Lesch Start

Wer schafft hier wen ab?

Bemerkungen zu Harald Leschs und Klaus Kamphausens Spiegel-Bestseller „Die Menschheit schafft sich ab“

Von Dafni Tokas auf Literaturkritik.de

 literaturkritik  lesch-kamphausen-die-menschheit-schafft-sich-ab-wer-schafft-hier-wen-ab,24801.html 

 

Es gibt Kritiken am Status Quo der Welt, die man mit Vorsicht genießen sollte: Kritiken, die zwar ein Symptom beschreiben, aber dessen geistesgeschichtliche Ursache nicht nur übersehen, sondern sogar rhetorisch reproduzieren. Kritiken, deren unklare Rhetorik vor Datenansammlungen überquillt, die zwar interessant sind und als Handreichung dienen können, aber an keiner Stelle weiter reflektiert werden. Kritiken, die gerade so in der Mitte schwimmen, dass sie sich in jedem Fall über Wasser halten können, weil sie in Wirklichkeit gar nicht kritisch sind. Kritiken, die sich für Mensch und Umwelt aussprechen, aber dabei, wie so oft in diesen Fragen, getrost über nicht-menschliche Tiere, die tatsächlich den Kern des Umweltdesasters bilden, hinwegmarschieren – frei nach dem Motto: hier der Mensch, da die Welt, dazwischen gibt es nichts und niemanden, immer schön in der Mitte bleiben, jetzt mal ganz ruhig.

Dann mal ganz ruhig und von Anfang an.

Was ist Die Menschheit schafft sich ab von Harald Lesch und Klaus Kamphausen für ein Buch, für wen ist es geschrieben?

Das lässt sich schon bei einem kurzen Blick auf das Cover erahnen. Man wird von einer aus Menschen bestehenden Erdkugel begrüßt und bekommt Panik. Das ist alles irgendwie zu eng. Vielleicht ist das bereits Kritik. Aber nur so halb. Denn „Anthropozän“ ist zwar mitunter zu einem durchaus berechtigten Kampfbegriff geworden, suggeriert aber zugleich, der menschliche Einfluss auf die Welt sei eines Epochenbegriffes würdig. Der Mensch hat es wieder einmal auf das Podest geschafft – er ist die Zentralinstanz dieses Planeten.

Auf je einer Doppelseite wird man dann mit den Protagonisten des Buchs konfrontiert – Mensch und Erde: Zunächst die Erde vom Mond aus gesehen, eingerahmt von romantischen Zitaten, die in der Figur der Parallelisierung von Erde und Mutter zwar keinem zeitgenössischen genderkritischen Diskurs gerecht werden können, aber bestimmt gut gemeint sind. Ist alles noch nicht schlimm. Die nächste Doppelseite zeigt die Gliederung des Buchs: Ambitioniert ist die Aufteilung, insofern sie wirklich auf alle Themengebiete verweist, die für die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion in Deutschland relevant sind.

Es folgt eine Doppelseite mit Fotografien idyllischer Lebensräume – Berge, Patagoniens Gletscher, Seen, Wälder, Wüsten. Menschliche Spuren gibt es nicht. Nur die hübschesten Seiten der Erde. Dennoch tragen die Fotografien den generalisierenden Titel „Die Lebensräume“. Die nächste Doppelseite präsentiert dann selbstverständlich „Die Menschen“: Zu sehen sind strahlende Gesichter unterschiedlicher Ethnien, wunderschöne Stockfotos gesunder Menschen, die alle gleichermaßen zufrieden sind.

Blättert man um, strahlt auch Harald Lesch. Ein Motto unserer Zeit: Komplexitäten muss man erst aufzählen, ihre Dramatik betonen und sie dann weggrinsen. Oder, in einer etwas beliebteren Formulierung: Wir wollen ja vor allem Bewusstsein schaffen. Bewusst ‚whatsappen‘, bewusst Fleisch essen, bewusst indische Näherinnen ausbeuten.

