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11  Maligne Verzweiflung: Verdrängung und Immunsystem

 wikipedia  Malignität

Janov-1991

 

 

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Unsere Erforschung der Verdrängung - unserer eigenen und der von anderen - hat die Folge, daß wir am Rande einer neuen Ära des Krankheits­verständnisses stehen, bei dem die Grenze zwischen sogenannter Geistes- oder emotionaler Krankheit und physischer Krankheit nicht mehr sinnvoll gezogen werden kann.

Der Begriff <maligne Verzweiflung> hat gewiß eine unheilvolle Nebenbedeutung, aber er ist nützlich und anschaulich in dem Sinne, daß er das Thema dieses Kapitels deutlich macht. Wir betrachten die Depression als bösartige Erkrankung der Psyche und den Krebs als bösartige Erkrankung der Gewebe — zwei Seiten derselben Medaille.

   Primärforschung: Wie Psychotherapie Gehirn und Körper verändert   

Unsere Forschung weist auf die Rolle der Verdrängung bei Krankheit hin. In den letzten fünfzehn Jahren haben wir drei verschiedene Untersuchungen der Vitalfunktionen unserer Patienten durchgeführt. Wir haben mit einem elektronischen Meßgerät die Körpertemperatur unserer Patienten festgestellt und Blutdruck und Puls registriert. Alle Werte der Vitalfunktionen sanken nach acht Monaten Therapie. Die durchschnittliche Körpertemperatur beispielsweise fiel um fast ein Grad Fahrenheit, und diese Abnahme trat bei 65,5 Prozent aller Patienten ein. Vielleicht beträgt die »normale« Körpertemperatur nicht 98,6 Grad Fahrenheit. Der Blutdruck bei unseren Patienten mit Hypertonie sank ebenfalls um durchschnittlich 24 Punkte, während der Herzschlag sich im Durchschnitt bei allen Patienten um 10 Schläge verringerte. Im Durchschnitt nahm der Puls bei 58,5 Prozent aller Patienten ab.

Natürlich verändern Diät und Bewegung den Blutdruck ebenfalls; eine gesunde Lebensweise in unverseuchter Umgebung ist auch sehr wichtig. Doch wollen wir nicht die psychologischen Faktoren vernachlässigen, weil bei Patienten, die keinerlei Veränderung ihrer Ernährung oder körperlichen Bewegung vorgenommen haben, der Blutdruck dennoch reduziert werden kann. Insbesondere die Körper­temperatur ist ein Schlüsselwert, weil sie die gesamte Wärmeanstrengung des Körpers widerspiegelt, wenn er mit Verdrängtem in Verbindung tritt.

Blutdruck und Puls steigen auch an, wenn ein tiefes Gefühl bevorsteht, und fallen, wenn dieses Gefühl gelöst ist. Wenn alle Vitalfunktionswerte der Patienten hoch blieben und die Person dennoch behauptete, sich entspannt zu fühlen, waren wir sehr mißtrauisch. Verdrängung ist ein aktiver, energieverzehrender Vorgang. Verdrängung läßt nie nach, weil auch der Schmerz nicht nachläßt. Verdrängung versucht uns am Leben zu erhalten. Wenn wir, um zu überleben, krank werden und sterben, dann mag dies geschehen. Verdrängung hat die Spezies dahin gebracht, wo sie ist, uns zu menschlichen Wesen gemacht und uns geholfen, einen zerebralen Kortex mit all seiner Logik und seinen rationalen Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Aufgabe wird sie nicht aufgeben, und man kann sie nicht vorübergehend entlassen. Sie hat eine Dauerstellung.

    Das Fieber der Neurose   

In der Literatur gibt es fast keine Aufzeichnungen, die Schmerz mit der Körpertemperatur in Verbindung bringen. Es ist eine unveränderliche Regel, daß die Körpertemperatur während der Sitzung desto höher ist, je tiefer der Schmerz und je früher seine Einprägung sind. Das Wiedererleben von Primärsequenzen um die Geburt treibt die Körpertemperatur fast immer auf über 100 Grad Fahrenheit (Ausnahmen werde ich gleich erörtern). 

Wenn der Patient während der Sitzung an ein elektronisches Temperatur­meßgerät angeschlossen ist, können wir auf unseren Skalen die Progression des Schmerzes buchstäblich beobachten, während der Patient von Kindheits­schmerzen zum Wiedererleben sehr früher perinataler Geburtsschmerzen übergeht. Dabei findet eine dramatische Temperatur­veränderung statt.

Die Tatsache, daß die Temperatur während einer Wiedererlebenssitzung signifikant ansteigt, ist weniger geheimnisvoll, als es den Anschein haben mag. Das Gefühl, das die Temperatur so dramatisch steigert, ist die ganze Zeit da. Wir haben ein »Regel­system«, das den Temperaturanstieg ständig dämpft. Wenn die Verdrängung nachläßt, wird der Schmerz aktiviert, und der Körper versucht hektisch, ihn fernzuhalten. Diese Verdrängungs­arbeit spiegelt sich in der Temperatur des Systems wider. Wenn man den Schmerz aus dem Körper nimmt, kühlt das ganze System ab, und die Körpertemperatur sinkt gewöhnlich unter den Anfangswert ab, was darauf hindeutet, daß das System ruht. Dies ist eine der wichtigsten Arten, wie wir die Beziehung zwischen Temperatur und Verdrängung verifizieren.

Wenn ein Säugling im Mutterleib sich dem Tod nähert, werden alle Vitalfunktionen ungeheuer mobilisiert. Beim Wiedererleben dieses Traumas werden dieselben Funktionen als Teil der Gesamterinnerung reproduziert.

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Die frühe Situation wird als Ganzes wiedererschaffen. Das ist die Mobilisierung gegen das Bewußtsein; das Bewußtsein ist die höchste Gefahr. Während einer Primärsitzung sehen wir, wenn das Bewußtsein beginnt, sich wieder auf das alte Gefühl einzulassen, lebensgefährliche Werte der Vitalfunktionen. Würden diese länger anhalten, so wäre das Baby wirklich in Lebens­gefahr. Für den Erwachsenen gilt das nicht. Die Verdrängung hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Verbindung zum Bewußtsein nicht hergestellt wird. Sie soll diese Verbindung verhindern.

Wenn das frühe traumatische Ereignis selbst ursprünglich fast tödlich war, dann werden die Werte der Vitalfunktionen sich tödlichen Höhen nähern. Die Muskeln spannen sich zur Aktion an, das Blut wird mit maximaler Stärke durch den Körper gepumpt, und Hormone werden an das System ausgeschüttet. Ursprünglich wurde in dieser Situation ein Verschlußventil eingesetzt. In der Therapie ist dies aber unwirksam, und die Duplizierung der traumatischen Erinnerung steht im Vordergrund. Die Verdrängung kann ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen und sollte dies auch nicht. Das Fühlen gewinnt die Oberhand.

Die Beziehung der Psyche zu physiologischen Prozessen wie der Körpertemperatur wird durch ein Experiment anschaulich, das wir in einem Londoner Krankenhaus durchführten. Eine Patientin hatte in einem Raum eine Wiedererlebenssitzung, während die Werte peripherer Wärmesensoren an ihrem Körper in einem anderen, isolierten Raum abgelesen wurden. Ich blieb in diesem Raum, verfolgte die Kurven der Temperatur und konnte allein anhand der Nadelausschläge feststellen, wann die Patientin zu fühlen begann, wann die Abwehr wuchs, wann sie in das Gefühl eintauchte und auf welcher Ebene das Gefühl auftrat. Ich konnte außerdem sehen, wann das Gefühl endete und die Einsichten begannen, und all das, ohne die Patientin selbst zu beobachten.

Dies waren dramatische Nachweise der biologischen Begleiterscheinungen des Fühlens. Der Therapeut, der bei der Patientin war, notierte sorgfältig den genauen Zeitpunkt aller Geschehnisse, während ich auf den Graphiken eintrug, was sich meiner Meinung nach gerade ereignete. In diesem Experiment konnten wir die Einheit von Körper und Geist deutlich sehen, während die psychologischen Prozesse die biologischen beeinflußten.

Verdrängung hat kein Alter. Sie versteht nicht, daß sie alt geworden ist und daß die Person, die sie schützt, nun ein reifer Erwachsener ist, der diese Schmerzen aushallen kann. Sie lebt in der Vergangenheit und benimmt sich, als sei das Individuum innerlich noch ein Baby und müsse um jeden Preis geschützt werden; tatsächlich schützt sie unser Baby-Selbst.

Sobald eine Verbindung zwischen der erinnerten Vergangenheit und der Gegenwart besteht, beginnt die Körper­temperatur stetig zu sinken.

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Dieses Muster des An- und Absteigens der Körpertemperatur tritt nicht auf, wenn ein Mensch einfach schreit, kreischt oder weint, ohne mit einem spezifischen vergangenen Trauma in Verbindung zu sein. Dies ist eine Art, wie wir wissen, daß Verbindung das sine qua non der ganzen Heilung und des Integrations­prozesses ist. Dialektisch ist es so, daß die Verbindung, wenn sie hergestellt ist, in ihr Gegenteil verwandelt wird — Fühlen; und mit diesem Fühlen erfolgen Integration und Heilung. Doch natürlich bedeutet Verbindung auch großen Schmerz und anschließende Heilung. Ist es da ein Wunder, daß wir panisch versuchen, die Heilung zu verhindern? Man muß den Schmerz durchmachen, wenn man auf dem Weg zur Heilung ist, und nicht jeder kann oder möchte dies.

Wir haben entdeckt, daß es signifikante Unterschiede der physiologischen Begleit­erscheinungen während eines Primär­erlebnisses zwischen dem Sympathetiker und dem Parasympathetiker gibt. Vor allem während der Geburtsabfolge hat der Sympathetiker bis zur Verbindung viel höhere Werte bei den Vitalfunktionen, während der Parasympathetiker nach dem ursprünglichen prototypischen Trauma erheblich schneller in eine parasympathetische Krise zu geraten scheint.

Gegenwärtig führen wir Forschungs­arbeiten durch, um festzustellen, wie weit verbreitet die Unterschiede zwischen Parasympathetiker und Sympathetiker sind. Vorläufige Daten deuten darauf hin, daß die physiologischen Messungen während des Primärerlebnisses genau dem ursprünglichen Trauma folgen; so kommt es bei einigen Parasympathetikern nicht zu einem Anstieg der Körper­temperatur, sondern eher zu einem Absinken, was das gesamte Energiesparsyndrom widerzuspiegeln scheint, das ursprünglich auftrat. Wir benutzen elektronische Instrumente, die man gewöhnlich in Operationssälen findet, für möglichst genaue Messungen, und wir stellen fest, daß die Werte von Sympathetikern und Parasympathetikern sich unterscheiden.

Während der Sympathetiker bei 98,6 Grad Fahrenheit beginnt und der Wert mehr als eine Stunde lang stetig auf bis zu 102 oder 103 Grad Fahrenheit ansteigen kann (zusammen mit den Werten anderer Vitalfunktionen), fällt der Parasympathetiker sehr bald in der Sitzung in ein Gefühl, und seine Temperatur sinkt, manchmal binnen Minuten um zwei bis drei Grad und binnen einer Stunde um bis zu vier oder fünf Grad. Manchmal scheint nichts zu geschehen, der Inhalt dessen, was der Patient sagt, ist ziemlich harmlos, und doch steigt die Temperatur stark an. Wir wissen, daß ein gewichtiges Gefühl im Aufsteigen begriffen ist, selbst wenn dem Patienten das nicht bewußt ist. Auf sein Erscheinen brauchen wir dann nicht lange zu warten. Plötzliche Spitzenwerte in unseren Messungen zeigen an, daß aus tieferen Ebenen des Bewußtseins etwas eindringt. Allein anhand der Temperatur kann man zwei deutlich verschiedene Persönlich­keitstypen erkennen.

