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7   Perspektiven in der Psychotherapie der Selbsterforschung 

 

 

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Die neuen Erkenntnisse über die Struktur psychogener Symptome, die Dynamik therapeutischer Mechanismen und das Wesen des Heilungsprozesses sind für die psychotherapeutische Praxis von großer Bedeutung. 

Bevor ich auf die Implikationen der modernen Bewußtseinsforschung für die Zukunft der psychotherapeutischen Behandlung eingehe, möchte ich kurz noch einmal die gegenwärtige Situation, die ich in den vorangegangenen Abschnitten umrissen habe, zusammenfassend überschauen.

Die Übertragung des medizinischen Modells auf die Psychiatrie hatte schwerwiegende Konsequenzen für Theorie und Praxis der Therapie im allgemeinen und der Psychotherapie im besonderen. Es wirkte sich tiefgehend auf das Verständnis psychopathologischer Phänomene, die therapeutischen Grundstrategien und die Rolle des Therapeuten aus. In Anlehnung an die somatische Medizin werden die Begriffe »Symptom«, »Syndrom« und »Krankheit« routinemäßig nicht nur auf psychosomatische Erscheinungen, sondern auch auf verschiedene ungewöhnliche Phänomene angewendet, bei denen die Wahrnehmung, die Gefühle und das Denken verändert sind. Die Intensität solcher Phänomene und der Grad, in dem sie mit den maßgeblichen Wissenschaftsparadigmen unvereinbar sind, bestimmen, als wie schwer der klinische Zustand eingestuft wird.

Im Einklang mit der allopathischen Orientierung der westlichen Medizin besteht die Therapie in einer Intervention von außen, die den pathogenen Kräften der Krankheit entgegenwirken soll. Der Psychiater übernimmt die Rolle eines aktiv eingreifenden Arztes, der festlegt, welche Aspekte der geistigen Funktionen des Patienten als pathologisch zu werten sind, und der diese mit verschiedenen Techniken bekämpft. 

Mit manchen extremen therapeutischen Methoden näherte sich die Psychiatrie mehr oder weniger dem Ideal der westlichen mechanistischen Medizin, wie es in der Chirurgie verkörpert wird. 

Bei Maßnahmen wie psycho-chirurgischen Operationen, Elektroschock, Kardiazolschock, Insulin- oder Atropinkoma und anderen Formen einer Krampfbehandlung erfolgt der medizinische Eingriff ohne die Mitarbeit des Patienten, ja sogar in einem Zustand, in dem dieser bewußtlos ist. Zu den weniger extremen Formen der medizinischen Behandlung gehören die Psychopharmaka, die den Geisteszustand des Patienten in die gewünschte Richtung verändern sollen. Während solcher Maßnahmen ist der Patient vollkommen passiv und erwartet die Hilfe von der wissenschaftlichen Autorität, die für das gute wie für das schlechte Ergebnis die volle Verantwortung übernimmt. 

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In der Psychotherapie ist der Einfluß des medizinischen Modells zwar etwas unscheinbarer, aber dennoch höchst bedeutsam. Dies gilt sogar für die Freudsche Psychoanalyse und die von ihr abgeleiteten Behandlungsformen, in denen der Therapeut erklärtermaßen eine passive und nicht-direktive Rolle übernimmt. 

Letztlich hängt der therapeutische Erfolg doch entscheidend von den Interventionen des Therapeuten ab, von richtigen Einsichten in die historischen und dynamischen Zusammenhänge des Materials, das vom Patienten stammt, von korrekten Interpretationen zum richtigen Zeitpunkt, von der Widerstands- und Übertragungsanalyse, von der Kontrolle der Gegenübertragung und von anderen therapeutischen Maßnahmen, einschließlich der Kunst des Schweigens

Theorie und Praxis der Psychoanalyse enthalten zwar die Möglichkeit, einen Großteil der Verantwortung für den therapeutischen Prozeß auf den Patienten zu übertragen und Mißerfolge sowie mangelnde Fortschritte dem sabotierenden Effekt seines Widerstands zuzuschreiben. Doch offenbart sich im klinischen Erfolg letztlich das Geschick des Therapeuten. Er hängt davon ab, wie er während der Therapiesitzungen verbal und nichtverbal reagiert.

Da die theoretischen Konstrukte der einzelnen psychotherapeutischen Schulen und ihre Techniken erheblich voneinander abweichen, läßt sich die Angemessenheit der Interventionen des Therapeuten nur im Rahmen seiner spezifischen Orientierung bewerten. Auf jeden Fall aber engt die theoretische Konzeption des Therapeuten den Klienten explizit oder implizit auf bestimmte Themen und auf einen begrenzten Erfahrungsbereich ein. Daraus resultiert, daß der Therapeut Patienten, deren Probleme wesentlich mit solchen Bereichen oder Aspekten der Psyche zusammenhängen, die sein System nicht anerkennt, auch nicht zu helfen vermag.

Bis vor kurzem waren die meisten psychotherapeutischen Ansätze nahezu ausschließlich auf den verbalen Austausch beschränkt. Heftige Reaktionen der Patienten auf der Gefühls- oder Verhaltensebene wurden als unerwünschtes »Abreagieren« und als Verletzungen der therapeutischen Grundregeln betrachtet. Zudem konzentrierten sich die traditionellen Psychotherapien einzig und allein auf die geistigen Prozesse und vernachlässigten die körperlichen Äußerungen emotionaler Störungen. Unmittelbarer Körperkontakt galt als »kontraindiziert« und war untersagt. Als Folge dieses strengen Tabus praktizierte man keine Körperarbeit, auch nicht in Fällen von Neurosen mit starken muskulösen Verspannungen oder Krämpfen und anderen dramatischen physiologischen und psychosomatischen Begleiterscheinungen.

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   Prinzipien des psychotherapeutischen Beistands   

 

Der neue umfassende Ansatz für Selbsterforschung und Psychotherapie, der auf Beobachtungen aus der modernen Bewußtseinsforschung beruht, unterscheidet sich von den traditionellen Systemen und Strategien in vielerlei wichtiger Hinsicht. 

Ich habe diesen Ansatz zusammen mit meiner Frau Christina entwickelt, und wir praktizieren ihn in unseren Seminaren unter der Bezeichnung holonome Integration bzw. holotrope Therapie. In seiner Gesamtheit ist er ein einzigartiges System, obwohl viele seiner Bestandteile in verschiedenen gegenwärtigen psychotherapeutischen Schulen anzutreffen sind. Unser Ansatz bedient sich der erweiterten Kartographie der Psyche, die aus der früher in diesem Buch beschriebenen psychedelischen Forschung abgeleitet ist. Diese Landkarte des »Innenraums« ist umfassender als jede andere der westlichen psychotherapeutischen Schulen. Sie integriert im Geiste der Spektrumpsychologie und der »bootstrap«-Naturphilosophie die Modelle von Freud, Adler, Reich, Rank und Jung sowie bedeutsame Aspekte der Arbeit von Sandor Ferenczi, Nandor Fodor, Lietaert Peerbolte, Fritz Perls, den existentiellen Psychologen und vielen anderen.

Diese theoretischen Konzeptionen werden nicht als zutreffende und erschöpfende Beschreibungen der Psyche betrachtet, sondern dienen als nützliche Kategorisierungs­grundlagen für die Beobachtung von Phänomenen, die mit bestimmten Ebenen der Psyche oder Bändern des Bewußtseins­spektrums verknüpft sind. Durch die Einbeziehung des archetypischen und transzendentalen Bereichs der Psyche schlägt das neue System auch eine Brücke zwischen den westlichen Psychotherapien und der philosophia perennis.

Ein wesentliches Merkmal des mit dem neuen therapeutischen Ansatz verbundenen theoretischen Modells ist die Erkenntnis, daß der Mensch eine eigentümliche Doppelnatur besitzt. Er zeigt manchmal die Eigenschaften eines komplexen Objekts im kartesianisch-Newtonschen Sinne, manchmal wiederum die eines Bewußtseinsfelds, das die Grenzen der Zeit, des Raums und der linearen Kausalität überschreitet. Psychisch bedingte emotionale und psychosomatische Störungen werden dabei als Ausdruck eines Konflikts zwischen diesen beiden Aspekten des menschlichen Wesens aufgefaßt. Dieser Konflikt scheint eine dynamische Spannung zwischen zwei entgegengesetzten universellen Kräften widerzuspiegeln, nämlich zwischen der Tendenz undifferenzierter, vereinheitlichter und umfassender Bewußtseinsformen nach Teilung und Trennung und damit zur Schaffung von Welten der Pluralität, und der Tendenz isolierter Bewußtseinseinheiten, die ursprüngliche Ganzheit und Einheit wiederzuerlangen.

Während die Neigung, die Welt als Zusammenstückelung voneinander getrennter Einheiten zu erleben, mit zunehmenden Konflikten und mit Entfremdung einhergeht, wohnt holotropen Erfahrungen eine heilende Kraft inne.

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Aus dieser Sicht ist ein Mensch, der unter psychogenen Symptomen leidet, in einen letztlich ungewinnbaren Kampf verwickelt, seine Identität als einzelnes Lebewesen, das in einem begrenzten raum-zeitlichen Kontext existiert, gegen eine in ihm auftretende Erfahrung, die ein solches beschränktes Selbstbild zu untergraben droht, zu verteidigen.

Vom praktischen Standpunkt her können emotionale und psychosomatische Symptome als blockierte und verdrängte Erfahrungen holotroper Natur verstanden werden. Wenn man die Widerstände und die Blockierungen abbaut, dann formen sich die Symptome in emotional stark besetzte Erfahrungen um und lösen sich in diesem Prozeß auf. Da manche Symptome Erfahrungen biographischer Art, andere wiederum perinatale Abläufe oder transpersonale Motive beinhalten, muß jede theoretische Beschränkung die Wirksamkeit des therapeutischen Prozesses letztlich hemmen.

Ein Therapeut, der sich an der in diesem Buch beschriebenen Konzeption orientiert, weiß selten, welche Art Material in den Symptomen enthalten ist - wenn auch mit genügender klinischer Erfahrung auf diesem Gebiet gewisse allgemeine Vermutungen und Vorhersagen möglich sind. Unter diesen Umständen ist die Anwendung des medizinischen Modells absurd und produktivitätshemmend. Ein ehrlicher Therapeut sollte alles nur Mögliche tun, um die »chirurgische« Modellvorstellung von psychiatrischer Hilfe, die der Klient eventuell in die Therapie mitbringt, zu zerstreuen, wie sehr ihm auch die Rolle des allwissenden Fachmanns schmeicheln mag.

Es muß klargestellt werden, daß der psychotherapeutische Prozeß seinem ureigenen Wesen nach nicht die Behandlung einer Krankheit ist, sondern ein Abenteuer der Selbsterforschung und Selbstentdeckung. 

So ist von Anfang bis Ende der Klient der Hauptakteur, der die volle Verantwortung innehat. Der Therapeut hat fördernde Funktion. Er schafft einen Rahmen, der die Selbsterforschung des Klienten unterstützt, und teilt gelegentlich aufgrund seiner Erfahrung seine Meinung mit bzw. gibt Ratschläge.

Das Hauptmerkmal des Therapeuten ist nicht die Kenntnis spezifischer Techniken. Diese sind zwar eine notwendige Vorbedingung, sind aber recht einfach und lassen sich in relativ kurzer Zeit erlernen. Die entscheidenden Faktoren sind vielmehr der Stand seiner eigenen Bewußtseinsentwicklung, der Grad seiner Selbsterkenntnis, seine Fähigkeit, ohne Furcht an intensiven und außergewöhnlichen Erlebnissen eines anderen Menschen teilzuhaben, und seine Bereitschaft, sich neuen Beobachtungen und Situationen, die in kein konventionelles Theoriensystem eingeordnet werden können, zu stellen. 

Das medizinische Modell hat also nur in den Anfangsstadien der Therapie, bevor das Problem ausreichend erkannt ist, nützliche Funktion. Man muß eine sorgfältige psychiatrische und medizinische Untersuchung durchführen, um die Möglichkeit einer schweren organischen Erkrankung, die eine medizinische Behandlung erfordern würde, auszuschließen. Patienten, hinter deren psychischen Symptomen eine körperliche Erkrankung steckt, sollten in medizinischen Einrichtungen behandelt werden, die für den Umgang mit Verhaltensproblemen ausgerüstet sind.

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Diejenigen Klienten aber, deren medizinische Diagnose negativ ist und die den Weg der ernsthaften Selbsterforschung einer rein symptomatischen Behandlung vorziehen, sollten zu einer Psychotherapie in speziellen Einrichtungen außerhalb des medizinischen Rahmens überwiesen werden. 

