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Maschinengewehre hinter der Front  

 

 

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Zurück zum Jahr 1943. Nach schleppend verlaufender Genesung im Lazarett war ich vorerst frontdienstuntauglich. So konnte ich mich von der leichten Artillerie zu einer Sanitätskompanie versetzen lassen, die in der Berliner Charite kaserniert war. Von dort konnte ich befristet mein Medizin- und - unerlaubt - auch mein Philosophie-Studium aufnehmen. Dass die Leichen, die wir in der Anatomie präparierten, aus der Hinrichtungsstätte Plötzensee stammen sollten, war ein Gerücht, dem niemand auf den Grund zu gehen wagte.

Vom Büffeln der tausend Daten der vorklinischen Naturwissenschaft erholte ich mich in den philosophischen Seminaren und Vorlesungen von Nicolai Hartmann und Eduard Spranger. Es war Sprangers Spezialität, aus der Philosophie, der Literatur, der Theologie und der Kunst den gemeinsamen Geist einer Epoche zu erfassen, was er geisteswissenschaftliche Psychologie nannte, eine Methode, von der ich mich u. a. für mein späteres Werk »Der Gotteskomplex« inspirieren lassen würde. Noch heute sehe ich gelegentlich den bedächtigen, grüblerischen Hartmann und den mit heller Stimme dozierenden Spranger vor mir und erinnere mich präzise an manche ihrer Formulierungen.

Irgendwann kam mir der Gedanke, meine Medizinerkollegen aus der Studentenkompanie müssten wenigstens auch einmal etwas anderes über den Menschen hören als immer nur von der Anatomie und der Chemie der Maschine Organismus. So schlug ich dem die Kompanie befehligenden Stabsarzt vor, Eduard Spranger zu einem Vortrag einzuladen. Es klappte. Spranger sagte zu. Und so hörten 150 akademische Sanitätssoldaten vor ihrer erneuten Abkommandierung zur Front einen großartigen Vortrag Sprangers über ärztliche, aber auch allgemeine ethische Probleme. Es war eine Sternstunde, allerdings auch verwirrend, inmitten der Destruktivität der Kämpfe an vielen Fronten und der Städtebombardierungen an eine Ethik gemahnt zu werden, die weit über die humanitären


 

 

 

 

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