Es ist zwar mehr als evident, dass Lesch und Kamphausen sich für Nachhaltigkeit und Umweltschutz einsetzen möchten. Dass sie es eigentlich gut meinen. Dass sie Informationen zum Thema sammeln und zur Verfügung stellen. Dass die Kritik des Buchs sich gegen die Ausbeutung der Schwachen durch die Starken richtet. Ein soziales Buch, das Liebe zur Menschheit lehren will. Es ist auch mehr als erkenntlich, dass es sich um ein populärwissenschaftliches Buch handelt. Das alles macht das Unterfangen jedoch nicht harmlos – im Gegenteil.

Zentral für das Funktionieren des Buchs ist, wie schon nach der Lektüre der ersten Kapitel deutlich wird, die Vernunftrhetorik, der sich die Autoren trotz einiger Brüche verschreiben. Die Vernunft sei ja schließlich auch, was uns von „den Tieren“ trenne, und deshalb sei tierisches Verhalten irgendwie dumm und böse. Oder, im originalen Wortlaut: „Wir verhalten uns wieder wie die Tiere und zwar wie ganz niedrige“. Sowas kommt immer gut an, obwohl es selbstredend die Kategorien reproduziert, die schon auf Frauen und Menschen fremder Herkunft angewendet wurden und werden.

Grundsätzlich kennt das Buch genau zwei Kategorien: Den Menschen und die Natur als restliche Welt. Dass Speziesismus – auch in der willkürlichen Konstruktion des Abgrenzungsmerkmals „Vernunft“ – in Kombination mit Anthropozentrismus ein massiver Grund für die klimatischen und sozialen Probleme ist, die Lesch beschreibt, kommt ihm nicht in den Sinn. Ein bisschen Fleisch geht immer. Und was dieses Bisschen genau sein soll, entscheidet dann jeder selbst.

Auch das Motto „Macht euch die Welt untertan!“ ist kein Problem, denn ein Herrscher müsse ja nicht unterdrücken, sondern könne auch einfach verwalten – das zumindest behauptet Bischof Bedford-Strohm, dessen Verteidigung der Untertan-Rhetorik sich unhinterfragt im Buch abgedruckt findet. Die Welt als Untertan und das Nachhaltigkeitsprinzip seien durchaus miteinander vereinbar. Stimmt ja auch. Dass das anthropozentrisch ist, bemerkt von allen abgedruckten Autoren allerdings niemand.

Durchgängig wird das Buch von der Erläuterung der sogenannten Menschwerdung getragen. Indem minutiös und in allen Einzelschritten nachvollzogen wird, wie der Mensch zum Menschen geworden sei und wann er sich von seinen Vorfahren „abgespalten“ habe, soll anscheinend irgendetwas gesagt werden. Das Zeitalter des Homo sapiens ist für die Autoren offenbar dadurch überwindbar, den Homo sapiens als die zentrale Figur der Weltgeschichte auszustellen. Wichtig sei auf jeden Fall, womit „alles“ begonnen habe, und mit „alles“ ist dann doch meist der Mensch, mit „begonnen“ ist seine vermeintliche Abspaltung von allen anderen tierlichen Bewohnern der Erde gemeint. Was damit eigentlich gesagt sein soll, bleibt jedoch bis zum Schluss unklar. Das ist gut gemeint, kommt gut an, schafft Bewusstsein und so weiter. Wirklich spannend an diesen Beobachtungen ist, dass die selbsternannten Kritiker des Anthropozäns es meistern, eine anthropozentrische Kritik am Anthropozän vorzunehmen. Das ist, als würde man mit dem Flugzeug zum G7-Gipfel fliegen und mittags Gulasch essen. So etwas würde schließlich auch niemand machen!

Zugegeben: Verteufeln sollte man das Buch nicht. Tatsächlich lesenswert sind die Abschnitte zum, so heißt es, Klimakiller Internet, zum Irrweg Bioökonomie, zum Wasserstress, zur Kultur des Neuen und über die Verschmutzung und Überfischung der Meere. Auch das Kapitel zu Metropolen und Mobilität bietet einen angemessen strengen Blick auf den Anteil der Autoindustrie am Klimachaos.