Wollte man das medizinische Modell auch auf diese Fälle übertragen, so wäre dies theoretisch nicht korrekt, klinisch falsch und ökonomisch absurd. Diese Strategie gilt nicht nur für neurotische Patienten und Personen mit psychosomatischen Störungen, sondern auch für viele Patienten, die nach herkömmlichen Richtlinien als psychotisch eingestuft würden. Patienten, die sich selber oder anderen etwas antun könnten, würden spezielle Vorkehrungen erfordern, die je nach Situation zu gestalten sind.

 

Jeder Fachmann, der schon eine psychedelische Therapie oder Selbsterfahrungssitzungen ohne Anwendung von Drogen durchgeführt hat, ist sich der enormen emotionalen und psychosomatischen Energien hinter psychopathologischen Symptomen wohlbewußt. Angesichts dieser Beobachtungen ist jede ausschließlich verbal orientierte Therapie von begrenztem Wert. Geht man die Elementarkräfte und die Energiereservoirs der Psyche nur mit Worten an, so gleicht dies dem Versuch, den Ozean mit einem Sieb zu leeren. 

Der hier empfohlene Ansatz ist klar auf das unmittelbare Erleben ausgerichtet.  

Das Gespräch dient in erster Linie dazu, den Klienten auf die Selbsterfahrungssitzung vorzubereiten, über die Erfahrung rückblickend zu sprechen und sie zu integrieren. Was die eigentliche therapeutische Prozedur angeht, so bietet der Therapeut dem Klienten eine Technik oder eine Kombination von Techniken an, mit denen das Unbewußte aktiviert wird, die blockierten Energien mobilisiert werden und der festgefahrene Zustand emotionaler und psychosomatischer Symptome in einen Fluß dynamischer Erfahrungen umgewandelt wird. Einige der Techniken, die sich für diesen Zweck am besten eignen, sollen später ausführlicher beschrieben werden. Der nächste Schritt besteht darin, die auftauchenden Erfahrungen zu unterstützen und dem Klienten dabei zu helfen, Widerstände zu überwinden. 

Gelegentlich kann eine ungehinderte Freisetzung des unbewußten Materials den Klienten und auch den Therapeuten sehr beanspruchen und belasten. Die dramatische Vergegenwärtigung früherer Ereignisse sowie Tod- und Wiedergeburt-Erlebnisse werden in den modernen Selbsterfahrungstherapien immer häufiger und sollten für einen Fachmann, der auf diesem Gebiet ausreichend geschult ist, kein größeres Problem darstellen. Mit Nachdruck sei darauf hingewiesen, daß der Therapeut den Prozeß des Klienten unterstützen soll, welche Form und Intensität er auch annimmt.

Die einzige wirkliche Grenze wird durch Gefahr für Leib und Leben des Klienten und anderer Personen gesetzt. Therapeutische Durchbrüche lassen sich öfter nach Episoden beobachten, die durch totalen Kontrollverlust gekennzeichnet sind, etwa nach »Blackouts«, heftigen Erstickungsanfällen, gewalttätigen, anfallsartigen Aktivitäten, schwerem Erbrechen, Verlust der Blasenkontrolle, Ausstoßen unartikulierter Laute, bizarren Grimassen, Haltungen und Lauten, die solchen ähneln, wie sie in exorzistischen Sitzungen beschrieben werden. Viele dieser Erscheinungen haben eine logische Verbindung mit dem biologischen Geburtsprozeß.

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Während das Wiedererleben früher Kindheitserinnerungen und des Geburtstraumas heutzutage auch von relativ konservativen Fachleuten akzeptiert wird, bedarf es einer tiefgehenden philosophischen Neuorientierung und eines fundamentalen Paradigmawechsels, wenn der Prozeß in transpersonale Bereiche vordringt. 

Viele Erfahrungen in diesem Rahmen sind so außergewöhnlich und scheinbar so absurd, daß ein gewöhnlicher Therapeut ratlos ist, sich ihren therapeutischen Wert nicht so recht vorstellen kann und dazu neigt, sie explizit oder implizit als unerwünscht einzuordnen. Unter Fachleuten herrscht eine starke Tendenz vor, transpersonale Phänomene anderweitig zu deuten, etwa als Ausdruck von biographischem Material in symbolisch verschleierter Form, als Anzeichen für einen Widerstand gegen schmerzliche traumatische Erinnerungen, als seltsame Erlebnisse ohne tiefere Bedeutung, oder sogar als Hinweis für einen psychotischen Bereich in der Psyche des Klienten, von dem dieser sich fernhalten sollte. 

Transpersonale Erlebnisse haben aber oft ungewöhnlich heilende Kraft. Wenn man sie unterdrückt oder nicht unterstützt, schränkt man die Wirksamkeit des therapeutischen Prozesses wesentlich ein. Massive emotionale, psychosomatische und zwischenmenschliche Schwierigkeiten, unter denen der Klient viele Jahre lang gelitten hat und die sich gegenüber konventionellen Behandlungsmethoden als resistent erwiesen haben, können manchmal nach einem intensiven Erlebnis mit transpersonalem Charakter verschwinden, etwa nach der Identifizierung mit einem Tier oder einer Pflanze, nach der Unterwerfung unter die dynamische Macht eines Archetyps, nach dem Erleben eines dramatischen Handlungsablaufs aus einer anderen Kultur oder nach dem Wiedererleben eines historischen Ereignisses bzw. dessen, was offenbar ein Ereignis aus einer früheren Inkarnation darstellt.

Die Grundstrategie, die zu den besten therapeutischen Resultaten führt, macht erforderlich, daß sich Therapeut und Klient vorübergehend von allen theoretischen Anschauungen sowie von Annahmen und Erwartungen über den weiteren Verlauf des Prozesses lösen. Sie müssen offen und abenteuerlustig werden, mit einem tiefen Vertrauen darin, daß der Prozeß seinen eigenen Weg zugunsten des Klienten nehmen wird und ihm dahin folgen, wo er hinführt. Jede intellektuelle Analyse während der Erfahrung erweist sich gewöhnlich als ein Zeichen von Widerstand und behindert ernstlich den Fortschritt. 

Dies liegt daran, daß das Überschreiten der normalen theoretischen Vorstellungen einen integralen Bestandteil des Abenteuers einer tiefgehenden Selbsterforschung ausmacht. Da keine der transpersonalen Erfahrungen aus der Sicht des mechanistischen Weltbilds und des linearen Determinismus verständlich ist, offenbart sich in Versuchen, Erlebnisse in transpersonalen Sitzungen von vornherein intellektuell anzugehen, in der Regel eine fehlende Bereitschaft, etwas zu erleben, was unbegreiflich ist, was mit keinem theoretischen System, das dem Klienten geläufig ist, erklärt werden kann.

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Die Art und Weise, wie der Klient sich selber und die Welt sieht, ist ein wesentlicher Teil seiner Probleme und in gewisser Hinsicht auch für sie verantwortlich. Das entschlossene Festhalten an alten Vorstellungen ist also ein antitherapeutischer Faktor von primärer Bedeutung. Wenn der Therapeut gewillt ist, den Klienten in diesem Prozeß zu ermuntern und zu unterstützen — auch wenn er nicht versteht, was geschieht —, und wenn der Klient zu einer wagemutigen Reise in unbekannte Territorien seiner Psyche bereit ist, dann werden sie beide mit außergewöhnlichen therapeutischen Erfolgen und Durchbrüchen in ihrem theoretischen Vorstellungsvermögen belohnt.

Manche in diesem Rahmen auftretenden Erfahrungen werden erst später in einem erheblich erweiterten oder vollkommen neuen theoretischen Kontext verständlich. Gelegentlich aber können ein bedeutsamer emotionaler Durchbruch und ein tiefgehender Persönlichkeitswandel auch ohne das angemessene rationale Verständnis erreicht werden. Diese Situation steht in scharfem Gegensatz zu der, die für die Freudsche Analyse nur allzu typisch ist, nämlich zu dem Gefühl, die eigenen Probleme von seiner bisherigen Lebensgeschichte her bis in Details verstanden zu haben, aber keine oder nur sehr geringe therapeutische Fortschritte zu machen. In dem von mir vorgeschlagenen Verfahren unterstützt der Therapeut die Erfahrung des Klienten, wie immer sie beschaffen sein mag, und der Klient läßt sie geschehen, ohne sie zu analysieren. Ist die Erfahrung abgeklungen, dann können sie versuchen - falls sie Lust dazu haben -, das Geschehene theoretisch einzuordnen.

Sie sollten sich aber dessen vollends bewußt sein, daß sie damit eine mehr oder weniger akademische Übung ohne großen therapeutischen Wert absolvieren. Jedes Erklärungsmodell, zu dem sie am Ende gelangen mögen, muß als eine vorübergehende Hilfskonstruktion betrachtet werden, da sich die Grundannahmen über das Universum und über sich selber radikal ändern, sobald man von einer Bewußtseinsstufe auf die nächste gelangt. Generell gilt, daß eine Erfahrung um so weniger analysiert und interpretiert werden muß, je abgeschlossener sie ist, da sie dann aus sich selbst heraus begreiflich ist. Im Idealfall ist das Thema des Gesprächs nach der Therapiesitzung die Faszination über die neue Entdeckung, nicht das krampfhafte Bemühen, das Geschehene zu begreifen.

Die Neigung, das Erlebte aus der Sicht des kartesianisch-Newtonschen Modells zu analysieren und zu interpretieren, ist unter diesen Umständen recht selten. Es wird nur zu deutlich, daß eine solche begrenzte Vorstellung von der Existenz in ihren Grundfesten erschüttert und überschritten wurde. Wenn sich überhaupt, eine philosophische Diskussion ergibt, dann geht es in ihr eher darum, die Implikationen des Erlebten für die Beschaffenheit der Realität zu erwägen. In Anbetracht der reichen Vielfalt an Erfahrungen, die für jede Bewußtseinsebene, auf die man in einer psychedelischen Therapie oder mit Hilfe von Selbsterfahrungstechniken ohne Zuhilfenahme von Drogen gelangen kann, charakteristisch ist, erscheint es angebracht, eine systematische Selbsterforschung

im Geiste der »bootstrap«-Naturphilosophie zu betreiben. Viele der existierenden theoretischen Systeme tragen gelegentlich zum Verständnis mancher Erfahrungen und zu ihrer geistigen Einordnung bei. Man muß sich aber dessen bewußt sein, daß sie nur Modelle und nicht zutreffende Beschreibungen der Realität sind. Außerdem lassen sie sich nur auf die Phänomene bestimmter engerer Sektoren der menschlichen Erfahrung und nicht auf die Psyche als Ganzes anwenden. Es ist deshalb wesentlich, in jedem einzelnen Fall eklektisch und kreativ vorzugehen, statt zu versuchen, alle Klienten in die Zwangsjacke seiner eigenen Lieblingstheorie oder psychotherapeutischen Schule zu pressen.

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Freuds Psychoanalyse und Adlers Individualpsychologie scheinen sich am besten für Erfahrungen zu eignen, die in erster Linie den biographischen Bereich betreffen. Beide Systeme werden aber ganz und gar unbrauchbar, wenn der Selbsterfahrungsprozeß auf die perinatale Ebene vordringt. Was manche Erlebnisse angeht, die man im Zusammenhang mit dem Geburtsprozeß beobachten kann, können Therapeut und Klient auf die Theorie von Otto Rank zurückgreifen. Gleichzeitig lassen sich die gewaltigen Energien, die sich auf dieser Ebene manifestieren, recht gut mit dem Modell von Wilhelm Reich beschreiben und verstehen.

 

Sowohl das Ranksche als auch das Reichsche System bedürfen aber erheblicher Modifikationen, wenn man dem perinatalen Prozeß vollends gerecht werden will. Rank hob beim Geburtstrauma den Unterschied zwischen dem Dasein im Mutterleib und der Existenz in der Außenwelt hervor. Er berücksichtigte nicht die spezifischen traumatischen Auswirkungen der zweiten und dritten perinatalen Matrix. Reich lieferte eine korrekte Beschreibung der energetischen Aspekte des perinatalen Prozesses, betrachtete diese Energie aber als blockierte sexuelle Energie und nicht als eine, die direkt vom Geburtsvorgang herrührt. 

Für Erfahrungen auf der transpersonalen Ebene eignen sich die Jungsche Psychologie, Assagiolis Psychosynthese und bis zu einem gewissen Grad Ron Hubbards Scientology als wertvolle Orientierungshilfen. Auch die Kenntnis der Mythologie und der großen Religionen der Welt kann beim Prozeß der tiefgehenden Selbsterforschung von unschätzbarem Wert sein, da viele Klienten Abläufe erleben, die sich nur von einem bestimmten, historisch, geographisch oder kulturell bedingten spirituellen Rahmen her verstehen lassen. Systeme wie der Gnostizismus, die Kabbalah, die Alchemie und die Astrologie können ebenfalls zu Einsichten in manche Erfahrungen verhelfen. Auf jeden Fall sollte man diese Systeme im nachhinein auf die Erlebnisse anwenden, die sie rechtfertigen, jedoch sollte keines von ihnen a priori als ausschließliches Leitkonzept verwendet werden.

