Wendeverlierer Natur

Im Osten gehen Tier- und Pflanzenarten teils dramatisch zurück

Von Klaus Hart 1999

 

 

Vierzig Jahre rücksichtsloser SED-Planwirtschaft, hieß es nach 1989 fast einhellig, hatten der ostdeutschen Natur und Umwelt schwerste Schäden zugefügt. Politiker wie die damalige CDU-Bundesumweltministerin Angela Merkel betonten, die neuen Bundesländer sollten möglichst rasch und mit großem Mitteleinsatz an das weit höhere ökologische Niveau im Westen angepaßt werden.

Zehn Jahre nach der Wende stellt sich heraus, daß das Übertragen bundesdeutscher Umweltpolitik auf den Osten dort Flora und Fauna keineswegs zum Aufblühen gebracht hat. Fachleute von Landes-Umweltministerien und Naturreservaten betonen, zahlreiche Arten zählten eindeutig zu den Verlierern der Einheit, gingen teils dramatisch zurück. Naturschutz sei nicht leichter, sondern schwieriger geworden. Frühere Umweltaktivisten, die sich in der DDR mit dem System anlegten, nach der Wende in Ämter, Behörden rückten, dort "Berufsnaturschutz" betreiben, sehen sich heute "kaltgestellt und frustriert, am Gängelband der Politiker". Eingebunden in den Verwaltungsapparat, können sie längst nicht mehr das fordern und realisieren, was sie sich früher vorstellten.

Das Ausweisen neuer Schutzgebiete, heißt es, sei zunächst nur ein formaler Akt, garantiere nicht quasi automatisch die Zunahme bedrohter Arten. "Eigentliche Wendegewinner gibt es nicht - weder bei Tieren noch bei Pflanzen, ebensowenig einen positiven Bestandstrend", konstatiert Dr. Frank Zimmermann, zuständiger Referatsleiter im Brandenburger Umweltamt, "ein Erfolg bundesdeutscher Umweltpolitik läßt sich im Artenbestand und bei den Biotopen überhaupt nicht feststellen." Und die Bestandsentwicklung sei schließlich ein Zeichen, Signal für den ökologischen Zustand einer Region. Daß manche Arten, wie Fisch- und Seeadler zunehmen, sei lediglich die Fortsetzung eines Trends aus der DDR-Zeit, der sich wegen Nachwende-Faktoren teils verlangsame. Deutlich bis extrem zurückgegangen sind dem Biologen zufolge Greifvögel wie der einst so häufige Bussard, aber auch Milan, Habicht und Weihe.

"Ziemlich katastrophal" sieht es bei Bodenbrütern offener Landschaften, darunter Kiebitz, Rebhuhn, Bekassine, Rotschenkel, Rohrdommel oder Uferschnepfe aus. Gleiches gilt für den auf einem "Tiefststand" angelangten Schwarzstorch, oder den für die Milane wichtigen Feldhamster. "Der Zuwachs an Fischottern" so Zimmermann, "wird totgefahren".

In Sanierungsgebieten geht allein der Vogel- und Fledermausbestand bis zu neunzig Prozent zurück - die neue Umweltpolitik hat es nicht verhindert. Dennoch, so hebt er hervor, sind Flora und Fauna des Ostens genau wie nach der Wende weiterhin diversifizierter und gesünder als in jeder beliebigen Region Westdeutschlands. Das hatte damals sogar ein OECD-Gutachten bescheinigt, die industriellen Ballungszentren natürlich ausgenommen. Schließlich brüteten beispielsweise seinerzeit in der kleineren DDR über 2500 Storchenpaare, im viel größeren Bundesgebiet aber nur sechshundert. 1989 zieht im Westen kein einziges Fischadlerpaar mehr Nachwuchs auf, im Osten sind es über zweihundert. Vom weit selteneren Seeadler halten sich zur Wende in den alten Bundesländern weniger als zehn Brutpaare - da hatte allein schon die Industrieregion Sachsen mehr als das Doppelte, die gesamte DDR rund zweihundert. Laut Zimmermann ist dies vor allem ein Erfolg der ehrenamtlichen DDR-Naturschützer, die über Jahrzehnte ein dichtes Betreuernetz entwickelten. "Da ist natürlich nach der Wende eine ganze Menge weggebrochen."

