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17  Zukunft gestalten

 

 

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Was für eine Welt erwartet uns im 21. Jahrhundert? Eine Marktwelt mit allgemeinem Wohlstand, Frieden und Stabilität durch Wirtschaftsreformen, technologische Innovation und die Integration der Entwicklungsregionen in die Weltwirtschaft? Oder eine Festungswelt, in der die Reichen reicher, die Armen ärmer werden, in der die Umwelt unumkehrbar zerstört ist und Konflikt, Gewalt und Instabilität vorherrschen? Oder wird der soziale und politische Wandel, getragen von weitsichtiger Führung und Bündnissen sozialer Basisbewegungen, in eine Reformwelt führen, in der Macht und Wohlstand breiter verteilt sind, in der die Märkte sozialen und ökologischen ebenso wie ökonomischen Zielen dienen und die menschlichen Grundbedürfnisse überall befriedigt werden?

Die optimistischen wie die pessimistischen Varianten liegen durchaus im Bereich des Möglichen angesichts der derzeitigen langfristigen Trends. Und obwohl bei ihnen eine »Wende« grundsätzlich möglich ist, haben viele dieser Trends eine außerordentliche Eigendynamik.

Zur optimistischen Variante gehört die Verbreitung marktorientierter Wirtschaftsreformen, die Wirtschaftswachstum fördern und im nächsten halben Jahrhundert einem großen, vielleicht dem größten Teil der Menschheit Wohlstand bringen werden.

Ein weiterer solcher Trend, das rasante Tempo technologischer Innovationen, könnte sauberere und effizientere Produktionsprozesse und weniger umweltschädliche Lebensweisen ermöglichen. Die Vernetzung der globalen Märkte würde den Entwicklungsregionen den direkten Sprung zu diesen fortgeschrittenen Technologien ermöglichen — von weltumspannenden Mobilfunk-Systemen über Brennstoffzellen-Fahrzeuge bis zu Internetzugängen für entlegene Dörfer- und ihre Entwicklung beschleunigen.

Schließlich sind auch die breiteren sozialen und politischen Trends, von sinkenden Analphabetenraten und verbesserter Gesundheitsversorgung über die schrittweise Verbesserung der Position der Frau bis zum Siegeszug der Demokratie und der Dezentralisation der Regierungen, positiv zu bewerten.

Trotz allem Optimismus aber könnten uns auch ungünstige, wenig erfolgsträchtige Entwicklungen bevorstehen. Dazu zählen das starke Bevölkerungswachstum in verschiedenen Regionen und der Bevölkerungsrückgang in anderen. Die Zahl der Menschen im Afrika südlich der Sahara könnte sich verdreifachen, die Bevölkerung Nordafrikas und des Nahen Ostens verdoppeln und die Indiens um mehr als die Hälfte wachsen - und das Land damit zum volkreichsten Staat der Erde machen. Gleichzeitig könnte die russische Bevölkerung um 25 Prozent abnehmen, die japanische und europäische aber um 10 Prozent wachsen und so die wirtschaftlichen und sozialen Probleme einer überalternden Gesellschaft verschärfen.

Global weist das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte Ungleichgewichte auf: rasante Zuwächse in einzelnen Ländern, Stagnation in vielen anderen. Aber selbst bei beträchtlichem Wachstum in den Entwicklungsregionen wird sich das Wohlstandsgefälle zwischen armen und reichen Ländern wahrscheinlich vergrößern und international tiefe Gräben reißen. Ihre Wende hin zur Marktwirtschaft könnte auch bei ihnen die wirtschaftliche Ungleichheit noch verschärfen.

Rasante Industrialisierung birgt die Gefahr einer beschleunigten Luft- und Wasserverschmutzung in den Entwicklungsländern, so daß sich dort die Gesundheitsrisiken vervielfachen — mit allen negativen Folgen für Tourismus und ausländische Investitionen. Halten die Trends an, wird der global steigende Energieverbrauch die bereits heute erkennbare Bedrohung für die Stabilität des Weltklimas noch vergrößern. Gleichzeitig wird die Belastung der Wasserreserven, der fruchtbaren Böden, Wälder und Fischgewässer, die durch wachsende Bevölkerungen und steigende Nachfrage aus Industrie und Städten verursacht wird, die Degradation vieler natürlicher Ressourcen vielleicht unumkehrbar beschleunigen. Folge davon wird die Verarmung großer Teile der davon abhängigen Bevölkerungen sein.