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Beim Sympathetiker treten während einer Sitzung selten stark absinkende Meßwerte auf, und er empfindet auch nicht die überwältigende Vergeblichkeit, die solche Messungen stets begleitet. Wenn wir einen elektronisch überwachten Parasympathetiker beobachten, der tief in frühe Gefühle eintaucht, können wir gewöhnlich allein anhand der absinkenden Meßwerte der Vitalfunktionen aussagen, daß er ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung empfindet. Ich habe radikal abfallende Werte gesehen, insbesondere bei der Körpertemperatur, wenn ein Patient in einer parasympathetischen Krise sich während der Sitzung heftig herumwirft. Meines Wissens ist es in den Annalen der Medizin unbekannt, daß die Temperatur bei starker physischer Aktivität um mehrere Grade abfallen und einige Zeit auf diesem Wert bleiben kann.

Wir beobachten in diesen Sitzungen den exakten Ablauf, der vielleicht vor ungefähr vierzig Jahren ebenso stattfand. Wir betrachten die gegenwärtige Sitzung und beobachten Geschichte. Was diese Geschichte besagt, ist, daß es zuerst einen ungeheuren Kampf gab und dann, als der Tod sich näherte, das Aufgeben von Hoffnung und Kampf. Trotz der Tatsache, daß der Patient sich aktiv bewegt, reagiert er also in erster Linie auf seine Geschichte, und diese Geschichte diktiert ihm abfallende Werte der Vitalfunktionen. Darum geht es auch beim späteren Ausagieren — einer Reaktion auf die Vergangenheit, der gegen­wärtigen Realität zum Trotz —, wenn der Mensch aufgeben möchte, wenn die Dinge ihm zu schwer werden oder wenn nicht genügend Ermutigung gegeben wird, um in ihm den Wunsch zum Weitermachen aufrechtzuerhalten.

 

Anhand unserer Persönlichkeitsanalyse können wir den Verlauf der Sitzung eines Patienten und die Veränderung seiner Vitalfunktionen vorhersagen.

Eine sorgfältige Beobachtung dieser Werte während einer Sitzung bestätigt uns, mit welcher Art von Person wir es zu tun haben, und gestattet unter anderem die Vorhersage von zu erwartenden Symptomen (beim Para­sympathetiker Migräne), von Verhalten (aggressiv und drängend beim Sympathetiker), vom Umgang mit Streß (der Parasympathetiker gefriert unter Streß), von Schlafgewohnheiten (der Sympathetiker, aktiver und wacher, neigt zu leichterem Schlaf, der Parasympathetiker, träger und dem Unbewußten näher, schläft den Schlaf des »Toten«), der allgemeinen Einstellung zum Leben (der Parasympathetiker ist der Typ, der sagt: »Was nutzt das schon?«), des Zustands der Libido (Sympathetiker haben einen stärkeren Sexualtrieb), sexueller Störungen (männliche Parasympathetiker sind häufig impotent, weibliche häufiger frigide), der Schlafmuster (der Parasympathetiker schleppt sich aus dem Bett, der Sympathetiker steht sofort auf, wenn er wach wird) und der allgemeinen Einstellung zum Leben (der Sympathetiker ist positiv, der Parasympathetiker ein »Jein«-Sager, der Ihnen erklärt, was alles nicht möglich ist).

Die Art wie er mit einer Sitzung umgeht, ist die Art, wie er mit dem Leben umgeht, und beruht auf dem Prototyp. Der Parasympathetiker kämpft nicht zu lange, gibt auf, fühlt sich geschlagen. Der Sympathetiker kämpft ungeheuer, um zu fühlen, hat aber eine stärkere Abwehr. Mit dem Fortgang unserer Forschungsarbeiten werden wir noch viel mehr lernen.

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Das Messen von Neurose:
der Index der Verdrängung 

Wir haben einen »Verdrängungsindex« entwickelt, in den wir verschiedene Parameter aufnehmen, etwa Blutdruck, Gehirn­wellen­funktion, Puls und Körpertemperatur (die Vitalfunktionen). Diese bilden ein Raster, mit dem wir die Meßwerte des Patienten vergleichen, um seinen Allgemeinzustand zu bestimmen. So sind wir in der Lage, das Maß an Verdrängung im System einer Person zu quantifizieren. Wir können Schmerz nicht direkt messen, aber wir können seine Verarbeitung messen. Die Schlußfolgerung ist evident: Je früher das Trauma, desto weiter reichen seine Konsequenzen und desto verheerender und dauerhafter sind die Folgen.

Dies gilt sowohl im psychischen als auch im physiologischen Bereich. Deshalb verändern wir, wenn wir in unserer Therapie die Persönlichkeit verändern, auch die Anfälligkeit für Krankheiten. Ein Neugeborenes, das Ekzeme, Koliken oder Neurodermatitis hat, ist in Wirklichkeit mit einem unbewußten Immunsystem zur Welt gekommen. Aufgrund des Geburtstraumas hat das Immun­system seine Erinnerung geschwächt, kann seine Feinde nicht erkennen und sich nicht auf seine Fähigkeit zu helfen verlassen. Später beginnt dasselbe Kind, Lernprobleme zu entwickeln, stampft unablässig mit den Füßen auf und ist hyper­kinetisch — lauter Aspekte derselben Prägung. Weniger offensichtlich ist die Zerstörung, die sich in Darm, Lungen oder Nasenwegen abspielt. Jedesmal, wenn die Energie der Prägung an eine neue Stelle wandert, wird ein anderer Spezialist konsultiert — jeder behandelt das separate Symptom als unterschiedliche Krankheit, und allen entgeht die darunterliegende Quelle des Problems, die stets identisch ist.

Wenn man sich klarmacht, daß es uns gelungen ist, die Spiegel von Streßhormonen mittels Wieder­erlebens­erfahrungen um fünfzig bis sechzig Prozent zu senken, dann beginnt man zu verstehen, wie wir ein Immunsystem stärken können, das zum optimalen Funktionieren ein niedriges Streßniveau braucht.

Es hat zahlreiche Untersuchungen gegeben, die Krankheiten wie Krebs mit einem bestimmten Persönlichkeitstyp korrelierten; dabei wird Kälte in der Familie als ein Faktor angegeben, unterdrückte Wut als ein anderer, Depression wieder als ein anderer. Was vielleicht übersehen wurde, ist, daß alle Zustände die gleiche Grundlage haben könnten. Es ist nicht so, daß Wut Krebs »verursacht« oder zu ihm führt.

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Vielmehr kann das Steckenbleiben im Mutterschoß sowohl zu Wut als auch zu Krebs führen. Das Äußern von Wut ist in der Therapie hilfreich, aber solange sie nicht in ihrem Kontext geäußert wird, wirkt sie nicht heilend, sondern erst dann, wenn die Prägung selbst angegangen wird.

Neurose ist überall im System. Wir brauchen nur sorgfältig fast jeden biologischen Prozeß zu beobachten, um sie zu finden. Es gibt immer Mittel, Neurose zu messen und zu bestimmen, wie neurotisch wir sind. Wir haben beispielsweise Infrarotaufnahmen von den Gesichtern von Patienten vor und nach dem Fühlen gemacht. Bei einer Studie von Dr. Harry Sobel und Dr. David A. Goodman vom Neuroscience Center of Los Angeles wurden mittels einer Infrarotkamera Thermogramme aufgenommen (mit einem UTI Spectrotherm Modell 801). Das Gesicht wurde in elf Schlüsselbereiche unterteilt, und bei jeder Person wurden Infrarot­aufnahmen jedes dieser Bereiche gemacht. Nach einer Reihe von Monaten des Fühlens nahm die periphere Durchblutung des Gesichts infolge der Lösung von Schmerz signifikant zu; weniger Schmerz ist gleichbedeutend mit weniger Verkrampfung und besserer Durchblutung. In den meisten dieser Bereiche war bei fortgeschrittenen Patienten die periphere Durchblutung besser. Die thermographischen Aufnahmen lassen es evident erscheinen, daß aufgrund der Lösung von Schmerz die periphere Durch­blutung verstärkt wird.

Darüber hinaus haben Professor Leonid Goldstein von der Rutgers University und Dr. Eric Hoffman von der Universität Kopenhagen zwei Untersuchungen an unseren Patienten vorgenommen und eine signifikante Veränderung der Gehirnfunktion infolge von Wiedererlebenserfahrungen festgestellt.* Die Beziehung zwischen rechter und linker Hemisphäre verändert sich, ebenso wie die Beziehung zwischen vorderem und hinterem Gehirn.

Eine weitere Untersuchung am Brain Research Institute der UCLA** stellte bei unseren Patienten nach einem Jahr Therapie eine insgesamt geringere Gehirnwellenamplitude fest. Weniger Neuronen waren am Werk, und das Gehirn war weniger geschäftig. Die Aufgabe der Verdrängung war also geringer geworden.

 

* Hoffman, E., Goldstein, L., Hemispheric quantitative EEG changes following emotional reactions, Acta Psychiairice Scandanaia, Herbst 1980.
Hoffman, E., The significance of the right cerebral hemisphere in hyperemotional activity as measured by quantitative EEG, Third World Congress of Biological Psychiatry, Stockholm, Schweden, 28.Juni-3.Juli 1981.
** Gardiner, M., Differences between EEGs recorded from individuais at different time points during a psychological treatment. Conference on Human Brain Function, B19 Report, 42, 1976,  S. 86-102.

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Bei mehreren Gehirnwellenuntersuchungen haben wir festgestellt, daß verdrängende Personen ein niedrigeres Ruhe-EEG (Alpha-Band) haben als solche, die Zugang zu ihren Gefühlen besitzen, einschließlich derer, die unter häufigen Angstanfällen leiden. Tatsächlich bedeutet Angst ein weniger kohärentes Bewußtsein der oberen Ebene. Allein anhand dieser Messungen können wir den Verlauf einer Therapie ziemlich gut vorhersagen. Die Patienten mit niedrigen Wellen brauchen länger, um zu weinen, und viel länger, um in tiefe Gefühle zu kommen. Diejenigen, die mit der Therapie beginnen und stark leiden, haben auch die höchsten EEG-Spannungen. Später ist infolge der Therapie bei allen Patienten die Spannung des Ruhe-EEGs geringer. Dies bedeutet, daß Verdrängungs­mechanismen im Therapieverlauf weniger notwendig und wirksam werden. Bei der UCLA-Untersuchung an Patienten, die lange in der Primärtherapie waren, wurde festgestellt, daß die Spannung der Gehirnwellen im Ruhezustand bei Patienten, die fünf Jahre Therapie hinter sich hatten, nur noch ein Drittel ihres Anfangswertes betrug.

Weil die Gehirnwellen stark mit den anderen Vitalfunktionen korrelieren, betrachte ich sie als einen weiteren Aspekt des Vitalfunktionssyndroms. Die psychologische »Bedeutung« der erhaltenen Messungen ist die, daß es spezifische physiologische Korrelationen mit psychologischen Zuständen gibt. Kurz, wenn wir uns die Gehirnwellen ansehen, können wir etwas über die Persönlichkeit sagen, und umgekehrt. Ist es möglich, eine Operation wiederzuerleben, der man im Alter von fünf Jahren unterzogen wurde? Bei Patienten, die dies tun, finden wir einen spektakulären Anstieg der Vitalfunktionen, einschließlich der Gehirn­wellenaktivität. Das ist eine der Arten, die Echtheit einer solchen Erfahrung festzustellen.

An Fortschritte bei der Messung erinnert auch die Tatsache, daß man in ein Röhrchen spucken (wie bei unserer Forschungsarbeit geschehen) und dann anhand des Speichels den Pegel der Streßhormone (Kortisol) und damit das Maß von Streß, unter dem die Person steht, feststellen kann. Wenn wir den Faktor mit bestimmten Gehirnwellenzeichen und anderen Vitalfunktionen korrelieren, bekommen wir allmählich einen wirksamen Index für Streßniveau und Verdrängung.

