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Das ökotopianische Fernsehen

 

und seine Sendungen

 

 

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San Francisco, 10. Mai 1999  

Die Ökotopianer haben nach ihren eigenen Angaben die moderne Technik gesichtet und den größten Teil davon als ökologisch schädlich verworfen. Trotz dieser technologischen Genügsamkeit machen sie aber von Videogeräten noch ausgiebiger Gebrauch als wir. Da sie auf dem Standpunkt stehen, daß man sich nur zum Vergnügen körperlich bewegen sollte, unternehmen sie nur selten ›Geschäftsreisen‹ in unserem Sinne. 

Statt dessen pflegen sie ihre Geschäfte per Bildtelefon abzuwickeln, die an dasselbe Leitungsnetz angeschlossen sind, über das auch das Kabel-Fernsehen läuft; mit Ausnahme von ein paar abgelegenen Flecken auf dem Lande ist ganz Ökotopia mit den dazu erforderlichen Kabeln ausgestattet. Eine kabellose Übertragung gibt es nicht.

Überall stehen Fernsehgeräte, aber seltsamerweise habe ich nur selten Leute in der typisch amerikanischen Konsumentenhaltung davor sitzen sehen. Ob das an irgendeiner geheimnisvollen nationalen Eigenart oder an wesentlichen Unterschieden der Programme – oder an beidem – liegt, kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls scheinen die Ökotopianer das Fernsehen zu beherrschen statt sich von ihm beherrschen zu lassen.

Einige Kanäle sind anscheinend buchstäblich Teil des Regierungsapparates – eine Art Sitzungssaal vor der Tribüne der Fernsehöffentlichkeit. Hier können die Leute zuschauen, wenn die Tagungen der Gemeindeverwaltung oder der nationalen Legislative übertragen werden. (Es gibt ohnehin praktisch keine Regierungsgeschäfte, in die Presse und Öffentlichkeit keine Einsicht hätten.) Die Zuschauer wollen aber nicht nur zusehen, sondern aktiv teilnehmen. Sie schalten sich mit Fragen und Kommentaren ein, die sie telefonisch manchmal an die anwesenden Regierungsvertreter, manchmal an das Fernsehteam richten.

So bringt das Fernsehen nicht nur Neuigkeiten, sondern schafft sie selbst. Zum üblichen Fernsehangebot gehören unter anderem Diskussionen mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder Bewerbern für öffentliche Ämter, zahlreiche Gerichts­verhandlungen sowie Sitzungen der Exekutive und besonders der gesetzgebenden Körperschaften. Dazu werden laufend Kommentare eingestreut, die aus den unterschiedlichsten Quellen stammen: von nüchternen Berichterstattern bis hin zu Kommentatoren, die leidenschaftlich Partei ergreifen.

Man erwartet hier keine Ausgewogenheit wie in unseren Nachrichten­sendungen; die Ökotopianer lehnen diese Idee als ›bourgeoisen Fetisch‹ ab und vertreten die Auffassung, daß der Wahrheit am besten gedient ist, wenn man seine Grundhaltung kurz umreißt und sich dann in die Diskussion stürzt.

Andere Programme bringen Filme und verschiedene Unterhaltungssendungen, die Werbespots werden dabei jedoch ungeschickterweise nicht in die jeweilige Show eingeblendet, sondern als geschlossener Block zwischen zwei Sendungen geschoben. Das zerstört nicht nur den Fernsehrhythmus, wie wir ihn gewohnt sind – die Werbespots gewähren uns im

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richtigen Augenblick eine Pause zum Entspannen –, sondern führen auch dazu, daß die Spots sich gegenseitig verstärkt ihrer Wirkung berauben.

Das ist deshalb besonders folgenschwer, weil die Spots ohnehin auf bloße Ansagen reduziert sind und ohne personifizierte Hausfrauen oder andere Konsumentengestalten sowie praktisch auch ohne lobende Eigenschaftswörter auskommen müssen. (Es wird wohl ein entsprechendes Verbot für alle Medien geben, da die Inserate in Zeitschriften und Zeitungen ähnlich zurückhaltend sind.) 

Es fällt schwer, sich für die Detailbeschreibung eines Produkts zu begeistern, aber die ökotopianischen Zuschauer bringen es fertig, sich so etwas anzuschauen. Manchmal habe ich den stillen Verdacht, daß sie nur hinsehen, weil sie auf einen Gegen-Spot hoffen – auf eine Werbung für ein Konkurrenzprodukt, in der der Sprecher feixend beide Erzeugnisse miteinander vergleicht. Außerdem mag die Werbung auch deshalb genießbar erscheinen, weil sie eine Insel der geistigen Gesundheit im Tumult der Standpunkte, Menschen und optischen Erscheinungen darstellt, aus denen sich die ›normale‹ ökotopianische Fernsehkost zusammensetzt.

Einige Kanäle wechseln im Laufe des Tages sogar vollständig ihre Programmkonzeption – mittags oder um sechs Uhr abends geht z. B. ein Sender mit einem politischen oder Nachrichtenprogramm plötzlich zu Haushaltstips, lautstarker Rock-Musik oder unheimlichen surrealistischen Filmen über, in denen die schlimmsten Alpträume zu grellem Leben erwachen. (Die Ökotopianer scheinen es mit der Farbabstimmung nicht allzu genau zu nehmen. Die Sendetechniker erlauben sich manchmal Scherze und zaubern absichtlich grüne oder tiefrote Leute unter einem orangefarbenen Himmel auf den Schirm.)

Dann wieder gerät man vielleicht an ein superseriöses Programm, das aus Kanada oder England importiert wurde. Und es gibt auch ein paar Leute, die amerikanische Satellitenprogramme einschalten, sich unsere Wiederholungen ansehen oder sich über unsere Werbesendungen amüsieren. Aber das scheint der ausgefallene Geschmack einer Minderheit zu sein – außerdem ist zum Direktempfang auch ein teurer Spezialadapter erforderlich. Das Fernsehen mag übrigens eine wichtige Ursache für die eigentümliche Haltung der Ökotopianer gegenüber materiellen Gütern sein.

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Natürlich betrachtet man viele Konsumartikel als ökologisch bedrohlich, weshalb sie schlicht und einfach nicht erhältlich sind und niemand sie besitzt; so sind z. B. elektrische Dosenöffner, Lockenwickler, Bratpfannen und Tranchiermesser unbekannt. Und die verlockende Vielfalt unserer Warenhäuser ist hier stark eingeschränkt, um das industrielle Wachstum zu drosseln. Bei vielen Artikeln des täglichen Bedarfs ist die Standardisierung auf die Spitze getrieben. Handtücher gibt es nur in einer Farbe, in Weiß – so daß die Leute selbst hübsche Muster einfärben müssen (wie ich erfahren habe, verwenden sie dazu zarte Naturfarben aus Pflanzen und Mineralien).

Ökotopianer "reisen im allgemeinen mit leichtem Gepäck", obwohl jeder Haushalt natürlich komplett mit allen notwendigen Gegenständen ausgerüstet ist. Was persönlichen Besitz angeht, so legen die Ökotopianer zumindest Wert auf Gegenstände wie Messer und andere Werkzeuge, Kleidung, Bürsten und Musikinstrumente, bei denen sie auf höchste Qualität achten. Diese Dinge sind handgefertigt und werden von ihren Besitzern als Kunstwerke geschätzt – was sie zugestandenermaßen manchmal auch wirklich sind.

 

Dinge, die man in den Läden kaufen kann, wirken ziemlich altmodisch. Ich habe nur wenige ökotopianische Erzeugnisse gesehen, die sich im amerikanischen Fernsehen nicht ausgesprochen primitiv ausnehmen würden. Als Entschuldigung hörte ich beispielsweise, diese Gegenstände seien so konstruiert, daß sie von den Besitzern mühelos selbst repariert werden können. Jedenfalls fehlt ihnen die bei uns übliche Stromlinienform – einzelne Teile ragen in unmöglichen Winkeln heraus, Schrauben und andere Befestigungen liegen offen zutage, und manche Teile bestehen sogar aus Holz.

Ich habe allerdings beobachten können, daß die Ökotopianer ihre Sachen tatsächlich selbst reparieren. Man findet in den Straßen keinerlei Reparatur­werkstätten. Ein zusätzliches Kuriosum ist, daß es anscheinend keine Garantie auf die gekauften Geräte gibt. Die Leute gehen wie selbstverständlich davon aus, daß die Produkte aus den Fabriken robust, dauerhaft und eigenhändig reparierbar sind – was natürlich auch bedeutet, daß sie im Vergleich zu unseren Erzeugnissen recht simpel konstruiert sind.

Es hat den Ökotopianern einige Mühe bereitet, diesen Stand der Dinge zu erreichen: ich habe amüsante Geschichten über mißlungene

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Konstruktionen gehört, die in der Frühzeit Ökotopias produziert wurden und Prozesse gegen die Hersteller wie auch andere Unannehmlichkeiten nach sich zogen.

Mittlerweile ist ein Gesetz in Kraft, das die Prüfung von Prototypen neuer Erfindungen durch einen öffentlichen Ausschuß von zehn Durchschnittsbürgern (›Konsumenten‹ ist ein Begriff, den man hierzulande nicht benutzt, wenn man höflich sein will) zur Auflage macht. Nur wenn die zehn übereinstimmend feststellen, daß sie die zu erwartenden Defekte mit gewöhnlichem Werkzeug beheben können, darf mit der Fabrikation begonnen werden.

