sich starke Blutungen in der Bauchhöhlenwand und ein retroperitoneales Hämatom«.

Die »zusammenfassende Darstellung der Todesumstände« im offiziellen Autopsiebericht sagt, daß zwei Zeugen, die beide ebenfalls Patientinnen waren, Julia Kester Blythe und Diane Lamberger, »aussagten, die Verstorbene sei vorher am gleichen Tag von drei Aufsichtspersonen niedergehalten worden (ein übliches Verfahren, wenn Patienten für irgend etwas bestraft wurden). Später an diesem Tag wurde sie in ihrem Kleid in das Schwimmbecken geworfen..., und als sie das letzte Mal herauskam, fiel es ihr schwer zu atmen«. 

Dr. Shashi Gore, der die medizinische Untersuchung vorgenommen und den Autopsiebericht unterschrieben hatte, erklärte, sie sei an den Leberverletzungen gestorben, »die durch Einwirkung mit einem dumpfen Gegenstand gegen die Bauchwand verursacht wurden«. Die Untersuchungsbeamten sagten, Samuels habe Frau Ehrmans Füße festgehalten, während Patete auf die obere Bauchwand und den unteren Brustbereich entweder eingeschlagen oder darauf gekniet habe. Die »Therapie« war ein Versuch, die Patientin zum Sprechen zu zwingen. Außerdem ergab die Autopsie, daß sie in den zehn Stunden vor ihrem Tod mehrmals auf den Kopf und etwa zehnmal auf den unteren Brustbereich und die Magenwand geschlagen worden war.

Robin Samuels legte keinen Einspruch gegen die Anklage wegen Mißhandlung ein und erhielt ein Jahr Haft mit Bewährung. In einer Vernehmung des Richters Mel Grossman vom Broward Circuit Court sagte sie über das, was sie gesehen hatte, folgendes aus:

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Ich sah Claudia auf dem Boden liegen, und ich sah, wie Jay (Patete) ihre Handgelenke festhielt... und versuchte, sie aus ihrem Wahn aufzuwecken. Sein rechtes Knie war auf ihrem Magen. Er sagte, er knie auf ihrem Zwerchfell und könne ihr deshalb nicht weh tun. Ich kann nicht genau sagen, wie sie reagierte, sie lag nur so da.

Patete bekannte sich der fahrlässigen Tötung schuldig und bekam acht Jahre Gefängnis mit Bewährung. Ehrmans Eltern verklagten John Rosen auf Schadenersatz. Der Anspruch wurde nach einem Bericht vom 3. September 1981 im Miami Herald außergerichtlich geregelt. Rosens Versicherung zahlte 100.000 Dollar. Rosen meinte dazu: »Es kostet mich keinen Pfennig.«

Die Polizei wollte die beiden anderen Patienten, die in dem Haus am Light House Point festgehalten wurden, wo Claudia Ehrman getötet worden war, nach Hause entlassen, aber als sie mit deren Eltern Verbindung aufnahm, sagten diese, sie hätten volles Vertrauen zu John Rosen und wünschten, daß ihre Kinder bei ihm in Behandlung blieben!

Dann reichte Janet Katkow am 24. Juli 1981 beim Court of Common Pleas in Bucks County, Pennsylvania, eine Klage gegen John Rosen ein. Janet Katkow war seit 1970, als sie 24 Jahre alt war, bis 1979 in Rosens »Behandlung« gewesen. Die Klageschrift, die sich heute in den Gerichtsakten befindet, ist eine erschütternde Lektüre. Einige Menschen, denen ich dieses Schriftstück gezeigt habe, meinten, es sei fast unerträglich, diesen Bericht zu lesen. Er muß, glaube ich, gelesen werden, weil es sich hier keineswegs um einen Einzelfall handelt. Ich zögere zu behaupten, daß es ein typischer Fall war, aber außergewöhnlich ist er gewiß nicht.

