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Vorwort (1987) von Eduard Pestel     Einführung   Prolog 

9-11-19-25

Ursprünglicher Anlaß für dieses Buch war der Wunsch des Präsidenten des Club of Rome, Dr. Alexander King, und des Exekutivkomitees nach einer Neubewertung des ersten Berichts an den Club of Rome, »Die Grenzen des Wachstums«, der vor fünfzehn Jahren in aller Welt erhebliches Aufsehen erregt hatte.

Daraus erwuchs – nach einer kritischen Auseinandersetzung des erweiterten Exekutiv­komitees mit der ersten Version des vorliegenden Buches – schließlich ein Bericht mit einer neuen Zielsetzung, die im Prolog dargelegt ist und sich als Herausforderung an die in den wohlhabenden und mächtigen Ländern lebenden Menschen versteht.

Darüber hinaus gewann das Buch, während es in den vergangenen Monaten Gestalt annahm, auch programmatischen Charakter für die wichtigsten Themen der gegen­wärtigen und zukünftigen Arbeit des Club of Rome.

Ich habe mich jedenfalls bemüht, dem Leser mit diesem Bericht ein über den Tag hinaus wesentliches Dokument in die Hand zu geben.

Die angesprochenen Themen sind von eminent aktueller Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens in allen Teilen der Welt. Bei ihrer Behandlung mußte ich natürlich versuchen, auf konkrete, in diesen Themenkomplexen sich stellende Fragen auch möglichst konkrete Antworten zu geben. Hier erschien es mir wichtig, im Rahmen einer Weltsicht, die das »Zeitlose« dieses Berichts ausmacht, beispielhaft Lösungen für eine Reihe uns alle bedrängender Probleme anzubieten.

Wem diese Lösungsvorschläge unzureichend oder gar ungeeignet erscheinen, dem mögen sie wenigstens als Anregung zu eigener Suche nach besseren Lösungen dienen.

Ich möchte den vielen Freunden danken, die sich die Mühe gemacht haben, die in englischer Sprache geschriebene Originalfassung dieses Buches zu kommentieren. Zu besonderem Dank bin ich Alexander King für seine zahlreichen kritischen Anmerkungen und seine ständige Ermunterung verpflichtet. Ohne Zweifel hat dieses Buch auch in hohem Maße von langen Diskussionen mit meinem Mitautor des zweiten Berichts an den Club of Rome, »Menschheit am Wendepunkt«, Professor Mihailo Mesarovic, profitiert.

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Hannover, im August 1987, Eduard Pestel  (gest 1988)


Einführung von Alexander King,
Präsident des Club of Rome

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Der Club of Rome wird 1988 sein zwanzigjähriges Bestehen feiern. Es ist in der Tat ein kleines Wunder, daß diese Gruppe von hundert Persönlichkeiten aus dreiund­vierzig Ländern ohne Organisationsstruktur, ohne Geschäftsstab und ohne Etat so lange überleben konnte. Sie verdankt es im hohen Maße der Überzeugungskraft, der Energie und dem Charisma ihres verstorbenen Präsidenten Aurelio Peccei, dem dieses Buch gewidmet ist.

Als wir 1968 den Club of Rome gründeten, hatten die Industrieländer den Höhepunkt des schnellen Wirtschaftswachstums in der Nachkriegsperiode erreicht, aber schon damals traten viele beunruhigende Zeichen der Disharmonie zutage. Es war das Jahr der »Ereignisse von Paris« und der Anfang der Studentenunruhen in vielen Ländern; die ersten Hippies machten von sich reden, wie auch andere Jugendliche, in denen sich die Entfremdung gegenüber der Tradition und dem Establishment manifestierte; zum ersten Male wurden sich viele Kreise der Bevölkerung in den Industrieländern der Tatsache bewußt, daß ihre Umwelt zunehmend Schaden nahm; und auch die Erkenntnis begann sich auszubreiten, daß sich globale Probleme am Horizont abzeichneten, die nicht mehr von einzelnen Nationen allein gelöst werden konnten.

Angesichts dieser Symptome einer Krankheit, die vornehmlich die wohlhabenden Gesellschaften, aber nicht nur diese, befallen hatte, gründeten wir den Club. Wir taten es in der Überzeugung, daß die Regierungen dieser Bedrohung nur unzureichende Aufmerksamkeit widmeten und daß es von allgemeinem Nutzen sein werde, wenn einige wenige Menschen verschiedener Herkunft und Denkweisen die Weltsituation untersuchen und ihre Schlußfolgerungen den Politikern wie den Bürgern zur Kenntnis bringen würden.