Mit Hilfe des Verdrängungsindexes konnten wir auch sehen, welche Arten von Traumata die höchste Wertigkeit haben und den größten Beitrag zu späterer Krankheit leisten. Es ist keine Laune, daß wir Geburtstraumata und Inzest als am meisten zur Verdrängung beitragend ansehen, sondern ein Ergebnis unserer Forschungsarbeit.

Aufgrund unserer Untersuchungen gewinnen wir allmählich eine Vorstellung davon, wie normale Biologie aussieht. Wir haben jetzt physiologische Maßstäbe, an denen wir die heutigen Psychotherapien messen können. Unsere Forschungs­werkzeuge werden uns auch die Feststellung ermöglichen, unter wieviel Druck jedes Individuum steht. Wir werden Indizes haben, die uns die Voraussage der Wahrscheinlichkeit späterer Erkrankung gestatten, und zwar unabhängig davon, wie gesund ein Mensch zu sein glaubt.

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Ich glaube übrigens, daß die Insassen von psychiatrischen Krankenhäusern und Gefängnissen ihr abweichendes Verhalten wohl fortsetzen werden, wenn sie nach draußen kommen, solange sie nicht die Möglichkeit haben, ihre Traumata wiederzuerleben. Solange sie Opfer ihrer Kindheitsprägungen sind, kann die beste konventionelle Therapie nur medikamentös behandeln, den Schmerz ständig niederhalten und das Beste hoffen. Es gibt eine Alternative.

Bislang bezeichneten wir eine Krankheit, deren Ursachen nicht klar waren, als »psychosomatisch«. Der Begriff der psycho­somatischen Erkrankung war eine Schublade, in die wir alles steckten, was wir nicht erklären konnten. Wir benutzten ihn vor allem dann, wenn wir auf medizinischer Basis nicht in der Lage waren, eine Krankheit wirksam zu behandeln. »Es muß psycho­somatisch sein«, sagte der Arzt in solchen Fällen. Niemand hatte irgendeine Ahnung, was das bedeutete, außer daß der Patient dachte, er sei irgendwie verrückt und selbst schuld an seiner Krankheit. Das Etikett linderte das Schuldgefühl des Arztes, der seinen Patienten nicht heilen konnte. Selbst wenn er zutreffend vermutete, das medizinische Problem habe eine psycho­logische Ursache, wurden die genauen Faktoren nie genannt, weil keiner sie kannte.

Der Begriff Psychosomatik wurde nie als primäre Diagnose oder als positiver Ansatz verwendet, um den Beitrag der Psyche zu einer bestimmten Erkrankung zu spezifizieren. Gewöhnlich war er ein Anzeichen von Verzweiflung. »Ich weiß nicht, was nicht stimmt, also muß es psychosomatisch sein.« Niemand fühlt sich gern als Versager, vor allem wenn es sich um die Behandlung eines Patienten handelt. Die Implikation lautete wohl so: »Wenn ich dich nicht behandeln kann, muß es deine Schuld sein.«

Was wir aus unserer Forschungsarbeit lernen, ist, daß Neurose keine Sache ist. Sie ist nicht ein Verhalten oder eine Einstellung. Sie ist ein Konzert von Reaktionen, das die wesentlichen Schlüssel zum Verständnis vieler der Defekte oder Fehlfunktionen in den Untersystemen liefert. Diese Tatsache legt die gemeinsamen physiologischen Ursprünge der sogenannten psychosomatischen Symptome von Krankheit und Neurose nahe. Was normal zu sein scheint, ist die niedrigste Ebene der Verdrängung, die der kortikalen Funktion entspricht - der Zustand maximaler möglicher Integration zwischen den Ebenen des Bewußtseins.

Sie sind nicht normal, weil Sie einfach normal handeln, und Sie sind nicht normal, weil Sie einfach keine offensichtlichen psychiatrischen Symptome aufweisen. Sie sind vielleicht sogar dann nicht normal, wenn Sie jede Frage eines psychologischen Fragebogens auf eine gesunde Weise beantworten, denn der Körper muß ebenfalls einen Test ablegen und dem Tester, nämlich der Maschine, die richtigen Antworten geben. Die Maschine fragt auf ihre eigene Art: »Ist Ihr Puls normal?« Und bei einem Puls von 95 lautet die Antwort: »Ganz entschieden nicht!«

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Liz 

 

»Am 4. Oktober 1977 passierte mir eine erstaunliche Sache. Während ich in der Praxis meines Arztes war, wurde bei mir ein Puls von 72 gemessen. Für mich ist das erstaunlich, denn ich hatte immer einen schnellen Puls; er war nie unter 80 und normaler­weise um die 90. Selbst 100 bis 106 waren bei mir kein ungewöhn­licher Ruhepuls. Oft lag ich nachts im Bett und fühlte meinen Puls, der manchmal meinen ganzen Körper beben ließ. Einmal war ich zu einer Routineuntersuchung der Schilddrüse im Krankenhaus. Drei Wochen lang wurde jeden Morgen mein Puls gemessen, und er war ständig hoch (um 80 und 90 gleich nach dem Aufwachen, manchmal auch noch vor dem Aufwachen).

Dieser Wert von 72 war also in der Tat ungewöhnlich für mich. Zuerst dachte ich, vielleicht sei er nur ein Einzelfall, der sich nicht wiederholen würde. Bei vier weiteren Arztbesuchen jedoch blieben die Werte niedrig. Am 20. Oktober wurde ein Puls von 64 festgestellt, ungefähr 32 Schläge weniger als meine früher üblichen Werte von 96. Außerdem war in den letzten zehn Jahren mein Blutdruck erhöht gewesen (135/85). Er ist ebenfalls gesunken, und zwar auf 110/80.

Ich bin wirklich erstaunt, erregt und erleichtert über meinen Puls und Blutdruck. Ich kann kaum glauben, daß das wahr ist; allerdings entspricht es meinem gesamten Gefühl, daß mir eine ungeheure Bürde von der Seele genommen ist. Ich kann nicht glauben, wie sehr all diese Gefühle ständig meinen Körper umgetrieben haben. Soviel verdrängte Wut, die mich buchstäblich umbrachte; das Fühlen läßt mich wieder aufleben.«

 

   Verdrängung und Immunsystem  

 

Früher dachten wir, das Immunsystem habe nur mit Allergien,  Heuschnupfen und möglicherweise Asthma zu tun, und allergisch zu sein bedeute das Gegenteil von Immunität. Mit anderen Worten, wenn wir gegen etwas immun waren, waren wir nicht mehr allergisch. So war ein Mensch mit Heuschnupfen allergisch gegen verschiedene Antigene wie Staub oder Pollen, weil das Immun­system nicht sehr gut funktionierte. Seit dieser Zeit hat die Forschung einen weiten Weg zurückgelegt; wir erkennen jetzt, daß das Immunsystem an fast jeder Krankheit auf die eine oder andere Weise beteiligt ist und daß es das Schlüsselsystem für das Verständnis vieler katastrophaler Erkrankungen darstellt.

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Wir wissen bereits seit einiger Zeit, daß das Immunsystem aus weißen Zellen besteht, Lymphozyten, die eine Vielfalt unter­schiedlicher immunologischer Funktionen wahrnehmen. Es gibt B-Zellen, T-Zellen, NK-Zellen und andere. Im allgemeinen sind alle diese Zellen Teil eines Überwachungssystems, das fremde Eindringlinge (Antigene) wie Viren, Bakterien, Staub oder Pollen erkennt und angreift. Lymphozyten sind hochspezialisierte Zellarten; einige müssen den Feind nur erkennen, während andere Zellen ihn suchen und zerstören sollen.

Diese Zellen sind beispielsweise bei der Krebsbekämpfung von entscheidender Bedeutung. Wenn eine Krebszelle von B- oder T-Lymphozyten erkannt worden ist, treten die natürlichen Killerzellen auf den Plan. Natürliche Killerzellen sind die »angeheuerten Söldner« des Immunsystems; sie sind buchstäblich unsere Leibwächter. Sind sie geschwächt oder verringert, haben wir Probleme. Natürliche Killerzellen bilden die erste Abwehrlinie bei der Bekämpfung von Zellen, die eine bösartige Veränderung durchgemacht haben. Sie halten ständig nach einer möglichen Krebsentwicklung Ausschau und schaufeln fast buchstäblich die angehenden bösartigen Zellen weg.

 

   Erforschung von Streß, Schmerz und Immunsystem   

 

Bei unserer Forschungsarbeit wollten wir nachweisen, daß die Therapie tatsächlich physiologische Prozesse wie das Immun­system beeinflussen kann. Zunächst wollten wir Streßpegel feststellen und diese Streßpegel dann mit den Immun­funktionen in einen Zusammenhang bringen. Die Bedeutung der Untersuchung war, darzulegen, daß psychologische Faktoren eine Wirkung auf die Immunfunktionen haben, was impliziert, das sie bei schweren Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen.

Unser Ziel war es, die biologischen Begleiterscheinungen von Neurose und deren Auflösung zu identifizieren. Wir möchten genau wissen, welche Veränderungen in der Neurose stattfinden, und Sichtzeichen entwickeln, anhand derer wir die Neurose quantifizieren und eine Schwerehierarchie aufstellen können. Im folgenden fassen wir unsere Feststellungen zusammen.

Wir haben in den letzten Jahren eine Anzahl von Hormonuntersuchungen durchgeführt, die unter anderem darauf hinweisen, daß die Spiegel der Streßhormone reduziert werden, wenn der Schmerz im menschlichen System reduziert wird. Wir haben diese Studien weitergeführt, um zu sehen, ob wir die Verringerung der Streßhormone replizieren und außerdem feststellen können, welche weiteren Veränderungen mit der Veränderung der Streßhormonpegel vielleicht einhergehen.

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Wir haben festgestellt, daß nach einem Jahr Primärtherapie eine Normalisierung dieser Pegel eintritt. Im Falle von Testosteron (das Sexualhormon) und Wachstumshormon wurden die Spiegel bei Personen, bei denen sie zuerst unangemessen hoch waren, geringer, bei solchen, bei denen sie niedrig waren, stiegen sie an. Es hat etliche Forschungsarbeiten gegeben, die auf die Rolle des Wachstumshormons bei Heilung und Wiederherstellung hinweisen. Sympathetiker, die aggressiver und drängender sind, haben eine Tendenz zu höheren Anfangsspiegeln von Testosteron. Später in der Therapie, wenn die Patienten weicher werden, fallen diese Spiegel ab. Parasympathetische Männer, bei denen sie zu Beginn der Therapie niedriger sind, haben später höhere Werte. Es scheint eine umgekehrte Beziehung zwischen Wachstumshormon und Streß zu geben. Je höher der Streßpegel, desto geringer der Spiegel des Wachstumshormons. Wenn nach der Primärtherapie die Pegel der Streßhormone absinken, steigen die des Wachstumshormons an. (Unsere Untersuchung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin ergab eine Abnahme um bis zu Sechsundsechzig Prozent nach sechs Monaten Therapie.) Nach sechsundzwanzig Wochen Primärtherapie war der Spiegel des Wachstumshormons um über zweihundert Prozent gestiegen. Bei denjenigen, die nicht in tiefe Gefühle kommen konnten, erfolgte während derselben Zeitspanne ein signifikantes Absinken derselben Hormon­spiegel.

