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3. Gaias Lebensgeschichte

Lovelock-2006

 

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Vor drei bis vier Milliarden Jahren begann das Leben auf der Erde: Dieses Datum können wir bloß schätzen, weil sich nur wenige eindeutig datierbare Fossilien finden. In dieser Anfangszeit spendete die Sonne vermutlich 25% weniger Licht als heute. 

Wir glauben, dass die Erde damals größtenteils von Ozeanen bedeckt war und es nur kleine Kontinente gab. Aber es war warm genug, dass das Wasser nicht gefror und das Leben aufgrund von sehr viel Kohlendioxid in der Atmosphäre - vielleicht 30-mal mehr als heute - in Gang kommen konnte. 

Die Erde war wohl auch ein dunklerer Planet als jetzt, weil es weniger Land und möglicherweise weniger Wolken gab. Nachdem sich dann die Fotosynthese entwickelt hatte und sie das Kohlendioxid als Rohstoff nutzte, ging dessen Anteil an der Atmosphäre zurück.

Man könnte dies als einen umgekehrten Treibhauseffekt betrachten, der das frühe Leben vor vergleichbare Probleme stellte wie die Treibhauserwärmung uns, aber damals war das Leben von Kälte oder Erfrieren bedroht, nicht von Hitze. Wir glauben, dass das frühe Leben dieses Problem löste, indem sich Organismen namens Methanogene ausbildeten, die es noch immer überall dort gibt, wo Sauerstoffmangel herrscht, zum Beispiel in unseren Gedärmen. 

Diese Detritivoren (»Abfallfresser«) zersetzen das Gewebe von abgestorbenen fotosynthetischen und anderen Organismen; hauptsächlich produzieren sie dabei die Gase Methan und Kohlendioxid. Methan ist ein 24-mal wirkungsvolleres Treibhausgas als Kohlendioxid, und als sein Anteil an der frühen Erdatmosphäre bei rund 100 ppm lag, konnte es mit Leichtigkeit unseren jungen Planeten warm genug für das Leben halten. 

Diese erstmals in meinem Buch <Das Gaia-Prinzip> (1988, dt. 1991) dargelegte Vorstellung wird heute allmählich von immer mehr Geochemikern geteilt.

Als sich dann Gaia als planetarisches System entwickelt hatte (und ich glaube, das geschah erst einige Zeit nachdem das Leben selbst seinen Anfang genommen hatte), verwandelte sich die Atmosphäre von einer vom Kohlendioxid dominierten zu einer von Methan beherrschten. 

Diese uralte Welt der Bakterien war dynamisch stabil und nicht sehr störungsanfällig, aber im Gegensatz zum statischen Gleichgewicht eines toten Planeten war Gaia durch Katastrophen verwundbar, etwa durch Meteoriteneinschläge oder große Vulkanausbrüche. Wenn ein Ereignis dieser Art die meisten lebenden Organismen auslöschte, verschwand das Methan rasch aus der Luft, und die Erde wäre gefroren, hätte sie sich in diesen frühen Zeiten nicht automatisch wieder erholt, weil Kohlendioxid aus Vulkanen in die Luft gelangte und einen Treibhauseffekt aufbaute, der die Erde wieder erwärmte. Es gab genügend Überlebende, die die stinkende Faulraumwelt der jungen Gaia wiederherstellten. 

Heute liegen die Dinge ganz anders; jede Katastrophe, die Gaias Regulierungssystem ausfallen ließe, würde zu einer heißen, toten Erde führen, und es gäbe keine natürlichen Mittel, wie sie zu ihrem kühleren Zustand zurückkehren könnte.

Simple Modelle von Gaia sind stabil und nicht leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen — aber nur, wenn es mehr als eine kritische Masse von Leben auf dem Modellplaneten gibt. Bei den Modellen stellt sich in der Regel ein Gleichgewicht ein, wenn es auf 70 bis 80 Prozent der Erdoberfläche Leben gibt; beim Rest geht man davon aus, dass es nur spärlich oder gar nicht belebte Wüsten und Meere sind.

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Wenn eine Epidemie oder ein anderes Missgeschick mehr als 70 bis 90 Prozent der Populationen vernichtet, werden Temperatur und chemische Zusammen­setzung nicht mehr reguliert, und das Modell fällt rasch auf den Gleichgewichtszustand des toten Planeten zurück.