Bei ihrer ersten Zusammenkunft in Rom brachte eine Handvoll von Westeuropäern, die seine ersten Mitglieder waren, ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß die wachs­ende Interdependenz zwischen den Nationen einen neuen und globalen Denkansatz verlangte, daß Regierungen wegen ihrer kurzen Legislaturperioden zu sehr mit den unmit­telbar zu lösenden Aufgaben beschäftigt seien und daher Schwierigkeiten hätten, sich den langfristigen und fundamentalen Problemfeldern zu stellen – und daß schließ­lich der Komplexitätsgrad der modernen Gesellschaft so hoch sei, daß man die unter­schiedlichen Aufgaben wegen ihrer weithin unerkannten gegenseitigen Beein­flussung nicht mehr säuberlich voneinander getrennt bearbeiten könne.

Wir gaben diesem Beziehungsgeflecht der Gegenwartsprobleme den Namen »Weltproblematik«. »Die Grenzen des Wachstums« war der erste und dann bei weitem bekannteste in einer Reihe von Berichten an den Club of Rome. Ich betone das Wort an, weil wir niemals den Versuch gemacht haben, unter allen Mitgliedern des Club einen Konsens zu erreichen.

Obwohl wir uns in der gemeinsamen Sorge um die Zukunft der Menschheit einig sind, so sind doch Herkunft, Ideologien und Denkansätze für die Lösung der Probleme bei unseren Mitgliedern so unterschiedlich, daß die Bemühung um Konsens unver­meidlich zu einem substanzlosen, ja einfältigen Kompromiß in der Beurteilung der Weltlage führen müßte. Wir haben uns daher mit der Analyse der Problemfelder begnügt, deren breit angelegte Diskussion uns allen notwendig erschien.

In den Diskussionen, die zu der Studie über »Die Grenzen des Wachstums« führten, war der Begriff des Wachstums keineswegs unser zentrales Thema. Wir stellten die Notwendigkeit weiteren Wachstums für die Beseitigung von Armutsbereichen und für soziale Verbesserungen in den Industrieländern nicht in Frage, natürlich auch nicht für den Beginn des Kampfes gegen die unsägliche Massenarmut in der Dritten Welt.

Wir empfanden jedoch von Anfang an, daß das Streben nach Wirtschaftswachstum als Selbstzweck unzureichend, ja gedankenlos war, und daß ein dringendes Bedürfnis bestand, die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Folgen schnellen Wachstums vorausschauend zu studieren, das Wirtschaftswachstum in engen Bezug zu anderen gesellschaftlichen Zielen zu setzen und sich auch ernsthaft mit dem Aspekt der Wachs­tumsqualität ausein­ander­­zusetzen.

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Wir waren von der tiefgreifenden Resonanz, die der Bericht weltweit auslöste, höchst überrascht, zugleich auch von der plötzlichen »Berühmtheit« beunruhigt, die »Die Grenzen des Wachstums« uns einbrachte.

Die meisten von uns waren sehr betroffen, nunmehr als Nullwachstums-Advokaten eingestuft zu werden: ein Ruf, der uns bis zu diesem Tage anhaftet und der wohl im wesentlichen von jenen Kritikern ausging, die sich wohl gar nicht der Mühe unterzogen hatten, das Buch oder zumindest die »Kritische Würdigung« sorgfältig zu lesen, in der die Mitglieder des Exekutiv­komitees des Club of Rome ihre Meinung zu dem Bericht zum Ausdruck gebracht hatten.

Während wir uns dem zwanzigjährigen Jubiläum nähern, scheint es uns an der Zeit zu sein, einmal auf Ereignisse zurückzublicken, die der Veröffentlichung der »Grenzen des Wachstums« vorausgingen und die ihr folgten. Wir haben daher Professor Eduard Pestel, der damals wesentlich an dem Zustandekommen dieser Studie mitgewirkt hat, gebeten, seine persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen niederzuschreiben und darüber hinaus sein eigenes Konzept eines vernünftigen Wachstumsansatzes darzu­legen, dem er die Bezeichnung »organisches Wachstum« gegeben hat. Dies hat er in dem hier vorliegenden Bericht getan, verbunden mit einigen Aspekten seiner Welt­sicht, die mit den gegenwärtigen Anliegen des Club of Rome eng korres­pondieren.