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Die Kombination aus demographischen, ökonomischen und ökologischen Trends und einer zunehmend grenzenlosen Weltwirtschaft wird die Risiken für die Sicherheit des Einzelnen, wird die Stabilität der Gemeinwesen und damit auch die Wahrscheinlichkeit wachsender Migrationsbewegungen erhöhen. Sie wird auch mehr Kriminalität, Konflikt und Gewalt und in manchen Ländern sogar Chaos und Zusammenbruch bringen.

Welche Folgen haben diese widerstreitenden positiven und negativen Trends? In welche Zukunft führen sie? Meiner Ansicht nach hängt das Ergebnis von den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen der nächsten Jahrzehnte ab. Es liegt in unserer Hand, die Zukunft durch individuelles und gemeinschaftliches Handeln zu gestalten und damit die Welt unserer Kinder und Enkel, unser Erbe, zu formen. Was das angeht, bin ich sogar eher optimistisch.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten aber haben wir? Ich will nicht behaupten, ich hätte die Antwort auf alle Fragen. Aber ich glaube durchaus, daß wir schon wissen, wie wir einzelne Probleme lösen und viele der unheilvollen Trends wenden können. Es fehlt weder an Ideen noch an Möglichkeiten, wenn wir nur den gemeinsamen Willen aufbringen. Eine eingehende Erörterung auch nur eines Bruchteils dieser Möglichkeiten würde mehr als ein neues Buch füllen. Damit will ich nur sagen, daß menschliche Gesellschaften die Mittel besitzen, ihre Zukunft positiv zu gestalten. Daher will ich einige Beispiele für vielversprechende Innovationen und soziale Triebkräfte vorstellen sowie neue, bislang weitgehend ungenützte Möglichkeiten für gesellschaftliche Initiativen - Beispiele, die, so hoffe ich, zu weiterem Nachdenken und Handeln anregen.

  Ökowende bei Weltunternehmen? 

US-amerikanische und europäische Umweltgruppen finden derzeit unerwartete Verbündete — große internationale Unternehmen. Vor kurzem erlebte ich, wie die nüchtern denkenden Manager einer großen US-Firma für Forstprodukte sich aufrichtig um die Hilfe einer Gruppe junger Umweltschützer bemühten, die sich dem Erhalt der Wälder verschrieben haben.

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Der globale Wettbewerb, so die Firmenbosse, bedeute, daß man sich von der Konkurrenz der skandinavischen und asiatischen Unternehmen unterscheiden müsse. Bei sich annähernden Preisen, davon waren sie überzeugt, würde der Umweltschutz - in ihrem Fall die Waldpflege - zu einem wichtigen Faktor für das Kaufverhalten, etwa bei der Wahl des Toilettenpapiers oder der Papierhandtücher. Um sich auf diesen Wettbewerb einzustellen, mußten sie die Spielregeln kennen, also wollten sie von den Umweltschützern erfahren, welche Praktiken denn »grüne« Forstwirtschaft ausmachen. Das Unternehmen bat damit praktisch um Rat, wie es sein Umweltverhalten verbessern konnte. Die Umweltgruppe sollte helfen, globale Standards zu setzen - nicht, weil aus den Managern plötzlich Umweltschützer geworden wären, sondern weil sie veränderte Praktiken als wichtige Voraussetzung für größere Gewinne und langfristigen Erfolg ansahen. Und die Partnerschaft sollte auch keine Einbahnstraße sein: Für die Hilfe der »Ökos« waren die Manager bereit, bei anderen großen US-Holzfirmen für die vorgeschlagenen neuen Standards zu werben.

Partnerschaften wie diese gibt es immer mehr - eine ganze Reihe Global Players, entweder allein oder im Branchenverbund, ergreifen freiwillig Schritte zur Verringerung ihrer Um-welteinwirkungen oder zur Unterstützung von Gesetzesvorschlägen zum Umweltschutz. So ist beispielsweise British Petroleum aus dem Glied getreten und hat öffentlich unternehmerische Maßnahmen zum Schutz des Erdklimas befürwortet. Ferner wächst der öffentliche Druck auf die Unternehmen, sich sozialen und ökologischen Erwartungen zu stellen. Beispielsweise Firmen, die modische Kleidung oder Schuhe verkaufen, sehen sich gezwungen, ihre Praktiken zu überdenken und die Zusammenarbeit mit Lieferanten in Entwicklungsländern einzustellen, die Kinder ausbeuten oder die Sicherheit am Arbeitsplatz vernachlässigen.