Eine gewisse Ausnahme stellen Videogeräte und andere Elektronik-Artikel dar. Sie müssen aus Standard-Modul-Elementen aufgebaut sein, und die Läden müssen genormte Ersatzelemente und eine Prüf Vorrichtung führen, damit die Kunden die defekten Teile ausfindig machen und ersetzen können. Natürlich ist eine Menge elektronischer Zubehör jetzt so klein, daß er einfach zurückgeschleust wird, wenn er nicht mehr funktioniert. Die Ökotopianer haben wirklich einige bemerkenswerte elektronische Kleingeräte entwickelt: Stereo-Anlagen, die nicht größer als eine herkömmliche Elektronenröhre sind, hochempfindliche Kontrollelemente für Solarheizungssysteme und die industrielle Produktion, Kurzstreckenfunksprechgeräte, die in einem winzigen Kopfhörer eingebaut sind. All das kommt offenbar dem nationalen Bedürfnis nach Kompaktheit, geringem Gewicht und niedrigem Energiebedarf entgegen.

 

(11. Mai) Habe heute morgen meine erste Bekanntschaft mit jener merkwürdigen ökotopianischen Sitte gemacht, die man ›kooperative Kritik‹ nennt. Ich war in eines der kleinen Straßencafes gegangen, in denen man ein unheimlich sättigendes Frühstück bekommen kann. Familientische, aber es war noch früh, und man unterhielt sich nur vereinzelt. Ein Mann in meiner Nähe, der Rühreier bestellt hatte, brach das Schweigen, nachdem der Kellner ihm seinen Teller gebracht hatte.

"Sehen Sie sich diese Eier an!" verlangte er – nicht vom Kellner, wie wir es vielleicht tun würden, sondern vom gesamten Cafe.

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Er hielt den Teller in die Höhe, so daß wir sie alle sehen konnten. "Sie sind völlig trocken!" Ich erwartete nun, daß der Kellner den Gast zu beschwichtigen versuchen und ihm eine neue Portion Eier bringen würde. Statt dessen aber machten Kellner und Gast sich gemeinsam auf den Weg zur Küche, die sich auf der anderen Seite des Raumes befand und nur durch eine Theke abgetrennt war. (Die Ökotopianer lieben es, die Zutaten zu inspizieren und die Zubereitung ihrer Mahlzeit zu verfolgen. Die Küchen bieten stets offenen Einblick, und man schaut den Köchen in ähnlicher Weise zu wie bei uns den Pizza-Bäckern.) "Wer hat diese Eier gemacht?" fragte der Gast. Einer der Köche, eine Frau, stellte den Topf beiseite und kam herüber, um nachzusehen, worum es ging.

"Ich. Stimmt was nicht mit ihnen?" Der Mann wiederholte seine Beschwerde, die Frau nahm die Gabel und kostete die Eier. "Sie müssen sie zu lange auf dem Teller liegengelassen haben", sagte sie. "Der Teller ist auch schon kalt." Viele Hände griffen nun nach dem Teller, um ihn zu befühlen, und das Ergebnis der nun entbrennenden Diskussion war, daß der Teller immer noch recht warm sei und die Frau die Eier tatsächlich zu lange in der Pfanne gelassen haben müsse. "Warum haben Sie nicht achtgegeben?" fragte der Gast. "Weil ich an zwei Herden arbeite und etwa 14 Bestellungen laufen habe!" verteidigte sich die Frau.

An diesem Punkt schalteten sich einige zufriedene Gäste ein: Ruth sei eine geradezu phänomenal umsichtige Köchin und habe ihre Eier vorbildlich zubereitet. Daraufhin wurde von allen Anwesenden lautstark die Frage erörtert, ob Ruth überlastet sei. (Inzwischen stellten sich immer mehr Gäste ein und beteiligten sich an der Diskussion; daß darüber sämtliche Frühstücke im Cafe eiskalt wurden, kümmerte niemanden.) Jemand fragte Ruth, warum sie nicht laut um Hilfe gerufen habe, als sie nicht mehr nachgekommen sei, und sie wurde rot und sagte mit einem Blick des Unmuts auf ihre Kollegen, daß es ihre Arbeit sei und sie sehr wohl damit fertig werde. Ein anderer Gast, der Ruth zu kennen schien, sagte, er wisse, daß sie ihre Kollegen, die auch viel zu tun hätten, niemals um Hilfe bitten würde, aber was sei schon dabei, wenn sie zugebe, daß die Arbeitsbelastung manchmal überdurchschnittlich hoch sei, und wenn sie dann Hilfe herbeirufe?

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Jetzt meldeten sich zahlreiche Gäste zu Wort und sagten, daß sie gerne in die Küche kommen und für einige Minuten einspringen würden. Daraufhin fing Ruth an zu weinen, vielleicht aus Scham, vielleicht aus Erleichterung. Einige Gäste kamen in die Küche, legten ihr den Arm um die Schulter und halfen ihr bei der Arbeit; sie vergoß wahrscheinlich noch salzige Tränen in die nächsten Bestellungen, aber alles ging an seine Tische zurück, mit dem Ablauf der ganzen Episode sichtlich zufrieden, und der Beschwerdeführer verzehrte genüßlich seine neuen Eier, für die er sich bei Ruth, die sie ihm persönlich servierte, lautstark und wortreich bedankte – umgeben von vielen lächelnden Gesichtern.

Solche kleinen rührseligen Dramen scheinen in Ökotopia an der Tagesordnung zu sein. Sie haben etwas Peinliches, etwas von einer Schmierenkomödie an sich, sind aber irgendwie auch erfrischend und scheinen bei den Teilnehmern wie auch bei den Zuschauern neue Energien freizusetzen.

Auf meinen Reisen fühle ich mich für gewöhnlich nach einigen Tagen sexuell ziemlich frustriert und versuche, auf die eine oder andere Weise Abhilfe zu schaffen. Es ist mir immer noch absolut ein Rätsel, warum diese selbstsicheren ökotopianischen Frauen nicht auf meine Signale reagieren. Bestimmt nicht, weil sie die Beziehung zu ihrer eigenen Sexualität verloren hätten! Habe mit einer herumgealbert, die ich auf der Straße angesprochen hatte. "Hör mal", sagte sie nach einer Weile, "wenn du nur ficken willst, dann sag es lieber gleich!" und zog angewidert ab.

Das saß. Mir wurde klar, daß ich nicht nur ficken will, wie ich immer glaubte, wenn ich auf Reisen war. Ich möchte wirklich herausbekommen, was in diesem Land zwischen Mann und Frau vorgeht, und versuchen, mich darauf einzustellen: Sie haben offenbar eine Art, miteinander umzugehen, die mir fremd ist. Ich bin neidisch und fühle mich ausgeschlossen, aber auch herausgefordert und neugierig gemacht. Manchmal legt sich meine Verwirrung und wird von einem Gefühl der Bereitschaft, Geduld und Ruhe abgelöst: als ob mir bald eine Frau über den Weg laufen würde, die alles klären wird. Aber es macht die Angelegenheit nicht gerade einfacher, daß die Ökotopianerpärchen im Bett ziemlich geräuschvoll sind. Stöhnen und Keuchen, Seufzen und Ächzen dringen durch die Wände meines Hotelzimmers, die nicht einmal besonders dünn sind. Offenbar haben sie keinerlei Hemmungen bei dem Gedanken, daß andere mit anhören, was sich abspielt.

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Die ökotopianische Ökonomie -

Ein Produkt der Krise

 

 

San Francisco, 12. Mai. In Amerika ist die Ansicht weit verbreitet, die Ökotopianer seien ein energieloses und träges Volk geworden. Das war die logische Schlußfolgerung, als die Ökotopianer nach der Erlangung der Unabhängigkeit die Zwanzig-Stunden-Woche einführten. Dennoch hat wohl niemand in Amerika voll erfaßt, welch gewaltigen Bruch mit unserem Lebensstil dies bedeutete – und noch heute muß man sich wundern, daß die ökotopianische Gesetzgebung in der Morgenröte ihrer Macht fähig war, eine solch revolutionäre Maßnahme durchzusetzen.

Wie mir ökotopianische Fachleute versichern, ging es um nichts Geringeres als um die Abkehr von der protestantischen Arbeitsmoral als dem Fundament, auf dem Amerika errichtet worden war. Dies hatte ausgesprochen schwerwiegende Konsequenzen. So wurde es für Ökotopia zu einer ökonomischen Notwendigkeit, seine Wirtschaft gegen die Konkurrenz härter arbeitender Völker abzuschirmen. Schwere Erschütterungen suchten die Industrie jahrelang heim. Das Bruttosozialprodukt sank um mehr als ein Drittel.

Aber die tiefgreifendsten Folgen der verminderten Arbeitszeit waren philosophischer und ökologischer Natur.

Die Ökotopianer stellten sich auf den Standpunkt, die Menschheit sei nicht zur industriellen Produktion bestimmt, wie man im 19. und 20. Jahrhundert geglaubt hatte, sondern dazu, einen bescheidenen Platz im geschlossenen, ausgewogenen Gewebe des organischen Lebens einzunehmen und dabei dieses Gewebe so wenig wie möglich zu stören. Das würde zwar Verzicht auf den gegenwärtigen Konsum bedeuten, aber dafür das künftige Überleben garantieren. Dieses Überleben wurde zu einem fast religiösen Ziel erhoben – vielleicht in der Art früherer Heilslehren. Die Menschen sollten ihr Glück nicht in der Herrschaft über die Erde und ihre Lebewesen, sondern in einem Leben suchen, das sich in größtmöglicher Harmonie mit der Natur befindet. Dieser philosophische Umschwung mag bei oberflächlicher

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Betrachtung harmlos gewirkt haben. Seine ernsten Folgen traten aber bald zutage. Ökotopianische Wissenschaftler, darunter einige der angesehensten in den USA, sahen sehr wohl, daß der Lebensstandard nur durch eine rücksichtslose Steigerung der Arbeitszeit und Arbeitsproduktivität aufrechterhalten und erhöht werden konnte. Arbeiter würden vielleicht von ›Arbeitshetze‹ sprechen, aber ohne eine langsame, doch stetige Steigerung der Produktivität konnte kein Kapital angezogen oder auch nur gehalten werden; der finanzielle Zusammenbruch mußte die unmittelbare Folge sein.