Bevor ich auf die vorliegende, von Pestels persönlicher Erfahrung stark geprägte Darstellung ein wenig eingehe, möchte ich den »Grenzen des Wachstums« noch einige Bemerkungen anfügen:

Als der Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, waren wir uns alle der unver­meidlichen Unzulänglichkeit dieser Pionierarbeit bewußt, nicht zuletzt wegen der nicht ausreichenden Datenbasis, aber auch wegen der Schwierigkeit, z. B. die Wirkungen und Folgen der Umwelt­ver­schmutzung quantitativ zu erfassen und unvorhersehbare technische Entwicklungen mit ins Kalkül zu ziehen. Nichts­desto­weniger waren wir überzeugt, daß der Bericht die Grundlage für eine breite Debatte über das Wachstum und seine Folgen bot; darin war der Bericht zweifellos äußerst erfolgreich.

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Die weitere Bedeutung des Buches bestand darin, daß es eindrucksvoll die quantitativen gegenseitigen Beeinflussungen der verschiedenen Variablen des Weltmodells darstellte und damit einem der wesentlichen Anliegen des Club of Rome gerecht wurde. Dieser erste Versuch eines Weltmodells hatte auch zur Folge, daß viele Anstrengungen unternommen wurden, den Modellansatz zu verbessern und auszuweiten; unter diesen ragt das regionale Weltmodell von Mihailo Mesarovic und Eduard Pestel hervor.

Am bedeutsamsten war jedoch, wie im folgenden auch Pestel betont, die Tatsache, daß das Buch weltweit eine Diskussion über die Zukunftsaussichten der Menschheit stimulierte und das Bewußtsein für die großen globalen Probleme schärfte: Es unter­strich somit auch das dringende Bedürfnis nach antizipatorischem Denken und Handeln, das an die Stelle des gegenwärtig praktizierten lediglich adaptiven Reagierens auf Situationen treten müsse, die bereits krisenhafte Ausmaße ange­nommen hätten.

Natürlich bleibt die Frage: Müssen wir uns heute immer noch um näherrückende Grenzen sorgen?

Mit Sicherheit bestehen Grenzen für exponentielles Wachstum. Wie im vorliegenden Buch dargestellt, würde ein jährliches Wachstum von 5 Prozent am Ende des nächsten Jahrhunderts eine zweihundert­fünfzigfache Zunahme des Volumens der Weltwirtschaft bedeuten – was man sich einfach nicht vorstellen kann. Aus diesem Grunde ist es überzeugend, wenn Pestel Parallelen zum Wachstum in der Natur sucht, wo die Bäume auch nicht in den Himmel wachsen, und den Begriff des »organischen Wachstums« einführt und diesen dann mit der Betonung auf differenzierte und qualitative Entwicklung weiter untersucht. Im Gegensatz dazu ist Krebs das wohl eindringlichste Beispiel in der Natur für undifferenziertes Wachstum.

In der Tat ist Wachsamkeit erforderlich im Hinblick auf viele Variablen im Weltsystem und ihre gegenseitige Beeinflussung, hinter denen sich leicht unerwartete Verwundbarkeiten des Systems verbergen können – was bald nach der Veröffent­lichung der »Grenzen des Wachstums« allen vor Augen geführt wurde, als der Ölpreis plötzlich stark anstieg und die Versorgungssicherheit des Erdöls in Frage gestellt wurde.

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Dieses Ereignis war ein unübersehbarer Hinweis auf die Bedeutung des Begriffs »Weltproblematik«, da von der Ölkrise Erschütterungen der Industrie und des Trans­port­wesens, des internationalen monetären Systems, der Umweltbedingungen und der Geopolitik ausgingen. Gegenwärtig kann auf ähnliche Weise die ungleiche Bevölkerungsentwicklung in Nord und Süd die unterschiedlichsten Schwierigkeiten hervorrufen.

Das Bevölkerungswachstum wird sicherlich nicht weiter exponentiell verlaufen, aber seine Abflachung kann so spät kommen, daß vielen Teilen der Erde Katastrophen drohen.

Die rapide Zunahme der Bevölkerung wird ferner die Belastung der Umwelt ver­größern, sowohl im Rahmen der Erzeugung von Nahrungsmitteln, indem z. B. immer mehr Land überweidet wird und immer mehr Ackerboden der Erosion zum Opfer fällt, als auch wegen der wachsenden Abfallmengen, die von der Erde, der Luft und den Ozeanen absorbiert werden müssen.