Aber es sind erst eine Handvoll Weltunternehmen, die sich sozialen und ökologischen Zielen ebenso wie der Rendite verschrieben und ihre Verhaltensmuster und Unternehmensstrategien angepaßt haben. Daß die Privatwirtschaft insgesamt »grün« wird, deutet sich als Trend erst zaghaft an und ist noch


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keine erwiesene Tatsache. Aber wenn verschiedene führende Unternehmen mit dieser Strategie Erfolg haben, werden andere wohl gezwungen sein, auf den Kurs einzuschwenken. Und würden nicht gerade Weltunternehmen - eben weil sie globale Akteure sind - die neue Richtung überall in der Welt propagieren? Manche wollen genau das.

   Transformation der Industriegesellschaft  

Aber auch wenn die Global Players bereit dazu sind, müssen sie immer noch auf die Nachfrage, auf die Verbraucherwünsche reagieren. Die Verbraucher wiederum reagieren empfindlich, wenn es um Kosten geht. Die Preisgestaltung aber liegt nicht allein in der Hand der Hersteller und Händler, sondern wird über ökonomische Anreize zum Teil auch vom Staat bestimmt. In Italien beispielsweise ist die Mineralölsteuer hoch, also, und das überrascht kaum, verlangen die Italiener eher als die Amerikaner kleinere und sparsame Autos. Sowohl in Indien als auch im Westen der Vereinigten Staaten wird die Bewässerung von Feldern subventioniert - also wird dort viel Wasser verbraucht und werden dort sogar Feldfrüchte angebaut, etwa Reis in Kalifornien, die in solchen Trockenzonen anzubauen sich ohne diese Beihilfen gar nicht lohnen würde. Resultat: Der Wasserverknappung wird Vorschub geleistet.

Grob gesagt subventionieren die meisten Länder die Entnahme natürlicher Ressourcen, entweder unmittelbar oder durch ihr Steuersystem. So fördert die US-Regierung den Bergbau, die Forstwirtschaft und die Viehzucht auf staatlichem Grund, ferner die Förderung von Kohle, Ol und Erdgas sowie die Lebensmittelproduktion (über Agrar- und Wassersubventionen). Aber eben diese Aktivitäten sind eine wichtige Ursache für die Umweltverschmutzung und andere ökologische Probleme. Und niedrige Preise sind natürlich Anreiz für den Verbraucher, mehr Produkte aus diesen Naturressourcen zu kaufen, als sie sonst konsumieren würden. Die Politik läuft hier also dem Umweltschutz zuwider.


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Gleichzeitig erheben die meisten Industrieländer Abgaben für Arbeit und Beschäftigung, sowohl direkt durch Sozialversicherungsabgaben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer als auch indirekt durch die Einkommenssteuern. Aber diese — vor allem die von den Arbeitgebern zu tragenden Abgaben — wirken eher gegen Neueinstellungen, als daß sie sie fördern. Daher steht dieses System im Widerspruch zu den beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten, so sehr es für das Steuer- und Versicherungsaufkommen nötig sein mag.

Angenommen, die Industrieländer würden ihre Steuer- und Subventionspolitik — und damit jene ökonomischen Anreize, die Märkte beeinflussen — dahingehend ändern, daß sie langfristige soziale und ökologische Zielsetzungen fördern, anstatt ihnen entgegenzuwirken. Würden z.B. in den USA die Subventionen für natürliche Ressourcen — viele davon stammen noch aus der Zeit der Erschließung des Westens vor hundert Jahren — allmählich auslaufen, dann würde die Nachfrage nach Naturressourcen mit der Zeit abnehmen und ebenso die Umweltbelastung. Würden die so eingesparten Mittel zur Senkung der Steuerlast und Lohnsummensteuer verwendet, wäre das ein Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

Solche Vorschläge werden kontrovers diskutiert, aber das Prinzip, um das es geht, ist klar: Warum soll man den Markt nicht für soziale und ökologische Ziele nutzen, indem man wirtschaftliche Anreize für diese Zwecke schafft? Untersuchungen zufolge würde eine solche Anpassung nicht nur ökologischen und sozialen, sondern auch wirtschaftlichen Nutzen abwerfen, die Produktivität erhöhen und das Wachstum beschleunigen. Manche europäischen Länder wie Schweden gehen sogar noch weiter und erhöhen die Energiesteuer, während sie Einkommenssteuern und Lohnsummensteuern senken. Über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahrzehnten könnte eine solche Strategie die Industriegesellschaften schrittweise umwandeln und damit drohende soziale und ökologische Gefahren abwenden.


