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102 - Die große Pause 

 

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Der Mensch kommt bekanntlich unfertig auf die Welt. Zwar ist er nach der begrifflichen Systematik eines Biologen kein echter Nesthocker — bei diesen sind Augen und Gehörgänge nach der Geburt noch mehr oder weniger lange verschlossen —, aber hilflos und in vieler Hinsicht unreif ist er wie diese.

Als <physiologische Frühgeburt> haben manche Biologen den menschlichen Säugling bezeichnet, und der Basler Zoologe A. Portmann insbesondere hat die Bedeutung der Tatsache betont, daß der Mensch die letzte Phase seiner embryonalen Entwicklung nicht im Mutterleib, sondern unter vielfältigen Einflüssen der Umwelt zu absolvieren habe.

Wissenschaftliche Forschung hat diese Tatsache in neuerer Zeit durch eine Fülle eindrucksvoller — und meist überraschender — Befunde untermauert. Aus der Vielzahl der Beispiele soll hier nur eines der neuesten und wichtigsten zur Sprache kommen. 

Anknüpfen will ich dabei — dem Charakter dieses Buchs entsprechend — wieder an einem persönlichen Datum: an meinen ersten Erinnerungen. Weil diese noch in die Berliner Zeit fallen, bevor meine Eltern mit mir und meiner 1922 geborenen Schwester nach Holstein zogen, kann ich sie datieren. 

Ich kann nicht älter als zwei Jahre gewesen sein, als die wenigen Szenen sich abspielten, an die ich mich als erste Augenblicke in meinem Leben bewußt erinnere. Es sind kaum mehr als Momentaufnahmen. Bis auf eine sind sie alle von scheinbarer Belanglosigkeit, was die Frage aufwirft, warum gerade sie sich eingeprägt haben mögen. 

Das eine sind einige Sekunden eines Ganges über einen Etagenflur zu einem offenstehenden Aufzug, an dessen Türrand genug Platz war, um erkennen zu lassen, daß der Fahrstuhlschacht aus einer gitterartigen Eisenkonstruktion bestand, die von außen an die Hausfassade angesetzt war (nachträglich, wie bei älteren Etagenbauten damals üblich).

Dieses Detail — das Jahre später von den Eltern bestätigt wurde —, überzeugte sie davon, daß ich tatsächlich so frühe Erinnerungen hatte, was sie zunächst nicht hatten glauben wollen. 

Dann gibt es noch die Erinnerung an ein Kinderzimmer mit Wickelkommode, dessen partiellen Grundriß ich beweiseshalber später aufzeichnen konnte. 

An einen Augenblick, in dem ich neben einem Kinderwagen herlief, in dem meine Schwester lag und an den ich mich klammerte, während ich eine den Wagen schiebende Frau (Kinderfrau?) anquengelte, mich auch in den Wagen zu setzen, was diese mit der vorwurfsvollen Bemerkung ablehnte: »Aber so ein großer Junge!«

Das einzige Erlebnis, dessen Existenz in meiner Erinnerung psychologisch begründbar erscheint, ist ein kleiner Unfall: In einem Garten, der übrigens von unserer Wohnung getrennt lag, spielte ich in einem Sandkasten mit blechernen roten und blauen Sandformen. Dabei fiel ich hin und zog mir an dem scharfen Rand einer solchen Form einen leicht blutenden Schnitt am rechten Handgelenk zu, was mich veranlaßte, laut brüllend zu der auf einer Bank sitzenden weiblichen Aufsichtsperson (Kinderfrau?) zu laufen. Daß ich bei ihr anlangte, verrät dieser Erinnerungsfetzen nicht mehr.

In den zwei Jahren, die zwischen meiner Geburt und diesen ersten Erinnerungen liegen, hatte ich, wie das ja als normal gilt, offensichtlich Laufen gelernt. So sagt man, und meine Eltern haben das sicher auch geglaubt. Der Mensch »lernt« aber das Laufen ebensowenig wie ein Vogel das Fliegen. 

