Eindrücke von der ökologischen Konferenz der Bündnisgrünen

in Berlin am 13. Februar 2000 -- Von Roland Schnell

 

Einzig und allein der Vortrag des Schriftstellers Carl Amery war es wert gewesen, sich am Sonntagmorgen des 13. Februar 2000 in die Walddorfschule Berlin-Kreuzberg zu begeben, wohin Bündnis 90/Die Grünen zu einer Veranstaltung mit dem Titel "Neue Allianzen für die Umwelt" eingeladen hatten. Wortgewaltig, aber offenbar von vielen der Anwesenden unverstanden, formulierte er Zweifel an der Machtverliebtheit der Grünen Partei. Entsprechend blaß wirkten die anderen Referenten, die mit keinem Wort auf die Vorwürfe von Amery eingingen.

Edda Müller, eine grüne Karrierefrau, die nach einer Reihe von Posten in der deutschen Umweltpolitik nun in internationalen Sphären wirkt, nudelte die Schwierigkeiten herunter, die sich aus den traditionellen Strukturen und Kompetenzverteilungen in der Ministerialbürokratie ergeben. Leider beschrieb sie nur abstrakt, was sie selbst aus jahrelanger Praxis grüner Regierungsbeteiligung in den Ländern mit anschaulichen Beispielen aus eigener Erfahrung hätte würzen können. Ihr Vortrag lief auf die Forderung hinaus, daß das Umweltministerium mehr Kompetenzen haben müsse und möglichst auch für Landwirtschaft, wegen der Konflikte mit dem Naturschutz, und Energie zuständig sein müsse. Auf die naheliegende Frage, die dann auch aus dem Publikum gestellt wurde, warum nicht auch das Verkehrsressort dazugehöre müsse, kam nur eine ausweichende Antwort.

Auch Umweltminister Trittin vermochte kaum zu begeistern, obwohl ihm heftige Vorwürfe wegen des zögerlichen Atomausstiegs erspart blieben. Seine Ausführungen gipfelten in dem Satz: "Umweltpolitik kann man nicht mit Loosern machen", der eigentlich bei allen Umweltschützern die Alarmglocken zum Läuten bringen müßte. Er ging, entsprechend dem Motto der Veranstaltung, davon aus, daß Umweltbewegung und Industrie kooperieren müßten und eine sogenannte "Win-Win"-Strategie entwickelt werden sollte, bei der beide Seiten gewinnen und keiner als Verlierer dastehen würde.

Diesem Ansatz folgend wurde in den Arbeitsgruppen nach Bündnispartnern für diese neuen Allianzen gefahndet. Dazu waren für vier Themen ausgewiesene und langjährige Gegner der Umweltbewegung eingeladen worden, die das Gewicht der Grünen als Regierungspartei durch die Entsendung von Vertretern aus den Chefetagen honorierten. Bei Gentechnik kam Novartis, bei Energie die RWE, bei Abfall der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, beim Naturschutz der Bauernverband. Diese traten durchweg sehr geschickt auf, indem sie davon ausgingen, daß eigentlich sie den besseren Umweltschutz machen würden und baten, ganz nach dem Motto der Tagung, darum, sie doch dabei zu unterstützen. Da wollte die grüne Basis aber nicht recht mitziehen. Wenn die Entsorger beklagen, daß ihre sicher hochwertigen, aber auch teuren und teilweise überdimensionierten Anlagen nicht genutzt würden, weil noch skrupellosere Elemente den Müll billig in zweifelhafte Löcher kippen, dann erinnerten sich doch noch manche daran, daß das wichtigste Ziel grünen Umweltpolitik nicht die Verwertung auf hohem Niveau oder Müllverbrennung sei, sondern die Verminderung des Stoffdurchsatzes in Form von Abfallvermeidung, Produktverantwortung, Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten usw. Carl Amery sprach hier von der Suffizienzrevolution, die der Umwelt mehr nutze als die immer zitierte Effizienzrevolution.

