Start    Literatur 

14   Schlussbemerkung

 Neuffer-1992

 

123-125

Es ist nicht das Ziel dieses Essays, für ein Nein zum Leben zu werben ‐ wohl allerdings für die selbstkritische Überprüfung eines unreflektierten Ja.

Junge Menschen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie Kinder ins Leben setzen wollen, sollten sich so genau wie möglich vergegenwärtigen, wie das Leben beschaffen ist, das sie ihren Kindern ungefragt aufer­legen. Und sie sollten sich selbst fragen, ob sie ein solches »Lebensgeschenk« verantworten können und wollen.

Im Übrigen mache ich keinen Hehl daraus, daß mir alle Menschen als höchst beneidenswert erscheinen, die mit der Weltveranstaltung und ihrem Schicksal darin einverstanden zu sein vermögen. Ich würde mir ihr Urteil gern zu eigen machen. Das kann ich nicht. So habe ich versucht, die Gründe für die eigene negative Bewertung der menschlichen Lebensbedingungen so darzustellen, daß die Ablehnung verständlich wird.

Aus solchem Verständnis könnte die Respektierung dieser Minderheitenposition erwachsen, an der es jetzt noch durchweg fehlt. Zugleich ist allerdings auch das Grundrecht auf die Selbstgestaltung nicht nur des eigenen Lebens, sondern auch des eigenen Todes einzufordern, das jetzt noch vielfältig vorenthalten und vereitelt wird.

Die wohlbedachte Entscheidung eines Menschen, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, ist ohne Vorbehalt zu respektieren. Sie muß unter allen Lebensumständen in Würde und Humanität vollzogen werden können. Im Rahmen der Überlegungen zu diesem Themenkreis haben sich einige praktische Forderungen an den Gesetzgeber herausgebildet. Der besseren Übersicht wegen seien sie hier noch einmal knapp zusammengefaßt:

1. Das Recht auf Selbsttötung sollte ausdrücklich anerkannt werden, am besten durch eine Ergänzung von Artikel 2, Grundgesetz.

Zur Realisierung dieses Rechts bedarf es einer Reihe von Ausgestaltungsnormen, z.B. über:

1.1 Lebensverkürzende Medikation zur Schmerzfreiheit;

1.2 die Verbindlichkeit von Patiententestamenten für die Behandlung in Krankenhäusern und Pflegeheimen;

1.3 den freien Zugang zu tödlichen Medikamenten, auch in Krankenhäusern und Heimen;

1.4 die Zulässigkeit der Tötung auf Verlangen;

1.5 ein grundsätzliches Interventionsverbot nach Einleitung einer Selbsttötung.

2. Alle Verbote, Einschränkungen und Auflagen für Schwangerschaftsunterbrechungen sollten ersatzlos gestrichen werden.

3. Die Zulassung der aktiven Sterbehilfe für geeignete Fallgruppen sollte geprüft werden.

#

Die gegensätzlichen Positionen zum menschlichen Leben sind Jahrtausende alt. Sie werden fortbestehen. Die darin liegende Spannung müssen wir aushalten und in wechselseitigem Respekt vor der Einstellung des jeweils anderen erträglich machen.

In der Verlagswerbung für einen Frauenroman wurde die Autorin kürzlich mit folgendem Satz zitiert: Wenn auch nur ein einziges Kind, dem sein Leben verwehrt werden sollte, aufgrund dieses Romans sein Leben erhält, dann hat sich die Arbeit an diesem Buch gelohnt.

Ich hatte mir während des Schreibens gelegentlich einen ähnlich klingenden Satz notiert: Wenn auch nur einem einzigen Kind durch dieses Buch erspart bleibt, ins Leben gesetzt zu werden, dann hat sich die Arbeit daran gelohnt.

So ist das bei uns Menschen.   [detopia: ..."Die gegensätzlichen Positionen .... werden fortbestehen."]

Eine gemeinsame Aufgabe sollte die Bejaher wie die Verneiner des menschlichen Lebens allerdings zusammenführen: Das Bemühen, dem mörderischen Überwachstum der Menschheit Grenzen zu ziehen.

Wenn das nicht in letzter Stunde gelingt, dann werden auch die Lebensperspektiven der am heftigsten gewünschten Kinder trostlos. Die Erde wächst nicht mit.

125

Ende

 

 

www.detopia.de    ^^^^ 
Martin Neuffer Nein zum Leben Ein Essay 1992