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305 - Kopf und Kosmos  

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Am 21. Februar 1901 entdeckten die Astronomen im Sternbild Perseus eine Nova, einen »neuen Stern«. Es handelte sich nicht wirklich um einen plötzlich neu aufgetauchten Stern, den es vorher noch nicht gegeben hatte, sondern um den gewaltigen Lichtblitz einer im Gravitationskollaps zusammen­brechenden überalterten Sonne. Ein solches Ereignis zieht stets die Aufmerksamkeit der Astronomen auf sich, auch wenn es sich um ein nicht allzu seltenes Phänomen handelt.

Die »Nova Persei« jedoch rief in Fachkreisen sogar eine gewisse Aufregung hervor. Dies deshalb, weil die Beobachtung des fernen Explosions­verlaufes sehr bald Daten zu liefern begann, die einfach nicht stimmen konnten: Sie waren »physikalisch unmöglich«. Gleichwohl aber wurden sie von mehreren Beobachtern unabhängig voneinander bestätigt: Die Ausbreitung der den »implodierten« Stern umhüllenden Explosions­wolke erfolgte mit einer den Gesetzen der Physik widersprechenden Geschwindigkeit.

Die mit spektroskopischen und photometrischen Methoden ermittelte Entfernung der Nova betrug rund 3000 Lichtjahre. Sie war, mit anderen Worten, von der Erde also so weit entfernt, daß das von ihr ausgehende Licht 3000 Jahre benötigte, um die Distanz bis zur Erde zurückzulegen. Für astronomische Maßstäbe ist das nicht einmal besonders viel. Die Nova lag noch immer tief in unserem eigenen Milchstraßensystem (das einen Durchmesser von rund 100.000 Lichtjahren hat), sozusagen in der kosmischen Nachbarschaft der Erde.

Nachdem die Entfernung feststand, begannen die Beobachter die »scheinbare« Vergrößerung der Explosions­wolke zu vermessen, also die Geschwindigkeit, mit der sich, von der Erde aus gesehen, ihr Durchmesser vergrößerte.

Aus 3000 Lichtjahren Entfernung ist diese scheinbare Geschwindigkeit natürlich minimal (aus dem gleichen Grunde, aus dem sich auch ein Rennwagen am fernen Horizont nur noch »wie eine Schnecke« fortzubewegen scheint). Es erwies sich jedoch als erstaunlich leicht, sie festzustellen. Der Größenunterschied war sogar von Woche zu Woche meßbar.

Zunächst schien daran nichts Besonderes zu sein. Die Himmelsphotographen hatten die Nova sehr bald nach dem Einsetzen der Explosion erwischt, sozusagen in statu nascendi. Was Wunder also, wenn die Ausdehnung der strahlend leuchtenden Wolke sich mit der entsprechenden Geschwindigkeit vollzog. Sobald die Fachleute jedoch anfingen, ihre Meßdaten genauer zu verrechnen, erlebten sie eine Überraschung: Als sie die scheinbare Expansionsgeschwindigkeit in Beziehung zu der Entfernung von 3000 Lichtjahren setzten, ergab sich, daß die Wolke sich mit Lichtgeschwindigkeit nach allen Seiten ausdehnen mußte. Das aber war unmöglich. Materie kann auch im Kosmos nicht bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, und das Wasserstoffgas der Explosionshülle war schließlich Materie.

Man gab sich mit der etwas lahmen Erklärung zufrieden, daß doch irgendwo ein Meßfehler stecken müsse, und ließ die Sache auf sich beruhen. Heute weiß man, daß die Meßdaten des Jahres 1901 richtig waren. Heute kennt man auch die Erklärung für das paradox wirkende Phänomen einer sich in den Tiefen des Kosmos scheinbar mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnenden Explosionswolke. Inzwischen wurden sogar noch einige gleichartige Fälle beobachtet. Die Lösung des Rätsels: Was sich da vor den Augen der staunenden Astronomen ausbreitete, war eben keine Materie, sondern tatsächlich Licht. Der Zufall hatte es gewollt, daß die »Nova Persei« inmitten einer riesigen Wolke feinst verteilten kosmischen Staubes explodierte, und die Lichtkugel, die man nach ihrem Untergang sich ausbreiten sah, war nichts anderes als der sich in dieser Wolke mit der für Licht charakteristischen Geschwindigkeit ausbreitende Explosionsblitz.

So weit, so gut. Die Astronomen waren mit der Antwort zufrieden. Für den nachdenklichen Zeitgenossen aber enthält die Geschichte noch ein zweites Problem. Wie ist es eigentlich zu erklären, daß wir in einem Augenblick, in dem der Explosionsblitz die Entfernung bis zur Erde — immerhin 3000 Lichtjahre — bereits zurückgelegt hat, den Ausbruch der Nova als Lichtpunkt sehen?

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In ebendiesem Augenblick ist der Blitz doch — aus dem Blickwinkel des irdischen Betrachters — auch nach beiden Seiten, nach rechts und nach links, schon 3000 Lichtjahre weit in den Raum vorgedrungen. Warum also sehen wir in diesem Augenblick noch den Punkt des Explosionsanfangs und nicht eine kreisförmige Lichtwolke mit einem Durchmesser, welcher der perspektivischen Projektion einer zweimal 3000 Lichtjahre großen Kugel an den irdischen Nachthimmel entspricht? Die Antwort auf diese Frage fällt noch verzwickter aus als das Problem, mit dem sich die Astronomen angesichts dieser seltsamen Nova herumzuschlagen hatten.

Um das Ganze zu verstehen, müssen wir in Gedanken bis zum Augenblick des Novaausbruchs zurückgehen. Da die ersten Photonen (Licht-»atome«) am Ort des Geschehens logischerweise erst in diesem Moment starten, ist auf der Erde von der Katastrophe natürlich nichts zu sehen. Tausend Jahre später hat sich der Lichtblitz auf eine kugelförmige Photonenwolke mit einem Radius von 1000 Lichtjahren vergrößert. Auf der Erde ist nach wie vor nichts zu sehen, denn in diesem Augenblick haben die auf die irdischen Astronomen zufliegenden Photonen der Wolke noch immer eine Wegstrecke von zusätzlichen 2000 Lichtjahren vor sich. Die gleiche Situation gilt auch nach weiteren 1000 Jahren. Die Photonenwolke ist jetzt auf einen Radius von 2000 Lichtjahren angewachsen. Das heißt aber, daß ihre der Erde zugekehrte Oberfläche von dieser auch jetzt noch immer 1000 Lichtjahre entfernt ist.

Erst 3000 Jahre nach der Sternexplosion ist es endlich soweit (entsprechend der zwischen ihr und der Erde klaffenden Distanz von 3000 Lichtjahren). Die ersten durch die Explosion freigesetzten Photonen treffen auf der Erde ein und werden von den Fernrohrkameras der Astronomen als punktförmiger Lichtblitz registriert, der den Beginn der Explosion abbildet. Warum in diesem Moment ein punktförmiges Aufblitzen zu sehen ist und nicht eine Lichtkugel von 3000 Lichtjahren Radius, obwohl die Photonenwolke in diesem Augenblick diese Ausdehnung tatsächlich erreicht hat, dürfte nach der ein wenig umständlichen Schilderung des Ablaufs klar sein: Was auf der Erde eintrifft und als erste Information allein registriert werden kann, ist ja nur der vorderste Punkt der der Erde zugekehrten Oberfläche der sich mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnenden Photonenkugel!

Kein anderer Teil der Kugel, kein einziges der anderen Photonen, aus denen sie besteht, ist in diesem Augenblick auf der Erde eingetroffen und kann die Netzhaut der Beobachter (oder die lichtempfindliche Schicht ihrer Photoplatten) berühren.

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Das ändert sich aber auf der Stelle, sozusagen mit Lichtgeschwindigkeit. Denn mit dieser Geschwindigkeit zieht die Oberfläche der Lichtkugel vom Augenblick des ersten Kontaktes ab über den irdischen Beobachter hinweg weiter in die Tiefe des Weltalls. Der zuerst gesehene Lichtpunkt vergrößert sich infolgedessen zu einer kleinen, rasch wachsenden Scheibe. Diese entspricht den ebenso schnell größer werdenden Segmenten der Photonenkugel, die der Beobachter nach und nach zu Gesicht bekommt, während diese über seinen Standort hinwegzieht. Die Größenzunahme der kleinen Lichtscheibe »rekonstruiert« dabei gleichsam nachträglich den Ablauf der fernen, zeitlich inzwischen schon 3000 Jahre in der Vergangenheit liegenden Katastrophe im Auge des irdischen Beobachters.

So betrachtet, ist an der Angelegenheit nichts Problematisches mehr zu entdecken. Aber warum erschien uns dann die Tatsache, daß eine Tausende von Lichtjahren große Kugel im ersten Augenblick als punktförmige Lichtquelle gesehen wird, zunächst als schwerverständlich? Die Antwort legt, wie ich glaube, einen gravierenden Irrtum bloß, der unsere Vorstellung von der Art und Weise, in der wir die Welt erleben, fortwährend verfälscht. Wir erliegen, wenn wir »die Welt sehen«, stets dem vom Augenschein zwingend suggerierten Eindruck, daß wir das Gesehene dort erblicken, wo es sich ereignet — während die Gesichts­wahrnehmung (wie alle anderen Wahrnehmungen auch) in Wirklichkeit in unserem Kopf stattfindet! 

