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1.3   Aristophanes: Satire und Kritik der Utopien

 

 

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Bevor wir Griechenland verlassen, sollten wir noch einen Blick auf die satirischen Utopien des Aristophanes werfen, denn ihr Einfluß ist gegenüber den Utopien, die sie lächerlich machen wollen, nur zweitrangig.

Aristophanes' Stücke geben uns darüberhinaus eine Vorstellung davon, wie die Öffentlichkeit im allgemeinen die Entwürfe der großen Philosophen aufnahm. Ihre Reaktion muß sich von der der Schüler in den Gymnasien sehr unterschieden haben, die immer bereit waren, neue Ideen mit der Begeisterung und Vorurteilslosigkeit der Jugend zu diskutieren und zu akzeptieren.

Obwohl Aristophanes uns einen Zerrspiegel der öffentlichen Meinung seiner Zeit vorhält, gibt es in seinen Stücken doch einen Anflug von Authentizität. Seine Darsteller reden über Platos Kommunismus ähnlich wie die meisten Leute heute über Bolschewismus (oder über Anarchismus). 

Die Mehrheit der alten Griechen wie die Mehrheit der modernen Menschen taten wahrscheinlich den Kommunismus ab als eine Gesellschaftsform, wo die Frauen allen gehören, niemand arbeiten will, alle betrunken und überfressen sind.  

Aristophanes lacht und spottet mit ihnen, doch gelegentlich bringt er ein paar bessere Argumente zugunsten des Kommunismus vor als Plato selbst. 

Praxagora, die eine Revolution von Frauen anführt, die das Eigentum abschaffen und eine Regierung der Vielen errichten will, gibt eine überzeugendere Protagonistin ab als Sokrates. Und so beschreibt sie ihrem Mann, Blepyros, wie sie diese glückliche und freie Gesellschaft herbeiführen will:

praxagora: Hört: Alles wird künftig Gemeingut sein, und allen wird alles gehören,
Sich ernähren wird einer wie alle fortan, nicht Reiche mehr gibt es noch Arme,
Nicht besitzen wird der viel Jucharte Lands und jener kein Plätzchen zum Grabe;
Nicht Sklaven in Meng' wird halten der ein, und der andre nicht einen Bedienten,
Nein, allen und jeden gemeinsam sei gleichmäßig in allem das Leben!

BLEPYROS: Wie? Alles gemeinsam? Wie soll das gehn? 

praxagora: Weg schnappst du den Dreck, eh' er da ist! 

blepyros: Zur Gemeinschaft der Güter gehört auch der Dreck? 

praxagora: Nein, aber du störst mich im Reden. 
Das wollt' ich ja eben erörtern: Nun seht, zuvörderst erklär' ich die Äcker  
Für Gemeingut aller. Auch Silber und Gold und was alles der einzelne sein nennt!  
Wenn also die Güter vereinigt, sind wir es, die Frau'n, die euch nähren und pflegen. 
Wir verwalten und sparen und rechnen, besorgt, nur das Beste von allen zu fördern. 

BLEPYROS: Wie aber, wenn einer nicht Äcker besitzt, nur Silber und goldne Dareiken  
Und verborgene Schätze? 

praxagora: Die liefert er aus der Gesellschaftskasse, und zahl er 
Nicht ein, so begeht er des Meineides Schuld — 

blepyros: Die ihm eben die Schätze verschafft hat! 

praxagora: Das kann ihm ja aber inskünftig doch nicht im mindesten nützen! 

blepyros: Wieso denn? 

praxagora: Aus Mangel wird nie mehr ein Mensch sich vergehn; 
denn alles ist Eigentum aller, 
Brot, Kuchen, Gewänder, gepökeltes Fleisch, Wein, Erbsen und Linsen und Kränze. 
Was gewänne denn einer, der nicht einzahlt? Ja, besinne dich nur und belehr' uns! 

blepyros: Ei, stehlen denn die nicht am meisten auch jetzt, die am meisten zuvor schon besitzen? 

praxagora: So war es, mein Bester, solang wir uns noch in den alten Gesetzen bewegten, 
Doch von nun an, wenn alles Gemeingut ist: was gewinnt, wer das Seine nicht einlegt? 

blepyros: Sticht einem ein Dirnchen ins Auge, begehrt er und brennt er, zu ihr sich zu legen, 
Die beschenkt er von dem, was zurück er behielt, und läßt nach gehabtem Privatspaß 
Vom Gemeingut wieder sich füttern. 

praxagora: Was schwatzt du?

