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4. Befreiung vom Selbstbetrug 

1992-1993 

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache, als Nachwort zur kritischen Analyse der Anonymen-Alkoholiker-Bewegung von Ken Ragge, die unter dem Titel <More Revealed> bei <Alert-Publishing> 1992 veröffentlicht wurde.

 

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Seit jeher gehen leidende Menschen zu anderen Menschen, bei denen sie Trost und Hilfe suchen: bei Weisen, Priestern, Gurus, Psychologen und Gruppen aller Art. Sie wissen nicht, daß die Befragten ihnen nicht wirklich helfen können, solange sie wie die Mehrheit aller Menschen genau die Wahrheit fürchten, die allein helfen könnte. Und dieses Wahrheit besteht dann, daß die Verdrängung der in der Kindheit erfahrenen Verletzungen die tiefste und meist verborgene Ursache unseres späteren Leidens ist.

Für das Kind war die Verdrängung unvermeidlich, weil es an den überwältigenden Schmerzen hätte sterben müssen. Aber ein Erwachsener muß nicht sterben, wenn er sich entschließt, seine Geschichte auszugraben, um bewußter zu leben. Jm Gegenteil, er kann sich von andauernden, manchmal schweren Symptomen befreien, wenn er schließlich die alten Verletzungen wahrnimmt und. sie ausheilen läßt. Erst wenn wir die in unserer Kindheit im Dienste des Überlebens verdrängten starken Gefühle fühlen, sie ernst nehmen und klären können, erst wenn wir die Mißhandlungen ohne "moralische" Hindernisse verurteilen dürfen und die echten Bedürfnisse gefunden haben, können wir die alten Wunden heilen lassen und ein freies, erfülltes Leben beginnen. Alles andere ist Betrug und Selbstbetrug, solange es auf der Verleugnung der Wahrheit beruht und das reale, über­prüfbare Wissen ignoriert.

Was tun wir, wenn unser Auto plötzlich seltsame Geräusche von sich gibt oder einfach nicht mehr funktioniert? Wir bringen es selbstverständlich in eine Werkstatt und erwarten, daß der Mechaniker, der Spezialist, die Ursachen des Versagens erkennt, bevor er unseren Wagen repariert. Wir würden das Auto nicht einem Mann anvertrauen, der diese Ursachen hartnäckig nicht zur Kenntnis nehmen will. Einen solchen "Spezialisten" würden wir vermutlich geradezu als gefährlich betrachten.

Anders ist es allerdings, wenn er an unserer Seele bastelt. Die liefern wir nämlich oft bedenkenlos gerade solchen "Spezialisten" aus. Warum? Warum zweifeln wir eher an den fachlichen Fähigkeiten einer Person, der wir unseren Wagen anvertrauen wollen, als an denen eines Menschen, dem wir unsere Seele anvertrauen? Weil wir von klein auf von unseren Erziehern gelernt haben, diese Seele, deren Existenz, deren Not, deren Bedürfnisse und Gesetze, zu ignorieren und sie nicht zu befragen? Weil wir gelernt haben, erfahrene Demütigungen nicht zu fühlen, ihnen keine Beachtung zu schenken, unsere Rechte nicht zu kennen und keine Fragen zu stellen? Weil wir unsere eigene Geschichte nicht kennen und nicht kennen dürfen? Weil wir die alten Schmerzen fürchten? Oder weil wir nicht wissen, daß und wie man diese erlittenen Verletzungen gefahrlos erleben kann?

Vermutlich spielen alle diese Gründe zusammen eine Rolle. Menschen, die in ihrer Kindheit mißhandelt und betrogen wurden — und es gibt wenige, die man nicht durch die "Schwarze Pädagogik" betrogen hat (vgl. Am Anfang war Erziehung, 1980) —, sind kaum in der Lage, Manipulationen zu durchschauen, außer sie verlieren ihre Blindheit in einer wirksamen Therapie. Sonst akzeptieren sie widerstandslos Absurditäten — weil sie die seit jeher gewohnt sind.

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Und bis vor kurzem wußte auch niemand, wie man die eigene, vergessene, aber in unserem Körper gespeicherte und immer noch aktive Geschichte aus dem Dunkel der Vergessenheit ans Licht bringen und das Leiden in diesem Licht auflösen kann. Dieses Konzept ist wirklich eine ganz neue Entdeckung, die noch nicht an Universitäten gelehrt wird und die weder mit der Schulpsychologie noch mit Freud und seinen Nachfolgern etwas zu tun hat.