Wie leicht diese Modellsysteme umkippen, hängt davon ab, wie viel Stress der Planet ausgesetzt ist, ehe es zu der Störung kommt. 

Bei einem Modell der Erde vor zwei Milliarden Jahren stellte ich fest, dass fast sämtliche lebenden Organismen eliminiert werden konnten, ohne dass das planetarische Klima davon beeinträchtigt wurde. Zu dieser Zeit durchlief die Erde eine Phase, in der die Wärme der Sonne für das Leben gerade richtig und eine Temperatur­regulierung kaum oder gar nicht nötig war. Das war vielleicht der Grund, warum eine der großen Krisen in Gaias Dasein, das Aufkommen von Sauerstoff als dominantem Atmosphärengas, ohne tödliche Folgen verlief. Denn diese Krise ereignete sich, als das Klima im Sonnensystem günstig war. Zu Anfang, vor über drei Milliarden Jahren, war die Sonne ungemütlich kalt — heute ist sie zu heiß.

Das Aufkommen von Sauerstoff war ein so wichtiges Ereignis in Gaias Lebensgeschichte wie die Pubertät bei Menschen. Er trieb die Evolution von komplexeren lebenden Zellen, den Eukaryonten, und schließlich der großen Zellmassierungen voran, aus denen Pflanzen und Tiere bestehen. Nicht zuletzt ermöglichte er der Erde, ihre Ozeane zu behalten, da der Sauerstoff verhinderte, dass der Wasserstoff ins Weltall entwich. 

Nach dem Auftauchen von Sauerstoff durchlief die Evolution des Lebens mehr als eine Milliarde Jahre lang so etwas wie ein dunkles Zeitalter, für das es wenige oder keine historischen Belege gibt. In dieser Ära, dem Proterozoikum, lebten nur Einzeller, und von ihnen blieben in den geologischen Schichten so gut wie keine Fossilien erhalten.

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Unser Blick auf die Vergangenheit der Erde gleicht dem von einem Berg auf eine Landschaft. Abgesehen von einigen wenigen anderen schnee­bedeckten Gipfeln in der Ferne und großen Wäldern und Seen sind jenseits von ein bis zwei Kilometern keine Details mehr zu erkennen. Nehmen wir zum Beispiel die Britischen Inseln während der Eiszeiten des Pleistozäns, wo uns Einzelheiten bekannt sind: In den kurzen Warmzeiten dazwischen bedeckte sie offensichtlich von Küste zu Küste ein ununterbrochener Baumteppich, ein Laubwald-Ökosystem gemäßigter Breiten, das im Vergleich zu den riesigen tropischen Regenwäldern heute klein wirkt, aber eine ebenso große Artenvielfalt aufwies. Der Baumteppich hüllte fast alles Land ein, auch die heute unbewaldeten Gebirge; weidende Tiere hatten ein paar Lichtungen und Pfade angelegt, aber diese machten nur einen winzigen Bruchteil des Ganzen aus. Ein Vogel hoch am Himmel hätte nur einen dicht gestaffelten, sich bis zum Horizont erstreckenden Wald gesehen, ähnlich wie auf einer heutigen Luftaufnahme Amazoniens.

Ich finde es bemerkenswert, dass sich diese grüne Szenerie mehr als 20-mal mit viel länger dauernden Perioden der Tundra und der Vergletscherung abwechselte, was von oben betrachtet eher wie das heutige Grönland ausgesehen haben muss. Die langen Eiszeiten fegten die Bäume hinweg und machten den Boden nahezu unfruchtbar; aber immer, wenn das Klima sich um eine kurze Zwischeneiszeit erwärmte, kehrte das Leben zurück, und zwar jedes Mal auf ganz ähnliche Weise. Die erfrorenen Extremitäten der Erde heilten gut, wenn sich ein wärmeres Klima einstellte.

Als Geophysiologe betrachte ich diese Kalt- und Warmzeiten wie eine Reihe von Experimenten. 