Obwohl die Dynamik des innerpsychischen Prozesses von fundamentaler Bedeutung ist, wäre jede Psycho­therapie, die sich einzig auf das Individuum konzentriert und es isoliert behandelt, von begrenztem Wert. Ein effektiver und umfassender Ansatz muß den Klienten in einem breiten zwischenmenschlichen, kulturellen, sozio-ökonomischen und politischen Kontext berücksichtigen.

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Wichtig ist, daß man die Lebenssituation des Klienten von einem ganzheitlichen Standpunkt her analysiert und sich der Beziehung zwischen seinem innerpsychischen Geschehen und den Elementen der Außenwelt bewußt ist. So mögen in manchen Fällen Umweltbedingungen, kultureller oder politischer Druck sowie eine ungesunde Lebensführung ganz offenkundig an der Entwicklung emotionaler Störungen beteiligt sein. Solche Faktoren sollten ausfindig gemacht und — wenn möglich — in die Therapie einbezogen werden. Dennoch sollten aber im allgemeinen Selbsterforschung und Persönlichkeitsumwandlung — als die entscheidenden und am leichtesten verfügbaren Aspekte jedes therapeutischen Prozesses — das Hauptanliegen bilden.

 

   Techniken für die Psychotherapie und Selbsterforschung    

 

Die Hauptziele der Techniken, die man in Selbsterfahrungstherapien benutzt, sind die Aktivierung des Unbewußten, die Freisetzung der in emotionalen und psychosomatischen Symptomen gebundenen Energie sowie die Umformung eines starren energetischen Gleichgewichts in einen Strom des Erlebens. In vielen Fällen ist dieses Gleichgewicht so labil, daß es nur mit gewaltigen subjektiven Anstrengungen des oder der Betreffenden aufrechterhalten werden kann. In psychotischen Zuständen läßt sich ein solches Gleichgewicht zurückführen auf die noch verbleibenden Widerstände des Klienten, die Angst vor sozialem Druck und entsprechenden Maßnahmen, auf therapeutische und institutionelle Abschreckungsmittel sowie auf die dämpfende Medikation. 

Selbst in weniger tiefgehenden dynamischen Störungen wie bei Depressionen, psychosomatischen Störungen und neurotischen Zuständen fällt es häufig schwerer, die aufsteigenden Erfahrungen zu unterdrücken, als ihnen freien Lauf zu lassen. Unter solchen Bedingungen bedarf es keiner intensiven Technik, um den Selbsterforschungsprozeß in Gang zu bringen. Gewöhnlich reichen eine neue Sicht des inneren Geschehens, eine gute Beziehung zum Therapeuten und eine Atmosphäre des Vertrauens, sowie eine stützende und permissive Umgebung, um dem Klienten eine volle Hingabe an den Selbsterforschungsprozeß zu ermöglichen. In diesem Rahmen genügen dann in der Regel die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Gefühle und Körperempfindungen, ein paar tiefe Atemzüge und eine anregende Musik, um eine tiefe therapeutische Erfahrung zu vermitteln. 

Sind die Widerstände stark, dann muß man sich spezieller Techniken bedienen, um die blockierten Energien zu mobilisieren und Symptome in Erfahrungen umzuwandeln. Am besten läßt sich dies ohne Zweifel mit Hilfe von psychedelischen Substanzen verwirklichen. Dieses Vorgehen ist aber mit vielen potentiellen Gefahren verbunden und bedarf spezieller Vorsichtsmaßnahmen sowie der Beachtung eines Satzes strenger Regeln.

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Da ich bereits die therapeutische Verwendung von Psychedelika in mehreren Büchern beschrieben habe und diese Art der Behandlung nicht ohne weiteres möglich ist, will ich mich im folgenden auf Vorgehens weisen ohne Zuhilfenahme von Drogen, die meiner Ansicht nach besonders nützlich, wirksam und effektiv sind, konzentrieren.1) Da sie alle der gleichen aufdeckenden Strategie folgen, stören sie sich gegenseitig nicht und können in verschiedenen Kombinationen und Abfolgen verwendet werden.

Die erste dieser Techniken habe ich bereits in den Jahren meiner LSD-Forschungen allmählich entwickelt, und zwar ursprünglich als Methode, die noch verbleibenden Probleme zu klären, die nach unvollständig abgeschlossenen LSD-Sitzungen fortbestehen. Vor über 10 Jahren habe ich außerhalb der Behandlung mit LSD mit ihr zu arbeiten begonnen und bin immer wieder beeindruckt von ihrer Effektivität als eigenständiger therapeutischen Maßnahme. 

Der Schwerpunkt dieser Technik liegt bei der Freisetzung aufgestauter Energien durch Maßnahmen, die sich auf die körperlichen Symptome als die Punkte des geringsten Widerstands konzentrieren. Traditionell orientierte Psychotherapeuten mögen ihre ernstlichen Bedenken hinsichtlich der Nützlichkeit dieser Technik haben, weil in ihr das Abreagieren eine wesentliche Rolle spielt. In der psychiatrischen Literatur wird der Wert des Abreagierens - außer im Fall emotionaltraumatischer Neurosen - entschieden in Zweifel gezogen. Ein geistiger Vorläufer in dieser Hinsicht war Sigmund Freud, der seine frühen Konzepte, in denen er dem Abreagieren des Affekts großen therapeutischen Wert zuschrieb, verwarf und den Schwerpunkt auf die Übertragungsanalyse legte. 

Die Arbeit mit Psychedelika und den neuen Selbsterfahrungstechniken hat die Prinzipien des Abreagierens und der Katharsis weitgehend rehabilitiert und sie als bedeutsame Aspekte einer Psychotherapie erkannt. Nach meiner Erfahrung ist das scheinbare Versagen des Abreagierens, wie es in der psychiatrischen Literatur beschrieben wird, darauf zurückzuführen, daß dieses nicht weit genug betrieben und nicht systematisch eingesetzt wurde.

Man hielt es auf der relativ oberflächlichen Ebene der biographischen Traumen und arbeitete nicht daraufhin oder ließ es nicht zu, daß es extreme Formen annahm, die in der Regel zu einer erfolgreichen Lösung führen. Auf der perinatalen Ebene kann es in solchen Extremfällen zu alarmierenden Erstickungsanfällen, Kontrollverlust, »Blackouts«, heftigstem Erbrechen und anderen recht dramatischen Erscheinungen kommen. Auch muß man beachten, daß das mechanische Abreagieren keinen Sinn hat. Es muß in einer ziemlich spezifischen Form erfolgen, die mit der Natur der energetischen und erlebnismäßigen Blockierung im Zusammenhang steht. 

Wenn der Klient einen bestimmten Aspekt des Erfahrungskomplexes systematisch meidet, dann führt die mechanische Wiederholung aller anderen Facetten zu keiner Lösung. Es ist absolut erforderlich, daß die emotionale und motorische Entladung in Verbindung mit den entsprechenden unbewußten Inhalten erlebt wird.

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So kann man von kathartischen Ansätzen, in denen dem Klienten nicht unbeschränkte Freiheit für das gesamte Spektrum des Erlebens — einschließlich der perinatalen und transpersonalen Phänomene — eingeräumt wird, nicht dramatische therapeutische Erfolge erwarten, mit oder ohne Abreagieren. Trotz allem aber, was ich zugunsten des Abreagierens angeführt habe, wäre es ein Fehler, die Technik, die ich vorstellen möchte, auf das Abreagieren allein zu reduzieren, da sie noch viele andere wichtige Elemente beinhaltet.

Klienten, die die oben angesprochene Technik benutzen möchten, werden gebeten, eine liegende Position auf einer großen bequemen Couch, auf einer Matratze oder auf dem mit Kissen oder einem Teppich ausgelegten Fußboden einzunehmen. Dann fordert man ihn oder sie auf, sich auf den Atem sowie auf die Vorgänge im Körper zu konzentrieren und den Intellekt soweit wie möglich auszuschalten. Wenn der Atem allmählich tiefer und schneller wird, ist es nützlich, sich ihn als eine Wolke von Licht vorstellen zu lassen, die durch den Körper wandert und alle Organe und Zellen erfüllt. Eine kurze Phase dieser anfänglichen Hyperventilation mit konzentrierter Aufmerksamkeit intensiviert bereits bestehende Körperempfindungen und Gefühle oder läßt neue entstehen. Hat sich das Muster klar manifestiert, dann kann die Selbsterforschungsarbeit beginnen.  

Das Grundprinzip besteht darin, den Klienten dazu anzuhalten, sich den auftauchenden Gefühlen und Empfindungen voll und ganz hinzugeben und Wege zu finden, sie auszudrücken — durch Laute, Bewegungen, Haltungen, Grimassen oder Schütteln —, ohne sie zu beurteilen oder zu analysieren. Im geeigneten Moment leistet man Beistand. All diese unterstützende Arbeit kann von einer Person geleistet werden, doch scheint eine Mann-Frau-Dyade die ideale Situation zu sein. 

Vor Beginn des Selbsterforschungsprozesses gibt man dem Klienten oder der Klientin die Instruktion, während des ganzen Prozesses mit so wenig Worten wie möglich kundzutun, wie sich die Energie in seinem bzw. ihrem Körper verhält, also wo Blockierungen, überstarke Ladungen bestimmter Bereiche, Druck, Schmerzen oder Krämpfe vorhanden sind. Wichtig ist auch, daß die Qualität von Gefühlen und verschiedenen physiologischen Empfindungen mitgeteilt wird, ob sich Angst, Schuldgefühle, Wut, Atemnot, Übelkeit oder Druck in der Blase einstellen.

Die Funktion der beiden Therapeuten ist es, dem Energiefluß zu folgen, die auftretenden Prozesse und Empfindungen zu intensivieren, und sie voll und ganz erleben und ausdrücken zu lassen. Berichten die Klienten über Druckgefühle im Kopf oder in der Brust, dann verstärkt man sie genau in diesen Bereichen durch mechanisches Auflegen der Hand. Entsprechend sollten verschiedene Muskelspannungen durch tiefe Massage, die sich manchmal dem Rolfing annähert, intensiviert werden. Die beiden Therapeuten bieten Widerstand, wenn der Klient das Gefühl hat, er würde gegen etwas stoßen. Durch rhythmische Druckausübung oder Massage können auch Würgen und Hustenkrämpfe bis zu dem Punkt vorangetrieben werden, an dem Erbrechen oder Ausstoßen von Schleim erfolgt.

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Das Gefühl, zu ersticken oder an der Kehle stranguliert zu werden, das sich sehr häufig in einer Selbsterfahrungstherapie dieser Art einstellt, kann durchgearbeitet werden, indem man den Klienten auffordert, mit Kraft ein Handtuch zu wringen und dabei die Empfindungen des Würgens in die Hände und in die Bewegung des Wringens zu projizieren. Man kann auch Druck auf manche harte Körperstellen in der Nähe der Kehle ausüben, etwa auf die Kinnbacken, die Scaleni-Muskeln oder das Schlüsselbein. Der Kehlkopf selber ist aus einleuchtenden Gründen für direkte Druckausübung nicht geeignet.

Für die Arbeit an Blockaden in bestimmten Bereichen kann man sich nach Wahl bioenergetischer Übungen und Maßnahmen oder einiger Elemente des Rolfing bzw. der Polaritätsmassage bedienen. Das Grundprinzip besteht nach wie vor darin, den ablaufenden Prozeß zu unterstützen, und nicht einem Schema zu folgen, das einer bestimmten Theorie oder den Vorstellungen der Therapeuten entspricht. Innerhalb dieser Grenzen gibt es reichlich Gelegenheit für kreatives Improvisieren. Es kann sehr spezifisch werden, wenn die beiden Beistand leistenden Personen Art und Inhalt der sich ausfaltenden Erfahrung kennen. 

In einem solchen Fall kann die Intervention sehr konkrete Details des Motivs, das sich gerade präsentiert, widerspiegeln. Sie können einen Geburtsmechanismus sehr wirklichkeitsgetreu nachahmen, sie können das Wiedererleben einer frühkindlichen symbiotischen Situation mit der Mutter durch Körperkontakt fördern, oder sie können durch lokalisierten Fingerdruck die Schmerzen intensivieren, die während der Erinnerung an eine Szene aus einer früheren Inkarnation auftauchen, in der eine' Wunde durch ein Schwert, eine Lanze oder einen Dolch zugefügt wurde.