Was tun wir, wenn wir von einem Auto angefahren wurden und ein Bein gebrochen haben? Wir werden wohl nach Möglichkeit einen ausgebildeten Arzt aufsuchen und die Verletzung behandeln lassen. Wir werden unter normalen Bedingungen nicht zu einem Priester gehen, der uns beten läßt, nicht zu einem Teufelsaustreiber, der uns die Schuld am Unfall auflädt, wir werden auch kaum andere Menschen mit gebrochenen Knochen aufsuchen, die unsere Reaktion auf die eigene Not als schlechtes Benehmen ansehen würden und uns zu einem besseren erziehen wollten: die uns einreden wollten, alles werde gut, wenn wir nur bereit seien, unsere Schmerzen zu vergessen und dem dafür verantwortlichen Autofahrer zu verzeihen. Eine solche Zumutung käme uns ganz bizarr und verwirrend vor. Zumindest wenn es um unsere Knochen ginge.

Anders ist es allerdings auch hier, wenn es um unsere Seele geht. Wenn unser Herz und unsere Seele gebrochen sind, gehen wir bedenkenlos zu Menschen, die entweder über diesen für sie unsichtbaren Bruch spotten oder ihn gar nicht wahrnehmen können noch wollen, weil sie fürchten, den eigenen Schmerz fühlen zu müssen und ebenfalls von der ganzen Gesellschaft deswegen mißverstanden und verspottet zu werden. Sie behandeln uns nach dem gleichen Prinzip, wie sie einst behandelt wurden: "Du mußt genauso leblos bleiben, wie ich es geworden bin, als ich gezwungen wurde, meine Gefühle, meine Wahrheit aufzugeben."

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Oder wir gehen zu Menschen, die sich als die höchste Autorität in Sachen "Heilung" ausgeben, aber unkritisch und unreflektiert das Vokabular der "Schwarzen Pädagogik" benutzen und zum Beispiel sagen würden: "Wir verstehen deinen Ärger auf den Autofahrer, wir ermutigen dich sogar, den Ärger eine Weile zu fühlen, aber dann mußt du dich zusammennehmen, du mußt verstehen, daß er dich nicht absichtlich angefahren hat, du mußt lernen, deine Gefühle loszuwerden, 'positives Denken' üben, und vor allem mußt du dem Fahrer verzeihen, ja ihn sogar um Verzeihung dafür bitten, daß du ärgerlich auf ihn warst — sonst können deine Brüche nicht ausheilen." — "Warum nicht?" müßten wir fragen. "Hängt der Heilungsprozeß nicht gerade von der Wahrheit und dem Berechtigtsein unserer Gefühle und Bedürfnisse ab, die in unserem Körper leben und die uns eine wichtige Botschaft vermitteln? Warum wollt ihr uns diese wegnehmen? Merkt ihr nicht, daß euer angeblich moralisches Gerede im Grunde nur verwirrend und destruktiv ist?"

Auch wenn diese "Moral" tief in unserer Tradition und in Religionen verwurzelt ist: eigene und fremde Gefühle zu töten ist naturwidrig. Tiere töten ihre Jungen, die nicht lebensfähig sind, aber die gesunden Kleinen pflegen sie, damit sie leben können. Nur das menschliche Kind wird oft zu einem Dasein verurteilt, das weder Leben noch Tod ist. Kein Wunder, daß so viele Menschen nach einem Mittel suchen, diesem Elend zu entkommen, und in der Sucht landen, in der Abhängigkeit von Alkohol, Drogen, Medikamenten, Essen, Rauchen oder täglichen Besuchen von Gruppenversammlungen. Die Sucht bietet aber keine sichere Zuflucht, und vor allem: sie ist nicht mehr nötig, weil ein anderes, gesundes Mittel bereits gefunden wurde, dem ständigen sprachlosen Horror zu entgehen: ihn wahrzunehmen, zu fühlen und dessen Konsequenzen aufzulösen. Auch wenn es seit Jahrtausenden so war, daß Menschen vor ihrer Geschichte und ihren Wunden zu fliehen versuchten, weil sie keinen anderen Ausweg aus ihren Fallen kannten — heute haben sie es nicht mehr nötig.

