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11  Die Millenniums-Generation

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2020 macht die Welt gerade einen Machtwechsel durch. Das geschieht nicht durch Gewalt sondern durch natürliche Nachfolge, durch einen Generations­übergang. Die in die Jahre kommenden Baby-Boomer, die im Kielwasser des Zweiten Weltkriegs zu Beginn des 40jährigen globalen Wirtschafts­wachstums des 20sten Jahrhunderts geboren wurden, verschwinden allmählich aus ihren herausragenden Positionen wirtschaftlicher und moralischer Führung.

Die robust veranlagte, technikverständige Generation, die ihnen folgt – die digitale Generation -, hat die neue Welt verdrahtet. Aber diese zwei Generationen haben einfach das Fundament gesetzt, die Grundlage bereitet für die Gesellschaft, für die Zivilisation, die als nächstes kommt.

Die Millennium-Generation wird volljährig. Das sind die Kinder, die in den 1980ern und 1990ern am vorderen Ende dieses Aufschwungs aller Aufschwünge geboren wurden. Es sind die Kinder, die ihr ganzes Leben lang in diese neuen Technologien verwickelt waren und in einer vernetzten Welt lebten. Sie sind in verdrahteten Schulen erzogen worden, und ihr erster Job setzte das Verständnis der Computer-Technologien stillschweigend voraus. Jetzt machen sie den Hauptteil der Arbeit in der Gesellschaft. Sie erreichen ihre 40er und wenden ihre Aufmerksamkeit der nächsten Generation von Problemen zu, die noch zu knacken sind.

 

Das sind Sorgen auf einer höheren Ebene, die widerspenstigen Probleme – wie die Beseitigung der Armut auf dem Planeten – welche die Menschen zu jeder Zeit der Geschichte für unlösbar hielten. Dennoch wurde diese Generation Zeuge einer außergewöhnlichen Wohlstandsverbreitung über den Planeten. Sie sehen keine innewohnende Barriere, die sie davon abhalten würde, diesen Wohlstand – warum nicht? – auf jeden auszuweiten. Dann ist da die Umwelt. Die Millennium-Generation hat einen Planeten geerbt, der nicht viel schlechter wird. Jetzt kommt das schwierigere Problem der Wiederherstellung, die mit dem Regenwald beginnt. Dann ist da die Regierungsgewalt. Beginnend mit der Präsidentschaftswahl von 2008 können die Amerikaner elektronisch von zuhause wählen. Aber die E-Wahl ist nur eine Erweiterung des 250 Jahre alten Systems der liberalen Demokratie. Interaktive technologien erlauben vielleicht radikal neue Formen der Demokratie-Teilnahme in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß. Viele junge Leute sagen, dass das Ende des Nationalstaates in Sicht sei.

Diese ehrgeizigen Projekte löst man nicht in einem, zwei oder auch drei Jahrzehnten. Aber die Lebensspanne dieser Generation wird sich über das gesamte 21ste Jahrhundert erstrecken. In Anbetracht des Standes medizinischen Wissens werden die meisten Mitglieder der Millennium-Generation 100 Jahr leben. Im Lauf ihres Lebens sehen sie zuversichtlich die Lösung vieler scheinbar unlösbarer Probleme vorher. Und sie erwarten voll und ganz, einige große Überraschungen zu sehen. Nahezu mit Gewissheit wird es unerwartete Durchbrüche im Bereich der Wissenschaft und Technologie geben. Was wird das 21ste–Jahrhundert-Äquivalent der Entdeckung des Elektrons oder der DNA sein? Welche eigenartigen neuen Ideen werden aus dem kollektiven Geist der Millionen von Gehirnen entstehen, die überall auf dem Planeten miteinander verdrahtet sind? Was wird geschehen, wenn Mitglieder dieser Millennium-Generation die Welt möglicherweise mit einer neuen Spezies aus ihrer eigenen Herstellung konfrontiert: Homo superior? Und was geschieht, wenn sie nach all den Bemühungen, den Himmel methodisch zu durchsuchen, schließlich auf Zeichen intelligenten Lebens stoßen?

