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6  Die Zerstörung der Kultur durch den Klimawandel 

1.1.2020    Jörg Phil Friedrich   Was kommt nach dem Klimawandel - Teil 6

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Was für die natürlichen Lebensräume gilt, hat selbstverständlich auch Bedeutung für die kulturell angelegten und gepflegten Biotope sowie für die Landwirtschaft. Parks und Straßenbäume wurden schon erwähnt, und dass es in vielen Gebieten der Welt gar keine natürlich gewachsenen Wälder mit vielfältigem Artenreichtum mehr gibt, ist bekannt. Diese Kultur-Biotope werden zwar einerseits durch Menschen beobachtet und gepflegt, wodurch eine gewisse Möglichkeit der Anpassung an Veränderungen durch menschlichen Eingriff besteht, andererseits sind sie viel anfälliger für Störungen durch Folgen extremer Wetterereignisse und durch Einwanderung fremder Arten, die das jeweilige künstliche Gleichgewicht des Biotops durcheinanderbringen.

Fraglich ist natürlich auch, wieviel Kraft die Menschen zukünftig in die Pflege dieser Biotope investieren können. Das Klimachaos wird eine Vielzahl von Problemen gleichzeitig hervorrufen, die Ressourcen, um Krisen in Biotopen zu erkennen und zu verstehen sowie Lösungen für diese Krisen zu erarbeiten, sind begrenzt.

   Gefahren für die Landwirtschaft   

Die Menschen werden sich auf Versuche konzentrieren, die Landwirtschaft an die ständigen Veränderungen des Klimas anzupassen. Be- und Entwässerungsanlagen sind zu bauen, neue Getreide-, Gemüse- und Obstsorten müssen gezüchtet und getestet werden. Das sind Prozesse, die Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen, und es ist zu erwarten, dass neue Extreme und Veränderungen im Klimachaos viele Ideen und Entwicklungen, die als langfristige Anpassungen geplant waren, hinfällig machen.

Forschungen zeigen, dass die landwirtschaftlichen Erträge durch den Klimawandel aus vielen Gründen zurückgehen werden. Zum einen werden die größere Trockenheit und andauernde Hitzeperioden die Erträge schmälern, zudem werden Extremwetterereignisse zu Ernteeinbußen führen. Wissenschaftler empfehlen zwar bereits, etwa in Mitteleuropa Getreidesorten anzubauen, die besser mit Hitze und Trockenheit zurecht kommen, aber der Nährstoffgehalt dieser Sorten ist geringer als der von bisher angebauten Sorten.

Außerdem zeigt sich inzwischen auch, dass der höhere CO2-Gehalt in der Luft zu geringerem Proteingehalt im Getreide führt, und nicht etwa, wie früher angenommen, einen Düngungseffekt auf Nutzpflanzen hat. Schon die aktuellen heißen Sommer haben in Mitteleuropa zu Ernteeinbußen geführt, und so werden wir bereits in der allernächsten Zukunft der nächsten Jahrzehnte immer häufiger von geringeren Erträgen und Ernte­ausfällen lesen und hören. Dauerhaft werden diese Einbußen sich nicht durch Importe ausgleichen lassen, weil gefürchtet werden muss, dass alle Regionen mit intensiver Landwirtschaft mit diesen Problemen zu kämpfen haben werden.

Es wird nicht einfach so sein, dass man etwa in Mittel- und Nordeuropa Pflanzensorten und Tierarten aus südlicheren Gegenden übernehmen kann. Das Klima in den nördlichen Breiten wird zwar zu bestimmten Jahreszeiten mehr "südlichere Tage" haben, aber insgesamt wird es sich nicht einfach nach Norden verschieben. Das ist schon auf Grund der unterschiedlichen Tageslängen nicht möglich, zudem ist die Anordnung der Gebirge und die Nähe zu den Ozeanen verschieden. Auch wenn wir in Deutschland Sommertage wie in Spanien haben werden und schon heute unter "tropischen Temperaturen" leiden, werden wir nicht einfach die Obstsorten mit Erfolg anbauen können, die bisher in Spanien gut gedeihen - ganz abgesehen davon, dass der Obstanbau in Spanien schon heute ökologisch hoch bedenklich ist.