Janet Katkow wurde von ihren Eltern zu Rosen gebracht. Schon beim ersten Gespräch fragte er sie in Gegenwart ihrer Eltern, ob sie schon ihre ersten sexuellen Erfahrungen gemacht habe. Sie beantwortete diese Frage nicht. Als sie sagte, sie wolle in die Berge von Colorado nach Hause zurückkehren, gab Rosen unvermittelt eine »tiefenpsychologische Deutung« und behauptete, sie liebe diese »schneebedeckten Gipfel«, weil sie sie an »eine mit Muttermilch gefüllte Brust« erinnerten. »Der Beschuldigte sagte dann der Mutter der Klägerin, er habe etwas Besseres, an dem die Klägerin saugen könne, und faßte sich dabei mit der Hand an die Leistengegend.«


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Janet wurde Rosen zur Behandlung übergeben. Während der folgenden Tage erklärte er ihr, ihre Mutter habe Brüste wie Stein ohne Milch, deshalb habe sie ihre »orale Entwicklungsphase« niemals ausleben können. Das heißt, sie habe ihr Bedürfnis zu saugen nie befriedigt. »Dann legte er sich hin, zog Hosen und Unterhosen aus und befahl der Klägerin, an seinem Penis zu saugen... Dabei philosophierte er weiter: >Das ist es, worum es hier geht; wenn es saugt, ist das Baby zufrieden.<« Während der folgenden sieben Jahre erlebte sie buchstäblich Hunderte solcher »Therapiesitzungen«, nach denen sie regelmäßig erbrechen mußte. Seine Erklärung war, daß sie die schlechte Milch ihrer Mutter erbrach.

Im Lauf der Zeit ging die Therapie auch in andere Phasen über, zum Beispiel in die anale. »Der Beschuldigte sagte der Klägerin, um geheilt zu werden, müsse sie seinen After lecken und dabei möglichst viel Faeces essen, was sie auch tat.« Dann erklärte er ihr, sie müsse sich im »dreifachen Sex« üben oder »er werde ihr die Zähne ausschlagen«. Er zwang sie zum Oralverkehr mit einer anderen Frau und drohte ihr, wenn sie es nicht täte, werde er sie »schlagen, bis die Scheiße herauskommt«.

Dann beteiligte Rosen einen Bundesrichter an dieser Therapie.

Etwa im Juni 1973 stellte der Beklagte die Klägerin einem Bundesrichter vor, der ebenfalls sein Patient war. Der Beklagte sagte der Klägerin, der Richter litte an sexueller Impotenz, und der Beklagte habe einen therapeutischen Plan, bei dem die Klägerin mitarbeiten müsse, da sie dem Richter helfen könne, sein Problem zu lösen.

Auf Verlangen von Rosen und unter Androhung von körperlicher Gewalt hatte sie mehrmals Geschlechtsverkehr mit dem Richter.

1974 entkam sie nach Colorado und versuchte, sich mit einer Überdosis von Barbituraten das Leben zu nehmen. In Colorado wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, wo sie den Ärzten erzählte, was sie bei Rosen erlebt hatte und wie sehr sie sich fürchtete, dorthin zurückgeschickt zu werden. Am 14. Juni 1974 wurde sie gegen ihren Willen an Rosen ausgeliefert (weder sie noch irgendein anderer Patient von Rosen befand sich auf richterliche Anordnung in Rosens Behandlung). »Nach ihrer Rückkehr sagte der Beklagte der Klägerin, sie sei die niederträchtigste und undankbarste Person, die er jemals kennengelernt habe. Der Beklagte behauptete außerdem, >Ihr Inneres ist verfault<, sie sei >ein hoffnungsloser Falk Er sagte ihr auch, sie solle sich umbringen.«


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Nach einem fünf Jahre dauernden Untersuchungsverfahren war das State Board of Medical Education endlich bereit, John Rosen wegen 67 Verstößen gegen die in Pennsylvania für die Ausübung einer medizinischen Praxis geltenden gesetzlichen Bestimmungen und 35 Verstößen gegen die von der Ärztekammer erlassenen Vorschriften unter Anklage zu stellen.15)

Die Anklageschrift beginnt mit dem Fall Sally Zinman. Dann geht es weiter mit dem Fall Janet Katkow und anderen, zum Beispiel (Anklagepunkte 13 bis 20) dem Fall Julia Blythe, die von 1963 bis 1979 als Patientin von Rosen behandelt wurde. Sie behauptete, von Rosen und seinen Mitarbeitern als Gefangene eingesperrt worden zu sein (»sie ist zu keiner Zeit offiziell als unzurechnungsfähig eingestuft worden und dem Beschuldigten auch nicht auf richterliche Anordnung zur Behandlung übergeben worden«). Sie wurde während dieser Zeit körperlich mißhandelt, und »im Verlauf der besagten psychiatrischen Behandlung hat der Beschuldigte Julia Blythe sexuell insofern mißbraucht, als er Julia Blythe zwang und/oder aufforderte, häufig und mehrmals mit dem Beschuldigten und anderen Personen Geschlechtsverkehr aufzunehmen, und zwar sowohl heterosexueller als auch homosexueller Art« (S. 3). Drei andere Patientinnen erhoben ähnliche Beschuldigungen. In einem Fall (35-42) handelte es sich um einen 14jährigen Jungen:

