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3  Die Alarmstation     04 

Das retikuläre Aktivierungssystem

 

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Es ist nicht in erster Linie Aufgabe des retikulären Aktivierungssystems, globale Information an höhere Zentren weiter zu leiten. Vielmehr "misst" es den Betrag der durchlaufenden Information und aktiviert das Gehirn in ausreichendem Maße, sodass es sich mit der gegebenen Menge befassen kann. Das System reift früh, noch vor der Geburt, und aktiviert die auf einer gegebenen Entwicklungsstufe jeweils höchste verfügbare Ebene neuro­logischer Funktionen.

Schmerz mobilisiert das System, hält es wachsam, signalisiert Gefahr und möglichen Schaden. Diese Information zu organisieren ist Aufgabe des retikulären Aktivierungssystems. Diese netzähnliche Struktur ist eines der Schlüsselareale an Norepinephrin-Konzentration, die dazu beiträgt, dass wir wachsam bleiben. Ein Spezialist erklärt: „Sowohl Norepinephrin als auch Dopamin (die aktivierenden neurochemischen Substanzen) schicken ihre Axone (die langen Verbindungsarme) in den zerebralen Kortex...... hochkomplexe und komplizierte Muster intellektueller Aktivität im Kortex werden von evolutionär primitiven Katecholamin­systemen beeinflusst." Das bedeutet, dass Stellen des Hirnstamms lange Verbindungsarme - Nervengeflechte - zu den frontokortikalen Arealen senden, die der Information Bedeutung geben.

Das ist die Art und Weise, wie Hirnstamm-Einprägungen den Ideen bildenden Geist aktivieren und ihn in großer zwanghafter Unruhe halten. Das hindert uns dann daran, uns zu entspannen und einzuschlafen. Wir sind überaktiviert, nicht durch Gedanken, sondern durch nonverbale Imprints ((Einprägungen)), die uns zum Denken und Grübeln antreiben. Warum können wir nicht schlafen? Weil wir von unserem zerebralen Abwehrsystem loslassen, wenn wir uns Strukturen einer tieferen Ebene annähern, nämlich genau denen, die Schmerz signalisieren.

Wenn Schmerz eingeprägt ist, kann das System den frontalen Kortex überstimulieren. Dann sehen wir obsessiv-zwanghaftes Verhalten oder Phobien, da der Frontalbereich sich anschickt, die eingeprägte Überlast zu entladen. Oder abhängig von der Natur des frühen Traumas, wie z.B. massiver Anästhesie bei der Geburt, schaltet das retikuläre Aktivierungssystem ab und kann vielleicht keine ausreichende Stimulierung liefern, um den frontalen Kortex aktiv und effektiv zu halten. Das Resultat ist eine phlegmatische Persönlichkeit mit Passivität und unkonzentrierten, wirren Gedankenmustern. Das ist auch das Muster eines „Verlierers", der anscheinend nichts in die Wege bringt. Manchmal schalten Gedanken, die sich auf absteigenden retikulären Bahnen bewegen, Empfindungen ((sensations)) und Gefühle ab und halten die Impulse davon ab, den frontalen Bereich zu überfluten.

Der Frontallappen hat direkte Verknüpfungen zu diesem System und kann physiologische Zustände kontrollieren. Tierstudien weisen darauf hin, dass Streicheln oder Tragen dieser Tiere das retikuläre Aktivierungssystem abschwächen oder modulieren kann, was sie weniger nervös sein lässt. Sie können das retikuläre Aktivierungssystem durch Berührung als auch durch Medikamente beruhigen. Berührung ist weitaus effektiver. Ich habe Patienten beobachtet, die sich in Qualen wanden, als sie ihre Eltern um Berührung anflehten. Während kritischer Perioden ist Zärtlichkeit und Berührung wesentlich für die Entwicklung des menschlichen Gehirns.

Nach dieser Periode wird alle Berührung der Welt den Schaden nicht völlig beseitigen können; eine bestimmte Menge von Berührungs-Deprivation wird bleiben. Und genau das ist oft der Antrieb hinter zwanghafter sexueller Aktivität bei Frauen – und ebenso bei Männern. Wenn das System aktiviert wird, wie bei sexueller Erregung, droht auch die gesamte Aufmachung vergrabener Gefühle wieder an die Oberfläche zu kommen. Wenn die Einprägung hochgradiger Erregung ursprünglich zum „Abschalten" führte, dann wird hochgradige sexuelle Erregung zum Abschalten des sexuellen Erlebens führen. Wenn etwas wie bei Sex sehr erregend ist, tastet das Gehirn seine Geschichte nach Erregung gleichen Niveaus ab und sucht nach der richtigen Antwort. Wenn die ursprüngliche Reaktion auf massive Stimulierung Abschalten war (wie im Geburtstrauma), dann wird es wieder zum Abschalten kommen. Hier liegt eine mögliche Ursache von Frigidität.