Die Zunahme menschlicher Aktivitäten ist weitaus größer, als die Zunahme der Menschenzahl vermuten läßt: Nicht nur die Zahl der Menschen wächst rapide, sondern auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Gütern, Dienstleistungen, Nahrungsmitteln und Rohstoffen, der in Zukunft immer stärker auch auf die Entwicklungsländer übergreifen wird. Ich schätze, daß allein während meiner Lebenszeit die Gesamtheit menschlicher Aktivitäten um das 15- bis 20fache zugenommen hat – und daß dies so weitergehen wird, wenn in unserem Lebensstil keine drastischen Änderungen erfolgen.

Es erscheint daher durchaus noch als realistisch, von gewissen materiellen Grenzen zu sprechen, auch davon, daß viele der Warnungen in den »Grenzen des Wachstums« heute noch Gültigkeit haben. Es wäre jedoch klug, diese Probleme weniger vom Standpunkt möglicher Grenzen des Wirtschaftswachstums zu sehen als innerhalb der Dynamik der Weltproblematik.

So besteht mehr denn je grundlegender Bedarf für Instrumente, die es den Regierungen ermöglichen, besser vorauszuschauen, die verschiedenen Trends abzuschätzen und Problemfelder abzutasten, bevor deren Bewältigung zu schwierig wird.

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Pestel widmet sich diesen Fragen auch vom Standpunkt der Theorie in einleuchtender Weise am Ende des ersten Teils dieses Buches.

Der Begriff »Grenzen« kann nicht allein auf materielle Grenzen beschränkt werden. Als die Kontroverse über »Die Grenzen des Wachstums« auf dem Höhepunkt war, gaben Aurelio Peccei und ich zu bedenken, daß die materiellen Grenzen, so wichtig sie sein mögen, wohl kaum je erreicht würden, weil vor ihnen bereits eine ganze Reihe von Begrenzungen – politische, gesellschaftliche, logistische und in der eigentlichen Natur des Menschen selbst begründete – erreicht werden würden. Wir müssen in der Tat drei Typen potentieller Grenzen anerkennen, die »äußeren Grenzen«, die wie die im Meadows-Bericht berück­sichtigten im wesentlichen materieller Natur sind, die »inneren Grenzen«, die gesellschaftliche Systeme betreffen, und die »innerlichsten Grenzen«, die in der Natur des Menschen selbst angesiedelt sind.

In seinem zweiten Kapitel analysiert Pestel die unheilvollen Effekte, die eine aus Angst vor materiellen Grenzen bewußt geführte Nullwachstumspolitik nach sich ziehen würde. Die meisten, wenn nicht alle Club-Mitglieder, würden wohl dieser Analyse zustimmen. Da aber, wie schon angedeutet, undifferenziertes Wirtschaftswachstum auf Dauer nicht möglich ist, entwickelt Pestel danach seine Hauptthese vom »Organischen Wachstum« oder besser gesagt: organischer Weltentwicklung, in welcher die interdependente Entwicklung der einzelnen Subsysteme unseres Planeten stattfindet.

In diesem Zusammenhang wendet sich Pestel der sich immer weiter erhöhenden Komplexität unserer Welt zu, die nicht als eine Ansammlung von 160 weitgehend unabhängigen souveränen Nationalstaaten gesehen werden darf, weil sie in der Tat aus aktiv mit- und gegeneinander agierenden Subsystemen besteht. Zweifellos besteht der erste Schritt darin, bei den Entscheidungsträgern wie in der allgemeinen Öffentlichkeit ein tieferes Verständnis für die wahre Natur und die Evolution unserer Gegenwartsprobleme zu wecken. Dies ist eine der zentralen Aufgaben des Club of Rome, und das vorliegende Buch liefert dazu einen bedeutsamen Beitrag.

Zudem müssen wir die Regierungen dazu bringen, sich der Notwendigkeit und ihrer Verantwortung für langfristiges Denken, für eine Politik auf weite Sicht und für mehr antizipatorisches als nur adaptives Handeln bewußt zu werden.

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Der zweite Teil des Buches, »Wege in die Zukunft«, ist folgerichtig im Geiste des Konzepts einer organischen Entwicklung gestaltet. Alle hier angesprochenen Fragen betreffen Anliegen, mit denen sich der Club of Rome gegenwärtig beschäftigt und die offensichtlich wichtige Faktoren im Beziehungsgeflecht der Weltproblematik darstellen. Es ist unwahrscheinlich, daß alle Mitglieder des Club of Rome alle Gedanken des Verfassers mittragen werden; in der Tat hat das Exekutivkomitee des Clubs sich schon vor einem halben Jahr in kritischer und konstruktiver Debatte mit einer ersten Version des Berichtes auseinandergesetzt. Indessen wird man gerade diesem zweiten Teil des Buches in seiner jetzigen Fassung gern zugestehen, daß der Leser hier eine Fülle von stimulierenden und provokativen Ideen findet.