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Er kann ja umsonst sie beschlafen, 
Denn Weiber auch werden Gemeingut sein, und zu jedem wird jede sich legen 
Und schwängern sich lassen von jedem, der will! 

blepyros: Doch wie, wenn auf eine dann alle 
Losgehn, auf die Schönste, — wie sollten sie nicht? — und begehren, mit ihr sich zu paaren? 

praxagora: Stumpfnasige, häßliche Weiber sind stets an der Seite der hübschen gelagert:
Wer die Schöne begehrt, der bequeme sich nur, erst das häßliche Weib zu besteigen! 

blepyros: Wie aber, wir alten, wie machen denn wir's, wenn die Häßlichen erst wir befriedigt, 
Daß der Schweif nicht erlahmt, eh' das Ziel erreicht, das ersehnte, zu dem er sich durchgekämpft? 

praxagora: Oh, sie wehren sich nicht! 

blepyros: Ih, wogegen?

praxagora: Ei, mach dir nicht Grillen! Es wehrt sich nicht eine! 

blepyros: Wogegen denn? 

praxagora: Gegen des Mannes Begehr, und da wird es ja immer noch gehen!

blepyros: Ei der Tausend, für euch ist vortrefflich gesorgt! Da kann es ja niemals passieren, 
Daß ein Loch leer bleibt! Doch ich frage: Wie wird für die Männer das Ding sich gestalten? 
Mit den häßlichen Männern gibt keine sich ab, um die blühenden wird man sich reißen! 

praxagora: Auf der Lauer dann stehen die häßlichen Frau'n, wenn die schöneren Männer vom Schmause 
Heimkehren, und wach auf dem Posten auch sind an der Straße die häßlichen Männer, 
Und so kommen die Frauen denn niemals dazu, bei den schöneren Männern zu liegen, 
Sie hätten zuvor denn den Willen getan den kleinen, verkrüppelten Burschen. 

blepyros: Da wird ja die Nase Lysikrates hoch, wie der schmuckste der Jünglinge tragen! 

praxagora: Bei Apollon! Und ganz demokratisch fürwahr ist der Plan und der bitterste Ärger
Für die Junker, die stolz vor dem Volke sich blähn und mit goldenen Ringen sich brüsten,
Wenn zu ihnen der Mann in den Holzschuh'n tritt und sie anfährt: 'wart nur ein wenig!
Erst ich, dann du! wenn ich fertig, dann laß du die Stoppelernte dir schmecken! 

blepyros: Nun aber, wie wird es bei solchem Verkehr mit den Kindern? — 
Wie findet denn jeder Die Seinen heraus? 

praxagora: Ei, wozu denn auch das? Als Väter betrachten die Kinder 
Jedweden, der älter als sie aussieht und ein paar Jahrzehnte voraus hat.

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blepyros: Dann haben sie recht, wenn den älteren Mann sie mißhandeln, den ersten, den besten:
Denn sie kennen ihn nicht, den sie prügeln! Doch jetzt, wohl kennen die Söhne die Väter
Und prügeln sie doch! Wer den Vater nicht kennt, darf ihm auf die Nase wohl kacken! 

praxagora: Das duldet kein Bürger, der eben es sieht! - Sonst freilich bekümmerte niemand
Sich um andre, die Prügel bekamen: fortan, wo ein schallender Klaps nur gehört wird,
Da beeilt sich ein jeder zu wehren: denn leicht ist sein Vater ja selbst der Geschlagne! 

blepyros: Nun, im ganzen gefällt mir nicht übel der Plan. Doch gesteh' ich, mich würd' es verdrießen, 
Wenn je Epikuros den Titel Papa mir oder Leukolophas gäbe! 