Ich möchte hier ganz deutlich werden. Wenn im Erwachsenenalter ein Ereignis hoher Valenz (Kraft) stattfindet, wie z.B. sexuelle Erregung, zwingt es die limbischen Strukturen, nach anderen Ereignissen von gleich hoher Valenz zu suchen, wie z.B. dem Geburts­trauma, und löst es aus. Es holt auch andere Kindheitstraumen hervor, sodass jetzt hochgradiger Schmerz im Aufsteigen begriffen ist mitsamt den Abweichungen, die sich ereigneten – zum Beispiel, Mutters Slips anzuziehen.

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Der Sextrieb wird nun durch die persönliche Lebensgeschichte beeinträchtigt. Vielleicht gibt es unablässige homosexuelle Fantasien, wenn sexuelle Erregung aufkommt – das Bedürfnis nach Vaters Liebe in einem Mann. Dieses normalerweise gut verdrängte Bedürfnis ist aus den Angeln gehoben worden und dringt in den sexuellen Akt ein. Wenn das aktuelle Ereignis, ein vergnügliches Basketballspiel, von nicht so hoher Valenz ist, würde es vielleicht die sexuellen Fantasien oder Abweichungen nicht auslösen.

 

Der locus caeruleus: Im Zentrum des Terrors

Der locus caeruleus ist ein wichtiges Zentrum der Furcht- und Schmerzreaktion im Hirnstamm. Hoch oben im Hirnstamm gelegen (siehe Kapitel 1), sekretiert er Noradrenalin, eine chemische Wecksubstanz, in Reaktion auf präverbale Traumen, Vorfälle bei der Geburt oder frühen Mangel an Berührung und Wärme. Wenn sich Noradrenalin mit seinen Rezeptoren verbindet, erfahren wir Schmerz. Der locus caeruleus ist eine primitive Struktur, die nur Empfindungen ((sensations)) kennt und wenig mit Gefühlen zu tun hat. In evolutionärer Hinsicht geht er der Entstehung von Gefühlen um Millionen Jahre voraus.

Der locus caeruleus besteht nur aus wenigen Hunderten bis wenigen Tausenden von Neuronen; dennoch erstrecken sich seine Äste, oder Axone, durch das gesamte Gehirn. Das setzt den locus caeruleus in die Lage, das Nervensystem auf globale Weise zu aktivieren. Aber obgleich der locus caeruleus auf Schmerz reagiert, weist er auch eine dichte Konzentration von Opiatrezeptoren auf, die Schmerz abwürgen. Mit anderen Worten ist das Haus der Schmerzen auch das Haus der Schmerzverdrängung. Frühe Einprägungen 'elektrisieren' das System, sodass es sich auf die Aufnahme von Schmerz einstellen kann, und bringen das System dann dazu, diesen Schmerz zu unterdrücken, wenn er ein übermäßiges Niveau erreicht. In einer Anzahl von Tierversuchen, die sich mit Schmerz befassten (ausgelöst durch elektrische Stimulation oder durch Schwanzkneifen), stellte sich heraus, dass er den locus caeruleus sowohl in Hinsicht auf Stimulierung als auch auf Hemmung beeinflusste.

Da der locus caeruleus ein Schlüsselzentrum des Schreckens ist, wird diese Empfindung letztlich die Arbeit des denkenden Kortex stören, wenn der Schrecken vom retikulären Aktivierungssystem zur kortikalen Verknüpfung nach oben gesendet wird.

Das Medikament Clonidin ist ein Hirnstammblocker, der das Feuern von Noradrenalin-Neuronen im locus caeruleus verhindert. Bruce Perry vom Baylor University Medical Center fand heraus, dass „Ratten, die perinatalem (die Zeit um die Geburt) Stress ausgesetzt waren, bedeutende Veränderungen ihrer Stressreaktionen im späteren Leben aufwiesen."

