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   H-  Zweifach gespaltenes Bewußtsein  

 

 

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Bislang habe ich zu zeigen versucht, wie das Bewußtsein sowohl vertikal aus auch horizontal gespalten ist. Da es Gefühle betreffende Strukturen unterhalb des Corpus callosum gibt, ließe sich daraus ableiten, daß die vertikale Spaltung der horizontalen zeitlich vorangeht. Das heißt, es gibt »Schleusentore«, die den Zugang von den untersten Ebenen des Gehirns zu höher gelegenen Ebenen jederzeit zulassen oder verwehren können. Die Bewußtseinsebene eines Menschen ließe sich unter Umständen dadurch feststellen, daß man herausfindet, in welcher Tiefe im Gehirn Schleusen und Blockierungen gelegen sind. So wäre ein Mensch, der auf »zerebellarer* Ebene« operiert, vielleicht ein katatoner** Psychotiker, dessen Bewußtsein minimal wäre.

Es ist zum Beispiel möglich, bei Versuchspersonen im Zustand tiefster Hypnose eine totale Körperstarre hervorzurufen, die so stark ist, daß der Betreffende wie ein Brett zwischen zwei weit auseinanderstehenden Stühlen ausgestreckt werden und daß sich ihm dann jemand auf die Brust stellen kann, ohne daß die Starre dadurch beeinflußt wird. Von einem Menschen, der nur auf den einfachsten vegetativen Ebenen operiert und nur automatische Funktionen ausführt, kann man sagen, daß er zutiefst unbewußt ist.

Es kann im Gehirn eine Vielzahl von Schleusen geben, die Gefühle auf ihrem Weg zur frontalen Hirnrinde regulieren, und vielleicht läßt sich m Zukunft der Grad psychischer Krankheit bei einem Menschen bestimmen, indem man herausfindet, wie weit unten im Gehirn aufstellende Impulse blockiert werden. Unsere Vermutung läuft darauf hinaus, daß die Verknüpfung um so mangelhafter ist, je größer der Schmerz ist.

Es ist möglich, daß dem Gehirn zugeführte Information holographisch abgebildet wird, und zwar in verschiedenen Arealen gleichzeitig. Jedes Areal würde diese Abbildung allerdings unterschiedlich verarbeiten:

Das Limbische System würde emotionale Qualität hinzufügen, der frontale Kortex die Ideenbildung und das retikuläre System die entsprechende Energie. Es würde des ganzen Gehirns mit all seinen Abbildungen bedürfen, um ein vollständiges Bild zu erstellen, nämlich Bewußtsein. Wenn man bedenkt, daß sich die großen Areale des Neokortex evolutionär aus den älteren, tiefer gelegenen Zentren entwickelt haben, läßt sich verstehen, wie Ereignisse auf vielen verschiedenen Ebenen derselben Kette repräsentiert werden können. Bei einem Neurotiker mit mangelhaften Verknüpfungen ist es durchaus möglich, daß er um die eigenen Deprivationen weiß und dennoch nichts fühlt oder daß er aufgrund dieser Deprivationen angespannt und ängstlich ist, ohne zu wissen warum.

Möglicherweise ist die Spaltung in rechts-links ein Stützsystem für eine vertikale Überlastung. Wenn demnach vertikales Blockieren nicht mehr ausreicht, setzt eine horizontale Blockierung entlang des Corpus callosum ein. Auch das ist wieder eine Vermutung. In jedem Falle jedoch scheint die horizontale Spaltung eine spätere Entwicklung in der Organisierung des Feelings zu sein. Das Kleinhirn sieht aus wie das Großhirn, nur gibt es dort keine Lateralität.

Es liegen einige Anhaltspunkte dafür vor, daß das Limbische System entlang Rechts-Links-Linien gespalten ist. M.S. Gazzaniga hat mit hirngespaltenen Affen gearbeitet, und seine ersten Ergebnisse deuten an, daß das Limbische System unterteilt sein kann. Bei Geruchstests (limbische Verarbeitung) wurde festgestellt, daß dem Rechtshirn zugeführter Geruch verfaulter Eier von der anderen Seite nicht erkannt wurde. Es ist noch viel zu früh, um über diese Art der Spaltung jetzt schon endgültige Aussagen zu machen, aber sie bietet interessante Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten bestimmte frühkindliche Erinnerungen auf einer Seite (rechts) gespeichert und der gleichen Seite des Kortex zugeleitet werden. Diese gespeicherten Erinnerungen könnten verschiedenen Zugang zu tiefer gelegenen Strukturen haben, beispielsweise zum Hypothalamus. Folglich könnte Schmerz leichteren Zugang zu Körperbahnen haben, und das unkontrolliert von Linkshirn-Aktivität. Dann gäbe es unkontrollierte körperliche Reizung aufgrund der funktionalen Spaltung.

*   Zerebellum: Kleinhirn, eine weit unten, zwischen Großhirn und Nachhirn gelegene Hirnstruktur; A.d.Ü.
**  Katatonie: Spannungs-Irresein, eine Form der Schizophrenie; A.d.Ü.

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Haben wir erst einmal diese Spaltung verstanden, dann können wir auch den Ursprung einer beliebigen Anzahl neurotischer Symptome verstehen. Dafür ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, daß die Angst vor einer tyrannischen Mutter in der rechten unteren Seite gespeichert wird. Der Sohn wächst dann vielleicht mit einer Macho-Ideologie (Linkshirn) heran; er versucht es mit Frauen, ist aber impotent. Einerlei, welche Art der Sexualerziehung er gehabt haben mag, seine Impotenz wäre dadurch nicht zu beeinflussen. Die unbewußte Angst würde bei jeder sexuellen Beziehung dazwischentreten. 

Der Körper dieses Mannes würde auf reale, unbewußte Ängste reagieren, was immer sein Linkshirn ihm sagte. Seine verborgene Wahrheit würde alles überlagern, was der Mann sexuell zu tun versuchte, und sein Körper würde nicht auf das eingehen, was sich außen abspielt, sondern auf das, was im Innern vergraben ist. Solange die richtige Verknüpfung nicht hergestellt würde, bestünden weiterhin Angst vor Frauen (eine generalisierte Reaktion, die eintritt, weil spezifische Verknüpfungen nicht hergestellt wurden) und Impotenz.

Oder nehmen wir an, ein Mann hat in der rechten unteren Seite ein gespeichertes Bedürfnis nach einem Vater. Er würde es mit Frauen versuchen (Linkshirn Ideenbildung), würde aber scheitern. Sein Bedürfnisschmerz würde unbewußt dazwischentreten. Das heißt, er hätte latente homosexuelle Neigungen, die richtige heterosexuelle Beziehungen verhindern würden. Latente homosexuelle Neigungen besagen nichts anderes, als daß er ein vorrangiges allgemeines Bedürfnis nach der Liebe eines Mannes hat.

Er mag sich während des heterosexuellen Aktes in seiner Phantasie stark maskuline Frauen oder tatsächlich Männer vorstellen. Der gespeicherte Bedürfnisschmerz würde so die Bilder in seiner Vorstellung (Phantasien) bestimmen, was immer er tun mag. Er hätte ein generelles Bedürfnis nach Männern, weil sie Symbol für ein spezifisches Bedürfnis nach einem Vater wären — zu schmerzlich, um bewußt akzeptiert und bewußt gefühlt zu werden. Seine Phantasien wären ein Beispiel falschen symbolischen Bewußtseins, erzeugt durch ein reales, wenn auch verborgenes Bedürfnis — das Bedürfnis nach einem Vater. 

Ein solcher Mensch würde häufig einen Links-Rechts-Kompromiß ausagieren; er würde Beziehungen zu maskulinen Frauen suchen. Das blockierte Bedürfnis, das in Form diffuser Aktivierung mit Zugang zu niedrigeren, Sexualität regulierenden Zentren bestünde, würde zu einer Erektion und sogenanntem sexuellem Drang führen, anstatt zu einem Schmerzerleben. Bei frontalen Rechts-Links-Verknüpfungen käme es zu einem Urschmerzerlebnis, und der sexuelle Drang würde drastisch abnehmen. Das Unbewußte würde bewußt werden, umgelenkte Aktivierung würde aufhören und der Betreffende hätte ein wirklich erweitertes Bewußtsein.

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Solange die Verbindung zu unbewußtem Schmerz nicht hergestellt ist, braucht ein Neurotiker seine Phantasien, um wenigstens irgendeine Art Zugang zu seinen Gefühlen zu haben, und sei er noch so dürftig. Es »aren diese Phantasien, die ihn erregten, weil sie die wirkliche Erregung — nämlich Bedürfnis nach Vater — auslösen, doch der erweckte Schmerz wird automatisch und unbewußt in Sexualität umgelenkt. Phantasien sind ein aus Erinnerungen erschaffenes Symbol, ebenso beharrlich und automatisch wie ein regelmäßig wiederkehrender Traum. Wenn eine unbewußte (rechts-gespeicherte) Angst vor der Mutter vorliegt, kann das, wie wir sehen, bei Heterosexualität zu Impotenz führen. Frigidität wird verständlich, wenn Ideenbildung des Linkshirns die fühlende Seite dominiert. Während man »mit dem Kopf« versucht, es mit Männern zu machen, reagiert der Körper auf eine gespeicherte Geschichte, daß Sex etwas Böses sei. Der Körper reagiert auf seine unbewußten gespeicherten Informationen und ist ein vortrefflicher Index für das, was in uns unbewußt ist.

Man mag sich darüber streiten, ob das Rechtshirn nicht eher das unbewußte und das Linkshirn das bewußte ist. Zumindest jedoch sollte klar sein, daß wirkliches Bewußtsein ein integriertes Links-Rechts-Hirn bedeutet. Denn wenn Gefühle vergraben sind, werden auch die Vorstellungen über diese Gefühle vergraben sein (und das wahrscheinlich auf der linken Seite). Ein vom Rechtshirn dominierter Mensch ist nicht gefühlvoll, er ist impulsiv. Er kann Ereignisse nicht angemessen analysieren und kann die Konsequenzen seines Handelns nicht beurteilen. Er hat eine Linkshirn-Schwäche. Tango tanzt man nur zu zweit.

      

   I.  Hypnose und symbolisches Bewußtsein   

 

Hypnose ist ein gutes Beispiel dafür, wie man ein nicht verknüpftes Bewußtsein erzeugt. Die der Hypnose zugrunde liegenden Mechanismen erleichtern das Verständnis von Neurose. Hypnose veranschaulicht zum Beispiel, wie ein Mensch von seinem Unbewußten geleitet werden kann und warum Neurotiker aus ihren Erlebnissen und Erfahrungen nicht lernen. Hypnose zeigt, wie unsere Körperprozesse unbewußt kontrolliert werden, und wie unbewußte Impulse bestimmte Denkweisen erzeugen können.

Es ist möglich, einen Menschen via Hypnose unbewußt zu machen, so daß er die Erlebnisse seines Körpers nicht wahrnimmt — zum Beispiel, wenn er mit einer Nadel gestochen wird. Die »wirkliche« Person ist offensichtlich nicht da. Bei Hypnose wird das Bewußtsein durch das ausschließlich mit psychologischen Methoden erzielte Eingreifen eines anderen verengt, so daß der Betreffende buchstäblich unbewußt gemacht wird. Er ist überwiegend unbewußt, weil ein entscheidender Teil seiner Bewußtheit eingeengt und auf den Hypnotiseur gerichtet ist.

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Der Betreffende kann sich hinterher nicht mehr erinnern, was sich abgespielt hat, während er unter Hypnose stand; er hat Erlebnisse, die er nicht wahrnimmt, Erlebnisse, die sein späteres Verhalten beeinflussen können — ein Beispiel dafür sind posthypnotische Suggestionen, die er erhält, während er »unbewußt« ist.