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  Die Macht der Information 

Eher noch als das Marktgeschehen in der Wirtschaft kann vielleicht der Markt der Meinungen menschliches Verhalten ändern. Den meisten Menschen macht es etwas aus, was andere von ihnen denken — das sollte auch bei Unternehmen und Regierungen der Fall sein. Daher können sich Gesetze und Vorschriften zur Offenlegung bestimmter Vorgänge nachhaltig auf das Verhalten auswirken.

Ende der 80er Jahre in Kraft getreten, verlangt ein US-Gesetz von den Unternehmen, ihre Emissionen offenzulegen, wobei es um mehrere Hundert toxische Stoffe geht. Diese Liste wird vom US-amerikanischen Umweltamt veröffentlicht und jährlich aktualisiert. Viele Umweltschützer fanden allein den Umfang der Liste potentieller Schadstoffe schwindelerregend - alle nach herrschendem Umweltrecht völlig legal. Ahnlich betroffen reagierten auch die Leiter vieler Chemieunternehmen und anderer für die Schadstoffemissionen verantwortlicher Firmen. Innerhalb kürzester Zeit gaben mehr und mehr Unternehmen freiwillige Umweltschutzmaßnahmen bekannt, und ein Jahrzehnt später ist der Umfang toxischer Emissionen drastisch gesunken.

Dasselbe Prinzip, d.h. Regulierung durch Offenlegung, liegt den Etiketten zugrunde, die den Verbraucher über die Inhaltsund Zusatzstoffe in Lebensmitteln oder den Benzin- oder Stromverbrauch von Autos bzw. Klimaanlagen informieren. Könnten vergleichbare Kennzeichnungen nicht auch als Zertifikate dafür dienen, daß bestimmte Forstprodukte nicht aus Urwäldern stammen oder Kleidung nicht von Kindern gemacht wurde?

Ferner könnten Offenlegungspflichten helfen, Gefahren für die Sicherheit abzuwehren. Wenn Unternehmen, die Waffen oder andere gefährliche Technologien herstellen, verpflichtet wären, zumindest staatlichen Behörden ihre Abnehmer zu nennen, würde allein dies schon weitgehend verhindern, daß Waffen in die Hände von Terroristen oder verbrecherischen Regimen geraten. Und angenommen, daß ein von Korruption geplagtes Land wie Mexiko ein Gesetz verabschiedet, das von


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Banken und anderen Kreditinstituten die Offenlegung aller finanzieller Transaktionen von Staatsbediensteten verlangt, würde dies der Bestechung ein Ende machen? Müßten die Regierungen selbst mehr über ihr eigenes Handeln informieren, würden die Bürger dann bessere Leistungen fordern? In einer Zeit allgegenwärtiger Medien, im Zeitalter des Internet, könnte die Offenlegungs- und Informationspflicht ein äußerst mächtiges Instrument zur Förderung konstruktiven und umweltfreundlichen Verhaltens darstellen.

  Aufstieg der Bürgerbewegungen 

Interessenpolitik von unten kann schon der einzelne Bürger machen, doch gewinnen organisierte Basisbewegungen, Umweltgruppen und andere freiwillige Zusammenschlüsse aller Art als soziale und politische Kraft zunehmend an Bedeutung. Zum einen gibt es unüberschaubar viele solcher Gruppen, zum andern sind sie effizienter und flexibler als staatliche Organe.

Es ist möglich, daß solche Gruppen auf effiziente Weise soziale Dienste anbieten und damit die Rolle der traditionellen Wohlfahrtseinrichtungen ergänzen. Kirchennahe soziale Einrichtungen in den Vereinigten Staaten beispielsweise haben bisher größere Erfolge bei der Bekämpfung von Armut und Drogensucht vorzuweisen als staatliche Institutionen, und von seiten der Städte und Bundesstaaten erhalten sie inzwischen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln. Weltweit gibt es eine Reihe von Staaten, die Bürgergruppen versuchsweise als Kanäle für die Entwicklungshilfe nutzen.