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Bei misshandelten Kindern stellte sich heraus, dass sie im späteren Leben „Frustration, Wut, Schmerz, Hilflosigkeit, Schreck­reaktionen, Schlafabnormitäten, Impulsivität und veränderte kardiovaskuläre Regulierung erfahren."

Perry fand auch heraus, dass gestresste und misshandelte Kinder gut auf Clonidin ansprachen, weil es die Aktivität des locus caeruleus regulierte. Es half den Schlaf zu verbessern, stabilisierte die Herzfunktion, verlangsamte Rastlosigkeit und verminderte Hyperaktivität. Ebenso besserten sich viele impulsgesteuerte Charakterzüge wie Aggression, Stehlen und unkontrollierte Ausbrüche.

Ich behandelte eine Frau, die als Neugeborene tagelang ohne ihre Mutter gelassen wurde, die mit Tuberkulose in die Klinik eingewiesen worden war. Diese Erfahrung, ohne Unterstützung oder Wärme in einer neuen Welt zu sein, wurde sowohl als Schrecken als auch als Alleinsein eingeprägt. Die meisten ihrer Hirnstamm-Strukturen trugen auf ihre eigene Weise zur Valenz des Schmerzes bei, sonderten Dopamin und/oder Norepinephrin ab, um Gehirn und Körper zu mobilisieren, und machten sie hyperaktiv.

Ihr Schmerz des Alleinseins wurde von Neurotransmittern blockiert und dann zu anderen Zentren umgeleitet. Seine Energie reichte jedoch, um ihre Konzentration zu erschüttern und bei ihr Hyperaktivität hervorzurufen. Auf der Highschool erhielt sie Sechser und Fünfer. Viele ihrer Lehrer dachten, sie sei „blöd", und ihre Eltern bekräftigten diese Ansicht. Schließlich fühlte sie ihren Schrecken, ihre Lebensangst und ihre Angst, etwas zu versuchen. Ihr ganzes Leben war von Furcht dominiert. Diese Frau ist jetzt eine erfolgreiche Ärztin. Nichtsdestotrotz hat sie gelitten.

Wenn die Stimulierung mit der Zeit ein übermäßiges Niveau erreicht, lässt die Aktivierung seitens des locus caeruleus nach, was sicher stellt, dass die Schmerzbotschaft nicht das vollständige Bewusstsein ((conscious-awareness)) erreicht. Der locus caeruleus antwortet auf eintreffende Reize gewöhnlich mit heftigen Ausbrüchen neuraler Aktivität, denen eine Ruhephase folgt. Diese Ausbrüche können für Panikattacken verantwortlich sein. Diese Panikattacken sind Reaktionen auf Einprägungen* . Der locus caeruleus feuert nicht ohne Grund von selber los.

Der locus caeruleus ist nicht der Logik unterworfen; in Gegenwart früher schmerzvoller Imprints* reagiert er einfach und mobilisiert uns. Man kann sagen: „Da ist nichts, worüber man sich beunruhigen müsste," aber der Alarm ist nach innen gerichtet. Eine Person fühlt sich in einem geschlossenen Raum, als müsse sie ersticken. Eine andere gerät in Panik, wenn sie mit einem Aufzug fährt. Der locus caeruleus und andere tiefer gelegene Strukturen beinhalten die nonverbale postnatale Botschaft: „Ich ersticke im Inkubator", die zu Panik führt; es ist dieselbe physiologische Reaktion wie sie im Inkubator erlebt worden war.

 

* Imprints

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Clonidin wird seit dreißig Jahren gegen hohen Blutdruck eingesetzt. Es kann ein Beweis sein für die Beziehung zwischen Schmerz und Blutdruck.

Eingespeicherter Terror kann das ganze Leben hindurch auf Myriaden von Kanälen entströmen: durch Phobien, schnelles Reden, Hyperaktivität, Angst und Panikattacken. Schlechte Träume und nächtliches Alpdrücken sind gute Beispiele für undichte Stellen.