Das Verhalten der Beistand leistenden Personen sollte sich sensibel nach der Natur der Erfahrungen richten. Im Idealfall sollte es dem Verlauf des Prozesses folgen, der sich von innen her im Klienten ausfaltet, und nicht durch ihre Vorstellungen und Überzeugungen bestimmt werden. Personen, die diese Techniken am eigenen Leib erlebt haben, anderen Beistand leisteten oder teilnehmende Beobachter waren, vergleichen sie häufig mit Geburtshilfemaßnahmen. Der Prozeß entfaltet sich in elementarer Form, er hat seinen eigengesetzlichen Verlauf und seine eigene innere Weisheit. Die Rolle der Beistand leistenden Person besteht wie die eines guten Geburtshelfers darin, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wenn es nicht absolut notwendig ist, darf sie nicht eine eigene Alternativvorstellung von diesem Prozeß auf das natürliche Geschehen übertragen.

In Übereinstimmung mit der Grundstrategie wird dem Klienten deutlich zu verstehen gegeben, daß es sein Prozeß ist, und daß die Therapeuten nur eine »unterstützende Rolle« innehaben. Wenn Beistand angebracht erscheint, wird er dem Klienten angeboten, nicht ihm aufgezwungen. In jedem Stadium seines Prozesses hat der Klient die freie Wahl, alle Maßnahmen von außen mit einem bestimmten, vorher verabredeten Signal zu unterbrechen. Wir selber benutzen das Wort »Halt«.

Es gilt als ein absoluter Befehl für die Therapeuten, mit jeder Aktivität aufzuhören, wie überzeugt sie auch davon sein mögen, daß eine Fortsetzung ihres Tuns angezeigt und von Nutzen wäre.

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Alle anderen Reaktionen des Klienten werden ignoriert und als Teil seiner Erfahrung aufgefaßt. Äußerungen wie »Sie bringen mich ja um«, »Ich habe Schmerzen« oder »Tun Sie mir das nicht an!«, die nicht in Verbindung mit dem Wort »Halt!« erfolgen, gelten als Reaktionen auf die symbolischen Hauptfiguren ihres Erlebens, handele es sich dabei um Elternfiguren, archetypische Wesen oder Personen in einer Szene aus einer früheren Inkarnation.

Eine solche Arbeit erfordert die Beachtung ethischer Grundprinzipien. Die Therapeuten sollten unter allen Umständen die physiologische und psychische Belastbarkeit des Klienten respektieren. Man muß sich darüber ein Urteil bilden, was einen noch erträglichen Grad an Druck oder Schmerz ausmacht. Da er an Stellen erzeugt wird, an denen der Klient ursprünglich vom Trauma betroffen wurde, wird er von ihm viel intensiver empfunden, als er wirklich ist. Doch selbst dann wird er typischerweise die Beistand leistenden Personen bitten, den Druck oder den Schmerz über ein Maß hinaus zu verstärken, das ihnen noch vertretbar erscheint. Darin wird deutlich, daß die ursprüngliche Intensität des Schmerzes die des von außen zugefügten Schmerzen bei weitem übersteigt. Der Klient spürt aber, daß er zum Schließen der Gestalt die Gefühle und Körperempfindungen, die Teil des in ihm auftauchenden Motivs sind, bewußt in ihrer vollen Intensität erleben muß.

Die Beistand leistenden Personen sollten dem Fluß der Energie folgen und den Klienten dazu ermuntern, sich allem, was geschieht, so lange voll und ganz hinzugeben und es auszudrücken, bis ein spannungsfreier, angenehmer und geistesklarer Zustand erreicht ist. Zu diesem Zeitpunkt kann liebevoller Körperkontakt angebracht sein, insbesondere wenn die Erfahrung Erinnerungen an Ereignisse aus der frühen Kindheit beinhaltet. Man sollte dann dem Klienten genug Zeit lassen, seine Erfahrung zu integrieren und zum alltäglichen Bewußtsein zurückzukehren. 

Eine Arbeit wie die hier beschriebene dauert im Schnitt 30 bis 90 Minuten. Wenn die Gestalt nicht vollständig geschlossen werden konnte, lautet die Regel, sich mit den Gefühlen und Körperempfindungen des Klienten zu befassen, die leicht zugänglich sind und nicht erst mit enormem Aufwand hervorgelockt werden müssen. Die Arbeit sollte fortgesetzt werden, sobald sich die Spannungen hinreichend wieder aufgebaut haben. Dies kann Stunden oder Tage dauern! Der Klient wird dazu angehalten, die erschlossenen Kanäle in sein Unbewußtes offenzuhalten und die Situation nicht bis zu einem Punkt sich entwickeln zu lassen, an dem die hochsteigenden Gefühle und Empfindungen nur mit äußersten Anstrengungen unter Kontrolle gebracht werden können. Die oben beschriebene Technik ist sehr effektiv und bewirkt eine schnelle Besserung emotionaler und psychosomatischer Störungen.

Ich habe wiederholt erlebt, wie Personen, deren Zustand aus konventionell psychiatrischer Sicht die Unterbringung in einer Klinik gerechtfertigt hätte, innerhalb von ein oder zwei Stunden nicht nur einen Rückgang ihrer Symptome verzeichnen konnten, sondern auch einen Zustand aktiven Wohlergehens oder sogar eines ekstatischen Glücksgefühls erreichten.

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Diesem Ansatz wohnt ein Potential zur Lösung akuter emotionaler und psychosomatischer Beschwerden inne, das so verblüffend ist, daß ich niemals die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder die Behandlung mit dämpfenden Medikamenten erwäge, ohne ihn vorher auszuprobieren. Der Wert dieser Technik geht aber offenkundig über die momentane Erleichterung hinaus. Setzt man sie weiter systematisch ein, wird sie zu einem hochwirksamen Mittel für Selbsterforschung und Therapie. Während es in der traditionellen Psychoanalyse und in verwandten verbalen Therapien Monate oder Jahre dauern kann, um zu Erinnerungen aus frühen Phasen der Kindheitsentwicklung zu gelangen, können die Klienten hier des öfteren Ereignisse aus der ersten Zeit nach oder sogar während der Geburt nicht nur in das Gedächtnis zurückrufen, sondern auch voll und ganz wiedererleben.

Ein wesentliches Nebenprodukt dieser therapeutischen Strategie ist die Entwicklung des Gefühls bei den Klienten, Herr über sich selber zu sein. Sie erkennen sehr rasch, daß sie sich selber helfen können und daß sie eigentlich die einzigen sind, die dies vermögen. Dadurch schrumpft bei ihnen auch gewaltig der Glaube, daß nur eine magische Intervention von Seiten des Therapeuten, eine brillante Interpretation, erhellende intellektuelle oder emotionale Einsichten, Ratschläge oder Anleitungen ihnen von Nutzen sein könnten. 

Schon eine einzige Selbsterfahrungssitzung dieser Art kann ihnen unmißverständlich deutlich machen, wo die Probleme liegen und was zu tun ist, um sie durchzuarbeiten. Die Klienten werden hier auch aufgefordert, nichts zu glauben, was sie nicht selber unmittelbar erlebt haben. Die auf diese Weise entdeckten Verbindungen sind nicht eine Sache der persönlichen Auffassung oder Vermutung, sondern sprechen gewöhnlich für sich selbst und sind so überzeugend, daß sie der Klient auch gegen die Therapeuten verteidigen würde, falls diese eine andere Meinung hätten.

Der oben beschriebene Prozeß kann mit richtiger Verwendung von Musik noch weiter intensiviert und vertieft werden. Eine nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählte und zusammengestellte Hi-Fi-Stereomusik ist unter Umständen ein hochwirksames Instrument zur Förderung der Selbsterforschung und der Therapie. Entwickelt wurden die Prinzipien für die Verwendung von Musik zum Zweck der Bewußtseinserweiterung von Helen Bonny (23), ehemaliges Mitglied des Teams am Maryland Psychiatric Research Center in Catonsville, in dem sie an psychedelischen Forschungen als Musiktherapeutin mitwirkte. Während ihrer Arbeit mit Psychedelika erkannte sie das bewußtseinsverändernde Potential von Musik und schuf eine Technik mit der Bezeichnung »Guided Imagery with Music« oder GIM.

Wenn Musik nach entsprechender Vorbereitung introspektiv gehört wird, ruft sie unter Umständen heftige Erlebnisse hervor und fördert eine tiefgehende emotionale sowie psychosomatische Befreiung. Sie schafft eine sinnhaltige dynamische Struktur und erzeugt eine kontinuierlich fließende Welle, auf der der Klient über schwierige Handlungsabschnitte und Stockungen hinwegkommt, psychische Abwehrmechanismen überwindet und sich dem Strom des Erlebens hingibt.

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Musik vermittelt in der Regel das Gefühl von Kontinuität und Zusammenhang im Verlauf verschiedener Bewußtseinszustände. Gelegentlich kann der geschickte Einsatz von Musik auch spezifische Inhalte an die Oberfläche bringen, etwa Aggressionen, sinnliche oder sexuelle Empfindungen, emotionales Leid, körperliche Schmerzen, ekstatische Ausbrüche, kosmische Expansion oder die ozeanische Atmosphäre des Mutterleibes.

Um Musik im Rahmen der Selbsterforschung als Katalysator für tiefgehende Erfahrungen zu benutzen, muß man sich unbedingt von der abendländischen Art und Weise des Musikhörens lösen. Das disziplinierte und intellektualisierte Zuhören im Konzert, das sich Berieselnlassen von Hintergrundmusik auf Cocktailpartys, sowie die dynamische und elementare, aber extravertierte Hingabe an die Musik in Rockkonzerten sind fehl am Platz. Die Klienten werden aufgefordert, sich entspannt auf den Fußboden oder eine Couch zu legen und sich dem Fluß der Musik vollkommen zu öffnen. Sie sollen sie ihren ganzen Körper durchdringen lassen und auf jede Weise reagieren, die angemessen erscheint — mit Weinen oder Lachen, mit Lauten, Beckenbewegungen, Verkrümmungen des Körpers, mit Beklemmung, heftigem Zittern oder Schütteln. 

Auf diese Weise verwendet, wird Musik zu einem hochwirksamen Mittel zur Auslösung ungewöhnlicher Bewußtseinszustände, das entweder allein oder in Kombination mit anderen Selbsterfahrungstechniken - etwa der oben beschriebenen - eingesetzt werden kann. Zu diesem Zweck muß die Musik von hoher technischer Qualität und von genügender Lautstärke sein, um eine antreibende Wirkung auf die Zuhörer auszuüben. Die wichtigste Regel lautet, die Musikstücke nach der inneren Dynamik der Erfahrung auszuwählen und nicht die Situation durch eine bestimmte Auswahl von Musik beeinflussen zu wollen. 

Bei einer anderen sehr effektiven und äußerst interessanten Technik zum Zweck der Selbsterforschung und Heilung bedient man sich der aktivierenden Wirkung, die schnelles Atmen auf das Unbewußte ausübt. Diese Technik beruht auf vollkommen anderen Prinzipien als die oben beschriebene Technik des gezielten körperlichen Abreagierens. Trotz ihrer Unterschiede aber scheinen beide Techniken miteinander vereinbar zu sein und sich zu ergänzen. Der oben beschriebene Ansatz geht aus der therapeutischen Tradition hervor und wurde im Zusammenhang mit der therapeutischen Arbeit an psychiatrischen Patienten entwickelt. Er vermag aber die Klienten nicht nur auf die biographische und perinatale, sondern bis auf die transpersonale Ebene zu bringen.

Im Gegensatz dazu hat die im folgenden beschriebene Methode von Grund auf spirituellen Charakter. Sie vermag in sehr kurzer Zeit den Zugang zu transpersonalen Bereichen erschließen. In diesem Prozeß der spirituellen Öffnung müssen sich viele der Konfrontation mit verschiedenen traumatischen Erlebnissen biographischer Natur sowie mit Geburt und Tod stellen.

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Dies dient der Heilung und der Persönlichkeitsumwandlung, die sich beide als Nebenwirkungen dieses Prozesses ergeben. Verschiedene Verfahren, die mit Atemtechniken verknüpft sind, spielten eine höchst bedeutsame Rolle in bestimmten alten indischen Praktiken und in vielen anderen spirituellen Traditionen. Diese Methodik wurde von Leonard Orr (141) wiederentdeckt. Eine ihrer Varianten wird gegenwärtig im Rahmen seiner »Rebirthing«-Programme benutzt.

 

Diese Technik basiert auf einer Kombination aus intensivem Atmen und einer introspektiven Orientierung. Der Klient wird gebeten, sich mit geschlossenen Augen hinzulegen, sich auf das Atmen zu konzentrieren, und ein Atemmuster aufrechtzuerhalten, das schneller und effektiver ist als gewöhnlich. Abreagieren und äußerliche Manipulationen sollen dabei soweit wie möglich unterbleiben. Nach einem Zeitraum, der je nach Person unterschiedlich ist - in der Regel zwischen 45 Minuten und einer Stunde -, sammeln sich die Spannungen im Körper gewöhnlich zu einer stereotypen Form eines Muskelpanzers an, die sich schließlich auflöst, wenn mit der Hyperventilation fortgefahren wird. 

