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9  «Da wußte ich, das ist eine Falle»

 

Jürgen Fuchs wird abgeschöpft

 

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Nach der Öffnung der Mauer beginnt Ibrahim Böhme, einen Lebenslauf für sich zu entwerfen. Er verbreitet jene wundersame Geschichte vom Oppositionellen Manfred B., der zwischen Waisenhaus und Haftanstalt Koch war und Ersatzlehrer, Postbote und Hilfsdramaturg, Friedhofsgärtner und Bäumeschlepper und rastloser Prediger der Gedanken von Robert Havemann und Alexander Dubcek. Und er berichtet auch von einem, der im Oktober 1973 sein Freund geworden sei — Jürgen Fuchs.

Und tatsächlich, es gibt damals, als Jürgen Fuchs nicht lesen und nicht publizieren darf, als er so etwas wie eine Zeitbombe in Jena ist, von der man nur nicht weiß, wann die Staatssicherheit sie hochgehen lassen will, damals, im Februar 1975, gibt es in Greiz eine Lesung mit Jürgen Fuchs. Und Manfred Böhme hat sie wohl ermöglicht, weil die Freunde Jürgen Kornatz und Günter Ullmann darum gebeten haben: Da wird einer in die Stasi-Zange genommen, da müssen wir solidarisch sein.

Es ist eine Lesung im kleinen Kreis im Club «Alexander von Humboldt», eine diffuse Veranstaltung, sagt Jürgen Fuchs. Er sieht Manfred Böhme noch die Doppeltüren im Raum schließen, damit nur nichts nach draußen dringt. Er selbst schien in seinem Verhältnis zu mir fast devot, sagt Fuchs. Und er wiederholt: Ja, fast devot. Aber es war auch Angst da.

Und die Angst ist berechtigt, denn was der Student aus Jena vorliest, ist keine empfindsame Reise in die Innerlichkeit. Das ist Klartext. Seine Literatur überschreitet die eng gesteckten Grenzen, nennt kunstvoll beim Namen, wenn an einem Montag gegen elf im Seminarraum 23 eine Studentin vom «wissenschaftlichen Kommunismus» redet und anfängt, Kompromisse zu machen, weil man doch nicht immer dagegen sein kann, weil man doch auch den Abschluß braucht und den Krippenplatz fürs Kind. 

Und Jürgen Fuchs schreibt: «Es ist nicht die Öde der Zeitungen am Morgen, es sind nicht die leeren Losungen von Frieden und Freundschaft draußen auf den Straßen, nicht die quasselnden Redner und die komischen Staatsmänner, es sind die kleinen Lügen, die eines Tages gegen elf gelogen werden, und du sitzt im selben Raum, auf einem anderen Stuhl oder nicht.»

Jürgen Fuchs liest also in Greiz. Er liest bei geschlossenen Doppeltüren im kleinen Kreis «Das Interesse», «Das Fußballspiel» und «Der Auftakt», Prosastücke aus seinen Gedächtnisprotokollen: «...aber vergessen Sie nicht, wo Sie leben, wir lassen nicht mit uns spaßen, einen Witz hin und wieder, warum nicht, ein kleines Gedicht auf die Mißstände und mißratenen Bürger verdient Beifall, aber alles hat seine Grenzen...»

Nach der Lesung kommt keine rechte Diskussion zustande. Es kommen keine Fragen auf. Auch beim anschließenden Abendessen in einer Gaststätte sind die Gespräche hektisch. Und da sitzt noch jemand am Tisch, den Fuchs nicht kennt, ja, an den erinnert er sich.

Vor allem aber erinnert Jürgen Fuchs sich daran, daß ihn ein Gefühl nicht verlassen wollte: Dieser Manfred Böhme ist nicht echt. Und das lag auch daran, sagt er, daß ich ihn nicht mochte. Ich weiß nicht, warum, aber ich mochte ihn nicht. Und ich bin von Kindheit an auf eines trainiert: Wahrheit oder nicht Wahrheit. Und Böhme? Ich wußte nicht, was er wirklich denkt, sagt Fuchs. Ich wußte nicht, mit wem er wirklich spricht und was diese Veranstaltung bedeuten sollte.

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Jürgen Fuchs, 1991 in den Stasi-Archiven von Gera.