 

   12  Mach es einfach  

 

Beamen Sie sich zurück auf den Planeten Erde. Kommen Sie im Geist wieder nach 1997 zurück, nachdem Sie nicht einmal zur Hälfte das Übergangsstadium dieser 40-Jahres-Ära durchschritten haben. Wir sind immer noch an der Vorderkante des großen globalen Aufschwungs, des langen Aufschwungs. Nahezu die gesamte Arbeit liegt noch vor uns. Und verdammt viele Dinge könnten schiefgehen.

Das ist nur ein Szenario der Zukunft, keinesfalls eine vorbehaltslose Vorhersage dessen, was kommt. Wir können leidlich darauf vertrauen, dass sich bestimmte Trends fortsetzen. Ein Großteil der Technologie des großen Aufschwungs ist bereits im Gang und wird nahezu unvermeidlich innerhalb dieser Spanne in Erscheinung treten. Asien ist im Aufsteigen begriffen, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn keine bizarre Katastrophe geschieht, wird dieser große Weltteil weiter boomen. 

Aber es gibt viele Unbekannte, kritische Ungewissheiten aller Art. Wird Europa den politischen Willen aufbieten, um den Übergang zur neuen Ökonomie zu vollziehen? Wird Russland nationale Verschanzung vermeiden können und eine gesunde Marktwirtschaft etablieren – allein Demokratie zulassen? Wird China den Kapitalismus voll annehmen und es vermeiden, einen neuen kalten – oder heißen – Krieg zu verursachen? Wird zunehmender Terrorismus die Welt veranlassen, sich in ständiger Furcht zurückzuziehen? Es ist nicht die Technologie oder Wirtschaft, die dem großen Aufschwung die größten Herausforderungen stellt. Es sind politische Faktoren, solche, die von einer starken Führung abhängig sind.

 

Vor hundert Jahren ging die Welt durch einen ähnlichen Prozess technischer Innovation und nie dagewesener ökonomischer Integration, der zu einem globalen Aufschwung führte. Neue Transport- und Kommunikationstechnologien – Eisenbahn, Telegraph und Telefon – verbreiteten sich über den ganzen Planeten und ermöglichten eine Koordination wirtschaftlicher Aktivität in einem nie zuvor gesehenen Maß. In der Tat haben die 1890er viele Parallelen zu den 1990ern – in Freud und Leid. Das Potenzial neuer Technologie schien grenzenlos. Eine industrielle Revolution trieb die soziale und politische Revolution an. Es konnte nicht lange dauern, so schien es, bis eine wohlhabende, egalitäre Gesellschaft zustandekam. Es war eine ungestüm optimistische Zeit.

Natürlich endete das alles in einer Katastrophe. Die Weltführer konzentrierten sich zunehmend auf eine enge nationale Agenda. Die Nationen der Welt kamen vom Pfad wachsender Integration ab und organisierten sich in konkurrierenden Splittergruppen. Das Resultat war der Erste Weltkrieg, in dem jeder die neuen Technologien benutzte, um einen größeren, effizienteren Krieg zu führen. Nach dem Konflikt bestrafte die konsequente Verfolgung einer nationalistischen Agenda die Verlierer schwer und festigte koloniale Imperien. Die Welt geriet in sehr kurzer Zeit von ungestümem Optimismus im wahrsten Sinne des Wortes in eine Depression.

 

Die Lektionen des Ersten Weltkriegs stehen in scharfem Gegensatz zu denen des Zweiten Weltkriegs. Der Schritt in Richtung einer geschlossenen Wirtschaft und Gesellschaft nach dem ersten Krieg führte zu globaler Fragmentierung, da die Nationen sich auf sich selbst zurückzogen. Als Nachwirkung des Zweiten Weltkriegs gab es eine starke Tendenz hin zu einer offenen Wirtschaft und Gesellschaft – wenigstens in einer Hälfte der Welt. Das führte auf einen Weg fortgesetzter Integration. Einige Weltführer hatten den Weitblick, eine Reihe internationaler Institutionen zu etablieren, welche die aufkommende globale Wirtschaft verwalten sollten. Sie arbeiteten hart, um ihre besiegten Feinde Deutschland und Japan durch großzügige Initiativen wie den Marshall-Plan wieder aufzubauen. Dieser philosophische Wandel von geschlossenen zu offenen Gesellschaften kam zustande durch eine gewagte Führung, wobei ein Großteil von Seiten der Vereinigten Staaten kam. Im Gefolge des Ersten Weltkriegs klammerten sich die politischen und geschäftlichen Führer Amerikas an Isolationismus – mit ernsthaften Konsequenzen für die Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg taten sie das Gegenteil – mit ganz anderen Ergebnissen.