Die Zonen intensiver Anspannung, die sich normalerweise entwickeln, befinden sich in etwa dort, wo das indische System des Kundalini-Yoga die Zentren der psychischen Energie, die Chakras, plaziert. Sie äußern sich in einem intensiven Druck oder sogar in Schmerzen in der Stirn oder in den Augen, in einer Zusammenziehung der Kehle mit Spannungen und seltsamen Empfindungen um den Mund und einer Kiefersperre, sowie in Spannungszonen in der Brust, um den Nabel und im Unterbauch. Außerdem entwickeln sich an Armen und Händen sowie an Beinen und Füßen charakteristische Kontraktionen, die schmerzhafte Dimensionen erreichen können. In der rein klinischen Arbeit zeigen sich bei den Klienten gewöhnlich nicht alle oben beschriebenen Erscheinungen, sondern je nach Person unterschiedlich verteilte Spannungen, von denen manche Bereiche des Körpers besonders stark, andere überhaupt nicht betroffen sind.

Aus der Sicht des medizinischen Modells gelten diese Reaktionen auf Hyperventilation, insbesondere die berühmten »karpopedalen Spasmen« — die Kontraktionen an Händen und Füßen — als die typische physiologische Antwort auf schnelles und intensives Atmen. Sie werden unter der Bezeichnung »Hyperventilationssyndrom« zusammengefaßt. Diese Reaktionen werden als Alarmsignale gewertet und gewöhnlich mit Tranquilizern oder Kalziuminjektionen behandelt. Treten sie gelegentlich bei neurotischen, insbesondere bei hysterischen Personen, auf, so stülpt man eine Papiertüte über ihr Gesicht. Die Anwendung der Hyperventilation zum Zweck der Selbsterforschung und Therapie beweist, daß diese Auffassung nicht richtig ist. Atmet der Klient weiter, so bauen sich die Zonen fester Anspannung sowie die »karpo-pedalen Spasmen« in der Regel ab, statt an Intensität zuzunehmen, und er erreicht schließlich einen extrem ruhigen und gelösten Zustand mit Visionen von Licht und Gefühlen der Liebe und der Verbundenheit.

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Häufig ist das Endergebnis ein tiefer mystischer Zustand, der für die betreffende Person von dauerhaftem Wert und persönlicher Bedeutung sein kann. Ironischerweise ist das psychiatrische Routinevorgehen bei gelegentlichen Episoden von spontaner Hyperventilation ein störender Eingriff in eine potentiell therapeutische Reaktion neurotischer Patienten. In diesem Zusammenhang seien auch Personen erwähnt, deren Kundalini-Energie entweder spontan oder als Folge von Shaktipat - der direkten Energieübertragung von einem Meister - aktiviert wurde. Im Gegensatz zur gegenwärtigen psychiatrischen Auffassung gelten im Kundalini- und im Siddha-Yoga diese Episoden von Hyperventilation sowie die motorischen und emotionalen Begleiterscheinungen, die als Kriyas bezeichnet werden, als ein Reinigungs- und Heilungsprozeß.

Während der Hyperventilation - beim Aufbau und allmählichem Abbau der Spannungen - sollte sich der Klient vorstellen, daß mit jedem Einatmen der Druck zu- und mit jedem Ausatmen abnimmt. Dabei kann er verschiedene intensive Erlebnisse haben. Er erlebt unter Umständen bedeutsame Ereignisse aus der Kindheit oder dem späteren Leben wieder, wird mit verschiedenen Aspekten der Erinnerung an seine biologische Geburt konfrontiert, und sehr häufig dringt er in den Bereich transpersonaler Erfahrungen vor. Im Rahmen der von uns benutzten holotropen Therapie wird der ohnehin enorme Effekt der Hyperventilation durch Kombinierung mit anregender Musik (siehe S. 367 f) noch verstärkt. Wenn diese beiden Methoden in einer unterstützenden Umgebung und nach richtiger Vorbereitung des Klienten eingesetzt werden, potenzieren sie einander und stellen so den — mit Ausnahme der psychedelischen Behandlung — zweifellos dramatischsten Weg der Bewußtseinsveränderung dar.

 

Die Effektivität dieser Technik kann sogar noch weiter verstärkt werden, wenn sie im Rahmen einer Gruppe eingesetzt wird. Die Gruppenteilnehmer bilden zu diesem Zweck Arbeitszweiergruppen und wechseln sich in den Rollen des »sitters« und des Erlebenden ab. Die Erfahrungen beider sind häufig sehr tiefgehend und bedeutsam. Außerdem scheinen sie sich gegenseitig katalytisch zu beeinflussen und eine Atmosphäre zu schaffen, die Kettenreaktionen begünstigt. Unter diesen Bedingungen kann in einer Gruppe aus Personen, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, mindestens jede dritte innerhalb einer Stunde in der ersten Sitzung transpersonale Bewußtseinszustände erreichen. 

Recht häufig berichten die Teilnehmer von authentischen Erfahrungen ihrer embryonalen Existenz oder ihrer Empfängnis, von Elementen des kollektiven Unbewußten, von Identifikationen mit menschlichen oder tierischen Vorfahren oder von Erinnerungen an Ereignisse aus früheren Inkarnationen. Ebenso häufig finden sich Begegnungen mit archetypischen Verkörperungen von Gottheiten oder Dämonen sowie mit komplexen Handlungsabfolgen aus der Welt der Mythologie. Das Erfahrungsspektrum, das sich einem durchschnittlichen Teilnehmer erschließt, umfaßt auch telepathische Eingebungen, außerkörperliche Erfahrungen, Astralprojektionen und andere parapsychologische Phänomene.

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Im Idealfall braucht der Betreffende nichts anderes zu tun als ein bestimmtes Atemmuster beizubehalten und sich, was auch immer geschieht, allem voll und ganz zu öffnen. Unter diesen Bedingungen gelangen viele in einen total gelösten und entspannten Zustand, der tiefgehenden spirituellen Charakter oder zumindest mystische Anklänge hat. Gelegentlich wird das tiefe Atmen auch Elemente des Abreagierens wie Schreien, Würgen oder Husten auslösen. Dies gilt besonders für Personen, die sich zuvor in einer kathartisch ausgerichteten Behandlung wie in einer Urschreitherapie oder einer der Neo-Reichianischen Therapien befunden haben. 

Man muß dann die Reaktionen abwarten und die betreffende Person so bald wie möglich zum kontrollierten Atmen zurückführen. Es kommt auch vor, daß die Hyperventilation eine Erfahrungssequenz aktiviert, diese aber nicht erfolgreich abschließt. In solch einem Fall erscheint es angebracht, zur Schließung der Gestalt die früher beschriebene Methode des Abreagierens anzuwenden. Die Erfahrung darf nicht offengelassen werden. Die Kombination aus tiefem Atmen, anregender Musik, gezielter Körperarbeit und einer aufgeschlossenen Einstellung, die die erweiterte Kartographie der Psyche berücksichtigt, übersteigt meinen Erfahrungen nach die Effektivität jeder anderen Nicht-Drogen-Technik und verdient unter den psychiatrischen Verfahren einen besonderen Platz.

Eine andere Technik, die ich in diesem Rahmen erwähnen möchte, ist eine ganz bestimmte Form des Mandalazeichnens. Diese Technik mag zwar für sich allein nur von begrenztem Wert sein, ist aber von extremem Nutzen, wenn man sie mit verschiedenen anderen Selbsterfahrungstechniken kombiniert. Sie wurde von Joan Kellogg (98, 99), einer Psychologin und Maltherapeutin aus Baltimore, entwickelt und im Rahmen der psychedelischen Therapie am Maryland Psychiatric Research Center erfolgreich angewendet. Der Klient erhält Buntstifte sowie ein großes Blatt Papier mit einem Kreis, und soll diesen Kreis ganz nach seinen Vorstellungen ausfüllen. Dabei können lediglich Farben miteinander kombiniert, ein Muster auf der Basis geometrischer Formen gezeichnet oder komplexes Figuren werk entworfen werden.

Das resultierende »Mandala« läßt sich dann anhand der Kriterien, die von Joan Kellogg auf der Grundlage ihrer Arbeit mit großen Gruppen psychiatrischer Patienten gewonnen wurden, einer formalen Analyse unterziehen. Es kann auch als besonderes Medium für die Förderung der Interaktion und für den Austausch von Erfahrungen in kleinen Gruppen verwendet werden. Außerdem eignen sich bestimmte Mandalas für weitere Selbsterfahrungsarbeit mit Hilfe der Gestalttechnik, des Ausdruckstanzes oder anderer Methoden. Die Mandala-Technik kann auch dazu dienen, eine Erfahrung mit Psychedelika oder einer anderen oben beschriebenen Selbsterforschungsmethode zu dokumentieren. In unseren Workshops und vierwöchigen Seminaren wurde es unter den Teilnehmern sehr beliebt, ein »Mandala-Tagebuch« zu führen, das ihnen den Stand ihres Selbsterforschungsprozesses kontinuierlich vor Augen führte.

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Diese graphische Form der Mitteilung dessen, was man erlebt hat, eignet sich auch hervorragend als Mittel, um anderen Gruppenmitgliedern innere Ereignisse zu veranschaulichen und an ihnen mit ihrer Hilfe zu arbeiten. Meine Frau Christina und ich verwenden ein Drei-Stufen-Programm, das sich als besonders effektiv erwiesen hat. Wir arbeiten damit in Gruppen von sechs bis acht Personen, die in einen kleinen Kreis Mandalas zeichnen, in denen sich ihre Erfahrungen während der Hyperventilation und des Aufnehmens von Musik widerspiegeln. Jede von ihnen wird gebeten, sich ein Mandala auszusuchen, das ein anderes Gruppenmitglied gezeichnet hat und auf das es emotional besonders stark — positiv oder negativ — reagiert. Sind die Mandalas verteilt worden, arbeiten sie alle der Reihe nach durch.

Der erste Schritt besteht darin, ein bestimmtes Mandala von der Person besprechen zu lassen, die es auf der Basis ihrer heftigen emotionalen Reaktion darauf ausgesucht hat. Nachdem sie ihre subjektiven Eindrücke mitgeteilt hat, sind die anderen Gruppenmitglieder an der Reihe und geben ihre Beobachtungen wieder. In der dritten Phase des Programms schließlich berichtet die Person, die das Mandala gezeichnet hat, über ihre Erfahrung und teilt ihre Interpretation der Zeichnung mit. Bei diesem Vorgehen muß man sich voll bewußt sein, daß in den Äußerungen der Gruppenmitglieder persönliche Projektionen mit zutreffenden und wertvollen Erkenntnissen über die psychischen Prozesse des Zeichners bzw. der Zeichnerin unentwirrbar vermengt sind. 

Das Ziel dieser Übung ist nicht eine »objektive« Ausdeutung eines Mandalas und seine diagnostische Auswertung, sondern die Förderung des inneren Prozesses jedes einzelnen Teilnehmers. Geht man in der oben beschriebenen Weise vor, dann hat die Mandala-Arbeit den Wert eines besonderen Katalysators für die Selbsterforschung und die zwischenmenschlichen Prozesse in der Gruppe. Zusätzlich zu der genannten Methode hat es sich für die Personen, die sich gegenseitig ihre Mandalas ausgesucht haben, als äußerst nützlich und produktiv erwiesen, eine Zeitlang gemeinsam nach »Brainstorming«-Manier die dynamischen Aspekte ihrer Erfahrung zu erforschen.

Eine weitere hochwirksame aufdeckende Methode ist das therapeutische »Sandspiel«, das von der Schweizer Psychologin und ehemaligen Schülerin C. G. Jungs Dora Kalff (95) entwickelt wurde. Den Klienten, die sich einer Therapie mit dieser Technik unterziehen, wird ein rechtwinkliger Kasten zur Verfügung gestellt, der mit Sand sowie mit mehreren Tausend kleiner Figuren und Gegenstände gefüllt ist, die Personen, Tiere, Bäume und Häuser aus verschiedenen Ländern und Kulturbereichen darstellen. Die Aufgabe besteht darin, eine individuelle symbolische Szenerie zu schaffen - aus dem Sand die Formen von Bergen, Tälern oder Ebenen herzustellen, den hellblauen Boden des Kastens so zum Vorschein treten zu lassen, daß Flüsse, Seen oder Teiche entstehen, und die Landschaft mit Figuren und Gegenständen seiner Wahl zu ergänzen.

Wenn man diese Technik nicht selber schon einmal ausprobiert hat, kann man sich kaum vorstellen, welche Kraft ihr innewohnt, die archetypische Dynamik der Psyche zu mobilisieren.