Im Verlauf der oben erwähnten Beziehung zwischen dem Arzt und dem Patienten zwang der Beschuldigte während einer Behandlungssitzung den Kopf des X auf seinen Schoß und forderte ihn auf und/oder befahl dem X, an dem Beschuldigten den Oralverkehr zu praktizieren. Im Verlauf der oben erwähnten Beziehung zwischen Arzt und Patient warf der Beschuldigte dem X vor, homosexuell zu sein, und zwang ihn anschließend, dies auch seiner Mutter zu sagen. Im Verlauf der oben erwähnten Arzt- und Patientbeziehung befahl der Beschuldigte dem X, homosexuelle Beziehungen zu einem lOjährigen männlichen Patienten aufzunehmen.


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Mehrere Patienten beklagten sich darüber, daß sie im gleichen »Sicherheitsraum« eingesperrt worden waren wie Sally Zinman und beschrieben die Umstände dort genauso, wie es Sally Zinman getan hatte. Auch der Tod von Claudia Ehrman wird in der Akte erwähnt. Rosen wurde von der Behörde beschuldigt, »moralisch verwerfliche Handlungen begangen zu haben. Dazu gehörten Unehrlichkeit und Korruption sowie medizinische Kunstfehler, die Ausübung der Medizin aufgrund gefälschter Zulassungen, die Überschreitung der Grenzen ihm gegebener Vollmachten, und zwar aus Unvermögen oder Nachlässigkeit« (S. 13). Das Dokument schließt mit der folgenden Erklärung:

Die hier unter den Nrn. l bis 180 angeführten Untersuchungsergebnisse beweisen, daß der Beschuldigte unfähig ist, Patienten sachgemäß und sicher medizinisch zu behandeln, die an irgendwelchen Krankheiten, Trunksucht, übermäßigem Genuß von Drogen, Narkotika, Chemikalien oder anderen Stoffen leiden oder aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Verfassung einer Behandlung bedürfen. Eine solche Behandlung stellt einen Verstoß gegen das Gesetz über die Ausübung einer medizinischen Praxis vom 20. Juli 1974 dar. Sie werden daher an diesem 19. Oktober 1982 aufgefordert, sich zu den oben angeführten Punkten zu äußern und vordem Untersuchungsrichter Gene D. Kohen zu einer von ihm zu bestimmenden Zeit und an einem von ihm bestimmten Ort zu erscheinen und zu begründen, warum ihre Erlaubnis, im Commonwealth von Pennsylvania Medizin und Chirurgie zu praktizieren, nicht zeitweilig außer Kraft gesetzt oder zurückzuziehen ist. (S. 37)

Man teilte Rosen mit, daß er Zeugen gegenübergestellt werden und sie ins Kreuzverhör nehmen könne oder ihre Vorführung unter Strafandrohung verlangen dürfe. Diese gerichtliche Anordnung war von dem Vorsitzenden des State Board of Medical Education and Licensure, Dr. Richard C. Lyon unterzeichnet. Der zuständige Staatsanwalt war Walter H. Killian.

 

Die Zeitung Palm Beach Post vom 20. März 1983 meldete, daß John Rosen am Tag zuvor seine ärztliche Zulassung den Behörden in Harrisburg, Pennsylvania, zurückgegeben habe, um nicht vor Gericht gestellt zu werden.


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Er bekannte sich in drei Punkten für schuldig: Er habe Claudia Ehrman der Obhut seiner Angestellten überlassen, die sie zu Tode geprügelt hatten; er habe es versäumt, für eine angemessene Beaufsichtigung oder regelmäßige Behandlung von Michael Hallinan zu sorgen, der im Sicherheitsraum mit Handschellen gefesselt festgehalten worden war; und er selbst sei »nicht fähig, mit Sachkenntnis seine Patienten zu behandeln und ihre Sicherheit zu garantieren«. Der Reporter, Steve Rothman, zitierte den Staatsanwalt wie folgt: »Wir hätten alle gegen Rosen erhobenen Beschuldigungen beweisen können. Aus unserer Sicht hat die Tatsache, daß sich Rosen schuldig bekannte und seine Zulassung zurückgab, dem Staat eine Menge Geld erspart.«