Wir haben in den letzten zwei Jahrzehnten festgestellt, daß es bei unseren Patienten zu einem Wachstum des weichen Körper­gewebes kommt. Frauen haben beispielsweise ein Anwachsen der Brüste bemerkt. Wir glauben, daß das unter anderen Hormonveränderungen auch mit Veränderungen im Ausstoß des Wachstumshormons zu tun hat. In unseren neuesten Studien gingen wir von der Hypothese aus, daß bei unseren Patienten, wie wir das schon früher gesehen hatten, ein geringerer Spiegel des Streßhormons Kortisol vorhanden sein würde, nachdem sie eine Zeitlang Primärtherapie gemacht hatten. Wir dachten, diese Spiegel würden sich auch in Veränderungen im Immunsystem bemerkbar machen. Besonders interessierten wir uns für die Aktivität der natürlichen Killerzelle (NK-Zelle). Übereinstimmend mit vorherigen Forschungsergebnissen glauben wir, daß mit der Verringerung der Streßhormonspiegel (und anderer Anzeichen für Streß) auch die Immunfunktion und die Aktivität der NK-Zellen gesteigert würde. Wir maßen auch die Bindung von Imipramin in den Blutplättchen, weil wir dachten, höhere Bindungen würden auf weniger Verdrängung hindeuten, und weniger Verdrängung wiederum würde zu einem besseren Funktionieren des Immunsystems führen. Die zukünftigen Implikationen könnten sein, daß bei einer Steigerung der Aktivität der NK-Zellen und anderer Immunfunktionen auch möglichen schweren Krankheiten wie etwa Krebs vorgebeugt würde.

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Um einige dieser Gedanken weiter zu erforschen, führten wir zusammen mit Professor Steven Rose und Sean Murphy von der Open University in England sowie mit Professor Bernard Watson und Dr. Nuala Mooney vom St. Bartholomew's Hospital in London einen Doppelblindversuch durch.*  Wir maßen die Streßpegel von Patienten und einer Kontrollgruppe (Universitäts­studenten), indem wir die Menge von Streßhormon in ihrem Speichel feststellten. Wir (Dr. Andre Blank von meiner Klinik) nahmen auch Blutproben, um Neuro­transmitter­funktionen zu untersuchen, nämlich die Imipraminbindung von Blutplättchen. Wir zählen auch die Lymphozyten, einen Teil des Immunsystems, um die Beziehung zwischen Streßniveau und Immunfunktion zu beobachten.

Das Thema der Imipraminbindung ist sehr komplex und noch nicht völlig aufgeklärt. Die Chemikalie Imipramin ist die wesentliche Komponente einer stimmungsaufhellenden Droge, die man verwendet, um schwere Depressionen zu behandeln. Die genauen Mechanismen, durch die Imipramin seine stimmungsaufhellende Wirkung ausübt, sind nicht exakt bekannt, aber einer seiner deutlichen meßbaren Effekte ist die Blockierung der Wiederaufnahme von Serotonin und Norepinephrin in das Nervensystem. Von beiden Substanzen wird angenommen, daß sie bei der Unterdrückung von Schmerz helfen. Imipramin hat ähnliche Funktionen wie Serotonin in dem Sinne, daß eine geringe Imipraminbindung mit mehr Serotonin in den Gehirnsynapsen korreliert ist; je geringer also die Bindung, desto stärker die Verdrängung. Imipramin scheint das Serotoninsystem zu modulieren und das Gehirn zu befähigen, empfänglicher für diesen Neurotransmitter zu sein.

Wir wissen beispielsweise, daß die elektronische Stimulierung niedrigerer Hirnstrukturen die Unterdrückung von Schmerz erleichtert, indem der Serotoninspiegel erhöht wird. Tiere, deren Serotoninspiegel gering ist, sind auch ziemlich erregt und werden ruhiger, wenn man ihnen Serotonin injiziert.

Dies führte uns zu der Annahme, daß der Mechanismus des Imipramins seine stimmungsaufhellenden Effekte seiner Auswirkung auf die Verdrängung verdankt. Wir überlegten ferner, daß die Fähigkeit des Nervensystems, Imipramin zu binden oder zu metabolisieren, durch die Primärtherapie günstig beeinflußt werden dürfte.

Da die Blutplättchen einen gemeinsamen embryologischen Ursprung mit den Gehirnneuronen haben, glaubten wir, durch die genaue Messung der Bindungsfähigkeit von radiologisch markiertem Imipramin an die Blut-plättchen würden wir auch eine Vorstellung davon gewinnen, wie gut sich Imipramin eventuell mit Hirnneuronen im Nervensystem verbindet.

* Rose, Steven, Sean Murphy, Psychotherapy and Imipramine Binding to Blood Platelets; Brain Research Group. Open University, Milton Keynes, England.

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Die Durchführung solcher Messungen vor und nach der Primärtherapie würde dann die Auswirkungen der Primärtherapie auf die Verdrängung messen.

Der Hintergrund hierfür, um das zu wiederholen, ist die Feststellung bei anderen Studien, daß die Bindung bei Depressiven geringer ist und daß die Gabe von Imipramin als Pharmazeutikum eine stimmungshebende Wirkung hat. Aus diesem Grunde wird der Grad der Imipraminbindung auch manchmal als diagnostisches Zeichen bei der Behandlung von Depression benutzt, und Patienten mit einem geringeren Spiegel gelten als depressiv.

Infolgedessen lauteten unsere Subhypothesen im einzelnen, daß (1) die Primärtherapie den Streßpegel verringern würde, (2) daß ein verringerter Streßpegel die Immunfunktion verbessern würde und daß (3) die Primärtherapie zu einer verstärkten Imipramin­bindung führen würde.

Die Forschungsergebnisse tendierten zur Bestätigung aller drei Hypothesen. Wir stellten fest, daß die Primärtherapie die von uns erwarteten Veränderungen in der Imipraminbindung bewirkte. Nach sechs Monaten Primärtherapie wiesen die Patienten, die mit einer geringeren Imipraminbindung begonnen hatten als die Kontrollpersonen, gleiche Werte wie diese Kontrollpersonen auf. Die Imipraminbindung ist eindeutig mit Veränderungen psychologischer Zustände korreliert.

Bei den Immununtersuchungen im St. Bartholomew's Hospital wurden Patienten und eine Kontrollgruppe von Universitäts­studenten beobachtet. Sie wurden drei Monate vor der Therapie getestet, dann drei Tage vor der Therapie, am ersten Tag der Therapie, einundzwanzig Tage nach Therapiebeginn und sechs Monate später.

Wir stellten fest, daß sich der Anteil der NK-Zellen mit der Zeit und innerhalb der Patientengruppe veränderte und daß diese Veränderungen statistisch signifikant waren. Nach sechs Monaten hatte die Patientengruppe eine niedrigere NK-Zellen-Aktivität als zu Beginn der Untersuchung.

Der sechste Monat der Therapie ist das, was ich als »Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt« bezeichne. Zu dieser Zeit hat der Patient seine Abwehrmechanismen recht gut durchdrungen, ist am ängstlichsten, und Schmerz steigt in ihm auf, der noch nicht gut integriert ist. Diese Integration beginnt nach etwa einem Jahr Therapie einzusetzen. Meine Deutung der erhaltenen Ergebnisse ist also, daß zu der Zeit, wenn der Patient am ängstlichsten ist, die mit der Krebsentwicklung befaßten Zellen am schwächsten sind.

Der Anteil der NK-Zellen veränderte sich bei den Patienten, bei der Kontrollgruppe dagegen nicht. Als die Daten mit angemessenen statistischen Methoden ausgewertet wurden, wurde schlüssig nachgewiesen, daß zwischen den fünf Meßzeit­punkten statistisch signifikante Unterschiede bestanden.

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Da die Primärtherapie die wichtigste unabhängige (Behandlungs-) Variable war, welche die beiden Gruppen unterschied, ist es angemessen, diese Unterschiede der Therapie zuzuschreiben. Das deutet darauf hin, daß Veränderungen des psychologischen Zustands einen Einfluß auf das Immunsystem haben. Die Aktivität der NK-Zellen bei der Patientengruppe war nach sechs Monaten geringer als zu Beginn der Therapie — zu einem Zeitpunkt, als die Patienten zu größerer Strukturierung tendierten.

Als die Patienten zu verschiedenen Zeiten mit den Kontrollpersonen verglichen wurden, hatten die Kontrollpersonen eine signifikant höhere Anzahl von T-Zellen. Damit hatten wir gerechnet. Eine psychiatrische Population scheint einen weniger gut funktionierenden Immunapparat zu haben. Leider waren wir nicht in der Lage, noch ein oder zwei Jahre fortzufahren und zu sehen, welche Veränderungen nach der Integration des Schmerzes auftraten. Wir nehmen an, daß die Immunfunktion dann stärker wäre als zu Beginn der Behandlung. Doch das ist ein Projekt für die Zukunft. Nach psychologischer Einschätzung zeigten elf von zwölf willkürlich ausgewählte Patienten in diesem Falle eine Verbesserung. Eine Person, deren psychologische Funktions­fähigkeit nachgelassen hatte, wies auch eine Minderung der Imipraminbindung auf. Diese Ergebnisse waren statistisch signifikant.

Wichtig ist, daß hier eine Zellveränderung durch einen psychologischen Behandlungsprozeß bewirkt wurde; sie trat in der erwarteten Richtung auf und in Korrelation mit einer Verbesserung des psychischen Zustandes der untersuchten Personen. Die Patienten hatten ihre Werte so erhöht, daß sie von normalen Personen nicht mehr zu unterscheiden waren.

Hier fanden wir physiologische Korrelationen mit psychischen Zuständen. Gesundheit und Neurose waren in den Zellen zu finden. In Zukunft können wir uns erneut die Aktivität dieser Zellen ansehen, um Neurose oder Krankheit zu messen. Meines Wissens ist dies das erste Mal, daß die Wirksamkeit einer Psychotherapie auf Zellebene überprüft wurde. Die Ergebnisse waren für Professor Rose signifikant genug, um die Untersuchung einer Reihe von Psychotherapien auf die gleiche Weise zu rechtfertigen. Auf der Grundlage dieser Forschung hoffen wir Kennzeichen zu entwickeln, um die Wirksamkeit verschiedener Psychotherapien zu messen.

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  Signifikanz dieser Forschung  

 

Zusammengefaßt weist unsere Forschungsarbeit darauf hin, daß (1) Schmerz ein zentraler Faktor der Neurose ist; daß (2) die Bewältigung des Schmerzes die Neurose verändert (die Mehrzahl der Patienten fühlte sich nach der Therapie gebessert); daß (3) die Veränderung von Neurose spezifische physiologische Prozesse einschließt; und daß wir (4) weiterhin die Immunprozesse bei der Neurose beobachten müssen, um festzustellen, wie diese beiden Faktoren zusammen­hängen. Ich bin davon überzeugt, daß diese Beziehung immer evidenter werden wird, wenn wir unsere Forschungs­methoden verfeinern.

Der Schluß, daß Fortschritt oder mangelnder Fortschritt in der Psychotherapie auf physiologischen Ebenen registriert werden kann, ist unabweisbar. Er basiert auf einer spezifischen Theorie von Schmerz und Neurose und der Hypothese, daß Schmerz und seine Verbindung zum Immunsystem eng zusammenhängen. Solange die Psychotherapie sich weiterhin mit der Psyche als Gegensatz zum Körper befaßt, wird diese Art der Forschung vernachlässigt werden und damit auch die Chance zu sehen, welche psychologischen Faktoren bei katastrophalen Erkrankungen entscheidend wichtig sind.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man bei der Untersuchung des Ergebnisses einer Psychotherapie psychologische Faktoren isoliert, solange man nicht der Täuschung erliegt, sie seien schon das Ganze. Was wir brauchen, ist eine Reihe von weiteren biologischen Kennzeichen (wie bei den Hormon­untersuchungen, die wir durchgeführt haben), die uns in ihrer Gesamtheit ein Bild der tiefgreifenden Veränderung bei der Neurose liefern.