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Der transpersonale Charakter dieses Prozesses läßt sich anhand der Tatsache verdeutlichen, daß er häufig ein Erlebensfeld erzeugt, das das Auftreten außerordentlicher Synchronizitäten begünstigt. Durch das Sandspiel wird tief verborgenes unbewußtes Material an die Oberfläche gebracht und in einem Maß konkretisiert, das ein vollständiges Erleben, Analysieren und Integrieren gewährleistet. Eine Serie von Sitzungen mit dieser Technik bietet die Gelegenheit, die auftauchenden Themen bis in kleinste Details zu entfalten, die dahinter verborgenen Konflikte zu lösen und die Dynamik des Unbewußten zu vereinfachen.

Es gibt verschiedene andere Ansätze, die sich mit den eben beschriebenen vereinbaren lassen und sie ergänzen. Im Gegensatz zu den traditionellen psychotherapeutischen Techniken widmet der Prozeß der holotropen Therapie den psychosomatischen Aspekten der Selbsterforschung große Aufmerksamkeit. Diese Konzentration auf das körperliche Geschehen deutet sich schon in den Techniken des Abreagierens und der Hyperventilation an, kann und sollte aber mit verschiedenen Formen von Körperarbeit kombiniert werden. 

Das Experimentieren mit Techniken wie der Esalen- und Polaritätsmassage (63), dem Rolfing (175), der Akupunktur (125), der Feldenkrais-Methode (39), der psychophysischen Integration von Trager (198), dem Tai-Chi, dem Aikido, oder mit verschiedenen Formen von Tanztherapien kann im Prozeß der Selbsterforschung wichtige Funktion haben. Eine nützliche Ergänzung sind bestimmte sportliche Aktivitäten, insbesondere Wandern, Joggen und Schwimmen oder Gartenarbeit. Eine Integration aller genannten körperorientierten Ansätze in ein umfassendes Programm für die Persönlichkeitsumwandlung erfordert aber, daß der Schwerpunkt ständig auf der Innenschau ruht. Außerdem bedarf es eines breiten theoretischen Rahmens, der dem gesamten Spektrum an Erfahrungen, die in Verbindung mit scheinbar rein körperlichen Techniken auftreten, gerecht wird. 

Die Gestalttherapie (145, 146) soll in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden, da ihre Grundprinzipien den oben beschriebenen sehr ähnlich sind. Die Gestaltarbeit eignet sich hervorragend als Ergänzung zur Technik der holotropen Therapie. Sie kann sehr nützlich sein, um die Themen und Punkte, die in Sitzungen mit Hyperventilation, anregender Musik und Körperarbeit an die Oberfläche getreten sind, weiter zu erforschen oder bis zum Ende durchzuarbeiten. Ich habe bereits früher (S. 1840 über die Modifikationen gesprochen, die notwendig sind, um den gestalttherapeutischen Ansatz mit der hier vertretenen Strategie voll und ganz vereinbar zu machen. Weitere aufdeckende Ansätze, die ebenfalls in diesem Rahmen von Nutzen sein können, sind Roberto Assagiolis Psychosynthesis (5) und Hanscarl Leuners Guided Affective Imagery (GAI) (115, 116).

Mit Nachdruck sei auch daraufhingewiesen, daß verschiedene Meditationstechniken und andere Formen spiritueller Praktiken zu dem hier beschriebenen allgemeinen Ansatz keineswegs im Widerspruch stehen.

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Sobald ein psychotherapeutisches System die perinatale und transpersonale Ebene der Psyche anerkennt, hat es eine Brücke zwischen Psychologie und Mystik geschlagen und dient zur Ergänzung der spirituellen Praxis. 

Wie ich unter so verschiedenen Rahmenbedingungen wie in der brasilianischen Umbanda-Religion, bei Ritualen der Native American Church, bei Zeremonien der mexikanischen Huichol- und Mazatec-Indianer sowie anläßlich der intensiven Wochenendkurse des verstorbenen Meisters des Siddha-Yoga, Swami Muktananda, beobachten konnte, besitzen Ereignisse, die in erster Linie spiritueller und religiöser Natur sind, unter Umständen eine gewaltige heilende Wirkung und lassen sich mit der hier beschriebenen, in die Tiefe gehenden Selbsterforschung und Therapie ohne weiteres integrieren.

Zudem kann sich die Astrologie auf der Basis der Transite — eine Disziplin, die von der kartesianisch-Newtonschen Wissenschaft verworfen und lächerlich gemacht wird — als unschätzbare Quelle von Informationen über die Entwicklung und Wandlung der Persönlichkeit erweisen. Es bedürfte langer Erörterungen, um darzulegen, warum und wie die Astrologie als erwägenswertes theoretisches Bezugssystem fungieren kann. Diese Möglichkeit erscheint aus der Sicht der mechanistischen Wissenschaft, in der das Bewußtsein als eine Begleiterscheinung von Materie gilt, vollkommen absurd. In Anbetracht eines Ansatzes aber, in dem das Bewußtsein als das primäre Element des Universums betrachtet wird, das in jedem Aspekt der Existenz enthalten ist und in dem archetypische Strukturen als etwas anerkannt werden, das Phänomenen in der materiellen Welt vorausgeht und sie bestimmt, hat die Astrologie einen durchaus logischen und verständlichen Stellenwert. Dieses Thema ist aber so komplex, daß man sich in einer eigenen Darstellung damit beschäftigen müßte2.

Wenn man all die genannten Ansätze vorschlägt, so mag dies auf den ersten Blick wie therapeutischer Anarchismus anmuten. Es gibt offenbar eine wachsende Zahl von Personen in der humanistischen Bewegung, die von einer Therapie in die andere gehen, bei keiner aber lange genug bleiben, um von ihr in irgendeiner Form zu profitieren. Diese Menschen können sicherlich als abschreckende Beispiele für einen therapeutischen Eklektizismus gelten. 

Was aber an einer solchen »therapeutischen Promiskuität« falsch zu sein scheint, ist nicht die Tatsache, daß sie verschiedene Therapien probieren, sondern daß sie sie nicht als Teilstücke oder Schritte im Prozeß der Selbsterforschung sehen können. Sie betrachten sie jeweils als wunderbares Allheilmittel, und gerade diese unrealistische Erwartung und das unkritische Vertrauen, gefolgt von einer ebenso heftigen Enttäuschung, ist ungesund, nicht das Interesse an und das Experimentieren mit verschiedenen Ansätzen. Wenn man nicht mehr als ein kleines Teil eines großen Puzzles erwartet und das Leben als ein ständiges Abenteuer der Selbsterforschung und des Strebens nach Erkenntnis betrachtet, können alle einzelnen Ansätze äußerst nützlich werden und sich gegenseitig in ihrer Wirkung potenzieren.

Am günstigsten ist aber, wenn man sich mit den Ergebnissen all dieser verschiedenen Unternehmungen einer einzelnen Person anvertraut, die über ein genügend umfassendes Hintergrundwissen verfügt und helfen kann, all die verschiedenen Erfahrungen zu integrieren.

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Um diesen Punkt zu veranschaulichen, möchte ich einige Beobachtungen aus unseren vierwöchigen Versuchsprogrammen wiedergeben, die meine Frau Christina und ich am Esalen-Institut in Big Sur koordinieren und leiten. Die Idee zu diesen Seminaren formte sich in mir bereits vor über zehn Jahren. Ich sah sie ursprünglich als Möglichkeit für Fachleute und Studenten aus verschiedenen Teilen der USA und anderen Ländern der Welt, viele verschiedene Führer der humanistischen und transpersonalen Bewegung persönlich kennenzulernen und sich mit ihren Konzepten und Techniken in relativ kurzer Zeit vertraut zu machen. 

In diesen Workshops sind Didaktik, Selbsterfahrungsübung, Gruppenprozesse, Körperarbeit, Versuche mit verschiedenen bewußtseinsverändernden Techniken sowie anregende Dia- und Filmvorführungen miteinander kombiniert. Jedes Seminar steht unter einem anderen Thema, das zur modernen Bewußtseinsforschung, zur psychotherapeutischen Revolution und zum Paradigmawechsel in der Wissenschaft Bezug hat. Die Seminarleiter sind sowohl Mitglieder des Esalen-Instituts als auch verschiedene Gäste, die im Hinblick auf bestimmte Themen speziell ausgesucht werden. 

Die allgemeine Orientierung läßt sich vielleicht durch ein paar Themen vergangener Seminare verdeutlichen: Schizophrenie und paranormale Fähigkeiten; Holistische Medizin und Heilpraktiken; Landkarten des Bewußtseins; Neue Wege zum Verständnis von Geburt, Sexualität und Tod; Bereiche des menschlichen Unbewußten; Energie: Körperliche, emotionale und spirituelle Dimensionen; Alternative Zukunftsmodelle; Die Grenzen der Wissenschaft; Paranormale Intelligenz; Die Suche nach mystischer Erleuchtung; Die Evolution des Bewußtseins: Perspektiven der Erforschung des Innen- und Außenraums.

Die Teilnehmer dieser Workshops können Vorträge hören, die ihren geistigen Horizont erweitern, emotional anregende Dias und Filme sehen, sich an Sitzungen mit holonomer Integration und anderen Selbsterfahrungstechniken sowie mit Körperarbeit beteiligen, an Gruppenprozessen teilhaben und gelegentlich — wenn Schamanen zu Gast sind — Rituale von Naturvölkern aus eigener Anschauung kennenlernen. Dies alles findet in der entspannten und ästhetisch exquisiten Atmosphäre des Esalen-Instituts mit seinen berühmten heißen Mineralquellen statt. 

Unter den Gästen befanden sich bisher berühmte Gelehrte wie Gregory Bateson, Joseph Campbell, Fritjof Capra, Michael Harner, Jean Houston, Stanley Krippner, Ralph Metzner, Ajit Mookerjee, Karl Pribram, Rupert Sheldrake, Huston Smith, Russel Targ, Charles Tart und Gordon Wasson, Führer der humanistischen Bewegung wie John Heider, Michael Murphy, Richard Price und Will Schutz, berühmte Personen mit paranormalen Fähigkeiten, spirituelle Lehrer des Westens und Ostens sowie amerikanische und mexikanische Schamanen.

Diese Form des Seminars, das ursprünglich als innovative pädagogische Einrichtung konzipiert war, erwies sich mit der Zeit als das wirksamste Instrument für eine Persönlichkeitsumwandlung, das ich jemals — mit Ausnahme psychedelischer Sitzungen — persönlich erlebt habe.

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Im Verlauf der systematischen Arbeit mit einer bestimmten Technik lernen die Teilnehmer schon bald die Sprache und die Kodes. Nach einer Weile fällt es leicht, das Spiel nach seinen eigenen Regeln zu spielen und den Prozeß unberührt von anderen Dingen durchzumachen. Mit der oben beschriebenen Kombination werden die Teilnehmer plötzlich auf viele verschiedene Weisen beeinflußt und erfahren unerwartete Anregungen in einer Umgebung, die explizit tiefgehende Erlebnisse und eine intensive Selbsterforschung begünstigt.

In diesem Rahmen finden transformative Prozesse in der Regel zu jeder Tagesund Nachtzeit statt. Diese über einen bestimmten Zeitraum rund um die Uhr auf die Selbsterforschung gerichtete Aufmerksamkeit scheint dem üblichen Vorgehen, im vorhinein einen Zeitplan mit kurzen therapeutischen Sitzungen festzulegen, weit überlegen zu sein. Selten kommt es vor, daß solche Sitzungen zufälligerweise gerade dann stattfinden, wenn die Abwehrmechanismen besonders schwach sind. Außerdem ermöglicht die Art solcher Sitzungen nicht einen therapeutischen Prozeß von genügendem Tiefgang und ausreichender Dauer. Während der Erfahrungen, die im Verlauf unserer Esalen-Seminare auftraten, haben wir systematisch mit den oben beschriebenen Methoden gearbeitet. Zahlreiche Briefe früherer Teilnehmer weisen darauf hin, daß eine vierwöchige Erfahrung dieser Art einen Prozeß tiefgehender Wandlung in Gang setzen und dauerhaften Einfluß auf das Leben ausüben kann.

 

   Ziele und Ergebnisse der Psychotherapie   

 

Wie schon früher erwähnt, wird im traditionellen psychiatrischen Denken die grundlegende Forderung aufgestellt, daß das Wahrnehmen, Denken und Fühlen eines geistig gesunden Menschen vom kartesianisch-Newtonschen Weltbild bestimmt sein muß. In diesem Rahmen wird es nicht lediglich als ein theoretisches Bezugssystem von großer pragmatischer Bedeutung aufgefaßt, sondern gilt als einzig richtige Beschreibung der Realität. 

Im einzelnen bedeutet dies: Identifikation mit dem eigenen Körper und dem sogenannten Körperbild, Akzeptierung des dreidimensionalen Raums und der unveränderlichen linearen Zeit als objektive und alleingültige Koordinaten der Existenz, sowie Einschränkung der Informationsquellen auf die Inhalte der Sinneswahrnehmung und die Spuren vergangener Ereignisse im materiellen Substrat des Zentralnervensystems. Ein anderes wichtiges Kriterium für die Richtigkeit der Daten über die Realität ist die Möglichkeit, sie durch andere Personen, die nach der obigen Definition geistig gesund sind oder normal funktionieren, bestätigen zu lassen.