Wer die ersten Flugversuche junger Amseln oder Schwalben beobachtet, kann sich in der Tat nicht dem Eindruck entziehen, daß da die für Vögel charakteristische Fortbewegung Flügelschlag für Flügelschlag »geübt« wird, bis das Jungtier sie endlich nach mehreren Tagen beherrscht. Erst das zoologische Experiment — und der ihm vorangehende Verdacht des wissenschaftlich geschulten Tierbeobachters, der auf den Gedanken verfiel, daß das Experiment überhaupt nötig sein könnte — haben gezeigt, wie falsch dieser Eindruck ist.

Wenn man einem Teil der Nestbesatzung junger, noch nicht flugfähiger Schwalben die Möglichkeit zum »Üben« nimmt (zum Beispiel indem man sie in kleine Pappröhren steckt, die ihre Flügel bewegungsunfähig machen) entdeckt man erst, was man wirklich zu Gesicht bekommen hat: nämlich die Wirkungen der Ausreifung jener Partien des Vogelgehirns, deren Nervenzellverdrahtung in der Gestalt eines spezifischen Schaltmusters das Steuerungsprogramm für die komplizierte Abfolge von Muskelinnervationen enthält, die einen Vogel zum Fliegen befähigen.

Wenn man die in das Experiment einbezogenen Jungschwalben nämlich an dem Tag von den bewußten Pappröhrchen befreit, an dem ihre unbehindert gebliebenen Geschwister das Fliegen nach tagelangem Herumgeflattere schließlich perfekt beherrschen, stellt man fest, daß es all des — eben nur scheinbaren — Übens nicht bedürft hätte. Sie fliegen vom Augenblick ihrer Befreiung an sofort mit dem gleichen Geschick wie ihre Geschwister. Nicht anders verhält es sich mit dem »Laufenlernen« eines Kleinkindes.

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Komplizierter — und trotz vieler Untersuchungen noch immer nicht restlos aufgeklärt — sind die Verhältnisse beim »Sprechenlernen« in derselben Lebensphase. Die vor allem von dem amerikanischen Linguisten Noam Chomsky und seiner Schule durchgeführten vergleichenden Sprachuntersuchungen haben kaum widerlegbare Indizien für angeborene Komponenten der menschlichen Sprachfähigkeit zutage gefördert. So finden sich in allen bisher untersuchten Sprachen bestimmte gemeinsame grammatische Strukturen. Chomsky spricht anschaulich von einer allen Menschen angeborenen »Tiefengrammatik«.* 

Daß am frühkindlichen Spracherwerb Umwelteinflüsse und Lernvorgänge entscheidend mitbeteiligt sind, liegt ohne alle spezielle Untersuchung auf der Hand: Ich habe seinerzeit Deutsch gelernt und nicht irgendeine beliebige andere Sprache, weil in meiner Umgebung deutsch gesprochen wurde.

Die erst in neuerer Zeit entdeckte eigentümliche Verschränkung angeborener Voraussetzungen mit Lernprozessen beim Spracherwerb (nicht nur für diesen Fall geltend und erstmals wohl in Gestalt des Phänomens der bekannten frühkindlichen »Prägung« entdeckt) gibt sich noch in einer weiteren Erfahrung zu erkennen, die ich mit allen meinen Mitmenschen teile und die zu bedauern aus vielfachen Gründen aller Anlaß besteht. Die Fähigkeit der angeborenen und zunächst abstrakten »Tiefengrammatik«, sich mit den konkreten Wortsymbolen einer ganz bestimmten Sprache zu verknüpfen, nimmt im Laufe des Lebens rasch ab. Vergleichbar — und wohl auch übereinstimmend — mit der für das Phänomen der Prägung kennzeichnenden »sensiblen Phase« ist auch die für das Erlernen einer bestimmten Sprache optimale Lebensphase zeitlich begrenzt.