«Böhme hat ja immer mehrdeutig geantwortet, 
sprach nie klar, eher düster, vage, ahnend, fürchtend. 
Also es ein richtiger Nebel.

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Jürgen Fuchs wird damals längst observiert. Er ist seit Jahren ein operativer Vorgang, sein Deckname ist «Pegasos». Fuchs, das geflügelte Zauberpferd? Haben die Herren der Staatssicherheit nicht gewußt, daß Pegasos, das antike Roß, unsterblich ist? Daß auch die von Zeus geschickte Stechfliege ihm nichts anhaben konnte?

 

Den ersten Kontakt mit der Stasi hat der Schüler Fuchs schon kurz vorm Abitur 1969. Sein Deutschlehrer zitiert zu viel Bloch und hat zu viele Sympathien für den Prager Frühling gezeigt. Fuchs ist mit ihm befreundet. Also wird Fuchs in der Schule vorgeladen. Die Herren klappen ihre Ausweise auf und sagen: So. Was ist jetzt? Der Lehrer ist ein Konterrevolutionär, ein Dubcek-Freund. Was wissen Sie? Mal raus damit.

Zunächst ist da ein großer Schreck, sagt Fuchs. Er sagt nur, er stünde voll hinter diesem Lehrer, der kein Konterrevolutionär sei. Der renitente Schüler, der Gedichte schreibt und einen Lehrer wie jenen Altphilologen — der die Schule übrigens verlassen mußte — verteidigt, muß beobachtet werden.

Nächster Konflikt: Fuchs stammt aus Reichenbach im Vogtland, einen Sprung von Greiz entfernt. Dort lernt er auf einer Lesung im Kulturbund Reiner Kunze kennen. Fuchs ist damals erst fünfzehn, er bewundert den Lyriker, er besucht ihn, sie schreiben sich Briefe.

 

Und Fuchs weigert sich, nach dem Abitur länger als die notwendigen achtzehn Monate zum Militär zu gehen. Und da steht schon das erste Fragezeichen hinter seinem anvisierten Psychologiestudium in Jena. Der unzuverlässige Abiturient wird zu den Grenztruppen nach Plauen versetzt, umschwirrt von inoffiziellen Mitarbeitern. Dort hat Fuchs im Sanitätsbereich der Stasi eine ganze Menge an Leid und auch an Terror erlebt. Soldaten kamen zurück von der Grenze, weil sie Leute erschossen hatten oder nicht erschossen hatten oder weil sie psychiatrisch behandelt werden mußten. Fuchs merkt, mit wem er es zu tun hat.

«Damit wir uns gleich richtig verstehen», sagt der Unterfeldwebel in den Gedächtnisprotokollen von Jürgen Fuchs, «wer hier durchdreht und Faxen machen will, der muß sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, hier gab's schon alles: Aufhängen, Fenstersturz, Tabletten, auf Wache abknallen, alles schon dagewesen.»

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Und dann an einem Sonnabendnachmittag im Juni — drei Schüsse. Kaum zu hören. 
«Na und, der Posten am Tor ist tot, das kommt vor...»
 
Mich konnte man bei der Armee nicht abschießen, sagt Fuchs. Man hat es versucht.

 

Er soll nicht zugelassen werden zum Studium in Jena. Er sei politisch unzuverlässig. Fuchs beschwert sich und darf studieren. Das ist die Zeit, als Erich Honecker Staatsratsvorsitzender wird, die Zeit der Liberalisierung, die keine war, sagt Fuchs, weil man alles kurz blühen ließ — um es dann zertreten zu können. In seinem Studien-Jahr wimmelt es von Stasi-Spitzeln. Für Fuchs sind alle Fallen aufgestellt.

Und er schreibt und dichtet und arbeitet und sieht Reiner Kunze und lernt Wolf Biermann kennen und Robert Havemann, dessen Tochter in Jena studiert. Jürgen Fuchs ist längst aus dem Ruder gelaufen. Und eines Tages sagt jemand aus der Gruppe: Kinder, wir müssen irgendwie in die Partei rein. Und Fuchs sagt: Einverstanden. Gehen wir doch rein. Verwirrung. Die Stasi beobachtet ihn. Der will in die Partei eintreten? Abgelehnt. Wieso abgelehnt? Ich bin doch ein Arbeiterkind. Nee. Du bist jetzt Student. Intelligenz. Aber irgendwann geben sie nach: Dann komm in die Partei. Und gleich wird er in Gespräche verwickelt. Will er kooperieren? Wenn nicht, dann harte Konfrontation.