Das Buch wendet sich im wesentlichen an die in den Industrieländern lebenden Menschen und betont ihre Vorbildrolle und somit auch ihre besondere Verantwortung aufgrund ihres Einflusses, ihres Reichtums und ihrer Beherrschung moderner Technologie. Die in diesem Buch gemachten Vorschläge einer Entwicklungsstrategie für die armen Länder sollten nicht als Rezepte »von der Stange« betrachtet werden. Jede Gesellschaft sollte eigene Alternativen erproben, die mit ihren kulturellen Traditionen und ihren menschlichen und materiellen Ressourcen in Einklang stehen. Dies ist offenbar der richtige Weg und sollte nicht nur toleriert, sondern von den hilfeleistenden Nationen ermutigt werden. Ich möchte auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß Pestels Ansichten zur Abrüstung, Abschreckung und Geopolitik ernste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diese werden weitgehend in den internen Debatten des Clubs über die Frage von Krieg und Frieden geteilt. »Frieden ist nicht bloß die Abwesenheit von Krieg, der selbst nur ein Symptom ist«, ist stets unser Leitmotiv gewesen, und nur im Rahmen harmonischer Weltentwicklung können wir auf wirklich dauerhafte Sicherheit hoffen.

Schließlich noch einige Worte zum letzten Kapitel über Energie und Umwelt.

Trotz der zunehmenden Bewußtseinsbildung in der Öffentlichkeit in bezug auf die möglichen Klimaveränderungen, die sich aus der Konzentrationssteigerung von Kohlendioxid in der Atmosphäre bei fortgesetzter Nutzung fossiler Brennstoffe ergeben können – und trotz des Konsensus unter den Wissenschaftlern, daß dies eine wirkliche Gefahr ist –, wird einer langfristigen Energiepolitik viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Die Katastrophe von Tschernobyl hat die Furcht der Öffentlichkeit vor der Kernenergie verstärkt. Die Zukunft mag jedoch zeigen, daß in der Konsequenz des Treibhauseffektes sich das Verbrennen von Kohle und Öl als gefährlicher erweist als der Einsatz von Kernenergie. Somit wird der Übergang in das nicht-fossile Energie-Zeitalter eine zwingende Notwendigkeit, in welchem nur noch die umfassende Nutzung der Sonnenenergie und eine akzeptable Anwendung der Kernenergie zur Erzeugung von Wärme, Treibstoffen, Elektrizität und Wasserstoff stattfinden werden.

Da dieser Übergang eine lange Zeit erfordern wird, entwirft Pestel eine interessante Übergangsstrategie. Sicherlich können auch noch andere Szenarien entworfen werden – wichtig ist jedenfalls, daß auf solche Weise die wirklich langfristigen Energie­probleme dargelegt und mögliche Lösungswege sorgfältig erörtert werden. Dies ist in vieler Hinsicht von großer Bedeutung, nicht zuletzt auch für die Kontinuität der Erzeugung ausreichender Nahrungsmittel für die riesige Erdbevölkerung, die unvermeidlich unseren Planeten bewohnen wird.

Das Buch ist reich an wichtigen Gedanken und neuen Konzepten, und so kann ich nur hoffen, daß es eine große Leserschaft finden wird.

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Prolog von Eduard Pestel

19-25

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in England ein neues Kapitel in der Mensch­heitsgeschichte aufgeschlagen: Die erste industrielle Revolution hatte im Verlauf von nur einhundert Jahren einen neuen Gesellschaftstyp, die Industrie­gesell­schaft, hervorgebracht.

Vorausgegangen war das Zeitalter der Aufklärung mit einer Zunahme bürgerlicher Freiheiten im politischen und wirtschaftlichen Leben. Eine der wesentlichen Triebkräfte war das beschleunigte Wachstum von Englands Bevölkerung, die im 18. Jahrhundert von fünf auf zehn Millionen angewachsen war und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit zwanzig Millionen eine weitere Verdoppelung erfahren hatte.

