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11 - 2050: Das große Stummelriff?

    Kapitel 12

Ich ging in Gesellschaft einiger Herren auf das Riff, und da das Wasser an seinen Rändern sehr klar war, präsentierte sich dort unseren Blicken eine, wie uns schien, neue Schöpfung, die allerdings die alte imitierte. Weizengarben standen da, Pilze, Hirschgeweihe, Kohlblätter und eine Fülle weiterer Formen, die unter Wasser in den lebhaftesten Tönen aller Schattierungen zwischen Grün, Purpur, Braun und Weiß erstrahlten; an Schönheit glich es und an Großartigkeit übertraf es den aller­beliebtesten parterre des neugierigen Gärtners.  ——Matthew Flinders, Voyage to Terra Australis, 1814——

 

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Von allen ozeanischen Ökosystemen ist keines vielfältiger oder — wie man aus dem oben zitierten Absatz schließen mag — von schönerem Farben- und Formenreichtum als ein Korallenriff; und keines ist — sagen uns die Klimaexperten und Meeresbiologen — stärker durch den Klimawandel gefährdet. 

Diese alarmierende Meinung höre ich öfters bei Konferenzen, und stets verblüfft mich, wie stumm das Publikum eine so schockierende Nachricht aufnimmt. Als könnte es sie nicht glauben, oder als würde die Unvermeidlichkeit, den Kindern eine Welt ohne solche Wunder zu hinterlassen, seine Vorstellungskraft übersteigen.

Kann es sein, dass die Korallenriffe der Welt am Rand des Untergangs stehen? Diese Frage ist für die Menschheit von erheblichem Eigeninteresse, denn die Korallenriffe sorgen für rund 30 Milliarden US-Dollar Einkommen jährlich; größtenteils profitieren davon Menschen, die nur wenige andere Ressourcen haben. Die finanziellen Verluste werden sich jedoch vielleicht als gering erweisen, wenn man sie mit dem vergleicht, was Korallenriffe umsonst liefern. Die Bewohner von fünf Staaten leben ausschließlich auf Korallenatollen, und Saumriffe sind alles, was zwischen der heranstürmenden See und zig Millionen weiteren Menschen steht. Zerstört man diese Saumriffe, tut man vielen Pazifikländern dasselbe an, als würde man Hollands Deiche mit dem Bulldozer wegreißen.

Eines von vier Ozeanlebewesen verbringt zumindest einen Teil seines Lebenszyklus in Korallenriffen. Diese Biodiversität beruht zum einen auf der komplexen Architektur der Korallen, die viele Verstecke bietet, zum anderen auf dem Nährstoffmangel in den klaren, tropischen Gewässern.

Interessanterweise kann ein niedriges Nährstoffniveau eine große Vielfalt hervorbringen. Denken Sie daran, dass in Gegenden mit fruchtbaren Böden und reichlichen Regenfällen oft nur ein paar Pflanzenarten dominieren. Es sind jene, die wie »Unkraut« wachsen und alle anderen übertrumpfen, wenn sie die optimale Sonnenscheindauer, genügend Wasser und Nährstoffe haben. Wo hingegen die Böden arm sind, breiten sich Nischenspezialisten aus — Pflanzen, die nur innerhalb sehr enger Grenzwerte gedeihen —, die alle dann am besten wachsen, wenn spezifische Nährstoffe in spezifischen Mengen vorliegen und der Regen nur zu bestimmten Zeiten fällt. Das beste Beispiel dafür sind die unfruchtbaren Sandebenen der südafrikanischen Kapprovinz, auf denen 8000 Arten strauchartiger Blütenpflanzen eine Mixtur von der Vielfalt der meisten Regenwälder bilden.

Korallenriffe sind das marine Gegenstück der südafrikanischen Sandebenenflora. Und wir verstehen jetzt, dass Nährstoffe und Störungen, die die Strukturen der Korallenriffe zusammenbrechen lassen, die Erzfeinde ihrer Diversität sind, denn dann gedeihen nur ein paar Unkrautarten — größtenteils Meeresalgen.

Als Alfred Russel Wallace 1857 Ambon Harbour im heutigen Ostindonesien ansteuerte, erlebte er

... einen der erstaunlichsten und schönsten Anblicke, die mir je zuteil wurden. Der Meeresboden war vollständig mit einer unablässigen Folge von Korallen, Schwämmen, Aktinien und anderen marinen Hervorbringungen bedeckt, die von großartigen Dimensionen, vielfältigen Formen und brillanten Farben waren. Die Tiefe variierte zwischen zwanzig und fünfzig Fuß, und der Grund war sehr uneben, Felsen und Spalten und kleine Hügel und Täler boten abwechslungsreiche Stellen für das Wachstum dieser tierischen Wälder. 

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In sie hinein und wieder hinaus zogen Unmengen von blauen und roten und gelben Fischen, die auf die verblüffendste Weise gefleckt und gebändert und gestreift waren, während große orangene oder rosarote transparente Medusen dicht unter der Oberfläche entlangtrieben. Stundenlang konnte man den Blick nicht abwenden, und keine Beschreibung kann der vorüberziehenden fesselnden Schönheit gerecht werden.

Im Lauf der neunziger Jahre fuhr ich oft nach Ambon Harbour, aber ich sah keine Korallengärten, keine Medusen, keine Fische, noch nicht einmal den Grund. Stattdessen stank die trübe Brühe und war voller Abwässer und Müll. Je näher ich der Stadt kam, desto schlimmer wurde es, bis mich ganze Flöße aus Fäkalien, Plastiktüten und den Innereien geschlachteter Ziegen begrüßten.