Aus einer hypnotisierten Versuchsperson kann ein Frank Sinatra gemacht werden; er wird genau wie jener singen und agieren. Wenn man ihn nach seinem Namen fragte, würde er vermutlich antworten: Frank Sinatra. Sein wirkliches Bewußtsein ist vorübergehend durch ein falsches ersetzt worden. Bei Neurose ist dieses Ersetzen dauerhafter; ich glaube aber, daß Neurose und Hypnose eine ähnliche Dynamik haben. 

In unserer Kindheit nehmen uns unsere Eltern auf subtile Weise unser wahrnehmendes, waches, fühlendes Bewußtsein (»Meine Lehrerin ist böse, ich hasse sie«) und liefern statt dessen Moralpredigten und Platitüden (»Ich darf keine bösen Dinge denken«). Neurotische Eltern verändern unser Bewußtsein oft so unmerklich, daß wir gar nicht merken, was sich da abspielt. Wir wachsen in dem Glauben heran, das Bewußtsein, das wir mit uns herumtragen, einschließlich unserer Vorstellungen und Wahrnehmungen, sei real.

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Verfolgen wir den Faden hinsichtlich der Ähnlichkeit von Hypnose und Neurose etwas weiter. Es ist schwer zu erkennen, wie Eltern ihren Kindern ein unreales Bewußtsein eintrichtern, und das nicht nur, weil es ungemein subtil geschieht, sondern auch, weil es ein Vorgang ist, der sich über viele Jahre erstreckt.

Hypnose veranschaulicht diesen Vorgang in zeitlich geraffter Form. Der Hypnotiseur ersetzt gewisser­maßen den Kortex der Versuchsperson durch seinen eigenen. Das heißt, die tiefer gelegenen Hirnzentren der Versuchsperson reagieren auf das Bewußtsein des Hypnotiseurs anstatt auf das eigene. Bei einer Reizzufuhr, einer Suggestion, reagiert der Patient, als habe sein eigenes Gehirn etwas wahrgenommen. Wenn der Hypnotiseur einen niedrigeren Blutdruck und/oder eine entspannende Situation suggeriert, die im wirklichen Leben den Blutdruck senken würde, dann wird der Blutdruck des hypnotisierten Probanden fallen. Umgekehrt kann der Blutdruck steigen, wenn der Hypnotiseur beispielsweise verdrängte Wut suggeriert. Auch die Körpertemperatur läßt sich durch hypnotische Suggestionen senken — wenn auch selbstverständlich nur vorübergehend.

Der Neurotiker ist auf wesentlich subtilere Weise programmiert worden, wenn im Prinzip auch auf die gleiche Art wie der hypnotisierte Proband. Ihm ist gesagt worden: »Halt den Mund, red nicht so viel!« Auch wenn ihn das anfänglich frustriert haben mag, so können ihn seine Eltern allmählich doch derart einschüchtern, daß er nicht einmal mehr in seinen Gedanken darüber wütend wird. In dem Maße, wie das Kind seinen Eltern dieses Programm nach und nach »abkauft«, um sich geliebt zu fühlen, wird sein Bewußtsein im Grunde zu dem seiner Eltern.

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Der Körper des Kindes reagiert jetzt auf deren im Kopf des Kindes befindliche Vorstellungen, und zwar auf die gleiche Art und Weise, wie der hypnotisierte Proband auf die Vorstellungen des Hypnotiseurs   reagiert. So entwickelt das Kind einen erhöhten Blutdruck, weil diese inzwischen verinnerlichten Vorstellungen eine angemessene Freisetzung von Gefühlen nicht zulassen. Es sind die Vorstellungen der Eltern oder die des Hypnotiseurs, die bestimmen, wie der Körper des Betreffenden reagieren wird.

Diese Spaltung oder Dualität des Bewußtseins ist ein ausschließlich menschliches Charakteristikum, das es dem Menschen ermöglicht, seine Erlebnisse zu symbolisieren und sich letztlich in Symbolisierungen zu verlieren, so daß er jenseits des realen Lebens steht. Und nichts anderes spielt sich in dem unter Hypnose stehenden Menschen ab.

Sein Bewußtsein ist großenteils beseitigt und durch selektive Bewußtheit ersetzt worden. Er »sieht« tatsächlich Käfer, die über seinen Arm krabbeln. und ist entsetzt, wenn so die Suggestion seines Hypnotiseurs lautet. Wenn ihm als posthypnotische Suggestion die Vorstellung vermittelt wurde, daß ihm Käfer über den Arm krabbeln werden, wird er zur gegebenen Zeit, wenn der Hypnotiseur ihn später wieder zu wacher Bewußtheit gebracht hat und das entsprechende Signal gibt (beispielsweise mit dem Taschentuch winkt), wieder Käfer »sehen«. Er wird aus seinem Unbewußten heraus wahrnehmen.

Unter Hypnose wird die Suggestion in das Unbewußte eingebettet und löst später Verhaltensweisen aus, nicht anders als es frühe Kindheitstraumata tun. So wird zum Beispiel einer zwanghaften Esserin unter Hypnose gesagt, sie verabscheue Süßigkeiten und wolle keine mehr essen. Sie erwacht und meidet Süßigkeiten einige Tage lang. Wenn diese Suggestion aber nicht durch weitere hypnotische Suggestionen verstärkt wird, nutzt sie sich ab, und die Frau wird bald wieder zu Süßigkeiten greifen, weil das Gewicht der unbewußten Erfahrung (der Suggestion) im Vergleich zu einer unbewußten, von Liebesentbehrung geprägten Kindheit recht gering ist. Der Schmerz wird letztlich den Sieg davontragen.

Im Rahmen unserer gegenwärtigen Forschungsarbeiten über Hypnose, die wir zusammen mit Dr. Jacques Vidal und Dr. Marshall Bück vom Computer Science Department der University of California durchführen, wurde eine stark übergewichtige Frau hypnotisiert und altersmäßig regrediert. Wir versetzten sie in das Alter von fünf Jahren zurück, in eine Situation, in der sie mit ihrer Puppe spielte und dabei aß. Als sie gefragt wurde, warum sie esse, erklärte sie, das wisse sie nicht genau. Und dann fügte sie fast beiläufig hinzu, daß ihr Papi fortgegangen sei und nicht wiederkommen werde und daß ihre Mami ihr gesagt habe, das sei ihre Schuld. Sie ist bei dieser Erinnerung traurig. Ich bitte daraufhin den Hypnotiseur, sie zu fragen: »Vermißt du deinen Papi?«

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Die Patientin beginnt heftig zu weinen, sagt ja und erzählt unter Tränen, daß sie ihren Papi nie gehabt habe, alles was sie hätte, sei Großvater, und der sei zu alt, um mit ihr zu spielen. Es wäre natürlich möglich gewesen, sie an diesem Punkt aufzuwecken, ihr zu sagen, sie solle sich an das, was sie uns gerade erzählt hatte, erinnern, um dann ein Primal einzuleiten, indem sie nach ihrem Papi riefe. Aber mit der im Wachzustand wiedererrichteten Abwehr wäre sie dazu vielleicht doch nicht in der Lage gewesen, oder der Versuch hätte zu einer Überlastung führen können (weil sie für ein derartiges Trauma noch nicht bereit war) und damit automatisch zu einem Abblocken. Hätte es sich bei dieser Frau um eine Primärpatientin gehandelt, die bereits entsprechend weit gewesen wäre, dann hätte diese Erinnerung sie im Wachzustand sofort in ein Primal geführt.

Wir beschlossen statt dessen, ihr zu sagen, sie solle beim Erwachen alles vergessen. Und das geschah auch. Sie wachte lächelnd auf, ohne auch nur im geringsten zu wissen, was gerade mit ihr geschehen war. Das war möglich, weil dieses Erlebnis unbewußt war. Sie hatte Ansätze des Gefühls gehabt — den Affekt sozusagen, ohne die entsprechende Verknüpfung herstellen zu können, die zu verheerendem Schmerz geführt hätte — und letztlich zu wahrem Bewußtsein. Diese Frau erhielt zweimal wöchentlich die Suggestion, daß sie nicht mehr übermäßig essen wolle, aber jene vergrabenen Bedürfnisse, die ihrem Symptom zugrunde lagen, blieben dadurch unangetastet weiter bestehen.

Der Hypnotiseur hat unmittelbaren Zugang zum Bewußtsein, weil er kritisches und bewertendes Bewußtsein einschläfert. Er kann kraft seiner Suggestionen (und seiner Autorität) erworbene Angewohnheiten und Hemmungen beseitigen, so daß sich ein Patient anschließend freier bewegen und geben kann. Aber keine Suggestion kann unbewußte Erinnerungen beseitigen. Das läßt sich mit der Wirkungsweise von Alkohol vergleichen, der bei Reaktionen des Frontallappens (und möglicherweise bei der dominierenden Hemisphäre) Hemmungen außer Kraft setzt. Der Hypnotiseur kann unter Hypnose vorübergehend ein falsches Bewußtsein erzeugen —: »Ich verabscheue Süßigkeiten und mag keine essen.« Wirkliches Bewußtsein jedoch entstammt dem Fühlen des Schmerzes: »Ich habe keinen Papi und esse gern, um so meinen Schmerz zu beschwichtigen.« Das ist ein erheblicher Unterschied.

Bei einem unter posthypnotischem Einfluß stehenden Menschen gibt es nichts, was erkennen ließe, daß er sich noch in einem partiell hypnotisch-unbewußten Zustand befindet, bevor nicht irgend jemand das entsprechende Signal gibt (beispielsweise mit dem Taschentuch winkt); dann allerdings können wir irrationales Verhalten beobachten. Ansonsten erweckt dieser Mensch den Anschein, als sei er völlig bewußt, er unterhält sich über Politik, Wirtschaft oder was immer gerade diskutiert wird.

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Bei Neurose sind die Signale subtiler, das Gewicht unbewußter Erinnerungen ist stärker. Ein Mann, der es versäumt, seiner Frau aus dem Mantel zu helfen, kann dadurch bei ihr einen Wutanfall auslösen, vielleicht weil ihre Eltern sich nie um sie oder ihr Wohlbefinden gekümmert haben. Ihre Reaktionen sind unbewußt, wenn auch angemessen rationalisiert durch den Satz: »Ein Herr ist einer Dame immer behilflich.« 

Wir erkennen ihre Neurose an den entsprechenden Signalen. Sobald sie erfolgen, setzt die unbewußte Kraft unerbittlich ein. Das wird so bleiben, bis die richtige Verknüpfung zu ihrer Vergangenheit hergestellt wird: »Papi, warum kümmerst du dich nicht um mich?« Verknüpfung bedeutet die korrekte symbolische Darstellung des Fühlens. Ihren Wutausbruch auf ihren Mann zu projizieren ist falsche Symbolisierung. Die Verknüpfung muß von »innen nach außen« erfolgen; wenn sie von einem auch noch so brillanten, einsichtsvollen Therapeuten kommt, wird sie lediglich der nichtverknüpften Bewußtheit des Patienten einverleibt.

Hypnose veranschaulicht, wie entscheidend es ist, sich ein unbewußtes Erlebnis bewußt zu machen, wenn man es verarbeiten will. Willenskraft vermag gegenüber dem unbewußten Angriff nichts. Den Terminus »bewußt machen« müssen wir dabei sorgfältig und unmißverständlich definieren. Denn man könnte selbstverständlich argumentieren, auch der Analytiker mache seinen Patienten bestimmte Dinge bewußt. Ich würde das jedoch als ein zur Kenntnis, zur Bewußtheit bringen bezeichnen. Bewußtsein ist in meinen Augen etwas Organisches, sich aus dem Unbewußten Entfaltendes. Erst solches Bewußtsein ermöglicht letztlich den Zusammenschluß vergangener Szenen mit gegenwärtigem Elend und gegenwärtigen Zwängen.

Bei der Primärtherapie zerbrechen wir uns nicht den Kopf über die Vergangenheit, wir suchen nicht nach Schlüsselszenen, die für unseren gegenwärtigen Zustand ausschlaggebend sein könnten. Wir erleben diese Vergangenheit, und daraus entwickelt sich Bewußtsein. Hier ein Beispiel: Ein Patient hat ein Urerlebnis über eine bestimmte Szene, in der sein Vater gerade ausgezogen und der neue Freund seiner Mutter eingezogen war. Dieser Freund mag den Jungen nicht und macht ihm das Leben schwer.