Man wird also überall auf der Welt neue Pflanzensorten und Nutztierarten zu züchten versuchen, die Bedingungen angepasst sind, die wir noch nicht kennen und die weiteren dramatischen Veränderungen unterworfen sind. Man wird Samen und Setzlinge aus anderen Klimazonen importieren und damit experimentieren, man wird neue Rassen züchten und hoffen, dass die Bedingungen, unter denen diese Lebewesen dann gedeihen sollen, wirklich für gewisse Zeit so sein werden, wie es sich zu der Zeit andeutet, in der man die Züchtung begonnen hat. Man wird die Klimaforschung nach immer detaillierteren und langfristigeren Prognosen fragen und auf der Basis dieser Prognosen in Forschungs- und Züchtungsprogramme investieren.

Dabei wird man immer wieder scheitern, hin und wieder aber auch Erfolge haben, die sich allerdings nur für gewisse Zeit nutzen lassen, denn die Veränderungen gehen weiter.

Zudem ist fraglich, ob neu gezüchtete oder aus anderen Weltregionen übernommene Getreidesorten für die Ernährung in einer Region wirklich geeignet sind. Das wichtigste Getreide in den westlichen Ländern ist der Weizen. Hier zeigt sich z.B. dass bei einer Abnahme des Proteingehaltes die Backeigenschaften schlechter werden. Weizen mit geringeren Proteingehalten kann dann nicht mehr auf die gleiche Weise verarbeitet werden, wie es sich über lange Zeiträume in einer Region etabliert hat. Zudem besteht inzwischen der Verdacht, dass sich durch Züchtungen die Konzentration bestimmter Inhaltsstoffe erhöhen, die Allergien und Unverträglichkeiten auslösen können. Solche Risiken werden sich bei klimawandelbedingten Umstellungen der Landwirtschaft erst allmählich zeigen, müssen dann erst wissenschaftlich verstanden und untersucht werden bevor wieder Konsequenzen für die Nahrungs­mittelproduktion gezogen werden können.

Wie lange wird die Wissenschaft überhaupt in der Lage sein, diese Herausforderung anzunehmen und die Hoffnungen, die in sie gesteckt werden, einzulösen? Die Klimaforschung und die Landwirtschafts-Wissen­schaften sind selbst von den Bedingungen einer funktionierenden Gesellschaft und von vielen technischen Infrastrukturen abhängig, die wiederum vom Klimawandel bedroht sind, wie wir weiter unten schildern werden.

   Zuerst und am härtesten trifft es die Armen 

Insgesamt gehen somit die Mengen der landwirtschaftlichen Fleisch- und Pflanzenproduktion in den nächsten Jahrzehnten zurück - ein Prozess, der sich in den unterschiedlichen Regionen der Welt mehr oder weniger gut aufhalten lässt. Hochtechnisierte Gesellschaften mit starken Forschungsinstitutionen und -Traditionen sind naturgemäß besser in der Lage, diesen Herausforderungen zu begegnen, als schwächere Länder, die nicht über entsprechende Ressourcen verfügen.

Damit begegnen wir hier zum zweiten Mal einem Phänomen, das uns noch intensiver beschäftigen wird: Diejenigen Gesellschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten am wenigsten zu den Ursachen des Klimawandels beige­tragen haben, und somit die Regionen und Länder, welche gerade nicht auf der Basis der Energieproduktion mittels fossiler Energieträger eine hoch entwickelte Industrie, eine entsprechende effiziente techno­logische Infra­struktur und eine diverse und eingespielte Forschungslandschaft aufbauen konnten, wird das Klimachaos zuerst und am härtesten treffen. Nicht nur, dass sie gegen Überschwemmungen und Wetter­extreme am wenigsten geschützt sind - sie haben auch die geringsten Ressourcen und die schwächsten Infrastrukturen und Technologien, um sich auf den Klimawandel mittelfristig vorzubereiten und entsprechende Veränderungs­prozessen einzuleiten.

Aber auch die technologisch entwickelten modernen Industrieregionen der Welt mit starker Wirtschaft, effizienter Landwirtschaft und lebendigen Forschungstraditionen werden von den sich selbst verstärkenden Zerstörungs­prozessen hart und lebensgefährlich getroffen werden. Ihre Leistungsfähigkeit beruht auf einem komplexen System voneinander abhängiger Energieversorgungs-, Transport- und Kommunikationsnetzwerke.