Ambon Harbour ist nur eines der zahllosen Beispiele für Korallenriffe, die im Lauf des 20. Jahrhunderts verwüstet wurden. Heute bedroht die weit verbreitete Unsitte des Überfischens — wozu auch das Fischen mit Sprengstoff und Gift gehört — die Riffe, denn angesichts des Klimawandels hängt die Stabilität der Korallenriffe in höchstem Maß von der Vielfalt der Fische und anderer Lebewesen ab, die in ihnen Schutz suchen.39) Die Biodiversität der Riffe zu stören, fördert auch die rasche Ausbreitung von Spezies, die den Korallen schaden, wie beispielsweise des Dornenkronenseesterns

Ein weiteres Problem ist der Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft und aus umweltverschmutzten Städten, der dazu beigetragen hat, dass die meisten Riffe der Welt bedroht sind. Selbst geschützte wie das australische Große Barrier-Riff degenerieren in erheblichem Umfang, was in diesem Fall an der Vervierfachung der Nährstoffe und schadstoffreichen Sedimente liegt, die aus der Landwirtschaft stammen und von den intensiven El-Nino-Auswirkungen und den tropischen Wirbelstürmen, die für unser neues Klima charakteristisch sind, weit über das Meer getragen werden.40)

Auf den Klimawandel zurückzuführende Schäden an Riffen sind manchmal von unerwarteter Art. Während des Nifio von 1997/98 brannten die Regenwälder Indonesiens wie nie zuvor, und monatelang war die Luft voller Smogwolken, die viel Eisen enthielten. Vor diesen Bränden zählten die Korallenriffe des östlichen Sumatra zu den artenreichsten der Welt und konnten sich über 100 Spezies von Steinkorallen rühmen, darunter großer, über 100 Jahre alter Individuen.

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Dann kam es Ende 1997 vor der Küste Sumatras zur »roten Flut«. Die Farbe resultierte aus der Blüte von winzigen Organismen, die sich vom Eisen im Smog ernährten.41) Diese so genannten Dinoflagellaten produzieren Gifte, die so viel Schäden anrichten, dass die Riffe Jahrzehnte zur Erholung brauchen, falls ihnen das überhaupt gelingt.

Der während des Nifio von 2002 über Südostasien erzeugte Smog war noch viel schlimmer als der von 1997/98 — so groß wie die Vereinigten Staaten war die Wolke. In diesem Umfang kann Smog die Sonneneinstrahlung um zehn Prozent mindern und die untere Atmosphäre wie den Ozean aufheizen, was alles den Korallen Probleme bereitet.42) Das Blühen der Dinoflagellaten verheert heute die Küsten von Indonesien bis nach Südkorea und verursacht Aquakultur-Schäden in Höhe von Hunderten Millionen Dollar. Die Hoffnung, dass sich irgendein ostasiatisches Korallenriff wieder erholt, ist geringer als je zuvor.43)

Die unmittelbaren Auswirkungen der höheren Temperaturen erweisen sich jedoch als der bedrohlichste Aspekt des Klimawandels für die Korallenriffe. Hohe Temperaturen führen zum Ausbleichen der Korallen, und um dieses Phänomen zu verstehen, müssen wir ein Riff untersuchen, das weitab von jedem menschlichen Einfluss liegt, sodass allein das wärmere Wasser für die Veränderung verantwortlich ist. Es gibt glücklicherweise einige Riffe, die durch ihre Angelegenheit und Größe geschützt sind, und wo es daher keine Umweltverschmutzung, Fischer oder Touristen gibt. 

Myrmidon Reef liegt weit vor der Küste von Queensland und bekommt fast keine Menschen zu sehen. Alle drei Jahre machen Wissenschaftler des Australian Institute of Marine Sciences in Townsville dort eine Bestandsaufnahme. Als sie das 2004 taten, nahmen sie James Woodford mit, der über Umweltprobleme schreibt. Er berichtete, das Riff habe ausgesehen, »als sei es bombardiert worden«: Der Kamm des Riffs war stark ausgebleicht und bestand nur noch aus einem Wald toter, weißer Korallen. Nur an den tieferen Abhängen ging das Leben weiter.44) 

Zum Ausbleichen von Korallen kommt es immer dann, wenn die Wassertemperaturen einen bestimmten Schwellenwert überschreiten. Wo heißes Wasser die Korallen umspült, werden sie weiß wie der Tod. 

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Ist die Erwärmung vorübergehend, erholen sich die Korallen vielleicht langsam, hält sie aber an, sterben sie. Das Phänomen bezeugt die Auflösung einer Partnerschaft, denn die Organismen, die die Riffe und Atolle unserer Welt aufbauen, sind in Wirklichkeit zwei Lebewesen in einem. Der größere Partner dieser ökologischen Verbundwirtschaft ist eine blasse, einer Seeanemone ähnliche Kreatur, die als Polyp bezeichnet wird. Ihre grünliche, rote oder blasspurpurrote Färbung bekommt sie von einem Untermieter — einem Typ von Algen, die als Zooxanthellen bekannt sind. 

Unter normalen Umständen handelt es sich um eine glückliche, symbiotische Beziehung: Der Korallenpolyp bietet der Alge ein Heim und ein paar Nährstoffe und die Alge liefert dem Polypen Energie aus der Fotosynthese. Steigt jedoch die Temperatur des Meerwassers, leidet die Fähigkeit der Alge zur Fotosynthese darunter, und es kostet den Polypen mehr, seinen Partner zu unterstützen, als er dafür wiederbekommt. Wie bei vielen scheiternden Beziehungen führt dieses Ungleichgewicht dazu, dass sie zerbrechen, obwohl nach wie vor rätselhaft ist, wie genau die Polypen die Algen hinauswerfen (falls sie nicht freiwillig gehen). Bleiben die Temperaturen ein bis zwei Monate lang hoch, verhungern die Polypen ohne ihre Algen, und zurück bleibt ein Riffskelett, das schließlich von Weichkorallen und Grünalgen überwuchert wird.