Gerüchte werden ausgestreut. Fuchs sei ein IM, ein Inoffizieller Mitarbeiter. Wie bitte? Der schreibt doch viel zu keß. Eine verärgerte Stasi, drei Parteiversammlungen, Fuchs ist ein Revisionist, ein Trotzkist, also raus aus der Partei. Und wer fliegt, sagt Fuchs, der fällt tief. Neue Zielsetzung im operativen Vorgang: Fuchs stoppen oder liquidieren. Der Begriff, sagt Fuchs, fiel schon damals.

Und nun kommen die wunderbaren Jahre. Er lernt Jürgen Kornatz kennen, der damals in Jena bei Zeiss arbeitet in der Forschungsabteilung. Und weil es da wenig zu forschen gibt, hat Kornatz viel Zeit. Er malt und macht Musik. Die Jazz-Gruppe «media nox» tritt auf. Günter Ullmann schreibt Gedichte, die Fuchs gefallen.

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was sollen nur die lehrer von uns
denken
wenn du nicht
lügst
man muß sagen was sie hören
wollen
und nicht die
wahrheit

Und Fuchs besucht Kunze. Und Biermann und Havemann besuchen Fuchs, übernachten bei ihm. Und es werden nicht nur Lieder gesungen. Es werden Bücher geschmuggelt, verbotene Informationen verbreitet, Manuskripte in den Westen befördert, Tonbänder kopiert. Fuchs ist umgeben von Spitzeln und bekommt kein Telefon – Maßnahme 26a –, dafür werden Wanzen in seine Studentenbude gesetzt – Maßnahme 26b.

Im Frühjahr 1974 machten wir eine Veranstaltung, die Wirkung zeigte, sagt Fuchs. In Bad Köstritz bei Gera stellte der Maler Gerd Sonntag aus, ein ganz großes Talent. Und Bettina Wegener trat auf und sang, Gernulf Pannach war dabei und ich. Ich machte Prosa, sagt Fuchs. Der Abend konnte sich sehen lassen. Es waren viele Freunde da und staatliche Kulturvertreter und sehr viel Stasi. Das war die Vorführung des Klassenfeindes. Und die wollten nun mal wissen, wie der ist, der Klassenfeind. Wir zeigten es ihnen, sagt Fuchs. Und sie waren sehr erschrocken.

Die zweite Veranstaltung sollte am nächsten Abend stattfinden. Sie wurde verboten. Die Greizer Freunde kamen, Ullmann und Kornatz mit der Jazz-Kapelle «media nox». Sie kamen im Auto und brachten den Kulturbundfunktionär Böhme mit, der nicht viel sprach. Wir haben uns nur kurz unterhalten, und er sagte gleich: Ich muß mal weg, ich muß das klären. Und verschwand.

Aber wir handelten, wie wir wollten, sagt Fuchs. Wir mußten nicht Herrn Böhme fragen, ob es wohl einen Raum für uns gibt, das machten wir selbst. Und wir überlegten auch nicht lange, was das alles für Folgen haben könnte.

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Wir sagten: Dann eben. Dann tritt eben eine Verschärfung ein. Vielleicht ist die nötig. Wir hatten bewußt diesen Ton, sagt Fuchs. Wenn Widersprüche da sind, müssen sie gezeigt werden. So war es.

Den Fuchs regelt man in diesen Monaten herunter. Vor dem Haus in der Lutherstraße 25 steht das Auto der Stasi. Und die Stasi kommt ins Treppenhaus, benutzt eine Wohnung als konspirativen Unterschlupf. Und jeder, der bei Fuchs klingelt, wird fotografiert. Ganz offen. Ganz aggressiv.

In diese Zeit, sagt Fuchs, fällt die Lesung in Greiz. Und Manfred Böhme, der damals nicht etwa einer ist, der hier und da mal etwas aufschnappt und berichtet, nein, sagt Fuchs, er ist schon ein Spitzen-IM der Staatssicherheit. Manfred Böhme also steht bereit. Und er ist die ganze Zeit über immer bestens informiert, sagt Fuchs, weil die Freunde, die ihn, Fuchs, gut kennen, dieses tiefe Vertrauen, dieses manchmal gespenstisch nahe Verhältnis zu ihm haben.