Man sollte den Überblick, den die Autoren über die Auswirkungen des menschlichen „Raubbaus“ an der Erde bieten, deshalb durchaus ernstnehmen. In der zur Zeit explodierenden Umweltdebatte ist ein Werk, welches eine Gesamtschau auf die naturwissenschaftlichen und in dieser Hinsicht relevanten Einzelheiten bietet, mehr als notwendig, um auch Menschen, die normalerweise keine Zeit finden, sich gesondert mit dem Thema auseinanderzusetzen, die Möglichkeit der Information zu bieten.

Auch in Bereichen, in denen Zahlen unvorstellbare Dimensionen erreichen, leistet das Buch wertvolle Arbeit – so stellen die Autoren eine Tabelle zur Verfügung, welche die Erdzeitalter auf einen 24-Stunden-Tag herunterbricht und damit aufzeigt, dass der Homo sapiens in einer solchen Rechnung gerade einmal auf 4 Sekunden kommt. Die gigantischen Auswirkungen der menschlichen Lebensweise auf die Gesundheit und natürliche Vielfalt des Planeten Erde wirken im Lichte dieser gesamtzeitlichen Relationen zurecht frappierend.

Man kann es nicht anders sagen: Das Buch ist informativ. Das ist aber auch schon alles.

Die Akkumulation von Informationen und der Eindruck von Überfrachtung mögen auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Buch selbst eine Zusammenstellung von Positionen darstellt. Nicht jeder Text innerhalb des Buchs ist von den Autoren selbst geschrieben worden – oft handelt es sich um abgedruckte Zeitungsartikel, Interviews oder andere Beitrage, die bereits in den Medien kursierten. Es handelt sich also um eine sehr bewusste Auswahl von Publikationen, die bereits das Dispositiv des Buchs formen.

Mittendrin gibt’s noch eine kurze Liste mit den wichtigsten Fortschritten der Menschheit, bei der philosophische Bewegungen keine Erwähnung finden, dafür aber Speere, Autos, Flugzeuge, Computer und Atombomben. Zitate oder gar Texte von Sozial- und Geisteswissenschaftlern findet man generell wenige. Und bei denen, die man findet, kräuseln sich einem die Fußnägel: Bereits die Einleitung steht unter dem Banner eines doktrinären Zitates von Nikolaus Kopernikus – „Seid nicht wie die Tiere!“ –, im Abspann taucht dann Blaise Pascals Idee auf, dass das Herz seine Gründe habe, von denen der Verstand nichts wisse. Autsch. Ganz zum Schluss wird das Buch eingerahmt von einem vollständig aus dem Kontext gerissenen Zitat von Albert Camus, das besagt, der Mensch sei eine grenzenlose Chance. Der Mensch ist also etwas ganz Besonderes. Aha.

Wenn man so vage bleibt und nur von Chance, abstrakter Verantwortung, Möglichkeit und Freiheit spricht, hat man es geschafft und ein pseudokritisches Werk verfasst, das allen gleichermaßen gefällt: dem notorischen Flugzeugreisenden, der Bankangestellten, der Aktivistin, dem Gärtner, dem Politiker – egal welchem –, dem Grillmeister und dem Vegetarier. Ist doch super, dass wir uns alle einig sind, wie furchtbar es auf der Welt zugeht, und dass es die Möglichkeit, die Chance, die Freiheit zu handeln gibt. Man könnte ja. Muss man aber nicht. Irgendeine Richtung ist okay, solange sie von Bewusstsein und Verantwortung getragen ist. Zu einem etwas stärkeren Appell lassen sich die Autoren nicht hinreißen – dazu sieht sich das Buch auf 500 Seiten offenbar nicht in der Lage. „Es muss sich etwas grundlegend ändern!“ ist jedenfalls kein ausreichend ausgestalteter Anruf an die Menschheit. Appelle dieser Form machen unruhig, erzeugen Handlungsstress, bleiben jedoch diffus und in ihrem Ermächtigungsgestus über die abstrakten Pflichten anderer Menschen vollkommen überheblich.