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Heute, zum ersten Mal in der Geschichte, haben wir eine Wahl: Heute existiert eine Methode des Zugangs zur eigenen Lebensgeschichte, die nicht auf Hypnose beruht und die uns die volle Führung, Autonomie und Verantwortung überläßt. Seit der ersten Publikation von J. Konrad Stettbachers Therapiebeschreibung <Wenn Leiden einen Sinn haben soll> im Jahr 1990, der bereits sechs Auflagen folgten, häufen sich Berichte von Menschen, denen es gelungen ist, mit Hilfe dieser Anleitung ihre Entdeckungsreise zur eigenen Biographie anzutreten und schwere Symptome zu beseitigen. (Nächstes Jahr soll eine Fortsetzung dieser Beschreibung unter dem Titel "Antworten auf Fragen aus der Hölle" erscheinen.)

Ich meine, daß ich diese Information all den Menschen schulde, die mir geschrieben haben und die nicht nur die Sucht als Mittel des Umgangs mit ihren Problemen, sondern auch den Gehorsam als eine Form des Lebens ablehnen; die trotz der Angst unbedingt mit ihren Gefühlen und ihrer Geschichte in Berührung kommen wollen; die sich seit langem nach dem vollen Leben sehnen, das ihnen durch Meinungen und Indoktrinationen aller Art gestohlen wurde, und die gar nicht wissen, daß sie das Recht darauf haben; Menschen, die ihre in den gefrorenen Gefühlen blockierten Erinnerungen finden wollen, aber den Weg dahin nicht kennen.

Sie leiden seit langem unter Depressionen, Süchten und anderen Formen von Verwirrung, obwohl sie bereits unzählige Programme absolviert haben. Ob und wie sie von meinen Informationen Gebrauch machen können, hängt nicht von mir, sondern vor allem von ihrer Geschichte ab. Aber sobald sie beginnen, sich ihrer wahren Biographie zu nähern, sich dieser Lebens­geschichte gefühlsmäßig bewußt zu werden, werden sie der Falle entkommen und Möglichkeiten entdecken, die ihnen bisher absolut verborgen geblieben sind.

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Liebe Leserin, lieber Leser, Sie brauchen meiner Empfehlung der Stettbacherschen Therapie nicht zu glauben, Sie sind frei, sie auszuprobieren und selber festzustellen, ob sie für Sie wirkt. Auf jeden Fall müssen Sie nicht an "höhere Mächte" glauben, damit sie wirkt. Diese Mächte werden kaum etwas für Sie tun, wenn Sie ihnen den blinden Gehorsam verweigern. Sie müssen die Arbeit selber durchführen, mit Hilfe der Informationen und Erklärungen aus der Therapiebeschreibung. Und Sie können es tun.

Was Sie finden werden, war schon immer in Ihnen. Es brachte Ihnen sicher viel Sorgen und Not, aber nur weil und solange sie "es" fürchteten, verleugneten und in der Verdrängung hielten. Jetzt, da Sie Ihre Lebensgeschichte schließlich anschauen wollen, wird sie ihnen helfen, wird sie Sie leiten. Ihnen Orientierung geben. Sie werden Ihre Furcht wahrnehmen als das, was sie ist. Vielleicht ist es die Furcht des kleinen Kindes vor der Strafe, die es erwartet, wenn es die Wahrheit erkennt und sie aussprechen will. Aber Sie werden heute nicht bestraft, nicht mehr geschlagen noch seelisch umgebracht, wenn Sie die Wahrheit sagen. Jetzt, als Erwachsener, können Sie auf Ihrem Recht, die Realität zu fühlen und wahrzunehmen, bestehen, ohne daß Ihnen jemand dieses Recht streitig machen kann.

Sie brauchen sich nicht länger an das Phantomwort "Spiritualität" wie an einen Talisman zu klammern, das im Grunde meistens nur etwas auszusagen vorgibt, aber nichts sagt, was man nicht auch mit anderen Worten ausdrücken könnte. Ihre realen Gefühle werden Sie nicht umbringen, sie werden richtungweisend für Sie sein. Gefühle, die wir leben und im inneren Dialog artikulieren können, bringen uns nicht um. Sie helfen uns, uns zu orientieren. Nur die ungelebten, gefürchteten, verbannten (und doch vitalen, starken und realen) Emotionen können uns umbringen. Forscher haben beispielsweise eine erste Ahnung davon entwickelt, daß Krebs sehr häufig die letzte verfügbare Sprache der verdrängten Gefühle ist.