Noch unter seinem ersten Decknamen «August Drempker» schreibt Manfred Böhme 1974, wie oft Jürgen Fuchs zu Wolf Biermann nach Berlin fährt und daß er «immer eine ganze Reihe mit Schreibmaschine... getippter Gedichte und Durchschriften» mitbringt. Eins dieser Elaborate sei gegen Horst Sindermann gerichtet gewesen, der früher einmal ein Konzert mit Wolf Biermann verboten habe, weil der Liedermacher versucht hatte, «die Partei linksradikal zu überholen». Und dann notiert Böhme den Namen des jungen Mannes in Greiz, wo Fuchs die Durchschläge der Gedichte deponiert habe.

Er hat sehr viele Sachen abgeschöpft, sagt Jürgen Fuchs. Er hat in die operativen Vorgänge hinein­informiert, hat Lageeinschätzungen gemacht und wird gleich zu Beginn der Akte «Pegasos» als ein ganz wichtiger IM genannt. Damals, nach der Lesung in Greiz, sagt Fuchs, besuchte ich Jürgen Kornatz, und wir unterhielten uns darüber, wie alles weitergehen wird, und er fragt mich, ob ich wisse, daß Manfred Böhme gelegentlich in Jena herumgehe und mit Leuten rede. Nein, davon wisse er nichts, Böhme sei nicht ein einziges Mal zu ihm gekommen. Und in einer so kleinen Stadt wie Jena, sagt Fuchs, sei das schon sehr merkwürdig.

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Aber merkwürdig ist vor allem, daß diesem Böhme überhaupt nichts passiert. Wer sich so offen engagiert wie er, wer solche Lesungen macht, sich solidarisiert, der muß doch Schwierigkeiten bekommen. Aber Böhme, sagt er, bekam keine. Jedenfalls erzählt er davon nichts.

Dafür aber erzählt er, daß er irgendwelche Delegationen der DKP herumführe. Als ich das hörte, sagt Jürgen Fuchs, gingen alle Warnleuchten bei mir an. Delegationsbetreuer wurde nur, wer als absolut zuverlässig galt. Und solche Leuten sollten auch Leiderfahrungen haben, damit das Vertrauen in sie wächst. Böhme hatte die doch auch. 1968 will er im Gefängnis gesessen haben. Das waren Legendierungen.

Und dann passiert wieder etwas Eigenartiges. Eines Tages, sagt Fuchs, bringt mein Freund Jürgen Kornatz mir aus Greiz Kopien mit. Einen ganzen Karton mit Kopien meiner Prosaarbeiten. 

Das soll ich dir von Manfred mitbringen, sagt er. Hat er für dich auf seiner Ormig-Maschine abgezogen.
He, sagt Fuchs, wieso? Die hab ich nicht bestellt.
Hat er aber gemacht für dich. Und du sollst sie verteilen, wie du's für richtig hältst.

 

Also das kam mir doch sehr komisch vor, sagt Fuchs. Dabei war es ja tatsächlich eine Hilfe. Wir mußten doch alles doppelt und dreifach abschreiben, selbst Biermann war gezwungen, zu den akkreditierten West-Journalisten zu gehen, und auch die hatten nur relativ schlechte Kopiermaschinen, da konnte man ja kaum was lesen. Und jetzt bekam ich von Manfred Böhme einen ganzen Schwung bester Kopien von meinen Prosastücken, die in Einzelexemplaren in Greiz kursierten. Zehn bis zwanzig Kopien pro Stück.

Fast zeitgleich, sagt Fuchs, tauchten Leute bei mir auf, die fragten, ob ich nicht etwas zu verteilen hätte, Kopien oder so. Man müsse doch langsam mal was unternehmen. Ich sagte: Ich hab nichts.
Was, nichts?

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«Als ich hörte, daß er Offiziersgruppen und Delegationen der DKP herumführte, gingen bei mir alle Warnleuchten an.»

Jürgen Fuchs über Ibrahim Böhme, der hier zwischen russischen Offizieren steht, die er herumführt.

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Nein, nichts. Ich habe große Schwierigkeiten mit der Partei. Und wenn ich Schwierigkeiten habe, dann ist bei mir Denkpause. Dann muß ich nachdenken und kann keine Texte verteilen.