Es genügt nicht, wenn Therapeuten ad hoc entscheiden, welche Kriterien sie als Mittel der Messung von Veränderungen bei ihrem Patienten auswählen. Die Kriterien müssen die ganze Skala physiologischer Veränderung im Körper widerspiegeln. Wenn wir zeigen, daß bestimmte Neurotransmitter an der Neurose beteiligt sind, dann müssen diese Kriterien schließlich bei der Messung von Fortschritt in der Psychotherapie berücksichtigt werden. Wir können nicht länger eine Theorie der Neurose konstruieren, die biologische Kennzeichen vernachlässigt. Je mehr Kennzeichen wir finden, desto spezifischere Kriterien werden sich durchsetzen und desto präziser werden unsere Messungen sein.

Was die Verdrängung bewirkt, ist tatsächlich eine Spaltung der Person in zwei Teile. Leider haben diejenigen, die für die Behandlung zuständig sind, diese Spaltung fortgesetzt und behandeln sie als normalen Zustand. Der Patient ist unterteilt worden — seine Psyche ist aus dem Körper gezogen worden, damit Psychologen sie untersuchen und behandeln können, während in der Medizin der Körper der Psyche entzogen und als lebensfähiges, deutlich unterschiedenes Gebilde behandelt wird.

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Neuere Forschungsarbeiten 

über das Immunsystem

 

Robert Ader, ein Pionier in der Erforschung des neu auftauchenden Feldes der Psychoneuro­immunologie, verabreichte Tieren zwei verschiedene Chemikalien. Ratten wurde Cyclophosphamid injiziert, eine Droge, welche die Immunfunktion unterdrückt, und gleichzeitig erhielten sie mit Saccharin gesüßtes Trinkwasser. Nach einer gewissen Zeitspanne erhielten dieselben Ratten nur noch das gesüßte Wasser, und ihre Immunfunktion wurde genauso unterdrückt, als hätten sie die ursprüngliche immuno-suppressive Chemikalie erhalten. Mit anderen Worten, das Immunsystem erinnerte sich und reagierte ebenso, als sei die alte Umgebung noch da, genau wie es das Nervensystem tut.

Das Immunsystem hat ein außerordentliches Gedächtnis. Deshalb kann eine Impfung im Kindesalter lebenslang gegen Krankheit wirken; das System erinnert sich an den ursprünglichen Angriff und errichtet dagegen eine dauerhafte Abwehr.

Wir haben gelernt, daß Immunzellen dieselben Endorphine herstellen wie das Gehirn. Obwohl Endorphine eine Vielfalt von Funktionen haben, sieht es so aus, als sei eine Immunzelle imstande, etwas herzustellen, das Schmerz tötet, während sie gleichzeitig Immun­funktionen wahrnimmt. So ist es möglich, daß ein Kind, das sehr früh im Leben mißhandelt wurde, dies nicht nur mit seinen Gehirnzellen erinnert, sondern auch mit seinen Immunzellen. Tatsächlich wird fast jeder Neurotransmitter, der mit Streß und Schmerz umgeht, sowohl vom Immunsystem als auch vom Gehirn hergestellt. Hier sehen wir im Immunsystem das Zusammen­fließen von Psyche und Soma (Körper), die eigentliche Bedeutung von Psychosomatik. Das Nervensystem und das Immun­system sind in Wirklichkeit ein einziges Kommunikationssystem, in dem jedes dem anderen seine eigene Botschaft sendet.

In der Schweiz hat Dr. Hugo Besedovsky festgestellt, daß Immunzellen nicht nur Informationen aus dem Gehirn empfangen, sondern daß das Immunsystem selbst chemische Botschaften an das Gehirn sendet — insbesondere an den Hypothalamus, den Teil des Limbischen Systems, der eine große Rolle bei der Vermittlung von Emotion spielt. Immunzellen können »eine Versammlung einberufen« und »Delegierte« in Form von chemischen Botschaften an das Gehirn senden. Sie senden dem Gehirn keine Worte, aber sie schicken ihm Information. Wenn diese Information »schockierend« und überwältigend ist, beginnt das System, zusammen­zubrechen und schwere Erkrankungen zu entwickeln. Auf jeder Ebene des Systems kann nur eine bestimmte Menge an Information angenommen werden. Danach ist das Organsystem in Gefahr. Wie wir beim Krebs sehen, besteht diese Information oft aus Verzweiflung und Vergeblichkeit, Gefühlen, die physiologisch verarbeitet werden.

 

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Maligne Verzweiflung

 

Dr. John Liebeskind von der UCLA hat Experimente mit Ratten durchgeführt, denen Zellen von Tumor­gewebe injiziert wurden und die dann periodisch unvermeidbare Schocks an den Pfoten erhielten. Diese Ratten waren sowohl hilflos als auch hoffnungslos; sie hatten keine Verhaltensoptionen, um ihr Leiden zu lindern. Die injizierten Tumorzellen wurden bösartig, als dem Organismus Streß und Verzweiflung auferlegt wurden. Der psychologische Zustand von Liebeskinds Tieren verringerte offenbar die Immunfunktionen und führte dazu, daß die Ratten Krebsgeschwülste entwickelten.

Bei einer anderen Studie setzte Hans Selye Nagetiere auf schlüpfrige, von Wasser umgebene Hügel. Er richtete das Experiment so ein, daß die Tiere jedesmal, wenn sie einschliefen, ins Wasser fielen. Sie litten an chronischer Erschöpfung und Streß und entwickelten Krebs entlang der Hypophysen-Adrenal-Achse (die Hirnanhangdrüse ist die zentrale Struktur, welche die Ausschüttung von Endorphinen stimuliert). Diese Umgebung war zu belastend für die Tiere. Sie waren in der Tat hilflos und geschlagen und konnten nichts an ihrer Situation ändern.

Diese Ratten fühlten sich aus guten Gründen geschlagen oder verzweifelt. Sie waren einer Menge sinnlosen Schmerzes unterworfen, und sie konnten nichts dagegen tun. Das gemeinsame Thema der gegenwärtigen Forschung ist unverkennbar: Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Gefühle des Geschlagenseins sind die »Samenkörner« bösartiger Entwicklungen. Sie machen das System verwundbar durch alle anderen toxischen Quellen in der Umgebung. Ich benutze das Wort »Samenkörner« bewußt, denn sie sind die tiefverwurzelten Quellen aus einer lange vergangenen Geschichte. Zu lange haben wir das Unkraut abgeschnitten und uns eingebildet, damit lösten wir das Problem. Wir müssen nach diesen tiefen psychologischen Faktoren bei vielen heutigen Krankheiten suchen, vom Epstein-Barr-Syndrom bis zu Multipler Sklerose. Sie mögen die Krankheit vielleicht nicht direkt verursachen, aber eindeutig »bereiten sie den Boden« für ihren Angriff.

Die Rattenforschung ist nicht sehr verschieden von dem, was Kinder in manchen Haushalten durchmachen. Man braucht nichts zu tun, damit sie sich hilflos fühlen; sie sind hilflos. Während kortikale Zellen Verzweiflung äußern, wird sie von Zellen niedrigerer Ebenen verarbeitet. Das ist die Physiologie der Verzweiflung. Tatsächlich sagen diese Zellen: »Geben wir auf, es hat keinen Zweck.«

Verzweiflung kann sich durch einen allgemeinen Mangel an Gefahrenerkennung durch das Immunsystem äußern oder durch einen Mangel an Aggressivität und die Unfähigkeit, sich selbst ausreichend zu klonen, um eine starke »Armee« aufzubauen. Diese Vorgänge sind das Gegenstück des Neokortex, der die Einstellung äußert: »Es hat keinen Zweck«, »Ich werde aufgeben«, »Ich werde es nicht einmal versuchen«, »Alles ist zwecklos«.

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So funktionieren Gehirn und Immunzellen als Einheit, um Verzweiflung gleichzeitig in immunologische Dysfunktion und psychologische Hoffnungs­losigkeit zu übersetzen. Ratten werden krank, weil sie sich in hoffnungslosen Situationen befinden. Menschen fühlen sich hoffnungslos und werden dann krank und können beides anscheinend nicht in Verbindung bringen. Schlimmer noch, oft ist ihnen ihre Hoffnungslosigkeit gar nicht bewußt.

Wir können aus diesen Tieruntersuchungen viel über Menschen lernen. Bei den Tieren war der Mangel an Optionen ein sehr wichtiges Element für die Entwicklung katastrophaler Krankheiten, ebenso wie die Tatsache, daß sie absolut keine Kontrolle über ihren Schmerz hatten. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer, daß Tiere, die ihren Schmerz kontrollieren können, Krebs entwickeln.

Es ist interessant zu bemerken, daß eine der Behandlungen der Epstein-Barr-Krankheit ein Antidepressivum ist. Wir haben diese Krankheit behandelt, die eine Virusgrundlage hat, aber fast immer bei Parasympath­etikern auftritt. Die große frühe Verdrängung, die in die Ursprünge der parasympathetischen Reaktion eingeht, unterdrückt auch das Immunsystem. Die Erschöpfung bei dieser Krankheit ist meiner Meinung nach nicht nur durch Viren verursacht, sondern durch die Prägung von Erschöpfung, die während der Geburt durch den Kampf um das Leben erzeugt wurde. Die Symptome von Epstein-Barr können auch die Symptome des frühen Traumas und der parasympathetischen Reaktionen sein. Wenn man einem Parasympathetiker, der diese Krankheit hat, ein Antidepressivum gibt, behandelt man auch die globale Verdrängung. Der Betreffende zeigt vielleicht eine Besserung nicht, weil die Tablette gegen die sichtbare Krankheit wirkt, sondern weil sie gegen die darunterliegende Krankheit wirkt.

Bei einer Studie der Mayo-Klinik wurde festgestellt, daß die Krebsrate bei Menschen, deren Ehepartner kürzlich gestorben waren, fünfmal höher lag, als zufällig zu erwarten gewesen wäre. Eine Frau von siebzig, die ihren Mann verliert, hat wenige Optionen. Sie kann sich nicht mehr in ihre Arbeit, ihre Familie oder ins Nachtleben stürzen. Natürlich hat sie keine Kontrolle über den Tod ihres Gatten, und sie leidet, weil es nichts gibt, das sie dagegen tun kann. In ihrem Alter ist es unwahrscheinlich, daß sie einen Ersatz für ihren Mann findet, und sie kann auch kaum darauf hoffen. Ihre Trauer ist karzinogen.

Forschungsarbeiten an der Mount Sinai School of Medicine in New York zeigten eine stark reduzierte Immunreaktion bei depressiven Menschen, die wegen ihrer Depression hospitalisiert waren. Witwer zeigten in den Tagen ihrer Trauer die gleiche Immunsuppression. Außerdem ist festgestellt worden, daß Frauen kurz nach einer Trennung von ihren Partnern im Vergleich zu einer Gruppe verheirateter Frauen eine sehr dürftige Immunfunktion hatten. Bei denjenigen, die verheiratet waren, ihre Ehe aber als schlecht empfanden, wurde das gleiche festgestellt.

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Die Prägung maligner Verzweiflung:

Hoffnungslosigkeit und Krebs

 

Im menschlichen System wird Verzweiflung zu einer Prägung, wenn das ursprüngliche Trauma unüber­windbar ist. Es gibt kein mißhandeltes vierjähriges Kind auf der Welt, das die Tatsache integrieren kann, daß sein Leben hoffnungslos ist, daß es nie geliebt werden wird und daß jeder Kampf zwecklos ist. Es wäre unerträglich, wenn es sich dieser Gefühle jahrelang tagein, tagaus voll bewußt wäre.

In der Erinnerung des Kindes mag es eine Szene geben, die zum Inbegriff dieser Verzweiflung wird, aber gewöhnlich wird sie verdrängt. Hand in Hand mit dieser Verdrängung geht eine Veränderung in Hormonen und Zellfunktion. So ist das Kind sich also auf einer Ebene seiner Verzweiflung nicht bewußt und wagt nicht, Hoffnungslosigkeit zu artikulieren, nicht einmal vor sich selbst, doch auf einer anderen Ebene ist die Verzweiflung wortlos vorhanden und richtet Schaden an, bis eine Krebserkrankung oder eine schwere psychische Krankheit daraus hervorgehen, was vielleicht Jahrzehnte später geschieht. Und darin liegt das Problem. Die Entfernung zwischen der ursprünglichen Prägung und der späteren Krankheit ist so groß, daß sie eine Aufdeckung fast unmöglich macht. Auf jeden Fall geht aus den Studien an Ratten deutlich hervor, daß man keine Worte braucht, um sich verzweifelt und geschlagen zu fühlen.