* Deren Vorhandensein allein schon läßt die Unsinnigkeit der Bemühungen erkennen, Menschenaffen menschliche Wörter beizubringen. Aus demselben Grunde sind auch die von einigen amerikanischen Primatenforschern unternommenen Versuche gescheitert, sich mit ihren Zöglingen mit Hilfe von der Taubstummen­sprache entlehnten Gesten oder graphischer Symbole quasisprachlich zu verständigen. Es hat sich in allen Fällen bestätigt, was die Kritiker von Anfang an behauptet hatten: Die Ergebnisse, die man mit solchen Versuchen erzielen kann, sind das Resultat gewöhnlicher »Dressur« und nicht Ausdruck von Sprach- oder Symbolverständnis seitens der Versuchstiere. Sprachvermögen setzt mehr voraus als ein Training des Kehlkopfes. 

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Am leichtesten fällt es bekanntlich in den ersten Jugendjahren. Schon zu Beginn der Pubertät wird die Sache schwieriger. Und mit deren Abschluß sind auch die Chancen, eine bis dahin unbekannte Sprache noch »wie ein Einheimischer« beherrschen zu lernen, für die meisten Menschen so gut wie dahin. Allerdings verrät sich die Rolle der angeborenen Voraussetzungen auch in diesem Alter noch durch offenkundige Unterschiede der individuellen »Sprachbegabung«.

Die in unserer Zeit so reichlich vorliegenden Erfahrungen von und mit Emigrantenschicksalen belegen die Regel: Wen es erst im Alter von zwanzig oder mehr Jahren in einen ihm bis dahin fremden Sprachraum verschlägt, der mag zwar den dort geltenden Wortschatz und die formalen Nuancen seiner Anwendung noch lernen können. In Ausnahmefällen sogar in solchem Maße, daß er sich, wie berühmte Beispiele gezeigt haben, als Schriftsteller zu behaupten vermag. Seinen fremdländischen »Akzent« aber, der ihn sofort als Newcomer verrät, verliert so jemand bis zum Ende seines Lebens nicht mehr.

Ich habe die Auswirkungen dieses Schwundes der angeborenen Fähigkeit zum Erlernen einer Sprache am eigenen Leibe schmerzlich zu spüren bekommen. Da mein Vater wie einem unverrückbaren Dogma der Überzeugung anhing, daß Bildung sowie jedwede geistige Entwicklung von nennenswertem Belang ausschließlich durch eine intensive Beschäftigung mit der griechischen und lateinischen Sprache zu erlangen seien, wurde ich, als es soweit war, in ein humanistisches Gymnasium strengster Observanz geschickt. 

Das Viktoria-Gymnasium in Potsdam, um das es sich handelte, hatte zwar auch einen »realen« Zweig, für den man sich ab Quarta entscheiden konnte. Der aber wurde bei uns zu Hause zu keiner Zeit ernstlich in Erwägung gezogen, allenfalls in spöttisch-scherzhafter Form, wenn nicht als Drohung in Zeiten, in denen mein Vater von Zweifeln befallen wurde hinsichtlich meines Lerneifers.

Zu diesem Punkt noch eine kleine, die Situation der zwanziger Jahre auf kuriose Weise erhellende Episode. Unter dem beherrschenden Einfluß meines Vaters hatte ich mir dessen Überzeugung von der unbezweifelbaren Überlegenheit einer humanistischen Schulbildung von Anfang an als unbefragbare Wahrheit zu eigen gemacht.

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Nicht gering war mein Erschrecken daher, als mir — wenige Wochen vor dem Übergang von der Volksschule auf das Gymnasium — ein Klassenkamerad wichtigtuerisch erzählte, daß Hindenburg höchstselbst soeben in der Zeitung Zweifel geäußert habe an der Unverzichtbarkeit einer humanistischen Erziehung. Um die Wirkung dieser Mitteilung auf meinen Seelenzustand ermessen zu können, muß man wissen, daß das Umfeld, in dem ich meine Kindheit verbrachte, weit über das Elternhaus hinaus und seit Generationen bis ins Mark nationalistisch-konservativ geprägt war.

In den Jahren der verhaßten Weimarer Republik trieb diese Haltung die seltsamsten Blüten. Meine Großmutter väterlicherseits war eine ihrer Güte und Bescheidenheit wegen allseits, auch bei den sogenannten »einfachen Leuten«, als »Tante Martha« beliebte, wenn nicht wahrhaft geliebte Frau.  