Im Grunde ist die Publikation, bemessen an anderen Neuerscheinungen, kein überraschendes Phänomen auf dem aktuellen Buchmarkt. Lesch ist bekanntermaßen einer, der gern jene Mythen vorantreibt, die jeder hören will: Nachhaltig zu leben sei so unfassbar schwierig. Denn, nur um ein Beispiel zu nennen, die vegane Ernährung sei nicht vollwertig. Alle Kulturen, die kein Fleisch aßen, seien einfach direkt ausgestorben, weil Vitamin B12 seit jeher nur in Fleisch zu finden sei. Ethische Gründe für Entscheidungen seien zwar wichtig, aber irgendwie schwierig und deshalb eher zweitrangig. Und so weiter. Kein Wunder: Positivismus, Szientismus und Technozentrismus sind ja schon sehr lange im Trend. Sogar die Kritiker dieser Ismen und Zentrismen zeigen sich dem gleichen Duktus ergeben, den sie anprangern.

Und seit neustem sind auch gerade jene Bücher im Trend, die komplizierte Sachverhalte einfach erklären und von jeder Meinung das Attraktivste mitnehmen. Das befreit die Leserschaft von allen konkreten Zwängen. Und das passt besser zusammen als man meint. Verkaufsschlager wie Erklärs mir, als wäre ich 5 – mit einem Rechtschreibfehler schon im Titel –, Philosophie in 30 Sekunden, oder auch Kosmos und Universum in 60 Sekunden erklärt und DAS MATHEMATIK-BUCH sind nur wenige der zahlreichen Beispiele für kulinarische, farbige Bildbände, in denen ab und an mal ein kluger Satz auftaucht und nach deren Studium man glauben soll, man hätte irgendetwas gelernt.

Solche Bücher findet man an jedem Bahnhof, doch sie reichen noch nicht einmal aus, um die schmalste Schulbildung nachzuholen. Sie sind beliebt, denn irgendetwas in Kürze für nur 14,99 Euro zu verstehen, klingt verlockend und passt in jeden Terminkalender.

So ist auch Die Menschheit schafft sich ab ein in dieses Schema passender Versuch, mit der kompakten, leicht verdaulichen Akkumulation von Daten, Positionen und Plattitüden das Gefühl zu vermitteln, man hätte jetzt einen ersten Überblick über den „Stand der Dinge“, wie es auf dem Cover heißt, und könne mitdiskutieren. In dem Buch taucht so ziemlich jede Meinung, Zahl und Rhetorik einmal auf. Nur elaborierte geisteswissenschaftliche Positionen werden ausgespart. Platz für Theodor W. Adorno oder Jacques Derrida gab es offenbar nicht mehr, dafür aber für einen Beitrag von Dietmar Wischmeyer, der anscheinend nicht weiß, dass nicht hauptsächlich Veganer, sondern vor allem Nutztiere Soja verbrauchen. Ist auch egal, Fakten kann man irgendwie vermischen, solange die Witze stimmen.

Harald Lesch ist, wie das Buch nur einmal mehr zeigt, einer, der die großen Fragen stellt und sie falsch beantwortet. Und zwar, indem ungefähr das gesamte Wissen über Erde und Menschheit herangezogen, aber nicht reflektiert wird. Überhöhung des Menschen bei gleichzeitiger Dämonisierung desselben ist die Grundfigur des zeitgenössischen Naturschutzdiskurses. Was im Falle dieser neuen Publikation übrig bleibt, ist Lesch als supersympathischer Erklärbär, der über alle Themen reden zu können glaubt und dieses Gefühl an seine Leserschaft weitergibt.

Generell ist die Positionierung der Publikation zu schwach. Wirklich Neues sagt Harald Lesch nicht. Dem Begriff „Anthropozän“ werden plötzlich auch moralische Themenbereiche untergemischt, die nicht direkt mit ihm in Verbindung gebracht werden können: Rassismus, Künstliche Intelligenz und ganz viel Katastrophenrhetorik. Die Wiege des europäischen Denkens, das alte Griechenland, ebnete dem Anthropozän den Weg – das wird jedoch nur in einem kurzen Abschnitt kritisiert. Dann geht es direkt weiter mit dem gleichen Denken, das wir noch aus dieser Wiege kennen: Hier der Mensch, da die Welt, hier der Logos, da der Rest. An anderer Stelle kritisieren die Autoren dann den Wissenschaftsglauben des 19. Jahrhunderts, der bis heute in einigen Bereichen zu finden ist, sowie die Einteilung der Welt in Subjekt-Objekt-Strukturen.