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Es stellte sich heraus, daß, sobald diese unerwünschten Gefühle und Bedürfnisse gefühlt, ausgedrückt und ernst genommen wurden, sobald eine direkte gesunde Sprache entwickelt wurde, sich schwere Tumore zurückbildeten und sogar volle Genesung möglich wurde, wo früher Hoffnungslosigkeit bestand (vgl. Linda Temoshock und Henry Dreher, The Type C-Connection, Random House, 1992).

 

Unsere Knochenbrüche müssen wir durch den Arzt heilen lassen. Aber die Ursachen des eigenen seelischen Leidens kann nur der Betroffene selber heraus­finden, wenn er endlich weiß, wie er das tun kann, d.h., wenn er eine Anleitung dazu besitzt. Und wenn er sich auf den Weg zu seiner einmaligen, unverwechselbaren Geschichte begibt, kann er die Brüche auch "reparieren", sie ausheilen lassen, vom einzigen zuständigen Experten, den es dafür gibt: von ihm selbst. Je besser er gelernt hat, seine Gefühle ernst zu nehmen und sie in den vier Schritten der Stettbacherschen Methode zu klären, um so deutlicher wird er Lügen, Demütigungen und Manipulationen durchschauen und sich ihnen verweigern.

Selbstverständlich verschwindet im Laufe dieser inneren Reise auch der Alkoholismus, wie jede andere Sucht. Was ist eine Sucht? Sie ist ein Signal, daß der einzelne in Not ist, ein Symptom. Ein Symptom ist eine Sprache, die von einer Not erzählt, die nicht verstanden werden darf. Daher will man sie loswerden, statt nach den Ursachen zu fragen. Man kann Symptome wie Sucht manchmal mit Medikamenten, sogenannten Behandlungen, Predigten, "Wundern", Drohungen, Ideologien aller Art beseitigen; man kann sie bekämpfen, indem man die Verdrängung verstärkt. Aber viele Menschen, die auf diese Weise aufhören zu trinken, sehen sich plötzlich in einer neuen Abhängigkeit gefangen, weil die eigentlichen Gründe der Sucht nicht erkannt werden dürfen. Auch davon lebt der Drogenhandel. Sehr viel Geld und Ruhm läßt sich mit dem Verdrängungsgeschäft erreichen, mit dem Wunsch vieler Menschen, sich permanent mit Suchtmitteln zu betrugen und ihrer Geschichte davonzulaufen, um die Illusion der Liebe zu bekommen.

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Das erwachsene Kind sagt: Ich bleibe blind, wie du mich haben wolltest, kannst du mich jetzt lieben? Aber die verdrängte Geschichte verschafft sich eine neue Sprache, neue Symptome, solange sie nicht ernst genommen und verstanden wurde.

Alkoholismus ist eine Form der Sucht, der Versuch eines verzweifelten Menschen, der nicht verzweifelt sein darf, seine Not im Alkohol zu ertränken, ihr so zu entkommen, sie zu vergessen. Es ist klar, daß dieser Weg nicht mehr nötig ist, sobald man sich zum Gegenteil entschlossen hat, nämlich die Verzweiflung zu spüren und im inneren Dialog zu artikulieren, sobald man sich der Angst, diese Gründe zu erkennen, bewußt wird und sich für die Wahrheit entschieden hat. Weil man endlich begriffen hat, daß alles andere nichts nützt, und weil man nicht länger sein eigenes Leben sinnlos davonlaufen sehen will.

Meine Empfehlung der Stettbacherschen Methode läßt sich auf keinen Fall auf andere Formen der mir bekannten Therapien ausdehnen, auf keinen Fall auf Programme, die auf die Verzeihung hin arbeiten (wie z.B. der "Quadrinity Process" von Fischer-Hofman, die Anonymen Alkoholiker und die John-Bradshaw-Bewegung), weil ich dies für gefährlich halte (s. Kap. III,1 dieses Buches).