Wie zu erwarten ist, kommt es bei Morphiumentzug zu vermehrtem Feuern im locus caeruleus. Wiederum ist das System in Gefahr, und der locus caeruleus lässt uns das gewahr sein, indem er den oberen kortikalen Kortex stimuliert. Wir können die Feuergeschwindigkeit der Neuronen des locus caeruleus und auch der Neuronen in der Medulla durch Medikation verlangsamen. Das plötzliche Absetzen von Drogen, die auf den Hirnstamm wirken, steigert den Ausstoß von Noradrenalin (beschleunigt Herzschlag, erweitert Blutgefäße), was mehr Erregung bewirkt. Dies bedeutet mehr Schmerz und deshalb mehr Notwendigkeit, ihn zu unterdrücken; das ist das Entzugssyndrom. Wie bereits früher erörtert, kann der plötzliche Entzug effektiver Hirnstamm-Drogen gefährlich sein und in einigen Fällen zu Anfällen führen – massiven Entladungen von Gehirnneuronen. Es ist das übermäßige Feuern des locus caeruleus, das bewirkt, dass sich das Entzugssubjekt so unwohl fühlt. Sie/er ist aufs Äußerste erregt, ohne zu wissen warum, was die Sache umso teuflischer macht. Die Einnahme von Medikamenten, die das Feuern verlangsamen, stellt das Wohlbefinden wieder her.

Alles, was das retikuläre Aktivierungssystem und der locus caeruleus wissen, ist, dass sie einsatzbereit sein müssen. Sie mobilisieren unsere Abwehrmechanismen: Schlechter Schlaf in der Nacht gestattet tiefsitzenden Einprägungen, aus ihrem Speicherort an die Oberfläche zu kommen. Je näher dieses eingeprägte Ereignis dem vollständigem Bewusstsein* ist, umso mehr ist der Kortex zur Produktion zwanghafter Ideen gezwungen. Sie können der Person diese Ideation nicht ausreden, weil sie in einem unbewussten Feeling verankert ist. Tranquilizer können den Schmerz dauerhaft blockieren, aber werden sie einmal abgesetzt, erhöht der resultierende Ausstoß von Noradrenalin den Herzschlag, erweitert Blutgefäße und bereitet erneut eine Angstattacke vor. Wir zahlen immer einen Preis für künstliche Manipulation.

 

* conscious-awareness 

Quellenverweise 1–3

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KAPITEL 4

Der Hypothalamus

Kurier der Gefühle 

 

 

Außer dem Thalamus, den Amygdalae und dem Hippocampus sind auch die limbischen Strukturen mit dem Hypothalamus und seinem Zusatz, der Hirnanhangdrüse verbunden. Der Hypothalamus reguliert die Hormonproduktion und dirigiert das Immunsystem via Hirnanhangdrüse, die direkt darunter liegt. Der Hypothalamus hilft auch, Herzschlag und Körpertemperatur zu regulieren. Wenn der Hypothalamus mit Schmerz überlastet ist, wird der Körper entweder zu viel oder zu wenig Hormon abscheiden, was zu Veränderungen des Herzschlags und der Körpertemperatur führt.

Zusammen mit dem Hirnstamm ist der Hypothalamus in die „homöostatische Regulation" des Körpers involviert, indem er Atmung, Herzfunktion, Blutdruck, Verdauung, elektrolytisches Gleichgewicht, viszeralen Tonus und andere vitale Funktionen kontrolliert. Der Hypothalamus ist eine gemeinsame Endbahn, auf der das limbische System Gefühle in das Körpersystem sendet. Er bewirkt, dass das Gefühl der Kritik den Magen aufwühlt und die natürlichen Killerzellen und die Lymphozyten des Immun­systems verringert. Im Gegensatz dazu kann Stimulierung des Hypothalamus die Antikörper vermehren, um fremde Substanzen und/oder Infektionen zu bekämpfen.

Auch der Hypothalamus braucht Liebe. Seine Verbindung zum frontalen Kortex beeinflusst das Wachstum der Hirnstamm-Neuronen. Seine Art, das Bedürfnis zu zeigen, besteht darin, dass er uns ständig wachsam sein lässt und uns dann krank macht, wenn er nicht bekommt, was er will.

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Ich entsinne mich einer Patientin, die Dermatitis hatte. Wir fanden heraus, dass ständiges Streicheln während der Sitzungen ihren Zustand beträchtlich verbesserte. Was schließlich das Symptom ausmerzte, war, dass sie das Gefühl wiedererlebte, wie ihr Körper um die Berührung einer Mutter flehte, die unfähig war, körperliche Zuneigung zu zeigen. Sie hob ihre Arme und schrie und flehte wochenlang darum.

