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12.  Umwandlungsstufen von Arbeit

 

 

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Als eine neue Begrifflichkeit will ich hier die Umwandlungsstufen von Arbeit einführen. Umwandlungs­stufen von Arbeit sind z.B. Tauschhandel, Geld, Steuern, Vorräte, Ideen, Informationen, Freizeit, Verwaltung, Versich­erungen usw. 

Je mehr Umwandlungs­stufen die Arbeit unterliegt, um so mehr muß gearbeitet werden, damit für den eigentlichen Arbeitenden noch etwas übrig bleibt, und um so mehr Umweltzerstörung wird produziert. Es gibt lineare Umwandlungs­stufen, die zu einem linearen Wachstum der Arbeit führen, und es gibt exponentielle Umwandlungsstufen, die zu einem exponentiellen Wachstum der Arbeit und der Umwelt­zerstörung führen. Ein Beispiel für eine relativ lineare Umwandlungsstufe ist der Tauschhandel, ein Beispiel für die exponentielle Umwandlungsstufe sind Geld und Zinsen oder Steuern.

Die erste und ursprüngliche Umwandlungsstufe war die Erfindung des Ackerbaus. Sie führte bekanntlich zur Vorratswirtschaft und damit zum Arbeitswachstum und zur Naturzerstörung durch Bodenerosion. Zur Zeit der Römer erreichten die Umwandlungs­stufen der Arbeit bereits ein sehr komplexes Stadium. Die Römer besaßen eine ausgeprägte Geldwirtschaft und ein entwickeltes Transportsystem, ein differenziertes Steuer- und Abgabesystem, ein entwickeltes Mietwohnsystem, ein Freizeit­system, ein organisiertes Kultursystem und eine hochentwickelte Luxus­güterindustrie. 

All diese Systeme wirkten arbeits­schöpfend, indem sie den einzelnen dazu trieben, mehr zu arbeiten, um mehr zu behalten, weil er entweder Abgaben leisten mußte oder weil er an den Systemen teilnehmen wollte.

Dieses Mehr an Arbeit ist nicht zu erzielen durch mehr Schnelligkeit, durch rationelleres Arbeiten oder durch geplanteres, durchdachteres Arbeiten.

Der größte Produktionssprung in der Arbeit ist immer nur durch eine größere Ausbeutung der Natur erreicht worden. Die Ausbeutung der Natur findet entweder statt durch Entnahme der natürlichen Güter wie Wälder, Boden, Wasserverbrauch oder Bodenschätze oder durch unmittelbare Nutzung der Ressourcen Luft, Wasser und Boden.

Das Wahnsinnige dieses Systems besteht darin, daß derjenige, der die Ausbeutung betreibt, das Gefühl hat, selbst sehr intensiv zu arbeiten. Er glaubt, seine eigene Arbeitsleistung steige und er vermöge mit gleich großem Kraft- oder gleich großem Gedankenaufwand eine wesentlich höhere Leistung zu erbringen. 

Erst heute - am Ende dieses langen Weges - wissen wir, oder vielleicht auch immer noch nicht, daß dies ein Trugschluß ist und daß der Steigerung der Produktivität unweigerlich eine Steigerung der Zerstörung gegenübersteht.

 

Für alle diese Produktivitäts­steigerungen gilt der Entropiesatz, daß also alles, was wir arbeiten, in der einen oder anderen Form als Wärme in unsere begrenzte Atmosphäre geht und den allgemeinen Wärmetod unseres Systems beschleunigt. Die Unterschiede in der Ausbeutung der Natur und der Zerstörung der Umgebung bestehen lediglich in der Art der Entnahme und in der Rück­führung der Zerstörung.