Praxagora: Da mein' ich, es wäre viel schrecklicher noch als dieses —

blepyros: — Was gibt es noch Ärgeres? 

praxagora: Nun, wenn Aristyllos als seinen Papa dich begrüßte und zärtlich dich küßte! 

blepyros: (macht die Handbewegung einer Maulschelle:) An dem würd' ich mich rächen..... 

praxagora: Was hälf's? Du röchest dann eben nach Stinkkraut! - Doch er ist ja geboren, eh' dieses Gesetz wir gegeben, drum magst du der Sorge] Dich entschlagen: er küßt, bei Apollon, dich nicht! 

blepyros: Oh, mir ekelt, daran nur zu denken! Doch sagt, wer besorgt denn den Ackerbau? 

praxagora: Das Gesinde! — Dein ganzes Geschäft ist, Nach dem Schatten zu schaun, wenn er zehn Schuh mißt: dann verfügst du gesalbt dich zum Essen. 

blepyros: Die Bekleidung jedoch, wer, versieht uns mit der? Denn auch dieses verlang' ich zu wissen. 

praxagora: Ihr behaltet vorerst, was ihr tragt, auf dem Leib; wir weben in Zukunft euch neue. 

blepyros: Nur dieses noch sag mir: Wenn einer, gebüßt von der Obrigkeit, Geld soll erlegen, Wo nimmt er es her? Vom gemeinsamen Gut es zu zahlen, das wäre doch unrecht.

praxagora: Zu Prozessen kommt es in Zukunft nicht mehr. 

blepyros: Oh, wie viele dann gehen zugrunde! 

praxagora: Das hab' ich auch weislich erwogen. Wozu Prozesse, was sollen sie nützen? 

blepyros: Was sie nützen? Gar viel, bei Apollon! Nur eins will ich nennen vörderst: Wenn einer Seine Schuld ableugnet dem Gläubiger? 

praxagora: Du! Was für Geld zu verleihen denn hat er, Wenn alles zusammen Gemeingut ist? Du begreifst doch: er müßt' es ja stehlen!

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blepyros: Bei Demeter, das hast du recht bündig erklärt, nun möcht ich nur dieses noch fragen:
Wie soll denn ein Raufer, der Bürger im Rausch mißhandelt, das Schmerzensgeld zahlen
Und büßen, der ochsige, boxige Kerl! — Da wirst du den Kopf dir zerbrechen! 

praxagora: Den straft man am Essen! Denn schmälert man ihm die Genüsse der Tafel, so hütet
Sich der Schuldige wohl vor Injurien, die rieh zurück auf den Magen ihm werfen.

blepyros: Auch stehlen wird keiner? 
praxagora: Wie kam' er dazu, zu stehlen, wo alles auch sein ist? 

blepyros: Für die Mäntel ist nichts mehr zu fürchten bei Nacht? 

praxagora: Nichts, weder daheim in der Kammer Noch draußen, wie sonst, auf der Straße: besitzt doch ein jeder, was irgend ihm not tut!
Und würde je einer dich plündern, du gäbst ihm den Mantel mit Freuden! Wie solltest Du dich sträuben? — Du gehst, und ein schönerer wird dir gereicht aus dem Gut der Gesellschaft.

blepyros: Auch Würfel dann spielen die Leute nicht mehr? 

praxagora: Und um was denn sollten sie würfeln? 

blepyros: Und wie richtest du's denn mit den Wohnungen ein? 

praxagora: Auf das beste für alle! Die Stadt hier
Verwandl' ich in eine Behausung und stürz' und zertrümmre die scheidenden Wände,
So besucht dann jeder den andern bequem — 

blepyros: Und die Tafel, wo richtest du diese? 
praxagora: Die Gerichtshof all' und die Hallen der Stadt in Gesellschaftssäle verwandl' ich.
blepyros: Mit der Rednerbühne, was fängst du denn an? 
praxagora: Dort stell' ich die Wassergefäße und die Weinkrüg' auf! 
Dort mögen auch Kriegslieder zu Ehren der Tapfern
Anstimmen die Knaben, auch Lieder des Spotts, wenn sich einer als Memme benommen, 
Damit er beschämt sich entferne vom Mahl. 
blepyros: Beim Apollon, die Sache gefällt mir!
Wo stellst du die Urnen zum Losen denn hin? 
praxagora: Auf dem Marktplatz stell' ich sie neben
Das Harmodiosbild, und ich lade das Volk, und ich ziehe die Lose für alle; 
Froh wandelt dann jeder, sein Los in der Hand, wo der Buchstab eben ihn hinweist.