Mit diesen inhaltlichen und rhetorischen Widersprüchen des Buchs soll man dann irgendwie umgehen.

Auch sonst ist die Linie des Buchs nicht konsequent.

Die Usurpation der Natur sei, so die Autoren, in jedem Fall in Frage zu stellen und als ein ernsthaftes Problem zu betrachten – für die Menschen! Umweltethik verkommt zu einem abstrakten Rettungsunternehmen unbestimmter Werte, die nichts mehr mit den auf der Welt lebenden, menschlichen und nicht-menschlichen Individuen zu tun haben, sondern nur mit dem Erhalt der größtmöglichen Menge an irgendeiner „Menschlichkeit“ und der Beachtung der Nachhaltigkeit für diese Menschheit.

Deswegen steht auch nicht das individuelle Leid von Mensch und Tier im Vordergrund. Vielmehr dienen Worte wie „Artensterben“, „Massensterben“ und „Nachhaltigkeit“, über deren begriffliche Prämissen man sich einmal grundsätzlich Gedanken machen sollte, unreflektiert der Argumentation. Das ist auch die Rhetorik der größten NGOs und des Umweltschutzes überhaupt – es hat schon einen Grund, dass wir die Umwelt tatsächlich „Umwelt“ nennen. Denn worum geht es uns nach wie vor? Um die Menschen. Auch dann, wenn für Naturschutz plädiert wird, ist am Ende immer nur der Mensch gemeint.

Natürlich muss man dann auch Charlie Chaplins berühmte Rede aus Der große Diktator abdrucken. Die Rede war ja schließlich gut gemeint. Ihre Antwort auf alles: Menschenliebe. Die Konklusion des Buchs ist zugleich ihre anthropozentrische Prämisse, denn die Antwort auf „Menschen überall“ scheint „Menschen, Menschen über alles“ zu bleiben. Es ist ein vorbildliches Ziel, für mehr Menschenliebe zu werben. Wenn man jedoch ein Buch über das Anthropozän schreibt, darf es gerade dabei nicht bleiben. Der Begriff „menschlich“ fällt so häufig und in einem alleserklärenden Habitus, dass man daran zu zweifeln beginnt, ob die Autoren des Buchs ernsthaft über den Begriff „Anthropozän“ nachgedacht haben.

Das Buch wiederholt dank seiner szientistischen Rhetorik und Fokussierung auf den Menschen nichts anderes als die Zementierung des Anthropozäns selbst. Den Zukunftsvertrag für die Menschheit der UN-Agenda-2030 zu zitieren, macht es da wirklich nicht besser: Auch dieser arbeitet ausschließlich mit anthropozentrischen Prämissen und fragt nach nichts anderem als nach der Zukunft der menschlichen Gattung, oder der Zukunft sonstiger Gattungen für die Menschen. Es rettet Lesch deshalb auch nicht, am Ende nochmal kurz einen pfiffigen Absatz mit Rationalismus- und Fortschrittskritik reinzuhauen und zu betonen, wie wichtig Gefühle seien – die er übrigens ganz klassisch als Gegenseite der Ratio skizziert. Hier heißt es sogar, man könne nicht ständig alle Erkenntnisse nur aus systematischen Tabellen und sterilen Datenmengen ableiten. Das wirkt in Anbetracht dessen, was das Buch bis dahin geleistet hat, mehr als zynisch. Neben dem Überschwall an Informationen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich ist jeder andere mögliche Zugang doch recht schwach ausgebildet: Hier und da eine hübsch abgedruckte Weihnachtsbotschaft von Apollo 8, ein paar lapidare Worte zu Egoismus und Altruismus, eine mehr als gescheiterte Definition der „menschlichen Natur“ und immerhin die Stimmen von Anton Hofreiter (Die Grünen), Klaus Seitz (Brot für die Welt) und manch anderem klugen Kopf.