Nur weil wir wie selbstverständlich davon ausgehen, daß wir die Explosion der Nova Persei »draußen«, tief im Kosmos, in 3000 Lichtjahren Entfernung vor unseren Augen sehen, können wir darüber verwundert sein, daß wir einen Lichtpunkt sehen in einem Augenblick, in dem es sich in Wirklichkeit, »objektiv«, längst um eine riesige Lichtwolke von astronomischen Ausmaßen handelt.

In Wahrheit spielt sich das, was wir sehen — oder auf andere Weise von der Welt wahrnehmen — in unserer Großhirnrinde ab, im Falle unseres Beispiels in der im Hinterkopfbereich gelegenen »Sehrinde«. Rätselhaft ist dabei ein ganz anderer, nämlich der gleichsam umgekehrte Sachverhalt: Es ist ein unerklärbares Geheimnis, wie es kommt, daß wir das, was sich an abstrakten (keineswegs mehr bildähnlichen) Nervenimpulsmustern an dieser Stelle unserer Großhirnrinde abspielt, als »vor unseren Augen«, in einer Außenwelt gelegene Objekte anschaulich zu sehen vermeinen.

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Es gebe für dieses Weltall keinen anderen Ort als die menschliche Seele, konstatierte schon im dritten Jahrhundert der griechische Philosoph Plotin. Was in Wahrheit der Erklärung bedürfte (es existiert keine!), ist der Umstand, daß unser Augenschein uns in unserem alltäglichen Welterleben fortwährend das Gegenteil suggeriert.

Es ist natürlich alles andere als ein Zufall, daß es die nähere Betrachtung eines astronomischen Phänomens war, die uns auf das Problem stoßen ließ. Im Bereich irdischer Maßstäbe und Distanzen sind die resultierenden Fehler so unmeßbar gering, daß wir unserem permanenten Irrtum, wir sähen die Welt »vor unseren Augen«, unbeschadet anhängen können. Bei den in unserem alltäglichen Dasein nicht vorkommenden astronomischen Distanzen ist das jedoch anders. Sie vergrößern die Fehler in der Einschätzung unseres Weltbildes unvermeidlich in einem Maße, das uns zu einer genaueren Untersuchung des wahren Sachverhalts zwingt, wenn wir uns nicht in einem Dickicht von Widersprüchen und Scheinproblemen verlaufen wollen. So kann eine eingehendere Beschäftigung mit der Astronomie unter anderem also auch zu der Wiederentdeckung der Tatsache führen, daß die Welt in unserem Kopf stattfindet, oder, besser und genauer gesagt: nicht die Welt, an deren objektiver Existenz außerhalb unseres Kopfes wir nicht zweifeln wollen,* sondern das, was wir gemeinhin gedankenlos für die Welt zu halten pflegen, nämlich das Abbild, das unser Gehirn sich von ihr macht.

So kommt man bei einer einigermaßen gründlichen Beschäftigung mit dem Wissen über das Universum wie von ganz allein darauf, sich auch für die Inneneinrichtung des Kopfes zu interessieren, der uns dieses Wissen vermittelt. Der Schritt von der Astronomie zur Psychiatrie ist, so gesehen, sehr viel kleiner, als mancher im ersten Augenblick glauben mag.

Das Interesse an der Arbeitsweise des menschlichen Kopfes wird zusätzlich auch durch die Resultate der philosophischen Disziplin der »Erkenntnistheorie« nahegelegt, die seit Jahrtausenden den Verdacht genährt und schließlich bewiesen hat, daß niemand von uns »in der Welt« lebt, sondern wir alle nur in dem Bild, das wir uns von der Welt machen.

* Dies übrigens, wie hier am Rande angemerkt sei, im Gegensatz zu dem erwähnten Philosophen Plotin, der als extremer Idealist (im philosophischen Sinne des Wortes) die Existenz einer außerhalb der menschlichen Seele objektiv existierenden Welt bestritten hat.

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Beides aber sind zweierlei Paar Stiefel. Die Frage danach, wie getreulich das im Gehirn rekonstruierte Bild der Welt eigentlich der objektiven, außerhalb von uns existierenden realen Welt entspricht, ist das zentrale Thema aller Erkenntnisforschung. Seit Plato, den man als den ersten Erkenntnistheoretiker und Begründer dieses Zweiges der Philosophie anzusehen hat, schlägt sie sich mit dem Problem herum. Seit Plato steht auch fest, daß zwischen beiden — der realen Welt und ihrer von uns erlebten Abbildung — nicht unbeträchtliche Abweichungen bestehen. Dank moderner Naturforschung haben sich einige von ihnen empirisch aufspüren lassen. »Farben« zum Beispiel gibt es in der Realität nicht. Dort existieren nur elektromagnetische Wellen verschiedener Frequenzen, die von den optischen Verarbeitungszentren unseres Gehirns in die uns bekannten Spektralfarben »übersetzt« werden. Aber unser Gehirn fügt bei seiner Rekonstruktion des Bildes der Welt auch ganz fundamentale Kategorien von sich aus hinzu, die wir dann zu Unrecht für charakteristische Eigenschaften der Realität selbst halten.

Dazu gehören, wie Immanuel Kant herausfand, etwa die Kategorie der Zeit und die uns selbstverständlich erscheinende dreidimensionale Struktur des Raumes. Die Relativitätstheorie Albert Einsteins belegte beide Kantsche Behauptungen ein Jahrhundert später bekanntlich durch den Nachweis einer nichteuklidischen (»gekrümmten«) Struktur des realen Raumes und der Abhängigkeit der Zeit vom Bewegungszustand des Beobachters. Beide Sachverhalte sind unserem Kopf gänzlich unvorstellbar. Auch Einstein selbst ging das nicht anders. Seine Genialität erwies sich darin, daß es ihm auf indirektem, mathematischem Wege gelang, den Beweis zu führen (der anschließend durch bestimmte physikalische Beobachtungen bestätigt wurde) und damit die uns allen angeborenen Grenzen unseres Erkenntnishorizonts zu »transzendieren«. Womit - und darin besteht die außerordentliche Bedeutung der Relativitätstheorie - ein für alle Male und unwiderleglich bewiesen war, daß sich »die Welt« und das Bild, das unser Kopf sich von ihr macht, in wesentlichen Punkten unterscheiden.

Auch darauf, wie es zu diesen Abweichungen kommen konnte, gibt es heute schon überzeugende Antworten.

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Kant hatte noch keine Erklärung dafür, warum die von ihm in scharfsinniger gedanklicher Analyse als angeboren und daher als a priori gültig erkannten Vorstellungskategorien (wie etwa die der Zeit oder des Raumes oder der Kausalität) den Kategorien der realen Welt zumindest ähnlich sind. Denn das sind sie ganz offensichtlich. Wenn es nicht so wäre, wie könnte ich dann mit Hilfe dieser angeborenen Kategorien in der realen Welt auch nur einigermaßen befriedigend zurechtkommen? Wie ist das zu erklären, wenn, wie Kant behauptete, das »Abbild der Welt« in unserem Kopf zu der realen Welt »an sich« (über die wir direkt nicht das mindeste jemals würden erfahren können) in keinerlei unmittelbarer Beziehung steht?

Wenn »Kausalität« nur in meinem Kopf existiert, wieso kollidiere ich dann nicht fortwährend mit der Realität, wenn ich mich in ihr ganz unkantianisch so verhalte, als gäbe es den Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen auch in der objektiven Wirklichkeit? Wie ist das anders zu erklären als durch die Annahme, daß zwischen »Denk- und Realkategorien« eben doch irgendeine Beziehung existiert? Wie aber kann diese zustande kommen, wenn wir unsere Denkkategorien fix und fertig auf die Welt mitbringen, sie also nicht erst durch Erfahrung in ihr erwerben? Und warum führt diese geheimnisvolle Beziehung nur zu Ähnlichkeiten zwischen dem subjektiven Bild der Welt und dieser selbst — und nicht zur Deckungs­gleichheit?

In diese einigermaßen verwirrende Situation hat erst die neue Disziplin der evolutionären Erkenntnistheorie in den letzten fünfzehn Jahren einiges Licht gebracht. Sie geht aus von dem zentralen Erklärungsmodell aller modernen Naturwissenschaft, dem Konzept der Evolution. Dessen Kern besteht in der Annahme, daß alle heute von uns vorgefundenen Phänomene und Objekte als das Resultat langfristiger Entwicklungs­prozesse anzusehen sind, deren konkreter, historischer Ablauf ihre Besonderheiten zu erklären vermag. Das gleiche setzt nun die evolutionäre Erkenntnistheorie auch für unsere Wahrnehmungs- und Denkstrukturen voraus. Auch diese seien nur als das langfristige Ergebnis einer Abertausende von Generationen beanspruchenden Anpassung unserer Hirnfunktion an die von den Strukturen der realen Umwelt gebildeten Bedingungen des Überlebens zu verstehen.

So, wie die menschliche Hand sich im Laufe der Jahrmillionen Schritt für Schritt aus der noch primitiven Vorderpfote eines Amphibiums entwickelt habe, wobei die Entwicklungsstadien eines reptilischen Daseins und der ersten lemurenhaften Warmblüter und zuletzt der Affenartigen zu absolvieren waren, so sei zum Beispiel auch die uns heute angeborene Raumvorstellung das Erbe einer langen vormenschlichen Ahnenreihe.