Vor allem ist für das Funktionieren aller Elemente der technischen Kulturen die stabile Versorgung mit elektrischem Strom notwendig. Der Strom wird aber nicht da erzeugt, wo er gebraucht wird, er muss über weit verzweigte und komplex voneinander abhängige Netze transportiert und verteilt werden. Erste großflächige Stromausfälle in Nordamerika und auch in Europa zeigen bereits, dass die Energieversorgungsnetze auf extreme Witterungssituationen und Wetterereignisse nicht eingestellt sind. Bedenkt man, dass das, was wir derzeit als extrem ansehen, von Wetterverläufen in den nächsten Jahrzehnten weit in den Schatten gestellt wird, wird schnell klar, dass wir mit gefährlichen Ausfällen bei der Energieversorgung zu rechnen haben.

   Niedergang der Infrastrukturen 

Diese Ausfälle werden alle anderen Elemente unserer Gesellschaft empfindlich und gefährlich stören. Nicht nur das tägliche Leben ist davon betroffen, auch unsere Fähigkeit, an langfristigen Lösungen für die großen Heraus­forderungen zu arbeiten. Oben war von den gewaltigen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen die Rede, die nötig sind, um die Landwirtschaft auf das Klimachaos auch nur im Groben einzustellen. Wie aber sollen diese Anstrengungen überhaupt unternommen werden, wenn die Computertechnik der wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Steuerungsanlagen der Labore immer wieder mit Stromausfällen zu kämpfen haben?

Gleichzeitig sind auch alle anderen Netzwerke der modernen Infrastruktur von der Zunahme extremer Wetterereignisse betroffen, wie bereits erste Erfahrungen mit Hitzewellen und Starkniederschlägen zeigen. Der Schienen- und Straßenverkehr wird unterbrochen, die Transportwege werden nachhaltig geschädigt. Die Zuverlässigkeit und die Sicherheit des Transportwesens leiden.

Störungen und Unfälle werden in einem Umfang auftreten, den auch hochtechnisierte und reiche Gesellschaften kaum noch bewältigen können - zumal an allen Stellen gleichzeitig Investitionsbedarf auftritt, zugleich aber die Planungs- und Logistikleistungen, die dazu notwendig sind, selbst immer prekärer und unzuverlässiger, damit auch teurer werden. Das wird notwendig zu einem Verzicht auf Sicherheits-, Zuverlässigkeitstest- und Komfort­standards führen, die in den letzten Jahrzehnten für moderne Gesellschaften selbstverständlich geworden sind.

Die immer knapperen finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen müssen dann auf immer mehr Baustellen und Krisenherde verteilt werden. Infrastrukturprojekte, die das Verkehrsnetz resistent gegen extreme Wetter­kapriolen machen sollen, konkurrieren um finanzielle und personelle Ressourcen der Gesellschaft mit Projekten zur Dezentralisierung der Energieversorgung, mit Maßnahmen zur Umgestaltung der Landwirtschaft und mit Aufforstungsprogrammen. Jeder weiß, dass alles auf einmal notwendig wäre, und dass letztlich der Erfolg eines jeden Maßnahmenpakets und Entwicklungsprogramms vom Erfolg aller anderen Pakete und Programme abhängt - aber in der Praxis müssen Prioritäten festgelegt und Kapazitäten verteilt werden.

Klar und aus bisherigen Erfahrungen bekannt ist, dass jede Einrichtung und jeder Betrieb den Nachweis führen wird, dass die gesellschaftliche Unterstützung und Finanzierung gerade der eigenen Vorhaben absoluten Vorrang haben muss. Langwierige politische Abstimmungsergebnis- und Verteilungsprozeduren werden nötig, die den Erfolg der Maßnahmen weiter gefährden, insbesondere dann, wenn die Maßnahmen überregionale oder gar inter­nationale Zusammenarbeit erfordern, um die dringend notwendigen Effekte zu erreichen.