Eine noch wichtigere Rolle könnte den Basisbewegungen aus ihrem wachsendem Einfluß auf die soziale und politische Prioritätensetzung erwachsen. In den Vereinigten Staaten und Europa sind die Umweltschützer schon lange eine einflußreiche Lobby: Sie fordern neue Gesetze und Vorschriften, reichen Klagen ein und informieren die Medien. Heute gewinnen sie auch international an Bedeutung. Als kürzlich mehrere humanitäre, Menschenrechts- und Hilfsorganisationen und andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Vereinten Natio-


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nen auf ein zu verhandelndes Abkommen über ein Verbot von Landminen ansprachen, hieß es zunächst, Ergebnisse seien erst in zehn Jahren zu erwarten. Damit wollten sich die Gruppen nicht abfinden. Sie gründeten die International Campaign to Bari Landmines (ICBL, Internationale Kampagne zum Bann von Landminen), die außerhalb der UN die Weltöffentlichkeit und Regierungen mobilisierte. Dieser bemerkenswerte Erfolg - er brachte der ICBL und ihrer Koordinatorin Jody Williams den Friedensnobelpreis 1997 ein — wurde erzielt von einer »von unten« aufgebauten Massenbewegung, der heute weltweit rund tausend Nichtregierungsorganisationen angehören. Wichtig für ihre Kommunikation waren Internet und E-Mail. In weniger als zwei Jahren gelang es ihr mit Unterstützung der kanadischen Regierung, weltweit Publizität zu erlangen, Persönlichkeiten wie die verstorbene Prinzessin Diana zu gewinnen und erfolgreiche Verhandlungen für ein formelles Abkommen zu organisieren, das von neunzig Staaten verabschiedet wurde (Rußland, China, Indien und Pakistan blieben der Konferenz fern, die USA schlössen sich nicht an).

Solche Beispiele zeigen, daß NGOs die Möglichkeiten erweitern, mit denen Gesellschaften sich selbst regieren. Könnte dieses neue Phänomen helfen, die notwendigen Umwandlungen zu bewerkstelligen?

  Neues Zeitalter der Wohltätigkeit 

Bürgerinitiativen sind nicht das einzige neue und hoffnungsvolle Phänomen unserer Zeit. Als soziale Kraft beginnen auch einzelne Wohlhabende und Stiftungen zu wirken. Nachdem die Vereinten Nationen 1997 durch die Weigerung der Vereinigten Staaten, ihre Schulden zu begleichen, kurz vor dem Bankrott standen, gab der Medienunternehmer Ted Turner (CNN) bekannt, die UN mit einer Spende von einer Milliarde Dollar fördern zu wollen. Wenige Monate später verkündete der Finanzmann George Soros, seit langem ein Förderer der Über-gangsländer, er wolle Rußland 500 Millionen Dollar zukommen lassen — genau soviel wie die offizielle US-Hilfe für das Land.


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Für sich genommen bedeuten diese spektakulären Spenden noch kein neues Engagement der Reichen allgemein, obwohl Turner versprach, andere Vermögende aufzufordern, mit ihm in Sachen Wohltätigkeit zu konkurrieren. Doch sind sie deutliches Anzeichen für noch nie dagewesenes Privatvermögen, das die Zahl herkömmlicher Stiftungen vergrößern wird. Mit einem Stiftungsvermögen von acht Milliarden Dollar ist die jüngst gegründete David and Lucile Packard Foundation eines der beiden Gründer der Computerfirma Hewlett-Packard die erste einer ganzen Reihe von Stiftungen von High-Tech- und Medienunternehmen. Deren Vermögen wird allein in den Vereinigten Staaten in den nächsten Jahrzehnten auf geschätzte eine Billion Dollar anwachsen.

Könnte das Spenden- und Stiftungswesen zur Finanzierung sozialer Reformen in den Industrieländern und zur Beschleunigung der Entwicklung in den ärmeren Regionen beitragen? Bereits heute speist sich daraus weitgehend die Unterstützung für Bürgerinitiativen und andere Basisbewegungen. Aber könnten die Wohltäter auch zu Aktivisten werden und Reformen in Staat und Regierung fordern (und finanziell fördern), also beispielsweise neue Bildungs- und Ausbildungsansätze, Verbesserungen im Gesundheitswesen und im Zugang zum Internet für ärmere Regionen unterstützen?