In dem besagten Primal erlebt er wieder, wie sein Vater zurückkehrt, um ihn zu besuchen, und plötzlich spürt er die Schwäche seines Vaters, er spürt dessen Unfähigkeit, ihn vor dem Freund zu beschützen. Das Primärgefühl ist: »Sei stark für mich, Papi!« Er kommt mit der Einsicht aus dem Primal zurück, daß er seit damals, seit sein Vater ihn schutzlos zurückließ, ständig Angst vor Männern gehabt hat. Sein Bewußtsein weitet sich, und er sieht, wie diese Angst sein Leben bestimmt und ihn anderen Männern gegenüber gelähmt hat; er sieht, warum er sich bei männlichen Lehrern nicht konzentrieren konnte, warum er auf Parties sofort ängstlich wurde, wenn sich seine Freundin mit anderen Männern unterhielt etc. 

Er hatte fast eine Stunde lang Einsichten dieser Art, weil sein Bewußtsein befreit war. Blockierte Gefühle hatten dieses Bewußtsein unter Verschluß gehalten, und freigesetzte Gefühle hatten es freigelegt. Den größten Teil seines Lebens hatte er Männern gegenüber unbewußt agiert, und dieses unbewußte Verhalten hatte ein Großteil seines allgemeinen sozialen Verhaltens bestimmt.

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Durch Hypnose erzielte Regression ist äußerst aufschlußreich, denn dadurch, daß wir eine Versuchsperson zu lang vergessenen Kindheitserinnerungen und -szenen zurückbringen, zeigen wir, daß all das noch vorhanden ist und im Unbewußten ruht. Kein bewußter Akt wird einen Menschen dazu bringen, das zu erinnern, was er erinnert, während er unter Hypnose steht und unbewußt ist. Das wird von Abwehrmechanismen verhindert, die zu errichten das ganze bisherige Leben gedauert hat.

Die Primärtherapie bricht die Abwehrstruktur auf, so daß die Vergangenheit zum Bewußtsein vordringt, um verknüpft zu werden. Das geschieht auf geregelte, wohldosierte Weise — der Patient kann dadurch, daß er in zunehmendem Maß intensive frühere Schmerzen fühlt, es letztlich zulassen, daß tief vergrabene Verletzungen aufsteigen. Der ursprüngliche Grund, die Abwehrstruktur zu errichten, besteht darin, Schmerz zu verdrängen. Wird der Schmerz erst einmal gefühlt, so löst sich die Abwehrstruktur auf. Mithin läßt sich Primärtherapie als eine zunehmende Erweiterung des Bewußtseins verstehen, die so lange anhält, bis der Patient gänzlich bewußt ist, und zwar im vollen Sinne dieses Wortes.

Bewußtsein interpretiert diese tiefen Schmerzen und übersetzt sie in begriffliche Vorstellungen und verleiht ihnen Sinn. Und gerade diese bewußte Verknüpfung macht die Qual so vernichtend, daß dieser Prozeß mit Schmerzensschreien und Jammern einhergeht.

Die untergeordnete Seite des Gehirns erzeugt keine Vorstellungen oder Gedanken; sie kann sie nur nachahmen. Ich bin der Auffassung, daß Hypnose auf einer Ebene eine Dysfunktion der dominanten Seite des Gehirns bewirkt und nur nachahmendes Verhalten zuläßt, das lediglich auf äußere Signale reagiert. Es ist, als ob das Gehirn des Hypnotiseurs frontale, wertende Funktionen blockiert und für die Versuchsperson zur dominanten Seite wird, die die ganzen Vorstellungen und Gedanken liefert. 

Mithin ist es der Hypnotiseur, der für die Versuchsperson Gefühle in begriffliche Vorstellungen übersetzt, denn das wäre die Funktion der übergeordneten Seite. Der Hypnotiseur übersetzt sie nur falsch. Er liefert die Begründungen für die jeweiligen Gefühle des Betreffenden. Wenn er eine traurige Szene suggeriert, kann die Versuchsperson weinen, so wie sie in nicht hypnotisiertem Zustand über eine Szene in einem Film weinen kann. Die Tränen wären insofern unreal, als sie den vergangenen Szenen, die sie erzeugt haben, nicht exakt entsprechen. Die suggerierte Szene wie die Filmszene sind symbolische Begründungen für reale Gefühle. Diese Begründungen entstehen, weil reales Bewußtsein von dem, was innerlich real ist, abgelenkt wurde. Der Betreffende glaubt wirklich, er weine über das, was sich in diesen Szenen abspielt.

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Unter Hypnose ist es der Hypnotiseur, der die Szene für die Versuchsperson »ausmalt«, im Film hingegen rollt sie auf der Leinwand ab. Diese Szenen sind symbolisch, sie sind abgeleitet; real sind nur die Gefühle, die sie auslösen. Unreal daran sind die Begründungen für die Gefühle; sie erlauben es der Versuchsperson, der zugrunde liegenden Realitäten unbewußt zu bleiben. Solange die Signale von außen und nicht von innen kommen, wird die Übersetzung in begriffliche Vorstellungen nicht stimmen und das Bewußtsein falsch sein.

Man kann Menschen durch Gehirnwäsche nur dann dazu bringen. Falsches zu glauben, wenn Bewußtheit vom Unbewußten getrennt wurde. Dann kann dieses Bewußtsein, das eher auf Äußerlichkeiten als auf Gefühlen des Betreffenden basiert und nur zur Nachahmung, nicht aber zur Kreativität fähig ist, nach Belieben gedreht und gewendet werden, und der Betreffende wird nahezu jeden Unsinn glauben. Aufgrund der Spaltung bewegen wir uns in eine roboterhafte Richtung. Und ein Roboter ist eine Gefahr, weil er gelernte Vorstellungen nur nachplappert und beispielsweise sagt: »Es darf keinen Frieden ohne Ehre geben«, obwohl er keine Ahnung hat, was das wirklich bedeutet. Die Gefahr liegt im Unbewußtsein der Massen, wie dem der Deutschen zur Zeit Hitlers, als die Menschen in dieser nicht fühlenden Gesellschaft buchstäblich von Hitler hypnotisiert waren und an die »Große Lüge« glaubten, in der auch nicht ein Körnchen Wahrheit steckte. Sie wurden zu apokalyptischen Gestalten, die nur das taten und dachten, was ihnen gesagt wurde, weil sie nicht zu fühlen vermochten. Sie waren unbewußt, weil sie nicht fühlen konnten. In diesem Zustand sprechen Menschen eher auf Worte (Linkshirn) als auf andere, realere Wahrnehmungen an. Sie sehen nicht die Unaufrichtigkeit im Gesicht eines anderen, merken nicht den falschen Ton der Stimme; sie werden symbolbeherrscht.

Ich bin der Auffassung, daß Hypnose, ebenso wie Neurose, Bewußtsein sowohl auf horizontaler wie auf vertikaler Ebene spaltet. Schmerzverarbeitung setzt voraus, daß alle nervalen Zwischenverbindungen fließend sind und reibungslos arbeiten. Bei frontaler Lobotomie, bei der die Verbindungen höherer und niedriger gelegener Zentren durchgetrennt sind, können subkortikal noch schmerzhafte Gefühle erzeugt werden, nur »liest« der frontale Kortex diese nicht mehr. Er ist gegenüber dem Unbewußten gleichgültig. Viele Neurotiker sind funktional lobotomisiert, ihrem Schmerz gegenüber gleichgültig, als existiere er gar nicht. Hypnose veranschaulicht, daß durch psychologische Methoden drastische Veränderungen der Gehirnfunktionen hervorgerufen werden können, und das ist indirekt ein Nachweis dafür, daß das einen verletzlichen menschlichen Organismus umgebende psychische Milieu mit Sicherheit das gleiche bewirken kann.

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Auf horizontaler Ebene erzeugt Hypnose ein funktionales Außerkraftsetzen der Verbindung zwischen den Hemisphären, so daß beide unabhängig voneinander operieren. Werden der frontale Kortex und der Corpus callosum mehr oder weniger stillgelegt, so verliert man kritisches, reflektierendes Bewußtsein. Es fehlt dann die Fähigkeit zur Introspektion — sich selbst zu fühlen und in Aktion zu sehen. Wäre ich Freudianer, würde ich sagen, das Überich ist außer Kraft gesetzt worden, so daß es Gefühle nicht mehr beurteilt und blockieren kann.

Bei Hypnose wie bei psychischer Krankheit befindet sich der Mensch »innerhalb« seines Traums, ohne ein separates Bewußtsein von diesem Zustand zu haben. Wenn Bewußtsein vorhanden ist, erwacht er aus dem Traum beziehungsweise aus seiner Hypnose.

Bei einem Versuch mit Hypnose wurde auf den Arm des Probanden eine Heizsonne gerichtet. Die Suggestion des Hypnotiseurs lautete, bei der Heizsonne handle es sich um einen kühlenden Ventilator. Der Proband reagierte, als friere er an diesem Arm. Anschließend wurde er in eine tiefere Trance versetzt (unter den gleichen Bedingungen), in der wirklicher Schlaf herbeigeführt wurde. Später berichtete der Proband von einem Traum, in dem er an einer kalten Wand gestanden habe. Es ist unmiß­verständlich klar, daß man den Kopf eines Menschen mit Gedanken und Vorstellungen anfüllen kann, die seinem Erleben zuwiderlaufen, und er wird durchgehend auf jene Vorstellungen reagieren, anstatt auf sein eigenes Erleben. So gesehen wird Realität im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Betreffenden bedeutungslos.

Die Symbolbildung, die unter Hypnose zwischen Reiz und Reaktion stattfindet, wird unbewußt bestimmt. Ein wirkliches Geräusch von klappernden Mülltonnen kann im Schlaf einen Traum auslösen, in dem Hufgeklapper vorkommt. Das Erlebnis wird unbewußt im Sinne des Unbewußten des Betreffenden umgeformt. Und genau das entspricht meiner Auffassung nach dem Mechanismus von Neurose. Es gibt einen Reiz — irgend jemand sagt etwas —, und dann kommt es bei dem Neurotiker statt zu einer realen und direkten Reaktion zu einer neurotischen Verflechtung und zu einer unrealen Reaktion: er beschließt, der Sprecher habe im Grunde etwas gegen ihn Gerichtetes gesagt. 

Diese Reaktion wird unbewußt bestimmt. Wie ausgefallen eine solche Symbolisierung ist, hängt jeweils vom Ausmaß des Schmerzes im Unbewußten ab. Was einige Menschen so unberechenbar macht, ist die Primäreruption zwischen Reiz und Reaktion. Ein Mensch mag zum Beispiel einfach die Frage stellen: »Ist mein Wagen fertig?« und eine sachliche, direkte Antwort erwarten; der Neurotiker könnte darauf antworten: »Hetzen Sie mich nicht so!« Er reagiert dann vielleicht darauf, daß er als Kind ständig gehetzt und herumkommandiert wurde. Aufgrund der Primäreruption nimmt der Neurotiker die Realität nicht wahr.

Hypnose und Schlaf sind zwei Phänomene grundlegend verschiedener Art, sie sind nicht Teil des gleichen Kontinuums. EEG-Aufzeichnungen bei einem hypnotisierten Menschen unterscheiden sich erheblich von denen eines Schlafenden. Unter Hypnose ist eine Zunahme der Hirnaktivität zu verzeichnen, die sich in einem Anstieg von Alpha- und Beta-Wellen zeigt.