Vor 1930 hatte man kaum etwas von ausbleichenden Korallen gehört, und bis in die siebziger Jahre blieb es ein recht seltenes Phänomen. 1998 löste El Nino das globale Sterben aus. Einige Korallenriffe wurden sowohl vor als auch nach diesem Ereignis eingehend untersucht, woraus die Wissenschaftler viel lernten. Im Indischen Ozean waren die Scott- und Seringapatam-Riffe bis in eine Tiefe von 30 Metern stark ausgebleicht. Vor 1998 lag der Anteil von Steinkorallen auf diesen Riffen bei gesunden 41 Prozent, dann fiel er auf 15 Prozent. Am Scott-Riff hat es seither keinerlei Erholung der Korallen gegeben; das Seringapatam-Riff erholt sich langsam.

Das Große Barrier-Riff ist durch den Klimawandel am leichtesten verwundbar, und wegen der höheren Temperaturen nahe der Küste und der krankmachenden Umweltverschmutzung traf es die Korallen, die näher am Ufer wuchsen, schlimmer als die am äußeren Riff. 1998 bleichten alles in allem 42 Prozent des Großen Barrier-Riffs aus, und 18 Prozent erlitten bleibende Schäden. 

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Als es 2002 wieder zu El-Nino-Verhältnissen kam, bildete sich über dem Riff ein Pool warmen Wassers von rund einer halben Million Quadratkilometern Größe. Die Folge war ein weiteres massives Ausbleichen, das an einigen küstennahen Riffen 90 Prozent aller Korallen tötete und 60 Prozent des komplexen Großen Barrier-Riffs in Mitleidenschaft zog. An den wenigen Stellen, wo das Wasser kühl blieb, wurden die Korallen hingegen nicht geschädigt.

Eine 2003 durchgeführte Bestandsaufnahme ergab, dass auf der Hälfte des Riffgebiets der Mantel aus lebenden Korallen auf weniger als zehn Prozent geschrumpft war, wobei auch in den gesündesten Abschnitten ein starker Rückgang zu erkennen war. Öffentliche Empörung zwang die Politik zum Handeln, und die australische Regierung verkündete, 30 Prozent des Riffs würden geschützt. Das bedeutete, dass in der neuen Schutzzone die kommerzielle Fischerei verboten und sonstige menschliche Aktivitäten stark eingeschränkt würden. Es sind aber nicht die Fischer oder die Touristen, die das Riff umbringen, das erledigen die sich immer höher schraubenden CO2-Emissionen.

Die Australier blasen pro Kopf mehr CO2 in die Luft als jedes andere Volk der Erde. Wenn die australische Regierung wirklich allen Ernstes das Riff retten wollte, würde sie sowohl in der Energiepolitik aktiv werden als auch sich international engagieren. Stattdessen verkündete die Regierung im Jahr 2004 ihre lange erwarteten Richtlinien zur Energiepolitik, die die Kohle als das Zentrum des nationalen Energieerzeugungssystems fortschrieben.

Im Jahr 2002 warnte ein Expertengremium von 17 weltweit führenden Korallenriffforschern in einem Artikel in Science: »Die zu erwartende Zunahme an CO2 und die Temperatursteigerung im Verlauf der nächsten 50 Jahre sprengen die Bedingungen, unter denen Korallenriffe im Verlauf der letzten halben Million Jahre gediehen sind.« 

Bis zum Jahr 2030, sagten sie, werden die Riffe der Welt katastrophale Verluste erleiden, und bis 2050 werden selbst die am besten geschützten Riffe massive Anzeichen von Schädigungen aufweisen.45) Diese Warnungen wurden im Oktober 2002 bestätigt, als sich 15 der führenden Korallenriffexperten in Townsville, Queensland, trafen, um den erschreckenden Zustand des Großen Barrier-Riffs zu diskutieren.46) 

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Gobiodon Spezies C: Dieser kleine Fisch lebt vor Papua-Neuguinea. Sein Habitat — ein Riff — ist so weit zerstört, dass ihm ein einziger Korallenstock zum Leben geblieben ist.

Dem Riffexperten Dr. Terry Done zufolge würde ein weiterer Anstieg der globalen Temperatur um 1 °C dazu führen, dass 82 Prozent des Riffs ausbleichen; bei einer Steigerung von 2°C sind es 97 Prozent, und bei 3 °C folgt die »totale Vernichtung«.47 Weil die Ozeane rund drei Jahrzehnte brauchen, bis sie sich der in der Atmosphäre angesammelten Wärme angeglichen haben, könnte es gut sein, dass vier Fünftel des Großen Barrier-Riffs aus lebenden Toten bestehen — die nur darauf warten, bis die Zeit und das warme Wasser sie einholen.

Ein vom Klimawandel verursachtes Artensterben hat mit großer Sicherheit an den Riffen der Welt bereits eingesetzt, und das Schicksal einer winziger Art von in Korallenriffen lebenden Fischen, Gobiodon Spezies C, könnte dafür typisch sein.48 Das Habitat dieses klitzekleinen Tieres wurde durch das Ausbleichen der Korallen und andere Folgen des Nifio von 1997/98 zum größten Teil zerstört, und man kann den Fisch heute nur noch in einer kleinen Korallenbank in einer Lagune von Papua-Neuguinea finden. 