 

  Dynamisierung der Entwicklung 

Möglichkeiten, einige der bedrohlichsten Trends abzuwenden, sind reichlich vorhanden. Beispielsweise die Bildungschancen der Frauen zu verbessern und den Ärmsten der Gesellschaft den Zugang zu Verhütungsmitteln und Gesundheitseinrichtungen zu ermöglichen, sind Maßnahmen, die praktisch für alle Entwicklungsländer durchführbar wären und erheblich zur Verringerung des Bevölkerungswachstums beitragen könnten. Zielgerichtete Programme zur Verbesserung der wirtschaftlichen Möglichkeiten derselben Bevölkerungsgruppen würden einiges zur Beseitigung der schlimmsten Armut leisten.


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Doch würde ein kreativeres Potential erschlossen, wenn Entwicklungs- und Industrieregionen kooperierten. Für die Umsetzung eines Klimaabkommens beispielsweise gäbe es die Möglichkeit, den zur Senkung ihrer Treibhausgasemissionen verpflichteten Unternehmen zu erlauben, dies überall in der Welt zu tun. Der Atmosphäre ist es schließlich egal, ob Kohlendioxid von einer Raffinerie in New Jersey oder von einem Kohlekraftwerk in China ausgestoßen wird — was zählt, ist die kumulative Wirkung. Wenn also eine US-Firma ihre Emissionen kostengünstiger z.B. an ihrem Standort in China senken könnte und dafür immer noch mit dem entsprechenden Bonus honoriert würde, dann könnten die für effizientere Technologien in den Entwicklungsländern erforderlichen Investitionen rasant steigen. Schätzungen zufolge könnte dieser Ansatz letztendlich sogar Hunderte Milliarden Dollar jährlich in die Entwicklungsregionen pumpen, ihre Dynamik beschleunigen und gleichzeitig zur Stabilisierung des Weltklimas beitragen.

Ob nun durch ein Klimaabkommen oder andere neuartige Mechanismen, klar scheint, daß wir neue Instrumente für die Kapitalwiederanlage und den Wohlstandsausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsregionen brauchen, um das wachsende Wohlstandsgefälle zu verringern und die Aussichten der ärmeren Regionen zu verbessern. In den meisten Ländern vollzieht sich dieser Wandel in gewissem Ausmaße bereits im Inneren, entweder durch gestaffelte Einkommenssteuern, Sozialhilfeprogramme oder andere Formen der Umverteilung. Auf internationaler Ebene aber sind nur Mechanismen wie Entwicklungshilfe oder Direktinvestitionen von Unternehmen in Entwicklungsländer verfügbar.

Die bisherige Entwicklungshilfe, ob zwischenstaatlich oder über Institutionen wie die Weltbank, reicht einfach nicht aus, um das Blatt für die meisten Entwicklungsregionen zu wenden. Zudem sind Maßnahmen nach dem Top down-Prinzip, über die Regierungen also, vor allem in »schwachen« Staaten meist wenig erfolgreich. Private Investitionen nehmen zu, beschränken sich aber auf eine kleinere Zahl von Ländern und gehen vor allem nicht an jene ärmsten Staaten, die am meisten der Hilfe bedürfen.

Praktisch haben wir den globalen Kapitalismus, aber keine geeigneten Instrumente zur Bewältigung globaler Probleme, ob sie nun Unterentwicklung, Währungskrise oder weltweite Kriminalität heißen.

Der Umfang internationaler Währungstransaktionen beträgt heute mehr als 1,25 Billionen Dollar täglich und wächst rasch. Ebenso nehmen das internationale Handelsvolumen und die grenzüberschreitenden digitalen Informationsströme über Satelliten und Unterseekabel zu. Aber international werden weder die globalen Geld- noch die Waren- noch die Informationsströme besteuert. Die globale Ökonomie wächst ungehindert von Abgaben, globale Bedürfnisse bleiben unbefriedigt. Wäre es nicht möglich, globale Aktivitäten direkt zu besteuern, um auch globale Bedürfnisse zu befriedigen, vielleicht durch Einrichtung eines globalen Entwicklungsfonds oder andere innovative Instrumente der Wiederanlage von Kapital?