Die Zeitung Bucks County Courier Times zitierte in einem am gleichen Tage abgedruckten Artikel von Don Wolf ein Mitglied der Ärztekammer, Herbert C. Goldstein, der gefragt hatte, weshalb die Zustimmungserklärung zu dem Antrag von Rosen »gereinigt« worden sei und den sexuellen Mißbrauch sowie die körperlichen Mißhandlungen von Patienten nicht erwähnt habe. Killian erklärte, dies sei die beste Methode gewesen, kostspielige weitere Anhörungen zu vermeiden. Die Behörde sei nicht ermächtigt, einem Beschuldigten eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe aufzuerlegen. Sie könne ihm nur seine ärztliche Zulassung entziehen. Und das sei in diesem Fall auch geschehen.

Die Vereinbarung über die Annahme des Vergleichsangebots zwischen dem State Board of Medical Education and Licensure und John Rosen wurde am 8. April 1983 unterzeichnet. Rosen gab in diesem Dokument zu, »keine Vorkehrung für die fortlaufende psychiatrisch medizinische Behandlung von Gay Claudia Ehrman getroffen zu haben, es versäumt zu haben, die Hilfstherapeuten ausreichend zu überwachen, deren Handlungen dazu führten, daß Michael Hallinan keine regelmäßige und/oder wirksame psychiatrische Behandlung zuteil wurde«, und erklärte schließlich, »der Beschuldigte ist nicht in der Lage, mit angemessener Sachkenntnis und unter Wahrung der Sicherheit seiner erkrankten Patienten den Arztberuf auszuüben«. Seine Zulassung wurde für ungültig erklärt, und »das Commonwealth stellt hiermit unter Vorbehalt das Verfahren wegen aller anderen gegen den Beschuldigten in der Klageschrift und ihren Anhängen enthaltenen Anklagepunkten ein«.


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Ich bin sicher, daß es Psychiater gibt, die bei der Lektüre dieses Berichts über das Verhalten von Rosen entrüstet und entsetzt sein werden. Sie werden empört die Möglichkeit leugnen, daß die Methoden von Rosen den Normen der Psychotherapie entspricht, und behaupten, Rosen sei ein ausnehmend schlechter Psychotherapeut. Allerdings habe er eine Reihe angesehener Familien, etliche angesehene Psychiater und sogar angesehene medizinische Fakultäten, Spenderorganisationen, zuständige Behörden und Gerichte hinters Licht geführt. Diese Leute werden vielleicht sogar zugeben, daß man solche Verstöße schon früher hätte aufdecken können. Man hätte seine schriftlichen Arbeiten aufmerksamer lesen und skeptischer sein müssen. Es sei wirklich beklagenswert, daß erst ein ehemaliger Patient dafür sorgen mußte, daß die Öffentlichkeit erfuhr, wer Rosen wirklich war. Doch Rosen sei keineswegs ein typischer Repräsentant seines Berufsstandes, er sei vielmehr eine Ausnahme.

Das Anliegen dieses Buches ist es nun, genau diese Frage zu stellen: Ist Rosen eine Ausnahme, oder gibt es etwas im Wesen der Psychotherapie, das solche Mißbräuche begünstigt? Sind es Mißbräuche, oder ist ein solches Verhalten ganz allgemein in der Psychotherapie üblich? Ein Gefängniswärter, ein Sklavenhalter und ein Psychotherapeut haben ein gemeinsames Anliegen; sie wollen andere Menschen beherrschen. (Es mag so scheinen, als sei dieser Vergleich nicht ganz richtig, denn die Person, die sich in Behandlung begibt, kann, wie viele glauben, auf die weitere Behandlung verzichten und sich von dem Therapeuten trennen. Ich halte das nicht für richtig, obwohl man über das Konzept der »informierten Zustimmung« diskutieren müßte. Und doch sind die Parallelen auffallend. So wissen wir zum Beispiel, daß viele Sklavenhalter glaubten, sie seien sehr freundlich, und die Sklaven könnten froh sein, einen solchen Herrn zu haben, denn andere seien viel schlimmer. Die Ärzte in Auschwitz erklärten, wenn sie nicht getan hätten, was sie taten, hätten andere es auf viel brutalere Weise getan. Menschen, die anderen Leid zufügen, verwenden sehr oft dieses Argument.)