Die Kritik, daß ein grüner Umweltminister bei der Verordnung zur Verwertung von Elektrogeräten erneut versagt hatte, wurde mit dem Verweis abgetan, daß dafür der Bundesrat zuständig sei. Nach einem ähnlichen Muster argumentierte der Vertreter von RWE, wenn er darauf hinwies, daß das Ziel der CO2-Reduktion, das grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde, besser, schneller und billiger als durch die von den Grünen propagierten Erneuerbaren Energieträger durch eine technisch Optimierung der Braunkohlekraftwerke erreicht werden könne. Der Bauernverband vertritt ohnehin schon geraume Zeit die Meinung, daß die deutschen Landwirte die besten Natur- und Umweltschützer seien, die keine Belehrung über Feuchtbiotope und gefährdete Greifvögel brauchten.

Nur bei der Gentechnik ging diese Strategie nicht auf, weil die Industrie hier bereits den Rückzug angetreten hat. Nicht wegen Allianzen mit der Umweltbewegung, sondern weil sie sich mit einer massiven Front der Ablehnung und weltweiten Protesten auseinanderzusetzen hatte. Ein differenziertes Spektrum des Widerstands, vom Ausrupfen der Pflanzen bei Freiland-Versuchen bis hin zur Weigerung der Verbraucher das Gen-Food einfach zu schlucken. Nachdem in den Arbeitsgruppen händeringend, aber vergeblich nach den Partnern für die neuen Allianzen gesucht worden war, beherrschte Ratlosigkeit das Abschlußplenum. Neue Allianzen sind nicht in Sicht und die alten Allianzen beginnen zu bröckeln. Die grüne Basis, parteiunabhängige Natur- und Umweltschützer, Verbraucher haben von der Regierungsbeteiligung bestimmte Ergebnisse erwartet, die sie jetzt einklagen. Diese permanente Nörgelei nervt die Grünen Machtpolitiker erkennbar, die lieber mit den Vorstandsetagen kungeln. Es sind offenbar nur einige Vorzeigeunternehmen, die mitmachen, wie etwa der Ölkonzern Shell, der einen winzigen Teil seines Umsatzes mit Solarzellen macht.

 

Dabei gingen die bedenkenswerten Vorschläge von Carl Amery unter, der unter anderem eine Reform des Stiftungsrechts nach dem Vorbild des US-amerikanischen "community funding" vorschlug, denn das ermögliche "einen unproblematischen Übergang etwa durch von Stiftungsgelder erschlossenen Energieträgern zu Non-Profit-Betriebsgesellschaften, was die notwendige Konversion enorm beschleunigen würde". Partner für Allianzen ortete er, begründet durch einen Rekurs auf 2000 Jahre christlich-abendländischer Sinnstiftung, in den Kirchen, bei denen "schon jede Menge Grün - bei Pfarrgemeinden, bei der Landjugend, in Formationen wie ›Kirche von unten‹ und sofort" sprossen würde.

Bedenkenswert auch sein Hinweis auf Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" die den Realitäten Rechnung tragend eigentlich um den Zusatz "nach Maßgabe der Erfordernisse des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der Bestimmungen gegenwärtiger und zukünftiger Handelsverträger" erweitert werden müßte. Gesundheitsgefährdende Produkte und Produktionsweisen sollten unter Berufung auf diesen Artikel nicht einfach über den Preis mit unschädlichen konkurrieren dürfen. "Im Falle von Babynahrung ist das selbstverständlich, im Fall von Energieträgern ist es aber ohne weiteres gestattet". Es folgte der listige Hinweis, daß man den neoliberalen "Plattweltlern" in Brüssel ein Schnippchen schlagen könnte, weil das Gesundheitswesen noch eine nationale Angelegenheit sei.

Carl Amery mußte sich unter den jungdynamischen Politprofis wie ein Fossil vorkommen, wie der Öko-Opa, dem man artig für seine tiefgründigen Ausführungen dankt, aber eilig zum Tagesgeschäft übergeht. Der "Mammonismus" ist für Bündnis 90/Die Grünen offenbar nicht, wie ihn Carl Amery, unter Bezugnahme auf den Völkerrechtler William Basset bei einer Theologentagung nannte "das gewaltigste Raubtier, das die Geschichte hervorbrachte", sondern der Stubentiger, an dessen weichem Fell man sich wärmen möchte. Doch dieser Schmusekurs wird nicht aufgehen und es wird ein böses Erwachen im Bauch der Bestie geben.

 

Dankenswerterweise wurde die wörtliche Niederschrift der Rede von Carl Amery als Manuskript verteilt.
Sie wäre es wert, veröffentlicht zu werden, auch wenn sie nicht unmittelbar jedem verständlich sein wird.

 

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