Bis zum Schluss stellt sich trotz dieser Vielfältigkeit der Positionen die wichtige Frage, warum das einzige Problem, das offen benannt wird, die Abschaffung des Menschen durch sich selbst sei. Dass der Mensch noch ganz andere Lebewesen und deren Wohlempfinden, Freiheit und Glück „abschafft“, ist – wie immer – zweitrangig. Dabei träfe gerade dieser Fokus den Kern des Anthropozäns. Statt konkrete Handlungsempfehlungen zu liefern – das geschieht meist nur andeutungsweise im Nebensatz –, werden die Lesenden mit einem Berg an überbordender Schuld zurückgelassen. Die Zivilisation, schreiben die Autoren, muss sich in eine fundamental andere Richtung bewegen. Der Mensch sei aber unbelehrbar. Der Zustand „unseres“ Planeten ist katastrophal. Und jetzt? IPCC-Sachstandsberichte als Heilige Schrift auszugeben und sich in der Formulierung düsterer Endzeiterwartungen als Prophet des Naturschutzes zu erfinden, wird immer beliebter. Diffuse Panikmache lässt sich indes auch nicht entknoten, indem man sie mit dem naturwissenschaftlichen Nachvollzug der Erd- oder Menschheitsgeschichte spickt.

Harald Lesch grinst schon auf der zwölften Seite, aber das Buch selbst transportiert ein gesamtgesellschaftliches schlechtes Gewissen, das durch nichts mehr ausgehebelt werden kann. Die Welt steht am Abgrund, suggeriert das Buch, und lösbar ist das alles nur, wenn wir jedes Molekül dieser Erde einmal analysiert und die gesamte Geschichte des Universums auch verstanden haben.

Dass eine einfache, wirklich hilfreiche Antwort auf die Desaster, die sich auf der Erde ereignen, ein radikaler Verzicht in wesentlichen Lebensbereichen der Menschen sein könnte, lässt sich nur zwischen den Zeilen lesen. Dass das Problem nicht allein beim Konsumenten liegt, sondern in der Anlage politischer Systeme, findet darüber hinaus keine ausgiebige Besprechung.

Wer war nochmal Jacques Rancière? Wer ist Colin Crouch? Was ist Postdemokratie? Egal.

Durch die Überfrachtung des Buchs mit vorrangig naturwissenschaftlichen Informationen, die in manchen Teilen überhaupt nicht relevant für aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussionen sind, wird nichts anderes als die Unlösbarkeit des Dilemmas menschlicher Existenz skizziert.

Kulturelle Paradoxien und soziale Kernprobleme, die sich im Buch lediglich angedeutet finden, werden von biologischen, chemischen und physikalischen Ausführungen förmlich erdrückt. Man kann mit Hilfe des Buchs seine Allgemeinbildung ein wenig auffrischen, die Unterschiede zwischen PVC, Kevlar und Styropor kennenlernen und sich einige wirtschaftliche Zusammenhänge auf internationaler Ebene schneller erschließen – insgesamt will das Buch jedoch zu viel und am Ende nichts Bestimmtes.

So ähnlich wie schon Planet Planlos. Sind wir zu doof, die Welt zu retten? von Stefan Bonner und Anne Weiss ist auch diese Publikation vor allem dazu in der Lage, den Lesenden zu zeigen, wie unfassbar ungerecht sie mit der Natur umgehen und dass diese Ungerechtigkeiten nur schwer zu ändern seien. 700.000 Kubikmeter Wasser bewässern jährlich einen einzelnen Golfplatz in Spanien. Die Konfrontation mit solchen Zahlen schockt und soll aufrütteln – aber sie lähmt.

Niemand ist ein Superheld, niemand kann die Welt retten, wir bleiben planlos und unbelehrbar. Aber alles muss sich ändern. Schon klar.

 

#

 

^^^^

www.detopia.de