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Entstanden sei sie speziell unter dem Anpassungsdruck, dem unsere baumlebenden biologischen Urahnen ausgesetzt waren. Drastisch vereinfacht: Wer in diesem speziellen Milieu keine der Realität wenigstens annähernd nahekommende Raumvorstellung besaß (das heißt, seinerseits von seinen Vorfahren geerbt hatte), stürzte frühzeitig zu Tode und gehört daher nicht zu unseren Vorfahren. Anders gesagt: Eben weil seine Raumvorstellung der Realität nicht hinreichend angepaßt war, vernichtete sie seine Chance, sie an Nachkommen weiterzuvererben.

Diese »natürliche Auslese« (Selektion) genannte Automatik, mit der die Konsequenzen unzulänglich angepaßter Eigenschaften (seien es nun Organe oder Verhaltensweisen) deren genetischen Ausschluß aus dem gemeinsamen Erbe (dem »genetischen Pool«) der Art zur Folge haben, ist in den Augen der Evolutions­forscher ein entscheidender Faktor der Artenbildung und damit der wichtigste Motor der Stammesgeschichte des irdischen Lebens. Das Konzept der evolutionären Erkenntnislehre setzt nun lediglich die Annahme voraus, daß der gleiche Prozeß auch bei der Entstehung und Optimierung von Wahrnehmungs­organen und Denkstrukturen wirksam gewesen ist.*

Die Hypothese erklärt zwanglos auch die Ungereimtheiten der klassischen, rein philosophischen Erkenntnis­forschung, die eben zur Sprache kamen: Die Optimierung der Wahrnehmungs- und Orientierungs­leistungen erfolgte ebenso wie die aller anderen Eigenschaften des Organismus unter dem Selektionsdruck einer Verbesserung der Überlebenschancen in der realen Welt. Deren objektive Strukturen waren es daher, an die es sich anzupassen galt. Deshalb ist zum Beispiel die uns angeborene Kausalkategorie, wiewohl wir sie fix und fertig mit in die Welt bringen, dennoch ein (annähernd) gültiges Abbild der realen Welt. Nicht wir selbst haben sie durch Erfahrung erworben, das ist richtig.

Die Beziehung zwischen unseren Denkkategorien und den Strukturen der realen Welt kam in diesem wie in allen anderen Fällen nicht durch individuelle Erfahrung (»Lernen«) zustande, sondern auf eine ganz andere, erst im Lichte des Evolutionskonzepts sichtbar werdende Weise: Ebenso wie unsere übrigen a priori gültigen Denk- und Vorstellungskategorien haben wir sie vielmehr als einen Teil des genetisch verankerten Erfahrungsschatzes unserer Art geerbt.

* Einzelheiten in: Gerhard Vollmer, »Evolutionäre Erkenntnistheorie« (Stuttgart 1975), der nach wie vor besten und lesbarsten Einführung in diese aktuelle biologisch-philosophische Disziplin.

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Verständlich wird mit dieser neuen Theorie ferner der eigenartige Umstand, daß sich die Strukturen der realen Welt in den Strukturen unseres Gehirns (wie der Gehirne aller anderen irdischen Lebewesen) im Ablauf der Stammesgeschichte zwar niedergeschlagen (»abgebildet«) haben, aber doch nicht mit letzter, wahrheitsgetreuer Präzision, sondern gleichsam nur unscharf, »in Annäherung«. Denn der Anpassungs­zweck bestand ja in der Verbesserung der Überlebenschancen und nicht in der Forderung nach »wahrer Erkenntnis« über die Welt. Beides ist nicht dasselbe.

Zum Überleben unserer Vorfahren war die Fähigkeit zur Wahrnehmung der in Wirklichkeit nichteuklidischen (»gekrümmten«) Struktur des Raumes herzlich belanglos. Das gleiche galt für andere »wirkliche« Eigenschaften der realen Welt, die wir daher erst seit neuestem mit gewaltigen Denkanstrengungen und unter Zuhilfenahme des verfeinerten Instrumentariums der modernen Naturwissenschaft zu entdecken begonnen haben. Daß die Zeit bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit langsamer zu laufen beginnt, ist ein Faktum, das jeden Nachdenklichen zu faszinieren vermag. Ob ein steinzeitlicher Jäger davon etwas wußte oder nicht, spielte dagegen für seine Überlebenschancen nicht die geringste Rolle.

Selbstverständlich ist auch der Raum meines Arbeitszimmers — wie jeder Raum in jeder menschlichen Behausung — in Wirklichkeit nichteuklidisch (relativistisch »gekrümmt«). Jeder von uns aber kann sich in den von ihm benutzten Räumen ungehindert zurechtfinden, ohne davon etwas wissen zu müssen oder es sich auch nur vorstellen zu können. Das ist deshalb unnötig, weil die Abweichungen des uns angeborenen (euklidischen) Raumbegriffs von dem »relativistisch nichteuklidisch« strukturierten Raum der objektiven Wirklichkeit unter irdischen Bedingungen unmeßbar gering bleiben. In der Welt der Menschen mit ihren auf planetare Distanzen und entsprechende Geschwindigkeiten beschränkten Dimensionen fallen die Fehler nicht ins Gewicht. Die Natur aber operiert nicht zuletzt auch nach ökonomischen Prinzipien. Was nicht überlebensnotwendig ist, wird nicht realisiert.

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Das »wahre« Gesicht der Welt bleibt daher nicht nur einem Insekt, einem Reptil und allen vormenschlichen Säugetieren verborgen (was wir für selbstverständlich halten). Es bleibt auch uns, die wir uns zu Unrecht so oft auf dem Gipfel aller überhaupt möglichen Entwicklung angekommen glauben, noch immer vorenthalten. Alles, worüber wir verfügen, ist ein Abbild der Welt. Dieses aber stellt nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit dar, und der ist zu alledem von fragwürdiger Qualität.

Insgesamt läßt sich unsere Situation in die Aussage zusammenfassen, daß unser Gehirn von der Evolution als ein Organ zum Überleben in dieser Welt entwickelt worden ist und nicht, um deren »Wahrheit« zu erkennen. Daß wir dieses Organ heute auf allerlei Umwegen dennoch, wenn auch in zweifellos beschränktem Maße, zum Zwecke reinen Erkenntnisgewinns benutzen können und daß es uns sogar die selbstkritische Einsicht in die grundsätzliche Mangelhaftigkeit unserer Weltsicht erlaubt, das ist in diesem Zusammenhang die eigentlich erklärungsbedürftige Tatsache. Jedenfalls haben wir, in Kenntnis ihrer evolutionären Entstehungsbedingungen, nicht den geringsten Anlaß, uns darüber zu wundern, daß unser Denkapparat und unsere Wahrnehmungsorgane uns nicht das wahrheitsgetreue Bild der Welt liefern, nach dem unser Erkenntnisstreben verlangt.

In den alten biblischen Texten findet sich auch für diese Besonderheit unserer Situation gegenüber der Welt ein hintergründiges, bewegendes Bild. Es ist die Szene, in der Moses auf einen Berg geführt wird, von dem aus ihn der Engel des Herrn einen Blick auf das »Gelobte Land« werfen läßt, das er selbst nicht mehr wird betreten dürfen. Wir sind insofern dem Moses vergleichbar, als wir die einzige irdische Lebensform sind, die entdeckt hat, daß es eine objektive Realität gibt! Diese in ihrer wahren Beschaffenheit zu erkennen bleibt uns aber endgültig und für alle Zeit versagt.

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6. Die Welt ist nach oben »offen«

 

 

Es ist wichtig, sich darüber klarzuwerden, daß auch das primitivste Lebewesen bereits etwas von der Welt weiß. Auch die mit bloßem Auge nicht sichtbaren Einzeller, die ich als Schüler in Klein-Glienicke unter meinem Mikroskop beobachtete, verfügen über ein solches Wissen.

Ihr Weltbild ist, auf so primitiver Entwicklungsebene, natürlich unendlich armseliger als das höherer Tiere, von dem des Menschen ganz zu schweigen. Das wenige aber, was sie über die uns allen gemeinsame Welt »wissen«, stimmt. Wie könnten sie sich sonst in der Welt auch nur vorübergehend behaupten?

Wenn ein Pantoffeltierchen bei seiner Reise durch einen Wassertropfen an ein Hindernis stößt, schreibt Konrad Lorenz, und daraufhin nach kurzer Pause in irgendeiner anderen zufallsbestimmten Richtung weiterschwimmt, dann würden wir ihm zwar in den meisten Fällen einen Kurs empfehlen können, der aussichtsreicher wäre als der von ihm nach der Kollision auf gut Glück eingeschlagene. Das jedoch, was der winzige Einzeller »wisse«, sei objektiv richtig: In der ursprünglichen Richtung war tatsächlich kein Weiterkommen. Auch auf dieser Ebene also existieren bereits Übereinstimmungen von Verhaltens­kategorien und objektiv zu konstatierenden Umweltbedingungen. Im Grunde ist das eine triviale Feststellung, denn ein Organismus, bei dem das nicht der Fall wäre, könnte in dieser Welt keinen Augenblick überleben.

Es gibt noch einige andere Dinge, die der Einzeller »wissen« muß (was hier nur heißen soll: auf die er zweckmäßig reagieren muß, um weiterleben zu können). Er muß zum Beispiel unterscheiden können zwischen genießbaren, also als Nahrung (Energiequelle) nutzbaren, Substanzen und anderen, denen er auszuweichen hat, weil sie giftig für ihn sind. Damit ist die Liste jedoch schon so gut wie erschöpft. Das Weltbild des Einzellers ist erbärmlich merkmalsarm. Die Eigenschaften der Welt, die es enthält, finden sich allerdings auch in unserer menschlichen Welt wieder. Pantoffeltierchen und Mensch leben in derselben Welt. Von der vergleichsweise unendlich viel größeren Reichhaltigkeit unseres menschlichen Weltbildes hat der einzellige Organismus keinen Begriff. Dennoch ist sein Weltbild, aus seiner Perspektive, vollständig. Was über dessen enge Grenzen hinaus in der Wirklichkeit sonst noch vorkommen mag, existiert für ihn einfach nicht, ohne daß seine Ignoranz ihm zum Nachteil gereichte.

