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11. <Der letzte Intelligenztest>

Von Prof. Heinz Haber, 1973

 

 

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Just in den Monaten, in denen ich das Manuskript zu diesem Buch verfaßte, habe ich begonnen, für das ZDF eine neue Sendereihe vorzubereiten. Es drehte sich um eine Reihe von Geschichten aus der Zukunft der Menschheit. Für diese in den letzten Jahrzehnten sehr populär gewordene Literaturgattung gibt es noch keine rechte deutsche Übersetzung. Jeder allerdings kennt sie unter der Bezeichnung <Science-fiction>. Wie in allen Literatur­gattungen gibt es dabei freilich auch viel Kitsch und billige Abenteuerstories. Es gibt allerdings auch Science-fiction-Geschichten, die sehr ergreifend und erschütternd sein können. Einer dieser Stories habe ich den Titel gegeben <Der letzte Intelligenztest>. Den gleichen Titel habe ich hier gewählt.

Die Geschichte war diese: 

Etwa 20 bis 30 Jahre in der Zukunft begibt sich ein bemanntes Raumschiff mit einer Besatzung von sieben internationalen Astronauten und Astronautinnen auf eine Marsexpedition. Die Dauer der Reise ist auf über ein Jahr angesetzt mit einem Aufenthalt von etwa zwei Monaten auf unserem Nachbarplaneten. Auf dem Wege zum Mars, und zwar kurz vor ihrer Ankunft, bricht plötzlich jede Verbindung mit dem Raumschiff ab. Alle Bemühungen der überaus raffiniert ausgestatteten Bodenstationen zur Wiederaufnahme einer Verbindung bleiben vergeblich. Nach drei Monaten schließlich gibt die Weltöffentlichkeit die Hoffnung auf. Der erste Versuch der Menschheit, einen Nachbarplaneten zu erreichen und dort mit einer bemannten Expedition zu landen, hat mit dem Opfer von sieben Menschen geendet.

Auch gab es gar keine Möglichkeit, von der Erde aus festzustellen, was überhaupt schiefgegangen war. Zumal würde eine zweite Expedition zur Nachforschung oder gar zur Rettung viel zu lange Zeit in Anspruch nehmen. So nahm das Rätselraten unter den Wissenschaftlern, der Regierungen, der Stammtische und der Wahrsager über das Schicksal der Expedition kein Ende. Ein phantasievoller Fernsehautor schließlich überzeugte seinen Intendanten, eine interessante Theorie über das Geheimnis der Expedition zu einer Fernsehsendung verarbeiten zu dürfen. 

Nach längeren Kämpfen wurde ihm der Auftrag erteilt, und es entstand daraus ein packendes Fernsehspiel:

Ein Raumschiff aus den Tiefen des Alls, bemannt mit «Intelligenzinspektoren» aus unserer Milchstraße, hat das irdische Raumschiff kurz vor Erreichen des Planeten Mars gekapert. Dieses Inspektionsteam handelte im Auftrag der «Galaktischen Union», einer Art von United Nations vieler Welten in unserer Milchstraße, deren Bewohner sich durch ihre Intelligenz für die Mitgliedschaft in dieser Union qualifiziert hatten. Die irdische Menschheit war schon lange beobachtet und für einen dieser Intelligenzqualifikationstests ausersehen worden. Das irdische Raumschiff zum Mars mit seiner Besatzung erschien als ideale Auslese für die intelligente irdische Menschheit.


Diese Vertreter der irdischen Menschheit bestanden in den Wissenschaften, in der Philosophie, in den Künsten und in den edlen Emotionen alle Tests, da die Gattung homo sapiens des Planeten Nummer drei unseres Sonnensystems auf diesen Gebieten auf hervorragende Leistungen hinweisen konnte. Den letzten Intelligenztest jedoch bestanden sie nicht. 

Im Gegensatz zu der Vielzahl aller anderen bewohnten Planeten in der Milchstraße ist unsere Erde für das Wachstum und das Überleben einer intelligenten Gattung hervorragend ausgestattet. Dieser Planet nämlich besitzt nicht nur freien Sauerstoff in seiner Atmosphäre; er hat auch durch den gerade richtigen Abstand von seiner Sonne ein hervorragendes Klima. Und das Wichtigste schließlich: Die Erde besitzt einen fast unerschöpflichen Schatz an dem wertvollsten Material des Universums, nämlich Wasser. Kaum eine der anderen intelligenten Gattungen von den anderen Planeten aus den Tiefen der Milchstraße hatte solch günstige Startbedingungen für ihr Überleben.

Und darin hat die irdische Menschheit versagt. Sie hat nämlich diesen unerhört wichtigen und wertvollen Schatz schon fast verrotten lassen und die gütigen Naturkräfte in ihrem goldenen Gleichgewicht schon schwer gestört. Das lag daran, daß die irdische Menschheit nicht die Intelligenz besessen hat, diese Naturkräfte in ihrem Zusammenspiel rechtzeitig zu begreifen, um daraus den Schluß zu ziehen, sich selbst in ihrer Zahl weise zu beschränken. Bei der sehr seltenen und überaus günstigen chemischen, physikalischen und biologischen Ausstattung unseres Planeten hat die irdische Menschheit nicht rechtzeitig erkannt, daß sie auf dem Wege ist, ihren Planeten zu vernichten. Die Aufnahme der irdischen Menschheit in die Galaktische Union wurde um weitere 5000 Jahre verschoben.