In ihrer an Einfalt grenzenden Schlichtheit war sie auch für heutige Ansprüche der Inbegriff einer unpolitischen Existenz. Aber sie klebte, vermutlich ohne sich viel dabei zu denken — wenn sie sich überhaupt etwas dabei dachte —, die damals mit dem Porträt des ersten republikanischen Reichspräsidenten gezierten Briefmarken grundsätzlich und mit Sorgfalt verkehrt herum auf ihre Briefe, so daß der arme Friedrich Ebert auf dem Kopf stand.

»Man« machte das so, jedenfalls »in unseren Kreisen«. Es war eine jener längst zur gedankenlosen Gewohnheit gewordenen Demonstrationen, mit denen diese Kreise zeigen wollten, daß sie mit dem »ganzen roten Pack, das uns heute regiert«, nichts zu tun haben wollten, schon gar nicht mit dem »Sattlergesellen Ebert«, den eine für das ganze Elend des Vaterlandes verantwortliche sozialistische Revolution groteskerweise auf den Präsidentenstuhl verschlagen hatte. (So, wie man auch davon absah, seine Kinder weiterhin in die zuvor so beliebten »Matrosenanzüge« zu stecken, weil die nationale Schande 1918 ja mit der Meuterei bei der Hochseeflotte angefangen hatte.)

Dieser Geistesverfassung erschien nun der nach dem Tode Eberts 1925 von den vereinigten Rechtsparteien auf den Stuhl des Reichspräsidenten gewählte kaiserliche Feldmarschall Paul von Hindenburg als letzter nationaler Hoffnungsträger. Auf ihn, den »Sieger von Tannenberg«, richtete sich eine geradezu grenzenlose und die wirklichen Fähigkeiten dieses gewiß rechtschaffenen, aber doch auch schlichten Mannes weit überschätzende Verehrung. Er galt in den Kreisen jener, die an der Niederlage wie an ihrer persönlichen Erniedrigung schwer trugen, als einzig gleichgesinnter Repräsentant eines Gemeinwesens, dessen republikanische Strukturen sie nicht verstanden und dessen Werte sie a priori ablehnten. Er war für sie in allen nationalen Belangen der letzte vertrauenswürdige Gewährsmann und — für nicht wenige darüber hinaus — eine auch in allen übrigen öffentlichen Fragen den Ausschlag gebende Autorität.

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Diese menschgewordene Institution hatte nun in einer mich betreffenden Angelegenheit der Auffassung meines Vaters widersprochen! Beklommen nutzte ich die erste sich bietende Gelegenheit, die beunruhigende, unerhörte Information mit allem einem Neunjährigen zu Gebote stehenden diplomatischen Takt meinem Vater zur Kenntnis zu bringen. Er brauchte — wie mir nicht entging und wofür ich größtes Verständnis empfand — einige Sekunden, um die Nachricht zu verdauen.

Dann aber teilte er mir in wohlgesetzten, mit Bedacht ausgewählten Worten und in halblaut-diskretem Tonfall mit, daß der »hochzuverehrende Reichs­präsident von Hindenburg« zwar unstreitig eine überragende Autorität auf vielen Gebieten sei, daß man es an dem diesem Manne gegenüber angebrachten Respekt andererseits aber nicht fehlen lasse, wenn man die Möglichkeit in Betracht ziehe, daß er sich in der Frage der humanistischen Schulbildung irren könnte. Natürlich kann ich mich an den genauen Wortlaut der väterlichen Lösung des Problems nach so langer Zeit nicht mehr erinnern. Dies aber war ihr Kern, und dies war die Atmosphäre, in der sie mir eröffnet wurde.

An der väterlichen Entscheidung für einen humanistischen Bildungsweg wurden folglich ungeachtet der Bedenken Hindenburgs keine Abstriche vorgenommen. Ich bin meinem Vater zwar heute noch dankbar dafür. Die Geisteswelt der griechischen Antike und des Roms der klassischen Epoche bildet die vielzitierte Wurzel unserer Kultur. Wer in seinem späteren Leben auf den Gedanken kommt, unsere heutige Gesellschaft verstehen zu wollen, ihre Wertvorstellungen und die eigenen Lebensziele, hat es leichter, wenn er von deren historischem Hintergrund etwas weiß, weil man ihm in seiner Schulzeit davon erzählt hat. Wer davon nie etwas hörte, ist ärmer dran.