Die Samen von Bäumen und anderen Pflanzen lagen auf dem warmen, aber sterilen Land, das die sich zurückziehenden Gletscher freigelegt hatten, und sie wuchsen rasch, bis sich eine zusammenhängende Walddecke ausgebildet hatte. Dann wurde das Experimentierfeld erneut für eine Eiszeit tiefgefroren, bis es Zeit für eine Wiederholung war.

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Die Reihe von Experimenten verlief erfolgreich, und bei den vielen Wiederholungen variierten die Ergebnisse nur um ein Geringes. Ein Botaniker beispiels­weise würde Variationen bei der Zusammensetzung der Spezies erkennen: Manchmal gab es hauptsächlich Eichen, in anderen, kälteren Perioden überwiegend Erlen, Birken und Koniferen.

Ich vermute — weiß es aber nicht —, dass die Biodiversität — das heißt die Anzahl von unterschiedlichen Arten auf einer bestimmten Fläche — sich gleichfalls änderte. Stabile Klimata, die sich mehrere Tausend Jahre nicht verändern, reduzieren die Diversität in der Regel, aber wenn sich das Klima auch nur ein bisschen erwärmt oder abkühlt, ist als erste Reaktion eine Zunahme der Biodiversität auszumachen. Der Grund dafür ist, dass die neuen Verhältnisse seltenen Spezies Gelegenheit geben zu gedeihen, während die etablierten noch nicht verschwunden sind, weil dafür die Zeit zu kurz gewesen ist. Wenn sich das Klima dann wieder stabilisiert, sterben die Überlebenden der vorangegangenen Epoche aus, und die Biodiversität verringert sich wieder. In der ausgezehrten Umwelt einer Eiszeit geht die Biodiversität natürlich fast gegen null, aber man sollte im Auge behalten, dass Biodiversität und Umweltqualität nicht einfach proportional zueinander sind.

Ein Planetendoktor würde Biodiversität als ein Symptom betrachten, als eine Reaktion auf eine Veränderung. Er würde erkennen, dass eine in dem einen Zustand seltene Spezies in einem anderen zu einer weit verbreiteten wird. Eine reichhaltige Biodiversität ist nicht notwendigerweise etwas höchst Erwünschtes, das um jeden Preis erhalten werden muss. Eine gerötete, schwitzende Haut ist unsere physiologische Reaktion auf zu viel Hitze, und die Biodiversität eines Tropenwaldes wie beispielsweise in Amazonien könnte die Reaktion der Erde auf die Hitze der momentanen Zwischeneiszeit sein. 

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Auf lange Sicht ist keiner dieser beiden Zustände wünschenswert, und die Evolution würde sie zu stabileren Verhältnissen hin verändern. Ich vermute, die Fähigkeit zur Biodiversität hat sich ausgebildet, weil es in Gaias realer Welt immer wieder zu Veränderungen kommt, die in der Regel von außen durch kleine Verschiebungen im Arrangement des Sonnensystems und bei der Leistungskraft der Sonne hervorgerufen werden. Wenn es zu einem Klimawechsel kommt, haben Samen im Ruhezustand, seltene Pflanzen und mit dem Wind oder an den Füßen von Vögeln sich ausbreitende Samen eine bessere oder schlechtere Chance zu wachsen; ist die Gelegenheit günstiger, gedeihen sie und konkurrieren mit den einheimischen Spezies, bis sie ein stabiler Teil des Ökosystems sind. Während dieses Konkurrenzkampfs nimmt die Biodiversität zu, aber sie geht wieder zurück, wenn sich das Ökosystem an die neuen Verhältnisse angepasst hat.

Wir machen uns mittlerweile um das Schicksal eines seltenen Baums — vor allem, wenn er eine Droge produziert, die Krebs heilen könnte — und um seltene und wunderschöne Tiere und Pflanzen so viele Sorgen, wir begeistern uns so sehr für diese Kostbarkeiten, dass wir dabei den Wald selbst aus dem Blick verloren haben. Gaias automatische Reaktion auf schädliche Entwicklungen hängt aber von den Veränderungen im gesamten Waldökosystem ab, nicht vom Vorhandensein oder Fehlen seltener Spezies allein. Durch Aussterben frei gewordene Nischen bleiben nicht leer. Gaia ist eine große Verpächterin, daher werden sie schnell wieder besetzt; Gaias Pacht, den Cashflow der Elemente, zahlen genauso gut langweilige, im Überfluss vorhandene Pflanzen wie seltene — das ist bei menschlichen Ökosystemen nicht anders.