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Wir hätten eigentlich gar nicht auf dieses galaktische Team von Intelligenztestern zu warten brauchen, um uns unser entscheidendes Versagen in den letzten 200 Jahren vorhalten zu lassen. Denn schon vor bald 200 Jahren hat der englische Nationalökonom, Thomas Robert Malthus, den wir zuvor schon mehrfach erwähnten, darauf hingewiesen. Mit der schlichten Ausdrucksweise des 18. Jahrhunderts sprach er schon von einer «weisen Beschränkung» unserer Vermehrung

Malthus hat die Übervölkerungskatastrophe schon für sehr viel früher vorhergesagt, und wir hatten die von ihm als unüberschreitbar bezeichnete Grenze schon längst durchstoßen. Malthus und sein moderner Nachfolger Aldous Huxley jedoch haben uns davor gewarnt, daß der Zunahme der Bevölkerung auf unserem Planeten absolute Grenzen gesetzt sind.

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In einem vorangegangenen Kapitel hatten wir vier Ereignisse diskutiert, die eine drastische Reduzierung in der Zahl der Menschen auf der Erde bewirken könnten. Alle diese vier Ereignisse sind katastrophal, erschreckend, unmenschlich und hoffentlich vermeidbar. Wir diskutierten die Möglichkeit einer Superpest, die den Großteil unserer Superpopulation dahinrafft; ein nuklearer Krieg mit einer völligen radioaktiven Verwüstung unseres Planeten könnte das Ende bedeuten; vielleicht hätten wir die Chance, mit unserer zukünftigen Technik auf andere Planeten auszuweichen — das ist eine absolute Utopie; die Grenzen der Menschheit werden erreicht, wenn ihr Geburtenüberschuß verhungert, wobei die Überlebenden sich auf ein miserables Leben beschränken müssen; damit allerdings entsteht ein unerträglicher Zustand des Kampfes eines jeden gegen jeden um geringste Vorteile. 

Das waren die vier Möglichkeiten. Die fünfte haben wir uns für dieses Kapitel aufbewahrt. 

Malthus hat dieses Rezept schon vor fast 200 Jahren sehr zivilisiert ausgedrückt; er sprach von der weisen Beschränkung unserer eigenen Zahl. Darum drehte es sich auch in unserer Science-fiction-Story. Wird es der Menschheit gelingen, diesen letzten Intelligenztest zu bestehen?

Da wir das Problem der Übervölkerung in seiner ganzen Gefährlichkeit zu spät erkannt haben, müssen wir echt um unsere Zukunft bangen. Heute, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, sind wir vielleicht schon zu weit über die Grenze unserer Bevölkerungszahl hinausgeschossen. Es geht uns heute — wie wir unserer Parabel im vorigen Kapitel entnehmen konnten — schon so wie dem Wellenreiter, der sich mit der unmittelbar brechenden Welle auseinandersetzen muß. Etwa die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung von fast vier Milliarden ist 15 Jahre alt oder jünger. Es ist völlig ausgeschlossen, daß wir von diesen fast einer Milliarde von potentiellen Elternpaaren erwarten können, daß sie die bevorstehende Katastrophe in ihrer ganzen Wucht begreifen und danach handeln werden. Auch sie werden ihren Spaß an Kindern haben wollen — vor allem an ihrer Machart. Die Entscheidung für die Bevölkerungszahl im Jahr 2000 ist heute schon unwiderruflich gefallen.

In einer scharfsinnigen Untersuchung hat der deutsche Physiker Professor Wilhelm Fucks den Gesetzen der Bevölkerungszunahme in den verschiedenen Nationen und Kontinenten während unserer Zeit nachgespürt. Er hat für viele Länder den Verlauf des Geburtenüberschusses in Abhängigkeit von dem Grad ihrer Industrialisierung verfolgt. Typisch für seine Ergebnisse war, daß nach der Erreichung eines gewissen Lebensstandards der Geburtenüberschuß stark absinkt. Seine Überlegungen werden bestätigt durch den immer kleiner werdenden Geburtenüberschuß gerade der industriell hochentwickelten Länder. Die sogenannten Entwicklungsländer wie Indien, die Nationen Afrikas und Südamerikas und auch China vermehren sich zwei- ja dreimal so schnell wie die Industrieländer der westlichen Welt, Japans und der Sowjetunion. 

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Schicksalskurve der Menschheit: 

die Entwicklung der Weltbevölkerung seit der Zeitenwende. 

Verdoppelung von 250 Millionen innerhalb von 1650 Jahren; nächste Verdoppelung auf 1 Milliarde in 180 Jahren; auf 2 Milliarden in 100 Jahren; auf 4 Milliarden um 1975. 