Von hier aus kann man nun die ganze Evolutionsleiter nach oben emporklettern, um nur immer wieder auf den grundsätzlich gleichen Sachverhalt zu stoßen. Schon im Vergleich mit dem Weltbild einer Qualle, erst recht mit dem eines Fisches oder gar dem eines Huhns erscheint das des Pantoffeltierchens (erscheinen jeweils alle unterhalb der eigenen Entwicklungsebene realisierten Weltbilder) als vergleichsweise ärmlich und unvollständig.

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Aus der Perspektive eines Huhns präsentiert sich das Weltbild eines Reptils als auf einige wenige Umwelt­signale »zusammengeschnurrt«, wie Jakob von Uexküll, legendärer Erstbeschreiber tierischer Umwelten, es einst anschaulich ausdrückte. Auf das Huhn wiederum würde ein Affe, wenn er von dessen Weltbild etwas ahnen könnte, gewiß mitleidig herabsehen. So, wie wir selber der permanenten Versuchung unterliegen, vom Boden unserer, im evolutiven Vergleich zwischen den irdischen Lebensformen konkurrenzlosen Weltsicht aus alle übrige Kreatur geringzuschätzen.

Auf welche der Sprossen dieser evolutiven Stufenleiter man sich in Gedanken nun auch stellt, in den entscheidenden Punkten hat man von jedem Standort aus immer wieder den gleichen Anblick, gänzlich unabhängig von den beträchtlichen Unterschieden in der jeweiligen Entwicklungshöhe. In jedem Falle ist das eigene Weltbild aus subjektiver Perspektive vollständig. (Es enthält für das Erleben des auf der betreffenden Stufe angelangten Lebewesens keine »Lücken«.) Es mag sich ferner »von oben«, von unserem menschlichen evolutiven Standort aus, noch so armselig ausnehmen, zum Überleben reicht es allemal. Und die Eigenschaften und Merkmale der Welt, die es enthält, gibt es auch in unserem Weltbild* (hier freilich neben einer überwältigenden Fülle zusätzlicher Elemente). Alle diese unterhalb unserer Entwicklungsebene existierenden (»subhumanen«) Weltbilder stellen folglich Weltausschnitte dar, die der von uns erlebten Welt »partiell isomorph« sind, wie Gerhard Vollmer es genannt hat, die mit unserem Weltbild also partiell übereinstimmen.

* Eine Ausnahme bilden die Fälle, in denen tierische Weltbilder Eigenschaften der Realität enthalten, die von uns nicht wahrgenommen werden: irdische Magnetfelder zum Beispiel, wie sie manche Vögel zur Richtungsfindung benutzen, oder für uns unsichtbare Farben wie »Bienenpurpur«, eine im für uns bereits nicht mehr sichtbaren Ultraviolettbereich gelegene Farbe im Zentrum mancher Blüten, deren sich Bienen zur Orientierung bedienen. In allen diesen Fällen ist es dem Menschen allerdings gelungen, mit »künstlichen Sinnesorganen«, technischen Sensoren nämlich, auch diese Eigenschaften der ihn umgebenden Welt wahrzunehmen. (Auch Menschen können sich daher mit Hilfe des Kompasses bekanntlich am irdischen Magnetfeld orientieren.)

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Nun aber zur »Gretchenfrage»: Was ist vor dem Hintergrund dieser evolutionären Rückbesinnung eigentlich von unserem, dem menschlichen Weltbild zu halten? Im alltäglichen Leben gehen wir alle in naiver Gedankenlosigkeit davon aus, daß es mit »der Welt« schlechthin identisch sei. Unser erkenntnis­theoretischer Exkurs hat uns bereits in Erinnerung gerufen, daß wir damit einem Irrtum erliegen. Was lehrt uns nun über die philosophische Besinnung hinaus der evolutionäre Vergleich?

Der beispiellose Erfolg und das in den letzten Jahrzehnten geradezu beängstigend angewachsene Ausmaß unseres manipulativen Umgangs mit unserer Umwelt könnten dem Gedanken Vorschub leisten, daß die bei der erkenntnistheoretischen Analyse feststellbaren Abbildungsmängel zwar grundsätzlich nicht zu leugnen sind, daß sie alles in allem aber doch relativ geringfügig sein dürften. Denn spricht dieses Übermaß des Erfolges bei dem Versuch, die Umwelt den Bedürfnissen des Menschen entsprechend umzubauen,, etwa nicht für die Annahme, daß unsere kognitive Ausstattung uns eben doch ein Abbild der Welt vermittelt, das von deren objektiver Beschaffenheit nicht allzuweit entfernt sein kann?

Dies wiederum liefe auf die Vermutung hinaus, daß wir, der Homo sapiens, nach rund vier Milliarden Jahren irdischer Lebensgeschichte heute definitiv die alleroberste Sprosse aller Möglichkeiten der Evolution darstellten. Just in unserer Gegenwart und verkörpert durch uns selbst hätte die Entwicklung demnach den obersten Gipfel erklommen. Und dreizehn Milliarden Jahre kosmischer Geschichte hätten zu nichts anderem gedient, als uns und unsere gegenwärtige Situation hervorzubringen. So gesehen, nimmt die Unterstellung sich bereits einigermaßen lächerlich aus. Unsere evolutionäre Rückbesinnung bestätigt bei näherer Betrachtung, daß sie das in der Tat ist.

Denn worauf allein könnten wir unseren kühnen Anspruch gründen, daß wir als die erste und einzige Lebens­form über ein Gehirn verfügen, das die Welt seinem Besitzer endlich in perfekter Abbildung präsentiert? Erstens darauf (und dies ist das vom naiven Realismus jeglicher Couleur unbewußt herangezogene Hauptargument), daß unser Weltbild »geschlossen« ist, daß es keine »weißen Flecken« enthält. Wo könnten sich da denn, so fragt der Alltagsverstand rhetorisch, noch irgendwelche uns unzugänglichen Eigenschaften der objektiven Welt verbergen? Zweitens auf den unbestreitbaren Erfolg, mit dem wir uns mit Hilfe dieses Weltbildes in der Welt behaupten konnten (bis heute jedenfalls, ist man vorsichtshalber gezwungen hinzuzusetzen). Auf den ungeheuren — von nicht wenigen aber auch schon als beängstigend angesehenen — Erfolg, mit dem wir unsere Vernunft zum Zwecke des »Umbaus des Sterns Erde« (Ernst Bloch) einzusetzen vermochten.

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Wer jedoch, wie wir es eben getan haben, die evolutionäre Stufenleiter der im Laufe der irdischen Lebens­geschichte aufeinanderfolgenden subhumanen Weltbilder hat Revue passieren lassen, weiß, was alle diese Berufungen und Beweise wert sind: nichts. Keines dieser von uns stammesgeschichtlich noch so weit entfernten Weltbilder, für das sich nicht mit dem gleichen Recht »subjektive Lückenlosigkeit« in Anspruch nehmen ließe. Keines auch, für das nicht mit dem gleichen Recht wie für das unsere der unbestreitbare Überlebenserfolg ins Feld geführt werden könnte, den es seinem Besitzer zuschanzte, was doch nichts anderes heißen kann als: daß es diesem ein Weltbild erschloß, das ihn zum erfolgreichen Umgang mit den ihm offerierten Eigenschaften der Welt befähigte (mochten diese auch bloß eine noch so winzige Auslese aus den Merkmalen darstellen, welche der Realität insgesamt zukommen).

Mit anderen Worten: In Wahrheit existiert nicht der Schimmer eines Beweises, der unseren in anthropo­zentrischem Übermut gehegten Anspruch stützen könnte, daß wir uns der Realität gegenüber in einer grundsätzlich anderen Situation befänden als irgendein anderes der uns stammesgeschichtlich vorangegangenen Lebewesen, und sei es eine nur unter dem Mikroskop sichtbare Amöbe. Von uns aus gesehen, klafft zwischen deren »Weltverständnis« und dem unseren zwar ein Abgrund. Der Unterschied ist jedoch nur relativ und nicht grundsätzlicher Natur. Anders gesagt: Wir müssen die Möglichkeit einräumen, daß der Unterschied zwischen uns und der Amöbe vor unseren Augen fast zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen könnte, wenn wir den noch vielfach gewaltigeren Abgrund zu sehen vermöchten, der auch uns noch immer von der »Wahrheit der Welt« trennt.*

Wir haben es als erste irdische Lebensform fertiggebracht, die Grenzen des uns angeborenen Erkenntnis­horizonts zu überschreiten, zu »transzendieren«, wie die Philosophen sagen. Wir haben mit den künstlichen Sinnesorganen der Technik Eigenschaften der Welt aufgespürt, die uns »von Natur aus« verborgen sind: Röntgenstrahlen, magnetische Felder, Ultraschall, elektromagnetische Wellen und anderes. Wir haben es sogar gelernt, uns dieser für uns ohne technische Hilfsmittel nach wie vor nicht wahrnehmbaren Eigenschaften zur Verbesserung unserer Lebenssituation zu bedienen.