Ich rief Dr. Morris W. Brody an, einen angesehenen Psychoanalytiker in Philadelphia, der zur gleichen Zeit wie John Rosen im Department of Psychiatry an der medizinischen Fakultät der Temple University gewesen war. Wir führten ein interessantes Gespräch. Er ist belesen und gut informiert. Ich erklärte ihm, worüber ich gerade schrieb. Nach anfänglichem Zögern gab er zu, er habe Rosen von Anfang an mißtraut. Er sagte, es gehöre nicht sehr viel Intelligenz dazu, diesen Mann nach der Lektüre seiner Schriften zu durchschauen.


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Es sei deutlich zu erkennen, daß er sich auf einem völlig falschen Weg befunden habe. Dr. Brody erzählte mir, er habe ihn im Umgang mit einer Patientin beobachtet, die behauptete, aus einem im oberen Stockwerk gelegenen Zimmer Stimmen gehört zu haben, die über sie sprachen. Wie es seine Art war, erklärte Rosen, sie sei verrückt. Er verlangte von ihr, sie solle aufhören, so etwas zu behaupten. Doch sie beharrte darauf. Rosen drohte ihr, sie zu schlagen, wenn sie bei ihrer Darstellung bliebe, was sie jedoch trotzdem tat. Nun schlug Rosen sie. Es folgte der erstaunlichste Teil unseres Gesprächs. Der Psychoanalytiker sagte mir, er sei dabeigewesen und hätte sehen können, daß Rosen, als er sie schlug, es nicht aus Sadismus getan habe.

Das ist schließlich nur eine Interpretation, auch wenn sie, anders als die meisten Interpretationen, wohlwollend gemeint war und Rosen nicht schaden sollte. Doch wie in aller Welt konnte Dr. Brody oder sonst irgend jemand, nachdem er Rosen beobachtet hatte, einigermaßen glaubwürdig behaupten, Rosen sei nicht sadistisch gewesen, als er die Frau schlug? Der Analytiker erzählte mir auch noch, die gleiche Interpretation gelte für einen Jungen, den Rosen mißhandelte, und der auf diese Mißhandlungen so positiv reagierte, daß er sofort geheilt wurde. Der Junge erklärte später, die körperlichen Mißhandlungen Rosens hätten ihn daran erinnert, wie sein Fußballcoach die Spieler behandelte, und wie wirksam das gewesen sei.

Doch Dr. Brody behauptete, obwohl er und andere Kollegen im Lauf der Zeit von Rosen enttäuscht gewesen seien und ihm mißtrauten, hätten sie sich niemals vorgestellt, daß er sich so schwere Verfehlungen zuschulden kommen lassen könnte, wie sie vom Pennsylvania Board of Medical Quality Assurance festgestellt worden seien. Wie hätten sie so etwas ahnen können? (Dazu gehörten natürlich Menschen mit einem stärker ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.) Aber selbst wenn wir zugeben, daß sie es damals nicht erkannt hatten, jetzt wußten sie es. Sie wußten, daß es den Tatsachen entsprach. Ich sagte (und versuchte taktvoll zu sein und nieine Empörung über Rosen nicht zu zeigen), daß mich die Tatsache erstaunte und verwirrte, daß die Angelegenheit schließlich nicht von Rosens Mitarbeitern und Kollegen, sondern von einer ehemaligen Patientin in Zusammenarbeit mit einer Privatdetektivin aufgedeckt worden sei. Damit erhoben sich doch gewisse wichtige Fragen im Hinblick auf die Ethik der Psychotherapie, oder nicht?


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Wir hatten in unserem Gespräch jetzt einen wunden Punkt erreicht. Plötzlich änderte Dr. Brody seine Haltung. Er sagte, es sei so, als wolle man die Brooklyn Bridge verkaufen. Er interessiere sich nicht für die Psychologie des Verkäufers, sondern für die des Käufers. Warum sollte jemand so töricht sein, die Brücke zu kaufen? So interessierte er sich auch nicht für John Rosen oder seine Psychologie (und auch nicht dafür, was sie über den Beruf des Psychotherapeuten aussagt), sondern für seine Patienten. Warum gingen sie zu ihm?