Feelings bewegen sich zum Hypothalamus und manifestieren sich in solchen Symptomen wie Magenkrämpfen, Beklemmung in der Brust, schnellem Herzschlag und hohem Blutdruck. Die Symptome zeigen an, dass sich das System in Disharmonie befindet. Die Person mag sich des Unbehagens bewusst sein, aber sie kann es nicht abstellen, weil sie das frühe Feeling nicht abstellen kann.

Das Geburtstrauma bringt den Hypothalamus aus der Symmetrie, sodass er sympathetischen Ausstoß begünstigt und uns damit 'überdreht'. Wenn ein Baby mit Allergien "geboren" wird, können der Hypothalamus und andere Strukturen, die bei der Bearbeitung von Allergien helfen ((help process allergies)), im Mutterleib beeinträchtigt worden sein. Wenn ein Kleinkind in den ersten ein oder zwei Jahren seines Lebens nicht geliebt wird, kann der Hypothalamus geschwächt werden, was in einem chronisch kranken Kind resultiert, einem, das ständig von Allergien, Infektionen und Fieber geplagt wird.

 

 

Abb. 4.

Gefühle im limbischen System regulieren die Hormonproduktion

 

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Stimulierung des Hypothalamus kann die Menge der Antikörper ansteigen lassen, die fremde Elemente (wie Pollen oder Katzenhaar), Antigene, Viren und so fort bekämpfen. Autoimmun-Krankheiten wie z.B. Arthritis sind eine weitere mögliche Folge. Ein Spezialist für Immunfunktion, Hugo Besedovsky aus Davos in der Schweiz, hat über die Mechanismen geschrieben, die in die Übertragung elektrochemischer Botschaften vom Kortex zum Hypothalamus involviert sind, der dann die Immunzellen anweist, ihre Aktivität zu steigern oder zu senken.

Botschaften vom Hypothalamus sagen auch den sympathetischen Neuronen, dass sie sich in Bewegung setzen sollen. Einer meiner Patienten war ständig auf Achse, als wollte er versuchen, der Gefahr aus dem Weg zu gehen – was er wirklich tat. Als er ein Kind war, stritten seine Eltern ständig untereinander. Er fühlte sich hilflos, glaubte, es gebe keinen Ausweg. Als er aufhörte herumzuhetzen, setzten äußerste Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit ein. Konstante Aktivität war seine Abwehr gegen das Gefühl, dass er nichts tun konnte, um sein Familienleben zu ändern. In unseren Sitzungen entdeckten wir, dass er bei der Geburt im Kanal eingequetscht wurde und steckenblieb, da ein Tumor den Weg blockierte. Seine Eltern bestätigten dies später. Durch Raten wären wir nie auf dieses letztere Erlebnis gekommen, dass er zusammengedrückt wurde. Die Empfindung ((sensation)) und die mit dem Schmerz einhergehenden Körperkontraktionen übermittelten uns, dass es die Wahrheit war.

Sein Ausagieren war von dem Feeling gesteuert und sollte ihn davon abhalten, das Feeling zu fühlen. Lassen Sie mich gleich hinzufügen, dass wir keine Ausschau nach dem Geburtstrauma halten und es nicht erwarten. Der Körper der Patienten bietet es an, wenn er dazu bereit ist, und nicht früher. Es kommt vor, dass dieses Trauma nicht existiert. Das ist häufig bei Hausgeburten der Fall, in denen keine Anästhesie angewendet wird.

Der Hypothalamus ist zum Teil für Herzklopfen, Tachykardie und andere Herzrhythmus-Störungen verantwortlich, die durch Erregung aufgrund von Norepinephrin-Absonderung zustandekommen. Wenn der Hypothalamus das sympathetische Nervensystem aktiviert, schaltet das parasympathetische System weitgehend ab. Das resultierende Ungleichgewicht ist der Grund, warum es oft so schwer ist einzuschlafen, oder warum wir uns nicht konzentrieren können. Von frühem Schmerz stammende Aktivierung hört nicht einfach auf, weil wir schlafen wollen. Im Gegenteil, wenn wir im Einschlafen begriffen sind und von einigen kortikalen Abwehrmechanismen loslassen, werden wir sogar noch mehr aktiviert. Durch lebenslange Übersekretion von Stresshormonen mit dem Ziel, das Imprint zu bekämpfen, gehen die Vorräte schließlich zur Neige. Schlaf bedeutet die aufeinander folgende Unterdrückung der höheren Ebenen des vollständigen Bewusstseins ((conscious-awareness)), beginnend mit dem Kortex, dann weiter schreitend zum limbischen System, das im Traumschlaf aktiv ist, und dann absteigend zum Hirnstamm und zu tiefem Schlaf. Er bedeutet auch, dass Einprägungen tieferer Ebenen freigesetzt werden.