Dabei war die Entnahme der Römer im Grunde zwar noch intensiver als unsere heutige, weil wesentlich weniger Menschen wesentlich mehr Umwelt­zerstörung hervorgebracht haben. Theoretisch hätte aber die Art der Entnahme, die lediglich aus der Biosphäre erfolgte — bis auf die Bodenschätze —, sogar günstiger ablaufen können, wenn ein wenig mehr Sorgfalt auf die Rekultivierung der Böden und der Wälder verwendet worden wäre. Im Vergleich zu uns Heutigen waren die Überlebens­chancen der Römer damit größer, denn sie steigerten ihre Arbeitsproduktivität nur mit mechanischen Mitteln. Der beschleunigende Faktor bei den Römern war aber die Vielzahl der Umwandlungsstufen der Arbeit, die im Grunde bis auf wenige Ausnahmen schon mit unseren heutigen Umwandlungsstufen vergleichbar waren. Es fehlten ihnen lediglich ein noch weiter entwickeltes Land­transport­system und ein gutes Nachrichten­system, um die Zerstörungs­geschwindigkeit der heutigen Kulturen, die aus den Umwandlungs­stufen der Arbeit resultieren, zu erreichen.

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Der aber wirklich entscheidende Unterschied zwischen unserem heutigen Arbeits­zerstörungs­potential und dem der Römer ist der Faktor der Chemie, der aus dem Kohle- und Ölverbrauch für Energiezwecke und aus der Petrochemie resultiert. Obwohl wir mechanisch wesentlich sorgsamer als die Römer mit unseren Bio­ressourcen umgehen, bringen wir chemisch ein Zerstörungs­potential auf, das wahrscheinlich 100.000mal größer ist. Das bedeutet, wofür die Römer immerhin noch ca. 1200 Jahre brauchten, schaffen wir an Zerstörung wesentlich schneller und wesentlich gründlicher mit unserer Arbeit.

 

Dazu muß man sich immer wieder klarmachen, daß ein Ökobäcker von heute genauso viel Brot backen kann wie ein Bäcker in Pompeji oder in Babylon. Vergleicht man aber den Ökobäcker und den Bäcker aus Pompeji mit dem Steuerungstechniker an der Backstraße einer Brotfabrik, so produziert jener wahrscheinlich 10.000mal mehr Brote am Tag, aber gleichzeitig ruiniert er damit mehrere hundert Quadratmeter Land, 100.000 Liter Wasser und mehrere Millionen Kubikmeter Luft. Durch seine Produktion schafft er darüber hinaus einige 10.000 Mark Mehrwertsteuer, unterhält Lebensmittel­hygieniker, gibt Lebensmittel­forschern an der Universität das Gefühl von produktiver Arbeit, schafft Arbeitsplätze im Maschinenbau- und Computerbereich, und wenn er darüber hinaus nur noch 35 Stunden arbeitet, kann er Skilaufen oder leistet sich als Hobby einen Sportwagen oder macht irgend etwas anderes mit dem Produktivitäts­überschuß, den er selbst erzielt. Daneben hat er nicht das Gefühl, ein Arbeiter zu sein, sondern er ist ein Angestellter, er genießt ein hohes Prestige und fühlt sich als Wohltäter der Menschheit, weil er so etwas Sinnvolles wie Brot produziert.

Konnte noch der Bauer, der sein Getreide selbst anbaute und es zu Brot weiterverarbeitete, an seiner Ackerkrume im Laufe der Jahrzehnte einen leichten Vergang feststellen und damit unmittelbar die Umweltzerstörung erahnen, so glaubt der Bäcker, wenn man ihm noch genügend Abgasfilter in seine Produktionsstraße einbaut, er sei aktiv im Umweltschutz tätig. Fährt er darüber hinaus noch seine Brotstraße als Vollkornbrotstraße, so glaubt er sich auch der Gesundheit des Menschen verpflichtet.

Doch zurück zu den Römern. Die Entwicklungsgeschichte des römischen Reiches lehrt, daß sowohl der intensive Energie­verbrauch aus der Abholzung der Wälder als auch der hohe Stand der Umwandlungs­stufen der Arbeit und die Intensität der Arbeit zum Ende dieses Zentralstaates geführt haben. Es ist fast konsequent, daß der höchstorganisierte, bestausgestattete und trotz aller Sklavengrausamkeit sozialorganisierteste Staat des Altertums konsequent in den Untergang getrieben wurde.

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An diesem Vorgang ist nichts erstaunlich, er ist folgerichtig das Ergebnis der eigenen Zivilisation und kein Einfall von Barbaren oder der allgemeine Zusammenbruch der Sitten. Es sind diese Ursachen, die eine solche Zivilisation aus sich selbst heraus zum Zusammenbruch bringen.