Bis dahin einzigartig in der Geschichte, hatte sich innerhalb nur eines Jahrhunderts ein umsturzartiger Wandel auf allen Gebieten des Lebens vollzogen. Gegen 1850 war also in England die erste Industriegesellschaft der Menschheitsgeschichte entstanden: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung lebte in Städten, die in der Landwirtschaft tätigen Menschen machten nur noch 15 Prozent aus, und die Zahl der Werktätigen in der Industrie, im Bergbau und Baugewerbe, in Handel und Verkehr war innerhalb von hundert Jahren von weniger als 15 Prozent auf 60 Prozent der Beschäftigten angewachsen.

England war somit das erste industrielle Zentrum der Welt, und dieses industrielle Kerngebiet umfaßte damals mit seinen zwanzig Millionen Menschen ganze 2 Prozent der Weltbevölkerung von rund einer Milliarde Menschen.

Nur fünfzig Jahre später hatte sich das industrielle Zentrum auf Westeuropa und die Ver­einigten Staaten von Nordamerika ausgedehnt und war damit auf 250 Millionen Menschen angewachsen, das heißt auf etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung von 1900.

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Zu dieser Zeit bildeten Ost- und Südeuropa sowie Japan die industrielle Peripherie, deren weitere industrielle Entwicklung in den darauffolgenden fünfzig Jahren die Bevölkerung des industriellen Zentrums auf 750 Millionen anschwellen ließ. Heute umfaßt das industrielle Kerngebiet der Welt schon mehr als eine Milliarde Menschen, also etwa 20 Prozent der fünf Milliarden Menschen, die unseren Planeten gegenwärtig bewohnen.

Noch bedeutsamer ist jedoch die Tatsache, daß sich in den vergangenen fünfzig Jahren auch die industrielle Peripherie gewaltig erweitert hat. Mit den Schwellenländern China, Indien, Brasilien, Mexiko — um nur die volkreichsten zu nennen — wird die industrielle Peripherie heute von mehr als zwei Milliarden Menschen bevölkert. Im Blick auf die rapide Urbanisierung steht zu erwarten, daß die Schwellenländer in den kommenden fünfzig, sechzig Jahren in das industrielle Zentrum hinein­wachsen und damit dann, wegen ihres vorhersehbaren Bevölkerungs­wachstums, dem gegen­wärtigen industriellen Kerngebiet mehr als drei Milliarden Menschen hinzufügen werden.

Wenn diese Länder – dem schrecklichen Beispiel der heutigen Großmächte folgend – sich dabei genötigt sähen, gleichzeitig mit ihrer industriellen Entwicklung auch am Wettlauf um militärische Macht teilzunehmen, wäre kaum auszudenken, welche Mächtekonstellation mit einem ungeheuren Zerstörungspotential entstehen würde.

Dann könnten in der Tat die politischen Spannungen in der Welt schließlich doch noch die letzten Bande der Solidarität unter den Menschen auf unserer Erde zerreißen. Wenn wir die unheilvollen Vorstellungen des militär-industriellen Komplexes nicht aus unseren Köpfen vertreiben, ist jedenfalls eines ganz sicher: Die Verschwendung menschlicher und materieller Ressourcen aufgrund wahnwitziger militärischer Aufwendungen — sie betragen heute schon jährlich mehr als 800 Milliarden US-Dollar, also Tag für Tag über zweieinhalb Milliarden Dollar — würde dann noch astronomischere Summen erreichen.

Nicht wenige Autoren vertreten die Meinung, die Industrieproduktion der gegen­wärtigen industriellen Peripherie werde in den nächsten vierzig bis fünfzig Jahren um mehr als das 25fache zunehmen.(1)

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Solche Wachstumsvorhersagen kann ich zwar weder untermauern noch widerlegen, gleichwohl habe ich keine Zweifel daran, daß die Menschen in diesen Schwellen­ländern den Willen und auch die Fähigkeiten besitzen, nach der Mitte des kommenden Jahrhunderts ihr Ziel eines materiellen Lebensstandards zu verwirklichen, der dem der Menschen in den heutigen Industrieländern entspricht.

Wir können somit erwarten, daß zweihundert Jahre nach dem Aufbau der ersten Industriegesellschaft um 1850, mit eben 2 Prozent der damaligen Weltbevölkerung, in den Industrieländern der Mitte des 21. Jahrhunderts mehr als vier Milliarden Menschen leben werden, also rund die Hälfte der Zahl von mehr als acht Milliarden Menschen, mit deren Erreichen bald nach dem ersten Viertel des kommenden Jahrhunderts gerechnet wird.