Mir war klar, daß diese ganze Aktion eine Falle war. Hätte ich die Kopien verteilt, wäre der Strafrechts­paragraph Verbreitung von verbotenen Schriften erfüllt. Das wäre nicht mehr nur Weitergabe eines Manuskripts gewesen. Ich habe mehrfach erlebt, daß mir Bücher mit dem Stempel «Deutsche Bibliothek» gebracht wurden, das waren entwendete Bücher aus dem «Giftschrank». Kriminalisierungs-Versuche waren das. Und wie hätte ich beweisen können, das Buch nicht gestohlen zu haben?

Jürgen Fuchs erzählt solche Geschichten Reiner Kunze, und der verarbeitet sie in seinen «Wunderbaren Jahren»: Ein junges Mädchen ist auf «Jürgen» angesetzt. «Auf einmal steht sie nackt im Zimmer. Sie hätte keine Hemmungen, sich zu zeigen, weil sie in der Kunsthochschule Modell steht — die Stunde dreißig Mark, sagt sie. Und sie knallt sich auch nackt aufs Bett. Jürgen hat aber keine Lust, mit ihr zu schlafen... Am nächsten Morgen ist die Sache klar für ihn — ganz plötzlich, und sie scheint zu bemerken, was los ist, mustert ihn nur immerzu und sagt kaum was. Er macht Kaffee und legt dann von Biermann die Stasi-Ballade auf. Sie erschrickt, daß er ihre Halsschlagader schlagen sieht... und als Jürgen sie fragt, wie lange sie schon bei der Firma arbeitet... sagt sie: Warum ? Wieso ? und: Du mußt mir helfen... Da fragt sie ihn, ob er für sie ein Buch weitersenden würde: über absurdes Theater, Rowohlt, Stempel der Deutschen Staatsbibliothek...»

Also glatte Falle. Ringtausch. Gestohlene Bücher. Dazu Westliteratur. Und so ist das auch mit den Kopien von Manfred Böhme: glatte Falle. Verbreitung von Schriften. Staatsgefährdende Hetze. Und einer wie Böhme, sagt Fuchs, der in der Partei war, der so aktiv war und der das volle Vertrauen der Freunde hatte, da war ich schon sehr skeptisch.

Inzwischen hat Jürgen Fuchs eine Anweisung in seinen Stasi-Unterlagen gefunden: Böhme solle Fuchs meiden. So steht das da.

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Er sollte mich meiden, vor allem in Jena. Ich galt in ihren Beschreibungen als einer, der IM's enttarnen konnte. Deshalb auch besucht Böhme den Fuchs nicht, wenn er in Jena ist. Er fragt lieber andere über ihn aus. So wie es in den Anweisungen der Staatssicherheit steht.

Nach einem Gespräch mit Günter Ullmann schreibt Böhme für die Stasi: «Im weiteren Verlauf brachte ich das Gespräch darauf, wer will etwas von mir und was will man von mir? Darauf sagte Günter U., daß man seit der Zeit, da Jürgen Fuchs und Wolf Biermann im Jahre 75 mir eine ganz bestimmte Periode sehr mißtraut hätten, man mich genau überprüft hätte und jetzt zu einem Vertrauen zu mir? gelangt wäre.

Ich fragte Günter U., wer denn «man» wäre.

Er sagte mir daraufhin, daß es Personen wären, die durchaus ernst zu nehmen sind und die auch einen Überblick hätten über das, was ich in Greiz tun würde und was ich im Rahmen des Kulturbundes insgesamt getan hätte.

Es sind Personen, die auch vermuten, daß Reiner Kunze von mir praktisch relativ freie Bahn bekommen hätte, daß ich praktisch Reiner Kunze in einer bestimmten Art und Weise schützen würde.

Ich lachte daraufhin und sagte, daß man meine Person vollkommen überschätze...»

Vor allem aber überschätzt er selbst sich in seinen Berichten, der Manfred Böhme. Und diese Überschätzung nimmt hybride Formen an, wenn er behauptet, Fuchs vertraue außer seiner Frau und Kunze nur noch ihm, Böhme. So schreibt es «Paul Bonkarz» am 17.7.1975.

«Bemerkungen zur Person des Jürgen Fuchs aus Jena. ... Er teilte mir erst mit, daß die Exmatrikulation ausgesprochen wäre... Der Grundtenor seiner weiteren Darlegung war, er habe außer mit seiner Frau, Kunze und mir mit keiner... Person darüber gesprochen, er habe zu seinen Freunden um ihn herum kein Vertrauen mehr.»