7 Milliarden sind um 2000 zu erwarten!

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wikipedia  Wilhelm_Fucks  1902-1990

 

Wilhelm Fucks hat auf Grund dieser Überlegungen sehr einleuchtende Zukunftsprognosen abgeleitet. Bei diesen Prognosen allerdings ist von der Umwelt­verschmutzung und von den unbewältigten Problemen des industriellen Wachstums abgesehen worden. Aus diesem Grund hat Fucks für die heutigen sogenannten Entwicklungsländer ebenfalls eine in der nächsten Generation stark absinkende Bevölkerungs­zunahme vorausgesagt. Auch für die Inder und die Chinesen, für die Peruaner und für die Afrikaner wird es einmal dazu kommen, daß ihnen ein neues Auto oder ein Farbfernseher vielleicht wichtiger sein wird als ein drittes oder viertes Kind. 

Selbst unter diesen sehr optimistischen Prämissen, die sich Fucks als Grundlage gewählt hatte, kommt er um eine Bevölkerungszahl von fast sieben Milliarden im Jahr 2000 nicht herum. 

Hinter der Zunahme der Weltbevölkerung steht ein unglaublicher Druck. Jegliche Einsicht, daß ein Zuwachs der Bevölkerung trotz größter Anstrengungen zu einer dauernden Weiterverarmung führen muß, scheint der Menschheit vielfach noch völlig zu fehlen. 

Der grandiose Optimismus unserer technischen Macht verführt uns immer wieder zu der Zuversicht, daß wir mit der jeweils ablaufenden Vermehrungsrate unserer Gattung fertig werden. Wie sehr man sich in diesem für uns alle so wichtigen Urteil täuschen kann, zeigen am besten die Beispiele Ägypten und Indien.

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Im Jahr 1957 hatte Ägypten eine Bevölkerung von knapp 23 Millionen. Es ist eine Parodie der Geschichte, daß ausgerechnet jenes Land, in dem in biblischer Zeit Milch und Honig flossen, seit der Mitte dieses Jahrhunderts Ernährungsschwierigkeiten hat. Es ist freilich so, daß die Einwohnerzahl des alten Ägypten 20 Millionen auch nicht im entferntesten erreichte. Aber auch mit einer sehr viel geringeren Zahl von Einwohnern hat Ägypten Jahrtausende die menschliche Kultur souverän beherrscht. In der modernen Zeit ist diese klassische Kulturregion zu einem sogenannten Entwicklungsland geworden. Dort glaubte man 1957, durch den großartigen Assuan-Damm entscheidende und für unser Jahrhundert typische Fortschritte zu machen. Der Nil, einer der wohl berühmtesten Flüsse der Menschheit, der mehr als 5000 Jahre lang viele Millionen von Menschen ernährt hat, sollte durch die moderne Technik nun zu zukünftigen Höchstleistungen gesteuert werden. 

Als man in den fünfziger Jahren mit dem Assuan-Damm vom Plan auf dem Papier zur Tat schritt, hatte man errechnet, daß nach seinem Bau mindestens zehn Millionen von zusätzlichen Einwohnern Ägyptens Nahrung geschaffen werden könne. Gleichzeitig sollte die Hungersnot unter den bereits 23 Millionen Ägyptern für immer gebannt werden. Auch hat die großartige Planung dieses Staudammes dem Prestige Ägyptens in der Welt sehr geholfen, stand er doch an einem historisch überragenden Platz. Von der politischen Geschichte dieser Konstruktion — mit amerikanischer Hilfe begonnen und mit russischer Hilfe und großer Fanfare beendet — soll hier gar nicht die Rede sein. 

Heute allerdings, 16 Jahre später, beträgt die Bevölkerung Ägyptens fast 37 Millionen, und der Damm hat mit seiner Wirkung die Landwirtschaft Ägyptens leider nicht so gesteigert, daß zehn Millionen zusätzlicher Ägypter ausreichend ernährt werden könnten. Ägypten ist heute also mit dem Damm wesentlich schlechter dran als 1957 ohne den Damm. Die Bevölkerungswelle hat diese riesige und in der ganzen Welt mit viel Spannung verfolgte Fortschrittstat während der Bauzeit weit überrollt.

Von den immer wiederkehrenden Hungersnöten in Indien haben wir zuvor schon einmal gesprochen. Die indische Landwirtschaft hängt mit ihrem Erfolg von dem rechtzeitigen Eintreffen des Monsuns ab, der gerade zur richtigen Zeit, an den richtigen Orten die richtige Regenmenge absetzen muß. Wenn eine dieser drei Bedingungen nicht erfüllt ist, gibt es in Indien eine Hungersnot. In den Jahren 1968 bis 1971 hatten die Inder mit ihrem Monsun großes Glück. Dann wieder im Jahre 1972 gab es Störungen in der Atmosphäre, die wir immer noch nicht so recht begreifen, welche den Monsun stark veränderten. Nachdem Indien schon stolz seine Autarkie an Nahrungsmitteln verkündet hatte, befindet es sich durch die Vernichtung seiner Ernte von 60 bis 70, stellenweise 90 Prozent wiederum am Rande einer Hungersnot.

