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3. Der dunkle Staat

Prof. Bernd Hamm 2014

 

 

In Wirklichkeit wird die Welt zunehmend von einem "dunklen Staat" regiert (auch die Geheime Regierung genannt, z.B. Moyers, B. 1987), unkontrolliert durch demokratische Mechanismen, immer wieder von einigen "Verschwörungs­theoretikern" diskutiert, für den erdrückende Beweise erst vor kurzem durch Wiki-Leaks, Edward Snowdon und andere Whistleblower vorgelegt wurden.

Obgleich Präsident Obama seine innen- und finanzpolitischen Vorhaben wegen ständiger Blockaden durch die Republikaner im Kongress nicht durchbringt, schafft er es doch, angebliche Terroristen ohne ordentliches Gerichts­verfahren umzubringen, Menschen ohne Anklage auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis werfen, Schleppnetz-Überwachung ohne richterliche Ermächtigung durchführen zu lassen und eine nie dagewesene Hexenjagd gegen Bundesangestellte (das sogenannte "Insider Threat Program") zu inszenieren.

Innerhalb der Vereinigten Staaten wird diese Macht auf einschüchternde Weise durch militarisierte Strafverfolgungsbehörden auf Bundes-, Einzelstaats- und lokaler Ebene demonstriert. Außerhalb kann er nach Belieben Kriege anzetteln, Drohnenmorde anordnen, gemietete Söldner einsetzen. Als 2011 das politische Gerangel über die Schuldenobergrenze begann, Washington zu paralysieren, hat die Regierung es dennoch geschafft, irgendwie die Mittel zusammenzubringen, um Muammar Ghaddafis Regime in Libyen zu stürzen und offene und verdeckte Unterstützung für die französische Intervention in Mali zu leisten.

Zur Zeit erhitzter Debatten über Fleischinspektionen und zivile Luftverkehrskontrollen angesichts der Budgetkrise war die Regierung in der Lage, irgendwie $ 115 Million zusammenzukriegen, um den Bürgerkrieg in Syrien in Gang zu halten und der britischen Regierung wenigstens £ 100 Millionen für Einfluss auf und den Zugang zu Informationen des Government Communications Headquarter zu kaufen.

Seit 2007 sind zwei Autobahnbrücken wegen mangelhaftem Unterhalt zusammengebrochen, dabei sind dreizehn Menschen umgekommen. In der gleichen Zeit hat die Regierung $ 1,7 Milliarden für den Bau eines Gebäudes in Utah ausgegeben, das so groß ist wie siebzehn Fußballfelder. Dieses Mammutgebäude soll es der National Security Agency erlauben, einen Yottabite an Informationen zu speichern (der größte numerische Designator, den sich Computerwissenschaftler ausgedacht haben). Ein Yottabite entspricht 500 Quintillionen Seiten Text. Die brauchen so viel Platz, um jede Spur unseres elektronischen Lebens zu archivieren (Lofgren, M. 2014).

"Ja, es gibt eine andere Regierung, versteckt hinter der, die man an beiden Ende von Pennsylvania Avenue sehen kann, eine Kreuzung von öffentlichen und privaten Institutionen, die das Land jederzeit nach einem bestimmten Muster regiert, die verknüpft ist, wenn auch nur zeitweilig kontrolliert, mit dem sichtbaren Staat, dessen Führer wir wählen."

Der Dunkle Staat ist eine Mischung aus nationalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden: dem Verteidigungsministerium, dem Außenministerium, dem Ministerium für innere Sicherheit, der CIA und dem Justiz­ministerium. Dazu gehört auch das Finanzministerium, in dessen Zuständigkeit die Geldflüsse fallen, die Durchsetzung internationaler Sanktionen sowie die organische Symbiose mit der Wall Street.

Alle diese Behörden werden durch das Executive Office des Präsidenten über den Nationalen Sicherheitsrat koordiniert. Einige Schlüsselbereiche des Rechtssystems gehören ebenfalls zum Dunklen Staat, wie z.B. der Foreign Intelligence Surveillance Court, dessen Handeln selbst für die meisten Mitglieder des Kongresses geheimnisvoll bleibt.

"Es gibt derzeit 854.000 zivile Personen auf Vertragsbasis, die Zugang zu streng geheimen Unterlagen haben — eine Zahl, die höher liegt als jene der Regierungsangestellten mit Zugang zur höchsten Geheimhaltungsstufe. Seit dem 11. September wurden in oder um Washington herum 33 Einrichtungen für streng geheime Nachrichtendienste gebaut. Zusammen nehmen sie eine Bürofläche von beinahe drei Pentagons ein, ungefähr siebzehn Millionen Quadratfuß.