Das war eine neue Methode, dem Opfer die Schuld zuzuschieben. Der Analytiker, der für sich in Anspruch nahm, Menschen durchschauen zu können, sagte mir, die Patienten hätten sofort in der Lage sein müssen, Rosen zu durchschauen. Aber er mußte zugeben, daß das Department of Psychiatry diesen Durchblick erst gehabt hatte, als es den Mann schon viele Jahre kannte. Wollte er sagen, daß die Patienten Rosens Artikel gelesen haben und dabei zu den gleichen Schlüssen gekommen sein sollten wie er? Obwohl diese Schlüsse offensichtlich nicht von all seinen Kollegen geteilt wurden, hatte der Chef des Department für Psychiatrie, 0. Spur-geon English, ein angesehener Psychiater und Psychoanalytiker, ihm die Stelle eines klinischen Professors für Psychiatrie gerade aufgrund seiner Schriften gegeben.16

Sollte ein unglücklicher Patient in der Lage gewesen sein, das zu sehen, was der Leiter des Departments für Psychiatrie nicht sehen konnte? Dr. Brody sagte mir, er könne nicht erkennen, weshalb ich oder sonst irgend jemand sich für John Rosen interessiere. Die einzig interessante Frage lautete nach seiner Ansicht, wie diese reichen Patienten sich so hätten täuschen lassen können. Aber ich glaube, Dr. Brody hat es unterlassen, sich zu fragen, wie es möglich war, daß seine Berufskollegen (auch er ist Psychiater) den Schaden nicht erkennen konnten, der durch die Behandlungsmethoden eines Kollegen angerichtet wurde, bis die Gerichte eingeschaltet werden mußten. Und nach dem Bekanntwerden der Verfehlungen zu behaupten, das Verhalten von Rosen sei lediglich eine unbedeutende Verirrung ohne irgendwelche Folgen für den ganzen Berufsstand, ist die Verdrängung einer unangenehmen Wahrheit.

Dr. Brody schlug mir vor, Dr. O. Spurgeon English anzurufen, und am l. November 1986 führte ich ein Telefongespräch mit ihm. Er sagte mir, er habe John Rosen 1959 aufgefordert, zu ihm in die psychiatrische Abteilung zu kommen. Er sei dort bis zum Jahr


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1964, in dem Dr. English in den Ruhestand ging, als außerordentlicher Professor für Psychiatrie geblieben. Er habe Rosen vor allem deshalb in dieses Amt berufen, um anderen Mitgliedern des Departments die Möglichkeit zu geben, seine neuen Behandlungsmethoden für schizophrene Patienten kennenzulernen und zu begutachten. Rosen wurden zwei Gebäude zur Verfügung gestellt, und es wurde ein besonderes Institut eingerichtet, das Institut für das Studium der Psychotherapie. In der Abteilung arbeiteten etwa 25 Psychiater. Viele von ihnen beschäftigten sich damit, die Methoden von Rosen zu studieren. Rosen selbst führte seine Arbeitsweise in der täglichen Praxis vor.

Wie Dr. English sagte, habe sie viele wertvolle Aspekte gezeigt. Es sei eine sehr interessante Zeit gewesen. Viele Psychiater, die Rosen bei der Arbeit beobachteten, wurden von seinen Methoden beeinflußt, und einige von ihnen verwendeten sie in ihrer eigenen Praxis. Zu ihnen gehörte auch Dr. English. Damals habe es von Seiten der Mitarbeiter keinerlei Einwände gegeben, wenn sich auch einige von ihnen nicht für Rosens Arbeit interessierten. Das Interesse der Analytiker sei geringer gewesen als das der Psychiater, Kritik habe es aber keine gegeben. Dr. English hatte seinerzeit den Rat vieler einflußreicher Psychiater im ganzen Land eingeholt, und alle hatten es für richtig gehalten, daß er Rosen anstellte, auch die Brüder Menninger. Er sagte, der Einfluß Rosens sei erheblich gewesen, er habe versucht, Rosens Methoden anzuwenden, und habe geglaubt, daß sie bei 66 Prozent der Fälle zum Erfolg führten. An dieser Stelle entstand eine Gesprächspause. Ich fragte Dr. English, ob er wisse, daß Dr. Rosen seine Zulassung aufgrund einer Anklage der Ärztekammer wegen Patientenmißhandlung verloren habe. Dr. English antwortete, er wisse das. Dann fragte ich ihn, wie seine Einstellung gegenüber Rosen und seine Auffassung vom Wert der von ihm gelehrten Methoden durch diese neueste Entwicklung beeinflußt worden seien. Dr. English antwortete, die Beschuldigungen hätten mit der Wirksamkeit der Methoden Rosens nichts zu tun. Seine Ideen seien nicht unbedingt die besten der Welt, aber er habe viele gute Ideen. Dr. English behandelte jetzt keine psychotischen Patienten mehr und verwendete deshalb auch nicht mehr die Methoden von Rosen, wenn er jedoch noch praktizierte, würde er sie auch noch weiterhin anwenden.