Viele Erfahrungen sprechen dafür, daß die gegenwärtig sich industrialisierenden Völker mit großer Wahrscheinlichkeit von den in den heutigen Industrieländern vor­herr­schenden und sich weiterentwickelnden industriellen sowie landwirt­schaftlichen Produktionsmethoden Gebrauch machen werden. Daraus folgt: Die moderne Industriegesellschaft muß sich ihrer Vorbildfunktion bewußt werden und damit auch ihrer Verantwortung, die mit dieser Rolle verbunden ist.(2)

Es wäre zweifellos vermessen, den heutigen Lebensstil der in den wohlhabenden Ländern lebenden Menschen als vorbildlich zu betrachten – aber dies bedeutet nicht, daß dieser materielle Lebensstil nicht doch von immer mehr Menschen in den Schwellen-und Entwicklungsländern als Vorbild betrachtet würde. Deren politische Eliten, selbst die in den ärmsten Ländern, leben wie die Reichen in den Industrie­nationen und wirken dabei als nachstrebenswerte Vorbilder für die Bevölkerung ihrer Staaten.

Die heutigen Generationen in den wohlhabenden Ländern sollten sich daher die folgende Frage stellen und dann auch um deren Beantwortung bemüht sein:

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Ist ein Entwicklungsprozeß, gekennzeichnet durch die weltweite Anwendung moderner industrieller und landwirtschaftlicher Produktionsmethoden und durch den ungehemmten Konsum ihrer Erzeugnisse, regional wie global verträglich mit ökologischer Stabilität, mit einer gesunden menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, mit einer zuverlässigen Versorgung aus nicht-erneuerbaren natürlichen Ressourcen und schließlich mit politischer Stabilität, wenn der stets stattfindende Wandel in der Nutzung von Energie und Rohstoffen sowie in den Produktions- und Konsummustern weiterhin dem Weg des geringsten Widerstandes folgt, indem man sich hauptsächlich von wirtschaftlichen Gesichtspunkten und der augenblicklichen Befriedigung materieller Bedürfnisse leiten läßt?

Mit dem ersten Bericht an den Club of Rome (3) wurde im wesentlichen versucht, auf diese Frage — auch wenn von den Autoren der Studie nicht in der hier vorliegenden Form gestellt — eine Teilantwort zu geben. Sie bestand in einem klaren Nein. Allerdings waren die Lösungen, welche die Autoren zur Vermeidung der von ihnen vorausgesehenen katastrophalen Entwicklung anboten, solcher Art, daß sie von praktisch allen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft — in den Industrie- wie in den Entwicklungsländern — als utopisch und unrealistisch abgelehnt oder ignoriert wurden. Da das Buch »Die Grenzen des Wachstums« sich mit der Welt als einem homogenen Ganzen ohne jegliche Aufteilung in Nationen oder Regionen beschäftigte, fühlte sich auch niemand direkt angesprochen und herausgefordert, Mitverantwortung für eine Korrektur der Menschheitsentwicklung zu übernehmen, die andernfalls in nicht allzu ferner Zukunft zum allgemeinen Zusammenbruch führen müßte.

Natürlich hat jeder erwachsene Mensch — ob arm oder reich, ob schwach oder mächtig — sein Maß an Verantwortung zu tragen, doch dürfte wohl niemand der Feststellung widersprechen, daß die bei weitem größte Last der Verantwortung auf den Schultern derer ruht, die in den wohlhabenden Ländern leben. Denn wer kann sich wohl um die ferne Zukunft sorgen, der heute nicht weiß, ob er morgen noch genügend Nahrung für sich und seine Familie finden wird?

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Wenn also die soeben gestellte Frage eine negative oder zumindest eine mit erheblichen Zweifeln belastete Antwort erhalten sollte, dann stellt sich eine zweite herausfordernde Frage, die sich nun — ohne Wenn und Aber — an die Menschen in den wohlhabenden Ländern sowie an jene richtet, denen die Regierungsverantwortung für das Schicksal von Milliarden armer Menschen zufällt:

Wie können die im gegenwärtigen industriellen Zentrum lebenden Menschen ihre Vorbildfunktion für den Entwicklungsprozeß der Schwellenländer wie auch jener ganz armen Länder wahrnehmen, die noch nicht einmal in die Übergangsphase zur Industriegesellschaft eingetreten sind?

Welcher Wandel in ihrem politischen, sozialen, ökonomischen und moralischen Denken, in ihrem materiellen Lebensstil und in der Entwicklung ihrer technischen Möglichkeiten ist notwendig, damit sie, die Wohlhabenden und Mächtigen, ihre Vorbildfunktion angemessen erfüllen und damit der Verantwortung für eine anhaltend günstige Entwicklung der gesamten Welt gerecht werden?

