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    II  -  Die thermische Zerstörung der Biosphäre    

Geulen-2020

 

  1.  Die Atmosphäre     2-    3-

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Die thermische Zerstörung der Biosphäre ist ein Produkt der Industrialisierung, insbesondere der Verfeuerung fossiler Bodenschätze. Ihr chemisches Medium ist das Element Carbon (Kohlenstoff) mit dem Element­symbol C. Die anthropogene Carbonisierung hat die CO2-Konzentration in der Atmosphäre seit Mitte des 18. Jahrhunderts kontinuierlich erhöht. Bis zum Beginn der Industrialisierung lag die CO2-Konzentration in der Atmo­sphäre - nach dem gegenwärtigen Forschungs­stand - mindestens 800.000 Jahre unter der Vergleichsgröße von 0,28 Promille. Seit dem Jahre 1750 etwa ist die Konzentration durch die Industrie­produktion kontinuierlich gestiegen, im letzten Bezugsjahr 2019 auf ca. 0,403 Promille. Wissenschaftlicher Standard ist, dass eine derart hohe CO2-Konzentration der Erdatmosphäre zuletzt vor ca. drei bis fünf Millionen Jahren bestand.(51)

Seit einigen Jahrzehnten verläuft die Carbonisierung der Atmosphäre progressiv, da die Industrienationen ihren Ausstoß an Kohlenstoff ständig erhöhen, die USA z.B. im Jahre 2018 um 3,4 Prozent.(52) Weltweit ist der CO2-Ausstoß im Jahre 2018 gegenüber dem Vorjahr um weitere 2,7 Prozent gestiegen. Täglich werden ca. 105 Millionen Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen in die Atmosphäre emittiert, eine Reduzierung ist trotz internationaler Verein­barungen nicht abzusehen. Seit dem Jahre 1990 ist der sogenannte Strahlungsantrieb (radiative forcing), ein Maß für die Energiebilanz der Erde, um weitere 41 Prozent gestiegen.(53)

Die Wissenschaftler des Doomsday-Clock-Projekts haben die »Weltuntergangsuhr« für das Jahr 2019 auf zwei Minuten vor zwölf vorgerückt; sie fassen in ihrem Jahresbericht 2019 die Tendenz wie folgt zusammen:

Die existentielle Bedrohung durch anthropogene Erderwärmung ist bedrohlich und wird schlimmer. Jedes Jahr, in dem durch menschliche Aktivitäten der Atmosphäre weiteres Kohlendioxid zugeführt wird, erhöht das Niveau des menschlichen Leids und der Zerstörung des Ökosystems, das zu einem globalen Klimazusammenbruch führt. Das entscheidende Kriterium der Verbesserung an der Klimafront sind die Anstreng­ungen, die globalen Kohlendioxidemissionen auf null zu bringen.

Diesen Maßstab haben die Staaten der Erde hoffnungslos verfehlt. Die weltweite Zunahme der Kohlendioxidemissionen war bis zum Jahre 2012 exponentiell gestiegen, in den Jahren 2013 bis 2016 blieben sie im Wesentlichen gleich. Selbst wenn dieses Niveau sich fortgesetzt hätte, hätte dies die Erderwärmung nicht gestoppt. [...] Die erschreckenden Nachrichten der Jahre 2017 und 2018 sind, dass die weltweiten Kohlen­dioxid­emissionen wieder angestiegen sind.(54)

Die gegenwärtige Erwärmung der Erde beruht auch auf Treibhausgasen, die bereits vor Jahrzehnten emittiert wurden. Grund hierfür ist, dass CO2 ein sehr stabiles Gas ist, das sich nur langsam zersetzt und über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleibt. Würde man in einem Rechenmodell unterstellen, dass die Emission von Carbon auf der Erde sofort beendet wäre, würde dies die Erderwärmung lediglich verlangsamen, nicht aber umkehren. Hinzu kommt, dass die anthropogene Erderwärmung Folgen für die Biosphäre hat, die ihrerseits die Klimazerstörung beschleunigen. Grund hierfür ist vor allem die Vernichtung von Großbiotopen wie den Tropenwäldern, die CO2 binden.

Das irreversible Abschmelzen der Polarkappen setzt CO2 frei, das in ihnen seit Beginn der Industrialisierung gebunden wurde. Gleichzeitig führt die Erderwärmung zu einer Erwärmung der Ozeane und folglich zu einem weiteren progressiven Anstieg der Erwärmung der Atmosphäre. Seit Beginn der Industrialisierung ist die durchschnittliche Temperatur in der Atmosphäre aufgrund der Treibhausemissionen um ca. 1,2°C gestiegen. Die letzten Berechnungen der IPCC extrapolieren diese Entwicklung aufgrund des weiteren und progressiven Anstiegs so, dass die durchschnittliche Erdtemperatur innerhalb einer Generation - die Aussagen beziehen sich auf einen Zeitraum von ca. dreißig Jahren - um 2,6 bis 4,0°C steigen wird.