Nachträglich nehme ich mir allerdings die Frage heraus, ob dieses erstrebenswerte Bildungsziel wirklich vom Schulbeginn an bis zum Abitur sieben Wochen­stunden Latein unverzichtbar macht und dazu dann von der Untertertia (viertes Gymnasialschuljahr) ab die gleiche Dosis Griechisch — auf Kosten einer nicht geringen Zahl anderer nicht ganz unnützer Wissensgebiete.

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Ich hege die Vermutung, daß sich der Verstand eines Heranwachsenden mit Hilfe der Mathematik ganz vorzüglich und sehr sinnvoll trainieren läßt. Auf die Bekanntschaft mit den höheren Stufen dieser geistigen Disziplin mußten wir damals in Potsdam jedoch notgedrungen verzichten. Auf dem humanistischen Zweig reichte die Zahl der zumutbaren Wochenstunden nicht auch noch dafür.

 

Es läßt sich kaum bestreiten, daß die damals den Gymnasialunterricht bestimmenden Bildungsideale unter dem Einfluß eines tiefsitzenden Winckelmann-Komplexes an einer gewissen Schräglage litten. Griechisch und Latein, das ist gut und sicher richtig. Aber müssen diese zwar klassischen, aber auch toten Sprachen darum gleich mit einem Übergewicht gepflegt werden, das alle anderen Bildungsziele (außer Deutsch und Geschichte) auf den Rang von Nebenfächern verweist? 

Ich habe an den Folgen dieser Einseitigkeit lebenslang leiden müssen.

Während der ganzen Schulzeit gab es für uns keinen Englischunterricht. Sehr viel später erst habe ich mir, genötigt durch meine wissenschaftliche Tätigkeit, diese Sprache im Selbststudium und auf vielen Reisen in englischsprachige Länder angeeignet. Aber ich habe dabei die Erfahrung machen müssen, daß die Fähigkeit zum Spracherwerb in späteren Lebensjahren nicht mehr optimal ausgebildet ist. Zwar kann ich englische Texte heute so mühelos lesen wie deutsche. Mit dem Sprechen und akustischen Verstehen hapert es aber beklagenswerterweise beträchtlich. Als besonders schmerzliches Handicap empfinde ich das Unvermögen, mich bei Diskussionen und als Vortragender im Ausland auf englisch hinreichend differenziert ausdrücken zu können.

Auch darin bestehen die Konsequenzen einer humanistischen Erziehung, wenn sie allzu rigoros betrieben wird. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.« Das alte Sprichwort faßt die Erfahrung knapp und treffend zusammen. Warum Hänschen aber so sehr viel leichter lernt als Hans, davon konnten jene noch nichts wissen, die sich der Regel in der Vergangenheit zum Zwecke pädagogischer Ermahnung bedienten. 

Was ist das für eine Änderung, die sich in unserem Zentralnervensystem am Anfang unserer irdischen Existenz abspielt, und was ist ihr tieferer Sinn? Oder, transponiert wiederum in das autobiographische Gerüst dieses Buches: Was hat sich in meinem Gehirn abgespielt zwischen meiner Geburt und den ersten Erinnerungen, in der Zeitspanne also, die sich in meinem Bewußtsein im Rückblick nur als schwarzes Loch darstellt?

Die neurobiologische Erforschung des Aufbaus und der funktionellen Organisation der Großhirnrinde beim Menschen und bei höheren Tieren hat auf diese Frage in den letzten Jahren Antworten zutage gefördert, die bei aller Unvollständigkeit atemberaubende Einsichten vermitteln: in die Grundlagen unseres Bewußtseins, in die Bedingungen der Art und Weise, wie wir die Welt erleben, und damit in das Wesen dessen, was wir die »Realität« oder die außerhalb unseres Kopfes existierende »Außenwelt« zu nennen pflegen.

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