Die tödliche neue Wendung, die einige militante Ökotopianer diesem allgemein akzeptierten Gedankengang gaben, war die Propagierung des Standpunktes, daß eine ökonomische Katastrophe nicht gleichbedeutend sei mit einer biologischen Katastrophe im Sinne persönlichen Überlebens – und daß insbesondere eine Panik auf dem Finanzsektor sogar zum Guten gewendet werden könne, wenn die neue Nation ihre vorhandenen Ressourcen an Energie, Wissen, Können und Materialien entsprechend den grundlegenden Forderungen eines nationalen Überlebens organisiere. Unter dieser Voraussetzung könne sich sogar ein katastrophaler Abfall des Bruttosozialprodukts (das ihrer Meinung nach ohnehin zu großen Teilen aus überflüssiger Arbeit resultierte) als politisch nützlich erweisen.

Kurz gesagt, das finanzielle Chaos sollte nicht nur in Kauf genommen, sondern bewußt herbeigeführt werden. Im Zuge der einsetzenden Kapitalflucht sollten die meisten Fabriken, Farmen und anderen Produktionsmittel Ökotopia in den Schoß fallen wie reife Früchte. Und es genügten tatsächlich schon wenige einschneidende Maßnahmen, um diese unheilvolle Ereignisfolge in Gang zu setzen: die Verstaatlichung der Landwirtschaft, die Ankündigung eines bevorstehenden Moratoriums zu den Aktivitäten der Ölindustrie, der erzwungene Zusammenschluß des Einzelhandelsnetzes (Sears, Penneys, Safeway und einige andere Ladenketten) und das Inkrafttreten strenger Naturschutzgesetze, die die Profite der Holzindustrie bedrohten. Diese Vorgänge lösten natürlich in Washington heftigste Reaktionen aus. Lobbyisten der verschiedenen betroffenen Interessengruppen versuchten die Regierung zu militärischer Intervention zu bewegen. Das war aber bereits mehre-

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re Monate nach der Unabhängigkeit. Die Ökotopianer hatten inzwischen im ganzen Land eine Miliz aufgestellt und intensiv ausgebildet. Waffen waren aus Frankreich und der Tschechoslowakei eingeflogen worden. Außerdem befürchtete man in den USA, daß verschiedene Großstädte des amerikanischen Ostens atomar vermint worden seien, als Ökotopia sich von der Union trennte – mit Sprengsätzen, die die Ökotopianer heimlich gebaut oder aus Forschungslaboratorien gestohlen hätten. Washington entschied sich deshalb schließlich gegen eine Invasion, obwohl man einen erbitterten Feldzug mit ökonomischen und politischen Druckmaßnahmen gegen Ökotopia einleitete und die ökotopianischen Häfen verminte.

Diese Entwicklung führte auf dem Wirtschaftssektor zu einer Welle von Geschäftsaufgaben und Zwangsverkäufen und rief, wie man mir sagte, Erinnerungen wach an das Schicksal der Japan-Amerikaner, die im Zweiten Weltkrieg interniert worden waren. Mitglieder vornehmer und alteingesessener Familien in San Francisco waren gezwungen, unter äußerst unvorteilhaften Bedingungen mit Vertretern des neuen Regimes zu verhandeln. Besitzungen, deren Geschichte bis zu den spanischen Eroberern zurückreichte, kamen in aller Eile unter den Hammer. Riesige Aktiengesellschaften, die früher die Politik von Stadtverwaltungen und Parlamenten bestimmt hatten, mußten um Abfindungssummen betteln und voller Verlegenheit enthüllen, daß ihre Besitzungen in Wirklichkeit weit mehr wert waren, als man der Steuerbehörde angegeben hatte.

Als in der Folge Zehntausende von Beschäftigten arbeitslos wurden, reagierte die neue Regierung darauf mit zwei Maßnahmen . Die eine bestand darin, die Arbeitslosen beim Aufbau des Eisenbahnnetzes sowie der Abwässer- und anderen Recycling-Anlagen einzusetzen, die zum Aufbau eines Versorgungssystems des stabilen Gleichgewichtes notwendig waren. Andere wurden mit der Demontage angeblich gefährlicher oder unschöner Relikte der alten Gesellschaftsordnung, wie z.B. Tankstellen, beauftragt. Die andere Maßnahme war die Einführung der Zwanzig-Stunden-Woche, die zwar die Zahl der Arbeitsplätze verdoppelte, das Einkommen pro Kopf der Bevölkerung jedoch praktisch halbierte. (Mehrere Jahre lang existierten strenge Preiskontrollen für alle Grundnahrungsmittel und andere lebensnotwendigen Artikel.)

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Naturgemäß verlief die nun folgende Übergangsperiode hektisch – obwohl eine ganze Anzahl von Leuten sie lediglich als interessant und aufregend in Erinnerung hat. Viele, die diese Zeit selbst miterlebt haben, behaupten, daß niemand ernsten Mangel an Nahrung, Unterkunft, Kleidung oder medizinischer Betreuung zu leiden hatte – obwohl ein gewisses Maß an Entbehrungen von weiten Teilen der Bevölkerung hingenommen werden mußte und auch die Automobilindustrie und die mit ihr verbundenen Branchen sowie Schulen und einige andere soziale Einrichtungen von schweren Erschütterungen heimgesucht wurden. 

Auf jeden Fall aber mußten viele Bürger auf ihren bis dahin gewohnten und hart erarbeiteten Komfort verzichten: auf Autos, Fertiggerichte, Delikatessen, immer neue Kleidung, Haushaltsgeräte und auch auf die Inanspruchnahme vieler effektiver Dienstleistungsbetriebe. Besonders schwer traf dieser Umbruch die Menschen im mittleren Alter – auch wenn ein inzwischen betagter Mann mir erzählte, daß er als Junge im Zweiten Weltkrieg in Warschau von Ratten und verschimmelten Kartoffeln gelebt und die Ereignisse in Ökotopia als vergleichsweise harmlos empfunden habe. Bei den Jugendlichen scheint der Bruch dagegen eine Art Kriegsstimmung ausgelöst zu haben – die Entbehrungen mögen in der Tat durch die Furcht vor einem Angriff der Vereinigten Staaten erträglicher geworden sein. Von anderer Seite wiederum hört man, daß die Orientierung der neuen Regierung auf Prinzipien des biologischen Überlebens sich einigend und beruhigend ausgewirkt habe. Panische Hamsterkäufe sollen selten gewesen sein. (Der großzügige Umgang mit Lebensmitteln, heute ein Grundzug des ökotopianischen Lebens, mag seine Wurzeln in der damaligen Zeit haben.) Sicherlich bot das Territorium Ökotopias natürliche Vorteile, die den Übergang erleichterten. Die beteiligten Staaten hatten mehr Ärzte pro Kopf der Bevölkerung, eine höhere Schulbildung, einen höheren Prozentsatz von Facharbeitern und eine größere Anzahl von Ingenieuren und anderen Technikern als die meisten übrigen Bundesstaaten. Die Großstädte (ausgenommen Seattle) waren Zentren einer weitgespannten Produktions- und Handelstätigkeit: praktisch alle lebensnotwendigen Dinge wurden hier selbst hergestellt. Die Universitäten hatten höchstes Niveau, und eini-

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ge der wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen waren zuvor in den Vereinigten Staaten als Spitzeninstitute angesehen worden. Das milde Klima förderte einen Lebensstil, der nicht an Haus und Herd gebunden war, und ließ so die aus der ökologischen Politik resultierende Heizölknappheit eher als Ärgernis denn als eine Sache auf Leben und Tod erscheinen, die sie in den strengen Wintern des amerikanischen Ostens sicherlich gewesen wäre. Die Menschen besaßen ungewöhnlich gute naturkundliche Kenntnisse und verstanden sich darauf, Lebensmittel zu konservieren; hinzu kamen Erfahrungen im Zelten und in Überlebenstechniken. Wir dürfen jedoch nicht den politischen Gesamtzusammenhang außer acht lassen, in dem sich der Übergang vollzog. Verfechter Ökotopias beurteilen die Situation heute rückblickend so: Der Indochinakrieg dauerte 1980 bereits ein Vierteljahrhundert, und seit fünfzehn Jahren war Amerika in Südostasien engagiert. Waffenstillstände waren geschlossen und wieder gebrochen worden. Hinter dem Rücken des Kongresses, der den Etat bewilligen mußte, hatte die US-Regierung ihre Versuche fortgesetzt, eine ›Endlösung‹ für die asiatischen Unruheherde zu finden. Die Kostenlast eines gewaltigen stehenden Heeres bereitete der wirtschaftlichen Zerrüttung den Boden, zumal, nachdem die Wählerschaft die Möglichkeit verloren hatte, eine Kontrolle auszuüben. Die fortdauernde Inflation und Rezession der siebziger Jahre hatte überall im Land zu Elend geführt und das Vertrauen der Amerikaner in den wirtschaftlichen Fortschritt untergraben. Wegen wilder Streiks und Fabrikbesetzungen befand sich die Nationalgarde fast ununterbrochen in Einsatzbereitschaft. Seit die Umweltschutzmaßnahmen zu Anfang der siebziger Jahre gescheitert waren, hatten Tod und Zerstörung ihren Vormarsch fortgesetzt. Energiekrisen hatten zu wirtschaftlichem Niedergang und Preistreiberei geführt. Und immer neue Skandale in Washington hatten das Vertrauen in die Bundesregierung stark erschüttert.