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Dieser gleiche Anstieg der Alpha-Wellen tritt auch Sei Yoga und Zen-Meditation auf, was für mich ein Zeichen dafür ist, daß bei allen drei Prozessen Verdrängung und mangelnde Verknüpfung vorliegen. Der Betreffende mag sich aufgrund der Wirksamkeit (besagter Verdrängung entspannt fühlen, doch seine Gehirnaktivität ist erhöht.* Bei Hypnose handelt es sich mithin um eine Situation, in der der Betreffende mehr oder weniger unbewußt ist und dennoch ein aktives, »waches« Gehirn hat, und das zeigt wieder einmal den Unterschied zwischen Unbewußtheit und Bewußtheit. Ein Mensch kann unier Hypnose den Eindruck erwecken, er sei bei Bewußtheit, obwohl er im wesentlichen unbewußt bestimmt ist.

Im Schlaf kann ein Mensch — in meinem Sinne des Wortes — bewußt sein (leichten zerebralen Zugang haben), doch unter Hypnose, bei der qua Definition der Zugang gehemmt wird, ist das nicht möglich. Ein voll bewußter Mensch hat kaum unergründliche Träume, weil seine Symbole ein direkter, natürlicher Auswuchs seiner Gefühle sind. Für körperliche Symptome gilt das gleiche. Er leidet unter keinen unerklärlichen psychosomatischen Schmerzen, weil keine ungelenkte Energie vorhanden ist, die auf den Organismus einwirkt. Wenn Körper und Geist eins sind, werden den Körper betreffende Ereignisse unmittelbar geistig widergespiegelt.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Leben mag diesen Aspekt veranschaulichen: Kürzlich träumte ich, daß ich ein Unter­wasser­aquanaut sei und den atmosphärischen Druck einer neuen Maschine testen müsse. Bei dieser Maschine handelte es sich um eine große Waschmaschine; ich kreiste zusammengerollt im Zentrum und glitt durch die Flüssigkeit, als plötzlich mein wasserdichter Helm defekt wurde. Ich wachte auf, schnappte nach Luft und hatte rasendes Herzklopfen. Ich wachte mit genau den gleichen Empfindungen auf, wie ich sie bei einem Erlebnis gehabt hatte, das über vierzig Jahre zurücklag — ein Geburtstrauma. Ich wurde wach und nahm wahr, noch ehe ich bewußt werden konnte. Wäre ich unbewußt geblieben (und hätte ich diesen gewaltigen Schmerz zugelassen), so wäre ich vielleicht bewußt geworden. Hätte ich alles gefühlt, wäre ich bewußt gewesen; so wie die Dinge lagen, mußte ich mich mit Bewußtheit zufriedengeben, damit ich unbewußt und abgewehrt bleiben konnte.

Wir ersehen daraus, daß ein bewußter Mensch ein fühlender ist und umgekehrt. »Fühlen« heißt verknüpft sein. Fühlende Postprimärpatienten werden offenbar »schlau« und scharfsichtig, wie sie es vorher nie waren, weil sie nicht von Büchern gelernt haben, sondern von ihren Körpern und ihren ehemals unbewußten Erlebnissen und Erfahrungen. 

 

*  Untersuchungen über Hypnose von G. A. Ulett, S. Akpinar und M. Turan, »Quantitative EEG Analysis During Hypnosis«, in Electro­en­cephalography and Clinical Neurophysiology 33, 1972, S. 361-368.

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Es ist von entscheidender Bedeutung, Bewußtheit und Bewußtsein zu unterscheiden und nicht miteinander zu verwechseln.

Selbstverständlich sieht der Präsident, wie Kinder und Jugendliche von Bomben verbrannt werden, die auf seinen Befehl hin abgeworfen wurden; er hat Bewußtheit von dem, was er getan hat, aber er ist sich seiner Handlungen nicht bewußt, denn wäre er es, dann würde ihn der unbeschreibliche Schrecken seines Handelns wahnsinnig werden lassen. Er muß gespalten und mithin seiner Handlungen unbewußt bleiben, nur so kann er sie weiterhin fortführen. Er rationalisiert sein Verhalten auf ähnliche Weise wie ein posthypnotischer Proband, wenn man ihn fragt, warum er plötzlich etwas getan habe, was ihm unter Hypnose suggeriert worden war. Beide machen ihre Handlungen »plausibel«, damit sie rational erscheinen können. Aber er fühlt nicht mehr als der hypnotisierte Proband, dem gesagt wurde: »Sie werden nichts fühlen«, und der dann gleichgültig zuschaut, wie ein anderer ein brennendes Zündholz an seine Hand hält. Wenn er seinen Schmerz nicht erleben kann, wird er auch kein Mitgefühl für den Schmerz eines anderen Menschen haben. 

 

Wenn ein fühlender Mensch bewußt ist, dann ist ein nicht fühlender Mensch in einem gewissen Maße unbewußt. Ein Hypnotiseur kann demnach nicht jeden beliebigen Menschen unbewußt machen; er kann nur mit solchen Menschen arbeiten, die bereits unbewußt sind, die bereits gespalten sind und denen die Verbindung zu ihrem wahren Selbst fehlt. Nur aufgrund dieser bereits vorhandenen Unbewußtheit eines Menschen vermag ein Fremder, zum Beispiel ein Hypnotiseur, diesen Menschen mit wenigen Worten, mit einer Suggestion in noch stärkerem Maße unbewußt zu machen. Hypnose ist eine temporäre, eingekapselte Neurose, und Neurose ist eine semi-permanente Hypnose. Das erklärt, warum Patienten nach der Primärtherapie zurückblickend sagen: »Wo war ich in meiner Jugend? Ich muß unbewußt gewesen sein. Ich habe so vieles getan, was ich nie verstanden habe.« Oder: »Ich kann einfach nicht glauben, daß ich das Leiden meiner Kinder nie gesehen habe. Wie konnte ich so unbewußt gewesen sein?« Diese Menschen haben auf sehr ähnliche Weise nie richtig gesehen oder gehört, wie ein hypnotisierter Mensch nichts sieht und hört, bis auf das, was wahrzunehmen er programmiert wurde.

Das zeigt sich uns besonders an jenen unserer Patienten, die unter sogenannten sexuellen Perversionen litten, die sich zum Beispiel in der Öffentlichkeit exhibierten und dabei das Gefühl hatten, in großem Maße unbewußt zu sein, die einfach ein Ritual abzogen, deren Ursachen sie nie verstanden hatten. Lance Rentzel, der Football-Spieler, schreibt über seinen Exhibitionismus: »Ich fuhr an einem Park vorbei, und da sah ich zwei junge Mädchen ... Was hatte ich getan? Ich wußte es und wußte es doch nicht... Ich hatte ein eigenartiges Gefühl des Losgelöstseins. Ich hatte keine Ahnung, wohin oder warum ich ging.«*

*  Lance Rentzel, When all the Laughter Died in Sorrow, Saturday Review Press, 1972, N. Y. S. 116-117.

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Rentzel war in einem Koma — unbewußt, programmiert durch seine Vergangenheit, die durch ein Signal ausgelöst worden war (vielleicht ein verlorenes Spiel oder eine verpatzte Passage), so daß er Dinge tat, von denen er keine Bewußtheit hatte. Diese »Signale« versetzten ihn in einen Zustand der Hypnose, so wie es ein Winken mit dem Taschentuch als vereinbartes Signal bei einem posthypnotischen Patienten bewirkt.

Sowohl Rentzel als auch die hypnotisierte Versuchsperson waren beide unbewußt, obwohl beide nicht schliefen. Beide waren sie durch einen dünnen Faden mit dem Bewußtsein verbunden, aber dieser Faden trennt den Schlafenden vom Unbewußten. Unbewußtheit ist eine notwendige Bedingung für Schlaf, aber Schlaf ist keine notwendige Bedingung für Unbewußtheit. Primärpatienten können in ihrem Schlaf fast ebenso bewußt sein wie ein hochneurotischer Mensch im Wachzustand. Der hochneurotische Mensch und der Psychotiker sehen die Realität nicht, weil sie in ihrer Unbewußtheit verloren sind und allenfalls Symbole dieses Zustands sehen. Wir haben es fast alle schon erlebt, daß wir Auto gefahren sind, während wir Tagträumen nachhingen, und haben uns dann anschließend gewundert, daß wir das unbeschadet überstanden haben. Wir waren effektiv unbewußt, während wir über viele Kilometer eine anderthalb Tonnen schwere Maschine steuerten. Wir hatten lediglich einen dünnen Faden zum Bewußtsein, waren im Hintergrund, an der Peripherie, anstatt ganz vorn zu sein und darauf zu achten, was sich auf der Straße abspielte.

Wir hypnotisieren uns durch unsere Tagträume selbst, das heißt, uns drängt sich durch Symbolisierung eine unbewußte Primärkraft auf und überströmt unser Bewußtsein, so daß es eines ungemein starken Signals bedarf (beispielsweise lautes Hupen), um uns wieder zurückzuholen. Der Unterschied zwischen Hypnose und der vorübergehenden Unbewußtheit des Tagträumens, des Phantasierens, ist nicht sehr groß. Der unbewußte Schmerz der Neurose tilgt Bewußtheit. Wenn unsere Kindheit durch bestimmte Deprivationen geprägt ist, sind wir gezwungen, Träume auszuagieren, die auf diesen Deprivationen basieren — das kann der Wunsch nach Macht, nach Ruhm oder was auch immer sein. Wir agieren diese Träume im Umgang mit unseren Kindern aus, zwingen sie, für uns Leistung zu erbringen, und sind uns unseres Verhaltens unbewußt, eben weil wir die Träume ausagieren, anstatt zu fühlen, was ihnen zugrunde liegt.

Ein Mensch kann in vielen Bereichen seines Lebens völlig rational, in einem Punkt jedoch irrational sein, zum Beispiel wenn es um die Wahl des Ehepartners geht. Diese Wahl wird durch ein unbewußtes Bedürfnis bestimmt, und dieses vergrabene Bedürfnis blockiert eine genaue Wahrnehmung dessen, welcher Art Mensch der Partner wirklich ist. So kann zum Beispiel eine Frau, die mit einer großen Angst vor ihrem tyrannischen Vater aufwuchs, schwache Männer wählen, weil ein starker Mann den ganzen Schrecken ihrer Kindheit wieder freisetzen könnte.

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Darum lenkt sie ihr Leben so, daß sie ihre Ängste nicht wiedererwecken muß, und sucht sich ständig passive Männer aus. Sie ist unglücklich, weil sie gleichzeitig einen starken Mann möchte, der sie umsorgen und beschützen könnte, doch den läßt sie nicht an sich herankommen. Sie ist Gefangene ihres Unbewußten, es leitet sie ungeachtet ihrer sonst vielleicht ausgeprägten allgemeinen Intelligenz und Scharfsichtigkeit.

 

  

J.  Auswirkungen der Psychotherapie auf das Bewußtsein 

 

Mit einigen psychotherapeutischen Methoden lassen sich Persönlichkeit und Einstellungen eines Menschen ändern, indem man das Pseudobewußtsein des Neurotikers verändert und in andere Bahnen lenkt. So kann ein Mensch zum Beispiel von seinem Therapeuten ermutigt werden, sich selbst nicht mehr für »den letzten Dreck« zu halten. Oder er kann seine Grundeinstellung ändern und die Dinge nur noch von der positiven Seite sehen. Wenn wir verstehen, daß wir dadurch nur das falsche Bewußtsein dieses Menschen neu arrangieren, erkennen wir, wie trügerisch diese Veränderung ist. Denn wenn wir ihn nicht mit seinem unterschwelligen Schmerz verknüpft haben, dann haben wir ihn nicht bewußt gemacht — und ohne dieses Bewußtsein ist eine tiefgreifende, dauerhafte Veränderung nicht möglich.