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»Spezies C« zeigt an, dass die Art noch nicht formell benannt wurde, und ihre Lage ist so heikel, dass sie vielleicht ausstirbt, noch ehe sie wissenschaftlich getauft wurde. Von Gobiodon Spezies C wissen wir nur, weil ein Wissenschaftler, der sich für die Gattung interessierte, viele Monate lang die Veränderungen bei der Häufigkeit dieses Fisches dokumentiert hat, den andere vielleicht gar nicht zur Kenntnis nahmen. Angesichts der Vielfalt der Korallenriffe und der wenigen Meeresbiologen, die sie erforschen, ist es keine Übertreibung zu sagen, dass wir den Verlust dieses einen kleinen Fisches tausendfach multiplizieren müssen, um eine Vorstellung von der Kaskade des Aussterbens zu bekommen, die aller Wahrscheinlichkeit bereits jetzt im Gang ist.

Aber trotz der enormen Schäden, die an den Korallenriffen der Welt bereits jetzt zu erkennen sind, haben einige Wissenschaftler Hoffnung, dass die Riffe vielleicht den Klimawandel überleben. Hätten wir das australische Große Barrier-Riff vor 15000 Jahren besuchen können, sagen sie, hätten wir kaum mehr gefunden als eine Kette von Kalksteinhügeln, die eine Küstenebene vom Meer trennte. Damals lagen alle heute existierenden Korallenriffe an Land und waren trocken, denn der Meeresspiegel befand sich 100 Meter unter dem heutigen Niveau. 

Die wichtigsten Familien von Steinkorallen — aus denen die Riffe bestehen — gab es schon vor dem Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren, als ein Asteroid den Planeten traf und die globalen Ökosysteme verheerte. Wie sie überlebten, ist unklar, doch höchstwahrscheinlich gelang ihnen das nur in speziellen Rückzugsgebieten. Einige Wissenschaftler glauben, dass die Überlebenden die Chemie ihrer Skelette änderten; andere meinen, eine Zeit lang seien sie ganz ohne Skelette ausgekommen. Vielleicht werden Korallen in der Zukunft wieder zu solchen extremen Lösungen gezwungen, denn wenn CO2 sich in der Atmosphäre ansammelt und dann in den Ozean diffundiert, macht es das Meerwasser sauer, und die Korallenorganismen können ihr hartes Skelett nicht mehr aufbauen.

Die Vergangenheit lehrt zwar, dass einzelne individuelle Korallenarten überleben könnten, aber für die Biodiversität der Riffe insgesamt gilt das wohl nicht. Um herauszufinden, welche Bedingungen die voll ausgebildete Vielfalt der Korallenriffe noch toleriert, müssen wir die frühesten Belege für die Lebensformen in Betracht ziehen, die die heutigen Riffe bevölkern.

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Am besten kann man das auf dem Monte Bolca in der Nähe von Verona tun, wo man seit dem 16. Jahrhundert fein geschichtete Kalksteinablagerungen voller uralter Seefische abbaut.

Vor 50 Millionen Jahren war die Gegend um Verona eine Lagune hinter einem Korallenriff, und wenn die Fische am Riff starben, wurden sie in das ruhige Wasser gespült, wo ihre in leuchtenden Farben strahlenden Körper in die sauerstofflosen Bodenschichten absanken. Ohne Sauerstoff gibt es keine Verwesung, und am Monte Bolca klappte die Konservierung so gut, dass man ein paar Farbmuster jener längst verstorbenen Fische noch immer erkennen kann. Wissenschaftler haben in den Ablagerungen 240 Spezies identifiziert, und unter ihnen befinden sich die Vorfahren vieler der Fische, die die modernen Korallenriffe bevölkern. Dass in so frühen geologischen Schichten so viele Fische auftauchen, lässt auf eine rapide Artenausbreitung nach einer Katastrophe schließen. Angesichts dessen, was wir über den von Methan ausgelösten dramatischen Klimaumschwung vor 55 Millionen Jahren wissen, scheint es möglich, dass dieses Ereignis frühere Korallenriffe bewohnende Fische vernichtete — und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Riffe selbst — und danach die Korallenriffgemeinschaften, die wir heute kennen, an deren Stelle traten.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die für die Korallenriffe verantwortlichen Arten den bedrohlichen Klimawandel überleben könnten: durch Anpassung oder durch Migration. Jüngeren Forschungen zufolge können einige Typen der Zooxanthellen, die in den Polypen leben, höhere Temperaturen besser tolerieren als andere. Eine Algenform namens <Symbiodinium D> verträgt warmes Wasser besonders gut, aber weil sie das Sonnenlicht nicht so effizient in Nahrung umwandelt wie ihre Niedrigtemperatur-Verwandten, ist sie heute relativ selten.49 Auf ausgebleichten Riffen jedoch hat ihre Verbreitung zugenommen. Wenn sich Korallen auf diese Weise anpassen können, gibt es Hoffnung, dass einige von ihnen, vielleicht auch manche Riffe an den Stellen überleben, wo sie heute wachsen.50 Doch der Umfang der Anpassungen müsste viel größer werden, und es müsste schnell gehen, um die Mehrheit der Korallenriffe vor der Vernichtung zu bewahren.

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Ein anderer Ausweg wäre, dass die Korallen nach Süden in kühlere Gewässer abwandern. Im Fall des Großen Barrier-Riffs fehlt der Küste im Süden des heutigen Korallenverbreitungsgebiets der ausgedehnte flache Kontinentalschelf, der für große Riffe nötig ist. Ein paar Arten finden vielleicht an Orten wie Sidney Harbour Zuflucht, aber nur ein Bruchteil der Vielfalt allein der mobilen Riffspezies könnte in so begrenzten Gebieten existieren.

Wie lautet also die Prognose für die Korallenriffe ? Ihre komplexe Ökologie und unser begrenztes Wissen darüber erschweren die Einschätzung, wie die Riffe auf die Erwärmung reagieren werden; dieser Komplex gehört zu den am schwierigsten vorhersagbaren Folgen des Klimawandels. Nichtsdestotrotz weisen die bereits vorhandenen Schäden deutlich darauf hin, dass die Riffe empfindlich auf die Umwälzungen des Klimawandels reagieren, was mich (und viele andere Wissenschaftler) zu der Überzeugung bringt, dass die Zukunft der Riffe im sich abzeichnenden neuen Klima düster aussehen wird.