Welchen Verlauf die thermische Zerstörung der Biosphäre nehmen wird, ist naturwissenschaftlich nicht genau zu bestimmen.(55)

Dass die thermische Zerstörung des Lebens auf der Erde unumkehrbar ist, hat seine Ursache letztlich in der inneren Logik der Industrieproduktion selbst. In Rede stehen die wesentlichen Produktionsanlagen der Industrie­staaten, ein großer Teil ihrer Energieversorgung, ihre gesamte entwickelte Infrastruktur und die umfassende Konsumerwartung der Bevölkerung.

Die zeitnahe Drosselung oder Beendigung der industriellen Produktionsweise würde in den nationalen Volkswirtschaften zu unabsehbaren Verwerfungen führen, zu Arbeitslosigkeit und Hunger­katastrophen und global zum Zusammenbruch ganzer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme.

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   2.  Die Zukunft der Ökosysteme     ^^^^

 

Weitgehend stimmen die Wissenschaftler darin überein, welche Auswirkungen die Erderwärmung auf die Ökosysteme der Erde hat. Ich beschränke mich auf Stichworte:

Die Lebensgrundlagen der terrestrischen Ökosysteme werden sich in naher Zukunft grundlegend ändern. Es werden die globalen Klimazonen verschoben und Zahl und Ausmaß der extremen Wetterereignisse zunehmen, z.B. durch lange Trockenzeiten, intensive Starkregen und Unwetter. Insbesondere auf der südlichen Welthalbkugel werden durch den globalen Temperaturanstieg sukzessive Landschaften versteppen, die bisher bewohnbar waren.

Durch die Carbonisietung der Atmosphäre wird die Erwärmung der Ozeane exponentiell zunehmen. Aber ihr Verlauf ist anders; sie wirkt in der Arktis etwa zwei- bis dreimal so stark wie im Erddurchschnitt.56 Der polare Permafrost verliert gegenwärtig pro Jahr ca. 335 Milliarden Tonnen Eis - das Dreifache des verbliebenen Gletschervolumens der europäischen Alpen.(57)

Der Anstieg des globalen Meeresspiegels, vor allem durch das Abschmelzen des Permafrosts, vollzieht sich kontinuierlich und unaufhaltsam. Erforscht wird zur Zeit die Wahrscheinlichkeit eines entropischen Verlaufs, dessen Folgen einer nuklearen Extermination nahekommen können.


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Es gibt Hinweise darauf, dass sich bereits jetzt Meeresströme verlangsamen wie z.B. der für das europäische Klima seit jeher prägende Golfstrom. Die künftige Entwicklung ist schwer abzusehen; es häufen sich die Stimmen, die einen zeitnahen Umschlag der submarinen Ströme für möglich halten, was für Europa etwa einen Temperatursturz von fünf bis acht Grad bedeuten könnte.

Die jüngsten Berichte des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zum Aussterben von Arten aus dem Jahre 2019 übertreffen alle bisherigen Prognosen. Die Berichte resümieren den gegenwärtigen Stand der Zerstörung der Ökosysteme wie folgt:

Die schrittweise Zerstörung der ökologischen Grundlagen menschlichen Lebens trifft die wirtschaftliche Basis armer Länder besonders stark. In entwickelten Industriestaaten können nachhaltige Auswirkungen - etwa von längeren Trockenzeiten - durch staatliche Regelungen ökonomisch zunächst ausgeglichen werden, während dies in Ländern der Dritten Welt ausgeschlossen ist.(59)


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   3-  Die Kontaminierung der Sprache      ^^^^  

 

Als ich Ende der siebziger Jahre damit begann, Prozesse gegen Kohleverbrennungsanlagen zu führen (z.B. Kraftwerke und große Industrie­anlagen), war alles bekannt: die schädlichen Wirkungen der Carbonisierung für die Erdatmosphäre, die tendentiell zunehmende Erderwärmung, das Abschmelzen der Gletscher, die beginnende Zerstörung des Weltklimas. Bekannt waren auch die steigenden Risiken pneumologischer Erkrankungen durch toxische Schadstoffe.

Wer damals gegen Kohlekraftwerke protestierte und prozessierte, traf auf den geschlossenen Widerstand der gesamten Öffentlichkeit, aller parlamentarischen Parteien und der Gewerkschaften. Kritische Stimmen kamen nur von einzelnen Wissenschaftlern und Bürgerinitiativen.

Die öffentliche Apathie wurde dadurch begünstigt, dass CO2 für den Menschen ebensowenig wahrnehmbar ist wie ionisierende Strahlung. Die Zerstörung geschieht nicht kataraktisch, sondern schleichend, lautlos und in einem zeitlichen Ritardando. Bilder rauchender Schornsteine verraten nichts über ihre Wirkungen; traditionell sind sie Ikonen wirtschaftlicher Prosperität. Bilder von Unwetter- und Dürrekatastrophen besagen per se nichts über deren Ursachen, die mediale Schönheit kalbender Gletscher nichts über das Abschmelzen des Permafrostes, die Erhöhung des Meeresspiegels und die drohende Umkehrung submariner Ströme. Der Zusammenhang zwischen der Carbonisierung der Atmosphäre und der Erderwärmung ist umfassend erforscht.