Der Patient allerdings mag ernsthaft glauben, die jeweilige Methode — von der Meditation bis zur Psychoanalyse — habe ihn verändert und ihm geholfen, weil sie ihn in die Lage versetzt hat, eine neue Ideologie oder Mantra als Tranquilizer zu benutzen, die seinen Schmerz zerstreut oder verdrängt. Solange er seinen Schmerz nicht fühlt, muß er notgedrungen an alles glauben, was ihm Erleichterung verschafft, auch wenn dieser Zustand der Erleichterung nur flüchtig ist, wie es Streßmessungen des Körpers — zum Beispiel Pulsfrequenz und Blutdruck — anzeigen. Wie verhält es sich nun mit der Ideologie der Primärtherapie? Ist sie nicht ebenso ein Tranquilizer? In der Primärtherapie gibt es keine Ideologie, die man erlernen müßte, keine Fachsprache mit Termini wie »Kastrationsangst«, »Es« oder »Überich«. In der Primärtherapie versetzen wir die Patienten in intensive Schmerzen; wir nehmen sie nicht aus ihrem Schmerz heraus. Wenn es nicht so wäre, daß diesen Schmerz zu fühlen tiefgreifende Veränderungen hervorruft, dann hielte ich es für äußerst fraglich, ob auch nur ein einziger Patient das länger als ein paar Tage aushielte.

Bei anderen psychotherapeutischen Methoden wie Konditionierungs- oder Verhaltenstherapien gestaltet man die Symbolik um; so erreicht man, daß der homosexuelle Patient nicht mehr »Schwanz« denkt und Männern hinterher jagt; er denkt statt dessen jetzt »Frauen«. Oder ein so therapierter Mensch denkt nicht mehr »Essen«, sondern denkt statt dessen »Rauchen«.

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Man hat sein Bewußtsein nicht verändert; man hat seine symbolische Ideenbildung modifiziert. Den Behavioristen zufolge nod die Reaktionen eines Neurotikers lediglich unangemessen, das heißt er wird ängstlich und angespannt, auch wenn die Situation eine solche Reaktion gar nicht erfordert. Ihm wird dann beigebracht, in einer solchen Situation nicht mehr ängstlich zu werden, sondern sich vielmehr zu entspannen, indem man ihm die Situation (einen Hund) oder ein Bild des Stimulus (bei männlichen Homosexuellen das Bild einer nackten Frau) gekoppelt mit entspannenden Anweisungen darbietet. So wird er dekonditioniert. Was dabei meiner Ansicht nach übersehen wird, ist, daß neurotische Ängste im Sinne der Vergangenheit oft durchaus angemessen sind.  

Ich habe meine Angst vor dem Dunkeln erst verloren, nachdem ich ein Geburtsprimal hatte, in dem ich in einer ungewöhnlich langwierigen, schwierigen Geburt nach großen Anstrengungen das »Licht der Welt« erblickte. In meiner Kindheit mußte immer das Licht im Schlafzimmer anbleiben, als Symbol für Sicherheit. Die Geburt war für mich mit Schrecken verbunden, auch wenn ich das nie gewußt hatte. Später dann war Dunkelheit für mich beängstigend, weil sie dieses Trauma symbolisierte (und zwar angemessen). Das Licht symbolisierte gleichzeitig das Ende des Schreckens. Es wäre sinnlos gewesen, wenn man meine Angst vor dem Dunkeln ohne dieses Urerlebnis, das mich wirklich bewußt machte, wegkonditioniert hätte.

Konditioniert wird lediglich das symbolische Verhalten, nicht die Realität. Der Behaviorist befaßt sich mit den Ängsten, von denen der Patient eher Bewußtheit als Bewußtsein hat. Und weil er sich nur mit abgeleitetem Bewußtsein befaßt, das frontale Verknüpfungen umgeht, kann keine tiefgreifende Veränderung eintreten. Die gespeicherte Angst wird einfach eine andere symbolische Abfuhrmöglichkeit finden, wenn der anfängliche Angstauslöser wegkonditioniert wurde.

Bei Bio-Feedback-Methoden* würde diese symbolische Angst »unter Kontrolle gebracht werden«, indem man lernt, jene Hirnstromschwingungen zu erzeugen, die zur Verdrängung beitragen. Es wäre müßig, diesen Punkt noch ausführlicher zu erörtern; gespeicherter Schmerz innerviert Körper und Gehirn, er überaktiviert sie so lange, bis eine Primärverknüpfung hergestellt wird. Die entscheidende Voraussetzung für jegliche tiefgreifende Veränderung ist Primärbewußtsein.

 

Sehen wir uns einmal an, was Freud im Jahre 1915 zu all dem zu sagen hatte.**  »Die Verdrängung erfordert einen anhaltenden Kraftaufwand, mit dessen Unterlassung ihr Erfolg in Frage gestellt wäre, so daß ein neuerlicher Verdrängungsakt notwendig würde ... Die Mobilität der Verdrängung findet übrigens auch einen Ausdruck in den psychischen Charakteren des Schlafzustandes, welcher allein die Traumbildung ermöglicht« (S. 112).

 

*  Selbstkontrolle der Hirnstromkurven. (Anm. d. .Übers.)
** Sigmund Freud, »Die Verdrängung«, Psychologie des Unbewußten, Studienausgabe Band III, 1975, S. Fischer Verlag, Frankfurt.

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Symbolische Träume sind die Halluzinationen des Schlafes. Die meisten von uns können im Wachzustand Gefühle hinreichend Unterdrücken, so daß sie deren symbolische Derivate vernichten. Der Psychotiker ist dafür zu überlastet. Die Halluzination ist genau so unbewußt wie ein Traum, und beides sind identische Prozesse, mit dem einzigen Unterschied, daß eines im Schlaf stattfindet. Der Psychotiker agiert seinen Traum aus, während er auf der Straße spazierengeht, er ruft, was die Traumfiguren rufen würden, vertieft sich in absonderliche innere Gespräche etc. 

Er ist sich der Welt, in der er sich bewegt, unbewußt, und die meisten seiner Handlungen sind automatisch wie das Atmen. Er wird subkortikal dominiert, und die kortikalen Areale, welche auch immer er benutzen mag, sind eher mit psychotischer Symbolisierung als mit Realität befaßt. Wie ich kürzlich entdeckt habe, benutzte Freud den Terminus Urverdrängung (op. dt., S. 109), um den Prozeß zu kennzeichnen, mittels dessen »Trieben« die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Urverdrängung geht mit einer Fixierung von Ideenbildung einher, die »von da an unveränderlich bestehen bleibt.« (op. cit., S.109). Es bedürfte keiner allzu großen Anstrengung und Abänderungen, Freuds Arbeit der primärtheoretischen Matrix einzuordnen oder umgekehrt.

Es bestehen einige wesentliche und grundlegende Unterschiede in der Auffassung vom Bewußtsein, auf die ich gleich ausführlicher eingehen werde; doch hören wir uns zunächst einmal an, was er vor fast sechzig Jahren sagte:

»... stellen wir fest, es sei nicht einmal richtig, daß die Verdrängung alle Abkömmlinge des Urverdrängten vom Bewußten abhalte. Wenn sich diese weit genug von der verdrängten Repräsentanz entfernt haben, sei es durch Annahme von Entstellungen oder durch die Anzahl der eingeschobenen Mittelglieder, so steht ihnen der Zugang zum Bewußten ohne weiteres frei« (op. cit., S. 110).

Kurz gesagt, was zum Bewußtsein zugelassen wird, ist das, was nicht unmittelbar an den Trieb erinnert; in der Primärtheorie sind es natürlich weniger die Triebe, sondern verdrängte Gefühle und Erinnerungen, auf die wir uns konzentrieren. Trotzdem verbleibt die grundsätzliche Übereinstimmung mit der Freudschen Auffassung. Freud glaubte: »Es ist, als ob der Widerstand des Bewußten gegen sie (die Triebe) eine Funktion ihrer Entfernung vom ursprünglich Verdrängten wäre« (op. cit., S. 110). Er glaubte, das Unbewußte ließe sich dadurch öffnen, daß man den Widerstand analysiert. Ich bin der Auffassung, daß eine solche Analyse zu einer weiteren Abwehr wird, wenn auch um einen Schritt weiter entfernt. Den Widerstand analysieren ist Widerstand. Es mobilisiert mehr Kortex im Dienste der Verdrängung. Ich glaube, das, was Ereignisse im Unbewußten versiegelt, ist Schmerz, und das Unbewußte wird dadurch aufgeschlossen, daß dieser Schmerz in wohlbemessenen Dosen gefühlt wird.

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Aber wenn die Freudianer Freud richtig gelesen hätten, so hätten sie gemerkt, daß es dabei um mehr als nur um die Analyse des Widerstands geht. »Wenn man einem Patienten eine seinerzeit von ihm verdrängte Vorstellung, die man erraten hat, mitteilt, so ändert dies zunächst an seinem psychischen Zustand nichts. Es hebt vor allem nicht die Verdrängung auf, macht deren Folgen nicht rückgängig, wie man vielleicht erwarten könnte, weil die früher unbewußte Vorstellung nun bewußt geworden ist... In Wirklichkeit tritt nun eine Aufhebung der Verdrängung nicht eher ein, als bis die bewußte Vorstellung sich nach Überwindung der Widerstände mit der unbewußten Erinnerungsspur in Verbindung gesetzt hat.« (op. cit., S. 134). Eine Aussage, die der Primärtheorie voll entspricht, mit Ausnahme der Vorstellung des zu überwindenden Widerstands.

Freud betonte, daß Veränderung nur durch Bewußtmachen der Erinnerungsspur bewirkt werden könne. Diese Tatsache scheinen seine späteren Anhänger übersehen zu haben, die sich nur noch auf die Analyse verlegten. Freud schreibt: »Zum Wesen eines Gefühls gehört es doch, daß es verspürt, also dem Bewußtsein bekannt wird« (op. cit., S.136). Er wußte sehr genau, daß »Vorstellungen Besetzungen — im Grunde von Erinnerungsspuren — sind« (op. cit., S. 137), und daß es nicht gut ist, die Analyse in jene Vorstellungen zu verstricken. Die affektive Erinnerung war ausschlaggebend. 

Ferner wußte er ebenfalls, daß die abgeleitete symbolische Vorstellung selbst zu einer Methode der Verdrängung wird. Sie wird als Abwehr gegen richtige Gedankenbildung benutzt, die zu dem bewußten Material führen würde. Auf diese Weise können selbst die klügsten und intelligentesten Menschen ihre Rationalisierungen und Pseudophilosophien benutzen, um sich gegen Realität zu schützen. Freud sagte, die Ersatzvorstellung spiele dann die Rolle einer Gegenbesetzung für das System Bewußtsein, indem sie das System dagegen schützt, daß die verdrängte Vorstellung ins Bewußtsein vordringt. Auch wenn er von Gefühlen oder Affekten sprach, so war das Verdrängte in der Regel eine Vorstellung. Später wellte er Vermutungen über die verschiedenen — Systeme an, die an Verdrängung beteiligt sind, einschließlich des Vorbewußtseins. Er verlieh verdrängenden Akten einen »Willen« und sagte, das Bewußte entziehe seine Besetzung von diesem oder jenem und verlagere sich auf anderes. Ich bin der Auffassung, daß er das nur tat, weil der damalige Stand der neurologischen Forschung es ihm nicht erlaubte, die Dinge anders zu sehen.

Was Freud die Verschiebung von Besetzung nennt, bezeichne ich als umgeleitete neuronale Impulse. Er sah, daß der durch Verdrängung erzeugte Druck seine Energie in den Körper entladen konnte und dadurch das hervorrief, was er Konversions-Symptome nannte. Er war irrtümlich der Ansicht, wenn der Druck via Gedankenassoziation an die Oberfläche gebracht würde, dann wäre es möglich, »durch die Besiegung der Zensur den Weg zur Aufhebung der Verdrängung« zu schaffen (op. cit., S. 152).

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Freud wußte, »das Bewußtwerden (ist) kein bloßer Wahrnehmungsakt, sondern wahrscheinlich auch eine Übersetzung«, und insofern glaube ich, daß er das Bewußte verstand als eine richtige Verknüpfung zwischen Strukturen, die mit unbewußten Erinnerungsspuren zu tun hatten einerseits, und solchen, die für deren Verbindung zu höheren Gehirnzentren verantwortlich waren andererseits. 