"All das", erklärte mir ein Ökotopianer, "überzeugte uns davon, daß wir die Dinge selbst in die Hand nehmen mußten, wenn wir überleben wollten." Ich wies daraufhin, daß das schon immer der Leitsatz revolutionärer Verschwörer gewesen sei, die angeblich im Namen der Mehrheit handeln, aber dann dafür sorgen, daß diese Mehrheit über keine

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wirkliche Macht verfügt. "Es lag auf der Hand", erwiderte er, "daß sich die Dinge von selbst nicht bessern würden – aus diesem Grunde waren die Menschen tatsächlich reif für die Veränderung. Die schlechte Luft, die chemisch verseuchte Nahrung und die schwachsinnige Werbung waren unerträglich für sie geworden. Sie wandten sich der Politik zu, weil das letztlich der einzige Weg zur Selbsterhaltung war."

"Demnach wären Millionen von Menschen bereit gewesen", fragte ich, "ihren gesamten wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand aufs Spiel zu setzen, um ein extremes ökologisches Programm zu unterstützen?"

"So groß war der Wohlstand zu jener Zeit nun gerade nicht", sagte er. "Es mußte etwas geschehen. Und niemand sonst unternahm etwas. Außerdem" – er zuckte die Achseln und grinste – "hatten wir sehr viel Glück." Dieser Galgenhumor, der mich an die Israelis und die Wiener erinnert, ist in Ökotopia weit verbreitet. Vielleicht hilft er erklären, wie es zu allem kam.

 

(13. Mai) Aus unerfindlichen Gründen fühlen sich die Ökotopianer von ihrer Technik nicht ›getrennt‹. Sie empfinden offenbar ein wenig so wie einst die Indianer: daß alles, Pferd, Tipi, Pfeil und Bogen, genauso wie der Mensch organisch dem Schoß der Natur entsprungen ist. Selbstverständlich verarbeiten die Ökotopianer natürliche Materialien in einer weitaus umfassenderen und komplexeren Weise, als die Indianer es bei der Herstellung von Pfeilspitzen aus Stein oder von Tipis aus Häuten taten. Aber sie gehen mit den Materialien im gleichen Geist des Respekts und der Kameradschaft um. Neulich bin ich stehengeblieben, um einigen Zimmerleuten bei der Arbeit an einem Haus zuzusehen. Liebevoll markierten und zersägten sie das Holz (nicht mit der Motorsäge wie bei uns, sondern unter Einsatz ihrer Muskelkraft). Die Nagelmuster waren, wie ich feststellen konnte, wunderschön gesetzt, und der Rhythmus ihrer Hammerschläge wirkte ruhig, fast gelassen. Wenn sie Holzteile einfügten, hoben sie sie vorsichtig in die richtige Position und paßten sie genau ein (viele Verbindungsstücke werden sowohl vernutet als auch vernagelt). Sie schienen fast mit dem Holz zusammenzuarbeiten, anstatt es in die Form eines Hauses zu zwingen ...

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Erhielt gestern abend im Hotel einen merkwürdigen Telefonanruf von einem Mann mit mürrischer Stimme, der fragte, ob er und einige Freunde sich mit mir treffen könnten. Er hatte anfangs das Telefonbild ausgeblendet, als ich aber sagte, daß ich mich über ein Gespräch mit ihm freuen würde, schaltete er es ein. Wir trafen uns in einem Kaffeehaus, das er vorgeschlagen hatte und in dem, wie sich herausstellte, die Atmosphäre eines Herrenclubs herrschte: dunkle Holzpaneele, Gestelle mit Zeitungen an den Wänden, Bier, guter Kaffee, Gebäck. Sie begannen das Gespräch, indem sie mir versicherten, wie erfreut sie gewesen seien, als sie von meinem Besuch hörten, und daß sie die Hoffnung hätten, daß die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sich nun langsam verbessern würden.

Das war ganz etwas Neues: alle Ökotopianer, die ich bisher getroffen hatte, schienen sich einen feuchten Kehricht darum zu scheren, wie die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aussehen. Ich begann meine Gesprächspartner genauer zu betrachten. Offenbar handelte es sich um irgendwelche Geschäftsleute – denn wie alle Geschäftsleute hatten sie eine bestimmte Art, den Eigentümer herauszukehren, die mir bekannt vorkam – und mir schwante langsam, wen ich da wahrscheinlich vor mir hatte: die Opposition!

Der Mürrische machte uns alle miteinander bekannt. Dann begannen sie mir mit einiger Vorsicht ihre Position darzulegen: daß viele der ökologischen Reformen der neuen Regierung natürlich notwendig und begrüßenswert seien, daß es aber andere gebe, die die unternehmerische Initiative lahmten. "Mit der Wirtschaft geht es, wie Sie inzwischen ja gesehen haben, ständig bergab. Unsere Verluste sind erschreckend. Schlimmer noch, wir befinden uns auf einem Kollisionskurs mit den Vereinigten Staaten." "Inwiefern?" fragte ich.

"Sehen wir den Dingen doch ins Auge. Wir sind eine kleine Nation an der Pheripherie einer sehr großen. Wenn wir noch länger auf diesem ökologischen Wahnsinn bestehen, wird es früher oder später zu einem bewaffneten Konflikt kommen, und wir werden von der Landkarte ausradiert werden. Wir wissen, was in Vietnam geschehen ist und was heute in Brasilien geschieht. Möglich, daß unsere Atomminen sich als Bluff herausstellen. Dann könnte uns das gleiche passieren."

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"Was wollen Sie dagegen tun?" "Wir könnten eine nachgiebigere Hallung einnehmen – einige Kompromisse eingehen. Ihre Anwesenheit hier hat stimulierend auf uns gewirkt, weil sie zur Wiederaufnahme normaler Beziehungen zwischen den beiden Ländern führen könnte. Anschließend könnten wir uns den Austausch von Versuchsfabriken vorstellen, um zu beweisen, wie es läuft, wenn man die Manager managen läßt – und eine allmähliche ökonomische Verflechtung. Mit der Zeit könnten wir unsere Wirtschaft wieder nach modernen Prinzipien organisieren."

"Arbeitet nicht die Progressive Party in diese Richtung?" Es entstand eine Pause. "Ja, aber sie führt nur einen Scheinkampf. Sie gibt Lippenbekenntnisse für die Idee der Veränderung ab, wenn es aber um wirkliche Veränderungen geht, kneift sie. In Wirklichkeit ist sie fast so schlimm wie die Survivalist Party. Wir haben sie mittlerweile abgeschrieben." "Was haben Sie also vor?"

Sie rutschten unruhig auf ihren Sesseln herum. "Vor allem knüpfen wir große Hoffnungen an Ihren Besuch. Wir bitten Sie dringend, auf eine Normalisierung der Beziehungen hinzuwirken, sowohl hier als auch nach Ihrer Rückkehr in Washington. Wir hoffen, daß die Dinge dadurch in Bewegung kommen. Aber darüber hinaus möchten wir Sie auch wissen lassen, daß wir bereit sind, für unsere Ideen zu kämpfen." Ich sah sie überrascht an. "Kämpfen?"

Sie blickten sehr ernst zurück und beschlossen dann wohl, ihre große Chance zu nutzen. "Wir haben Anlaß anzunehmen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten Untergrundgruppen in Ländern unterstützt, deren Regierungen nicht als US-freundlich gelten. Es wird die Zeit kommen, in der die normalen Mittel politischen Handelns nicht mehr ausreichen. Man muß Ökotopia schlagend klar machen, daß es seinen Kurs nicht weiterverfolgen kann. Wir sind zu allem bereit, aber wir brauchen Hilfe."

"Haben Sie keine Angst, daß man Sie einfach für amerikanische Agenten hält?"

"Dieses Risiko müssen wir eingehen. Wir würden natürlich um Material bitten, dessen Herkunft sich nicht auf US-amerikanische Quellen zurückverfolgen läßt." Nun war ich an der Reihe, eine Pause einzulegen. "Wollen Sie damit sagen, daß Sie Sprengstoff haben wollen, Gewehre?" Sie sa-

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hen mich ein wenig enttäuscht an. "Natürlich. Dann wären wir in der Lage, auf spektakuläre Weise zu unterstreichen, daß der gegenwärtige Kurs einen zu hohen Preis fordert. Es gibt nur einen Weg, das zu erreichen."

"Nun", sagte ich, "Sie müssen sich im klaren darüber sein, daß ich Journalist bin und kein CIA-Agent!" Sie lächelten höflich, aber skeptisch. "Immerhin glaube ich, daß ich das, was Sie mir mitgeteilt haben, an Personen weiterleiten kann, die sich vielleicht dafür interessieren. Aufweiche Unterstützung in der Bevölkerung können Sie bei den Aktionen rechnen, die Sie vorschlagen?"

"Sie wissen ja, wie die Leute sind – sie laufen immer dem hinterher, was gerade populär ist, selbst wenn es gegen ihre ureigensten Interessen ist. Spektakuläre Aktionen werden aber eine ungeheure Begeisterung hervorrufen."

Ich musterte sie. Sie geben keine sonderlich überzeugende Gruppe künftiger Terroristen ab, aber wahrscheinlich sehen die meisten Terroristen so aus. Einige von ihnen sind über 50, Leute, die in den Vereinigten Staaten Mitglied im Rotary Club oder in einem Country Club wären – normale, arbeitsame Bürger, die sich hier plötzlich in eine gesellschaftliche Außenseiterrolle gedrängt sehen. Andere sind jung, fanatisch, voller Ressentiments, gefährlich. Warum sie so geworden sind, kann ich mir nicht erklären, aber sie wären wahrscheinlich gegen jedes Regime, ganz gleich, wie es aussähe oder agierte. Bis jetzt sehe ich keinerlei Anzeichen dafür, daß sie über eine tragfähige gesellschaftliche Basis verfügten. Auf jeden Fall notierte ich mir, wie sie zu finden sind. Als wir aus dem Kaffeehaus kamen, hätte man uns für Geschäftsleute halten können, die sich soeben über eine Aufteilung des Marktes einig geworden waren...