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Vor wenigen Jahren hat eine Reihe von führenden Ökologen und Ernährungswissenschaftlern den Vorschlag gemacht, man solle in Indien bei Hungersnöten dieser Art nicht mehr helfen. 

Das klingt so brutal und unglaublich inhuman, daß man sich darüber nur aufregen kann. In Wirklichkeit haben diese Experten ihren Vorschlag im Geiste christlicher Nächstenliebe gemacht, wenn man diese christliche Nächstenliebe an der Zahl der Menschen, deren Leiden man mildert, mißt. 

Hilft man nämlich Indien in einer Hungersnot, so gibt man der Bevölkerung dieses Subkontinents die Möglichkeit, zu überleben und ihre durchschnittliche Bevölkerungszunahme von einer Million Menschen pro Monat fortzusetzen. Die zehn Millionen Menschen, die man in einem Jahr demnach vor dem Verhungern rettet, vermehren sich daraufhin so prompt, daß im nächsten oder im übernächsten Jahr bei der nächsten Mißernte nicht eine Million, sondern zusätzlich zwei oder drei Millionen verhungern. Was also ist christlicher: In diesem Jahr eine Million vor dem Hungertod zu bewahren, um dann in den nächsten drei bis vier Jahren vielleicht drei oder vier Millionen nicht mehr retten zu können oder — wie es ein wirklich nachdenklicher Mann ausgedrückt hat — Indien seinem Schicksal zu überlassen? Wenn man das täte, so würden im Laufe der nächsten fünf oder zehn Jahre viele Millionen Menschen weniger einem unausweichlichen Schicksal überantwortet werden.

Diese erschütternden Überlegungen zeigen aber, vor welchen Alternativen wir stehen. Was sich heute in Ägypten und Indien ereignet, wird auch den Rest der Menschheit und zum Schluß unerbittlich die westliche Welt erreichen.

Das Elend und der Hungertod sind zwar das Allerschlimmste. Es gibt aber auch andere Aspekte des menschlichen Lebens, die sich mit der stets steigenden Zahl der Menschen auf der Erde verschlimmern werden. Darauf hat der große Humanist Aldous Huxley eben schon vor Jahren hingewiesen, und seine erschreckenden Prophezeiungen starren uns immer drohender ins Gesicht. Er befürchtete einen schrecklichen Niedergang in der Qualität des Lebens.

Nachdem der Mensch der Tyrannei antiker und mittelalterlicher Gesellschaftsformen endlich entwichen war, hat er mit der Blüte der Demokratie einen Himmel auf Erden geschaffen. Das kann man wirklich sagen. Wenn aber jetzt eine steil ansteigende Zahl von Menschen auf einen relativ immer kleiner werdenden Vorrat von Nahrung, Gütern und Energie drückt, so kommt es damit zu Unruhe, Streit, Revolution, Gewalt und Krieg. Das allerdings gibt der Diktatur die beste Handhabe, sich über die ganze Welt auszubreiten. Als Karl Marx sein Kommunistisches Manifest verfaßte, hatte er noch das «kleine» Problem der Ausbeutung des Proletariats durch die kapitalistischen Machthaber im Auge. Wenn heute eine zu steil hochschießende Zahl der Menschen auf der Erde der Nahrung und den Gütern davonrennt, entsteht eine völlig andere Art an kommunistischer Idee: Das wenige, das übrigbleibt, muß nun gerecht geteilt werden. Das gibt Machthabern eine hinreißende Begründung, für diese Verteilung zu sorgen und die Menschheit unter das Joch der Knappheit zu zwingen.

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Die zunehmende Zahl der Menschen ist also das echte und letzte Grundübel. Wir spüren die Faust im Nacken, unsere Superlandwirtschaft, unsere Superindustrie und unsere Superenergiewirtschaft alljährlich um zwei, drei, sechs oder acht Prozent hochzupeitschen, wenn wir dieses Wettrennen mit der Zeit nicht verlieren wollen. Die Beispiele von Ägypten und Indien haben uns gezeigt, daß wir heute schon in der Tat an Boden verlieren. Das Wachstum in der Produktion an Gütern und der Fortschritt des Lebensgenusses ist längst nicht mehr ein erfreuliches, ein optimistisches Ideal. Es ist zur Peitsche geworden, welche die Menschheit vorantreibt. Gleichzeitig will es unmöglich erscheinen, die Verschmutzung unseres Planeten und seine Zerstörung zu verhindern, da wir kaum imstande sind, selbst die heute schon entstandenen Schäden gutzumachen oder auch nur aufzuhalten.