Selbst eine sehr geringe globale Steuer - weit weniger als ein Prozent - könnte ein riesiges Aufkommen erbringen, angesichts des Umfangs und der Wachstumsrate der Weltwirtschaft. Ließen sich diese Mittel nicht zur Vernetzung und Finanzierung von Bürgergruppen und somit zur Förderung einer Bewegung »von unten«, Dorf für Dorf, Slum für Slum verwenden - und damit praktisch zur Förderung der selbständigen Entwicklung dieser Gemeinschaften? Um diesen Prozeß zu unterstützen: Ließen sich die Möglichkeiten und die Reichweite der globalen Unternehmen nicht dazu nutzen, die Weltunternehmen sozusagen zu »mieten« (direkt oder durch geeignete Anreize)? Auf diese Weise könnten sie in den Entwicklungsländern helfen, den Zugang zu Gesundheitsdiensten oder landwirtschaftlicher Beratung und Kleinkrediten zu verbessern. Dazu wären sie besser als schwache Regierungen in der Lage.

Der Möglichkeiten sind viele. Lassen sich solche hoffnungsvollen Denkmodelle in die Praxis umsetzen? Es geht, urteilt eine ganze Flut von Untersuchungen, aber politisch hängt es von den Entscheidungen der Gesellschaft ab. Letztlich also von uns.

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   KASTEN 

 

Was lehren uns die Szenarien?

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Die Marktwelt veranschaulicht die Kraft der Märkte als Motor des Wirtschaftswachstums und der Erschließung neuer Möglichkeiten. Aber es zeigt auch die Grenzen auf, die der Freisetzung dieser Kräfte entgegenstehen. In einigen der ärmsten Länder beispielsweise sind Rechtsstaatlichkeit, wirksame Regierungsgewalt und andere institutionelle Voraussetzungen für funktionierende Märkte noch nicht voll entwickelt. Bis dahin sind Wohlstand oder selbst die Verringerung der Armut wohl kaum zu erreichen. In vielen Entwicklungs- und Übergangsländern dominieren immer noch zentrale Entscheidungs­gewalt und staatseigene Unternehmen. Ohne Wirtschaftsreformen wird es dort keine funktionierenden Märkte geben. Schranken gibt es selbst in den Industrieregionen: Der Protektionismus in Japan und die eng regulierten Arbeitsmärkte in Europa beispielsweise verzerren die Volkswirtschaften, weil sie hohe Preise in Japan und hohe Arbeitslosigkeit in Europa bewirken.

Gleichzeitig aber zeigt der Vergleich einer Markt- mit einer Festungswelt, daß der Markt nicht alles leisten kann. Unter rein kapitalistischen Bedingungen würden die Umweltzerstörungen zunehmen, ebenso das Wohlstandsgefälle zwischen Reichen und Armen. Auch die illegale Migration und andere soziale Probleme könnten sich verschärfen. Zudem verlangt globales Wirtschaften zunehmend bestimmte Formen globaler Regulierung oder ein beispielloses Maß an Kooperation zwischen den nationalen Regierungen. Dies dient beispielsweise dazu, das weltweite Verbrechen einzudämmen, finanzielle Instabilität zu verhindern, technische Normen festzulegen und Handelskonflikte zu lösen. Und wie sollte die Welt jene Staaten behandeln, die wie Somalia scheitern, oder wie Irak für andere zum Sicherheitsrisiko werden, oder wie Mobutus Zaire kollabieren? Darauf gibt die Marktwelt keine Antwort.

Eine vorläufige Antwort auf dieses Dilemma bietet allerdings die Reformwelt. Sie schlägt Lösungen vor, die politisch radikal scheinen und ein erstaunliches soziales Handeln voraussetzen. So klingt die Umverteilung von Land der Vermögenden an die Armen etwa durch Auflösen von Großgrundbesitz wie in Lateinamerika gewiß radikal. Bodenreformen aber waren in Südkorea, in Taiwan und — unter anderen Vorzeichen — in China erfolgreich, wo sie sich als Eckpfeiler rasanter ländlicher Entwicklung erwiesen und den Wirtschaftsboom auslösten. Oder der Gedanke, daß Bürgerinitiativen gesellschaftliche Bedingungen weit wirksamer verändern können als Regierungen: Er würde idealistisch anmuten, gäbe es nicht die greifbaren Erfolge der schwarzen Gemeinden in den US-amerikanischen Innenstadtgebieten, oder die der Gemeindeentwicklung in den indischen Dörfern und der Frauengruppen in vielen anderen Ländern.