Siebzig Prozent des Budgets der Gemeindienste werden für vertragliche Dienste aufgewendet. Die Membran zwischen Regierung und Privatwirtschaft ist überaus durchlässig: Der Direktor der Nationalen Nachrichten­dienste, James R. Clapper, war früher leitender Angestellter von Booz Allen Hamilton, einem der größten Geheimdienst-Auftragnehmer [Edward Snowdons früherer Arbeitgeber; Eigentümer der Kanzlei ist die Carlyle Group]. Sein Vorgänger im Amt, Admiral Mike McConnell, ist zurzeit der Vizepräsident der gleichen Gesellschaft; Booz Allen hängt zu 99 Prozent von Staatsaufträgen ab.

Solche Vertragsfirmen bestimmen zunehmend den politischen und sozialen Ton in Washington, so wie sie zunehmend die Richtung bestimmen, in der sich das Land bewegt, aber sie tun das leise, ihr Handeln wird nicht im Congressional Record oder im Federal Register festgehalten und sie sind selten Gegenstand von Kongressanhörungen" [22].

Die leitenden Angestellten der Finanzriesen genießen sogar de facto Immunität. In einer Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Senates am 6. März 2013 sagte Justizminister Eric Holder:

"Ich mache mir Sorgen, weil einige dieser Institutionen so groß wurden, dass es schwer für uns wird, sie zu verfolgen, wenn man uns sagt, dass negative Folgen für die Volkswirtschaft oder gar die Weltwirtschaft entstehen, wenn wir ein strafrechtliches Verfahren eröffnen."

Sie alle sind waschechte Vertreter der offiziellen Ideologie der herrschenden Klasse, einer Ideologie, die weder demokratisch noch republikanisch ist. Im Inland glauben sie beinahe unterschiedslos an die neoliberalen Prinzipien des Washington Consensus: Finanzialisierung, Outsourcing, Privatisierung, Deregulierung und den Warencharakter der Arbeit. International treten sie für den American Exceptionalism ein: das Recht und die Pflicht der Vereinigten Staaten, sich überall auf der Welt einzumischen mit diplomatischen Zwangsmitteln und Militär, und vermeiden sorgsam die so schwer erkämpften Regeln internationalen zivilisierten Verhaltens. Durch lange eingeübte, wenngleich immer mehr intensivierte Formen der Zusammenarbeit reicht der Einfluss des Dunklen Staates bis weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus (Lofgren, M., 2014).

Nach Dokumenten, die Edward Snowdon [23] der Washington Post zugänglich machte, betrug das geheime schwarze Budget der sechzehn US-Geheimdienste zusammen 52,6 Milliarden Dollar und sie beschäftigten 107.035 Personen in 2013 [24]. Als das Repräsentantenhaus beschloss, sich nicht in die Ausspähaktionen der NSA einzumischen, stellte sich heraus, dass die 217 Nein-Stimmenden doppelt so viele Zuwendungen von der Verteidigungs- und Geheimdienstlobby erhielten als die 205 Ja-Stimmenden.

Die Untersuchung wies nach, dass das Geld dieser Lobbies ein besserer Prädiktor des Abstimmungsverhaltens war als die Parteizugehörigkeit. Repräsentanten, die sich für die Fortsetzung des Telefon-Metadaten-Programms aussprachen, erhielten im Mittel 122 Prozent mehr Geld aus diesen Quellen als diejenigen, die es gerne beendet gesehen hätten. Politische Aktionskomitees [25] und Angestellte von Verteidigungs- und Geheimdienstfirmen wie Lockheed Martin, Boeing, United Technologies, Honeywell International brachten $12,97 Millionen an Zuwendungen für die Zweijahresperiode 2010-12 zusammen. Parlamentarier, die sich dafür aussprachen, das NSA-Programm fortzusetzen, bekamen im Durchschnitt $41.635 aus diesem Topf, während solche, die dem widersprachen, nur $18.765 im Mittel erhielten (Boehm, E. 2014).

Natürlich fand man diese Information niemals in den Mainstream-Medien.