Wie soll man beispielsweise einen Fall beurteilen, der in der Bundesrepublik Deutschland, im volkreichsten Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, besteht? Eine von den Problemen des Umweltschutzes alarmierte Öffentlichkeit macht sich bei den nordwestdeutschen Energieexperten stark, daß Pläne zur Errichtung zusätzlicher Kraftwerke von nun an scharf überwacht, ja sogar bekämpft werden müssen. Atomkraftwerke sind strahlenverdächtig und heizen wegen ihres hohen Kühlbedarfs das Wasser der deutschen Flüsse auf. Auch die Errichtung konventioneller Kraftwerke, die mit Kohle, Öl oder Gas betrieben werden, sind ein Dorn im Auge verängstigter Umweltschützer. Der Direktor des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerks in Essen, Günther Scheuten, macht dazu die ganz schlichte Bemerkung: «Wir müssen jedes Jahr ein neues Kraftwerk bauen, sonst haben wir eine Lücke, die wir niemals schließen können.» 

Die nordwestdeutschen Energieplaner rechnen damit, daß 1975 bereits ein Zehntel des dann bestehenden Strombedarfs in Spitzenzeiten fehlen wird. Bis 1980 müßte die Kapazität mehr als verdoppelt werden. Man kann sich nur darüber freuen, daß sich die Öffentlichkeit heute des Problems des Umweltschutzes so sehr bewußt ist. Damit jedoch ist es überhaupt nicht getan, wenn die vorausschauenden Lieferanten der elektrischen Energie um das nächste Jahrzehnt ernsthaft besorgt sind. Zu einem echten Konflikt wird es dann kommen, wenn die Umweltschützer in ihrer Machtvollkommenheit den Bau neuer Kraftwerke verhindert haben werden mit dem Erfolg, daß in drei oder acht Jahren der Strom in Deutschland rationiert werden muß. 

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Während der Sommermonate heizt sich die riesige Landmasse Asiens auf, die heiße Luft steigt auf, und anlandige Winde bringen feuchte Luftmassen aus dem Indischen Ozean nach Norden und Nordosten. Die überaus feuchte Luft des tropischen Meeres bringt eine jährliche Regenmenge bis zu 10 Meter nach Südasien. 

Es wird interessant sein, was dann die Bevölkerung dazu sagen wird, wenn ihnen pro Tag drei bis vier Stunden der Strom abgeschaltet werden muß. Wie werden sie reagieren, wenn sie dann bei Kerzenlicht ihre Abende verbringen müssen, wenn dann die elektrischen Bedienungseinrichtungen ihrer Ölheizungen ausfallen; wenn ihre Gefriertruhen auftauen und vor allem wenn ihre Fernsehschirme blank werden? Dann werden diese Bürger bestimmt regional auf die Barrikaden steigen. Sie werden sagen, daß es bei ihnen selbst bisher doch immer geklappt hätte. Nur die anderen brauchten mehr Strom, und so sollten sie dann auch das Umweltverschmutzungsproblem der zusätzlichen Energieerzeugung selbst verkraften.

Auch in unserer doch so ordentlichen und bisher recht gut beherrschten Zivilisation wird es bald dazu kommen, daß der Schwarze Peter mit immer größerer Frequenz hin und her gereicht wird. Wie sollen sich jetzt die Entwicklungsländer dazu stellen? Diese sitzen doch auf dem großen Zuwachs in ihrer Bevölkerung, und die Klugen unter ihnen haben längst begriffen, daß nur eine steil hochgerissene Superlandwirtschaft, Superindustrie und Superenergie­wirtschaft sie vor dem Verhungern bewahren wird. Wir dürfen uns nicht wundern, daß die Regierungen dieser Länder aus unseren Erfahrungen überhaupt nichts lernen wollen. Auch sie roden Wälder nieder, bauen umweltverschmutzende Industrien und Kraftwerke auf, weil es die einfachste und billigste Art ist, in dem tödlichen Wettrennen der Menschheit vor dem Verhungern am Ball zu bleiben. Die Entwicklungsländer sind daher verständlicherweise noch größere Verderber unserer Umwelt, als wir es jemals waren. Man darf ihnen das nicht einmal übel nehmen. Sie müssen es sein, da sie in das Wettrennen zu einem Zeitpunkt eingestiegen sind, in dem das Tempo schon um ein Vielfaches angestiegen war. 

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Selbst das reicht freilich den Entwicklungsländern noch nicht, und diesen Anspruch können wir ihnen ja auch gar nicht versagen: Sie möchten nicht nur gerade überleben können — nein, auch sie wollen an dem Segen der modernen Zivilisation teilhaben. Auch sie wollen letzten Endes dazu kommen, daß jede Familie ihr Auto, ihren Farbfernseher, ihre Gefriertruhe und ihren Urlaub hat. Selbst wenn die Zahl der Menschen von heute in den nächsten 50 Jahren nicht um eine einzige Person zunähme, so wären diese Ansprüche glatterdings unerfüllbar. Um nämlich all diesen Wünschen gerecht zu werden, müßten die Superwirtschaften so vergrößert werden, daß eine Umweltvergiftung nicht zu vermeiden wäre.