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Die Daten und die Prognosen der Klimazerstörung sind öffentlich ohne weiteres zugänglich; die Szenarien der internationalen Organisationen und der Wissenschaftler weichen nur geringfügig voneinander ab. Darüber hinaus gibt es umfangreiche, vertiefende Untersuchungen und Darstellungen wie die aktuellen Berichte von Kommissionen der UNO. Schließlich liegen seit einigen Jahren gut dokumentierte Sachbücher vor, die jeder für vertiefende Informationen als geistige Steinbrüche nutzen kann.

Seit die Zerstörung der Biosphäre nicht mehr zu leugnen ist, ist die öffentliche Sprache einer umfassenden Euphemisierung unterzogen worden. Es ist geradezu so, als hätte eine unsichtbare Instanz verharmlosende und beruhigende Sprachregelungen für öffentliche und wissen­schaft­liche Gespräche über die Klimazerstörung vorgeschrieben.

Begriffe wie »Klimawandel«, »Klimaveränderung« etc. eliminieren die letale Wirkung des Phänomens und geben der Klimazerstörung nicht nur eine neutrale, sondern eine positive Konnotation.

Alternativlos verwendet wird auch der Begriff »fossile Brennstoffe«. Die Rede ist von Millionen Jahre alten Ablagerungen und Verdichtungen organischer Stoffe, also insbesondere Kohle und Öl; diese als »Brennstoffe« zu bezeichnen, degradiert sie zu Medien der Carbonisierung, als habe die Erdgeschichte sie geschaffen zur Verbrennung und Vernichtung der Atmosphäre.

Kontaminiert sind auch Begriffe wie »Selbstverbrennung«, »kollektiver Selbstmord der Menschen« etc. Die pathetische Sprache übertönt nicht nur die Realität, sondern auch die Verantwortung: Es sind nicht »die Menschen«, sondern die großen Industriestaaten, die durch die industrielle Carbonisierung in den letzten 250 Jahren zu den Hegemonen der globalen Ökonomie geworden sind. Günther Anders hat hierzu gesagt:

Die Singularformen »der Mensch« und »die Menschheit« sind unerlaubt. Durch diese, alle und jeden Menschen über einen Kamm scherenden Ausdrücke werden nicht nur die Schuldigen, sondern auch die Milliarden von evidentermaßen Unschuldigen unterschlagen, bzw. diesen wird ausnahmslos Mitschuld aufgebürdet.(60)

Auch Wissenschaftler tragen zur Kontaminierung der Sprache bei. Die »Fünf-vor-zwölf-Apokalyptiker« entwerten ihre Erkenntnisse in der gut gemeinten Absicht, die Öffentlichkeit zu alarmieren und die Politiker unter Druck zu setzen. Die Klimaforschung hat in den letzten zwanzig Jahren enorme Fortschritte erzielt, aber sie verfälscht ihre Prognosen durch ein corriger la fortune: Bei einigen Klimaforschern ist es seit dreißig Jahren fünf Minuten vor zwölf, obwohl die Klimazerstörung progressiv zunimmt.

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Glaubwürdiger sind die Physiker des Manhattan-Projekts, die im Jahre 1947 die Doomsday Clock auf sieben Minuten vor zwölf midnight stellten. Kurz nach der Auflösung der Sowjetunion stellten die Leute der Doomsday Clock den Zeiger auf 17 Minuten vor zwölf zurück - die sicherste Zeit seit der Erfindung der Doomsday Clock im Jahre 1947. Die Doomsday Clock rückt Jahr für Jahr der Midnight-Time näher. Im Januar 2019 stand sie auf »2 minutes to midnight«.(61)

Seitdem das Doomsday-Projekt auch die Gefahren der Klimazerstörung betrachtet, ändert sich der Verlauf der Doomsday Clock. Das Risiko der globalen Lebensvernichtung durch die Folgen der Kernspaltung betrifft einen apokalyptischen Vorgang in Gestalt eines nuklearen Schlags mit globalen Ausmaßen. Die Klimazerstörung aber schreitet unaufhaltsam voran; es ist nicht daran zu denken, dass die hegemonialen Wirtschaftsmächte die weitere Carbonisierung der Atmosphäre in absehbarer Zeit wesentlich reduzieren werden.

Die Sicht der Doomsday-Physiker hat Auswirkungen auf die Bestimmung der Endzeit der Menschheit: Ein nuklearer Krieg lässt sich nur probabilistisch prognostizieren, das heißt durch Angabe der Wahrscheinlichkeit des Eintritts in einen bestimmten Zeitraum. Die Zerstörung der Atmosphäre nimmt aber kontinuierlich zu und ermöglicht daher eine deterministische Betrachtung: die Erderwärmung, die Erhöhung des Meeresspiegels, extreme Klimaentwicklungen, Aridisierung und Versteppung von Lebensräumen, Vernichtung von Pflanzen- und Tierarten lassen sich aufgrund empirischer Beobachtungen zunehmend genau vorhersagen.

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