 

Heute haben die Vereinigten Staaten eine ähnlich entscheidende Führungsrolle zu spielen. Es gibt rein praktische Gründe dafür. Die Vereinigten Staaten haben die größte Einzelwirtschaft auf der Welt, einen Markt mit großem Einfluss auf den Welthandel. Sie haben die bei weitem größten Forschungs- und Wissenschafts-Einrichtungen. Seit dem Ableben der Sowjetunion weist kein anderes Land ein vergleichbares Spektrum auf an Universitäts-Forschungs­einrichtungen, körperschaftlichen Industrielabors und nicht-profitorientierten Denkfabriken. Die Kombination einer riesigen Wirtschaft und einer wissenschaftlichen Elite gibt den Vereinigten Staaten das stärkste Militär der Welt; das Land kann die Waffen entwickeln und die Rechnungen bezahlen. Zumindest für die nächsten 15 Jahre wird Amerika die herausragende Militärmacht bleiben. Diese Gründe allein stellen sicher, dass die Vereinigten Staaten ungeachtet der Absichten ihrer Führer enormen Einfluss auf jedes Zukunftsszenario haben werden. Aber die Rolle der Vereinigten Staaten ist verwickelter, komplizierter als das.

 

Die Vereinigten Staaten sind die große Erneuerer-Nation, die Ausbrüter neuer Ideen. Genau wie die neuen Technologien der frühen Industriellen Revolution in England geboren worden waren, spielt sich der größte Teil der Innovationen im Computer- und Telekommunikations-Bereich jetzt in den Vereinigten Staaten ab. Amerikaner formen grundlegend die Kerntechnologien und die Infrastruktur, die das Fundament des 21sten Jahrhunderts sein werden. Teilweise deshalb sind die USA das erste Land, das den Übergang zur neuen Wirtschaft vollzieht. Amerikanische Unternehmen sind die ersten, die die neuen Technologien übernehmen und sich den sich ändernden ökonomischen Realitäten anpassen. Als Nation finden die Vereinigten Staaten heraus, wie man das neue Modell großen wirtschaftlichen Wachstums, das von neuen Technologien angetrieben wird, optimal anwendet. Die Amerikaner spüren als erste die sozialen und kulturellen Effekte. Und die Regierung ist die erste, die unter Zugzwang gerät. Die Vereinigten Staaten ebnen den Weg für andere entwickelte Nationen und schließlich für den Rest der Weltnationen.

 

Noch wichtiger ist, dass die Vereinigten Staaten als Verwalter der Idee einer offenen Gesellschaft dienen. Die USA sind Heimat der ökonomischen und politischen Kernwerte, die dem 20sten Jahrhundert entstammen – die freie Marktwirtschaft und die Demokratie. Aber die Idee einer offenen Gesellschaft geht darüber hinaus. Amerikaner glauben an den freien Fluss von Ideen, Produkten und Menschen. Historisch gesehen hat das Gestalt angenommen in der Redefreiheit, Förderung des Handels und Willkommenheißung von Einwanderern. Durch das Aufkommen einer verdrahteten, globalen Gesellschaft war die Auffassung der Offenheit nie wichtiger als jetzt. Sie ist der Achsnagel, der die neue Welt funktionieren lässt.

 