 

(15. Mai) Marissa Brightcloud. Ein angenommener, indianisch inspirierter Name – viele Ökotopianer führen solche Namen. Sie holte mich gestern vom Zug ab, um mich zu dem Waldcamp zu bringen, in dem ich für einige Tage beim Holzfällen und bei der Forstarbeit zusehen soll. Dachte zuerst, sie sei eine Art Public Relations-Frau oder eine Regierungsangestellte. Später erfuhr ich, daß sie eines von sieben Mitgliedern eines gewählten Ausschusses ist, der das Camp und Zehntausende Morgen Wald verwaltet. Eine kräftig

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wirkende Frau von warmer körperlicher Ausstrahlung – schlank, aber mit breiten Hüften; dunkles, lockiges Haar, große, ausdrucksvolle Augen: ich würde auf italienische Abstammung tippen. Der Morgen war noch feucht vom Tau – sie trug einen grob gestrickten Pullover, Drillichhosen und eine Art Wander- oder Arbeitsschuhe. Einziger Schmuck war ein leichter Seidenschal mit feinem Blumenmuster, den sie um den Hals trug.

Sie hatte Fahrräder für uns besorgt. Panischer Schrecken: ich hatte seit Jahren nicht mehr auf einem Fahrrad gesessen! Wackelte zuerst ganz schön. Sie beobachtete mit stillem Vergnügen, wie ich ein zweites Mal aufsteigen mußte, dann ging es aus der Bahnhofsstadt hinaus in die Wälder. Sie sprach wenig, betrachtete mich aber mit Neugier. Einmal machten wir auf einem Hügel halt, von dem aus man einen schönen Blick auf ein Waldgebiet hatte. Sie machte eine Geste, legte dann ihre Hand auf meinen Arm, als erwarte sie eine Reaktion von mir. Schöner Wald, aber alles, was mir einfiel, war: "Hübsche Aussicht." Sie sah mich ein wenig ungeduldig an und schien sich zu fragen, an wen sie da eigentlich geraten sei.

"Dieser Wald ist mein Zuhause", sagte sie leise. "Unter Bäumen fühle ich mich am wohlsten. Offenes Land wirkt immer fremd auf mich. Unsere Schimpansen-Vorfahren hatten schon ganz recht. Unter Bäumen ist man sicher, kann man frei sein." Dazu ein geheimnisvolles Lächeln. Mir fiel nichts ein, was ich hätte erwidern können. Sie strampelte weiter. Schien sie schneller zu fahren – oder wurde ich nur müde? Hatte ein wenig Schwierigkeiten mitzukommen, glaubte aber, daß man mir nichts anmerkte. Schließlich erreichten wir das Camp, eine Gruppe von wackligen Häusern in einem Gehölz mit mächtigen Bäumen. Alt und ohne jede Farbe, aber von einer gewissen herben Schönheit wie früher die Ferienlager; unregelmäßig um ein großes Gebäude im Mittelpunkt gruppiert, das als Speisesaal und Gemeinschaftshaus dient. Auf der einen Seite ein Geräteschuppen; dahinter eine offene, mehrere Morgen große Baumschule, in der Tausende von winzigen Bäumchen sprießen. Überall riecht es nach Wald, nach Tannennadeln, die am Boden langsam zu einer federnden Schicht Humus verfaulen. Licht sickert durch die hohen Bäume – eine seltsame, gedämpfte Atmosphäre –, und ich hatte ein et-

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was eigentümliches Gefühl, wie in einer dämmrigen Kirche. Auf unsere Ankunft hin kamen einige Dutzend Leute aus den Häusern, um uns zu begrüßen. Ein Besucher ist für sie offenbar ein Ereignis. Als sie zu uns traten und uns umringten, stellte sich Marissa fast schützend neben mich. Ein Schwall von Fragen – was ich bisher gesehen habe, wo ich in den Vereinigten Staaten lebe, was ich mir hier ansehen wolle, welcher Baum mein Lieblingsbaum sei (alles, was mir einfiel, war ›der Weihnachtsbaum‹ – Botanik gehörte nicht zu meinen starken Fächern – aber ich erntete beifälliges Lachen damit). Witzeleien darüber, daß ich nicht gerade wie ein Holzfäller aussähe. Ich bemerkte plötzlich, daß fast die halbe Gruppe aus Frauen besteht. Nahm zu der Zeit noch an, daß sie sich hauptsächlich um die Baumschule und das Pflanzen junger Bäume kümmern; später erfuhr ich, daß sie auch Bäume fällen, Traktoren bedienen und große Diesel fahren.

"Bevor wir ihm unsere Arbeit zeigen, muß unser Gast erst einmal sein Bad nehmen", erklärte Marissa lächelnd. Sie führte mich dann zum zeremoniellen Bad, mit dem die Ökotopianer jeden begrüßen, der zu einem längeren Besuch kommt – selbst wenn er, wie ich, nicht mehr als eine Stunde unterwegs war. Sie wurde jetzt gesprächiger. Sie lebt seit einigen Jahren in diesem Camp, geht aber gelegentlich für einen Monat in die Stadt – zum Teil offenbar als Ferien, zum Teil als Ausgleich gedacht. Man sieht, daß sie sehr schwer arbeitet. Energisch und weiblich zugleich – und ziemlich schlecht zu sprechen auf diejenigen Mitglieder der Campmannschaft, die als Städter hier ihren ›Walddienst‹ ableisten. Wer größere Mengen Bauholz kaufen will (um z.B. ein Haus zu bauen), ist nämlich verpflichtet, für einen Zeitraum von mehreren Monaten in einem Waldcamp zu arbeiten – Bäume zu pflanzen, den Wald zu hegen und vermutlich die neuen Schößlinge aufziehen zu helfen, die eines Tages das gekaufte Holz ersetzen werden. (Poetische, aber alberne Idee – obwohl sie den Leuten vielleicht zu einer besseren Einstellung zu den vorhandenen Holzbeständen verhilft.)

Sie wollte wissen, ob ich Familie habe, wer meinen Haushalt besorgt (schien überrascht, daß ich weder mit meiner Frau noch mit meinen Kindern, ganz zu schweigen von Großeltern, Cousins, Cousinen, Freunden und Kollegen zusammenlebe, sondern ganz für mich allein in einer eigenen Woh-

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nung 30 Meilen entfernt, obwohl ich viel Zeit mit einer anderen Frau verbringe). Auf ihre Frage, was mir Freude bereitet, fiel mir die freimütige Antwort schwer. Ich bemühte mich aber, und ihre Neugier schien es mir leicht zu machen. "Zuerst einmal, durch meine Arbeit ein Gefühl der Macht zu besitzen – Menschen zu erreichen, Massen von Menschen, und Verbindung zu haben zu den Schlüsselfiguren, die in der Lage sind zu handeln. Dann das Gefühl beim Schreiben, daß ich über handwerkliches Können verfüge und die Intelligenz, das Hintergrundwissen und die Originalität besitze, ungewohnte Situationen zu erfassen und richtig einzuordnen. Dann liebe ich den Luxus oder wenigstens schöne Dinge: in den besten Restaurants zu essen, die besten Kleider zu tragen, mit den besten Leuten gesehen zu werden." Marissa unterbrach mich neckend: "Gehört deine Freundin auch zu den besten Leuten?"

"Na ja, in gewisser Weise schon. Oder sagen wir so, die besten Leute schätzen sie sehr, selbst, wenn sie nicht wirklich zu ihnen gehört."

Das Badehaus liegt einige hundert Meter tief im Wald. Als wir dort angelangt waren, hatte das Gespräch eine seltsam persönliche Wendung genommen. "Du hast nichts darüber gesagt, daß es dir Spaß macht, mit anderen Leuten, Männern oder Frauen, zusammenzusein. Hast du keine Freunde, findest du keinen Gefallen daran, Menschen zu lieben?" "Oh doch, natürlich!" antwortete ich und fühlte mich ertappt. Sie öffnete die Tür zum Badehaus, nahm meine Hand und führte mich in den düsteren Innenraum. Sie drehte den Wasserhahn auf, warf noch etwas Holz aufs Feuer, lächelte mir warm zu, kam näher und legte mir die Hand auf die Schulter. "Wollen wir miteinander schlafen?"

Ich fühlte mich ja tatsächlich seit Tagen frustriert, aber ihre Bestimmtheit ließ doch einen Augenblick meinen Mut sinken. Sie war in keiner Weise unterwürfig oder gönnerhaft. Sie wollte mir ganz einfach näherkommen, mit mir spielen oder mit mir schlafen. Ich dachte, daß das Ganze nach dem Bad über die Bühne gehen würde, fühlte mich aber schon auf den hölzernen Boden des Badehauses gedrückt. Oh Gott, sagte ich mir, diese Frau ist stärker als du!

Ich bot aber all meine Kraft auf und rollte sie auf den Rücken. Wir waren beide sofort äußerst erregt. Sie kicherte über unser hastiges und ungeschicktes Hantieren mit den

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Kleidern. Wir zogen gerade soviel aus, wie nötig war – sie sah mich jetzt unverwandt an und hatte aufgehört zu lächeln. Ihre Beine sind muskulös; als ich in sie eindrang, schlang sie sie fest um mich. Es war heftig, kurz und schweißtreibend; sie hat intensive sexuelle Gerüche. Ich vergaß den harten Boden unter mir und das heiße Wasser, das die ganze Zeit über in die riesige runde Wanne lief. Hinterher lachte sie und befreite sich. "Das war schön", sagte sie. "Ich dachte mir schon am Bahnhof, daß du nichts gegen eine nähere Bekanntschaft einzuwenden hättest." Sie sah mich neugierig an. "Hast du eigentlich mit dem Gedanken gespielt, den ersten Schritt zu tun, als ich anhielt, um dir den Wald zu zeigen? Ich kenne da nämlich einen hübschen Platz und ich dachte – " "Ich fühlte mich, glaube ich, immer noch zu sehr als Gast, um an so etwas zu denken."