Werden nur schlechte Dinge eingeprägt? Ganz und gar nicht. Aber es sind die traumatischen Geschehnisse, die das Funktionieren beeinträchtigen, und in diesen Beeinträchtigungen werden die »schlechten« Erinnerungen festgehalten. Hoher Blutdruck beispiels­weise ist die Art, auf die traumatische Erinnerung am Leben erhalten wird, möglicherweise der gleiche Blutdruck, der das ursprüngliche Trauma begleitete.

Vernon Reilly hat eine detaillierte Übersicht über die verfügbare wissenschaftliche Literatur angefertigt und ist zu dem Schluß gekommen, daß eine Verletzung des Immunsystems einen Menschen eindeutig verwundbar für das Wirken von Krebsviren und anderen neu umgewandelten Krebszellen macht. So können aufgrund von Streß pathologische Prozesse, die normalerweise vom Immunapparat in Schach gehalten werden, nicht mehr beherrschbar sein. Ohne wirksames Immun­überwachungs­system sind die Möglichkeiten größer, verschiedene Arten von Krebs zu entwickeln.

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In einer anderen Übersicht wies Ruth Lloyd darauf hin, daß bestimmte soziale Zustände von Niederlage und Verzweiflung bei Mäusen erwiesenermaßen mit »ausgeprägter Erhöhung von Corticosteron und immuno-suppressivem Adrenalsteroid« einhergingen. Das Gefühl, geschlagen zu sein, erzeugt eine Steigerung der Endorphin­ausschüttung, was wiederum die Immun­funktionen beeinträchtigt.

Eli Seifter zeigt spezifische Arten auf, wie Streßfaktoren das Tumorwachstum verstärken: »Sie verringern die Anzahl der Tumorzellen, die erforderlich sind, um einen viralen Tumor zu erzeugen; sie erhöhen die Wachstumsraten einiger Tumore und verkürzen die Überlebensrate von Mäusen mit bestimmten Tumoren.« Diese Schlüsse basieren auf den statistischen Ergebnissen einer Vielzahl von Studien.

Streß ist also ein wesentlicher Faktor bei der Erzeugung von Tumoren wie auch bei vielen anderen Krankheiten. Tatsächlich macht der Streß, einen Tumor zu haben, alles nur noch schlimmer. Seifter weist darauf hin, daß jeder von verschiedenen Arten von Stressoren, physische oder psychologische, dieselbe Wirkung hat wie ein zehnfacher Anstieg des Tumorwachstums. Mit anderen Worten, Organismen unter Streß verhalten sich, als hätten sie eine größere anfängliche Tumorbelastung, als tatsächlich vorhanden ist.

Seifter glaubt, daß psychologische Streßfaktoren »auf die gleiche Weise wie physische Stressoren« zum Tumorwachstum beitragen. Wenn Mäuse mit einer Injektion toxischer Stoffe belastet werden und man ihnen dann Tumorzellen injiziert, so bleiben die Zellen lokal (und gutartig), solange das Leben der Tiere stabil ist. Sobald aber Brüche in ihrer sozialpsychologischen Struktur auftreten, wächst der Tumor, dehnt sich aus und metastasiert, und dann stirbt das Tier.

Sobrian hat festgestellt, daß Streß schwangerer Mütter die Immunfunktion der Kinder beeinträchtigt. Dies spricht für die Wahr­scheinlichkeit, daß die Anfälligkeit eines Menschen für Tumore und Krebs ihre Anfänge im Mutterleib hat. Eine beschädigte Immunfunktion wird vielleicht durch eine liebevolle Umgebung gebessert. George F. Solomon von der Stanford University stellte fest, daß Ratten und Mäuse, die in die Hand genommen und gestreichelt wurden, mehr Antikörper entwickeln und damit Krankheit besser bekämpfen konnten als Tiere, bei denen das nicht geschehen war.

Wie ich zuvor schon sagte, fördert das Streicheln und Liebkosen von Tieren die Immunfunktion, und zweifellos ist das beim menschlichen Organismus nicht anders. Untersuchungen an Krebspatienten kommen im allgemeinen zu dem Schluß, daß diese Personen irgendwie »kühl« und streng sind und ein tiefes Bedürfnis nach Zuneigung haben, das nicht geäußert wird. Die Eltern von Krebspatienten tendieren zu Härte, Strenge und geringer Herzlichkeit. Lieblosigkeit kann tödlich sein.

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   Die Psyche des Immunsystems   

 

Der Polioimpfstoff kann nicht zum Poliovirus sagen: »Oh, ja, ich erinnere mich an dein Gesicht; wir sind uns schon begegnet.« Aber zweifellos erinnert er sich an die vertraute Form und Anordnung des Virus und reagiert darauf. Die ausgeschütteten Endorphin­zellen sagen nicht: »Da kommt schon wieder einer von Vaters Angriffen; wir müssen auf Touren kommen.« Aber sie kommen in dem Moment auf Touren, in dem die Schmerzbotschaft den Körper überflutet.

Daß psychologische Zustände die Immunfunktion beeinflussen, sieht man sehr schön an Experimenten, bei denen festgestellt wurde, daß die Reaktion eines Menschen auf giftigen Efeu mehr durch das bestimmt sein kann, was der Mensch erwartet und glaubt, als durch den tatsächlichen Giftstoff der Efeupflanze. Personen, die einer harmlosen Pflanze ausgesetzt wurden, denen man aber sagte, es handele sich um giftigen Efeu, entwickelten tatsächlich einen Ausschlag, wie ihn sonst giftiger Efeu erzeugt. Diejenigen, die man mit giftigem Efeu in Berührung brachte, denen man aber sagte, er sei harmlos, entwickelten keinen vergleich­baren Ausschlag. Das Immunsystem reagiert auf das, was in der Psyche ist, statt auf die objektive Realität. Anders ausgedrückt, die Psyche ist unsere primäre Realität.

Bis vor kurzem glaubten wir, das Gehirn lenke die körperlichen Systeme mehr oder weniger einseitig. Jetzt stellt sich heraus, daß die Kommunikation wischen Gehirn und Systemen total ist — Botschaften gehen mit gleicher Stärke und gleichem Einfluß in beide Richtungen. Das Gehirn wird sofort vom Eindringen fremder Kräfte informiert, ob es sich nun um Viruszellen oder traumatische emotionale Reaktionen auf psychologische Geschehnisse handelt. Ein Angriff in Form von Kritik, Zurückweisung oder Mißbrauch hat die gleiche Endwirkung auf Gehirn und Körper wie ein Virus. Überwältigende psychische Mißhandlung ist eine überwältigende Information. Das System tut sein Bestes, sie zurückzuweisen; hier tritt die Verdrängung auf den Plan.

Psychische Mißhandlung ist eine fremde Kraft in dem Sinne, daß sie dem System nicht mehr erlaubt, es selbst zu sein - normal zu sein. Sie erzeugt vielmehr eine Beeinträchtigung aller möglichen physiologischen Prozesse mit dem Ergebnis, daß die Person erst dann wieder sie selbst sein kann, wenn die Mißhandlung endlich integriert ist. Fremd bedeutet einfach, daß es sich um eine disharmonische Kraft handelt, die nicht leicht in das arbeitende System aufgenommen werden kann. Der Mißhandlung wird begegnet wie einem unwillkommenen Fremden.

Um dies klarzumachen, lassen Sie uns ein Beispiel nehmen. Ein sechsjähriger Junge hört seine Eltern streiten. Er schaut aus dem Fenster und sieht, wie sein Vater alle seine Koffer ins Auto lädt und wegfährt.

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Er spürt, daß er seinen Vater nie wiedersehen wird. Seine Mutter kommt in sein Zimmer, um ihm die Nachricht zu überbringen. Sie ist untröstlich und weint sich die Augen aus. Sie sagt zu ihrem Sohn: »Nun mußt du der Mann im Haus sein.« Das ist ein Trauma, bei dem der Junge erkennt, daß er kein Kind mehr sein, keinen Vater mehr haben, nicht von seiner Mutter abhängig sein kann und niemanden hat, an den er sich wenden oder auf den er sich stützen könnte. Kurz gesagt, er kann nicht länger er selbst sein; sein kindliches Bedürfnis nach einem starken und stabilen Elternteil wird ewig unerfüllt bleiben.

Nur ein kleiner Teil dieser Ereignisse und ihrer katastrophalen Bedeutung kann integriert werden. Der Rest wird aus dem Bewußtsein ausgesperrt und im Limbischen System gespeichert. Der unintegrierte Teil kann nicht Teil des Selbst sein. Er wird nicht reibungslos in den Organismus aufgenommen, sondern sozusagen getrennt gehalten; und dann wird er als etwas Fremdes behandelt. Das Immunsystem behandelt nun diesen Teil seiner selbst als fremd und greift sich vielleicht später selbst an (das Nicht-Selbst); daher die Autoimmunerkrankungen. So greifen bei der Multiplen Sklerose Immunzellen die Myelinschicht an, welche die Nervenzellen bedeckt, und erzeugen so letztlich schwere motorische Funktionsausfälle. Das reale Gefühl wird wie eine eindringende Armee behandelt, die um jeden Preis zurückgeschlagen werden muß. Solange die realen Gefühle fremd bleiben, muß das darauf basierende Verhalten irreal sein. Wäre das Verhalten real, würden sofort größere Qualen entstehen. Wenn später im Leben der Streß zu groß wird, nimmt der Betreffende vielleicht die Überzeugung an, Fremde oder Außerirdische planten eine Invasion. Die hat es ja auch gegeben; er hat nur vergessen, wer diese Fremden waren.

Einer der interessantesten Aspekte des Immunsystems ist der, daß es auf etwa die gleiche Weise strukturiert zu sein scheint wie das äußere Verhalten. Menschliches Verhalten geht oft so vor sich, als handle ein neurotisches Selbst oder ein irreales Selbst gegen die Interessen des realen Selbst. Analog dazu hat das Immunsystem die Aufgabe, zwischen »Selbst« und »Nicht-Selbst« zu unterscheiden. Es muß in der Lage sein, fremde Zellen als Nicht-Selbst und endogene Zellen als Selbst zu identifizieren. Es gibt Krankheiten wie rheumatoide Arthritis, von denen man weiß, daß sie autoimmune Dysfunktionen sind - das Immunsystem begeht den Fehler, seine eigenen Zellen als fremde Zellen anzugreifen.

Die Tatsache, daß das Immunsystem lernen muß, zwischen Proteinen, die Teil des Körpers sind, und sogenannten »Nicht-Selbst«-Proteinen zu unterscheiden, ist höchst interessant. Sie legt nahe, wie wir vermutet haben, daß irgendeine Art von zellularer Erinnerung für die wirksame Leistung des Immunsystems von entscheidender Bedeutung ist.

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Ein Gefühl für das Selbst ist also nicht einfach etwas, das in den Begriffen der Persönlichkeit vorkommt; es ist ein Vorgang des Organismus, der bis auf die grundlegendsten zellularen Ebenen hinunter­reicht. Sich »selbst zu verlieren« oder sich »selbst zu finden« muß also auch eine Veränderung dieser grundlegenden Zellvorgänge bedeuten. Diese winzigen, mikroskopischen Zellen tragen das Selbst zu jeder Zeit mit sich herum. Und deshalb sage ich, daß Sie in der Psychotherapie nicht »gebessert« werden können; Sie können nur Ihr Selbst zurückbekommen, denn wenn Patienten ihr tief verborgenes Selbst zurückgewinnen, erfolgen auch grundlegende Veränderungen in den Immunzellen.