* Ich bediene mich hier einer von Karl Popper stammenden Formulierung. Er hat einmal gesagt, daß der Unterschied zwischen dem dümmsten und dem genialsten Menschen bedeutungslos werde, wenn wir das Ausmaß unserer Ignoranz gegenüber den Rätseln des Kosmos in die Betrachtung einbezögen.

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Darüber hinaus haben die Klügsten unter uns die fast unglaubliche Leistung vollbracht, mit der Hilfe abstrakter mathematischer Formeln, die sie wie immaterielle Raumsonden in uns verschlossene Bereiche der Welt entsandten, Strukturen der Wirklichkeit nachzuweisen, die uns nicht nur nicht wahrnehmbar, sondern auch unvorstellbar sind: die schon erwähnte nichteuklidische Raumstruktur, die immaterielle Natur der Materie unterhalb der Ebene des Atoms, die prinzipielle Identität von Energie und Materie, um nur an einige der wichtigsten Fälle zu erinnern.

Der uns von unserer genetischen Konstitution zugewiesene Erkenntnishorizont ist von uns also in der Tat »transzendiert« worden — eine unbestreitbar atemberaubende, dem Menschen allein vorbehaltene Leistung. Die Frage ist nur, wie weit uns dieser Durchbruch eigentlich hat gelangen lassen. Manche Leute — akademische Philosophen vor allem — neigen dazu, den Durchbruch für total zu halten. Ihrer Ansicht nach hat sich der Mensch vermittels dieser Fähigkeit zur »Selbsttranszendierung« die Welt grundsätzlich ohne bleibenden Rest erschlossen. »Der Mensch ist durch seinen Erkenntnisapparat ins Absolute versetzt«, heißt das in ihren Kreisen. Der Außenstehende hört es mit Verwunderung. Solche Grenzenlosigkeit des Erkenntnisanspruchs riecht vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus zweieinhalb Jahrtausenden menschlicher Geistesgeschichte verdächtig nach einem schweren Rückfall in überwunden geglaubte Formen anthropozentrischer Hybris. Mir kommt das so vor, als ob jemand, der gerade schwimmen gelernt hat, daraus die Gewißheit ableiten wollte, daß er nunmehr in der Lage sei, auch einen Ozean schwimmend zu überqueren.*

Wieder ist es das evolutionäre Paradigma (»Erklärungsmodell«), wie mir scheint, das die Maßstäbe am ehesten in die richtigen, objektiv wahrscheinlichsten Proportionen zurechtrücken kann. Die Geschichte des irdischen Lebens ist gerade knapp vier Milliarden Jahre alt. In dieser Zeit hat sich fortwährend und ohne Pause aus dem bereits vorhandenen »Höheres« entwickelt (Organismen mit immer komplexeren Organen für einen immer differenzierteren Umgang mit der Welt).

* Eine kleine Kostprobe der Argumentation des diesen Absolutheitsanspruch erhebenden philosophischen Lagers liefert das Korreferat von Günther Schiwy zu dem von mir 1986 auf einem internationalen Symposion in Wien gehaltenen Vortrag »Evolution und Transzendenz«; abgedruckt in: Rupert Riedl/Franz M. Wuketits (Hrsg.), »Die evolutionäre Erkenntnistheorie«, Berlin 1987.

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Die weitere Lebensdauer der Erde (identisch mit dem für die Zukunft der auf ihr sich abspielenden Lebensgeschichte noch zur Verfügung stehenden Zeitraum) wird von den pessimistischsten Astronomen auf mindestens noch einmal die gleiche Dauer geschätzt. (In etwa sechs bis acht Milliarden Jahren könnte unsere Sonne sich zum »roten Riesen« aufblähen und dabei die Erde »verschlucken«.) Es besteht nun nicht der mindeste Grund, aber auch wirklich nicht der leiseste Hinweis, der die Annahme rechtfertigen könnte, daß sich das bisherige Evolutionsspiel in diesem gewaltigen Zeitraum nicht mit der bisherigen Tendenz fortsetzen wird. Mindestens noch einmal vier Milliarden Jahre lang also kann aus dem, was die Lebensgeschichte auf der Erde bisher he> vorbrachte, weiterhin Schritt für Schritt »Neues« entstehen, neue Lebensformen mit noch komplexeren Erkenntnisapparaten. Diesen aber wird die Welt sich dann auch in einem viel weiteren Umfange präsentieren als dem, der in unseren heutigen, noch weniger entwickelten Erkenntnishorizont hineinpaßt.

Gegen diese Auffassung sind verschiedentlich Einwände vorgebracht worden. Wiederholt wurde mir, sogar von Genetikern, entgegengehalten, daß die evolutive Entwicklung des zivilisierten Menschen zum Stillstand gekommen und abgeschlossen sei. Ich halte diese häufig zu hörende Behauptung für falsch. Sie wird von den Kritikern vermutlich aus der zutreffenden Feststellung abgeleitet, daß der zivilisierte Mensch die unter natürlichen Bedingungen evolutionsrelevanten Selektionsmechanismen für sich selbst außer Kraft gesetzt hat, zum Beispiel indem er mit medizinischen Methoden sonst nicht überlebensfähigen Mitgliedern seiner Art zum Weiterleben verhilft.

Dies gilt übrigens keineswegs nur für die in diesem Zusammenhang meist tendenziös angeführten relativ seltenen psychischen und körperlichen Abweichungen, sondern für fast jeden von uns. Kaum jemand, der in seinem Leben nicht schon einmal von ärztlicher Kunst vor den ohne diese Hilfe fatalen Konsequenzen »anlagebedingter« Schwächen bewahrt worden wäre: denen eines verlagerten Weisheitszahns, einer »konstitutionellen« Herz- oder Kreislaufschwäche, einem »anlagebedingten« Magenleiden, einer Stoffwechselstörung oder was es sonst noch an nachteiligen genetischen Dispositionen gibt.

Außerdem ist hier auch noch die Rolle der von der zivilisierten Gesellschaftsordnung via Sozialgesetz­gebung, gesetzlichem Anspruch auf Gleichbehandlung und anderen Regelungen neu eingeführten Selektionsfaktoren zu berücksichtigen, deren Effekt die von der modernen Medizin bewirkten Änderungen wahrscheinlich sogar übertrifft.

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Damit aber geht die genetische »Auslese« auch bei unserer Spezies selbstverständlich ununterbrochen weiter, mit dem einzigen (gravierenden) Unterschied, daß wir die natürlichen Auslesefaktoren durch zivilisatorische Faktoren ersetzt haben. Die genetische Durchschnittsausstattung der Bevölkerung ändert sich folglich weiterhin, jetzt eben nicht mehr nach dem Maßstab physischer Überlebenstüchtigkeit, sondern nach Maßgabe sittlicher, moralischer Wertvorstellungen. Manche fürchten daher sogar, keineswegs ganz unberechtigt, schon das Heraufziehen einer Gesellschaft, in der immer mehr Hilfsbedürftige von einer immer kleiner werdenden Zahl noch voll leistungsfähiger Mitmenschen »mitgeschleppt« werden müßten. Immerhin: Die Zahl der Zuckerkranken hat sich in den entwickelten Industrieländern in den letzten Jahrzehnten bereits fast verdoppelt, und ähnliche Zahlen liegen für die Bluterkrankheit vor.

Gleichviel: Der »Genpool« auch der zivilisierten Menschheit ändert sich also auch nach der Ausschaltung natürlicher Auslesefaktoren weiterhin mit (neu ausgerichteter) systematischer Tendenz, und eine Population, bei der das der Fall ist, evoluiert per definitionem — in welche Richtung auch immer. Es mag ja sein, daß Homo sapiens für die prometheische Anmaßung wird büßen müssen, daß er die Fortsetzung seiner Evolution selbst in die Hand genommen hat. Es mag durchaus sein, daß er aus diesem Grunde im weiteren Verlauf der Erdgeschichte nicht mehr an der Spitze des evolutiven Fortschritts zu finden sein wird. Noch wahrscheinlicher freilich ist es heute, daß man ihn in Zukunft dort deshalb vergeblich suchen wird, weil er seine Umwelt in egozentrischer Maßlosigkeit ruiniert und sich damit selbst aus dem Rennen wirft.

Der Evolution bliebe auch dann noch Zeit genug, ihren weiteren Fortschritt einem vertrauenswürdigeren biologischen Kandidaten anzuvertrauen (auch wenn der dann möglicherweise aus dem Riesenreich der Einzeller ausgelesen werden müßte, weil alle über dieses Stadium heute schon hinausgelangten Lebensformen bereits zu eng spezialisiert sind, um der Aufgabe gerecht werden zu können). Aber auch für einen erneuten Start von dieser Ebene aus beständen gute Aussichten.

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Immerhin, Zellentstehung und Zellkernteilung, Photosynthese und enzymatische Aktivitäten wie Atmung und Verdauung brauchten nicht nochmals erfunden zu werden, und allein dafür hatte die Evolution bei ihrem ersten Anlauf schon fast die Hälfte der seit dem Beginn der Lebensentstehung verstrichenen Zeit aufwenden müssen.