Stellen wir uns vor, wie das Große Barrier-Riff in 50 Jahren aussehen könnte. Nur 50 der 400 Arten Steinkorallen, die gegenwärtig in dem Riffkomplex leben, haben sich wahrscheinlich an Symbiodinium D als Partner angepasst, und fast alle dieser hitzebeständigen Arten sind von klumpiger Gestalt oder dicke, stämmige Typen. Solche Korallen sind nicht nur relativ unattraktiv, sie bauen auch nicht die Labyrinthstrukturen auf, die für die Biodiversität des Riffs so wichtig sind.51 

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass mehr als ein kleiner Bruchteil der Tiere des Riffs diesen Wandel überleben wird. Letzten Endes würden Besucher, die im Jahr 2050 nach Queensland kommen, also vielleicht das Große Stummelriff besichtigen. Der Tourismus ist Australiens zweitgrößte Einkommensquelle, und das Große Barrier-Riff ist einer der Joker des Geschäfts, also ist die Frage, wer Geld dafür bezahlen will, die Wunderwelt des Großen Stummelriffs zu besichtigen, von mehr als akademischer Bedeutung. Und da die Existenz einiger Länder völlig von Korallenriffen abhängt, steht viel mehr als nur wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel.

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12. Eine Warnung von der Goldkröte

 

Wenn Chicha getrunken wird, die Nacht lang und dunkel ist und die Feuer bis auf glimmende Asche herunterbrennen, erzählen die weisen alten Männer des Stammes ... von einem wunderschönen, sagenumwobenen goldenen Frosch, der in den Wäldern dieser geheimnisvollen Berge lebt. Den Legenden nach ist der Frosch so durch und durch scheu und lebt so zurückgezogen, dass man ihn nur nach mühseligen Bewährungsproben und geduldiger Suche in dunklen Wäldern auf nebelverhangenen Hängen und den kalten Gipfeln finden kann ... Wer diese herrliche Kreatur findet, wird auf grandiose Weise belohnt. Jeder, der das glitzernde Funkeln des Frosches erspäht, ist zunächst erstaunt über seine Schönheit und von der Aufregung und der Freude des Entdeckens überwältigt; fast im gleichen Moment erlebt er vielleicht auch große Furcht. Die Geschichte geht so weiter, dass jedermann, der den legendären Frosch entdeckt, Glück findet... Eine Episode berichtet von einem Mann, der den Frosch fand, ihn fing, dann aber wieder freiließ, weil er das Glück nicht erkannte, als er es hatte; ein anderer ließ den Frosch frei, weil er das Glück zu schmerzhaft fand.  ——— J. Savage, On the Trail of the Golden Frog, 1970———

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Bis zu diesem Punkt unserer Geschichte ist noch keine einzige Spezies vorgekommen, die definitiv aufgrund des Klimawandels ausgestorben ist. Wo es vermutlich bereits geschehen ist, beispielsweise in den Wäldern Neuguineas und an den Korallenriffen, war kein Biologe zur Stelle, der das Ereignis hätte dokumentieren können.

Im Gegensatz dazu ist das Monteverde-Bergregenwald-Reservat in Costa Rica, in dem das Goldkröten-Labor für Umweltschutz liegt, mit einer Fülle von Wissenschaftlern gesegnet. Kurz nachdem unser fragiler Planet das magische Klimator von 1976 durchschritt, beobachteten die Ökologen, die ihre Tage mit detaillierten Feldforschungen in jenen ursprünglichen Wäldern verbringen, auf einmal merkwürdige Vorgänge.

Zwar liegt seit 1976 nirgendwo auf der Welt, wie wir sie kennen, der Löwe beim Lamm, aber im Monteverde-Reservat nistet der Fischtukan (Rbamphastos sulphuratus) direkt neben dem Quetzal (Pharomachrus moccino) — was in den Augen von Regenwaldökologen ein ernst zu nehmendes Vorzeichen für ein drohendes Verhängnis ist, das einer biblischen Weissagung gleichkommt.

Der Fischtukan ist ein Vogel des Tieflands, und sein abruptes Vordringen ins neblige Reich des leuchtend roten und grünen Quetzal, der der Schutzgeist der Maya ist, war ein Zeichen dafür, dass sich oben in den Bergen die Verhältnisse ändern. Den Quetzal sieht man noch immer auf dem Monteverde, aber nicht mehr so oft wie einst, was zum Teil daran liegt, dass der Fischtukan dessen Eier und Jungvögel frisst. Ein paar sensiblere Vogelarten sind bereits völlig aus der Gegend verschwunden.

Während des trockenen Winters von 1987 verschwanden dann aus den moosbewachsenen Regenwäldern, die in rund 1500 Metern Höhe über dem Meer die Berghänge einhüllen, 30 der 50 Froscharten, die in dem 30 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet gelebt hatten. Zu ihnen zählte eine spektakuläre Kröte, die die Farbe gesponnenen Goldes aufwies. Die Kreatur lebte nur an den oberen Hängen des Berges, dort aber in Hülle und Fülle, und zu bestimmten Jahreszeiten konnte man die glitzernden Männchen zu Dutzenden dabei beobachten, wie sie sich auf dem Waldboden um Pfützen scharten, um sich zu paaren. Das Verschwinden dieser Goldkröte (Bufo periglenes) beunruhigte die Wissenschaftler besonders, weil sie zu den spektakulärsten Amphibien der Gegend zählte und nirgendwo sonst gefunden wurde.