Gehirn und Immunsystem haben eine solche Interaktion, daß jede Art von Schädigung oder Belastung des einen sofortige Veränderungen und Abnormitäten des anderen zur Folge hat. Das Immunsystem ist dazu ausgerüstet, viele der Funktionen des Gehirns zu replizieren — etwa wie ein zweites Nervensystem. Wenn von Lymphozyten hergestellte Endorphine in die Gehirne von Mäusen injiziert werden, hat das sowohl einen analgetischen als auch einen beruhigenden Effekt.

Das Immunsystem ist fähig, Substanzen herzustellen, die die Verarbeitung von Emotionen und Gefühlen beeinflussen. Darum haben Gefühle nicht nur eine Wirkung auf das Immunsystem, sie sind ein Teil davon. Es gibt Teile von Gefühl in diesen Immunzellen. Das ist die wahre Bedeutung psychosomatischer Krankheit: Ein streßreicher (traumatischer) emotionaler Zustand verändert Gehirn und Immunfunktion, was sich letztlich in Krankheit übersetzt. In diesen winzigen Immunzellen treffen Psyche und Körper als eines zusammen. Die Psyche ist im Körper und umgekehrt. Wo ist die Psyche? Überall im System.

All das ist nicht schwer zu verstehen, wenn wir bedenken, daß tierisches Leben aus den primitivsten Zellen ein Bewußtsein entwickelte. Das menschliche Bewußtsein stellt die höchstentwickelte, komplexeste und organisierteste Form zellularen Lebens dar. Während der Neokortex sich als Abwehr gegen ungünstige Umstände auf einer Ebene entwickelte, was zu dem Versuch führte, ungünstige Kräfte zu verstehen und zu bewältigen, entwickelte sich das Immunsystem als Abwehr gegen die Invasion des Körpers durch fremde Wirkstoffe, Parasiten und Mikroorganismen auf einer anderen Ebene. Lange bevor es einen Kortex gab, gab es ein Immunsystem, das als primitives Bewußtsein wirkte. Das Immunsystem muß als Bewußtseinsebene betrachtet werden, die den Gesetzen des Funktionierens der Hirnpsyche entspricht. Wenn Verdrängung im Gehirn angesiedelt ist, dann ist sie auch im Immunsystem angesiedelt. Deshalb verringert eine psychische Verdrängung auch die Wirksamkeit des Immunsystems.

Ein Grund für die Entwicklung des Kortex war die Unterdrückung der Überlastung mit schädlichen oder bedrohlichen Stimuli. Ich glaube, ehe wir den Kortex zum komplexen Denken benutzten, benutzten wir ihn zur Abwehr.

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Die höchste Ebene kortikaler Funktion ist die der Hemmung. Sie entwickelte sich und übernahm die Regie, als die niedrigere Organisation dazu nicht imstande war. Die Organismen mußten sich lebensbedrohlicher Umgebungen »bewußter« werden, um zu überleben. Das Immunsystem lieferte eine Art zellularen Bewußtseins, aber es war der Aufgabe nicht immer gewachsen. Deshalb reagieren bestimmte Lymphozyten des Immunsystems auf Streß oder fremde Eindringlinge mit biochemischen Eigenschaften, die ähnlich sind wie die von Nervenzellen im Gehirn.

Wir können das Immunsystem also als verteiltes peripheres sensorisches System betrachten, das in Verbindung mit dem Zentralnervensystem arbeitet und fähig ist, Informationen vom Gehirn zu empfangen und an dieses zu geben. Im Laufe der Zeit haben die beiden Systeme so oft und intensiv zusammengearbeitet, daß sie zu einem einzigen Netzwerk geworden sind.

Wenn wir feststellen, daß das Funktionieren des Immunsystems in das Funktionieren des zentralen Nervensystems integriert ist, sehen wir rasch, wie eingeprägter Schmerz, sei er emotional oder physisch, uns gleichzeitig auf der zerebralen und auf der Immun­ebene unbewußt machen kann.

 

   Das Immunsystem als Bewußtsein   

 

Das Immunsystem ist ein Bewußtseinssystem; es erkennt, kodiert, erinnert und reagiert. Wenn beispielsweise der Streßpegel hoch genug ist, funktioniert das Immunsystem nicht mehr wirksam; es erkennt und zerstört nicht mehr alle seine Feinde. Kurz gesagt. Streß stört die Wahrnehmung durch das Immunsystem, wie er die angemessene Wahrnehmung durch den Kortex stört.

Sowohl das Immunsystem als auch das Zentralnervensystem erkennen Stimuli und reagieren entsprechend. Der Unterschied liegt darin, daß das Immunsystem zum Reagieren länger braucht als das Zentral­nerven­system und daß die Zellen des Immunsystems sich im Körper umherbewegen, während die von Gehirn und zentralem Nervensystem ziemlich stationär sind. Man kann das Immunsystem konditionieren, wie man das Nervensystem konditionieren kann. Normalerweise hat das Immunsystem ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Schmerz scheint seine Erinnerung zu »vernebeln«. Daher können die T-Zellen die Fremdheit eindringender Viren nicht mehr erkennen und gestatten ihnen irrtümlich, in das System einzugehen.

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Eingeprägter Schmerz scheint auf vielen Ebenen des Bewußtseins Unbewußtheit zu erzeugen, einschließlich der Immunebene. Das bedeutet, daß diese Zellen nicht mehr fähig sind, ihre Feinde zu erkennen. Darum kann das System sich selbst angreifen. Auf der am wenigsten schädlichen Ebene hinterläßt Schmerz das Immunsystem in einem chronisch unterdrückten Zustand, wodurch einige von uns empfänglicher für Infektionen und Erkältungen sind.

Wie es scheint, macht das Immunsystem die gleiche Art von Identitätskrise durch, die wir psychologisch durchleben, und gerät trotz seines ausgezeichneten Gedächtnisses für Millionen von Antigenen plötzlich ins Stocken, wenn der psychologische Schmerz zu groß wird. In seiner Amnesie kann das System sich nicht entsinnen, was zuvor mit ihm geschehen ist, und verliert so die Erinnerung, welche die Krankheit bekämpfen würde.

Schmerzhafte Einprägungen verringern die Anzahl der Zellen, und die verbleibenden Zellen scheinen an Energie zu verlieren; sie klonen sich nicht mehr so oft, um fremde Invasoren abzuwehren. Darum ist die Immun-»Armee« stark geschwächt und kann die Schlacht nicht austragen.

Es ist sehr wichtig, daß die natürlichen Killerzellen des Immunsystems ihre Vitalität bewahren. Man weiß heute genug (auch aufgrund unserer eigenen Forschung), um zu zeigen, daß Schmerz und Streß die Wirksamkeit dieser Zellen signifikant verändern. Es unterliegt kaum einem Zweifel mehr, daß ein vitales System natürlicher Killerzellen tatsächlich die Entwicklung von Krebs beim Menschen abwenden kann. Deshalb ist es so wichtig, daß wir die Beziehung psychologischer Zustände zum Immunsystem verstehen. Wenn man sagt, Krebs sei möglicherweise auf unzulängliche Aktivität der Killerzellen zurückzuführen, übersieht man einen entscheidenden Schritt: daß verringerte Aktivität widerspiegelt, wie früh und wieviel Schmerz, unterdrückt wurde.

Selbst wenn wir in der Lage wären, einen Krebs durch die Injektion starker Elemente des Immunsystems wie Interferon oder Interleukin 11 zu »heilen«, könnten wir nicht annehmen, daß die Ursache des Krebses eine organische, genetische Unzuläng­lichkeit dieser Elemente war. Es wäre dieselbe Logik, als wollte man behaupten, da Aspirin Kopfschmerzen heilt, sei Mangel an Aspirin die Ursache von Kopfschmerzen.

Ich habe an anderer Stelle gesagt, daß das Hemmen der Endorphinausschüttung bei Tieren eine brauchbare Krebstherapie ist. Dies bedeutet nicht, daß ein erhöhter Endorphinspiegel die Ursache von Krebs ist. Wir müssen uns fragen, wieso dieser Spiegel überhaupt angestiegen ist. Wenn wir verstehen, daß die Endorphine nach Maßgabe des Schmerzes ausgeschüttet werden, wird das Gesamtbild klarer.

Verbrennungspatienten, denen Haut transplantiert wird, erhalten oft Medikamente, welche die Immunreaktion unterdrücken, um das Abstoßungsphänomen zu vermeiden (denken Sie daran, daß das Transplantat fremd ist). Personen, die einer langfristigen Immun­suppression unterzogen werden, sind wesentlich anfälliger für bestimmte Arten von Krebs.

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Gewöhnliche Viren, die normalerweise von diesen Zellen angegriffen werden würden, enden schließlich als Tumor oder Krebs. So wissen wir, daß ein kompetentes Immunsystem als Vorbeugung gegen Krebs dienen kann (insbesondere indem es uns vor viral augelösten Tumoren beschützt).

Der Personentyp, der am meisten zu Krebs neigt, ist jemand, der eine traumatische Geburt hatte, gewöhnlich von der parasympathetischen Art, gefolgt von tiefer Verdrängung, ergänzt durch eine lieblose Kindheit. Es ist das stark verdrängende Individuum, das alles in sich verschlossen hat, sich keine Handlungsalternativen gibt und in seiner Sichtweise und moralischen Einstellung sehr starr ist, das krank wird.

Professor Marvin Stein von der Mount Sinai School of Medicine in New York hat eindeutig gezeigt, daß depressive Patienten ein weniger wirksames Lympho­zytensystem haben. Diese Menschen neigen dazu, gehemmt und übermäßig moralistisch fixiert zu sein, so daß sie buchstäblich keinen Ausweg aus ihren Problemen finden. Sie ziehen sich früher in sich selbst zurück und verstärken dadurch ihre Depression und ihre Anfälligkeit für späteren Krebs.

K. Achte hat festgestellt, daß bei sehr verschlossenen Personen der Krebs am schnellsten voranschreitet. Diese Studie, die 1966 an der Universität von Helsinki durchgeführt wurde, ergab, daß diejenigen, die am meisten litten, Personen waren, welche die Wahrheit über ihren Zustand nicht wissen wollten. Sie wiesen die Information zurück und/oder verdrängten sie — eine Ausweitung dessen, was sie innerlich bereits vorher taten. Sie neigten dazu, die Wahrheit über ihren Zustand auch dann noch zu verdrängen, wenn sie informiert waren. Verdrängung ist eindeutig karzinogen. 

 

  Tödliche Einsamkeit  

 

George Solomon stellt fest: »Wir haben den vollen Kreis zurück zur klinischen Medizin gezogen: Wenn schädliche Einwirkungen (Emotionen wie Angst, Trauer, Depression und Einsamkeit) immuno-suppressiv sind (die Immunreaktion unterdrücken), dann kann man zweifellos von jeder psychotherapeutischen Intervention, die einen bedrückungsfreien psychischen Zustand herstellt, erwarten, daß sie die Immunfunktion verbessert.«

Einsamkeit ist eindeutig ein Gefühl, das sich in Krankheit des Immunsystems umsetzen kann. Wer sich als sehr einsam empfindet, hat einen höheren Spiegel von Streßhormonen und weniger Lymphozyten. Die Art von Einsamkeit jedoch, die wirklichen Schaden anrichtet, ist nicht die Einsamkeit, im Alter von zweiunddreißig Jahren jemanden zu vermissen.

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Es ist die katastrophale Einsamkeit, die in den ersten paar Stunden unseres Lebens eine Einprägung schuf. Auch ein Kind, das in seinen ersten Lebensstunden von der Mutter getrennt wird, leidet unter katastrophaler Einsamkeit.

Entfremdung und Einsamkeit sind kein einzelnes oder einheitliches Gefühl, sondern treten kombiniert mit vielen anderen verwandten Gefühlen auf, von denen nicht das unwichtigste panische Angst ist.