Vor allem aber möchte ich unterstreichen, daß mein Argument — die Erschließung neuer Welthorizonte im Falle einer evolutiven Weiterentwicklung über die bis heute biologisch verwirklichten kognitiven Funktionen hinaus — prinzipiellen Charakter hat: Es gilt völlig unabhängig von der Frage, ob es dazu auf diesem Planeten kommen wird. Wenn, das ist alles, was ich behaupte, uns haushoch überlegene Lebensformen die Welt betrachteten, dann würden sie mit ihren den unsrigen so weit überlegenen Erkenntnisapparaten jenseits der Grenzen des uns zugänglichen Weltbildes gewiß nicht auf lauter weiße Flecken stoßen, sondern auf Eigenschaften der objektiven Realität, die für uns unwahrnehmbar, unvorstellbar und unausdenkbar sind. Die Welt ist oberhalb der von uns erreichten Stufe der Erkenntnis nicht zu Ende. Sie ist nach oben offen. Die gegenteilige Annahme wäre Ausdruck anthropozentrischer Vermessenheit reinsten Wassers, vergleichbar nur mit dem jahrtausendelang die Köpfe der Menschen beherrschenden Wahn, sie befänden sich mit ihrer Erde im Mittelpunkt des ganzen Weltalls.

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7. Zufall und Notwendigkeit 

 

 

Das Universum also entfaltet sich in der Zeit: Es entwickelt sich. Und alles, was auf Erden kreucht und fleucht, hat daran teil. Alles ist, genauer gesagt, diesem Werdensprozeß des Universums entsprungen. Auch unsere Existenz wurde schon in den ersten Minuten nach dem Weltanfang vorbereitet. Es ist also lediglich ein auf der Unkenntnis dieser erst kürzlich entdeckten Zusammenhänge beruhendes Mißverständnis gewesen, das die Menschen in den letzten vier Jahrhunderten — seit der »kopernikanischen Wende« — der niederschmetternden Ansicht auslieferte, sie trieben auf ihrer winzigen Erde wie auf einem verlorenen Staubkorn beziehungslos durch die leere Wüste eines Weltalls, in dem sie Fremdlinge seien.

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Noch 1970 schrieb der französische Biologe Jacques Monod, es sei an der Zeit, daß die Menschheit endlich aus ihrem tausendjährigen Traum erwache und sich der Erkenntnis ihrer totalen Verlassenheit und radikalen Fremdheit in einem Universum stelle, das für unsere Musik taub sei und gleichgültig gegen unsere Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen. Es sei nichts als Wunschdenken, wenn wir unsere Existenz in dieser Welt für notwendig hielten. 

»Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen heroischen Anstrengung der Menschheit, verzweifelt ihre eigene Zufälligkeit zu verleugnen.« An anderer Stelle: »Das Universum trug weder das Leben, noch trug die Biosphäre den Menschen in sich. Unsere Losnummer kam beim Glücksspiel heraus.« Und, weil ihm das immer noch nicht genügte, am Schluß des Buches nochmals: »Der Alte Bund ist zerbrochen; der Mensch weiß endlich, daß er in der teilnahmslosen Unermeßlichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat.«*

Das sind niederschmetternde, im Tone endgültiger Wahrheiten formulierte Statements, deren Pathos die sich hinter ihnen verbergende Resignation nur notdürftig verhüllt. Aus ihnen spricht die prätentiös heroische, nichts erhoffende und auf den bloßen Verdacht von Wunschdenken mit geradezu panischer Ablehnung reagierende Attitüde des Existentialismus, speziell jener Variante dieser philosophischen Richtung, die in den Kreisen französischer Intellektueller in den ersten Nachkriegsjahrzehnten en vogue war.

Aber schon der zweite Blick läßt, heute jedenfalls, erkennen, daß hier nicht letztgültige Wahrheiten unerschrocken formuliert werden, sondern ideologisch präjudizierte Bekenntnisse. Denn in den Jahren, in denen Monod sein vielbeachtetes philosophisches Glaubensbekenntnis schrieb, waren die ersten Entdeckungen der Astrophysiker schon publiziert worden, die auf das inzwischen »anthrophisches Prinzip« getaufte kosmogonische Phänomen erstmals hinwiesen: auf den allerdings ganz und gar unvorhergesehenen und höchst erstaunlichen Tatbestand, daß das Universum eben doch »das Leben in sich getragen« hat, von allem Anfang an.

* Jacques Monod, »Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie«, München 1971 (franz. Originalausgabe Paris 1970). Die angeführten Stellen finden sich in der zitierten Reihenfolge auf folgenden Seiten der deutschen Ausgabe: S. 211, S. 57, S. 179 und S. 219.

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Daß es mit — scheinbar willkürlichen — Naturkonstanten und Naturgesetzen antrat, die es zu einem für alles Leben förmlich maßgeschneiderten Universum machten, als »ob es gewußt hätte, daß es uns geben würde«. Befangen in seiner existentialistischen Weltanschauung, hat der geniale Franzose diese Publikationen ganz offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Ein eindrucksvolles Beispiel ideologischer Voreingenommenheit, vor der auch ein Nobelpreisträger nicht gefeit ist.

Noch eine zweite Lehre läßt sich aus dem Fall ziehen. Monod hat es, wie die Zitate belegen, für selbst­ver­ständlich gehalten, daß eine Vermutung als widerlegt gelten könne, wenn ihr Gegenstand einer Wunschvorstellung entspreche. Das Ausmaß der »Verzweiflung«, mit dem die Menschheit sich seit je bemüht habe, die Zufälligkeit ihrer eigenen Existenz »zu verleugnen« (und an der man nicht gut wird zweifeln können), gilt ihm in einer Art reziproker Korrelation als Maß gerade der Wahrscheinlichkeit ebendieser Zufälligkeit (die für ihn in diesem Zusammenhang mit »Sinnlosigkeit« synonym ist). Das aber ist ein logischer Kurzschluß, der in der geistesgeschichtlich-kulturellen Diskussion in unterschiedlichstem Zusammenhang auftaucht und dann mit unschöner Regelmäßigkeit Verwirrung in den Köpfen stiftet.

Eine als geradezu »klassisch« anzusehende Rolle spielt das Argument »Erwünscht und folglich auszuschließen« seit je in der atheistischen Religionskritik. Nicht wenige im Lager der Agnostiker halten es für ausreichend, den Glauben an einen Gott als »Wunschvorstellung« überführen zu können, um die Nichtexistenz Gottes für erwiesen zu halten. Dieser (scheinbar logische) Schluß bildet den Kern des von dem Hegelschüler Ludwig Feuerbach begründeten modernen, sich wissenschaftlich verstehenden Atheismus. Und auch Sigmund Freud erklärte den Gottesglauben bekanntlich als Ausdruck einer »infantilen Wunschprojektion«, mit deren Hilfe der Mensch sich (unbewußt natürlich) das Gefühl metaphysischer Geborgenheit verschaffe — und hielt den Fall damit für erledigt.

In Wirklichkeit stellt das Argument einen unhaltbaren logischen Purzelbaum dar. Es mag zwar unwiderlegbar sein, daß der Mensch sich wünscht, es gebe einen Gott. Und Sigmund Freud dürfte mit seiner psychologischen Erklärung den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Sicher richtig ist auch, daß ein Wunsch in diesem wie in jedem anderen Fall die Wahrscheinlichkeit einer Annahme nicht vergrößert.

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(Unser Wunsch, daß es Gott geben möge, ist kein Indiz für seine Existenz.) Logisch unhaltbar ist hier aber — wie meist — der Umkehrschluß: Weil wir uns einen Gott wünschten, sei davon auszugehen, daß es ihn nicht gebe. Deshalb ist die Aussage: »Gott ist eine Wunschvorstellung« richtig, die Aussage jedoch: »Gott ist nichts als eine Wunschvorstellung« eine bloße Behauptung, die, bevor sie als feststehend anerkannt werden könnte, ebenso erst noch bewiesen werden müßte wie ihr Gegenteil freilich auch.

Jacques Monod hat mit seiner auf ebendieses Argument gestützten Behauptung von der Beziehungslosig­keit zwischen Weltall und Leben Schiffbruch erlitten. Er hätte ja auch recht haben können. Er hatte es nicht. Die Dinge lagen, wie sich rasch erwies, umgekehrt: Nachweislich bestehen zwischen unserer Existenz und der Natur des Kosmos Zusammenhänge von genau der Art, wie der Mensch sie sich seit den Anfängen seiner Geschichte vorgestellt und erhofft hatte. Wir existieren nicht als bloße Zufallsprodukte in einem leeren, lebensfeindlichen All ohne Zusammenhang mit dem Ganzen und seiner in einem kosmischen Rahmen ablaufenden Geschichte. Dies ist unser Weltall, in einem wahrhaft existentiellen Sinn. Es hat uns hervorgebracht, und es erhält uns durch die Besonderheiten seiner Struktur am Leben.*

Diese Zusammenhänge zwischen dem Größten und dem Kleinsten, zwischen dem kosmischen Rahmen und unserer in ihm sich abspielenden Existenz, könnten nun zu der verführerischen (und aus verschiedenen Gründen ebenfalls als wünschenswert erscheinenden) Hypothese verleiten, unser Auftritt in diesem Universum sei »vorbestimmt« gewesen, also mit Notwendigkeit erfolgt. Mit dieser Annahme wären wir jedoch nur quasi auf der anderen Seite des schmalen Grats abgestürzt, auf dem wir uns zu halten haben (was, zugegeben, intellektuelle Mühe kostet), wenn wir unsere Situation unverfälscht in den Blick bekommen wollen.

* Wie buchstäblich das zu verstehen ist (daß die Lebensfreundlichkeit der Erde zum Beispiel von der Existenz des Mondes abhängt, daß der Aufbau des Sonnensystems eine der Voraussetzungen unserer Existenz bildet und daß die ganze Weite unseres Milchstraßensystems mitwirkt bei der Aufrechterhaltung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten), das habe ich in meinem ersten Buch »Kinder des Weltalls« (1970) eingehend beschrieben.