Obwohl die Römer also schon eine weiterentwickelte Struktur der Umwandlungsstufen von Arbeit hatten, blieben ihre technischen Möglichkeiten hinter den ökonomischen zurück. Dieses ist ein sehr interessanter Aspekt, weil in den meisten gängigen ökonomischen Theorien ein relativer Gleichklang von Ökonomie und Technologie angenommen wird. Wie der Ackerbau eine entscheidende Stufe der technischen Nutzung der Umwelt war, so sind das Geld, der Zins und die Steuer eine entscheidende ökonomische Stufe.

Der Geldverkehr schafft die Fiktion einer Wertung von Arbeit. Mit dem System einer universellen Bewertungsskala in Form von Geld entsteht die Vorstellung, daß das Geld selbst Wert habe, also nicht nur ein Abbild des Wertes der Ware oder des Produktes sei. Aus dieser Vorstellung heraus entwickelt sich weiterhin ein Antriebssystem zum wirtschaftlichen, technischen und menschlichen Handeln. Während das Produkt als Ergebnis der Arbeit des Menschen noch in sich ruht und keine Handlungs­anforderungen an den Menschen stellt, treibt die geldliche Wertvorstellung vom Produkt den Menschen selbst zum Handeln, und zwar deshalb, weil das Nichthandeln automatisch Wertverluste mit sich bringt.

Eine Figur ist eine Steinfigur, und sie behält langfristig ihren Wert, ein Lebensmittel wird gegessen, ein Grundstück ist existent. Geld ist eigentlich nicht existent, sondern nur Abbild, und es kann umgewandelt werden in andere Werte. Geld unterlag von Anfang an inflationären Tendenzen, und zwar deshalb, weil es eingesetzt wird, um Gewinn zu erzielen. Der Gewinn selbst senkt den Wert des bestehenden Geldes. Insofern setzt die Geldwirtschaft Arbeit in Gang; sie treibt den Menschen zur Arbeit.

Der Verlust der Entwertung des Geldes wurde erst durch die Entwicklung des Zinses und den Geldverleih selbst ausgeglichen. War das Geld am Anfang nur ein Zahlungsmittel, so wird es nun zum Arbeitsmittel. Jemand, der Geld hat und dies nach der Einführung der Zinswirtschaft nicht einsetzt, gilt als Dummkopf.

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Mit der Entwicklung der Zinswirtschaft wird also der Einsatz des Geldes zum Zwecke der Wertschöpfung durch Arbeit Selbstzweck und nicht mehr Mittel zum Zweck. Eine noch größere Überversorgung tritt ein. Die Akzeleration des Prozesses bringt dann der Zinseszins, also die exponentielle Steigerung des Gewinns aus der Geldwirtschaft.

Jede Form der Arbeit, die nicht mehr zur Versorgung, sondern lediglich zur Überversorgung, also zur Gewinnschöpfung getätigt wird, ist der Anfang von Umweltzerstörung, und die Kategorie Zerstörung bedeutet ökologisch dasselbe wie Krieg. Es mag dahinstehen, ob den religiösen Zinsverboten in einigen Religionsgemeinschaften ähnliche Erkenntnisprozesse zugrunde lagen. Unstreitig ist aber, daß bei einer globalen Betrachtungsweise der Geldwirtschaft von heute das zerstörende Element an großen Systemen ohne weiteres beobachtet werden kann. Nicht zuletzt die Zerstörungsarbeit, die die riesigen Geldmengen der Industrie­länder in den Entwicklungsländern angerichtet haben, belegt ohne weiteres die Funktion von Geld, Zins und Zinseszins. Ohne die riesigen Geldmengen der westlichen Banken wäre kein Entwicklungs­land jemals auf die Idee gekommen, Kredite für unsinnige Projekte aufzunehmen in der Hoffnung, durch eine Geldwertschöpfung aus solchen Projekten die Gewinne zu machen, die sie benötigten, um den Wohlstand der Industrieländer zu erreichen.