Freud würde mit Sicherheit die Behavioristen unserer Tage ablehnen, da das Bewußte in ihrer Theorie nirgends eine bedeutende Rolle spielt. Ja, viele von ihnen glauben offenbar, daß Veränderung auch unbewußt stattfinden kann; indem man einen Reiz (den aversiven) an einen anderen Reiz (einen angenehmen) koppelt, ohne lästige Einmischung des Bewußtseins des Patienten. Ich bin der Auffassung, daß man die ganze interaktive Natur des Gehirns nicht außer acht lassen kann, wenn man eine wirkliche Veränderung bewirken will. Das ist auch meine Kritik an der Körpertherapie der Reichianer. Reich hatte eine großartige Theorie, trotz ihrer Unzulänglichkeiten und dem späteren Mystizismus. Alles, was in seiner Theorie fehlte, war die Berücksichtigung des Gehirns.

Aber selbst jene Therapien, die sich mit dem Bewußtsein oder zumindest mit Bewußtheit befassen, wie beispiels­weise die Realitätstherapie, können meiner Ansicht nach keine tiefgreifenden Veränderungen bewirken, solange sie unbewußte Motivations­faktoren unberücksichtigt lassen. Therapeuten dieser Richtung glauben, daß das Scharfen einer neuen Vorstellung, wie: »Ich brauche die Liebe der anderen nicht«, neurotische Vorstellungen beseitigt und den Patienten gesund werden läßt. Diese Methode vermag wahrscheinlich alte Vorstellungen tatsächlich zu beseitigen (oder zu übertönen), aber unverknüpfte neue Vorstellungen werden einen Menschen kaum gesunden lassen; sie helfen allenfalls, die Krankheit besser zu rationalisieren. Vertreter der Realitätstherapie übersehen die tiefgreifenden subkortikalen Prozesse, die diese neurotischen Vorstellungen überhaupt erst haben entstehen lassen. Selbstverständlich kann man die Spitze beschneiden, doch die Primärwurzeln werden weiterhin auf die eine oder andere Art ihre neurotischen Netze flechten.

Bei einem Patienten, der sich in eine Therapie wie die Jungscher Prägung begibt, bei der der Therapeut oft die Träume und deren Symbole zum Schwerpunkt macht, wird die Ebene symbolischen Funktionierens verstärkt. Denn dieser Schwerpunkt verfestigt das symbolische Bewußtsein, bekräftigt intellektuelle Abwehr und macht Gefühle nur noch unzugänglicher, und ohne diese Gefühle wird es nie ein wahres Bewußtsein geben. Bei diesen Therapien wird der Kortex mehr als Abwehr benutzt und nicht als ein die Gefühle integrierender Faktor. 

Die neuen Vorstellungen, zu denen diese Therapien führen, entwickeln sich nicht aus dem Fühlen heraus, sie entspringen vielmehr dem Kortex eines anderen, nämlich dem des Therapeuten.

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Gefühle zu analysieren ist immer etwas anderes als sie zu fühlen. Wenn wir das Verhalten eines Tieres analysieren, würden wir das nie mit einer Therapie gleichsetzen. Warum dann tun wir das im Umgang mit Menschen?

Es ist möglich, daß Therapien wie die Jungscher oder Freudscher Prägung — zumindest auf einer Ebene — eine »Heilung« auf einer Seite des Gehirns zustande bringen — genauer eine »Heilung« der intellektuell-verdrängenden Sektion. Ein solcher Patient wird einerseits immer einsichtsvoller und schärft sein Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen. und doch fällt er andererseits immer tiefer in Unbewußtheit. Es hat den Anschein, als befasse sich die Einsichtstherapie mit dem Linkshirn, während Hypno­therapie sich mit dem Rechtshirn befaßt. Das Problem liegt selbstverständlich darin, daß beide nicht gerade dazu beitragen, die zwei Seiten des Gehirns zusammenzubringen.

Mir geht es darum klarzumachen, daß alle anderen Formen der Psychotherapie die Spaltung unberücksichtigt lassen oder sich nur bruchstückhaft damit auseinandersetzen; Verknüpfung ist der Schlüssel, um die Geheimnisse der Neurose aufzuschlüsseln. Und eine Methode, die die Spaltung nicht berücksichtigt, kann meiner Meinung nach nicht zu Erfolg führen, so wie jede psychologische Therapie, die Bedürfnis und Schmerz nicht als ihre Eckpfeiler betrachtet, automatisch zu einer reaktionären Methode führt. Wenn wir das übersehen, was uns menschlich macht, wie können wir dann wieder Wege zu unserer Menschlichkeit finden?

 

Diskussion: 

Konsequenzen der Primärtherapie für die Menschheit 

 

Freuds große Entdeckung war das Unbewußte. Wollte man von der großen Entdeckung bei der Primärtheorie sprechen, so wäre es das Bewußte; das heißt, daß es das Unbewußte — unveränderbar, zeitlos, genetisch bedingt und universell — nicht gibt. Es gibt lediglich blockiertes Bewußtsein, und theoretisch ist es durchaus möglich, daß ein Mensch im hier erörterten Sinne kein Unbewußtes hat. Es ist anzunehmen, daß eine künftige reale Zivilisation eine bewußte sein wird, in der für das Unbewußte kein Platz ist. Das zeigt sich heute bereits bei fortgeschrittenen Primärpatienten. Einige von ihnen sind in der Lage, im Traum, während sie schlafen, in die Gefühle zu gleiten, die Verknüpfungen herzustellen, und das, ohne dabei aufzuwachen.

Beachtenswert daran ist, daß sie bewußte Verknüpfungen herstellen, während sie unbewußt sind, weil Bewußtes und Unbewußtes miteinander verschmolzen sind. Ein Patient formulierte das einmal folgendermaßen: »Ich gehe schlafen, um meinen Körper auszuruhen, nicht um mich unbewußt zu halten.«

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Bedeutsam daran ist, daß Menschen erstmalig ihr Unbewußtes kontrollieren können, anstatt davon kontrolliert zu werden. So wären zum Beispiel Dinge wie Exhibitionismus bei bewußten Menschen undenkbar. Bewußte Menschen hätten einfach keine Veranlassung, irgendwelche irrationalen Dinge zu tun, sie würden statt dessen eine gesunde, bewußte Zivilisation herbeiführen und dafür sorgen, daß sie erhalten bliebe.

Primärpatienten haben ein anderes Schlafmuster; ein Patient verglich es einmal mit dem eines Hundes: äußerst wachsam und mit einer nur dünnen Trennung zwischen Bewußtein und Unbewußtem, so daß es auch bei einem nur geringen Reiz im Schlaf sofort zu Bewußtsein kommt. Dieser Schlaf ist erholsam und doch wachsam. Die Träume dieser Patienten sind nicht mehr in der Vergangenheit angesiedelt. Grund dafür ist, daß ihre Gefühle nicht mehr in der Vergangenheit angesiedelt sind. Das veranschaulicht, wie Symbole dem Schmerz entsprechen: vergangener Schmerz — vergangenes Symbol; darum auch träumt der Mensch von seinen frühen Erlebnissen in Schule und Elternhaus etc. In seinen Träumen ist er ein Kind, weil er in seinen Gefühlen in der Kindheit ist. Das macht deutlich, wie unsere Gefühle unser Bewußtsein bestimmen.

Primärpatienten sind stärker vom Rechtshirn bestimmt; infolgedessen sind sie weniger ehrgeizig. Das heißt, sie sind nicht zeitgebunden, planen nicht auf lange Sicht und setzen sich keine Fernziele. Es gibt wenig, worauf sie zuarbeiten wollen. Es genügt ihnen, in der Gegenwart zu leben. Der zeitgebundene neurotische Mensch mag das allerdings als Krankheit ansehen, denn mangelnde Zielstrebigkeit entspricht nicht dem Modus unserer Kultur. Schon allein die Tatsache, daß in der Primärtherapie nicht nach der Uhr gearbeitet wird, ist für das Erleben eigenen Fühlens förderlich; umgekehrt sind Therapien, die zeitgebunden sind, dabei hinderlich.

 

Es stellt sich natürlich die Frage, was diese Verlagerung zugunsten des Rechtshirns, die bei Primärpatienten zu verzeichnen ist, eigentlich bedeutet. Ein solcher Befund allein betrachtet ist lediglich ein weiteres Korrelat der insgesamt beobachteten Veränderung. Wenn er jedoch mit einer anhaltenden Senkung von Blutdruck, Pulsfrequenz und Körpertemperatur einhergeht, lassen sich daraus andere Schlüsse ziehen. So nämlich sehen wir, daß in stärkerem Maße zu fühlen gleichbedeutend ist mit Spannungsverminderung — zumindest im Hinblick auf die uns heute geläufigen meßbaren Kriterien für Spannung. 

Kurz gesagt, wir können eine endgültige Aussage über die Beziehung zwischen Spannung und Fühlen machen — nämlich die, daß Spannung blockiertes Fühlen ist, und in dem Maße, wie dieses Fühlen freigesetzt wird, nimmt die Spannung ab. Auch hier wieder zeigt sich die Beziehung zwischen Schmerz und Spannung. Denn wenn Patienten in der Primärtherapie Schmerz fühlen, werden sie fühlender, gleichzeitig verringert sich der Spannungsdruck; das wird durch unsere Messungen belegt. Wir sehen also erneut, daß Spannung ungefühlter Schmerz ist — ein nichtfühlender Zustand.

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Was die Verlagerung zur fühlenden Seite bei Primärpatienten betrifft, so ist es äußerst aufschlußreich, daß die Wissenschaftler, die Untersuchungen an den Kindern anstellten, die nach der Methode des Franzosen Frederick Leboyer auf völlig untraumatische Weise geboren wurden, herausfanden, daß diese Kinder zu hundert Prozent Ambidexter [weder ausschließlich Rechts- noch Linkshänder] waren.*

Das besagt für mich, daß bei einer nicht mit katastrophalem Schmerz verbundenen Geburt die Hemisphären eine Tendenz zur Gleichwertigkeit und wechselseitigen Harmonie haben, daß ausgeprägte Rechts- oder Linkshändigkeit kein natürlicher, sondern ein neurotischer Zustand ist. Diese Gleichwertigkeit besagt nicht nur etwas über Rechts- oder Links­händigkeit; sie deutet darüber hinaus auf die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer umfassenden emotionalen Integration hin — und genau das haben die Wissenschaftler bei diesen Kindern (von denen einige inzwischen bereits neun Jahre alt sind) tatsächlich festgestellt. 

In der Tat werden diese Kinder genau so beschrieben, wie man Postprimärpatienten beschreiben könnte. Wenn also die Primärtherapie eine Verlagerung in Richtung größerer Gleichwertigkeit der Gehirnhemisphären erzielt, ist das eine Erhärtung unserer Beobachtung, daß fortgeschrittene Primärpatienten emotional stärker integriert sind. Die Leboyerschen Untersuchungen liefern einen aufsehenerregenden Beweis dafür, daß ein Geburtstrauma buchstäblich eine Spaltung im Gesamtkörpersystem erzeugt.

Der Postprimärpatient hat ein Bewußtsein, das dem nicht analytischer Kulturen wie der der Tobriand-Insulaner ähnelt. Der Primärmensch läßt andere gewähren. Er wertet die Zeichnungen seiner Kinder nicht mehr aus und fragt nicht: »Was ist das?« Er hat einfach Freude daran, sie anzuschauen. Er analysiert sich nicht selbst und nimmt seine Gefühle nicht auseinander; er fühlt sie. Sein Bewußtsein ist global.

Wir sehen, wie ein Verständnis vom Wesen des Bewußtseins philosophische Fragen über das Wesen des »freien Willens« und der »Willenskraft« beeinflußt. Diese Konzepte waren jahrhundertelang Gegenstand philosophischer Polemik. Für einen geeinten, bewußten Menschen jedoch sind freier Wille und Willenskraft belanglos. Denn für den bewußten Menschen gibt es keinen Dualismus, keine Spaltung, keine Verstrickungen in einen Aspekt des Bewußtseins, der getrennt von der Gesamtheit des Organismus operiert. Es kann keine Kraft geben, die unbeeinträchtigt von vergangenen Erlebnissen frei agiert. 