"Nun ja, ich jedenfalls habe daran gedacht. Ich mochte dich, du bist ein ernsthafter Mensch, wenn auch nicht gerade ein großer Radfahrer! Du schienst nur so – ich weiß nicht recht – durcheinander zu sein. Im übrigen machen wir kaum besondere Umstände mit unseren Gästen. Man erwartet von dir, daß du überall mitmachst. Morgen werden wir dich mit zur Arbeit nehmen. Jetzt zeige ich dir, wie wir uns waschen."

Wir schrubbten uns gegenseitig mit einem merkwürdig geformten Schwamm ab und benutzten eine Schüssel dazu, Wasser aus der Wanne zu schöpfen. (Es scheint keine Duschen zu geben.) Dann stiegen wir ganz in die Wanne und ließen uns in das heiße Wasser sinken, Marissa mit einem zufriedenen Lächeln. Ich kann mich nicht erinnern, je von der äußeren Erscheinung einer Frau so hingerissen gewesen zu sein. Dabei ist sie nicht eigentlich schön, zumindest nicht nach meinen üblichen Maßstäben. Aber manchmal, wenn sie mich ansieht, sträuben sich mir die Haare, als hätte ich ein Wesen vor mir, das wild und unbegreiflich, Tier und Mensch in einem ist. Schwer zu ergründende dunkelbraune Augen. Sie wurde ein wenig grob, als wir im Wasser herumplanschten – biß mich, sprang wieder weg. Schließlich wurde mir klar, daß ich aufhören sollte, sanft mit ihr umzugehen. Verfiel aber immer wieder in eine Art von alberner Zärtlichkeit, aus der sie mich dann mit einem Stoß oder einem Biß herausholte.

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Die Sache wurde sehr aufregend. Mit glänzenden Augen sprang sie aus der Wanne und rannte tropfend zur Tür hinaus. Ich sah ihr erstaunt nach. Sie hüpfte wieder zur Tür herein, führte einen komischen, aber aufreizenden kleinen Tanz auf, verschwand, lachte, kam wieder herein – alles, ohne ein Wort zu sagen. Ich sprang aus der Wanne und lief hinter ihr her, einen Waldweg hinunter. Sie war verdammt schnell und schlüpfte geschickt zwischen den Bäumen hindurch. Wir gerieten tiefer in den Wald. Plötzlich glitt sie geduckt um einen besonders mächtigen Mammutbaum herum und verschwand in einer Höhlung am Fuße des Baums. Ich sprang hinter ihr her und fand mich in einer Art Heiligtum wieder. Sie lag dort auf einem Bett von Tannennadeln und atmete tief und keuchend. Im Dämmerlicht konnte ich schwach Amulette und Anhänger aus Knochen, Zähnen und Federn sowie schimmernd glatte Steine erkennen, die an der verkohlten Innenwand des Baumes befestigt waren. Es war, als hätte mich der Baum, irgendein mächtiger Geist, in sich aufgesogen, und ich fiel auf sie nieder, als stürzte ich aus einer großen Höhe frei durch die laue Luft, umgeben von Dunkelheit, und mein Reporter-Ich zerfloß.

Wir müssen uns stundenlang geliebt haben. Kann es nicht beschreiben. Will es nicht.

Schließlich standen wir auf und gingen zurück zum Badehaus. Marissa hielt einen Augenblick an, als wir den Baum wieder verließen, und murmelte irgend etwas Unverständliches. Mir dämmerte, daß es ein Gebet war und daß diese unglaubliche Frau eine verdammte Druidin oder so etwas ist – eine Baum-Anbeterin!

Auf dem Weg zurück ins Camp schienen meine Füße kaum den Boden zu berühren. Als wir dort anlangten, saßen alle im Speisesaal beim Mittagessen. Lärmerfüllte, heitere Szene, große, lange Tische. Die Leute lächelten uns zu, machten Platz. (Ein paar Frauen lächelten nicht – sondern taxierten mich mit ihren Blicken, wenigstens hatte ich diesen Eindruck. Ob sie alle so sind wie Marissa?)

Später sprach ich mit einem der Männer und erfuhr, daß Marissa den Ruf genießt, eine der verantwortungsbewußtesten und am härtesten arbeitenden Mitglieder des Exekutivkomitees zu sein. Schwer für mich, mir diese Seite ihrer Persönlichkeit vor Augen zu halten, obwohl ich sie im weiteren Verlauf des Nachmittags in dieser Rolle agieren sah. Wie

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sich herausstellte, hat sie einen festen Liebhaber im Camp. Sie hat es aber so arrangiert, daß sie während meines Aufenthalts mit mir Zusammensein kann. Der Freund ist blond, schüchtern, wird über alles mögliche rot, scheint aber nicht im geringsten eifersüchtig deswegen zu sein, daß seine Freundin mit mir geschlafen hat. Offensichtlich gibt es andere Frauen, mit denen er sich trösten kann! Bis zum Einbruch der Nacht war ich mir nicht sicher, wer bei wem schlafen würde. Aber sie kam in die kleine Hütte, die mir zugewiesen worden war, und ging über die ganze Situation völlig unbefangen hinweg.

Was wir sexuell machen, unterscheidet sich grundlegend von allem, was ich bisher erlebt habe. Jetzt, wo der erste Schritt getan ist, sind wir vollkommen gelöst. Wir schmusen, ringen, liegen vollkommen still nebeneinander und sehen uns an, berühren einander ganz sacht, was manchmal erotisch ist und manchmal nicht. Es scheint kein festes Programm zu geben: Ich empfinde keinen Zwang, sie zu ficken, obwohl sie für mich außerordentlich begehrenswert ist. Sie äußert sich nie in Worten, ob ihr etwas gefällt oder nicht. Es ist, als sei die ganze sexuelle ›Revolution‹ der letzten Zeit in Amerika mit ihren Forderungen und Gegenforderungen, ihrer Trainings- und Arbeitseinstellung zum Sex als einem Problem, das gelöst werden muß, aus meinem Denken verschwunden. Alles entwickelt sich aus unserem Gefühl heraus. Manchmal ist schon ein einziger Blick erregend. Manchmal kommen wir zu fast schon erschreckend orgiastischen Höhepunkten. Aber das eine erscheint deshalb doch nicht wichtiger als das andere. Auf jeden Fall ist das, was sich zwischen uns abspielt, so außergewöhnlich, daß mir ihr ständiger Liebhaber oder das, was die beiden miteinander treiben mögen, völlig gleichgültig ist.

Nur eines gefällt mir nicht: Sie läßt mich nicht mit meinem Mund an ihre Brüste. "Du bist doch kein Säugling", sagte sie, stieß mich weg und führte statt dessen meine Hand an ihre Brust: sie ist fest, paßt genau in meine Hand und reagiert sehr sensitiv, wenn sie erregt ist. "Hast du schon Kinder?" fragte ich. "Noch nicht", sagte sie, "aber bald." "Mit Everett?" "Oh nein! Wir sind nur gute Freunde – Partner fürs Bett, keine Lebensgefährten." "Wie willst du denn deinen Lebensgefährten finden?" Sie zuckte die Achseln. "Was für eine Frage! Wenn du das nicht selbst weißt?"

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Ich dachte an Pat. "Ich glaubte einmal, ich wüßte es, aber dann stellte sich heraus, daß wir nur zusammen lebten. Wir hatten zwei Kinder, aber dann war Schluß zwischen uns." "Das muß in eurem Land wohl furchtbar schwer für die Kinder sein? Selbst hier ist es schon schlimm genug, wo die Kinder neben ihren Eltern noch viele Menschen haben, die sie lieben." "Ja, das stimmt. Wenn ich noch einmal vor der Entscheidung stünde, würde ich nicht weggehen." In dem dämmrigen Licht, das durch das Blätterdach in die Hütte hineinsickerte, glaubte ich Zustimmung in ihren Augen zu lesen. Dann umarmte sie mich noch einmal und rollte sich auf die andere Seite, um zu schlafen.

 

 

In den Wäldern von Ökotopia

 

 

Healdsburg, 17. Mai. Holz ist ein wesentlicher Faktor der ökotopianischen (Miß-)Wirtschaft – nicht nur als Quelle für Baumaterial und Papier, sondern auch als Grundlage für die bemerkenswerten Kunststoffe, die von ökotopianischen Wissenschaftlern entwickelt worden sind. Gleichzeitig ist Holz die große Liebe der Ökotopianer in Stadt und Land. Sie riechen, schnitzen und polieren es mit Leidenschaft. Fragt man, warum sie immer noch ein so anachronistisches Material verwenden (das in den Vereinigten Staaten natürlich längst durch Aluminium und Plastik verdrängt worden ist), muß man auf eine heftige Reaktion gefaßt sein. Um einen stabilen Langzeitbestand an Holz zu sichern, begannen die Ökotopianer schon früh mit der Wiederaufforstung riesiger Gebiete, die vor der Unabhängigkeit von der Holzindustrie kahlgeschlagen worden waren. Sie pflanzten auch wieder Bäume auf vielen Hunderttausend Morgen Land, die man einst gerodet hatte, um Obstplantagen und Felder anzulegen – Nutzflächen, die aber mittlerweile verwildert oder zu Brachland geworden waren, weil die Landbevölkerung in die Städte geströmt war.