Wie wir in einem früheren Kapitel gesehen haben, ist es möglich, den Lymphozytenspiegel durch Primärtherapie zu heben. Man hat versucht, mit anderen Techniken ähnliche Veränderungen zu bewirken, aber die Ergebnisse scheinen bestenfalls vorüber­gehend zu sein. Carl und Stephanie Simonton haben eine Technik entwickelt, bei der zur unterstützenden Behandlung von Krebspatienten gelenkte Phantasie angewendet wird. Sie ermutigen die Patienten, sich visuell vorzustellen, wie Immunzellen die Krebszellen verschlucken. Mit ihrer Bilderwelt wenden sie sich eindeutig an niedrigere Gehirnzentren, was eine temporäre Wirkung auf den Hypothalamus und das Immunsystem zu haben scheint.

Bei ähnlichen Studien hat Nicholas R. Hall vom George Washington University Medical Center festgestellt, daß er die Anzahl der im Blut zirkulierenden Lymphozyten erhöhen kann. Sobald der Patient aufhört, seine gelenkten Phantasien zu praktizieren, sinkt interessanterweise die Zahl der zirkulierenden Lymphozyten wieder ab. Der dahinterstehende Gedanke ist, daß man durch die Verwendung positiver Kontrollen die neuro-endokrinen Rückkoppelungs­kontrollen überwinden kann, die zu pathologischen Prozessen führen.

Ich glaube das, offen gesagt, nicht. Ich glaube, die Forschung hat inzwischen ausreichend gezeigt, daß Schmerz und Verdrängung wesentlich sind für Veränderungen im Immunsystem, daß das Immunsystem ein wichtiger Faktor bei der Verursachung von einigen Krebsarten und anderen katastrophalen Erkrankungen ist und schließlich, daß man die Ursprünge all dieser Veränderungen angehen muß, um das Erkrankungsrisiko zu mindern.

Hall glaubt, durch positives Denken und das Überwinden negativer Emotionen könne man gesund werden. Zunächst einmal bin ich nicht sicher, ob es so etwas wie positive und negative Emotionen überhaupt gibt. Ich glaube, es gibt Emotionen, Punkt. Sie existieren aufgrund realer Erfahrungen in der eigenen Geschichte. Sie sind logische Ausweitungen bestimmter Geschehnisse, so daß man nicht beschließt, eine negative oder positive Emotion zu haben. Ich glaube nicht, daß es in der Gegenwart eine Kraft gibt, die stark genug ist, um diese Geschichte zu überwinden. Des weiteren zeigen unsere Messungen, daß gegenwärtige Kräfte fast nie die gleiche Stärke haben wie vergangene Prägungen.

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Es ist einfach magisches Denken, wenn man glaubt, durch eine Vielfalt von Tricks, Techniken oder besonderen Mechanismen eine schwere Krankheit bekämpfen zu können. Das ist die Apotheose des ahistorischen und undialektischen Ansatzes, der Symptome nicht als unausweichliches Ergebnis inneren Konflikts ansieht. Gegenwärtige Manipulationen jeder Art vernachlässigen Jahre und Jahre von Erfahrungen, die in die Entstehung dieser Krankheit eingegangen sind.

Wahrscheinlich ist auch, daß das Element der Hoffnung in all diesen Therapien eine Zeitlang wirksam ist. Ob es sich um die Hoffnung von Religion, mystischen Ideen, Philosophie, gelenkter Phantasie und, ja, sogar Psychotherapie handelt, sie elektrisiert die Endorphine und gestattet für eine Weile eine gewisse Erleichterung.

Die Praxis, sich vorzustellen, kleine Engel hämmerten die Krebszellen fort, ist vielleicht eher wegen der Hoffnung wirksam, die damit verbunden ist, als wegen des Vorstellungsprozesses selbst — eine Hoffnung, die gegen Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung ankämpft. Das ist vielleicht der Grund, warum diejenigen, die am meisten mithelfen und entschlossen sind, ihren Krebs zu überwinden, eine bessere Chance haben, es zu erreichen. Ich glaube jedoch nicht, daß das sehr lange anhält. Sie kämpfen gegen eine Flutwelle von Einsamkeit, Geschlagensein, Angst, Entfremdung und Frustration — lauter Gefühle, die nach Ausdruck verlangen.

Symptome wie Angst, Phobien, Zwänge, Bluthochdruck oder Kolitis sind Warnzeichen. Sie signalisieren unerledigte Ange­legenheiten und sprechen von unerfüllten Bedürfnissen und versteckten Verletzungen. Sie künstlich zu entfernen, würde bedeuten, das System wichtiger Warnsignale zu berauben. Es dauert dann nicht lange, bis das System ein anderes Alarmsignal findet. Diese Zeichen sind wesentlich für den psychischen Haushalt des Individuums; sie erinnern an ein fehlendes Glied, an etwas, das wir brauchen, um normal und gesund zu werden. Es ist seltsam, aber wahr: Symptome sind eine Warnung für die Gesundheit.

Ich möchte keine unnötig negative Position gegen Menschen beziehen, die an Krebs leiden und Hoffnung haben, weil ich glaube, daß Hoffnung auf kurze Sicht hilfreich zur Überwindung einiger Krebsarten ist. Joan Borysenko von der Harvard Medical School hat festgestellt, daß es jenen Krebspatienten am besten geht, die eine starke Hoffnung aufrechterhalten und überzeugt sind, sie würden genesen. Denjenigen, die den Krebs bekämpfen, geht es besser als jenen, die sich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überlassen. Doch ich glaube, daß Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit schon vorher Merkmale von Patienten sind, die Krebs entwickeln. Ein Gefühl des Geschlagenseins erklärt nicht nur die Tatsache, daß der Patient nicht überlebt, sondern vielleicht auch, warum es überhaupt zu dieser Krankheit gekommen ist.

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Es ist möglich, mit gewissen Techniken »Zeit zu erkaufen«, etwa mit einigen Veränderungen im Immun­system. Das liegt wohl auf der Hand. Doch wenn wir uns daran erinnern, daß wir sogar mit massiven und wiederholten Elektroschocks die eingeprägte Erinnerung nicht verändern können, erkennen wir, was alles nötig wäre, um diese Prägung schließlich zu verändern, und sei es nur einen Bruchteil davon.

Ich glaube, daß die Förderung des Zustandes der Selbsttäuschung (»Ich bin glücklich, wenn ich in Wirklichkeit traurig bin« oder »Ich bin ruhig, wenn ich in Wirklichkeit wütend bin«) letztlich den Kräften der Verdrängung hilft, und was die anrichtet, wissen wir heute. Unsere Physiologie läßt sich nicht so leicht zum Narren halten, und am Ende werden wir von unserer eigenen Realität eingeholt.

 

    Verdrängung als tödliche Krankheit    

 

Ein vielsagendes Beispiel für die Wirkung der Schmerzverdrängung auf katastrophale Krankheiten war eine psychotische Frau, die von einem Krankenhaus an mich überwiesen wurde. Es schien, als habe sie im Krankenhaus ständig Geburtserfahrungen gehabt, ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie nahm die fötale Stellung und viele Säuglingshaltungen ein, konnte nicht verbalisieren und so weiter. Wir waren nicht in der Lage, sie aufzunehmen (weil wir keine Einrichtungen für stationäre Patienten haben), und verwiesen sie an ein anderes psychiatrisches Krankenhaus, wo sie viele Monate lang massive Dosen Tranquilizer erhielt (bis zu 600 mg Thorazin pro Tag).

Nach Ablauf eines Jahres erkrankte die Frau an Krebs. Vier Monate später starb sie. Die Gründe für ihren Tod waren meiner Meinung nach: Mangel an Liebe, schreckliche Isolation, jahrelange Depression und Einsamkeit. Solange sie einfach litt, war sie geisteskrank; doch als das Leiden chemisch unterdrückt wurde, starb sie an dieser Verdrängung in Form von Krebs. Sie nahmen ihr das Leid und boten ihr dafür den Tod. Solange sie akut leiden konnte, überlebte sie. Diese Frau hat einfach (oder nicht so einfach) eine mentale Psychose gegen eine Zellpsychose (Krebs) eingetauscht. Die Prägungen kamen auf diese Weise wieder zu ihrem Recht.

Ist eine positive Einstellung hilfreich? Zu dieser Frage gibt es mindestens zwei Denkschulen. Forscher an der School of Medicine der University of Pittsburgh untersuchten 75 Frauen mit Brustkrebs. Die Patientinnen, die apathisch und lustlos waren und denen es an Vitalität fehlte, hatten weniger natürliche Killerzellen und eine schlechtere Prognose. Diejenigen, die am sichtbarsten unter der Ungeheuerlichkeit ihrer Krankheit litten und deren Angst später nachließ, erhielten die ganze Zeit hindurch höhere Spiegel natürlicher Killerzellen aufrecht.

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Interessanterweise erging es denjenigen, die von Anfang an ruhig und gut angepaßt waren und die sich weder auf die Krankheit konzentrierten noch darüber sprachen, sowie jenen, die »ihre Krankheit standhaft leugneten«, nicht so gut. Die Forscher schlössen, daß das »tapfere Herangehen« nicht sehr hilfreich ist.

Tapferes Herangehen an die Krankheit wurde auch von Wissenschaftlern in Yale und an der University of California in San Francisco untersucht, die feststellten, daß sogenannte tapfere Patienten tatsächlich eine geringere Aktivität der Killerzellen aufweisen. Die wütende Auflehnung gegen den Tod scheint, zumindest am Anfang, ein besserer Ansatz zu sein.

Die Antwort auf katastrophale Erkrankungen läßt sich nicht in den Zellen allein finden; man wird sie im Träger dieser Zellen finden. Es ist sehr schwierig, Einsamkeit und Verzweiflung in einer einzigen Zelle zu entdecken. Dennoch sind Verzweiflung und Einsamkeit dort offenbar auf irgendeine Weise untergebracht. Aber die Zellen sind nur eine Widerspiegelung des gesamten Individuums. Wenn wir die Geschichte dieses Individuums nicht kennen, wird uns keine Zellanalyse die Antwort liefern.

Streß, Verzweiflung, das Gefühl von Vergeblichkeit und Einsamkeit sind für einen Beobachter nicht immer sichtbar. Es gibt Menschen, die so total unbewußt sind, daß sie sich automatisch verstellen. Sie würden jeden Streß leugnen, selbst wenn man sie darauf hinwiese. Obwohl ihn jeder mit sich herumträgt, ist Streß wie ein großes Geheimnis, das nicht bekannt werden soll.

Die Endorphine sind wie Tinte, die nach dem Schreiben verschwindet. Die Last, die wir tragen, beugt uns nieder, aber die Endorphine trüben unseren Blick, so daß wir nichts sehen. Paradoxerweise kann keiner sehen, was »es« ist, selbst wenn jemand daran stirbt.

   Messen der Wirkungen früher Traumata   

Könnte es wirklich sein, daß sehr frühe Traumata so wichtig sind? Wir haben alle möglichen schweren Krankheiten rückgängig gemacht, nachdem Patienten diese früheren Ereignisse wiedererlebt hatten. Dies gilt sowohl im psychischen als auch im physio­logischen Bereich. Deshalb verändern wir, wenn wir in unserer Therapie die Persönlichkeit verändern, auch die Empfäng­lichkeit für Krankheit.

Vorher hatten diese Patienten wegen einer Vielfalt von Erkrankungen alle möglichen Spezialisten aufgesucht. Jeder Spezialist hatte ein anderes Symptom als eine andere Krankheit behandelt, und jedem war die zugrunde liegende identische Quelle des Problems entgangen. Tatsächlich jagten sie der Prägung nach.

Ich bin nicht stark genug, den Heilmitteln zu widerstehen;
ich kann nur der Krankheit widerstehen
...
Moliere

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