Zwar versuchen alle Ökonomen auch weiterhin, die Zusammenhänge anders zu erklären. Die Schuld wird nicht bei der Ursache, nämlich der Geldwirtschaft, sondern bei den Weltmärkten, bei den veränderten Handelströmen und insgeheim bei der Unfähigkeit der Entwicklungsländer, mit Industrieprojekten umzugehen, gesucht. Was diese Länder nicht begriffen haben, sind die simplen Zusammenhänge, die zwischen Arbeit, Geld, Zins, Zinseszins und überflüssigen Geldmengen entstehen. Geld muß zwangsläufig, wenn es geschaffen wird, irgendwo für irgendetwas eingesetzt werden. Ob es nun eingesetzt wird, um Erdöl zu erbohren, ob es eingesetzt wird, um Weizen zu erzeugen, ob es eingesetzt wird, um Rinder zu produzieren, Automobile oder was auch immer, es schafft als Endprodukt von Arbeit und Naturausbeutung Umweltzerstörung.

Vor allem die wachstumsorientierten Volkswirtschaften der westlichen Industrieländer weigern sich beharrlich, diese Grund­zusammen­hänge zu erkennen. Sie gehen weiterhin mit ihren Parolen hausieren, daß nur mehr Wachstum die Not der Entwicklungs­länder beseitigen könne. Dabei könnten sie, wenn sie nüchterne Maßstäbe an ihre eigene Wertschöpfung anlegen würden, aus ihren Statistiken sehr schnell erkennen, wie die wahren Zusammen­hänge zwischen Arbeit und Umweltzerstörung sind.

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Bezüglich der Umwandlungsstufen von Arbeit ist die Renaissance keineswegs nur eine Wiedergeburt des römischen Arbeits­staates, sondern fügt einige entscheidende neue Elemente hinzu. Aufgrund der Entwicklung eines starken Außenhandels können sich in den Stadtstaaten der Renaissance kapitalkräftige Unternehmen entwickeln, die — geführt von einzelnen Männern oder von Familien — so viel Geld besitzen, daß sie den Staat selbst mit Geldmitteln für seine vielfältigen Unternehmen ausstatten können. Sie geben Staatsanleihen und nehmen hierfür vom Staat Zinsen.

Ein verhängnisvoller Kreislauf setzt damit ein. Der Staat kann die Schulden, die er gegenüber den privaten Unternehmern oder später den Banken macht, nur durch erhöhte Steuern kompensieren. Diese muß er von seiner gesamten Bürgerschaft — vornehmlich natürlich von den niederen Schichten — eintreiben, und er muß damit seine Bürger zu einer Intensivierung der Arbeit und damit der Geldwertschöpfung antreiben. Der Bürger muß also immer mehr arbeiten, um für sich den Lebensunterhalt und für den Staat einen überschüssigen Anteil zu verdienen. Er kann dies nur, wenn er, unterstützt vom Staat und der Industrie, verstärkt Naturausbeutung betreibt, denn mehr als 16 Stunden kann er nicht arbeiten, und intensiver, als er schon arbeitet, ebenfalls nicht.

Also setzt die zunehmende Staatsverschuldung in der Renaissance eine zunehmende Umweltzerstörung in Gang. Die Umwelt­zerstörung findet statt in der Landwirtschaft durch Ausbeutung des Bodens, sie findet statt im Bergbau, bei der Nutzung der Holzreserven für Energiezwecke und auch schon in einer intensiveren Flächennutzung in den Großstädten, was zu Seuchen, Krankheiten, Wasserverschmutzung und ersten Formen der Luftverschmutzung führt. Bereits in der Renaissance muß ein Arbeiter, ein Handwerker, aber auch ein Unternehmer weit mehr arbeiten, um ein standesgemäßes oder erträgliches Leben zu führen.

Die neue Zauberformel des Gesamtsystems heißt: Wachstum des Staatshaushaltes durch eine immer intensivere Nutzung des staatlichen Steuermonopols. Die wunderbare Reichtumsvermehrung in der Renaissance beruht auf diesen Elementen einer intensiven Arbeitsgesellschaft. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die Renaissance und die ihr nachfolgenden Staatsformen des Feudalismus und des Absolutismus die Ausbeutung der Natur erneut mit einer krassen Ausbeutung der unteren Schichten der Bauern und Handwerker verbinden.