Ich hatte einen sehr stabilen Freundeskreis, sagt Jürgen Fuchs. Er war zusammengesetzt aus Vertrauten, die gemeinsame Aktionen machten.

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Wir hatten kein offenes Haus, wollten das auch nicht. Wir waren ein kleiner Kreis, der versuchte, Öffentlich­keit herzustellen. Und die Stasi war für uns nicht irgendein Informationssystem, zu dem man mal hinging und Bericht erstattete, wie die vom Prenzlauer Berg, die darin nichts Schlimmes sahen, weil die Stasi ja ohnehin schon alles wußte. Nein, die Stasi, das waren unsere Feinde. Unsere Todfeinde, die in unseren Wohnungen herumwühlten, die Wanzen einbauten, die Fallen stellten, die bereit waren zu liquidieren.

Es ist die Zeit, wo eigentlich alles auf eine Verhaftung von Fuchs zuläuft und Wolf Biermann zu Fuchs sagt, du mußt weg aus Jena. Er packt den Freund, dessen Frau und Tochter ins Auto und fährt sie nach Grünheide zu Robert Havemann. Es ist die Zeit, wo er - noch in Jena - an den Gedächtnisprotokollen schreibt, ganz offen mit Reiner Kunze und anderen Schriftstellern zusammen ist, um nicht in der Anonymität unterzugehen, wenn die Stasi-Schlinge sich zuzieht.

Und dann tritt Robert Havemann in Aktion. Er läßt dem bedrängten Freund Fuchs einen Brief übergeben. Darin heißt es, er habe von Fuchs' Schwierigkeiten gehört, und er möchte ihm sagen, er stehe fest zu ihm. Und falls Fuchs etwas zustoßen solle, würde er versuchen, das öffentlich zu machen. Und Fuchs solle sich nicht einschüchtern lassen, er, Havemann, stehe in jedem Falle hinter ihm.

Und da, sagt Fuchs, habe ich folgendes gemacht: Ich habe Jürgen Kornatz gesagt, ich möchte nach Greiz kommen und mich mit Böhme treffen. Böhme wisse doch immer über alles Bescheid, habe doch alle Informationen, und in einer Politbüro-Sitzung sollen Entscheidungen gefallen sein über Kunze, Fuchs, Bettina Wegener, Pannach, etwa in dem Sinne: So gehe das nicht weiter, das sei ja die Konterrevolution. Und Fuchs möchte nun wissen, was Böhme dazu sagt. Ein Termin wird vereinbart, und Fuchs fährt nach Greiz.

Er geht ins Kulturhaus, aber Böhme ist nicht da. Der ist krank, sagt man ihm, der ist zu Hause. Thälmannstraße 10. Da geht Fuchs also hin. Treppe hoch, die Wirtin: Kommen Sie rein, ja, dort die Tür.

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Und da lag er dann im abgedunkelten Zimmer, auf dem Sofa, mit Kopfschmerzen, also ich kannte ihn ja kaum, sagt Fuchs, ich dachte nur, der muß ja schwerkrank sein. Und ich sage, daß ich auch gar nicht lange stören wolle, ich möchte nur — ich glaube, wir siezten uns — ich möchte Sie nur fragen, wie das gewesen ist nach der Lesung hier in Greiz und ob Sie Schwierigkeiten danach bekommen haben.

Böhme hat ja immer mehrdeutig geantwortet, sagt Fuchs. Also Schwierigkeiten, na ja, sagt Böhme, es sehe alles nicht so gut aus;

aber er sprach auch nicht von aufhören, eher düster, vage, ahnend, fürchtend. Also, es entstand ein richtiger Nebel.

Fuchs sagt, er habe einen Brief von Robert Havemann dabei, er möchte, daß Böhme den lese. Das tut Böhme. Er studiert das Schreiben aufmerksam, begleitet es mit: Ja, ja, gut, daß ich das weiß. Und Fuchs sagt zu Böhme: Ich möchte, daß Sie das berichten, denn ich bin fest entschlossen, weiterhin das zu tun, was ich für richtig halte. Ich werde auch veröffentlichen, in der DDR oder in der Bundesrepublik. Und ich werde ganz fest zu meinen Freunden Havemann und Biermann stehen. Ganz fest. Das, sagt Fuchs, war mein Anliegen. Und dann wollte ich gehen.