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Platos Gemeinwesen war für Übermenschen bestimmt, die allen Freuden entsagten, den Tafelgenüssen, dem Lachen, der Dichtung, der Musik und der Liebe. Praxagoras Utopie ist die der einfachen Leute, die zum Glück nichts davon halten, daß schöne Männer oder Frauen nur gefreit werden sollten, um schöne Kinder zu machen, und daß der Mensch schlecht ist, wenn er die weniger edlen Lebensfreuden genießt. Ihr Kommunismus ist kein Kommunismus der Askese, sondern des Überflusses mit Kuchen, Gerstenbrot, Kastanien, Kleidung im Überfluß, Wein, Girlanden und Fisch.

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Aristophanes ist oft als Reaktionär hingestellt worden, weil er sich über Sokrates und Plato lustig machte. G. Lowes Dickinson zum Beispiel sagt von ihm, er wäre ein Verfechter des instinktiven Lebens... der alten Religionen, der alten Sitten und der alten Traditionen, und in den Wolken sieht er im wesentlichen ein besseres Torytum. Man ist aber eher geneigt zu glauben, daß Aristophanes die alten Institutionen nur verteidigte, weil er befürchtete, daß die neuen, von autoritären Philosophen aufgestellten, noch schlimmer wären als die alten. In Die Vögel macht er nicht nur die griechische Mythologie lächerlich, sondern auch einen frustrierten, machtlüsternen Politiker, dem es gelingt, die Vögel zur Befriedigung seiner „imperialistischen" Ambitionen zu benutzen. Vor der Ankunft des Peisthetarius, einem athenischen Abenteurer, führten die Vögel ein etwas primitives, doch glückliches und sorgloses Leben, und ihre Zeit verging als ob man ein Hochzeitsleben führte. Ihr König beschreibt ihr Leben mit folgenden Worten:

Der Aufenthalt mir recht gefällt;
man lebt hier erstens ohne Geld...
Wir leben von dem, was der Garten zeitigt,
von Mohn, von Sesam und von Myrthe...

Die erste Aufgabe des athenischen Politikers und Demagogen ist es nun, den Stolz der Vögel zu erwecken und sie davon zu überzeugen, daß sie den Göttern überlegen sind und die Erde regieren sollten. Ihr leichtgläubiger König macht sich zum Fürsprecher des Peisthetarius und fordert die Vögel auf, dem Beispiel der »zivilisierten" Nationen zu folgen:

Der Weise lernet auch vom Feind und Vorsicht macht erfinderisch:
was dir nicht zeigen kann der Freund,
die Angst vorm Feinde lehrt es dich!
Vom Freund nicht lernt man auszudauern,
verschanzet hinter Turm und Mauern;
und auch die Flotte wohlbewehrt,
wodurch man Kinder, Hab und Gut
errettet aus des Krieges Wut:
all das hat nur der Feind gelehrt!

Und die vom „nationalistischen" Geist infizierten Vögel machen sich daran, in ihrem Reich der Lüfte eine Stadt zu bauen, größer und mächtiger als Babylon. Es gelingt ihnen, die Götter in Schrecken zu versetzen, doch sie gewinnen nichts dabei; sie müssen ihre Zeit damit verbringen, die Stadt zu bauen, zu befestigen und zu bewachen, und ihr Leben ist kein Hochzeitsleben mehr.

Es fällt schwer, nicht mit Aristophanes' Satire auf die Stadtplaner, Moralisten und Philosophen, deren Ideen sich gegen das instinktive Leben der Leute richteten, zu sympathisieren. Und trotz all seiner Einfachheit scheint das Königreich der Vögel ein angenehmerer Ort zu sein als der Staat.

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