Wir haben hier also die perfekte Antwort des Psychoanalytikers, der sich darüber wunderte, daß ich mich für Dr. John Rosen interessierte.


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Und wir haben einen einflußreichen Psychiater, den Verfasser eines Standardlehrbuchs über Psychiatrie, dessen positive Einstellung zu John Rosen nicht im geringsten durch all das beeinflußt wird, was inzwischen bekanntgeworden ist. Ich hatte erwartet, Dr. English werde mir sagen, als Rosen in seinem Department arbeitete, habe er nie solche Dinge bei Rosen vermutet (und das hat er mir auch gesagt), daß er aber jetzt, da er davon wisse, seine Meinung natürlich ändern werde.

Doch nichts davon. Er blieb bei dem, was er früher von Rosen gewußt zu haben glaubte. Vielleicht gab er zu, daß der Mann Fehler begangen haben könnte, aber seine Auffassungen über die Therapie könnten deshalb immer noch richtig sein. Doch seine Auffassungen über die Therapie sind, wie wir gesehen haben, vom Verhalten des Mannes nicht zu trennen. Doch vielleicht stimmt auch das nicht. Vielleicht verhalten sich viele Therapeuten aufgrund der Natur jeder Therapie nicht sehr viel anders als Dr. John Rosen. Vielleicht liegt es am Wesen der Therapie, daß sie zu Mißbildungen führt. Vielleicht ist die Therapie das genaue Gegenteil von dem, was sie zu sein scheint. Ich fand das Gespräch mit Dr. English lehrreich. Es fand 1986 statt und zeigte mir, daß Rosen in der Tat einige Grundpfeiler der Psychotherapie berührt hatte. Und ich bin überzeugt, daß Rosen keine Ausnahme war, kein Fall von Verirrung. Eine solche Verirrung ist die Therapie.

 

Am 11. November 1986 bekam ich einen Brief von Dr. Morris W. Brody, einem Psychiater und Psychoanalytiker, der Rosen an der medizinischen Fakultät der Temple University gekannt hatte. Er schrieb: »Was mich betrifft, so gehört Rosen der Vergangenheit an, und das sollte auch so bleiben.« Zweifellos werden viele Psychiater diese Meinung teilen. Ich glaube aber nicht, daß man diese ganze Angelegenheit so ohne weiteres zu den Akten legen kann. Für viele seiner Patienten gehört John Rosen durchaus nicht »der Vergangenheit an«. Dr. Brody wird es sicherlich kaum gefallen, daß ich mich entschlossen habe, etwas über ein nach seiner Auffassung abstoßendes Thema zu schreiben. Aber hier beschäftigen wir uns nicht mit ästhetischen Empfindlichkeiten. Wir beschäftigen uns mit der Wahrheit über die Psychotherapie. 

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Ich kann nicht entschieden genug darauf hinweisen, daß diese Wahrheit nicht von irgendwelchen Psychiatern (und auch nicht von mir) aufgedeckt worden ist, sondern von Sally Zinman, Janet Katkow und den vielen anderen ehemaligen Patienten, die sich, oft unter großem persönlichem Risiko, entschlossen haben, sich als Zeugen zur Verfügung zu stellen und offen auszusprechen, was sie erlebt haben. Dazu gehört Mut und die moralische Sensibilität, welche die Therapeuten für sich als ihren besonderen Besitz in Anspruch nehmen, die Qualität, die es ihnen erlaubt, sich der Illusion hinzugeben, sie müßten solche Visionen ihren moralisch schwächeren Patienten einflößen.

Morris W. Brody ist auch der Verfasser einer Verteidigungsschrift für Dr. Rosen.17 Die von ihm beschriebene »Technik« Rosens ist erschreckend. Brody weist darauf hin, daß Rosen sich nicht scheute, Patienten zu schlagen, mit den Füßen zu stoßen oder sie die Treppe hinauf- oder herunterzuzerren (S. 71). Als Beispiel bringt er den Fall einer »paranoiden« Patientin, die behauptete, im Zimmer über ihr hielte sich ein Mann auf. 