 

Ich werde häufig nach dem Unterschied zwischen Stettbachers und Janovs Primärtherapie gefragt. Janov hat zwar mehrere Bücher geschrieben, in denen seine Patienten von ihren Primärerlebnissen berichten, aber er hat nie ein Konzept seiner Therapie vorgelegt. Stettbacher hingegen hat genau das getan. Er beschrieb ausführlich und präzise die von ihm sorgfältig entwickelte Methode und machte sie auf diese Weise jedem zugänglich, der wirklich gewillt ist, seine Wahrheit zu finden — was auch immer sie ihm enthüllen soll. Da es in dieser Beschreibung keine Geheimnisse gibt, kann ich mir kaum einen ernsthaften Therapeuten vorstellen, der nicht daran interessiert wäre, die Wirksamkeit des Stettbacherschen Konzeptes zu überprüfen.

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Unsere wahre, verdrängte Lebensgeschichte ist in unserem Körper gespeichert. Dieser versucht, sich mit Hilfe von Symptomen Gehör zu verschaffen. Eigentlich zu unserem Wohl, denn die Verleugnung der Wahrheit — obwohl für das Kind notwendig — ist für den Erwachsenen zerstörerisch. Die Zellen unseres Körpers bleiben von Forderungen nach Verzeihung und jeglicher Moral unberührt. Sie können zwar durch Medikamente für eine gewissen Zeit manipuliert und getäuscht werden, doch letztlich läßt sich der Körper nur mit der Wahrheit ein. Es ist die Wahrheit unserer Lebensgeschichte, die durch das Erlebnis unserer einst verdrängten Gefühle mit Hilfe der vier Schritte langsam aufgeschlüsselt werden kann. Dann erübrigt sich die Sprache der Symptome.

Die Wahrheit dieser Behauptung kann jede(r) an sich selbst überprüfen, sobald sie oder er bereit ist, es zu versuchen.

Leider ist das Angebot an den für diese Arbeit ausgebildeten Helfern immer noch viel geringer als die Nachfrage. Wenn Sie meinen, eine Begleitung beim Einüben der vier Schritte unbedingt zu brauchen, und noch keinen darin ausgebildeten Therapeuten kennen, werden Sie diese Begleitung vielleicht bei Therapeuten finden, die selber ehrlich versuchen, die Klärung ihrer Gefühle und Bedürfnisse mit Hilfe der vier Schritte zu erlernen. Wenn aber jemand behauptet, er hätte dies nicht nötig, wenn er nicht bereit ist, das oben erwähnte Buch genau und gründlich zu lesen und für sich zu verarbeiten, sondern globale Urteile abgibt; wenn er nicht in der Lage ist, über Ihre Fragen im einzelnen mit Ihnen zu sprechen, wird er Ihnen kaum eine Hilfe sein. Er wird Sie vermutlich früher oder später aus eigenen Ängsten und Widerständen heraus verwirren und ihren Befreiungsprozeß blockieren, um sich nicht mit der eigenen Wahrheit konfrontieren zu müssen.

Auf jeden Fall versuchen Sie nicht, die Ängste Ihrer "Helfer" aufzulösen. Das können nur diese allein tun, wenn sie es wirklich wollen. Wenn sie es aber nicht wollen, kann keine Macht sie dazu zwingen. Doch Sie können sich weigern, die Rechnung für ihre unaufgelösten Ängste zu bezahlen, sich zur Aufrechterhaltung der Ängste Ihrer Helfer gebrauchen zu lassen. Je besser Sie sich inzwischen mit Ihrer Geschichte vertraut gemacht haben, je besser Sie gelernt haben. Ihre Signale wahr- und ernstzunehmen, um so leichter werden Sie beurteilen können, ob Ihr Therapeut Ihnen wirklich folgen und helfen kann oder Sie lediglich immer mehr verwirrt. In diesem letzten Fall müßten Sie den Mut und die Weisheit haben, auf seine "Hilfe" zu verzichten, wie Sie es mit dem Automechaniker tun würden, der an Ihrem Wagen herumzubasteln beginnt, ohne wissen und verstehen zu wollen, warum der Wagen versagt hat. Dieser Mann mag noch so nett sein, doch solange das Risiko besteht, daß er schädigt, ja sogar Ihr Leben aufs Spiel setzt, dürfen Sie nicht vergessen, daß Ihr Leben absoluten Vorrang hat und Sie es nicht wie ein Auto ersetzen können.

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Mai 1993, Alice Miller 

 

E n d e 

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