Es wird vielfach davon gesprochen, daß neue Techniken entwickelt werden könnten und entwickelt werden sollen, um das Doppelte oder das Zehnfache an Produkten in der Landwirtschaft, in der Industrie und in der Energieerzeugung zu erzielen, ohne dabei die Abfälle wesentlich zu steigern. Ein solches Ziel freilich wird dazu führen, daß diese Lebensgüter sich in ihren Kosten ebenfalls verdoppeln oder verzehnfachen. Da die Menschheit nicht die Hilfsmittel und die Arbeitskraft besitzt, eine solche Verdoppelung oder Verzehnfachung ihrer Leistungen zu schaffen, müssen die Armen dieser Welt auf eine Verbesserung ihres Loses um so länger warten. Die Überlegungen allein sind schon niederschmetternd, und wir haben dabei noch nicht einmal berücksichtigt, daß die Zahl der Menschen, welche jene Ansprüche mit immer größerem Druck geltend macht, laufend zunimmt. Nun haben wir — so will mir scheinen — wirklich jene Stelle erreicht, in der ein jeder die absolute Notwendigkeit dieser unabdingbaren Forderung einsehen muß: Wir müssen unsere unbändige Fruchtbarkeit zügeln, unsere zerstörerische Vermehrung zum Stillstand bringen und uns sogar in unserer Zahl entscheidend zurückentwickeln.

Als der Mensch den Zusammenhang zwischen sexueller Betätigung und Nachkommenschaft begriff, hatte er auch schon das erste Mittel zur Beschränkung seiner Fortpflanzung in der Hand: Enthaltsamkeit. Dieses Mittel jedoch ist unter allen Methoden zur Geburtenkontrolle das untauglichste. Wir sprachen zuvor schon von den großen Hindernissen, welche die Natur unserer Fortpflanzung als Gattung in den Weg legen mußte: die lange Schwangerschaft, die Hilflosigkeit des menschlichen Neugeborenen, die überaus lange Reifezeit und die große Seltenheit von Zwillings- oder Mehrlingsgeburten. Diese Eigenschaften teilen wir mit den körperlich größten Tieren — mit den Pferden und Rindern, den Nashörnern und Giraffen, den Elefanten und Walen. Diese gewaltigen Nachteile hat die Natur durch einen besonders starken Sexualtrieb wettgemacht. Es ist unnatürlich, ja biologisch sogar unmöglich, diesen Trieb unterdrücken zu wollen. Das Zölibat hat sich im rein Geistigen auf die Dauer nur für wenige bewährt, und als Geburtenbremse ist es völlig ungeeignet.

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Da es müßig ist, den Geschlechtstrieb des Menschen hemmen oder auch nur einschränken zu wollen, bleiben uns nur noch Hilfsmittel übrig, welche — selbst bei vollzogenem Geschlechtsakt — die Befruchtung des weiblichen Eis verhindern. Schon seit Urzeiten ist uns bekannt, daß die Frau einschließlich der Lebensdauer des männlichen Samens in ihrem Körper nur drei bis fünf Tage pro Monat fruchtbar ist. Die Kenntnis dieser Möglichkeit der Befruchtungs­kontrolle jedoch hat in der Geschichte der Menschheit für eine Einschränkung unserer Vermehrung kaum eine Rolle gespielt. Es sieht so aus, als ob diese Methode nur wenigen, intelligenten Menschenpaaren vorbehalten sei. Auch eine mechanische Verhinderung der Befruchtung trotz des vollzogenen Aktes, wie etwa das Präservativ oder das Pessar, haben in der Bevölkerungskurve bisher nicht einmal einen feststellbaren Knick verursacht.

Ein entscheidender Durchbruch gelang der Biochemie. Mit der berühmten Pille wird in den Monatszyklus der Frau eingegriffen. Durch Verabreichung von entsprechenden Hormonen wird ihren Reproduktionsorganen, ja sogar ihrem ganzen Körper, vorgetäuscht, es sei vor kurzem eine Eizelle befruchtet worden. Daraufhin schaltet der ganze weibliche Organismus jede weitere Empfängnisbereitschaft ab, da das bereits befruchtete Ei in seiner Entwicklung überhaupt nicht gestört werden darf. Das ist eine so gerissene Überlistung des weiblichen Organismus, daß diese Pille eine praktisch hundertprozentige Wirkung besitzt. Zum erstenmal in ihrer ganzen Geschichte hatte die Menschheit ein Empfängnisverhütungsmittel, das ihren Bedürfnissen gerecht wurde. Das Sexualleben konnte ungehindert weiterlaufen, während die Zahl der gewünschten Geburten von einer klugen Frau völlig beherrscht werden konnte.

Viele waren der Meinung, daß nunmehr das Problem der Übervölkerung nur noch eine Frage der Zeit sei. Es ist heute ohne weiteres möglich, die etwa eine Milliarde fruchtbarer Frauen dieser Erde mit der Pille zu versorgen und dadurch die Vermehrung der Menschheit nach Wunsch zu beschränken. Dieses großartige Verfahren jedoch scheitert an zwei Hindernissen, die fast unüberwindbar scheinen.