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Auf der Rückseite des Hypothalamus liegt ein bedeutendes Zentrum für Agonie. Ungeachtet dessen, ob der Schmerz von einem Treppensturz stammt oder von der Erinnerung, dass „Mami mich nicht liebt", bleibt die Agonie dieselbe. Das Herz wird schneller, mehr Stresshormone werden angesondert, der Blutdruck steigt, und eventuell erhöht sich die Amplitude der Gehirnwellen. Das System hat in den Kampfmodus geschaltet, weil ein Bedürfnis um seine Erfüllung kämpft. Das Bedürfnis kann sein: „Hab’ mich ein wenig lieb! Bitte hass’ mich nicht!" Wenn eine Patientin, die bewegungslos in einem ruhigen Raum liegt, plötzlich einen radikalen Anstieg der Herzfrequenz erfährt, wissen wir, dass sie mit dem Wiedererleben des Feelings beginnt. Das Feeling involviert viele Jahre, in denen sie nicht imstande war, „Hab’ mich ein wenig lieb!" „Sei freundlich zu mir" zu artikulieren. Das scheint jetzt vielleicht nicht viel Gewicht zu haben, aber in der Kindheit kann es kein Kind ertragen, nicht geliebt zu werden. Die Eltern sind alles für sie, und wie wir gesehen haben, bedeutet Liebe die richtige Entwicklung des Gehirns.

Die Botschaft „Liebe mich!" ist niemals kompliziert, weil sie in Strukturen organisiert wird, die keine komplizierte Syntax bilden können. Tatsächlich wissen wir, wenn jemand ein frühes Kindheitstrauma wiedererlebt und sein Schreien sich in komplizierten Sätzen äußert, dass es nicht real ist. Auch wenn die Person Worte eines Erwachsenen benutzt wie „erkennen", wissen wir wiederum, dass es keine echte Erfahrung ist.

Wenn das Feeling nach oben steigt, kommt es in der Phase der Annäherung an das vollständige Bewusstsein ((conscious-awareness)) zuerst zu Agonie, und dann entspannt sich das Alarmsystem (sympathetisch), das den ganzen Organismus mobilisiert hat, um gegen die Verknüpfung anzukämpfen, während das parasympathetische System die Regie übernimmt. Das ist die Zeit der Ruhe und Erholung. Nach einer solchen Verknüpfung habe ich den systolischen Blutdruck innerhalb von Minuten um hundert Skalenpunkte fallen sehen. Hier erkennen wir wieder die Dialektik: Die Strukturen, die Fühlen organisieren, sind auch diejenigen, die es durch die Sekretion von Neurohemmern unterdrücken. Ist die Botschaft aus den limbischen Gefühlszentren schon relativ simpel, so ist die Nachricht, wenn sie dem Hirnstamm entspringt, die Einfachheit selbst – „Ich ersticke. Es ist hoffnungslos. Ich krieg keine Luft! Ich sterbe! Ich komme um. Dräng’ mich nicht!" Meistens gibt es überhaupt keine Worte, nur Empfindungen – das Gefühl, zermalmt zu werden.

Wie ich schon früher betont habe, sind manische und depressive Zustände keine verschiedenen Krankheiten, sondern unterschiedliche Wirkungsgrade in der Blockade von Gefühlen. Wenn eine manische Person schließlich depressiv wird, ist ein großer Teil der Gefühlsenergie durch das manische Verhalten aufgebraucht worden, sodass sich die Verdrängung jetzt durchsetzen kann. Dieselben Gefühle der Hoffnungslosigkeit sind nicht einfach verschwunden, sondern sie werden wirksamer verdrängt, weil die Kräfte, die sich ihren Weg zum Kortex und den limbischen Arealen bahnen, weniger geworden sind.