Was aber ist mit den Eiszeiten, wenn es wirklich kalt wird und das Eis den Boden blank kratzt und fast alles Leben auslöscht? Warum leistet Gaia dieser widrigen Veränderung keinen Widerstand? 

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Meiner Meinung nach ist die Antwort in einer langfristigen, den gesamten Planeten berücksichtigenden Perspektive zu suchen. Im Verlauf der Äonen ist die Sonne unerbittlich immer heißer geworden; das liegt in der Natur der nuklearen Glutöfen, die Sterne letztlich sind. Wenn sie älter werden, steigern sie ihre Wärmeproduktion immer mehr, bis sie schließlich in einer Feuerexplosion sterben. 

Um ein stets ausgeglichenes Klima aufrechtzuerhalten, hat das irdische System mehrere Kühlmechanismen entwickelt. Auf dem Land wachsende oder in den Meeren treibende Vegetation entzieht der Luft Kohlendioxid, und das vermindert dessen Treibhauseffekt. Ein weiterer Mechanismus besteht darin, dass Meeresorganismen Gase produzieren, die durch Oxidation in der Luft winzige Partikel ergeben, an denen Wasserdampf kondensiert; ohne sie würde das Wasser in der Luft nicht zu den Tröpfchen werden, aus denen Wolken bestehen. Und ohne Wolken wäre die Erde viel heißer.

Wir leben heute in einer Zeit, die so etwas wie einen kritischen Punkt für Gaia darstellt. Die Sonne ist jetzt schon ungemütlich heiß, aber in der Regel ist es dem System immer gelungen, ausreichend Kohlendioxid abzuziehen und genügend weißes, reflektierendes Eis und Wolken zu produzieren, um die Erde kühl zu halten und die Besetzung ihrer Nischen zu maximieren. Zu diesem Zweck mussten aber die Gegenden oberhalb 45° nördlicher Breite und unterhalb 45° südlicher Breite geopfert werden. Für Gaia ist das kein so großer Verlust wie für die Menschen. Die Polargebiete machen weniger als 30 Prozent der Erdoberfläche aus, und ihre weißen, reflektierenden Oberflächen helfen beim Abkühlen kräftig mit.

Während einer Eiszeit ist so viel Wasser in den Gletschern der Polregionen gebunden, dass der Meeresspiegel um 120 Meter sinkt. Folglich taucht eine riesige Landfläche aus den Ozeanen auf, der größte Teil davon in den Tropen; Tim Lenton machte mich darauf aufmerksam, dass die Fläche des durch das Absinken des Meeresspiegels freigelegten Landes in etwa der des von Eis bedeckten entspricht.

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Der Produktivitätsverlust in den gemäßigten und polaren Breiten wird durch die Zunahme des Lebens an Land in den Tropen und in den kühleren Ozeanen mehr als kompensiert. Die von Meeren bedeckte Erdoberfläche ist während einer Eiszeit zwar kleiner, aber sie ist produktiver, weil das kältere Wasser das Wachstum der Hauptproduzenten begünstigt, der fotosynthetisierenden Algen. 

Wie bereits erwähnt, ist ein warmer Ozean, so verrückt das klingt, bei Weitem nicht so produktiv wie ein kalter. Kälteres Meerwasser ist wie ein dichter Wald: Es wimmelt von Leben und hilft, die Erde kühl zu halten, indem es Wolken produziert und aus der Luft Kohlendioxid abpumpt.

 

Gaias Alter und Tod 

 

Die Sonne liefert unserem Planetensystem alle Energie. Dieser nukleare Glutofen ist jetzt seit viereinhalb Milliarden Jahren in Betrieb, und es wird noch weitere fünf Milliarden Jahre dauern, bis ihm seine Brennstoffe — Wasserstoff und Helium — ausgehen. Auf lange Sicht ist Sonnenenergie nicht erneuerbar, für unsere Bedürfnisse kann man das aber so sehen. Die Sonne schickt uns bemerkenswert stetig und verlässlich Licht und Wärme, und wenn ihre Strahlung ungehindert auftrifft, beliefert sie jeden Quadratmeter Erdoberfläche mit 1,35 Kilowatt Energie.