Und in dieser Situation tut Böhme wieder etwas Merkwürdiges. Er zieht sich an.
Ich denke. Sie sind krank?
Nein, nein, ich möchte Sie begleiten.
Und er begleitet ihn. Sie unterhalten sich. Und irgendwann duzen sie sich dann, und möglich, daß Böhme sagt:
Gehst du noch zu Kunze?
Nein, sagt Fuchs. Ich gehe zum Bus, ich fahre zu meinen Eltern nach Reichenbach.

Also gehen wir zur Bushaltestelle. Und ich weiß noch, er sprach von sich und von einem Theaterstück, das er geschrieben habe und das gerade aufgeführt worden sei, mit den Freunden. Wir sprachen recht freundlich, sagt Fuchs, und in gewisser Weise waren wir uns auch sehr nah, merkwürdig nah, das muß ich schon sagen, Böhme kann das ja, daß man sich ihm sehr nahe fühlt. Nur weiß man bei ihm nie, woran man ist. Und dann fragt er:

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Ja, was macht ihr denn jetzt?
Und ich weiß noch, wie ich ihm sage: Wir werden handeln.

Wie denn? fragt Böhme. In Gruppen? Und ich sage: Wir denken gar nicht daran, wir suchen die Öffentlichkeit. Und ich weiß auch noch, daß ich ihm zu verstehen gab, wir werden handeln - aber nicht mit dir. Denn politisch waren wir nie zusammen, sagt Fuchs. Und wir waren auch nie befreundet.

In seinem Bericht an die Staatssicherheit schreibt Böhme über diese Begegnung:

«Er sagte..., daß er sich in den letzten Wochen viele Gedanken gemacht habe und der Meinung ist, daß er... mehr tun müsse als bisher. Jetzt habe er sich immer nur auf Gedichte und... künstlerische Darstellung und Bloßstellung von Mißständen in der DDR... eingelassen, das wäre nur eine halbe Sache. Er beabsichtige jetzt, in einer sehr deutlichen Form politische Essayistik zu schreiben ... und er bitte mich, in einem Kreis von Leuten aus der gesamten DDR mitzuarbeiten, die Nachdenklichkeiten anstoßen ...»

Fuchs ihn gebeten? Böhme schreibt auch, daß die Aktionen in Gruppen stattfinden sollen, weil es allein zu gefährlich sei, also das Gegenteil von dem, was Fuchs ihm gesagt hat. Schreibt, daß Böhme, wenn er ihm schriebe, dies nur ganz allgemein tun solle, er, Fuchs, komme lieber selbst zu ihm nach Greiz, wenn es etwas zu bereden gäbe. Schreibt, daß Fuchs ihm jetzt voll vertraue, was er am Anfang nicht getan habe. Und er habe ihn, Böhme, gebeten, alles, was zwischen ihnen gesagt werde, «unter strengster Wahrung der Diskretion zu behandeln, besonders, was seine nächsten Schritte betrifft.»

Dann holt Wolf Biermann den gefährdeten Freund nach Grünheide, und Fuchs hat nie mehr einen direkten Draht zu Böhme. Aber Böhme einen indirekten zu ihm. Er schöpft seinen Freund Jürgen Kornatz ab.

Im Mai 1976 besucht Kornatz Fuchs in Berlin. Böhme berichtet lang und breit, wo Fuchs jetzt wohne, wie Fuchs jetzt arbeite, was Fuchs jetzt schreibe. «Fuchs hat seine Kurzprosa fertig, wobei er u. a. auch zum MfS schreibt.»

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Berichtet, daß Fuchs einen Autounfall mit seinem Trabant gehabt habe. Totalschaden. Frau und Tochter seien unverletzt. Fuchs habe einen Nasenbeinbruch. Und weil die Volkspolizei keinen technischen Mangel hat feststellen können, «nimmt Fuchs an, daß man an seinem Fahrzeug eine technische Veränderung vorgenommen hat».