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Diese Verknüpfung weckt die Hoffnung in den Ausgebeuteten, zu irgendeinem Zeitpunkt ein gerechteres Leben führen zu können, wenn sie nur ihre Ausbeutung beseitigen. Sie verstellt aber gleichzeitig die Erkenntnis dafür, daß die Kreisläufe von Arbeit, Geld, Zins, Zinseszins und Steuern auf lange Sicht die Existenzgrundlage der Menschen gefährden könnten. Auch heute haben wir nur gelernt, daß wir die Ausbeutung des Menschen beseitigen müssen, wir haben aber aus diesen Epochen nicht gelernt, daß wir auch die Ausbeutung der Natur beseitigen müssen.

Den staatlich-wirtschaftlichen Elementen der Renaissance hatten der Feudalismus und der Absolutismus wenig hinzuzufügen. Auch die Schaffung der Manufakturen führte lediglich zu prozentualen Steigerungen im Wirtschaftswachstum, in der Umwelt­zerstörung und der Ausbeutung der unteren Schichten, nicht aber zu einer grundsätzlichen Veränderung. Diese setzte erst mit der Industrialisierung ein und ist ursächlich mit zwei industriellen Prinzipien verknüpft: mit der Entstehung der Massen­produktion durch die Entwicklung der Produktionsmaschinen und mit der Nutzung der Dampfkraft für industrielle Antriebszwecke im Massenproduktionsbereich.

Die Umwandlungsstufe der Arbeit erhält auf dem Fundament von Geld, Zins, Zinseszins und großen, wachsenden Kapitalmengen eine neue Schlagkraft. Nicht mehr der Gewinn aus einem Produkt ist entscheidend, sondern die Addition vieler kleiner Gewinne aus einem Massenprodukt. Der Staat, der sich inzwischen in der Arbeitsgesellschaft als feste, stabile, mächtige Größe etabliert hat, nimmt sofort an der großen Gewinnvermehrung teil. Er besteuert die Produkte, die Produzenten und die Produzierenden, und er stellt ihnen gleichzeitig die Natur, die ihm scheinbar gehört, kostenlos zur Ausbeutung zur Verfügung.

Noch im Mittelalter hatten die Fürsten, Könige und Kaiser Wind, Wasser, Luft und Wälder als ihr Eigentum betrachtet. So durften z.B. in den meisten nordeuropäischen Königreichen und Fürstentümern weder Wind- noch Wassermühlen von Privat­unternehmern betrieben werden. Darüber hinaus gehörten auch alle unterirdischen Lagerstätten dem Staat bzw. den Herrschern. Jetzt aber verkündete der Staat — zwar noch absolutistisch, aber durchaus gewerbe­freundlich — Gewerbefreiheit.

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Er gab die natürlichen Ressourcen zur endgültigen Zerstörung frei. Die Bodenschätze, vor allem die Energie­reserven in Form von Kohle, Braunkohle und Erdöl, wurden entweder ohne Gebühren oder aber mit geringen Steuern den Privat­unternehmen zur Ausbeutung zur Verfügung gestellt.

Die komplizierten Umwandlungsstufen von Arbeit, die inzwischen erreicht worden sind, anonymisieren immer mehr die Erkennt­nis­möglichkeiten für das Zerstörungspotential, das durch Intensivarbeit geschaffen wird.

Darüber hinaus schaffen die politisch gewollten und geförderten Notsituationen der breiten Bevölkerung ein allgemeines Bewußtsein, daß die Not dieser Menschen nur durch mehr Arbeit, durch industrielle Produktion und Wirtschaftswachstum gelöst werden kann. Dabei ist interessant zu sehen, daß im Unterschied zur Renaissance neben den Privatunternehmer auch zunehmend der Staat als Förderer des industriellen Wachstums und der Veränderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen tritt.