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Ich habe ausführlich über die Liebe diskutiert. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun der Frage zu, woraus Liebe gemacht ist. Sie ist kein vergeistigtes Konzept, das im Himmel existiert; sie ist etwas Konkretes und lässt sich anhand der Spiegel bestimmter Hormone im Körper und anhand spezifischer Gehirnstrukturen erklären. Wie sich der Leser vielleicht denken kann, hat Schmerz seine Hand im Spiel, wenn sich der Spiegel der Liebeshormone verändert. Wir können versuchen, unseren Lebensgefährten gegenüber liebevoll und warmherzig zu sein, aber dabei sind biologische Grenzen zu überwinden.

DER CINGULÄRE KORTEX

Die letzte Gehirnstruktur, die der Erörterung bedarf, ist bei weitem nicht die unbedeutendste – der cinguläre Kortex. Er ähnelt in etwa einem Bogen, der sich über das limbische System wölbt und limbische Strukturen umrahmt. Denken Sie nochmals daran, dass das limbische System mit Gefühlen und deren Ausdruck zu tun hat. Der NIMH-Wissenschaftler Paul MacLean glaubt, dass der cinguläre Kortex als Empfangsorgan für die Erfahrung von Emotion agiert. Es hat drei basale Funktionen: (1) Der Trennungsschrei, (2) Spielen, und (3) Säugen/Stillen und anderes familienorientiertes Verhalten. Es unterscheidet uns von niedrigeren Tierformen und repräsentiert den evolutionären Übergang von den Reptilien zu den Säugetieren. Es hat ungemein viel mit Liebe zu tun – mütterlicher Fürsorge und schließlich auch mit Altruismus.

Nehmen wir den Trennungsschrei. Dieser Schrei ist charakteristisch für die meisten Säugetiere und entscheidend für das Überleben. Das Neugeborene/Kleinkind/Junge braucht Liebe, um zu überleben. Der Schrei ist ein Ruf, der eilends Liebe herbeiholen soll. Er ist verantwortlich für den Urschrei; durch den Schrei des Kleinkinds/Jungen soll die Agonie der Isolation beendet werden. Es gibt für das Kleinkind/Junge keinen größeren Schmerz als von der Mutter getrennt zu werden. Wir brauchen Kontakt, um zu überleben. MacLean glaubt, dass die frühesten Säugetiere winzige nachtaktive Geschöpfe waren, die im Halbdunkeln lebten. Der Schrei war der heilbringende Fühler, der die Trennung beendete. Wenn wir den cingulären Kortex beschädigen oder entfernen, bereiten wir mütterlichem Verhalten wirksam ein Ende. Es gibt Aspekte dieser Struktur, die in Bezug zur Schmerz­wahr­nehmung stehen. Also sehen wir hier wieder die Beziehung zwischen Bedürfnis und Schmerz; ein versagtes Bedürfnis wird zu Schmerz. Das Schlüsselgefühl ist ein Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt.

Es ist keine Überraschung, dass dieses Areal üppig mit intern hergestellten Opiaten/Schmerzkillern ausgestattet ist. Wenn man Jungtieren geringe Dosen Morphium verabreicht, werden ihre Trennungsschreie schwächer. Gibt man ihnen Opiat-Antagonisten, dann schreien sie erneut.

Hier erkennen wir wieder, dass Schmerzkiller die Qualen der Trennung erleichtern; und umgekehrt, dass Trennung für ein Kleinkind Höllenqual bedeutet. Es ist ein Schmerz, der andauert, weshalb Erwachsene Schmerzkiller brauchen – um die Schreie zu ersticken, die dem frühen Gefühl entstammen, nicht geliebt zu werden. Der cinguläre Kortex steht auch mit Empathie in Zusammenhang, mit der Fähigkeit zu fühlen, was ein anderer gerade in seinem Inneren erlebt. Wenn der Präsident sagt: „Ich spüre Ihren Schmerz", meint er: „Mein singulärer Kortex versteht Ihre Gefühle." Wenn wir uns auf eine fühlende Ebene beziehen, dann ist diese Struktur einbezogen. Oft entzieht sie sich dem Verständnis jener, die auf Zahlen, Worte und Formen bauen, um psychologisches Verhalten zu erklären. Sie ist ein anderes Universum mit einer anderen Art des Gesprächs, und sie war die zentrale, höchste Form von „Gedanke und Kommunikation" in niedrigeren Tieren.

Wenn wir weiterhin überleben und uns um unsere Mitgeschöpfe sorgen wollen, müssen wir sicher stellen, dass der cinguläre Kortex nicht vernachlässigt wird.

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