Entdeckt und benannt wurde die Goldkröte im Jahr 1966. Nur die Männchen sind golden; die Weibchen sind schwarz, gelb und scharlachrot gefleckt. Ein gut Teil des Jahres leben die Tiere im Verborgenen; sie verbringen ihre Zeit unter Tage in Gängen zwischen den vermoosten Wurzelmassen des Krummholzwaldes. Wenn dann die Trockenzeit den feuchten Monaten April und Mai weicht, tauchen sie für nur wenige Tage oder Wochen in Massen auf. 

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Da die Zeit für die Reproduktion knapp ist, kämpfen die Männchen miteinander um den besten Platz und ergreifen jede Gelegenheit, sich zu paaren — und wenn es nur der Stiefel eines Feldforschers ist.

In ihrem Buch In Search ofthe Golden Frog (»Kröte« war für einen Buchtitel wohl zu abstoßend) erzählt die Amphibienexpertin Marty Crump, wie es war, die Tiere im Paarungsrausch zu beobachten:52

Ich stapfe bergauf ... durch Bergregenwald, dann durch knorrigen Krummholzwald ... Hinter der nächsten Kurve offenbart sich mir der unglaublichste Anblick, den ich je gesehen habe. Um mehrere kleine Tümpel zu Füßen windgebeugter, verkrüppelter Bäume posieren über 100 goldorangene Kröten wie Statuen, gleißende Juwelen vor dunkelbraunem Matsch.

Am 15. April 1987 notierte Crump etwas in ihrem Forschungstagebuch, das historische Bedeutung erlangen sollte:

Wir sehen einen großen orangefarbenen Klecks mit Beinen, die in alle Richtungen fuchteln: eine sich windende Masse von Krötenfleisch. Eine genauere Überprüfung ergibt drei Männchen, die darum kämpfen, Zugang zu dem Weibchen in der Mitte zu bekommen. 42 glitzernde, orangefarbene Kleckse, die sich um den Tümpel herum positioniert haben, sind Männchen, die sich noch nicht gepaart haben, auf jede Bewegung lauern und bereit sind, jederzeit herbeizustürzen. Weitere 57 paarungsbereite Männchen hocken verstreut in der Nähe. Insgesamt finden wir 133 Kröten in der Umgebung dieser Pfütze von der Größe einer Küchenspüle.

Am 20. April:

Die Paarungszeit scheint vorbei zu sein. Vor vier Tagen habe ich das letzte Weibchen gefunden, und allmählich kehren die Männchen in ihre Verstecke unter der Erde zurück. Jeden Tag ist der Boden trockener, und die Tümpel haben immer weniger Wasser. Die Beobachtungen von heute sind entmutigend. Die meisten Tümpel sind vollständig ausgetrocknet. Zurück bleiben dehydrierte, bereits mit Schimmel bedeckte Eier. Unglücklicherweise zieht das trockene Wetter von El Nino diesen Teil Costa Ricas noch immer in Mitleidenschaft.

Als wüssten sie um das Schicksal ihrer Eier, versuchten die Kröten im Mai noch einmal welche zu legen. Das war, soweit wir wissen, die

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letzte große Krötenorgie, und Crump hatte die Ehre, sie zu dokumentieren. Trotz des Umstands, dass 43 500 Eier in den zehn von ihr untersuchten Tümpeln deponiert wurden, blieben nur 29 Kaulquappen länger als eine Woche am Leben, denn die Tümpel trockneten abermals rasch aus.

Im nächsten Jahr kehrte Crump zur Paarungszeit zum Monteverde zurück, aber diesmal war alles anders. Nach langem Suchen machte sie am 21. Mai ein einziges Männchen ausfindig. Als es Juni war und sie noch immer suchte, war Crump besorgt: »Ohne die leuchtenden, orangefarbenen Kleckse, die ich bisher mit diesem [feuchten] Wetter assoziiert habe, wirken die Wälder steril und deprimierend. Ich begreife nicht, was passiert ist. Warum haben wir nicht ein paar hoffnungsfrohe Männchen gefunden, die voller Erwartung die Pfützen inspizieren ...?« Aber auch als die Saison vorüber und kein weiteres Exemplar gesichtet worden war, herrschte noch kein übertriebener Pessimismus. Ein weiteres Jahr sollte vergehen, bis am 15. Mai 1989 abermals ein einsames Männchen gesichtet wurde. Es hockte nur drei Meter von der Stelle entfernt, an der Crump zwölf Monate zuvor eines gesehen hatte, und mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um dasselbe Exemplar, das nun schon im zweiten Jahr einsam Wache hielt und auf das Eintreffen seiner Artgenossinnen wartete. Es war, soweit wir wissen, das letzte seiner Spezies, denn seither ist die Goldkröte nicht mehr gesehen worden.

Kröten und Tukane waren, wie sich herausstellte, nur zwei der Spezies, die von den Veränderungen betroffen waren. Vor allem Eidechsen litten in den Jahren nach 1987 unter dem Zusammenbruch ihrer Populationen, insbesondere der Anolis, ein kleiner Verwandter des Grünen Leguans; bis 1996 waren zwei Anolis-Spezies — Norops tropidolepis und Norops altae — vollkommen verschwunden. Gegenwärtig werden die Bergregenwälder weiter ihrer Juwelen beraubt, Jahr um Jahr werden viele Reptilien, Frösche und andere Tiere seltener. Das Reservat ist zwar noch grün genug, um den Namen »Monteverde« zu rechtfertigen, aber es beginnt einer Krone zu ähneln, die ihre strahlendsten und schönsten Edelsteine verloren hat.