Ich hatte inzwischen Gelegenheit, eines der Waldcamps zu besichtigen, die für den Holzschlag und die Aufforstung zuständig sind, und habe beobachten können, wie weit die Liebe der Ökotopianer zu ihren Bäumen geht. Ein Kahlschlag wird von ihnen grundsätzlich nicht durchgeführt, und die Wälder setzen sich aus Bäumen verschiedenen Alters und auch verschiedener Arten zusammen.

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Begründet wird das damit, daß die Fällkosten pro Raummeter bei ausgewachsenen Bäumen geringer seien als bei einem Kahlschlag – aber selbst ohne diesen Vorteil müsse die Methode befürwortet werden, weil es so zu weniger Schäden durch Insekten und Erosion komme und der Baumbestand schneller wieder nachwachse. Aber solche Argumente sind vielleicht nur der intellektuelle Deckmantel für eine Einstellung, die man fast schon als Baumkult bezeichnen kann – und es würde mich nicht überraschen, wenn ich bei näherer Bekanntschaft mit dem ökotopianischen Leben Praktiken entdecke, die diese Hypothese erhärten. (Ich habe z. B. vor einigen Häusern bizarre Totempfähle stehen sehen.)

Zumindest eine Regelung der ökotopianischen Holzindustrie muß ihren Kunden barbarisch erscheinen; der Unglückliche oder die bedauernswerte Gruppe, die mit Holz bauen will, muß zunächst einmal in einem Forstlager einen ›Walddienst‹ ableisten. Innerhalb eines festgelegten Zeitraums sollen dabei – das ist jedenfalls das zugrunde liegende Konzept – die Kunden soviel zum Wachstum neuer Bäume beitragen, daß das zum Gebrauch vorgesehene Holz dadurch ersetzt wird. Daß dieses System, wirtschaftlich gesehen, ineffektiv und nachteilig ist, scheint den Ökotopianern nicht das geringste auszumachen – zumindest denjenigen nicht, die in den Holzfällerlagern wohnen und arbeiten.

Die eigentliche ›Holzernte‹ geht in Anbetracht der im allgemeinen laxen ökotopianischen Arbeitshaltung erstaunlich zügig vonstatten. In den Forstlagern wird zwar viel Zeit vertrödelt, wenn aber ein Holzfäller-Trupp an der Arbeit ist, erledigt er seine Aufgabe mit einem Tempo und einem Teamgeist, wie ich sie noch nirgendwo gesehen habe. Man fällt und behaut die Bäume mit einer seltsamen, fast religiösen Inbrunst; mit derartigem emotionalem Engagement und solcher Sorgfalt würde man bei uns Ballettaufführungen vorbereiten.

In unwirtlichen Gegenden werden dem Vernehmen nach wie in den Zeiten des Goldrausches noch Ochsengespanne oder sogar Pferde bei der Waldarbeit eingesetzt. Und in vielen Gebieten schleppt man die gefällten Baumstämme mit Hilfe von Fesselballons an Stahltrossen zu den nahegelegenen Transportstraßen. In dem Lager jedoch, das ich besichtigt habe (es mag sich dabei um einen Musterbetrieb handeln),

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sind die entscheidenden Maschinen große elektrische Traktoren mit vier riesigen Gummireiten. Angeblich richten sie am Waldboden noch weniger Schaden an als die Ochsengespanne, die das Holz auf einer Art Schlitten hinter sich ziehen. Trotz ihres Gewichts sind diese Traktoren erstaunlich wendig, da sie Vorder- wie auch Hinterradlenkung besitzen. In der Mitte befindet sich ein geschütztes Führerhaus; vorn ist eine Greifklaue angebracht mit einer Motorsäge, die so montiert ist, daß sie alle Bäume bis hin zu den dicksten Stämmen in einer Höhe von etwa zehn Zentimetern über dem Boden fällen kann. (Das ist nicht nur schön fürs Auge, sondern bringt angeblich auch einige Millionen Raummeter Stammholz mehr im Jahr ein und erleichtert die Bestellung des Waldbodens.) Mit dieser Säge können die Bäume auch auf die passende Verladelänge zugeschnitten werden.

Am anderen Ende des Traktors befindet sich eine zweite metallene Greif klaue, die einen Baumstamm fassen und drehen kann, bis er sich in Längsrichtung über dem Traktor befindet. Dann wird er zur Transportstraße gebracht und auf große Lastwagen verladen.

Ökotopianische Waldhüter behaupten, daß mit diesen Maschinen auch bei trockenem Wetter Holzfällerarbeiten ohne Risiko möglich sind, da keine Abgase das Unterholz in Brand setzen können. Es scheint auch richtig zu sein, daß ihre Methoden das Gefüge des Waldes kaum antasten – er macht weiterhin einen natürlichen und reizvollen Eindruck. Normalerweise wachsen verschiedene Baumarten am gleichen Standort nebeneinander: dadurch werden bessere Lebensbedingungen für die Tiere geschaffen und die Gefahr eines verhängnisvollen Insekten- und Pilzbefalls verringert. Interessanterweise läßt man einige abgestorbene Bäume stehen – als Behausung für insektenfressende Spechte! Einzelne Waldwiesen gehören zu einem Lebensraum, wie ihn Rehe und andere Tiere benötigen. Die Saat der älteren Bäume sorgt auf natürlichem Wege für neue Schößlinge, so daß die Waldhüter heute eine künstliche Bepflanzung im allgemeinen nur noch in Gebieten durchführen, die wiederaufgeforstet werden sollen. Das dichte Blätterdach hält den Waldboden kühl und feucht; es ist angenehm, hier spazierenzugehen. Obwohl es während meines Aufenthalts einige Stunden lang regnete, konnte ich feststellen, daß der Fluß in der Nähe des Lagers keinen Schlamm führte – es stimmt offenbar,

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daß die ökotopianische Forstwirtschaft die Bodenkrume schont, die Erosion einschränkt und den Fischbestand schützt. (Ich habe zwar keine Fische gesehen – aber ich gehöre zu den Leuten, die das auch sonst nur selten tun.)

In den Holzfällerlagern selbst gibt es keine Sägemühlen, sondern nur tragbare Kleinsägen, mit denen man geringe Mengen roher Bretter zum Eigenbedarfzuschneiden kann. Die eigentliche Verarbeitung, das Ablängen und Zersägen sowie das Schnitzeln des Holzes für die Zellstoffgewinnung findet in Sägemühlen statt, die auf dem offenen Land liegen und die Baumstämme von den Forstlagern beziehen. Die fertigen Bretter werden fast ausschließlich im umliegenden Bezirk verkauft, der etwa Landkreisgröße hat. Überhaupt gehen Holzverkäufe ausnahmslos ins Inland; Ökotopia stellte sofort nach der Unabhängigkeit den Holzexport ein. Es heißt, daß bereits in den Anfängen der neuen Nation ein Holzüberschuß vorhanden war, da die Exportmenge der USA zuvor etwa 50 % des Eigenbedarfs für den Hausbau betragen haben – wobei der Großteil dieses Holzes aus dem Westen stammte. Wenn man den ökotopianischen Waldhütern Glauben schenken will, hat sich durch den Exportstopp die Holzmenge pro Kopf der Bevölkerung mehr als verdoppelt. Dennoch bestehen zur Zeit keinerlei Pläne, den Export wiederaufzunehmen.

Interessanterweise sind die riesigen Diesellastwagen zum Transport der Baumstämme Gegenstand von Auseinandersetzungen unter den Ökotopianern. Mehrere Forstarbeiter entschuldigten sich bei mir dafür, daß diese lauten, stinkenden und schwerfälligen Fahrzeuge immer noch nicht aus dem Verkehr gezogen seien. Und doch scharen sich nach Feierabend viele Leute um die Wagen und bringen sie auf Hochglanz – eine der ganz wenigen Gelegenheiten in dieser autolosen Gesellschaft, bei der Männer noch ihrer Vorliebe für starke Maschinen frönen können. Einem Lastwagen fehlte die Stoßstange, und man hatte statt dessen ein großes, massives Stück Holz montiert. Wenn sie ausgedient haben, sollen die Lastwagen durch elektrische Fahrzeuge ersetzt werden. In der Zwischenzeit aber führt man temperamentvolle Diskussionen über die Frage der Stoßstangen – die radikalen Ideologen verlangen, daß die Stoßstangen (die aus rostfreiem Edelstahl und nicht aus Chrom bestehen) alle durch Holz ersetzt werden, während die Traditionalisten

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darauf bestehen, daß man die Lastwagen wie Museumsstücke behandelt und in ihrem ursprünglichen Zustand beläßt. Die Auseinandersetzung steht in etwa unentschieden, was vorerst den Sieg der Traditionalisten bedeutet, da eine Änderung in einer so ›schwerwiegenden‹ Angelegenheit nur bei allseitiger Zustimmung vorgenommen wird.

Unsere Wirtschaftswissenschaftler würden die ökotopianische Holzindustrie sicher als einen einzigen großen Widerspruch ansehen. Aus meiner Warte kann ich freilich nur allgemeine Schlußfolgerungen ziehen. Die Ökotopianer halten Bäume zweifellos für Lebewesen in einem fast menschlichen Sinn – einmal beobachtete ich, wie ein ganz normal wirkender junger Mann, der auch nicht unter Drogen zu stehen schien, sich gegen eine große Eiche lehnte und murmelte: "Baum, mein Bruder!" Und es steht ebenfalls fest, daß Holz in Ökotopia billig und reichlich vorhanden ist, wie unorthodox die Methoden der Forstwirtschaft auch sein mögen. Holz nimmt daher hier den Platz ein, den bei uns Aluminium, bituminöser Verputz und viele andere moderne Materialien innehaben.