Rosen sagte ihr, er werde mit ihr nach oben gehen, um nachzusehen, ob das stimme. Wenn aber kein Mann dort sei, werde er sie »mit dem Kopf voran die Treppe hinunterwerfen« (S. 73). Die anderen Mitglieder der Therapiegruppe saßen erstarrt da, denn sie fürchteten, daß Rosen, »der nicht gern eine Drohung zurücknimmt«, die Frau verletzen werde, aber niemand sah sich in der Lage, etwas zu unternehmen. Wie Brody berichtet, stieß Rosen mehrere Male die Drohung aus: »Wenn du dich weiter so verrückt beträgst, werde ich dir den Schädel spalten« (S. 79).

Aber Brody ist überzeugt, daß Rosen in Wirklichkeit ein zartfühlender Mensch ist: »Wenn man Rosen etwas aufmerksamer beobachtet, dann gewinnt man die Überzeugung, daß er durchaus nicht grausam sein will« (S. 79). Nach Brody kommt es Rosen einzig und allein darauf an, seine Patienten von den Zwängen der Psychose zu befreien. Auf den Seiten 62 bis 69 zitiert Brody wörtlich ein Gespräch zwischen Rosen und einer jungen Frau und kommentiert es auch selbst. Dieser Dialog ist das grausigste Beispiel für die Brutalität, mit der Rosen seine Patienten behandelte. Zunächst sagt er der Frau, es gefiele ihm nicht, daß sie ein »Wildfang« sei. Wenn sie sich weiter so ungebärdig benähme, werde er sie verstümmeln. Dann sagte er zu ihr, »wenn du ein Junge bist, kann ich dich nicht ficken, also warum willst du unbedingt ein Junge sein«? Er fordert sie auf, (in Gegenwart der anderen), Geschlechtsverkehr mit ihm zu haben, und als sie zögert, sagt er ihr: »Ich werde dich nach einer Minute durch diese Wand stoßen. (Die Patientin weicht vor ihm zurück.) Du bist jetzt so weit, daß du Verkehr haben mußt« (S. 63). 

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Nach einigem Hin und Her sagt er ihr, er werde sie nicht mehr lieben, wenn sie sich weigert, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben. Am Ende des Dialogs klagt sie über Bauchschmerzen (S. 68). Rosen sagt ihr, das sei die Folge des Geschlechtsverkehrs. Sie widerspricht und sagt, es käme von der Gymnastik. Rosens letzte Worte sind: »Der einzige Muskel, mit dem du Gymnastik betreiben solltest, ist deine Vagina. Nun, vielleicht sollten wir jetzt Verkehr haben.«

Als eine ungewöhnlich große Zahl von Beobachtern am 11. April 1958 an einem Kongreß der Eastern Pychological Association teilnahm, stellte Rosen diese Patientin vor. Vor dieser Gruppe sagte er ihr: »Bea, du bist eine üble Person. Kein Wunder, daß niemand dich mag. Vielleicht liegt es daran, daß dein armer Vater weggegangen ist, um andere Menschen kennenzulernen daß er sich von dir und deiner Familie getrennt hat... Es gibt vieles, dessen du dich schämen solltest. Du bist ungewöhnlich ordinär« (S. 93). Außerdem sagte er ihr, sie sei unerträglich dumm und käme aus einer verrufenen Gegend von Philadelphia.

Brody hindert das alles nicht, zu behaupten, Rosen sei ein gütiger und ungewöhnlich begabter Psychotherapeut. In diesem Buch halten drei angesehene Psychiater eine Methode für richtig, die aus nichts anderem besteht als aus brutalen Mißhandlungen. 

In seinem Vorwort brüstet sich Rosen: »Mit Hilfe von Spenden aus dem Rockefeller Brothers' Fund haben wir im Medical Center der Temple University das Institut für direkte Analyse eingerichtet und ein Forschungsprogramm entwickelt, das unter anderem die Definition der direkten Analyse zum Ziel hat.« Wir hätten dem Rockefeller Brothers' Fund viel Geld sparen und ihm mit zwei Worten sagen können, wie die Definition lautet: unverhüllter Sadismus. Was eigentlich erforscht werden müßte, sind die Ursachen dafür, daß diese Methode von so vielen Fachleuten für richtig gehalten worden ist.

Wenn Dr. Brody vorschlägt, man solle die Episode Rosen vergessen, dann sagt er damit, daß es für ihn eine Verirrung und etwas ist, das in das dunkle Mittelalter der Psychiatrie gehört. Aber ist das richtig? Im folgenden Kapitel werden wir sehen, daß der Einfluß von John Rosen weiterlebt und einer seiner Schüler eine psychiatrische Anstalt leitet, in der alle Patienten auch heute noch mit den Praktiken von John Rosen behandelt werden. 

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