Frankfurter Rundschau  4.4.2000 

Rubrik: Umwelt und Wissenschaft / Zwischenruf

Marko Ferst:   Die Kopf-Mauern in der PDS

 

Kann in unserer Gesellschaft so etwas wie vernünftige Selbstbegrenzung umgesetzt werden oder sind wir an das "Nimmersatt-Prinzip" gefesselt? Wegen unserer Art zu leben sterben jedes Jahr etwa 27000 Tier- und Pflanzenarten aus, und die Wüsten wachsen um sechs Millionen Hektar. Klimakonferenzen zielen an den Realitäten vorbei. Wir brauchen einen Quantensprung in der Politik. Es bedarf einer neuen Kultur und Verfasstheit der derzeitigen politischen Verkehrsformen.

Als "Ökologische Plattform" bei der PDS versuchten wir schon seit 1995, per Antrag einen Öko-Parteitag durchzubringen. Der Parteivorstand lehnte die Anträge regelmäßig ab. Auf der Rostocker Tagung 1998 setzte sich m einer Abstimmung der Delegierten eine Option durch, die einen Parteitag mit den Themen Ökologie, Süd-Nord und Feminismus festschrieb. Große Teile der Parteiobrigkeit begeisterte dies nicht. Das Thema wurde auf die dritte Tagung des 6. Parteitages verschoben, die am kommenden Wochenende stattfindet. Doch nun soll das Programm erneut geändert werden; es soll über UN-Militäreinsätze debattiert werden, und Änderungen des Parteistatuts sind geplant.

Die Krönung: Im Beschluss des Vorstands vom 10. Januar ist das, was eigentlich als Parteitagsthema beschlossen wurde, auf drei Kurzvorträge plus Diskussion zusammengestaucht. Ein Leitantrag ist anscheinend überflüssig. Und den Beitrag zur Ökologie soll jemand halten, dem Linientreue nachgesagt wird.

In dem vom Rostocker Parteitag beschlossenen Antrag war ausdrücklich festgehalten, dass die AGs zu Feminismus und Internationalistischem sowie die Ökologische Plattform den Parteitag "zu großen Anteilen konzeptionell mit vorbereiten". Praktisch alle Vorschläge hierzu wurden abgebügelt. Aber wozu muss man Parteitagsbeschlüsse einhalten? Die AG Umwelt Brandenburg konterte: Sie beantragte eine zusätzliche Tagung des 6. Parteitages zu den drei Themen, andere Gruppen wollen die Tagesordnung kippen.

Die PDS-Konferenz "Für eine ökologisch-soziale Zeitenwende" im vorigen Jahr war recht erfolgreich und zeigte: Es geht auch anders. Aber all das ist der Initiative weniger Engagierter zu verdanken. So legte unter anderen Dieter Klein in dem Band Reformalternativen PDS-Vorschläge vor, die für einen ökologischen Kurswechsel in der PDS erste Grundsteine setzen könnten. Auch findet man in der PDS hier und da aktive Umweltpolitiker, wie etwa Dagmar Enkelmann und Eva Bulling-Schröter. Unbedingt erwähnt werden muss auch die unermüdliche Arbeit der vielen einzelnen Ökoaktiven.

Anstöße gab vor seinem Tod auch der einstige DDR-Dissident und Sozialökologe Rudolf Bahro. In einem in der PDS bekannten, aber noch unveröffentlichten Buch fordert er die PDS auf, eine Abkehr von der jetzigen apokalyptischen Politik zu versuchen und den populistischen Klientelismus zurückzudrängen.

Doch solche Einsichten zu gewinnen, scheint schwer: Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch wirbt für den chinesischen Megastaudamm, der so groß wie das Saarland wird, bezeichnet ihn als sozial und ökologisch verträglich, obwohl 1,3 Millionen Menschen dafür umgesiedelt werden müssen. Minister Helmut Holter wollte die Flugzeugindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ansiedeln, weil es ja so überaus klimaverträglich ist, auf eine massive Ausweitung des Flugverkehrs zu setzen, die dafür Voraussetzung wäre. Und Gregor Gysi möchte die Ökosteuer für mittlere und kleine Unternehmen im Osten abschaffen. Wir waren als ökologischer PDS-Flügel so "vermessen" zu fordern, eine zweite Personalstelle in der PDS für die Umweltpolitik zu schaffen. Im Gespräch durften wir von Bartsch erfahren, man brauche gar keine Ökologiestelle mehr. Kann man so Parteichef werden?

Dass die Situation bei der SPD und den Bündnisgrünen besser ist, wenn man etwa an die Bombardierung von Chemiewerken im Kosovo-Krieg oder an das Gefeilsche um einen jahrzehntelangen Atomausstieg denkt, ist sehr zweifelhaft. Und die designierte CDU-Chefin Angela Merkel fiel auch nicht dadurch auf, dass sie Verständnis für die von den Castor-Transporten geplagten Wendländer gehabt hätte.

Massive Zweifel an der Reformfähigkeit der Parteien angesichts der ökologischen Krise sind also angebracht. Die Anforderungen sind gigantisch: Klimaforscher fordern zum Beispiel, dass die Industrieländer den CO2-Ausstoß bis 2050 auf ein Zehntel reduzieren, damit er global halbiert werden kann; den armen Ländern müsse man Wachstumsspielräume geben. Statt 100 Millionen Tonnen CO2, die wir täglich in die Atmosphäre schicken, werden es auch dann noch 50 Millionen sein, die zur vorhandenen Grundlast hinzukommen. Selbst diese Reduktion wird extrem schwer zu erreichen sein. Wir müssen Abschied nehmen vom Wachstumsmodell und der damit verbundenen ökonomischen Wettkampfordnung.

Alle Kräfte, die sich für eine ökologisch-emanzipatorische Zeitenwende engagieren, müssen Hand in Hand wirken - auch über Parteigrenzen und andere "Kopfmauern" hinweg. Nur wenn wir die Tragweite der Aufgabe begreifen und konsequent politisch handeln, haben wir überhaupt eine Chance, einen erdumspannenden Totalitarismus abzuwenden.

Der Autor ist Mitglied des Sprecherrates der "Ökologischen Plattform" der PDS.

 

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