Da sie den Verdacht hatten, dass irgendwelche verrückten Wetterverhältnisse der Grund für die Veränderungen sein könnten, durchforsteten die Wissenschaftler die monatlichen Aufzeichnungen der

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Temperaturen und Regenfälle in der Gegend, aber in diesen Daten konnten sie nichts Ungewöhnliches finden. Glücklicherweise gab es eine alternative und detailliertere Informationsquelle auf dem Berggipfel — am Rand des Untersuchungsgebiets steht eine Wetterstation, und sie lieferte feiner gerasterte Aufzeichnungen lokaler Veränderungen, wie man sie brauchte, um das Rätsel zu lösen. Zwölf Jahre dauerte es, bis die Forscher ihre Befunde veröffentlichten: 1999 verkündeten sie, dass sie den Grund für die Verarmung des Monteverde herausgefunden hätten.

Die gründliche Überprüfung der meteorologischen Daten hatte gezeigt, dass seit 1976, als die Erde das erste magische Klimator passierte, die Anzahl von Tagen ohne Nebel in jeder Trockenjahreszeit zugenommen hatte, bis sie sich schließlich zu ganzen Strecken nebelloser Tage verbanden. In der Trockenzeit des Jahres 1987 hatte die Anzahl von aufeinander folgenden nebellosen Tagen einen kritischen Schwellenwert überschritten. Offensichtlich war der Vorgang so subtil, dass er von den Forschern, die auf dem Berg arbeiteten, nicht entdeckt wurde, aber er hatte das gesamte Ökosystem des Berggipfels in eine Krise gestürzt. Nebel, das muss man bedenken, bringt lebenswichtige Feuchtigkeit, und ohne diese trocknete der Wald so weit aus, dass eine Lawine katastrophaler Veränderungen ausgelöst wurde, die Bergvögel, Anolis-Arten, Goldkröten und andere Amphibien mit sich riss.

Warum, wollten die Forscher wissen, hatte sich der Nebel vom Monteverde abgewandt? Unter »Wolkenlinie« versteht man die Höhe, in der Wolken an den Berghängen aufsitzen und dort für das Nebelwetter sorgen, und von 1976 an stieg die Unterseite der Wolkenmassen stetig höher, bis die Wolkenlinie oberhalb des Waldes lag. Bewirkt wurde diese Veränderung von dem abrupten Anstieg der Oberflächentemperaturen im zentralen Westpazifik, der das magische Tor von 1976 ankündigte. Der warme Ozean hatte wohl die Luft aufgeheizt und den Kondensationspunkt für die darin enthaltene Feuchtigkeit nach oben verlegt. Bis 1987 hatte die steigende Wolkenlinie an vielen Tagen den moosbewachsenen Wald ganz und gar verlassen, und die Wolken hingen im Himmel darüber, wo sie Schatten spendeten, aber keine Feuchtigkeit. Dieser Schatten und die Kühle, die er mit sich brachte, waren in den ursprünglichen regionalen Wetteraufzeichnungen enthalten, und sie hatten die Wissenschaftler zunächst in die Irre geführt.

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Die durchlässige Haut der Goldkröte und ihre Neigung, am Tag herumzuziehen, machten sie für die Austrocknung, die die Strecken nebelloser Tage mit sich brachten, besonders anfällig. Als die Untersuchung 1999 veröffentlicht wurde, war diese wundersame Kreatur seit einem Jahrzehnt ausgestorben.

Es ist immer niederschmetternd, wenn man Zeuge eines Artensterbens wird, denn man sieht die Zerschlagung eines Ökosystems und einen nicht wieder gutzumachenden genetischen Verlust. Das Aussterben der Goldkröte war jedoch nicht vergeblich, denn als die Erklärung für ihren Untergang in Nature veröffentlicht wurde, mussten die Wissenschaftler nicht mehr um den heißen Brei herumreden: Die Goldkröte ist das erste dokumentierte Opfer der globalen Erwärmung; wir haben sie mit unserer Verschwendung von aus Kohle erzeugter Elektrizität und mit unseren überdimensionierten Autos umgebracht, und zwar so unmittelbar, als hätten wir ihren Wald mit Bulldozern plattgemacht. Es war, als hätten wir, obwohl wir es erlebten, das Glück nicht erkannt.

Da die Gründe für das Aussterben der Goldkröte durch und durch nachvollziehbar waren, begannen Amphibienforscher weltweit ihre Befunde erneut auszuwerten, denn seit 1976 hatten viele erlebt, dass Amphibienspezies vor ihren Augen verschwanden, ohne dass sie den Grund feststellen konnten. Könnte der Klimawandel, fragten sie sich, dafür verantwortlich gewesen sein ?

Steve Richards vom South Australian Museum hat eine Reihe von Amphibienverlusten in den moosbewachsenen Bergwäldern Ostaustraliens dokumentiert. Diese begannen Ende der siebziger Jahre, als eine bemerkenswerte Kreatur namens Südlicher Bauchbrütender Frosch (Rheobatrachus silus) aus dem südöstlichen Queensland verschwand. Als der braune, mittelgroße Frosch im Jahr 1973 entdeckt wurde, staunte die Welt: Als ein Forscher in das offene Maul eines Weibchens blickte, sah er auf dessen Zunge einen Miniaturfrosch sitzen! Auch die Froschforscher saßen daraufhin mit offenen Mündern da. Ein naiver Beobachter hätte glauben können, die Spezies sei kannibalisch, aber das war nicht der Fall, sie hatte bloß bizarre Brutgewohnheiten: Das Weibchen verschluckt seine befruchteten Eier, und die Kaulquappen entwickeln sich in seinem Magen, bis sie sich in Frösche verwandeln, die das Weibchen dann in die Welt hinauswürgt.

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Der australische Bauchbrütende Frosch lässt seine Kaulquappen im eigenen Magen heranwachsen, den er irgendwie von einem Verdauungsorgan in einen Brutkasten umwandelt. Diese Spezies wird vielleicht das erste Klimawandel-Opfer des Kontinents.