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Wir sind, wie bereits begründet, nicht durch bloßen Zufall in dieses Universum hineingeraten. Daran gibt es nichts zu rütteln. Aber unser Aufenthalt hier ist ebensowenig das Ergebnis zwangsläufiger Notwendigkeit (»Vorherbestimmung«). Wie das? fragt erschrocken sogleich unser »gesunder Menschenverstand«, der hier wieder einmal nicht gleich mitkommt (und das, wie stets, in aller Unschuld für ein Gegenargument hält). Es ist in der Tat nicht ganz leicht, sich darüber klarzuwerden, welchen Zugang wir für unseren Auftritt denn benutzt haben könnten, wenn die beiden Türen mit der Aufschrift »Zufall« und »Notwendigkeit« einzeln nicht begehbar waren. Damit ist die seltsame Antwort bereits angedeutet: Wir haben beide Türen benutzt, zur gleichen Zeit, vergleichbar dem ebenfalls unvorstellbaren Faktum, daß ein subatomares Teilchen eine punktförmige Öffnung zur gleichen Zeit wie ein Geschoß auf geradem Wege und, wie eine Welle, in der Gestalt eines Interferenzmusters passieren kann.

 

Ohne jede Frage hat der Zufall bei der Entstehung des Lebens eine sogar entscheidend wichtige Rolle gespielt. Nicht wenige Laien kritisieren die Darwinsche Erklärung der biologischen Stammesgeschichte ja bis auf den heutigen Tag aus ebendiesem Grunde. Wie solle ein vom Zufall beherrschtes Geschehen denn Ordnungsstrukturen von dem komplexen Range eines lebenden Organismus hervorbringen können, lautet ihr Einwand. »Wie lange müßte man denn warten, bis ein Windstoß die auf einzelne Zettel geschriebenen Buchstaben des Alphabets rein zufällig zu einem sinnvollen Satz geordnet hätte?«

Das Argument klingt »schlagend«, sogar erschlagend, und beschert daher dem, der es in einer Diskussion vorträgt, unfehlbar lebhaften Applaus. Dabei verrät, wer sich seiner bedient, lediglich, daß er die Darwinsche Erklärung nur zur Hälfte begriffen hat. Daß der Zufall allein nichts zuwege bringt als chaotische Unordnung, braucht ausgerechnet einem Biologen wahrhaftig niemand zu sagen. Auch Darwin bedarf in dieser Hinsicht keines Nachhilfeunterrichts. Die auf dem Argument herumreitenden Kritiker nehmen Anstoß an einer Behauptung, die kein Evolutionsforscher jemals aufgestellt hat. Sie ignorieren geflissentlich und hartnäckig, sooft man es ihnen auch vorsagt (abermals ein eindrucksvolles Beispiel für einen ideologisch bedingten Realitätsverlust!), die Tatsache, daß kein Experte jemals auf den abwegigen Gedanken verfallen ist, den Zufall als allein wirksamen Motor der biologischen Evolution hinzustellen. Dabei allerdings hätte nie etwas Vernünftiges herauskommen können.

So wenig, wie man darauf hoffen könnte, daß ein Luftwirbel mit Buchstaben bemalte Papiere noch vor dem Ablauf der Lebensgeschichte des Universums zu einer einzigen Gedichtzeile anordnen würde. Denn daß der Wind nicht schreiben kann, weiß der Fachmann so gut wie der Laie.

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Aber der Naturwissenschaftler sieht den Faktor »Zufall« noch unter einem ganz anderen Aspekt. Zufall ist auch eine Voraussetzung von Freiheit. »Zufällig« ist nicht nur ein ungeordnetes Geschehen, sondern auch ein nicht von Naturgesetzen festgelegter, »undeterminierter« Prozeß. Wer den Zufall nur als Unordnung stiftenden Faktor gelten lassen will, vergißt, daß es in diesem Universum ohne ihn keine Freiheit gäbe. Eine Welt, in der er nicht vorkäme, wäre reduziert auf eine nach unwandelbaren Naturgesetzen auf vorbestimmten Bahnen abschnurrende sinnleere Megamaschine. Die Zutat des Zufalls hebt diesen Maschinen­charakter auf. Zufall ist daher, was seine Verächter übersehen, auch eine unerläßliche Vorbedingung der Möglichkeit von Willensfreiheit, sittlicher Verantwortung und Sinnhaftigkeit.

Der Zufall war daher als Zutat in der Geschichte der kosmischen Entwicklung von Anfang an unentbehrlich. Von Anfang an aber waren diesem Zufall auch lenkende Zügel angelegt. Entfalten konnte er sich von jeher nur in einer Welt, in der er auf festliegende, vorgegebene Ordnungsstrukturen traf. Vom ersten Augenblick an gab es diese Ordnung in der Gestalt von Naturgesetzen, im weiteren Verlauf in Gestalt der komplexen Ordnung des inneren Aufbaus der verschiedenen Atomarten. Und mit dem Beginn der Evolution des Lebens entfaltete sich dieses Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit dann bis zur höchsten Vollendung.

Das Phänomen der sogenannten Parallelevolution führt das anschaulich vor Augen. Der stammes­geschicht­liche Übergang von den niederen Säugetieren (den noch Eier legenden Kloakentieren: Ameisenigel, Schnabeltier) zu den Plazentaliern (bei denen die Verbindung zwischen Mutter und Embryo durch eine Plazenta, einen »Mutterkuchen«, gebildet wird) scheint erdweit über die Beuteltiere als eine Art Zwischenstufe verlaufen zu sein. Diese bringen sehr kleine, noch relativ unreife Junge zur Welt, die ihre Entwicklung in einem an der Körperoberfläche der Mutter ausgebildeten Beutel abschließen. Das Känguruh ist das bekannteste Beispiel.

Mitglieder dieser stammesgeschichtlichen Zwischenstufe leben heute mit Ausnahme der südamerikanischen Beutelratten nur noch in Australien. Auf allen anderen Kontinenten haben sie der überlegenen Konkurrenz der späteren Plazentatiere weichen müssen. Daß das so ist, beruht auf einem puren geologischen Zufall.

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Australien muß sich infolge plattentektonischer Verschiebungen in einem Augenblick der Vorzeit als Kontinent verselbständigt haben, als die ersten Vertreter der »modernen« Säugetiertypen noch nicht entstanden oder jedenfalls im Bereich des neuen Kontinents noch nicht aufgetaucht waren. Von diesem geologischen Augenblick an waren die australischen »Beutler« durch eine sich stetig verbreiternde Wasserbarriere vor den fortschrittlicheren Säugerkonkurrenten geschützt, die ihre Verwandten überall sonst im weiteren Verlauf verdrängten, wo immer auf der Erde beide Familien aufeinandertrafen.

Soweit der Zufall, der es so fügte, daß Australiens höhere Fauna heute von den verschiedenartigsten Typen von Beuteltieren repräsentiert wird. Eben deren spezielle Ausprägung verrät nun aber, daß beim Fortgang der Geschichte auch Notwendigkeit im Spiele war. Denn die meisten dieser australischen Beutlertypen ähneln nun in Aussehen, Körperbau und Lebensweise den auf den übrigen Kontinenten entstandenen höheren Säugern zum Verwechseln. Allein schon die Namen, welche die ersten Beschreiber der australischen Tierwelt ihnen gaben, sprechen für sich. Da gibt es Beutelwölfe, Beuteldachse und Beutelmaulwürfe, Beutelhörnchen und »Bären«, die berühmten Koalas, die in Wirklichkeit eben mit den echten Bären gar nicht verwandt, sondern eigenständige Beuteltiere sind. Aber jeder, der diese Tiere sieht und ihr Verhalten beobachtet, fühlt sich unweigerlich und aus guten Gründen an ihre höherentwickelten Namensvettern erinnert.

Das ist nun kein Zufall mehr. In diesen Ähnlichkeiten drückt sich Notwendigkeit aus, die Notwendigkeit nämlich, sich an die von der Umwelt vorgegebene Ordnung lebenserhaltend anzupassen. Zwar ist jede der im Chromosom, dem Sitz der Erbinformation im Zellkern, erfolgenden Mutationen (»Erbsprünge«) ein absolutes Zufallsgeschehen auf molekularer Ebene. Es ist auf keine Weise vorhersehbar, wann und an welchem Teil des Erbmoleküls ein Austausch bestimmter Glieder der Molekülkette erfolgt, und ebensowenig, welche neue Atomkombination am Ort der Mutation eingefügt werden wird. Diese Unvorhersehbarkeit ist auch nicht etwa lediglich eine Folge unzureichender Möglichkeiten der Messung oder Beobachtung des Geschehens. Sie ist prinzipiell. Hier gelten die stochastischen (Zufalls-)Bedingungen mikrophysikalischer Prozesse.

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Zwischen ihnen und der Situation in der Makrowelt gibt es keinerlei Verbindung. Deshalb erfolgt jedwede Mutation auch »in Unkenntnis« der Bedarfslage des Organismus, in dem sie erfolgt, und somit »ohne Rücksicht« auf dessen Situation. Hier herrscht wirklich der »reine Zufall«, im willkürlichsten Sinne des Wortes.