Als "hundertprozentiges, absolutes Blech" bezeichnet er die Politikersprüche von der ökologischen Anpassung des Ostens: "Wir hatten eine gute, sehr fortschrittliche Naturschutzgesetzgebung - Horstschutzzonen keineswegs nur für seltene Greifvögel wurden in Mitteleuropa von der DDR zuerst eingerichtet, lange vor der Bundesrepublik. In Zusammenarbeit mit den Forstbehörden wurden damit große Erfolge erreicht - auch eine allgemeine Akzeptanz."

Mit der neuen Umweltpolitik nach der Wende war damit Schluß - das "Volkseigentum" Wald wird zunehmend privatisiert, neue Besitzer fällen sogar Horstbäume, trotz brütender Greifvögel. Die Wälder werden gesetzwidrig flächendeckend mit Autos und Motorrädern befahren - weder Polizei noch Förster schreiten gewöhnlich dagegen ein. Tiere werden wie nie zuvor bei der Jungenaufzucht gestört bzw. davon abgehalten. Die Autoritäten lassen zu, daß Umweltstraftaten stark anwachsen, als Kavaliersdelikt gelten. "Was bekannt wird", so Zimmermann, "ist oft nur die Spitze des Eisbergs, sehr viel mehr passiert im Dunkeln, gerade bei Greifvögeln - Ausnehmen von Gelegen, Aushorsten von Tieren. Natürlich wird auch die Landschaft wieder stärker chemisiert".

In der DDR wurden Personen und Fracht umweltfreundlich größtenteils über die Schiene transportiert - nach der Wende stellte man zielstrebig zur Freude der Autokonzerne auf die Straße um, machte Bahnfahren durch extreme Preisanhebungen unattraktiv. Wertvolle Naturräume werden erstmals durch Verkehrswege zerschnitten - die technisch größtenteils durchaus vermeidbaren Tierverluste an Straßen sind erschreckend in die Höhe geschnellt: "Für eine ganze Reihe von Arten ist das gravierend, die litten unter dem zunehmenden Straßenverkehr nach der Wende ganz massiv."

Auch andere Gründe für den Arteneinbruch nach 1989 sind bestens bekannt, ohne daß die Politik reagiert. Der Nutzungsdruck auf der Landschaft, dazu der ungebremste enorme Flächenverbrauch, die Autoabgase, Müllawinen und die Bodenversiegelung haben stark zugenommen. Die Nachwendebilanz von Paul Sömmer, Greifvogelexperte der Naturschutzstation Woblitz, klingt ebenfalls nicht gerade optimistisch: "Fakt ist, daß die Großtrappe aussterben wird. Man ist dabei, fast alle Vogelarten des Offenlandes auszurotten oder an den Rand des Abgrundes zu bringen. In Brandenburg ist der Feldhamster so gut wie ausgestorben, in Sachsen-Anhalt ging er nach der Wende dramatisch zurück, als Folge ebenso der Rotmilanbestand. Eine Art nimmt immer mehrere andere mit."

Den starken Rückgang von Saatkrähe oder Kiebitz nennt er ebenfalls ein Nachwende-Problem. "Anders als früher hat heute jeder Depp `ne Waffe und ballert damit rum, schießt sogar Adler ab, die in der DDR tabu waren."

Doch nicht nur die Umweltpolitik änderte sich, auch das Umweltverhalten der Bevölkerung. "Die Akzeptanz gegenüber Mitgeschöpfen", so Sömmer," hat sich seit 1989 nur verschlechtert, die Intoleranz wird immer größer." Von denen, die in Woblitz wegen dem Storch anrufen, sehen fast fünfzig Prozent nur Probleme: "Der klappert zu laut, kackt auf den Opel – das wurde früher einfach respektiert, spielte keine Rolle. Da gab es nicht diesen absurden Ordnungsfimmel. Die Leute stören sich heute an Schwalbennestern - die werden runtergeschmissen."