Fuchs, so schreibt er weiter, lebe sehr isoliert. Und Fuchs' Frau sei sehr reserviert. Und von Wolf Biermann habe Kornatz eine Probeplatte seiner neuen Lieder bekommen, «die in der BRD veröffentlicht» wird. «Des weiteren hat K. eine Schrift mitgebracht... Ich komme am nächsten Dienstag in Besitz dieser Schrift.» Berichtet, wo Fuchs solche Schriften vervielfältigt, gibt plaudernd zu Protokoll:

«K. bemerkte scherzhaft, wenn bei Fuchs eine Hausdurchsuchung gemacht würde, dann würden einige aufs Kreuz fallen.»

Na bitte, wenn das keine Aufforderung ist. Und erzählt, welch gute Verbindungen Jürgen Fuchs bereits in Berlin hat und wo er sie hat. Und er vergißt nicht, der Staatssicherheit einen Eindruck davon zu geben, wie hoch geschätzt auch er, Böhme, in diesen Kreisen sei, will heißen, welch guter IM er ist: «Fuchs bat K., mich herzlich zu grüßen, und ich solle doch einmal ein paar Zeilen schreiben.»

Im Juni notiert er, als hätte es den Satz vom Mai nicht gegeben:

«Jürgen Fuchs befragte ihn eingehend zu meiner Person, zu meinen Verbindungen und stellte Kornatz immer wieder die Frage: <Wie kann sich ein Funktionär mit diesen Ansichten und dieser Wirkungsweise in Greiz so lange halten? Wie kann er das Vertrauen der Parteistellen so lange genießen?>

Kornatz beantwortete diese Frage in etwa so: <B. genießt gar nicht so sehr das Vertrauen der Parteistellen, doch zur Zeit brauchen sie ihn noch. Das, was wir über einen schnellen Weg versuchten, macht Böhme in einer realistischeren Form, für ihn zwar nervenaufreibender, aber, wie ich das einschätze, auch erfolgreicher.>

Persönlich möchte ich gestehen, daß ich über diese scharfe Erkenntnis von Kornatz überrascht war. Die Frage von Fuchs, ob B. mit MfS zusammenarbeiten könnte, verneinte Kornatz eindeutig.»

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Ende August 1976 berichtet Böhme von Differenzen zwischen Fuchs und Kornatz. Kornatz sei enttäuscht von Fuchs, der viel kritisiere, aber keine Alternative habe.

«Aus der persönlichen Struktur Jürgen Fuchs' möchte ich eher ableiten, daß sich nach Bekanntschaft, nach 2, 3, 4 Wochen, höchstens zwei Monaten mit Jürgen Fuchs, Personen, die an ernsthaften Änderungen in negativer oder positiver Form in unserer Gesellschaft interessiert sind, sich zurückziehen, da Jürgen Fuchs mit seiner offenen Spielart der Konspiration jedem auf die Dauer zu gefährlich erscheinen würde.»

Allerdings sollte man sich beim MfS nicht zu früh über das Zerwürfnis freuen — Freunde zu entzweien ist ja ein Lieblingsspiel der Spitzel —, denn «abschließend möchte der Berichterstatter... feststellen», daß Jürgen Kornatz eine außerordentliche «Verzeihungs­freudigkeit» besitzt, vor allem jetzt, wo seine Freundin Barbara ein Kind von ihm erwarte.

Am 17. November 1976 wird Wolf Biermann ausgebürgert. Am 19. November wird Jürgen Fuchs um n Uhr vormittags aus dem Auto seines Freundes Robert Havemann heraus verhaftet.

«Zeigen Sie Ihren Personalausweis. Steigen Sie aus. Schließen Sie die Wagentür. Folgen Sie uns zu diesem Fahrzeug. Steigen Sie ein!
Die Wagentür wird geschlossen und von innen verriegelt.
<Wer sind Sie?>
<Ministerium für Staatssicherheit.>»
So erinnert sich Jürgen Fuchs später in seinen «Vernehmungsprotokollen».

Manfred Böhme schreibt der Staatssicherheit, daß Jürgen Kornatz und Günter Ullmann Geld für «Lilo Fuchs, die Gattin des Inhaftierten» gesammelt hätten. 50.000 Mark seien schon zusammengekommen. «Als ich fragte, in welcher Höhe denn nun Beiträge gegeben worden wären», soll ihm Ullmann gesagt haben: Zwischen 5 und 50 Mark. «Daraufhin gab ich G. Ullmann von mir auch 50 Mark.»

Erfunden, sagt Günter Ullmann. Der ganze Bericht ist erfunden.

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