Das Konzept des freien Willens ist nur anwendbar auf normale, gesunde Menschen, die bewußt sind und uneingeschränkten Zugang zu sich selbst haben; diese Menschen allerdings befassen sich mit einem solchen Konzept nicht. 

 

*  F. Leboyer, Der sanfte Weg ins Leben; Geburt ohne Gewalt, München 1974.

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Neurotiker sehen den »freien Willen« normalerweise im Hinblick auf freies »Handeln«, und das bedeutet für gewöhnlich »neurotisches Ausagieren«.

Wir sind totale Organismen, und jeder noch so kleine Teil von uns ist geprägt durch unsere Vergangenheit. Jede Entscheidung, die wir treffen, ist von ihr bestimmt. Kein »Einzelaspekt« von uns selbst ist von ihrem Einfluß frei. Es kann keine mystische Schwungkraft geben, die sie bezwingen könnte.

Es stellt sich zwangsläufig die Frage: »Wo ist der freie Wille eines hypnotisierten Menschen, der sich unter posthypnotischer Suggestion auf ein Signal hin auf bestimmte Weise verhält, unabhängig davon, wie er >willensmäßig< dazu steht?« Hier wird klar, daß infolge mangelnder Verknüpfung eine Einschränkung des freien Willens eintritt. Befreien kann den hypnotisierten Menschen nur Verknüpfung. Er kann sich nicht transzendieren und einen freien Willen haben; er muß vielmehr in sich selbst hinabsteigen. Und wo ist der freie Wille eines Menschen. der sich einer Gehirnoperation unterzieht und der plötzlich die Vergangenheit wiedererlebt, wenn an bestimmten Stellen seines Gehirns eine Elektrode angebracht wird, unabhängig davon, wie er »willensmäßig« dazu steht? Er ist genauso ein Gefangener jener Rückkoppelungsschleifen, wie es jeder beliebige Neurotiker ist.

Unter freiem Willen verstehen wir normalerweise »Willenskräfte. nämlich die Fähigkeit, uns selbst den Umständen zum Trotz zu kontrollieren. Einzig und allein der normale, gesunde Mensch kann sich selbst kontrollieren, weil er voll und ganz er selbst ist, er ist diese Kontrolle. Normale, gesunde Babys zum Beispiel entscheiden sich automatisch für eine richtig ausgewogene Ernährung, die ihren Bedürfnissen am besten entspricht.

Meine Hypothese lautet, daß es keine Kraft gibt — weder im Willen begründet noch anderer Art —, die uns über unsere Physiologie erhebt; keine besonderen Kräfte, die unser Gehirn und seine gespeicherte Geschichte transzendiert. Wenn der Körper unserem Geist nicht länger ein Geheimnis ist, dann sind wir bewußt und wirklich frei. Frei, diesem Körper entsprechend zu leben, und das ist die einzig sinnvolle Art freien Willens. »Willensfreiheit« ist lediglich eine weitere Art, über Bewußtsein zu denken.

 

  

K.  Geplante Forschungsprojekte 

Wir befassen uns gegenwärtig mit einer Reihe von Forschungsprojekten, die Bewußtsein zum Gegenstand haben. Wir untersuchen Hypnose und versuchen herauszufinden, welche Strukturen tätig sind, während die Versuchsperson unbewußt wird. Uns interessiert, welche Seite des Gehirns als erste stillgelegt wird. Später werden wir untersuchen, welche Seite des Gehirns als erste einschläft und welche als erste aufwacht.

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Wir haben über mehrere Jahre hinweg Frequenz und Amplitude der Hirnstromkurven gemessen. Unsere Befunde weisen eine geringere Gehirnaktivität im Anschluß an die Primärtherapie nach. Mithin beinhaltet Primärbewußtsein (verknüpftes Bewußtsein) die Eliminierung eines Großteils subkortikaler Aktivierung. Amplitude und Frequenz der Hirnstromkurven scheinen mit fortschreitender Therapie abzunehmen; unsere Untersuchungen auf diesem Gebiet werden fortgefühlt.

Wir untersuchen Verlagerungen im verbalen Denken. Unsere vorläufigen Ergebnisse lassen erkennen, daß Primärtherapie eine Verlagerung zur »fühlenden« Seite des Gehirns zur Folge hat. Primärtherapie kann einseitige Dominanz reduzieren. So gesehen, kann die Verknüpfung im Rahmen der Primärtherapie ein Ergebnis sein, das zu ausgewogeneren, in fließender Verbindung stehenden Hemisphären führt. Vielleicht verhält es sich so, daß wir in der Primärtherapie weniger eine Dominanz reduzieren als vielmehr beide Seiten einander gleichwertig machen, indem wir die Blockierungen auflösen. In jedem Falle lassen unsere Ergebnisse erkennen, daß es sich bei einer »Primärverknüpfung« nicht um eine rein intellektuelle Einsicht handelt, sondern um ein tiefgreifendes und weitreichendes zerebrales Phänomen. Wir haben neue Beziehungen zwischen den frontalen und okzipitalen Bereichen des Gehirns aufgedeckt, die erkennen lassen, daß es nicht nur eine Linksrechts- und Oben-unten-Spaltung gibt, sondern auch eine von vorn nach hinten verlaufende.

Meine Kollegen und ich arbeiten an der Entwicklung einer Matrix beobachtbarer neurophysiologischer Parameter, die Grade der Verdrängung (und somit Grade der Unbewußtheit) angibt. Spannung wird sich uns so im Hinblick auf bestimmte EEG-Parameter darstellen. Wir werden diese Parameter dann mit gründlich validierten psychologischen Tests korrelieren (wie beispielsweise dem Kahn Test of Symbol Arrangement) und versuchen, ein allgemeines Verdrängungs- und Unbewußtheitsprofil zu entwickeln. Wir vermuten, daß die Ebene der Unbewußtheit dem Grad symbolischer Abstraktion (von der Welt wie vom Selbst) entspricht.

Wir vermuten, daß sich fließender Zugang innerhalb der Gehirnstrukturen sowohl in psychischen wie auch in physiologischen Dimensionen widerspiegelt; so erwarten wir zum Beispiel eine Verringerung der Alpha-Amplitude und eine entsprechende Richtigkeit der Symbolisierung im Kahn-Test. Wir hoffen, daß es uns gelingt, einen Zahlenindex zu entwickeln, der Grade der Unbewußtheit und damit Grade der relativen Schwere psychischer Störungen angibt.

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Wir werden untersuchen, ob auch andere Therapien Bewußtsein derart, wie ich es skizziert habe, hervor­bringen. Wir werden untersuchen, ob durch einen Therapeuten vermittelte Einsicht je eine wirkliche Änderung in einem Patienten zu erzeugen vermag. Wir hoffen wissenschaftliche Maßstäbe zu erarbeiten, mit Hilfe derer sich die Effizienz jeder beliebigen Psychotherapie messen läßt. Dann wird es nicht länger eine bloße Raterei oder Frage persönlicher Präferenzen sein, welche therapeutische Methode wirkliche Veränderungen bewirkt.

Wir rechnen mit signifikanten Veränderungen bei unseren extrem intellektualisierten Patienten, deren Abstrak­tions­vermögen offenbar ihre Gefühle eingefroren hat. Wir haben bei ihnen bereits erste Anzeichen einer Verlagerung zugunsten der untergeordneten Hemisphäre feststellen können. Einige unserer Intellektuellen, hervorragende Wissenschaftler, waren äußerst unbewußt; die Ebene ihres symbolischen Agierens hätte sonst vielleicht mit dem Ausmaß der anhaltenden und fortschreitenden Verdrängung zugenommen.

Wir rechnen damit, daß unsere Untersuchungen beobachtbare Daten für all jene inneren Veränderungen liefern werden, von denen unsere Patienten berichten. Wir wollen die einander bedingenden Umstände der Veränderung herausfinden. Wir wissen bereits genau, daß wir fühlende Menschen hervorbringen; doch wir wollen jetzt Genaueres darüber in Erfahrung bringen, was das hinsichtlich der inneren Abläufe und Funktionen tatsächlich bedeutet.

Wir werden versuchen, die Auswirkungen bestimmter Drogen auf Lateralität [Dominanz einer »Seite«] zu messen, um die unterschiedlichen Auswirkungen diverser Tranquilizer herauszufinden und um Lateralitäts­veränderungen durch Genuß von Halluzinogenen, Morphin und Heroin zu erforschen. Es gibt bereits den Nachweis (in den Arbeiten von E.A. Serafetinides an der University of California, L.A.), daß der Tranquilizer Chlorpromazin die Amplitude der Voltspannung in der rechten Hemisphäre bei Schizophrenen verändert. Das heißt, daß bei diesen Patienten eine Zunahme der Voltspannung zu verzeichnen ist.

Wir haben bei Primärpatienten im Hinblick, auf Drogen- und Tranquilizerkonsum eine deutliche Selbst­reg­ul­ier­ung feststellen können. Mit wachsender Spannungsabnahme fällt es ihnen immer schwerer, zu Drogen zu greifen — einerlei welcher Art —, und in fortgeschrittenen Stadien der Therapie lehnen ihre Körper Drogen völlig ab. Der Genuß von Marihuana zum Beispiel ist für sie kein Vergnügen mehr; es bewirkt vielmehr, daß eventuell vorhandener Schmerz sofort an die Oberfläche steigt. Die Patienten können sich nach ein oder zwei Tassen Kaffee »gerädert« fühlen. Sie verfügen nicht mehr über innere Abwehrmechanismen, die die Effekte von Drogen auf unser Gesamtkörpersystem blockieren oder modifizieren. Möglicherweise gibt es einen Weg, all das durch kontinuierliche Spannungsmessungen vorherzusagen. Das heißt, vielleicht werden wir die Reaktion auf Drogen anhand des jeweiligen Ausmaßes an Residualspannung eines Patienten mit Hilfe unseres Spannungsindex berechnen können.

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Wir haben vor, die verschiedenen Betäubungsmittel hinsichtlich der Lokalisierung ihres Wirkungsbereichs zu untersuchen. Wir hoffen dadurch herauszufinden, ob wir mit Hilfe unseres Spannungsindex voraussagen können, welche Dosis eines Betäubungsmittels für den jeweiligen Patienten die richtige ist. Das heißt, wir vermuten, daß ein stärker aktiviertes Gehirn eine stärkere Dosis erfordert. Vielleicht werden wir feststellen, daß sich die jeweilige Dosis eines Betäubungsmittels am besten dadurch bestimmen läßt, daß man vor einer Operation Hirnstrom-Tests durchführt.

Es gibt eine Vielzahl äußerst interessanter Ansatzmöglichkeiten für Forschungsarbeiten. So glaubt zum Beispiel eine unserer Krankenschwestern, daß Gehirnschläge vorrangig die linke Hemisphäre betreffen; wir fragen uns nun, ob das tatsächlich zutrifft und ob es eventuell auf vermehrten Druck (Aktivität) auf diese Seite zur Schmerzverdrängung zurückzuführen ist. Oder anders ausgedrückt, ließe sich die Hypothese aufstellen, daß Schläge aus dem Druck resultieren, der auf das gesamte Hirnsystem ausgeübt wird, und zwar verursacht durch den Antagonismus zwischen den Hemisphären und zwischen höheren und niederen Zentren.

Interessant wäre ebenfalls herauszufinden, ob nervöses Augenzucken eher das rechte oder das linke Auge befällt. Wir haben die Beobachtung gemacht, daß die rechte und linke Brust bei Frauen erhebliche Unterschiede in der Größe aufweisen. Gibt es eine Seite, die allgemein unterentwickelt ist? Ist die Wahrscheinlichkeit für Krebsanfälligkeit dieser Seite größer? Mir geht es darum, zu verdeutlichen, daß eine Spaltung im Bewußtsein nicht lediglich ein das Gehirn betreffendes Phänomen ist, sondern sich im ganzen Körper widerspiegelt. Unsere Patienten haben bemerkt, daß ihr linkes Augenlid eher dazu neigt zu erschlaffen als das rechte. Und bei genauerer Beobachtung der Fotografien unserer Patienten ist uns aufgefallen, daß ein beachtlicher Unterschied zwischen beiden Gesichtshälften besteht — eine Seite kann eher aggressiv-defensiv sein, während die andere eher sensitiv und empfindsam ist (und meistens ist die linke Gesichtshälfte die sensitive). Mir stellt es sich so dar, als zeige sich die innere Integration eines Menschen in der Harmonie seines Gesichts, und das ist einer der Gründe, warum Postprimärpatienten so viel besser aussehen.