Jene oft erschreckend sterilen, aseptischen Dörfer Westdeutschlands - jetzt gibt's die auch im Osten. Vor dem sanierten Gebäude muß auch der Garten so aussehen wie in der knallbunten Propaganda des Baumarkts - so daß Wildkräuter ebenso verschwinden wie undiszipliniert wachsendes Gesträuch, wo sich früher Nachtigallen und Igel tummelten. Auch die flächendeckende visuelle Umweltverschmutzung durch Firmenpropaganda wird in ostdeutschen Straßen und Landschaften inzwischen hingenommen. Sömmers Kollege Torsten Langgemach, Leiter der Vogelwarte Buckow, zählt Bodenbrüter, Limikolen zu den "Verlierern der deutschen Einheit".

Absurde Fehlurteile würden permanent propagiert, hätten fatale Folgen: Greifvögel gehen zwar deutlich zurück, trotzdem wird das Gegenteil behauptet, fordert man inzwischen sogar bundesweit, sie zu bekämpfen, tut es bereits illegal, neuerdings auch in Ostdeutschland. Der Baumfalke brütet nur in Krähennestern - da die schwarzen Gesellen in der Landschaft stark abnehmen, fehlen ihm neuerdings Horste. In verschiedenen neuen Bundesländern, darunter Thüringen, werden dennoch Krähen zum Abschuß freigegeben. "Jetzt ziehen wieder große Schwärme durchs Land und die Leute sagen, Vögel gibt's doch noch und nöcher", so Langgemach ironisch.

Doch kaum einer sehe, daß es sich, wie etwa beim Kiebitz, kaum um heimische Brutvögel, sondern gen Westen ziehende Scharen anderer Länder handele. Auch er konstatiert eine erschreckende Naturentfremdung als Wendefolge gerade bei Jugendlichen: "Wir hatten in der Naturschutzstation viele Oberstufenklassen, die noch nie einen Weißstorch sahen, angesichts unserer Pfleglinge aus allen Wolken fielen. Was is'n das, das ist ja noch ein Storch! Die denken, das wäre was Archaisches, obwohl doch auf dem flachen Land überall welche sind." Das neue Schulsystem versagt offensichtlich grauenhaft – außerdem wurden die Arbeitsgemeinschaften "Junger Naturschützer" der DDR-Zeit abgeschafft. Doch diese hatten früher überall an den Schulen laufend junge Leute an das Naturschutzthema herangeführt.

"Schülerarbeitsgruppen", erinnert sich Zimmermann, "haben sich in der DDR ganz stark auch um Amphibiengewässer gekümmert, Zäune gebaut, Frösche und Kröten über die Straßen getragen." Daß es die AGs nicht mehr gibt, spürt man überall: "Durch den Wegfall kriegen wir heute keinen Nachwuchs mehr", sagt der Westberliner Biologe Wolfgang Mädlow, Geschäftsführer des NABU in Brandenburg." Seinem NABU-Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, dem Niedersachsen Gundolf Renze fiel auf, daß es im Unterschied zu früher heute kaum noch Möglichkeiten gebe, gegen Naturfrevler, Umwelttäter wirklich vorzugehen. "Wegen der Schreiadler und anderer seltener Arten hatte man sich sozusagen auf dem kurzen Dienstweg mit den zuständigen Förstern einigen können – heute kämpfen die Naturschützer mit den Privateigentümern der Waldflächen, doch die Störungen nehmen zu."

Das Tafelsilber der deutschen Einheit, hört man vielerorts, kriegt immer mehr Rostflecken. Noch besser vergleichen kann Dr. Horst Zimmermann, einst Naturschutzbeauftragter des Bezirkes Schwerin, heute Referatsleiter Naturschutz im Umweltministerium – auch er bestätigt den teils drastischen Artenrückgang. "Alles ist viel, viel schwieriger geworden – damals in der DDR gab es viel weniger Verfehlungen und man paßte auf, der praktische Naturschutz war besser und einfacher, funktionierte gut." Fragt man im Osten nach der Rolle der Grünen im Naturschutz, bekommt man gewöhnlich ein sehr ironisches Lachen zurück. "Die sind doch gar nicht kompetent, interessieren sich überhaupt nicht für die Natur, den drastischen Artenschwund", ist zu hören. Und natürlich ist man sehr gespannt, mit welchen Projekten Umweltminister Jürgen Trittin die Nachwende-Erblast des Artenrückgangs beseitigen will.

 


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