Eine große Zahl von Frauen — ja, sogar die Mehrzahl von ihnen —, denen man die Pille auch kostenlos jeden Tag zur Verfügung stellte, sind nicht genug aufgeklärt, um Anwendungsweise und Wirkung dieses geburtenverhindernden Medikaments zu begreifen. Sie haben nicht die rechte Erziehung genossen, so daß ihnen der Einblick fehlt. Sie sind nicht imstande einzusehen, daß sie sich mit dem regelmäßigen Gebrauch der Pille zusätzlichen Kummer und Arbeit ersparen, ja, sogar unter Umständen ihr Leben retten können. Auch fehlt ihnen das Verständnis dafür, daß viele Kinder besser ungeboren bleiben als sonst als Kleinkinder Hungers zu sterben. Ihre Männer sind genauso uneinsichtig. Auch sie begreifen das nicht. Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb groß angelegte Kampagnen, in Entwicklungsländern die Pille als Geburtenkontrollelement einzuführen, gescheitert sind. So vermehrt sich die Menschheit immer weiter bis zur Katastrophe.

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Zu dem Mangel an Einsicht gesellt sich dann auch noch ein unglückseliges religiöses Erbe, das die moderne Menschheit heute belastet. In einem vorangegangenen Kapitel haben wir davon gesprochen, daß eine möglichst große Nachkommenschaft zu allen Zeiten als ein göttlicher Segen angesehen wird. Diese Vorstellung war auch völlig richtig zu einer Zeit, in der die Menschheit mit ihrer Kindersterblichkeit und ihren schlechten Überlebenschancen fast immer am Rand der Vernichtung schwebte. Erzeugung von Nachkommen, vor allem männlicher Nachkommenschaft, war daher seit je ein religiöses Gebot. Heute, da sich die Notwendigkeit und damit eigentlich die Moral völlig gewandelt hat, hängen traditionsverhaftete Religionen immer noch an diesen archaischen Vorstellungen.

Nur so ist es zu erklären, weshalb die katholische Kirche diese humanste, ja vielleicht sogar christlichste Schöpfung der modernen Biochemie, nämlich die Pille, abgelehnt hat. Das ist für viele schwer zu verstehen, da nämlich mit dieser Ablehnung nicht etwa Schutz des Lebens und Abwehr des Leidens gefördert werden, sondern genau das unchristliche Gegenteil. Mit ihrer Ablehnung des Sexus hat das Christentum in den 2000 Jahren seiner Geschichte auch nicht einen Meter an Boden gewonnen, weil diese Doktrin der menschlichen Biologie zuwiderläuft. Man kann weiteres Unheil durch die Übervölkerung, welche die Kirche auch nicht verkennt, nicht durch einen Appell an die Enthaltsamkeit verhindern. Es erscheint daher unbegreiflich, wieso die Kirche diesen moralisch und ethisch untadeligen Ausweg der Pille nicht gehen will.

 

Die Dogmen anderer großer Religionen sind ähnlich uneinsichtig. Das Ideal des Buddhismus, daß jedes Leben heilig ist und daher geschützt und geschont werden muß, ist in seinem Entwurf nur zu bewundern. Aber auch dieses Ideal verstößt gegen die Naturgesetze. Ist es moralischer, ist es ethischer, wenn viele Menschen verhungern müssen, weil man die heiligen Kühe nicht schlachten darf — ja, sogar weil ihre Fütterung als wichtiger angesehen wird als die Ernährung der eigenen Kinder? Die mohammedanische Besessenheit in bezug auf männliche Nachkommenschaft tut auch ein übriges, um die Sitten menschlicher Fortpflanzung in der heutigen Zeit ungünstig zu beeinflussen. Wie viele Kinder wurden zusätzlich geboren, weil nach einer Reihe von Mädchen ein Vater endlich durch die Zeugung eines Sohnes seine eigene Männlichkeit beweisen mußte? 

Diese übersteigerte Bedeutung des sogenannten Stammhalters ist der heutigen Situation überhaupt nicht mehr angepaßt. Warum auch dürfen nur männliche Nachkommen den Familiennamen weiterführen, während jedes Mädchen seines Familiennamens verlustigt geht, wenn es heiratet? Darin stecken uralte Überlieferungen, vor allem aus dem semitischen und arabischen Erbe unserer westlichen Kultur, als nur männliche Erben das Eigentum der Familie, ihren Namen und damit den Fortbestand der Sippe sicherten. Im jüdischen, frühchristlichen und mohammedanischen Kulturbereich wurden weibliche Nachkommen überhaupt nicht gezählt, und heute noch braucht jeder jungverheiratete Ehemann seinen Kronprinzen.

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Wenn wir also weltweit eine Geburtenkontrolle anstreben, so haben wir es mit gewaltigen Hindernissen zu tun, die in unserer Biologie, in unserer Psychologie und in unserer tief verwurzelten Tradition verankert sind. Viele nachdenkliche Menschen, die sich diesem Problem gewidmet haben, sind sehr pessimistisch. Es sieht überhaupt nicht so aus, so sagen sie, als ob diese gewaltigen Barrieren in den nächsten 20 oder 30 Jahren niedergerungen werden können. Ja, selbst diese Zeit erscheint zu lang. Das ist der Grund, weshalb eine Bevölkerungszahl von acht, zehn oder vielleicht sogar zwölf Milliarden während der ersten Jahrzehnte des nächsten Jahrhunderts unvermeidlich erscheint. Die Pessimisten unter uns haben alle großen Argumente auf ihrer Seite.