Weil die Sonne heißer wird, bekommt die Erde jetzt mehr Wärme ab als vor drei Milliarden Jahren, am Anfang des Lebens. 

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Doch die meisten Lehrbücher und populärwissenschaftlichen Fernsehsendungen wollen einem weismachen, dass die Erde zufällig im genau richtigen Abstand zur Sonne geboren wurde, weshalb die Verhältnisse auf der Erde für das Leben gerade richtig sind. Diese Prä-Gaia-Behauptung ist falsch, denn nur für einen kurzen Zeitraum der Erdgeschichte war die Sonnenwärme für das Leben ideal, und das war vor rund zwei Milliarden Jahren. 

Davor war es zu kalt, und anschließend ist es nach und nach immer heißer geworden. Auf sehr lange Sicht ist das solare Aufheizen ein weit größeres Problem für das Leben als die heutige, von Menschen gemachte globale Erwärmung. 

In rund einer Milliarde Jahren, lange vor dem Tod der Sonne, wird die Erde mehr als zwei Kilowatt Energie pro Quadratmeter geliefert bekommen, was unseres Wissens nach mehr ist, als Gaia aushalten kann; sie wird an Überhitzung sterben. 

Gaia reguliert ihre Temperatur nahe dem Wert, der für die zufällig auf ihr lebenden Wesen fast optimal ist. Aber wie viele Regulierungssysteme tendiert sie dazu, über das Ziel hinauszuschießen und des Guten zu viel zu tun. Liefert die Sonne zu wenig Wärme, neigt die Erde dazu, heißer als im Idealfall zu sein; kommt von der Sonne, wie jetzt, zu viel Hitze, wird die Temperatur auf die kühlere Seite des Ideals herabgeregelt. Aus diesem Grund wäre für die gegen­wärtige Erde eine Eiszeit der Normalzustand. 

Die jüngsten Vergletscherungen im Pleistozän — wie die Geologen die Epoche nennen — halte ich für einen letzten verzweifelten Versuch des irdischen Systems, den Bedürfnissen seiner heutigen Lebensformen zu genügen. Die Sonne ist bereits zu heiß für sie.  

Das niedrige Kohlendioxidniveau ist eine Messlatte für die Probleme, mit denen Gaia während einer Eiszeit konfrontiert ist; das Leben auf dem Planeten entzieht der Atmosphäre Kohlendioxid, bis es ein Niveau von nur noch 180 ppm erreicht. Das ist die Hälfte dessen, was heute in der Luft ist, und für einige Pflanzen zu wenig, um zu gedeihen. 

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Michael Whitfield und ich haben 1981 berechnet, dass in weniger als 100 Millionen Jahren die Sonnenhitze so groß sein wird, dass die irdischen Temperaturen nicht mehr auf den gegenwärtigen Zustand herunterreguliert werden können, sodass die Erde gezwungen ist, in eine neue heiße Phase überzugehen, die von einer anderen Biosphäre geprägt sein wird. 

Die kurzen Zwischeneiszeiten wie die momentane sind — meiner Ansicht nach — Beispiele für ein vorübergehendes Versagen der Eiszeit-Regulierungen. 

Diese Überlegungen wurden 1992 von James Kasting und Ken Caldiera und 2001 von Tim Lenton und Werner von Bloh aufgegriffen und fortgeführt.

Betrachtet man die Sache so langfristig und in so großem Maßstab, wird man gewahr, dass unsere Anreicherung der Luft mit Kohlendioxid bis zu einer Verdoppelung seines Anteils in Kürze ernsthaft ein irdisches System destabilisiert, das bereits darum kämpft, die erwünschte Temperatur beizubehalten. Indem wir Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen und natürliche Ökosysteme wie Wälder durch landwirtschaftliche Nutzflächen ersetzen, verabreichen wir der Erde einen Doppelschlag. Wir mischen uns in ihre Temperatursteuerung ein, indem wir die Heizung aufdrehen und gleichzeitig die natürlichen Systeme wegnehmen, die sie zu regulieren helfen. 