Ein weiterer zu erforschender Bereich wird die chemische Substanz Serotonin sein, ein vom Körper produzierter natürlicher Tranquilizer, der sich in besonders starkem Maße im limbischen System findet, in dem Verdrängung stattfindet. Bedeutsam an derartigen Untersuchungen ist, daß Serotonin sowohl bei Tiefschlaf als auch bei neurotischer Verdrängung eine Rolle spielt; was möglicherweise darauf hindeutet, daß physische und psychische Unbewußtheit ihrer Natur nach einander äußerst ähnlich sind, das heißt durch die gleichen Strukturen und durch die gleichen chemischen Prozesse hervorgerufen werden.

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Es gibt Nachweise über die hypnotisierende Auswirkung von L-Tryptophan, einem Serotonin-Vorläufer.*  »Hypnotisierend« ist ein Schlüsselwort, denn wir sehen eine Ähnlichkeit zwischen Neurose (und neurotischer Verdrängung) und Hypnose, zumindest auf chemischer Basis. Das heißt, der Neurotiker ist hypnotisiert und steht unter der gleichen Art Unbewußtheit wie ein hypnotisierter Mensch. Wir stellen bereits Untersuchungen über Veränderungen des Serotoninspiegels bei Primärpatienten an.

Wir werden Kreativität untersuchen, um zu erkunden, ob weniger lateralisierte Gehirne kreativer sind. Besteht zwischen Kreativität und Amplitude und Frequenz der Hirnstromkurven eine negative Korrelation? Wie unterscheiden sich Lateralität und andere Kreativitätsmessungen zwischen Künstlern einerseits und beispielsweise Ingenieuren und Buchhaltern andererseits? Wie ist die Krankheitsrate von Menschen mit geringeren Werten des Spannungsindex? Wir vermuten, daß sie signifikant niedriger ist. 

Besteht eine Korrelation zwischen der Tiefe von Verdrängung und dem Schweregrad organischer Krankheit? Verdrängt ein Krebspatient zum Beispiel stärker als ein Patient mit Kolitis? Und verdrängt ein Mensch mit Neurodermatose [nervöse Hauterkrankung] weniger als die beiden zuvor genannten? Besteht eine unmittelbare Korrelation zwischen Verdrängung und der Tiefe der Lokalisierung von Symptomen im Körper? Sind Amplitude und Frequenz von Hirnstromkurven reziproke Werte? Ich vermute ja, so daß bei Neurose, wenn die Frequenz künstlich verlangsamt wird, die Amplitude entsprechend ansteigt.

Die Bedeutung eines solchen Spannungsindex für psychosomatische Leiden wäre nicht zu unterschätzen; so könnten wir durchaus herausfinden, daß eine Senkung von Körpertemperatur und Blutdruck, sofern sie mit hochamplitudigen Wellen einhergehen, nicht ein Zeichen von Entspannung, sondern von innerem Druck ist (was sich unter anderem in Hypothyreoidismus [Schilddrüsenunterfunktion] zeigt). Erst wenn niedrige Temperatur und niedriger Blutdruck mit niedrigamplitudigen Gehirnwellen einhergehen, kann man auf Entspannung schließen.

 

Wie steht es nun mit Untersuchungen zur Validität der Primärtherapie? Wir wissen aufgrund unserer Beobachtungen und Erfahrungen, daß diese Therapie valide ist. Doch die sich infolge der Therapie bei unseren Patienten einstellenden Veränderungen hinsichtlich der Funktionsweisen des Gehirns bedürfen der Erklärung. Dabei werden wir wahrscheinlich die Korrelate der Verdrängung herausfinden; da sich im Verlauf der Therapie der Mensch als Ganzes verändert, werden wir herausfinden, welche Mechanismen mit diesem Prozeß verbunden sind.

 

* E. Hartmann, R. Chung, C. Chien, »L-Tryptophane and Sleep«, in Psychopharmacologia 19, 1971, S. 114-127.

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Wir würden nicht sagen, daß Veränderung das »Ergebnis« beispielsweise einer Abnahme von Blutplasma Kortisol ist, sondern daß Bewußtseinsveränderungen vielmehr mit multiplen Veränderungen physiologischer Funktionsweisen einhergehen, weil Körper und Geist eine Einheit sind.

Für die Gehirnphysiologie ist von Belang, daß Neurotiker Menschen sind, die unter Schmerz stehen und handeln, als sei dem nicht so. Unsere Erklärungen dafür bedürfen der Präzisierung. Weil der Ursprung einer Neurose in der frühen und frühesten Kindheit liegt, werden wir uns mit primitiveren Mechanismen des Gehirns befassen müssen und deren Mitwirken erforschen. Da der Neokortex erst in späterer Kindheit vollends entwickelt ist, vermuten wir, daß die bei einer Neurose beteiligten Blockierungsmechanismen weitgehend subkortikal sind, und das allein deutet darauf hin, daß ein frühes Trauma unbewußt organisiert wird, noch ehe ein Kind weiß, was da mit ihm geschieht. Später agiert es dieses Trauma aus, ohne von dessen Existenz auch nur im geringsten zu wissen.

Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, daß einer Neurose die normalen Mechanismen des Gehirns zugrunde liegen; die Annahme struktureller Defekte etc. ist für die Erklärung psychischer Krankheit nicht erforderlich. Psychische Krankheit ist eine natürliche Folge von Schmerz und der Aktivität von Schleusenmechanismen im Gehirn.

Aufgrund allem bisher Gesagten erscheint es mir überzeugend, daß die Validierung der Primärtherapie auf einem anderen Weg erfolgen muß als mit den üblichen Verfahrensweisen für die Bewertung anderer therapeutischer Methoden. Wir schaffen einen neuen Menschentypus, jenseits des kulturellen Modus, so daß kulturbezogene Tests keine Gültigkeit haben. Die zentrale Validität der Primärtherapie liegt in dem Erleben, und das ist die letztlich entscheidende und gültige Validität. Niemand hätte mir je erzählen können, daß Geburtsprimals möglich seien, auch wenn ich noch so viele beobachtet hätte, ehe ich nicht selbst eines erlebt hatte. Ein so außergewöhnliches Ereignis zu beobachten wäre für einen Menschen nicht gut gewesen, der psychisch nicht in der Lage gewesen wäre, es zu akzeptieren.

Die letztliche Validität der Theorie liegt darin, ob sie Menschen vorhersagbar helfen kann. Manchmal verlieren wir die Tatsache aus den Augen, daß all die wissenschaftliche Forschung über das Gehirn, all die neuen Fakten und Erkenntnisse einzig dem Zweck dienen, dem Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen.

Wenn Fakten und Erkenntnisse in vitro verbleiben, nie einem praktizierbaren therapeutischen System zugeordnet werden, dann sind sie letztlich wertlos. Unser Beitrag besteht nicht in Erkenntnissen und neuen Fakten, sondern in einer Theorie, die sich zum Wohl des Menschen praktisch umsetzen läßt.

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    L.  Zusammenfassung und Schlußbetrachtung  

 

Wir haben Bewußtsein neu definiert und von Bewußtheit abgegrenzt und unterschieden. Eine solche Abgrenzung ist von entscheidender Bedeutung, wenn man die Möglichkeit grundlegender Veränderung psychischer Krankheit verstehen will, denn ohne eine grundlegende Veränderung der Bewußtseinsstruktur kann es keine Heilung für psychische Krankheit geben

Ich habe darauf hingewiesen, daß viele bisherige Therapien sich darauf konzentriert haben, Bewußtheit zu verändern — und neurotisches Bewußtsein unverändert gelassen haben. Primärtherapie schafft ein neues Bewußtsein — Primärbewußtsein —, das ein Ergebnis der Veränderung der Beziehungen zwischen zerebralen Hemisphären und zwischen höheren und niederen Gehirnzentren ist. Ein fühlender Mensch ist ein bewußter Mensch mit fließendem Zugang zwischen den Gehirnstrukturen, die ihrerseits wiederum körperliche Prozesse vermitteln.

Das heißt nichts anderes, als daß der Zustand des Bewußtseins Fluß und Muster der Gehirnfunktionen formt — und Gehirn­funktionen formen den Zustand des Bewußtseins. Das ist ein wirklich dialektischer Prozeß — eine wechselseitige Durchdringung von Gegensätzen. »Geist« erzeugt nicht »Gehirn«, und »Gehirn« erzeugt nicht »Geist«. Sie sind eins. Die Form der zerebralen Interaktion bestimmt den Gehalt, und der Gehalt umschreibt die Form. Das psychische Kräftefeld ist letztlich physisch, und der physische Zustand des Gehirns ermöglicht psychische Ereignisse. Wir werden die Geheimnisse von Geist/Verstand nie durch mikroskopische Analysen von Nervenzellen erkunden, denn sie sind lediglich Elemente einer Gestalt. 

Wir werden Bewußtsein niemals lokalisieren, denn es ist ein Produkt unseres gesamten Seins. Es ist zwar möglich, mit Hilfe elektronischer Erforschung der Gehirnzellen einzelne Bewußtheitsformen zu lokalisieren, doch kein einzelnes Neuron kann uns etwas über menschliche Gefühle sagen. Gefühle jedoch können uns helfen, etwas über die Aktivität der Neuronen zu sagen. Um es nochmals zu wiederholen: Bewußtsein läßt sich deshalb nicht lokalisieren, weil es nicht eine »Sache« ist, sondern sowohl Ursache als auch Ergebnis der Organisation eines lebendigen Systems. Man ändert nicht das Bewußtsein, ohne nicht auch jene Organisation zu ändern. Jeder Teil unseres Systems gehört dieser Organisation an und muß in Beziehung dazu erforscht werden.

Der Bewußtseinszustand formt die Wahrnehmungen und beschränkt den Zugang dieser Wahrnehmungen zum Bewußtsein im Interesse des Überlebens. Obwohl die Wahrnehmung von Gefahr selbst eine Überlebensfunktion ist, gibt es Zeiten in unserer Kindheit, in denen derartige Wahrnehmungen die psychische Integrität und das Überleben gefährden.

Ich bin der Auffassung, und darin folge ich Darwin, daß allein die Tatsache des menschlichen Überlebens über die Jahrhunderte jene mentalen Mechanismen hervorgebracht hat, die das Überleben begünstigten und daß unsere Wahrnehmungs­fähigkeiten, von denen unser Leben abhängt, das, was wir wahrnehmen, notfalls entstellen, verzerren und umgestalten, um eine kontinuierliche Integration zu gewährleisten.

Die Aufspaltung von Körper und Geist hat unsere Forschung über den Menschen verzerrt. Wir haben es geschafft, die Hirn­stromkurven des Menschen mit minuziöser Genauigkeit zu erforschen, ohne sie jedoch in ihrer Beziehung zu Parametern wie beispielsweise Blutdruck, Puls und Körpertemperatur zu betrachten. Wir haben die ganze interaktive Natur von Körper und Geist unberücksichtigt gelassen.

Das Körper/Geist-Problem, das Philosophen und Psychologen über die Jahrhunderte gequält hat, ist ein Scheinproblem — das Ergebnis einer Spaltung, eines neurotischen Geistes. Es ist aufgetreten, weil die Menschen in Körper und Geist aufgespalten waren, und man hat Spezialisten geschaffen, um die beiden Aspekte jeweils getrennt voneinander zu behandeln. Ein integrierter, ganzer Mensch würde über die Beziehung von Körper und Geist nie Fragen stellen, weil sie für ihn Eins sind.

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Literaturverzeichnis 

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