So hat sich der führende amerikanische Ökologe Paul Ehrlich in einer Veröffentlichung im Jahr 1970 zur Resignation entschlossen. Wenn bis zum Jahr 1972 — so sagte er damals — nicht entscheidend neue Impulse zur Lösung dieses Problems sichtbar seien, so würde er persönlich es «aufgeben», dann in sein Privatleben zurückkehren und sich noch ein paar Jahre daran freuen, daß er nicht mehr als ein Apostel des Jüngsten Tages umherreisen und die Menschen zur Tat aufrütteln müsse. 

Aldous Huxley, der als einer der ersten schon vor Jahrzehnten gewarnt hatte, sah noch Möglichkeiten. Er vertraute darauf, daß die Menschheit den letzten Intelligenztest bestehen würde.

Auch der belesene deutsche Zukunftsforscher Robert Jungk ist voller Hoffnung, ja sogar voller Begeisterung. Er sieht in dem jungen Menschen von heute einen neuen Menschentyp heranreifen, der sich seiner Verpflichtung der Zukunft gegenüber bewußt ist. Eine neue Generation von Wissenschaftlern, so sieht er es, reift heran. Die ältere Generation mit ihren großartigen Erfolgen und Erfindungen, vom künstlichen Dünger über die Atombombe, Weltraumfahrt bis zum Laser, war blind gegenüber den möglichen Folgen in der Anwendung ihrer Entdeckungen. Nicht so die jungen Menschen von heute. Sie haben ein Gespür für das, was in ihrer Zukunft wichtig ist, und man könnte ihnen die Lösung dieser gewaltigen Probleme — zwar mit Bangen, aber doch mit Hoffnungen — überlassen.

Es ist in der Tat so, daß man in den langhaarigen und uns vielfach unverständlichen Protestlern von heute die Hoffnung sehen kann. Ja, man muß es sogar, denn andere Nachkommen, die im Jahr 2000 die Dinge lenken sollen, haben wir nicht. Instinktiv sind sie mit der Leistung unserer Generation unzufrieden. Weltweit schon haben sie sich in der Überzeugung geeinigt, daß in unseren Idealen des industriellen Fortschritts und des Wachstums etwas nicht stimmt.

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Jeder von uns, die wir zu diesem Wachstum in den letzten Jahrzehnten beigetragen haben, muß ihnen darin recht geben. Es sieht so aus, als ob nur ein umwerfender Protest imstande sein wird, jene letzten Tabus über die menschliche Fortpflanzung zu brechen — Appelle an die Enthaltsamkeit, altmodische Mittel zur Empfängnisverhütung und selbst die Pille vermögen nichts, wenn die Sitte sich nicht ändert. Der Menschheit ist nur zu helfen, wenn höchstens zwei Kinder pro Elternpaar gesellschaftsfähig wären; jedes dritte oder gar vierte Kind wäre dann eine Schande. Das ist etwas, was die ältere Generation niemals bewerkstelligen kann. 

Wir haben uns mit Kriegen, mit politischen Ideologien, mit Rassenkonflikten und mit altmodischem Machtgerangel so sehr beschäftigt, daß uns das größte Problem unserer Zeit, nämlich die Übervölkerung, völlig entgangen ist. So ist auch unser Denken vielen altmodischen Begriffen verhaftet, und wir können dieser neuen Moral nicht zur Existenz verhelfen.

Es ist vielleicht der schlimmste Vorwurf, den man dem Kommunismus machen muß: Mit einer Philosophie und einer Lehre aus dem vorigen Jahrhundert hindert er mit staatspolitischer Macht seine Jugend daran, mit den jungen Menschen der westlichen Welt auf dem instinktiv erkannten, richtigen Weg zur Lösung zusammenzuarbeiten. 

Die Kinder der westlichen Welt haben mit ihrem unbändigen Wunsch nach Versöhnung und Frieden, mit dem sie schon Grenzen gesprengt haben, vielleicht auch jene Kräfte mobilisiert, die einst die weise Beschränkung unserer Selbst in unserer Zahl zu einer moralischen Pflicht machen könnte. Darin liegt freilich die einzige Hoffnung; denn jede altmodische Lösung, begründet auf der Anbetung des Goldenen Kalbs «Wachstum», muß in die Irre führen. 

Der Menschheit, wenn sie von politischen Ideologien befreit wird, steht jene Intelligenz zur Verfügung, um diesen letzten Test dennoch zu meistern. Die Hoffnungen unserer Optimisten — an ihrer Spitze Aldous Huxley und Robert Jungk — gründen sich freilich darauf, daß wir als Menschheit die Gründe für unser Dilemma begreifen. Daher ist es wichtig, daß jeder die Naturgesetzlichkeit, in die unser Planet und wir eingebettet sind, versteht. Nur dann können wir sinnvoll handeln.

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