Aber (und dieses Aber ist grundsätzlich immer mit einzubeziehen bei allem, was soeben gesagt wurde): Das »Rauschen« der sich an einem sehr kleinen Bestandteil des individuellen Erbsatzes fortwährend ereignenden Mutationen läßt, wie man bildhaft sagen kann, an der Kontur des festgefügten Bauplans so etwas wie einen plastischen, prägbaren Saum entstehen. Damit aber entsteht, wieder einmal, als Folge des Zufallswirkens ein Freiheitsraum, ein Raum, der einer Art die Möglichkeit eröffnet, sich an spezifische Bedingungen der Umwelt, in der ihre Mitglieder überleben müssen, anzupassen. Denn die Umwelt bringt in dieses (seines Zufallscharakters wegen grundsätzlich beliebig groß zu denkende) Mutationsangebot die Ordnung zweckmäßiger Angepaßtheit, indem es auf die schon erwähnte Weise aus dem Angebot »ausliest«.

Fast alle Mutationen werden als nutzlos oder gar schädlich verworfen. Wie könnte es bei einem Zufallsangebot anders sein. Ihre Träger gehören nicht zu den Eltern der nachfolgenden Generationen. Dann und wann aber (und jedenfalls, wie experimentell erwiesen, häufiger, als unser »gesunder Menschen­verstand« es sich träumen läßt) taucht eine Mutation auf, die sich bewährt, weil sie einen vielleicht nur winzigen Überlebensvorteil verschafft. An ihr wird dann festgehalten. Sie geht in den Genpool, den der jeweiligen Population gemeinsam eigenen (da zwischen ihren Mitgliedern durch geschlechtliche Fortpflanzung ausgetauschten und durchmischten) Erbbesitz über. Die Gesamtheit der im Verlaufe stammesgeschichtlich relevanter Epochen in dieser Weise übernommenen Mutationen prägt schließlich das Erscheinungsbild der Mitglieder einer bestimmten Art.

Wer das australische Beispiel durchdenkt (die vergleichende Zoologie hat eine Vielzahl analoger Fälle aufgespürt), erkennt sofort, wie Zufall und Notwendigkeit hier einander in die Hände spielen. Die — zufallsgeborenen — Mutationen schaffen die für jegliche Anpassung unentbehrliche Plastizität, und die durch die Besonderheiten der Umwelt vorgegebene Ordnung spielt die Rolle der prägenden Form. Es war ein Zufall, der die australischen Beutler das Tertiär überleben ließ, nichts als ein geologischer Zufall.

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Und ihre Weiterentwicklung verdankten sie, wie alle Lebensformen, dem ununterbrochenen Spiel des molekularen Zufalls in ihren Erbträgern. Was die Richtung jedoch anging, in der sie sich weiterent­wickelten, hatten sie kaum eine Wahl. Die Erde war schon ziemlich alt und in ihren Eigenschaften festgelegt. In Australien wie auch sonst auf der Erde stellten sich, wenn man überleben wollte, praktisch die gleichen Aufgaben. Gleiche Aufgaben aber erfordern die gleiche »Ausbildung«, auch die gleiche Ausbildung von Körperbau und Verhaltensweisen. Daher entstanden in dem isolierten Australien ohne jegliche Querverbindung zur Evolution auf den übrigen Kontinenten wölfische, dachsartige, maulwurfähnliche und bärenhafte Lebewesen.

Was ergibt sich daraus nun für unsere Existenz? Wie »notwendig« (unausweichlich) war unser Auftritt auf der Erde? Die konkrete Ausbildung unserer heute von uns (sehr zu Unrecht) für selbstverständlich gehaltenen Erscheinungsform? Eine präzise Abschätzung ist nicht möglich. Wir sind außerstande, ein Maß für die Freiheit anzugeben, für den Spielraum an historisch offenstehenden Möglichkeiten, der am Anfang der Entwicklung unseres Geschlechts bestand. Die Schwierigkeit beginnt ja schon bei der Frage, auf welchen Zeitpunkt wir diesen Anfang verlegen wollen. Auf die Zeit vor vielleicht 100.000 Jahren, in der unsere Urahnen sich die Konkurrenz der Neandertaler vom Halse schafften?

Oder auf die zwei Millionen Jahre zurückliegende Lebenszeit von Homo habilis, von dem wir wahrschein­lich in direkter Linie abstammen? Aber müssen wir tatsächlich nicht noch viel weiter zurückgehen: bis zu den lemurenartigen Baumbewohnern, die wir als unsere stammesgeschichtlichen Ahnen anzusehen haben, oder bis zu den ersten amphibischen Eroberern des Festlands? Bis zur ersten kerntragenden Urzelle? Oder nicht sogar bis zum Urknall, mit dem, wie zur Sprache kam, bereits die ersten — die weitere Entwicklung einengenden — Voraussetzungen unserer damals noch in einer unendlich fernen Zukunft gelegenen Existenz geschaffen wurden?

Bei allen historischen, allen Entwicklungsprozessen überhaupt, ist das die entscheidende Frage. Wenn ein Dämon die abendländische Geschichte bis zur Regierungszeit des Cheops zurückstellen und von da ab von neuem ablaufen lassen würde, käme gewiß etwas anderes dabei heraus als das, was heute in unseren Geschichtsbüchern steht. Aber wie groß wären die Abweichungen im Wiederholungsfall?

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Ganz und gar unwahrscheinlich (»statistisch unmöglich«) ist es, daß auch dann rund zwei Jahrtausende später in einer Stadt, die den Namen »Roma« trüge, ein Diktator namens »Caesar« von einem ehemaligen Freund »Brutus« bei einer Ratssitzung erstochen werden würde. Eine so exakte Wiederholung darf angesichts der »Offenheit« historischer Abläufe (und erst recht Namensgebungen) — was ja nichts anderes heißt als: angesichts der in hohem Maße von Zufällen bestimmten Charakteristik derartiger Abläufe — als ausgeschlossen gelten.

Aber daß an den Küsten des Mittelmeeres auch nach einem erneuten zweitausendjährigen Anlauf Großmächte um Einflußsphären miteinander streiten würden, daß eine zunehmende Zentralisierung innerhalb der konkurrierenden Gesellschaften Diktatoren hervorbringen würde und ebenso Bestrebungen, deren Machtansprüchen notfalls mit Mordanschlägen entgegenzutreten, das wiederum wäre zu erwarten. Die vorgegebene Struktur der Kulisse — fruchtbare Küsten eines Meeres, dessen beschränkte Größe seine routinemäßige Durchquerung mit Ruder- und Segeltechniken gestattet — führt (fast) mit Notwendigkeit zu derartigen Konsequenzen.

Wenn wir in Gedanken noch weiter zurückgingen, könnten wir uns bei unseren Spekulationen jedoch nicht einmal mehr an solcherart vorgegebenen geologischen Bedingungen orientieren. Auch das Mittelmeer ist ja in einer bestimmten Phase des Erdaltertums erst entstanden — als Folge zufälliger plattentektonischer Verschiebungen, deren Ergebnis unvorhersehbar war. Bei einer Wiederholung von diesem fernen Punkt der Erdvergangenheit aus wäre der »Trichter« für zukünftige Möglichkeiten daher noch sehr viel weiter geöffnet als aus dem Blickwinkel des Pharao Cheops.

Es ist ein Gesetz: Je weiter man in der Erdgeschichte zurückgeht, um so größer ist die Zahl der noch offen­stehenden Möglichkeiten. Und ebenso gilt umgekehrt: Je weiter die Entwicklung — sei es die des Kosmos oder die der Erde oder sei es die der biologischen Stammesgeschichte — bereits gediehen ist, um so mehr hat die Geschichte durch die von ihr hervorgebrachten Fakten ihren weiteren Verlauf selbst »kanalisiert«. Der die Vielfalt noch realisierbarer Möglichkeiten einschränkende Druck der Notwendigkeit nimmt immer weiter zu. Den vom Zufall produzierten Mutationen steht ein immer kleiner werdender Spielraum möglicher Passungen zur Verfügung. Kurz und knapp: Spezialisierung erschwert den Fortschritt.

Deswegen halte ich den Namen, den die Experten dem kürzlich entdeckten Phänomen des für alles Leben anscheinend maßgeschneiderten Universums gegeben haben (»anthropisches Prinzip«) auch für denkbar unglücklich. Hinter diesem Etikett versteckt sich doch wieder nur der seit Kopernikus überwunden geglaubte anthropozentrische Mittelpunktswahn. Denn »Anthropoi«, Menschen in dem uns geläufigen Sinne, waren es ganz sicher nicht, deren zukünftige Entstehung die Gravitationskonstante, die Expansions­geschwindigkeit des Alls oder der konkrete Wert der Kernbindungskräfte schon in den ersten Sekunden nach dem Beginn der Zeit vorbereiteten. Daß dieses Universum dereinst mit Notwendigkeit Leben hervorbringen würde, das stand mit diesen (und einigen anderen) Naturkonstanten zwar damals schon fest. Soviel werden wir den bemerkenswerten Besonderheiten seines Anfangs mit einem gewissen Recht entnehmen dürfen.

Daß wir selbst jedoch es sein würden, die dieses Leben verkörperten, und sei es nur auf der Erde, das war zu diesem Zeitpunkt noch prinzipiell unvorhersehbar. Das Ausmaß der historischen Offenheit für die zukünftige Entwicklung des eben erst geborenen Universums ließ damals noch eine uns unausdenkbare Fülle und Vielfalt möglicher Realisierungen des Lebens zu, auch des seiner selbst bewußten Lebens. »Vorherbestimmt« war unsere Existenz daher zu keiner Zeit.

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