Es ist ein wichtiger Nebeneffekt der ökotopianischen Forstpolitik, daß man ausgedehnte Gebiete, die so steil oder zerklüftet sind, daß ein Holzschlag Erosion hervorrufen würde, offiziell zur Wildnis erklärt hat: sämtliche Holz- und Brandschneisen sind hier beseitigt worden. Solche Gebiete werden jetzt nur noch als Camping-Gelände oder Wildreservate genutzt, wobei man anscheinend das erhöhte Risiko von Waldbränden in Kauf nimmt. Interessant ist übrigens, daß in den ökotopianischen Wäldern, verglichen mit unseren, eine geradezu unheimliche Stille herrscht, da es hier weder Geländemotorräder noch sonstige Allzweckfahrzeuge, keine Flugzeuge am Himmel und im Winter keine Motorschlitten gibt. Man ist auf Fußpfade angewiesen und kommt so nur langsam voran.

Hat der ökotopianische Viehbestand oder die landwirtschaftliche Produktion unter der Umwandlung so weiter Landstriche in Waldgebiete gelitten? Offenbar nicht! Gemüse, Getreide und Fleisch werden zu akzeptablen Preisen angeboten, und Rinderherden gehören zum gewohnten Landschaftsbild. Da die Tiere nicht wie bei uns in Mastfarmen zusammengepfercht sind, hat der fast ausgestorbene Beruf des Cowboys neue Bedeutung gewonnen.

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Auf den Vieh-Ranches im Vorgebirge der Sierra ist man zu dem alten Brauch zurückgekehrt, die Herden im Sommer in die Hochtäler zu treiben, wo sie auf den saftigen Bergweiden grasen können. Eine wissenschaftliche Erforschung der Weidegebiete hat dazu geführt, daß man heute urwüchsigere Grasarten aussät, die dem Klima besser angepaßt und widerstandsfähiger gegen Überwucherung durch Disteln sind. Nur in wenigen Gebieten – dort, wo man Milchwirtschaft betreibt – werden die Weiden bewässert.

Die große Liebe der Ökotopianer sind jedoch ihre Wälder. Ihnen widmen sie ihre ganze Fürsorge, wobei sie auf ein vorschriftsmäßiges stabiles Gleichgewicht achten. In ihrem Feldzug für einen natürlichen Zustand der Natur können sie hier bereits große Erfolge vorweisen.

 

(18. Mai) Marissa meint, ich hätte eine zimperliche Einstellung zur Gewalt. Macht sich über die amerikanische Kriegstechnologie lustig, behauptet, wir hätten sie entwickeln müssen, weil wir es nicht mehr ertragen könnten, einen Menschen einfach mit dem Bajonett zu erstechen – wir würden 50000 Dollar ausgeben und ihm von der Stratosphäre aus den Garaus machen, nur um Schuldgefühlen aus dem Wege zu gehen. Der Grund: Gestern abend habe ich meinen Abscheu über ihre rituellen Kriegsspiele zum Ausdruck gebracht. "Mensch, du wirst begeistert sein", sagte sie unbekümmert, "du bist gerade reif dafür!" Dies mit blitzenden Zähnen: Sie vermag mir immer noch etwas Angst einzujagen und ist sich manchmal ihrer Stärke, rein animalischer Stärke, sehr bewußt. Und dann schallendes Lachen. Sie telefonierte, um einen Besuch der Kriegsspiel-Veranstaltung zu arrangieren, die nicht weit von hier im Norden stattfinden soll und an der sich einige ihrer Freunde beteiligen werden. Ihre Augen leuchteten übermütig, während sie alles verabredete. Bevor sie noch das Bildtelefon eingehängt hatte, lagen wir schon wieder übereinander. Unkontrolliertes Gekicher.

Sie findet meine fragwürdigen Gefechte gegen die ökotopianischen Sitten und Wertvorstellungen liebenswert komisch. In ihren Augen bin ich von einer kindlichen Verschwendungssucht. Heute Morgen hatte ich einige Zeilen auf ein Blatt Papier geschrieben, war dann damit unzufrieden und warf die Seite weg; sie hob sie auf und runzelte die Stirn.

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"Du hast erst ein kleines Stück beschrieben." "Na ja, es ist nichts geworden, ich wollte neu anfangen." "Warum kannst du nicht weiter unten neu anfangen? Du bist es, der neu anfängt, nicht das unschuldige Papier! Denk an den Baum, aus dem es gemacht worden ist." Ich zerriß das Papier und warf die Schnitzel nach ihr... Andererseits wird sie wütend und beschuldigt mich, distanziert und unmenschlich zu sein, wenn ich in Gleichgültigkeit oder reine amerikanische Sachlichkeit verfalle. Manchmal aber, wenn ich still irgendwo liege, nachdenke oder schreibe, blickt sie mich an, als sei ich einfach ein Mitmensch und keineswegs lächerlich unökotopianisch. Wenn ich es mir recht überlege, haben wir uns gerade in solchen Momenten am zärtlichsten geliebt. Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um den Zug zurück in die Stadt zu nehmen und an meinem nächsten Artikel zu arbeiten. Wir fuhren mit dem Rad zusammen zum Bahnhof. Als die Warnglocke die Einfahrt des Zugs ankündigte, überkam mich ein überraschendes Gefühl der Leere, und ich platzte heraus: "Komm mit, Marissa." Sie nahm mich fest in die Arme und sagte: "Ich möchte gern, aber ich kann nicht. Morgen werde ich kommen. Bei Sonnenuntergang." Der Zug brauste herein, der Luftstoß warf uns zurück. Ich stieg ein, und wir blickten uns durch die großen Fenster in die Augen, bis der Zug anfuhr. Während ich hier sitze und versuche, meinen Bericht über die ökotopianische Bevölkerungspolitik fertigzustellen, muß ich immer wieder an den ernsten eindringlichen Ausdruck ihrer Augen denken. Morgen abend wird sie hier sein, hier in meinem Zimmer ...

Es ist schön, wieder im Cove zu sein. Langsam lerne ich die Leute hier alle kennen und fühle mich als Mensch und Kollege akzeptiert, obwohl ich Amerikaner bin. Bert ist, wie die meisten Ökotopianer, ungeheuer großzügig, richtiggehend brüderlich – aber ohne die Konkurrenzhaltung, die damit vermischt sein kann. Nimmt sich viel Zeit, mich in alles einzuweihen, macht mich mit wichtigen Leuten bekannt, leiht mir Hemden, schenkte mir einen Federhalter, den ich schön fand. Ob es vielleicht ihre Ökonomie des biologischen Überflusses ist, die ihnen diese Großzügigkeit verleiht?

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Er hat meine Berichte gelesen, macht Witze darüber, daß man unter dem Titel ›Westons Fortschritte‹ Enthüllungen in der Times bringen sollte, glaubt aber, daß ich ernsthaft bemüht bin, meine ›Vorurteile‹ zu überwinden. Meinen Holzfällerartikel findet er bis jetzt am besten, und er sagt anzüglich, daß Marissa mich wohl inspiriert haben müsse. (Ich habe ihm von unserer Begegnung erzählt, wenn auch keine Einzelheiten.) Der Artikel über Alviso gefällt ihm ebenfalls. "Aber die Sportgeschichte war fürchterlich. Von solchen Sachen solltest du besser die Finger lassen. Willst du dich wirklich an die rituellen Kriegsspiele heranwagen?" Ich erzählte ihm, daß Marissa alles bereits in die Wege geleitet habe und daß ich in ein paar Tagen bei einem Spiel als Zuschauer dabeisein würde. Er sah mich unsicher an. "Hoffentlich geht das gut", sagte er. "Es ist wahrscheinlich die heikelste Angelegenheit, mit der du es hier zu tun bekommen wirst. Wenn du möchtest, kann ich dir vielleicht ein bißchen helfen. Ich würde gern einen Blick in dein Konzept werfen, dir ein paar Hintergrundinformationen geben."

"Sehen kannst du es natürlich", erwiderte ich, "aber geschrieben wird es so, wie ich es für richtig halte." Nach ökotopianischer Sitte besiegelten wir dies mit einem Händedruck.

 

(Später) In der Nacht unangenehmer Besuch von der ökotopianischen Spionage-Abwehr, die irgendwie Wind von meinem Kontakt mit dem Untergrund bekommen hat. (Oder bin ich beschattet worden?) "Es steht Ihnen natürlich vollkommen frei zu sprechen, mit wem Sie wollen, solange Sie in Ökotopia sind", sagten sie. "Sie sollten aber nicht glauben, daß wir nichts von den Geheimoperationen Ihrer Regierung wüßten. Wenn Sie klug sind, vergessen Sie, diese Botschaft in Washington zu übermitteln."

"Und wenn ich es nicht vergesse?" "Dann werden Ihre Freunde hier nur noch größere Schwierigkeiten bekommen." "Sie sind nicht meine Freunde." "Warum wollen Sie dann ihre Botschaft weiterleiten?" "Ich habe es nicht gern, wenn man versucht, mich einzuschüchtern."

Sie lächelten. "Ein kleines Land wie das unsere soll ein großes Land wie Ihres ›einschüchtern‹? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht." Es entstand eine Pause. Ich hätte zu gern gewußt, inwieweit sie informiert waren über das, was ich gesagt hatte.

"Weston, Sie sind kein Dummkopf. Wir wissen auch, daß Sie kein Spion sind. Aber erwarten Sie ernstlich. daß jemand, der sich wie ein Spion benimmt, von der Präsidentin empfangen wird?" - "Also gut", erwiderte ich. "Sie haben gewonnen. Keine Botschaft."

Eine brenzlige Situation – ich muß auf der Hut sein. Diese Ökotopianer sind keineswegs so lässig, wie sie aussehen. Und um ehrlich zu sein, ich bin auch erleichtert – mochte diese Leute nicht sonderlich. Habe die Liste mit den Namen und den Treffpunkten verbrannt.

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