Amerikas Sicherheitseliten handeln auf der Grundlage der Annahme, dass jeder Winkel und jede Spalte des Globus von größter strategischer Bedeutung ist und dass amerikanische Interessen überall bedroht sind. So ist es nicht verwunderlich, dass sie in einem fortdauernden Angstzustand leben. Sie brauchen eine Politik der globalen Dominanz, um die Welt für Amerika sicher zu machen. Schon ein kurzer Blick auf die Weltkarte zeigt, dass diese Wahrnehmung bis zur Lächerlichkeit falsch ist. Die herrschende Klasse erschafft erst die Feinde, die sie dann bekämpfen will.

Der nationale Sicherheits-Staat ist bemerkenswert unkontrolliert und unausgewogen (GAO 2014). In jüngster Zeit verändert sich diese labyrinthische Struktur der Geheimdienste hin zu Kampfverbänden; das Militär (mit seinem eigenen Geheimdienst, den Sondereinsatzkräften, der in ihm wächst) und das Department of Homeland Security, eine Monsteragglomeration von Behörden, die tatsächlich ein zweites Verteidigungsministerium darstellt, und das unüberschaubare Kontingent der Waffenproduzenten, der Auftragnehmer, der Profiteure, die durch eine Armee von Lobbyisten gestopft werden, hat niemals aufgehört zu wachsen (Kravets, D. 2013, London, E. 2014) [26].

Unter den Privatunternehmen ist "Googles schleichende Militarisierung" kürzlich herausgestellt worden (Cleland, S. 2014).

"Obama ist nur ein bereitwilliger Erfüllungsgehilfe. Aus der Sicht der herrschenden Klasse ist er eine perfekte Gallionsfigur, weil seine bloße Erscheinung viele verwirrt und entwaffnet. Es scheint, als habe er sich sein ganzes Leben lang immer wieder angeboten, Judas zu spielen. Mehr gibt es aus seinem Lebenslauf nicht zu berichten" (Whitney, M. 2014; siehe auch Ford, G. 2014a; Ford, G. 2014b; Chomsky, N. 2014).

Seine Reden klingen immer wieder wie aus einem Büro im Wolkenkuckucksheim, weit entfernt von der wirklichen Welt [27].

Ein erstaunlicher neuer Bericht trägt Beweise dafür zusammen, wie einige der weltgrößten Unternehmen sich mit privaten Nachrichten- und Geheimdiensten zusammengetan haben, um Aktivisten und Nichtregierungs­organisationen auszuspionieren. Umweltaktivisten sind prominente, aber keineswegs alleinige Opfer solcher Aktivitäten. Eine der Gruppen, die ganz besonders und von verschiedenen Unternehmen verfolgt worden sind, ist Greenpeace.

In den 1990er Jahren wurde die Gruppe besonders beobachtet von der privaten Sicherheitsfirma Beckett Brown International (BBI) im Auftrag des weltweit größten Herstellers von Chlor, Dow Chemical, weil die Umweltorganisation eine Kampagne gegen den Gebrauch von Chlor zur Herstellung von Papier und Plastik durchgeführt hatte. Greenpeace-Büros in Frankreich und Europa wurden durch französische private Nachrichten­dienste im Auftrag von Electricite de France, dem weltgrößten Betreiber von Atomkraftwerken, der zu 85% der französischen Regierung gehört, gehackt und ausspioniert. Die Ölfirmen Shell und BP hatten die Privatdedektei Hackluyt beauftragt, der enge Beziehungen zum MI6 nachgesagt werden, um Greenpeace zu unterwandern.

Viele der weltgrößten Unternehmen und ihre Wirtschaftsverbände, darunter die US-Handelskammer, Walmart, Monsanto, Bank of America, Dow Chemical, Kraft, Coca-Cola, Chevron, Burger King, McDonald's, Shell, BP, BAE, Sasol, Brown & Williamson und E.ON sind mit geplanten oder vollzogenen Spionageakten gegen NGOs, Aktivisten und Whistleblower in Verbindung gebracht worden" (Ruskin, G. 2013).

Der Dunkle Staat ist nur möglich wegen der strukturellen Vorteile, die die Exekutive vor der Legislative und der Judikative genießt [28].

Die Executive ist das bevorzugte Ziel der Lobbies und der Spender; sie hat direkten Zugriff auf die Sicherheits- und Geheimdienstapparate; sie ist Partner in internationalen Verhandlungen und Ziel der Medien; sie steht in Diskussionen mit Wirtschaftsgiganten. Während die Demokratie in der Theorie auf Gewaltenteilung beruht, unterliegt die Exekutive immer der Versuchung, demokratische Kontrollen zu auszuhebein.