Die Reformwelt betont die Notwendigkeit anhaltender politischer Reformen. Diese stehen möglicherweise in Verbindung mit Dezentralisierungsstrategien, die eine echte Demokratisierung bedeuten und mehr Menschen die Beteiligung an sie unmittelbar betreffenden Entscheidungen ermöglichen würde. Vorgeschlagen wird hier ein Überdenken der im bisherigen System verankerten finanziellen Anreize, die sowohl die Entscheidung Einzelner als auch von Unternehmen beeinflussen. Sie tun das auf eine Weise, die sowohl der Umwelt als auch sozialen Zielen schaden - durch Subventionen beispielsweise, die den verschwenderischen Umgang mit Naturressourcen fördern, oder Steuern, die sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen negativ auswirken.

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 Kasten Ende


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Zusammenfassend ...

 

Welche Aussichten hat die Menschheit? Ich bin optimistisch, daß sie den Willen und die Kreativität aufbringen wird, die Hindernisse und Herausforderungen zu bewältigen und den Weg in eine Zukunft zu finden, die eher die Züge einer Reformwelt als die einer Festungswelt aufweist. Aber ich gebe mich keinen Illusionen hin: Es wird nicht leicht, nichts wird sich von selbst ergeben, und es werden nicht alle Regionen den gleichen Kurs einschlagen.

Ich erwarte vom Lauf der Dinge - sofern ich noch einen großen Abschnitt der nächsten fünfzig Jahre selbst erlebe - vor allem Überraschungen: Die menschliche Gesellschaft und die Komplexität der heutigen Welt lassen sehr viel mehr Möglichkeiten zu, als man sich vorzustellen vermag.

Daß wir die Zukunft nicht voraussagen können, ist nicht so schrecklich wichtig. Wichtiger ist, daß wir sie gestalten können: daß wir uns eine wünschenswerte Zukunft vorstellen können und dann darüber nachdenken, wie wir sie verwirklichen werden. Dazu gehört unbedingt etwas strategisches Denken. Die Menschheit ist nicht bloß ein Gast auf dem Globus. Allein die riesige Zahl von Menschen und die Tiefe und Reichweite menschlichen Handelns zeitigen nachhaltige, vielleicht unumkehrbare ökologische Wirkungen. Ebenso bedeutend sind die Fähigkeit zur Zerstörung und das Potential vom Menschen verursachter Katastrophen. Die Zwänge, die uns die endlichen Ressourcen des Planeten, die uns Armut und Unwissenheit auferlegen, sind real. So wie Eltern sich bemühen, ihre Kinder zu lehren, »an später« zu denken, für die Zukunft vorzusorgen und sich nicht einfach treiben zu lassen, so ist es höchste Zeit für die Menschheit, genau das gleiche zu lernen.

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Which World? Online

Ein HyperForum für die Zukunft

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Ein HyperForum ist ein Instrument für online-Diskussionen, das die interaktiven Hypertext- und Hypermedia-Funktionen des World Wide Web nutzt.

Dem Leser wird angeboten, unter http://www.hf.caltech.edu/WhichWorld die Site des »Which World? HyperForum« im Internet zu besuchen. Dort findet er eine Zusammenstellung der globalen und regionalen Szenarien aus diesem Buch, Diagramme mit kritischen Trends und interaktive Werkzeuge zur Erkundung alternativer Zukünfte. Querverweise führen zu weiteren Büchern, Berichten und Daten, die für das Thema wichtig sind.

Zweck dieses HyperForums ist es, Schülern, Studenten, Lehrern, Wissenschaftlern und anderen Interessierten zu ermöglichen, sich mit wichtigen Zukunftsfragen zu beschäftigen - etwa den unterschiedlichen Weltsichten, die den Szenarien zugrundeliegen, der Bedeutung langfristiger Trends, der Wechselwirkung zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren bei der Gestaltung der Zukunft und der Bedeutung kritischer politischer Fragen. Es bietet ferner Gelegenheit zu online-Diskussionen über Which World?

In ihrem Verlauf können die Besucher andere Teilnehmer kennenlernen und neue Kontakte knüpfen und damit den Kreis der an unserer Zukunft Interessierten vergrößern. Um die Möglichkeiten der Website auszuschöpfen, werden Java-fähige Browser wie Netscape Navigator und Microsoft Internet Explorer empfohlen.

HyperForum wurde gemeinsam vom California Institute of Technology, von der Rand Corporation und vom World Resources Institute entwickelt und aus Mitteln der John and Mary R. Markle Foundation finanziert. Ermöglicht wurde das Which World? online-HyperForum durch Fördermittel der John D. and Catherine T. MacArthur Foundation.

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Ende

 

 

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