Und eine solche überregionale und internationale Abstimmung wird notwendig sein. Dabei werden für jedes Problem verschiedene Lösungsvorschläge auf den Tisch kommen, die unterschiedliche Investitionen, unter­schiedliche Unwägbarkeiten und Risiken und gleichzeitig unterschiedliche Einschnitte in das Leben der Betroffenen bedeuten werden.

Ein Beispiel soll das erläutern:  Soll man, wenn die Hochwasser und Überschwemmungen an den Nordseeküsten zunehmen, eher den Hochwasserschutz verstärken oder soll man die Menschen aus den Niederlanden und aus Norddeutschland eher umsiedeln und die betroffenen Regionen aufgeben? Die einen werden aus vielen guten Gründen den Hochwasserschutz bevorzugen, man wird auf die bestehenden Erfahrungen und Technologien im Deichbau verweisen und die Langsamkeit des Prozesses betonen. Auf die kulturellen Risiken von Umsiedlung und Flucht in Europa wird man hinweisen. Andere werden sagen, dass alle Investitionen in den Hochwasserschutz am Ende vergeblich sein werden und dass es besser ist, statt Geld in immer höhere Deiche zu investieren, die am Schluss doch nicht ausreichen, frühzeitig die Menschen darin zu unterstützen, sich anderswo ein neues Leben aufzubauen.

   Internationaler Masterplan ist kaum vorstellbar 

Wie soll es in solchen Fällen zu vernünftigen Entscheidungen kommen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind und zudem ausreichende Ergebnisse für die Stabilisierung der Lebensverhältnisse unter immer unsicheren Bedingungen erzielen?

Was schon unter europäischen Bedingungen fast aussichtslos erscheint, wird im globalen Maßstab zu einem reinen Wunschtraum. Vielmehr ist zu erwarten, dass politische Kräfte versuchen werden, durch wechselseitige Schuld­zuweisungen und überzogene Forderungen an andere die eigenen Machtstrukturen zu stärken, Konflikte ohne Rücksicht auf langfristige Konsequenzen zu verschärfen und damit der eigenen Verantwortung für die Zukunft der jeweiligen Gesellschaft aus dem Wege zu gehen.

Was uns auf diesem Gebiet bevorsteht, können wir gegenwärtig an den internationalen Diskussionen um die verstärkte Abholzung des brasilianischen Regenwaldes beobachten. Die Reaktion des dortigen Präsidenten auf den Stopp der Förderung von Projekten durch Deutschland spricht Bände: Die deutsche Regierung solle das Geld doch nehmen und Deutschland wieder aufforsten, das sei schließlich bitter nötig, sagt der Präsident Brasiliens. Diese Antwort zeigt, in welche Richtung sich die internationale Diskussion verschärfen wird: Entwicklungsländer werden eigene Maßnahmen zum Klimaschutz ablehnen und darauf verweisen, dass die Länder Europas und Nordamerikas durch ihr hemmungsloses Wachstum und die Industrialisierung in den letzten Jahrhunderten die Probleme schließlich verursacht haben.

Verzicht auf Seiten der Entwicklungsländer wird abgelehnt werden mit dem Verweis, dass man lange nicht auf dem Niveau des Ressourcenverbrauchs sei wie die Länder der "ersten Welt" und dass man nur nachhole, was diese sich bisher genehmigt hätten. Verzicht und radikale Einschnitte seien vor allem im Norden nötig. So werden Konflikte verschärft und gemeinsame Maßnahmen verhindert.

Auf die absehbaren politischen Entwicklungen als Folge des Klimawandels werden wir zurückkommen. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Menschen dem radikalen Wandel kaum durch abgestimmte oder gar angemessene Reaktionen und Maßnahmen begegnen können. Einzelinteressen und kurzfristiges Denken werden verhindern, dass es zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Art, wie sich die Menschen in der Umwelt einrichten, kommt.

Das Prinzip Hoffnung, die Annahme, dass das Schlimmste ja vielleicht doch schon oder bald überstanden sein wird, schließlich der bloße Kampf gegen die Folgen der nächsten Katastrophe, werden alle Möglichkeiten verbauen, dass es zu einem Masterplan kommt, nach dem die verschiedenen Gesellschaften der Erde abgestimmt, friedlich und gemeinsam den Weg aus der Katastrophe finden können.

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Friedrich-Jörg am 1.1.2020