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Würden zwei oder mehr Personen im Hinblick auf Daten übereinstimmen, die von der konventionellen Vorstellung von Wirklichkeit erheblich abweichen, so würde man dies ebenfalls als psychopathologisches Phänomen werten, als »folie à deux«, »folie à famille«, Aberglaube, Massensuggestion, Gruppenwahn oder Gruppenhalluzination.

Geringfügige Verzerrungen in der Wahrnehmung der eigenen Person oder der Wahrnehmung anderer würden im Sinne der obigen Definition als Neurosen gelten, wenn sie nicht ernsthaft die grundlegenden Postulate des kartesianisch-Newtonschen Weltbilds in Frage stellen. Massive Abweichungen von dieser allgemein anerkannten Beschreibung der Realität würden dann als Psychosen bezeichnet.

Geistige Gesundheit wird definiert als die Abwesenheit psychopathologischer Symptome oder einer psychiatrischen »Krankheit«. Aktive Freude am Leben gehört nicht unbedingt dazu. Dies läßt sich wohl am besten anhand Freuds berühmter Formulierung des Ziels der psychoanalytischen Therapie veranschaulichen. Er wollte lediglich das extreme neurotische Leid des Patienten in die normale Misere des Alltagslebens umwandeln. In diesem Raum kann jemand, der ein entfremdetes, unglückliches und gehetztes Leben führt, das von unmäßigen Machtbedürfnissen, Wettbewerbsdrang und unersättlichem Ehrgeiz beherrscht wird, immer noch unter die breite Definition von geistiger Gesundheit fallen, es sei denn, er leidet an manifesten klinischen Symptomen. Zudem würden manche Autoren in Anbetracht der generellen Unklarheit über die Kriterien für geistige Gesundheit so wertgebundene äußerliche Indikatoren wie Einkommensschwankungen, Veränderungen im beruflichen und sozialen Status und Anpassung am Wohnort hinzuziehen. 

Der modernen Bewußtseinsforschung entstammen Daten, die die dringende Notwendigkeit einer drastischen Revision solcher Vorstellungen nahelegen. Eine Neudefinition von geistiger Gesundheit würde als einen entscheidenden Faktor die Erkenntnis und Kultivierung der beiden sich ergänzenden Aspekte des menschlichen Wesens beinhalten, nämlich daß der Mensch zum einen eine von den übrigen Dingen und Menschen getrennte materielle Einheit und zum anderen ein potentiell unbegrenztes Bewußtseinsfeld ist. Ich habe schon früher in diesem Buch die zwei korrespondierenden Erfahrungsformen beschrieben und sie der Kürze halber als hylotropes und holotropes Bewußtsein bezeichnet (siehe S. 329f). 

Nach dieser Auffassung ist ein »geistig gesunder«, aber ausschließlich hylotrop orientierter Mensch von einem lebenswichtigen Aspekt seines Wesens abgeschnitten und kann kein ausgeglichenes und harmonisches Leben führen, auch wenn er von manifesten klinischen Symptomen frei ist. Jemand mit dieser Grundeinstellung denkt lediglich an das Überleben und setzt in seinem Dasein ausschließliche Prioritäten — seien es er selber, seine Kinder, seine Familie, sein gesellschaftliches Leben, seine Religion, sein Land oder seine Rasse. Er ist fern von jeder Erfahrung einer vereinigenden übergeordneten Ganzheitlichkeit.

Ein solcher Mensch — ob Mann oder Frau — ist nur beschränkt in der Lage, aus den gewöhnlichen Aktivitäten des Alltagslebens Befriedigung zu beziehen, und flüchtet sich in komplizierte Pläne für die Zukunft.

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Dies führt zu einem Dasein, das von einem grundlegenden Gefühl des Mangels bestimmt wird, zu einer Unfähigkeit, voll und ganz zu genießen, was verfügbar ist, und zu einem schmerzlichen Bewußtsein dessen, was fehlt. Eine solche generelle Lebensstrategie äußert sich in Beziehung zu konkreten Personen und Lebensumständen, ist aber letztlich zwanghaft und bar jedes spezifischen Inhalts. So kommt es, daß ein solches Lebensgefühl auch bei extremen Graden von Wohlstand, Macht und Ruhm vorherrschen kann, und daß es sich ständig auch unter neuen Bedingungen hält. Jemand, dessen Leben von diesem Mechanismus beherrscht wird, hat nie genug, und es gibt nichts, was er besitzt oder erreicht hat, was ihm echte Befriedigung verschafft.

Wenn unter solchen Umständen Ziele nicht erreicht werden, so wird die ständige Unzufriedenheit rationalisiert, nämlich als Versagen, wünschenswertere Bedingungen zu schaffen. Wenn dies aber gelingt, bringt es nicht das ersehnte emotionale Heil. Das Gefühl des Unglücklichseins wird dann darauf zurückgeführt, daß das ursprüngliche Ziel falsch gewählt oder nicht hoch genug gesteckt war. Es wird dann durch ein ehrgeizigeres Ziel ersetzt. Dies führt zu einem Leben, das nach Auffassung der Betroffenen selber einer »Tretmühle« gleichkommt. Sie leben emotional in Phantasien über die Zukunft und verfolgen Ziele, die sie sich gesetzt haben, obwohl ihnen das, was sie erreichen, keine Erfüllung bringt. In der existentialistischen Literatur wird dies »Autoprojizieren« genannt. Jemand, der so lebt, ist durchdrungen von Gefühlen der Sinnlosigkeit, Nichtigkeit oder gar Absurdität, die kein scheinbar noch so großer Erfolg vertreiben kann.

Die Existenz eines Menschen, dessen Erfahrungshorizont vom hylotropen Bewußtsein eingeschränkt ist, hat somit etwas Unauthentisches an sich. Sie ist charakterisiert durch die ausschließliche Ausrichtung auf ein paar gesetzte Ziele und durch die Unfähigkeit, dem Prozeß des Lebens an sich Freude abzugewinnen. Typische Merkmale eines solchen In-der-Welt-Seins sind die einseitige Beschäftigung mit dem Vergangenem und dem Zukünftigem, ein beschränktes Bewußtsein des gegenwärtigen Augenblicks, und eine nahezu absolute Zuwendung zu äußeren Dingen, die mit einer schweren Entfremdung vom inneren psychischen Prozeß einhergeht. Des weiteren finden sich die schmerzliche Gewißheit, daß das Leben zu kurz ist, um alle seine Pläne zu verwirklichen, ein übermäßiges Bedürfnis nach Kontrolle, eine Intoleranz gegenüber dem Vergänglichen und dem Altern, sowie eine tiefsitzende Angst vor dem Sterben. 

Auf die soziale und globale Ebene übertragen äußert sich das hylotrope Bewußtsein darin, daß der Maßstab für den Lebensstandard und das Wohlergehen von äußerlichen und objektiven Kriterien gesetzt wird. Die Lebensqualität wird an der Menge der materiellen Güter und Besitztümer gemessen und nicht am Lebensgefühl und an subjektiver Zufriedenheit. Diese Lebensphilosophie und -Strategie wird zudem noch als etwas Natürliches und Logisches hingestellt.

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Es ist erstaunlich, wie unfähig man sein kann, das Absurde und Verrückte dieser Auffassung vom Leben zu erkennen. Die charakteristischen Merkmale dieser Vorstellung von Existenz — die kurzsichtige Betonung des uneingeschränkten Wachstums, Profilierungssucht und Wettbewerbsstreben, sowie Nichtbeachtung zyklischer Muster und ganzheitlicher Zusammenhänge in der Natur — verstärken und potenzieren einander. Alle zusammen beschwören sie eine düstere Vision der Zukunft unseres Planeten herauf, in der der nukleare Holocaust oder das totale ökologische Desaster als logische Alternativen erscheinen.

 

Im Vergleich dazu ist ein Mensch mit holotropem Bewußtsein unfähig, sich zur materiellen Welt angemessen in Beziehung zu setzen und sie als einen in jeder Hinsicht wichtigen Bezugsrahmen zu sehen. Die pragmatische Realität des Alltagslebens, die Welt fester materieller Objekte und einzelner Menschen erscheinen als Illusion. Die Unfähigkeit, sich mit dem Körper-Ich zu identifizieren und sich als eine in sich geschlossene Einheit zu erfahren, die von der Gesamtheit des übrigen kosmischen Netzwerks getrennt ist, führt zur Vernachlässigung von Grundregeln, die beachtet werden müssen, wenn der einzelne Organismus weiter bestehen will. Die persönliche Sicherheit, elementare Hygiene, die Versorgung mit Nahrung und Wasser oder sogar Luft zum Atmen — all das steht auf dem Spiel. Der Verlust der individuellen Grenzen, der zeitlichen und räumlichen Koordinaten sowie des angemessenen Realitätstests wird zu einer ernsthaften Bedrohung für das Überleben. 

Die Extremformen des holotropen Bewußtseins, die Identifizierung mit dem Geist des Universums oder der überkosmischen Leere, stellen die genauen Gegenpole zu dem früher beschriebenen materieorientierten Körper-Ich-Bewußtsein dar. Die Zeit und Raum transzendie-rende Einheit hinter allem, was existiert, ist die einzige Realität. Alles scheint, so wie es ist, vollkommen zu sein. Es gibt nichts, was zu tun ist, und keinen Ort, an den man gehen muß. Bedürfnisse jeglicher Art bestehen überhaupt nicht oder sind vollkommen befriedigt. Ein Mensch, der vollkommen im holotropen Bewußtsein versunken ist, bedarf der Hilfe anderer Menschen, die für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse sorgen. Zahlreiche Berichte über Schüler, die sich in dieser Weise um ihre Meister kümmerten, während diese ihr Samadhi- oder Satorierlebnis hatten, können hier als Beispiele aufgeführt werden. 

 

Nach dieser Einführung können wir zum Problem der geistigen Gesundheit zurückkehren. Im Gegensatz zur traditionellen Psychiatrie mit ihrer allzu einfachen Einteilung in geistig gesund und geistig krank ziehen wir eine größere Zahl von bedeutsamen Alternativen in Erwägung. Zuerst aber müssen wir organische Krankheiten ausschließen, die möglicherweise eine Störung des Gefühlslebens und des Verhaltens verursachen, zu ihr beitragen oder sie auslösen. Sollte mit einer Untersuchung eine Krankheit im medizinischen Sinn des Wortes festgestellt werden — etwa eine Entzündung, ein Gehirntumor oder Durchblutungsstörungen im Gehirn, Urämie, schwere hormonelle Störungen u. dgl. —, dann muß man den Patienten entsprechend medizinisch behandeln.

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Nach Klärung der Frage, ob eine körperliche Erkrankung vorliegt oder nicht, wenden wir uns dem Problem zu, welche der oben beschriebenen Bewußtseinsformen vorhanden ist bzw. in welcher Kombination sie vorhanden sind. Im Rahmen des theoretischen Modells, das ich in diesem Buch dargestellt habe, wäre jemand, der ausschließlich hylotrop orientiert ist, bestenfalls »auf einer niedrigeren Ebene« geistig gesund, auch wenn sich bei ihm keine psychopathologischen Symptome im konventionellen Sinn äußern. Dieses Lebensgefühl geht in seiner extremen Form, die mit einer materialistischen und atheistischen Einstellung zur Existenz verknüpft ist, mit einer Verdrängung lebenswichtiger und Kraft spendender Aspekte des eigenen Wesens einher. Es bringt letztlich keine Erfüllung und wirkt destruktiv gegen andere und sich selber.

Das holotrope Bewußtsein sollte als Äußerung eines der menschlichen Natur innewohnenden Potentials und nicht als solches als psychopathologisches Phänomen aufgefaßt werden. Eine rein holotrope Erfahrung unter den richtigen Umständen kann heilsam sein, das Bewußtsein erweitern und die Persönlichkeit von Grund auf wandeln. Am effektivsten erweist sie sich dann, wenn sie zeitlich begrenzt ist und dann gut verarbeitet wird. Ansonsten läßt sie sich nicht mit den Anforderungen der alltäglichen Wirklichkeit vereinbaren. Ihr Wert hängt entscheidend ab von der Situation, in der sie auftritt, von der Art und Weise, wie die betreffende Person mit ihr umgeht, und von ihrer Fähigkeit, sie konstruktiv zu integrieren.