Bis heute wird dies als ein sich entwickelndes soziales Bewußtsein des Staates angesehen. Der Höhepunkt dieses Bewußtseins verkörpert sich für viele Menschen immer noch in Bismarck, der durch seine Sozialgesetzgebung auch nach heutiger Auffassung die Grundlagen des modernen Sozialstaates gegen die Privatunternehmer durchgesetzt hat. Sieht man aber einmal genauer hin, so war der Staat durch seine Wertabschöpfung in einer wachstumsorientierten Industriegesellschaft der größte Gewinner, und zwar noch vor den privaten Unternehmen oder den Banken. Dabei ist auch zu sehen, daß der Staat sich einen immer größeren Anteil an der Arbeit des einzelnen Arbeiters oder Angestellten gesichert hat und dieser Anteil seit der frühen Industrialisierung in allen westlichen Industrie­gesellschaften nie mehr zurückgegangen ist. Begründet wurde dies und wird dies auch heute noch mit den wachsenden Anforderungen an die Infrastruktur, an die sozialen Leistungen des Staates und an seine Angriffs- oder Verteid­igungs­fähigkeit.

Er arbeitete traditionell noch der gemeine Hintersasse im Mittelalter immer nur den zehnten Teil für seinen Herrn und konnte dieser Landesherr selbst aus diesem Zehnten noch seine Kriegszüge bezahlen, so arbeitet der Lohnabhängige ab 1800 zu einem immer mehr wachsenden Anteil für den Staat, zu einem sinkenden Anteil für den Unternehmer und zu einem immer verschwindender werdenden Teil für sich selbst.

   wikipedia  Otto_von_Bismarck     123/124

Es gibt nichts Widersprüchlicheres als diese Entwicklung. Der abhängigste Bürger im Mittelalter arbeitete zu zehn Prozent für seinen feudalistischen Herrscher, und der Bürger des 20. Jahrhunderts, von dem alle Macht im Staate ausgeht, der gewisser­maßen sein eigener Feudalherr ist, arbeitet für seinen Staat zu weit mehr als 50 Prozent. Dabei hatte er noch nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg geglaubt, er hätte mit seinen Steuern nur die Rüstung finanziert, und dies sei ein letzter Ausrutscher der zivilisierten Gesellschaft gewesen. Nun aber muß in ihm die Erkenntnis dämmern, daß er mit seinen Steuern schon seit 200 Jahren seine eigene Vernichtung finanziert.

Der Staat ist in diesen 200 Jahren zu einem immer stärkeren Motor für die industrielle Entwicklung geworden.

Wenn man einmal die Anfänge des "Vereins zur Förderung des Gewerbefleißes" in Preußen vergleicht mit dem, was eine Bundesregierung des Jahres 1988 an zerstörerischen Potentialen aus Steuergeldern finanziert, kann einen schon das kalte Grauen überkommen.

Der preußische Staat von 1800 errichtete in Berlin die königliche Eisengießerei, zerstörte mit dieser kleinen Industrieansiedlung einen Teil der Panke, den letzten Waldbestand im Berliner Wedding, und schuf die Grundlage für die Entwicklung der Industrieviertel Wedding und Moabit. Erst 30 Jahre später kommt es durch die Firma Krupp zu den ersten großflächigen Industrieansiedlungen und Zerstörungen im Ruhrgebiet, und nur wenige Bäche und Flüsse waren zu diesem Zeitpunkt von der staatlichen Industrie­tätigkeit und ihrer Förderung bedroht.

Die Bundesregierung von 1988 betreibt hingegen

Doch noch ist die Spitze der ökonomischen Steigerungsformen in den Umwandlungsstufen der Arbeit nicht erreicht. Es deuten sich bereits neue Anonymisierungsformen im Zyklus von Arbeit und Geld an.

Das Geld, obwohl es eigentlich keinen Wert hat, sondern nur eine Abbildung darstellt, verliert selbst diese Abbildform. Es wird zum Plastikgeld und zur gespeicherten Informations­einheit im Computer. Es verliert seine greifbare, bildhafte Form als Geldschein und erhält eine fiktive, nicht wahrnehmbare Größenordnung auf dem speicherfähigen Streifen einer Plastikscheckkarte. 

Es gibt kein Kontobuch mehr, es gibt keine geschriebene Zahl mehr, es gibt für den Wert der Arbeit nur noch eine Zahlengröße in einem Datenspeicher.

Viele Bürger wissen häufig nicht einmal mehr, wieviel Geld sie im Moment auf ihrem Konto haben, es spielt auch keine Rolle mehr, weil das Kredit- und Zinswesen auch den privaten Bereich völlig erfaßt hat.

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 Hans Joachim Rieseberg - 1992