Als diese bis dato unbekannte Reproduktionsmethode veröffentlicht wurde, waren einige Ärzte verständlicherweise sehr aufgeregt. Wie, fragten sie sich, konnte der Frosch seinen Magen von einem säuregefüllten Verdauungsorgan in einen Kindergarten verwandeln? Sie hofften, die Antwort könnte ihnen helfen, verschiedene Magenkrankheiten zu behandeln. Leider konnten sie nicht viele Untersuchungen durchführen, denn 1979 — sechs Jahre nachdem seine Existenz der Welt mitgeteilt worden war — verschwand der Bauchbrü-

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tende Frosch und mit ihm ein weiterer Bewohner derselben Flüsse, der Mount Glorious Strömungsfrosch (Taudactylus diurnus). Keiner ist seither wieder gesehen worden.

Fünf Jahre nachdem der letzte Bauchbrütende Frosch ins Reich der Geschichte hüpfte, wurde die Entdeckung einer weiteren Spezies derselben Gattung verkündet. Rheobatrachus vitellinus lebte weiter im Norden, an der Küste des mittleren Queensland. Die Tiere waren größer, ansonsten aber verblüffend ähnlich. Sie haben vielleicht bemerkt, dass hier kein umgangssprachlicher Name für sie steht, also wird es Sie nicht überraschen, dass die Freude der Herpetologen nur kurz währte. Bevor man sie im Detail erforschen konnte, war auch diese Spezies nicht mehr aufzufinden — ihre Existenz als eine den Menschen bekannte Spezies musste in Monaten gemessen werden, nicht in Jahren.

Anfang der neunziger Jahre begannen die Frösche massenhaft aus den Regenwäldern im nördlichen Queensland zu verschwinden, und wie im Fall der Goldkröte geschah dies in ansonsten ungestörten Regenwäldern. Bis heute sind mindestens 16 Froscharten (13 Prozent der gesamten Amphibien Australiens) drastisch zurückgegangen. Über die Gründe wird noch debattiert, aber der Klimawandel, den Ostaustralien in den letzten paar Jahrzehnten erlebt hat, kann für Frösche nicht gut gewesen sein, denn anhaltende El-Nino-ähnliche Bedingungen haben die Niederschläge an Australiens Ostküste deutlich zurückgehen lassen. Die letzten Analysen legen den Schluss nahe, dass zumindest im Fall des Bauchbrütenden und des Strömungsfrosches der Klimawandel der wahrscheinlichste Grund für ihr Verschwinden war.53

Als 2004 die erste globale Bestandsaufnahme der Amphibien abgeschlossen wurde, zeigte sich, dass fast ein Drittel der rund 6000 Spezies vom Aussterben bedroht war.54 Viele dieser gefährdeten Arten begannen nach 1976 zurückzugehen, und Simon Stuart von der International Union for the Conservation of Nature sagt: »Es gibt so gut wie keine Anzeichen für eine Erholung.«55

Nach einem Jahrzehnt Forschung präsentierten nordamerikanische Wissenschaftler ihre eigene elegante Hypothese, die die Gründe für diese Rückgänge zu einem einzigen, vereinheitlichten Konzept zusammenführt.56 Diese Untersuchung konzentrierte sich auf das Schicksal der Amphibien im Nordwesten der Vereinigten Staaten, und typisch für die Muster, die die Forscher herausfanden, sind die des westlichen Bufo boreas.

Amphibien der Gattung Bufo sind allgemein als Kröten bekannt. Eine wegweisende Entdeckung der amerikanischen Wissenschaftler war, dass ultraviolettes Licht die Entwicklung der Krötenembryos verzögert, und das wiederum macht sie für eine Chytridiumartige Pilzerkrankung empfänglich, die von Saprolegnia ferax hervorgerufen wird, einem weltweiten Amphibien-Killer. Die Krötenembryonen, so hat sich herausgestellt, bekamen mehr ultraviolettes Licht ab, weil die Tümpel, in denen sie heranwuchsen, flacher waren; und der Grund dafür ist, dass die anhaltenden El-Nino-ähnlichen Bedingungen seit 1976 dem pazifischen Nordwesten weniger Winterregen bescherten. Selbst eine kleine Veränderung der Wassertiefe kann entscheidend sein. In 50 Zentimeter tiefen Tümpeln sterben nur zwölf Prozent der Kaulquappen an dem Pilz, steht das Wasser aber nur 20 Zentimeter hoch, sterben 80 Prozent.57 Im schlimmsten Fall trockneten einige Tümpel vollständig aus, was sämtliche Kaulquappen darin umbrachte.

Um das auszugleichen, versuchten einige Frösche in größeren Gewässern zu laichen, aber darin schwammen Fische, die die schlüpfenden Kaulquappen fraßen, und umzingelt von Pilzen, austrocknenden Teichen und Fischen hatten die Amphibien der Region keine Ausweichmöglichkeit mehr und schlossen sich so der langen Liste von Spezies an, die sich im freien Fall dem Aussterben nähern.

Die Eleganz dieser Hypothese liegt darin, dass sie eine Konstellation von Auswirkungen unter einem einzigen dominanten Faktor zusammenführt. In verschiedenen Weltgegenden haben Wissenschaftler dokumentiert, was eine oder mehrere dieser Veränderungen zur Folge hatten. Im Fall der Goldkröte war es das Ausbleiben des Nebels. Australiens Frösche wurden, so wurde berichtet, mit Chytridium-Pilzen infiziert, und anderenorts bedeuteten ausbleibende Regenfälle oder tote Kaulquappen, dass die Reproduktion zurückging. 

Was immer jedoch der unmittelbare Grund war, all dem liegen Änderungen unseres Wetters zugrunde, die das magische Tor des Jahres 1976 und vielleicht auch das von 1998 herbeiführte.

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