Was wir im Augenblick tun, erinnert gespenstisch an die Serie von törichten Handlungen, die zum Reaktorunglück von Tschernobyl führte. Dort drehten die Ingenieure die Heizung auf, nachdem sie die Sicherheitssysteme außer Kraft gesetzt hatten, und es war keine Überraschung, dass sich der Reaktor schnell überhitzte und explodierte.

Klimatologen sind der Ansicht, dass wir uns gegenwärtig gefährlich dem Schwellenwert nähern, jenseits dem es zu widrigen Veränderungen kommen wird — Veränderungen, die nach menschlichen Zeitmaßstäben unumkehrbar sind. Die Erde wird nicht Feuer fangen, aber heiß genug werden, dass der größte Teil des Grönlandeises schmilzt und auch ein Teil des Eises der westlichen Antarktis; den Ozeanen wird dadurch so viel Wasser zugeführt, dass der Meeresspiegel um 14 Meter steigt. Es ist erschütternd, wenn man sich vorstellt, dass fast alle der heutigen großen Bevölkerungs­zentren momentan unterhalb dessen liegen, was nach geologischen Zeitmaßstäben in einem Augenzwinkern Meeresoberfläche sein wird.

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Es wäre ein Fehler, diese Geschichte Gaias zu beenden, ohne noch einmal auf die Tatsache zu sprechen zu kommen, dass sie alt ist und nicht mehr sehr lange zu leben hat. Da die Sonne immer stärker strahlt, wird sie aus Gaias Sicht bald zu heiß für Tiere und Pflanzen und viele mikrobische Lebensformen sein. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es genügend hitzetolerante Lebensformen — thermophile Bakterien in den Oasen einer Wüstenwelt — geben wird, um die kritische Masse von Lebewesen zu bilden, die Gaia braucht. 

Genauso unwahrscheinlich ist, dass die Art von Erde, die wir kennen, auch nur einen Bruchteil jener Milliarden Jahre Bestand haben wird. Die Schädigungen durch einen Meteoriteneinschlag oder auch durch eine zukünftige Industrie­gesellschaft können Gaia zunächst in einen heißeren und vorübergehend stabilen Zustand befördern und schließlich in den Totalausfall.

 

Alt zu werden ist nicht so schlecht, wie man sich das manchmal vorstellt. Als ich ein Teenager war, meinte ich, in meinem jetzigen Alter würde ich gebrechlich, deprimiert und höchstens noch halb bei Verstand sein. Ein paar dieser Vorstellungen sind eingetroffen, wenn auch nicht alle, und obwohl ich noch immer eine leichte Steigung mit gut sechs Kilometern pro Stunde hinaufgehen kann, ist es mir nicht mehr möglich, im selben Tempo Berge zu besteigen. 

Aber irgendwie habe ich gelernt, dass das Leben mit jedem Jahrzehnt von Neuem beginnt; mit Sicherheit begann es für mich mit jeder Dekade von vorn, seit ich 20 geworden bin. Wie bei einem Schmetterling sind die langen Jahre als Raupe und dann als Puppe vorüber, und, wie es die Dichterin Edna Millay ausdrückte:

Meine Kerze brennt an beiden Enden,
sie wird die Nacht nicht überdauern;
doch, ach, meine Feinde, und, oh, meine Freunde —
sie spendet ein herrliches Licht. 

So ist es mit Gaia. Die frühen Äonen ihres Lebens waren von Bakterien beherrscht, und erst gegen Ende ihrer besten Jahre entstand die Meta-Fauna. Als sie — nach unseren Maßstäben — schon über 80 war, betrat das erste intelligente Tier die Bühne des Planeten. 

Was immer unsere Fehler sein mögen, wir haben ihr sicherlich in ihren späten Jahren dadurch Freude bereitet, dass wir sie sich selbst aus dem Weltall als ganzen Planeten sehen ließen, solange sie noch schön war. 

Unglücklicherweise sind wir eine Spezies mit schizoiden Tendenzen, und wie eine alte Dame, die ihr Haus mit immer mehr destruktiven Teenagern teilen muss, wird Gaia böse. Und wenn die Jungen kein besseres Verhalten an den Tag legen, wird sie sie hinauswerfen.

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