Die beiden Bewußtseinsformen können sich so kombinieren, daß sie die alltägliche Existenz beeinträchtigen, aber auch harmonisch miteinander verschmelzen und dadurch dem Leben besondere Qualität verleihen. Neurotische und psychotische Phänomene lassen sich als Ergebnisse eines ungelösten Konflikts zwischen diesen beiden Erfahrungsweisen auffassen. Sie stellen Kompromißbildungen und Reibungspunkte dar. 

Ihre verschiedenen Aspekte — das gestörte Wahrnehmen, Fühlen und Denken sowie die psychosomatischen Erscheinungen —, die als unverständliche Verzerrungen des logischen und angemessenen Reagierens auf die gegenwärtigen materiellen Umstände erscheinen, erhalten einen Sinn, wenn man sie als wesentliche Teile der holotropen Gestalt sieht, die durchzubrechen versucht. Dies wird der betroffenen Person selber klar, sobald sie das hinter den Symptomen steckende Motiv in seiner Gesamtheit erlebt und integriert. Manchmal ist das eindringende Element eine Erfahrung aus einem anderen zeitlichen Kontext, aus der Kindheit, der Phase der biologischen Geburt, der Existenz im Mutterleib, dem Leben menschlicher oder tierischer Vorfahren oder einer früheren Inkarnation. Bei anderen Gelegenheiten werden die normalen räumlichen Grenzen überschritten. Es kann sich dann um eine bewußte Identifikation mit anderen Menschen, mit verschiedenen Tieren, Pflanzen oder anorganischen Stoffen und Prozessen handeln.

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In anderen Fällen hat das an die Oberfläche drängende Motiv keinen Bezug zur phänomenalen Welt und den gewöhnlichen zeitlichen und geographischen Koordinaten, sondern stellt verschiedene Übergangs­formen dar, die für Realitätsebenen charakteristisch sind, die zwischen dem undifferenzierten kosmischen Bewußtsein und der von den übrigen Dingen und Menschen getrennten Existenz des Individuums liegen. In diese Kategorie fallen lebhafte Begegnungen oder vollständige Identifikationen mit archetypischen Wesen im Jungschen Sinne oder die Teilnahme an dramatischen Handlungsabfolgen aus der Mythologie. 

Das Grundprinzip der Symptomlösung ist das Aufgehen im Erleben des empordrängenden holotropen Motivs. Dazu ist ein spezieller Rahmen erforderlich, in dem bedingungslose therapeutische Unterstützung gewährt wird, solange diese ungewöhnliche Erfahrung andauert. Ist dieser Prozeß abgeschlossen, erfolgt automatisch die Rückkehr zum Alltagsbewußtsein. Diese totale Hingabe an das holotrope Erlebnis wird das Symptom abschwächen oder ganz beseitigen, doch als Folge davon verliert auch die hylotrope Lebensphilosophie des Klienten an subjektiver Überzeugungskraft. Wenn die Gestalt hinter den Symptomen eine intensive perinatale oder transpersonale Erfahrung ist, führt dies in der Regel zu einem Prozeß der spirituellen Öffnung.

Bei dieser neuen Betrachtungsweise des Problems psychogener emotionaler Störungen, die auf einem erweiterten Konzept der menschlichen Persönlichkeit beruht, macht man nicht mehr von der Praxis Gebrauch, Menschen auf der Basis des Inhalts ihrer Erfahrungen mit Etiketten aus der Pychopathologie zu versehen. Dies ist auf die Beobachtung zurückzuführen, daß viele Erfahrungen, die gängigerweise als psychotisch galten, ohne weiteres bei einer Zufallsstichprobe von Menschen hervorgerufen werden können, und zwar nicht nur mit Hilfe psychedelischer Drogen, sondern auch so einfacher Methoden wie Meditation und Hyperventilation.

Außerdem wurde offenkundig, daß das spontane Auftreten solcher Phänomene sehr viel häufiger ist, als Vertreter der etablierten Psychiatrie jemals vermutet haben. Stigmatisierende Diagnosen, zwangsweise Unterbringungen in geschlossenen Abteilungen sowie abschreckende Therapiemaßnahmen haben viele Menschen davon abgehalten, selbst vor engen Freunden und Verwandten zuzugeben, daß sie perinatale oder transpersonale Erlebnisse hatten. Die Psychiatrie hat sich so mit ihrem repressiven und unrealistischen Denkrnodell ein grob verzerrtes Bild von der Natur menschlichen Erlebens geschaffen.

Eine harmonische Verschmelzung des hylotropen und holotropen Bewußtseins führt nicht zu einer verzerrten Wahrnehmung der äußeren Realität, sondern verleiht ihr einen mystischen Glanz. Jemand, der sich in einem solchen Prozeß befindet, kann sehr wohl auf die Welt so reagieren, als wäre sie eine Ansammlung aus einzelnen festen Objekten, verwechselt diese pragmatische Sicht der Dinge aber nicht mit der letzten Wahrheit über die Realität. Er erfährt viele zusätzliche Dimensionen »hinter den Kulissen« und ist sich philosophisch verschiedener Alternativen zur gewöhnlichen Realität voll bewußt. Diese Situation scheint dann gegeben zu sein, wenn sich der Betreffende in Kontakt mit den holonomen Aspekten der Realität befindet, aber keine bestimmten holotropen Gestalten in sein Bewußtsein drängen.

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Das Attribut »geistig gesund auf einer höheren Ebene« sollte für Menschen vorbehalten bleiben, die zu einem ausgewogenen Zusammenspiel beider einander ergänzender Bewußtseinsformen gelangt sind. Sie sollten sich in beiden wohl fühlen und mit beiden vertraut sein, sie gebührend anerkennen und je nach den Umständen in ihnen aufgehen können. Um in diesem Sinne voll funktionsfähig und psychisch gesund zu sein, ist es absolut notwendig, philosophische Dualismen zu transzendieren, insbesondere den Dualismus zwischen dem Teil und dem Ganzen. 

Ein solcher Mensch nähert sich der alltäglichen Realität mit größtem Ernst sowie voller persönlicher und sozialer Verantwortung, ist sich aber gleichzeitig des relativen Wertes dieser Perspektive bewußt. Die Identifikation mit dem Körper und dem Ich ist spielerisch und wird vom Willen gesteuert. Sie hat nicht den Charakter des Unbedingten, Absoluten und Alleingültigen, und sie ist nicht mit Angst, Kontrollbedürfnis und irrationalen Überlebensstrategien belastet. Die Akzeptierung der materiellen Realität und Existenz ist pragmatisch, nicht philosophisch, und man ist sich der Bedeutung der spirituellen Dimension in der Ordnung aller Dinge zutiefst bewußt.

 

Jemand, der eine beträchtliche Menge an holotropen Erfahrungen gehabt und diese integriert hat, erhielt die Gelegenheit, das menschliche Leben und die Existenz aus einem Blickwinkel zu sehen, der dem eines durchschnittlichen westlichen Menschen, der nach den Standards der traditionellen Psychiatrie als »normal« gilt, weit überlegen ist. Eine ausgewogene Integration der beiden einander ergänzenden Aspekte menschlichen Erlebens geht in der Regel mit einer bejahenden Einstellung zur Existenz einher- nicht mit einer Bejahung des Status quo oder irgendwelcher bestimmter Lebensaspekte, sondern des kosmischen Prozesses in seiner Gesamtheit, des allgemeinen Lebensflusses. 

Ein wesentliches Merkmal psychischer Gesundheit ist die Fähigkeit, an einfachen und gewöhnlichen Aspekten des Alltagslebens Freude zu haben, an Elementen der Natur, an menschlichen Beziehungen und Aktivitäten sowie auch am Essen, am Schlafen, am Sex und an anderen physiologischen Körperprozessen. Diese Freude ist im wesentlichen — von einigen drastischen Ausnahmen abgesehen — von den äußeren Lebensbedingungen unabhängig. Man kann sie fast auf die Freude an der Existenz als solche oder am Bewußt-Sein reduzieren. 

Jemand mit einer solchen grundsätzlichen Haltung wird alle weiteren schönen Seiten oder Genüsse des Lebens — glückliche zwischenmenschliche Beziehungen, Geld oder materiellen Besitz, gute Arbeitsbedingungen oder die Möglichkeit zu reisen — als zusätzlichen Luxus empfinden. Fehlt diese Lebenseinstellung, dieses grundlegende Lebensgefühl, dann läßt es sich auch durch noch soviel äußere Erfolge oder materielle Errungenschaften nicht herbeiführen.

Eine gute Integration der hylotropen und holotropen Erfahrungsweise gestattet auch, den Ereignissen in der materiellen Welt ganz nahe zu sein, sie aber als Geschehen zu betrachten, an dem man teilnimmt, nicht als Mittel, um bestimmte Ziele zu erreichen.

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Das Leben im Hier-und-Jetzt dominiert bei weitem über die Beschäftigung mit dem Vergangenen oder dem Zukünftigen. Auf dem Weg zum Ziel ist dieses zwar immer präsent, doch gibt man sich den Aktivitäten, mit denen man es erreichen will, in jedem Augenblick voll und ganz hin und läßt das Ziel erst dann das Erleben beherrschen, wenn es erreicht ist. So wird der Triumph, die Freude an dem, was man erreicht hat, zum Inhalt des Hier-und-Jetzt. Die generell bejahende Einstellung zur Existenz schafft einen übergeordneten Bezugsrahmen, der die positive Integration auch schwieriger Lebensaspekte ermöglicht. 

In diesem Kontext wird die Einstellung zu dem, was die konventionelle Psychiatrie als Symptome einer Geisteskrankheit betrachtet, wichtiger als das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein dieser Symptome. Eine gesunde Einstellung wäre, sie als wesentliche Aspekte des kosmischen Prozesses zu sehen, die — wenn man sie richtig angeht und integriert — eine große Chance für das Persönlichkeitswachstum und die spirituelle Öffnung darstellen können. In einem gewissen Sinne zeigen sie eine Möglichkeit auf, sich von der nicht erfüllenden und lähmenden Vorherrschaft des hylotropen Bewußtseins zu befreien.

Das Auftreten psychogener Symptome kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß der betreffende Mensch einen Punkt erreicht hat, an dem ein einseitig hylotrop orientiertes Weiterexistieren nicht mehr möglich ist. Solche psycho-pathologischen Phänomene kündigen das Empordrängen bestimmter holotroper Elemente an und machen auch den Widerstand gegen sie deutlich. Eine Psychiatrie, die darauf aus ist, die Symptome zu unterdrücken und den betreffenden Menschen in die Zwangsjacke der unauthentischen Existenz zurückzupressen, ist also ihrer Natur nach antitherapeutisch. Sie greift störend in einen Prozeß ein, der - würde man ihn unterstützen und zum Abschluß bringen — zu einem erfüllenderen und befriedigenderen Dasein führte.

Die neue Definition dessen, was normal und was pathologisch ist, richtet sich nicht nach dem Inhalt und der Natur der Erfahrung, sondern nach der Art und Weise, wie man mit ihr im Rahmen echter Unterstützung, die auf Einsicht in das Geschehen beruht, umgeht. Das wichtigste Kriterium wäre demnach die Qualität der Integration einer solchen Erfahrung in das eigene Leben. Abraham Maslows großer Beitrag zur Psychologie bestand in dem Nachweis, daß bestimmte mystische Erlebnisse (»Gipfelerlebnisse«) nicht als pathologisch angesehen werden dürfen und positiv angegangen werden müssen (127). Diese Auffassung läßt sich nun auf alle perinatalen und transpersonalen Phänomene erweitern. Man muß aber für die Konfrontation mit solchen Erlebnissen unbedingt besondere Umstände und Umgebungen schaffen, in denen die Bedingungen und die Regeln von denen des alltäglichen Lebens abweichen.

Wenn sich ein Mensch den in ihm empordrängenden Erfahrungen in einem stützenden Rahmen, der auch noch die Möglichkeit der Hilfe mit den oben beschriebenen Techniken bietet, voll und ganz hingibt, dann wird sein Alltagsleben von den quälenden Folgen des Zusammenpralls der beiden miteinander wetteifernden Bewußtseinsformen befreit.

Aus der neuen Perspektive gelten psychogene Symptome als Zeichen der Verwirrung zwischen hylotropem und holotropem Bewußtsein oder als Unfähigkeit des Betreffenden, sich den auftauchenden holotropen Motiven zu stellen und sie in seine alltägliche Erfahrung der materiellen Welt zu integrieren. 

Die generelle Strategie, der man folgen soll, ist die, diesen Motiven nicht auszuweichen und — nachdem sie durchgearbeitet worden sind — zu einem unkomplizierten, voll im Hier-und-Jetzt aufgehenden Leben zurückzukehren. Die systematische Anwendung dieses Prinzips in seinem eigenen Leben und die Aufgeschlossenheit gegenüber einem dialektischen und harmonischen Zusammenspiel zwischen den beiden Grundformen der Erfahrung scheinen notwendige Voraussetzungen für psychische Gesundheit im wahrsten Sinne des Wortes zu sein.

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Ende

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