Ich hege keine Zweifel daran, daß die Übernahme ihrer Vorbildfunktion durch die Reichen und Mächtigen und die Qualität, mit der diese den Entwicklungsprozeß überall in der Welt richtungsweisend beeinflussen, von außerordentlicher Bedeutung für die Zukunft aller Menschen sein werden. Damit soll nicht gesagt sein, die Menschen in den Entwicklungsländern sollten sich den Lebensstil der Wohlhabenden und Mächtigen zu eigen machen. Sie sind selbstverständlich frei — soweit das die Bindungen und Beschränkungen gestatten, welche die gegenseitigen Abhängigkeiten der Völker ihnen auferlegen —, ihren eigenen Entwicklungsweg zu suchen.

Einige Entwicklungsländer mögen jenen materiellen Lebensstil sogar völlig ablehnen, wie er in vielen Gesellschaftsschichten der modernen Industrienationen vorherrscht, die ihrerseits sicherlich auch von den gegenwärtig noch armen Völkern viel lernen können. Deshalb bedeutet der an die Wohlhabenden und Mächtigen gerichtete Appell zur Wahrnehmung ihrer Vorbildfunktion die Forderung, ihren Lebensstil, ihre Industriestruktur, ihre Verbrauchsmuster usw. auf eine Weise zu ändern, daß bei einer Übernahme all dessen durch die

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heute in den Schwellenländern und auch in den erst am Anfang der Industrialisierung stehenden, äußerst armen Entwicklungsländern lebenden Menschen die so im Laufe des kommenden Jahrhunderts entstehende Welt ökologisch, materiell, politisch, sozial, kulturell, moralisch und geistig auf Dauer überlebensfähig ist. Auf keinen Fall ist die Forderung nach Wahrnehmung der Vorbildfunktion so zu verstehen, daß der einzige Entwicklungspfad, der die Entwicklungsländer zu größerem Wohlstand führen könne, darin bestehe, das Modell der gegenwärtig industriell fortgeschrittenen Länder zu kopieren. Ich bitte meine Leser, sich dieser Definition der Vorbildrolle zu erinnern, wenn im folgenden immer wieder auf diese Vorbildfunktion der Wohlhabenden und Mächtigen hingewiesen wird.

Da durch »Die Grenzen des Wachstums« mehr als durch jedes andere Buch in der seither verflossenen Zeit die Diskussion über die Zukunft der Menschheit beflügelt worden ist, und weil besonders dieser Bericht an den Club of Rome versucht hat, die erste der umseitig gestellten beiden Fragen zu beantworten, habe ich Teil I des hier vorgelegten Berichts unter das Thema »>Die Grenzen des Wachstums< — wiederbetrachtet« gestellt. Natürlich gibt es noch weitere Gründe für diese Neubewertung; unter ihnen spielt nicht zuletzt die Tatsache eine Rolle, daß das Buch »Die Grenzen des Wachstums« die Aktivitäten des Club of Rome in den vergangenen fünfzehn Jahren quasi überschattet hat. Deshalb hat sich auch der Club of Rome in den vielen seither erschienenen Berichten und auf seinen zahlreichen internationalen Konferenzen - allerdings mit wenig Erfolg - darum bemüht, nicht ausschließlich mit den Aussagen der »Grenzen des Wachstums« identifiziert zu werden. Der hier vorgelegte Bericht dient unter anderem auch diesen Bemühungen.

Ferner wird in Teil I ein neues Paradigma für Wachstum und Entwicklung eingehend erörtert, das eine konzeptionelle Sicht von Entwicklungsprozessen vermittelt, die über das gegenwärtig akzeptierte enge Konzept von quantitativem Wirtschaftswachstum grundlegend hinausgeht.

In Teil II wendet sich dieser Bericht einer Reihe von entscheidenden konkreten und allgemeinen Fragen zu, deren Lösung die Menschen in den wohlhabenden Ländern zu suchen haben, indem sie sich dringlich um Antworten auf den zweiten hier aufgeworfenen Fragenkomplex bemühen. In diesem Teil konnte ich stellenweise auf einige frühere Berichte an den Club of Rome zurückgreifen.

Möge so dieses Buch »Jenseits der Grenzen des Wachstums« als ein weiterer Schritt in der Evolution der Arbeit des Club of Rome – von der Analyse der uns bedrängenden Weltprobleme bis zur Erkundung verschiedener gangbarer Wege in die Zukunft – gesehen werden.

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