Ein beunruhigendes Merkmal dieses Ungleichgewichts ist die unglaubliche Menge Geld, die ohne wirkliche Rechenschaft ins Militär gepumpt wird (Black Budget 2013). Viel von der öffentlichen Aufregung über die Spionage­tätigkeit der NSA ist heuchlerisch: Natürlich spähen Nachrichtendienste nicht nur andere Länder aus, sondern auch oppositionelle Gruppen und Unternehmen. Das war auch schon unter dem Echelonsystem der Fall.

Solange Regierungen sich gegenseitig in einer grundsätzlich feindlichen und kompetitiven Welt wahrnehmen, dürfte sich das auch kaum ändern. Demokratische Kontrollmechanismen sind viel zu schwach, um wirklich wirksam zu sein. Sehr oft bleiben selbst die Regierungen im Dunkeln über die Zusammenarbeit ihrer Nachrichtendienste mit der NSA (Greenwald, G. 2014).

Verdeckte Operationen sind in aller Regel kriminelle Handlungen, die von Regierungen oder regierungsähnlichen Institutionen ausgeführt werden. Sehr oft liegen sie nahe beim Staatsterrorismus (Folter, Verschleppung, Operationen unter falscher Flagge, Regimewechsel, Kriegstreiberei, Ausspähung ohne richterlichen Beschluss).

Aber auch in Unternehmen gibt es kriminelles Verhalten [29]. Unternehmerverbände sorgen zusammen mit bestochenen Politikern dafür, dass Gesetze gemacht werden, die unrechtmäßiges Verhalten schützen und erleichtern und vor Strafverfolgung abschirmen. Gesetze werden zu ihren Gunsten gemacht [30]. Geldwäsche hilft, Gelder aus kriminellen Ursprüngen zu waschen und in legale Geschäfte zu investieren. Die Grenzen zwischen legalem und illegalem Verhalten werden zunehmend verwischt. Vor allem Finanzinstitute sind hier besonders anfällig [31].

Gladio hat Mafiakiller benutzt, um zu verhindern, dass Linke in demokratischen Wahlen zu Ämtern kommen; der deutsche BND benutzt Rechtsextreme und Kriminelle, um Neo-Nazi-Gruppierungen zu infiltrieren (siehe z.B. Schmidt-Eenboom, E. 1995). Die Theorie des „Feindes im Inneren" dient dazu, innere Unterdrückung zu rechtfertigen - was allerdings schon seit Jahrzehnten üblich war, um Opposition und Abweichler unter Kontrolle zu halten.

Von Ex-Vizepräsident Dick Cheney sagt man, er habe seine persönliche Todesschwadron befehligt und persönlich, ebenso wie Obama, Folterungen genehmigt (Harris-Gershon, D. 2013;Zenko, M. 2013).

Die neoliberale Ideologie hat dazu beigetragen, staatliche Regulierungen abzubauen und Reichtum bei den 1% anzuhäufen. Jetzt sind sie in der Lage, einen erheblichen Teil der staatlichen Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Sie und ihre Vermögen werden von Heerscharen von Parlamentariern, Managern, Wirtschaftsprüfungsunternehmen, Anwälten, Steuerberatern, Denkfabriken, Radiosendern, Filmstudios, Verlegern, Medien, Forschern, Schreiberlingen, Lobbyisten, Bodyguards und anderen Lackeien in ihren Diensten beraten und geschützt.

Privateigentum ist das Goldene Kalb des Kapitalismus und unregulierter Kapitalismus die Bibel der herrschenden Klasse. Sie können selbst Polizei und Militär in ihrem Interesse mobilisieren. Dafür bleiben der Nationalstaat und seine Regierung wichtige Institutionen - vor allem aber müssen sie die Massen unter Kontrolle halten. Nationalstaaten können leicht gegeneinander ausgespielt werden, z.B. zur Steuervermeidung.

Und dabei schaffen es die Reichen auch noch, sich in der Öffentlichkeit bewundern zu lassen als die wahren Helden der Gesellschaft, die Stars des Erfolgs, die Personifizierung dessen, was einmal der amerikanische Traum genannt wurde (Polk, S. 2014).

Dies ist das Ende des Projekts Demokratie und die endgültige Übernahme durch die Plutokratie, ein stiller Staatstreich.

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Hamm, Bernd, Prof. (2014) Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen - Artikel, Essay