Kurz gesagt lautet die Schlüsselformel für das kommende Zeitalter: Offen = gut. Geschlossen = schlecht. Tätowieren Sie es auf Ihre Stirn. Wenden Sie es auf Technologie-Standards an, auf Geschäftsstrategien, auf Lebensphilosophien. Es ist das Gewinnerkonzept für Individuen, für Nationen, für die globale Gemeinschaft in den vorausliegenden Jahren. Wenn die Welt den Weg der Abgeschlossenheit nimmt, setzt sie einen Teufelskreis in Gang: Nationen wenden sich nach innen. Die Welt zerfällt in isolierte Blöcke. Das stärkt Traditionalisten und führt zu Gedankenstarre. Das lässt die Wirtschaft stagnieren und bringt wachsende Armut. Das führt zu Konflikten und zunehmender Intoleranz, die eine noch abgeschlossenere Gesellschaft und eine fragmentiertere Welt fördert. Wenn die Welt andererseits das offene Modell annimmt, dann beginnt ein ganz anderer virtuoser Kreis: Offene Gesellschaften wenden sich nach außen und trachten danach, sich in die Welt einzugliedern. Diese Offenheit, sich zu ändern und sich neuen Ideen auszusetzen, führt zu Innovation und Fortschritt. Das bringt steigenden Wohlstand und eine Verminderung der Armut. Das führt zu wachsender Toleranz und Wertschätzung der Verschiedenheit, was eine offenere Gesellschaft und eine höher integrierte Welt fördert.

 

Die Vereinigten Staaten als Erste unter Gleichen müssen dieses Konzept in den kommenden Jahrzehnten leben. Eine der ersten großen Aufgaben wird die Integration ihrer früheren kommunistischen Widersacher China und Russland in die Weltgemeinschaft sein, genau wie sie es einst mit Japan und Deutschland gemacht haben. Das wird das geopolitische Hauptproblem der nächsten 12 Jahre sein. Um 2010 werden wir wissen, ob wir es geschafft haben. Dann besteht die Notwendigkeit, eine komplexe Struktur neuer globaler ökonomischer und politischer Institutionen zu schaffen, die dem 21sten Jahrhundert gerecht werden. Obwohl diese nicht die bürokratische Struktur wie in der Vergangenheit annehmen müssen, wird ein gewisses Maß an Koordination globaler Aktivitäten weiterhin in den öffentlichen Bereich fallen. 

Im technischen Bereich muss jemand die Einrichtung globaler technischer Standards und die Zuteilung von im Moment knappen Ressourcen wie ‚Luftwellen’ (airwaves??) vermitteln. Auf der Bühne der Gesetze müssen wir Wege finden, um die Rechte von Urhebern und Konsumenten intellektuellen Eigentums zu schützen. In umweltlicher Hinsicht muss die kollektive Weltgemeinschaft soweit kommen, Probleme zu knacken, die jeden gefährden: globaler Klimawandel, Verlust der Ozonschicht und die grenzüberschreitenden Probleme wie saurer Regen. Und dann gibt es die Probleme, die unter die Sicherheit fallen. Wir verbrachten Jahrzehnte mit quälenden Verhandlungen, um die nukleare Ausweitung zu entschärfen und einzuschränken. In einem Zeitalter der Informations-Kriegsführung stehen wir einer Reihe ganz anderer Sicherheitsbelange gegenüber und einem mühseligen Prozess, globale Lösungen zu finden – der mit einer durchführbaren Vereinbarung über Kryptographie beginnt.

 

Das weite Spektrum von Problemen, die gelöst werden müssen, und der bloße Umfang der Veränderungen, die stattzufinden haben, reichen aus, um jede globale Organisation zum Aufgeben, jede Nation zum Rückzug zu zwingen und jeden vernünftigen Menschen dazu zu bringen, dass er sich in sich zusammenrollt. In diesem Punkt müssen die Amerikaner einen letzten Beitrag liefern: Optimismus, diese verrückt machende Alles-geht-Haltung, die Ausländer oft in den Wahnsinn treibt. Amerikaner verstehen keine Grenzen. Sie haben grenzenloses Vertrauen in ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen. Und sie haben die erstaunliche Fähigkeit zu glauben, dass sie wirklich die Welt verändern können. 

Eine globale Umwandlung im nächsten Vierteljahrhundert wird unausweichlich ein gewaltiges Maß an Traumatisierung mit sich bringen. Die Welt wird in eine erschreckende Zahl von Problemen hineinlaufen, wenn wir zu einer vernetzten Wirtschaft und einer globalen Gesellschaft übergehen. Offensichtlichem Fortschritt werden Rückschläge folgen. 

Und entlang des Weges wird der Chor der Neinsager beharrlich erklären, es sei einfach nicht machbar. 

Wir brauchen ein paar schwere Dosen unermüdlichen Optimismus. Wir brauchen eine optimistische Vision dessen, was die Zukunft sein kann.

 

E n d e 

 

 

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