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4  Temperaturen und Meeresspiegel steigen an 

Brown-2006

 

 

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Im Jahr 2004 hat Sir David King, der wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, einige aufschluss­reiche neue Forschungsergebnisse vorgestellt, durch die der Zusammenhang zwischen CO2-Werten und Temperaturen über die letzten 740.000 Jahre belegt wird. Analysen eines Eiskerns aus der Antarktis, den britische Wissenschaftler 3.000 Meter tief ins Eis gebohrt hatten, ergaben, dass die atmosphärische Konzentration von CO2 durchweg zwischen 200 ppm in den Eiszeiten und 270 ppm während der wärmeren Perioden schwankte. Dieser Wechsel zwischen Eiszeiten und warmen Perioden fand mehrfach statt, die CO2-Werte bewegten sich stets in dem genannten Bereich.1) 

Zu Beginn der Industriellen Revolution lag der CO2-Wert bei etwa 270 ppm. Der für 2004 gemessene CO2-Wert von 377 ppm liegt nicht nur deutlich über allen Werten für die letzten 740.000 Jahre, er nähert sich einem Wert, wie er seit 55 Millionen Jahren nicht mehr gemessen wurde. Damals war die Erde noch ein Planet mit durchweg tropischem Klima, es gab kein Eis an den Polen und der Meeresspiegel lag 80 Meter über dem heutigen.2) 

Die zerstörerischen Folgen der erhöhten Temperaturen sind heute an vielen Stellen bereits sichtbar. So sind in den letzten Jahren die Getreideernten in wichtigen Lebensmittel produzierenden Regionen wegen starker Hitzewellen, die die Pflanzen verdorren ließen, deutlich geringer ausgefallen. 

1)  Sir David King, "Global Warming: The Science of Climate Change — the Imperatives for ] Action," Gehalten als 3. Greenpeace Business Lecture (London: 12. Oktober 2004): Paul I Brown, "Melting Ice: The Threat co Londons Future," The Guardian (London). 14. Juli \ 2004; Eiskernuntersuchung in EPICA Community Members. "Eight Glacial Cycles froml an Antarctlc Ice Gore," Nature, Vol. 429 (10. Juni 2004), S. 623-28: Jerry F. McMan« "A Great Grand-Daddy of Ice Gores," Nature, Vol. 429 (10. Juni 2004), S. 611-12; Gabrielle Walker, "Frozen Time," Nature, Vol. 429 (10. Juni 2004), S. 596-97.  
2)  EPICA Community Members. op. dt. Note 1; derzeitige Kohlendioxidwerte aus C. DJ Keeling und T. P. Whort. "Atmosphärische C02-Werte von Standorten innerhalb des SIOj Air Sampling Network," in Trends: A ompendium of Data on Global Change (Oak Ridge, TN: Carbon Dioxide Information Analysis Center. Oak Ridge National Laboratory, Mail 2005): Brown, op. cit. Note 1; Quirin Schiermeier, "A Rising Tide," Nature, Vol. 428 (11. März. 2004). S. 114-15.


2002 haben die Rekordtemperaturen und die damit einhergehende Dürre dazu geführt, dass die Getreideernte in Indien, den Vereinigten Staaten und Kanada geringer ausfiel, wodurch weltweit 90 Millionen Tonnen, fünf Prozent, weniger zur Verfügung standen als gebraucht wurden. Die rekordverdächtige Hitzewelle in Europa m Jahr 2003 führte zu einem Defizit von 90 Millionen Tonnen in der weltweiten Ernte. Und die starke Hitze und die Dürre im amerikanischen Com Belt trugen 2005 zu einem Defizit von weltweit 34 Millionen Tonnen bei.3)

Derartig starke Hitzewellen fordern auch von den Menschen ihren Tribut. Bei einer Hitzewelle 1995 starben 700 Einwohner von Chicago. Im Mai 2002 starben bei einer Hitzewelle in Indien, die Temperaturen von bis zu 50°C erreichte, allein im Bundesstaat Andhra Pradesh mehr als 1.000 Menschen.4)

Im Jahr 2003 kostete die enorme Hitzewelle, die in ganz Europa die Temperaturrekorde brach, 49.000 Menschen in acht Ländern das Leben. Allein in Italien starben mehr als 18.000 Menschen und in Frankreich 14.800. Bei dieser Hitzewelle starben in Europa fünfmal mehr Menschen als bei dem Terroranschlag auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001.5)

Von den zahlreichen Auswirkungen der steigenden Temperaturen erwecken vor allem das Abschmelzen der Eismassen und dessen Auswirkungen auf die Höhe des Meeresspiegels das Interesse der Wissenschaftler. Wenn der Meeresspiegel steigt, werden tief gelegene Inselstaaten wie Tuvalu und die Malediven oder Städte in Küstennähe wie London, New York und Shanghai die Folgen als erste zu spüren bekommen.6)

 

3)  U.S. Department of' Agriculture (USDA), Production, Supply, & Distribution, elektronische Datenbank, auf  wwvv.fas.usda.gov/psd , Update 13. September 2005; Janet Larsen, "Record Heat Wave in Europe Takes 35,000 Lives," Eco-Economy Update (Washington, DC: Eatth Policy Institute, 9. Oktober 2003); USDA National Agricultural Statistics Service (NASS), "Crop Production," Pressenotiz (Washington, DC: 12. August 2005).  
4)  Cindy Schreuder und Sharman Stein, "Heat's Toll WorseThan Believed, Study Says at Least 200 More Died." Chicago Tribüne, 21. September 1995; "India Heat Wave Toll Tops 1.000," CNN, 22. Mai 2002; "Indias Heatwave Toll 1,200, No Respite in Sight," Agence Fmnce-Presse, 23. Mai 2002.  
5)  Centers for Disease Conttol and Prevention (CDC), "Heat-Related Deaths—Chicago, Illinois, 1996-2001, and United States, 1979-1999," Morbidity and Mortality Weeky Deport, 4. Juli, 2003; Schätzungen der Todesopfer in Europa zusammengestellt in Larsen, °P- cit. Note 3, Update mit Istituto Nazianale di Statistica, Bilanäo Demografico Nnzionak: Anno 2003 (Rom: 15. Juli 2004); Todesopfer durch Anschläge vom 11. «'Ptember 2001 aus National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States.
he 9/11 Commission Report (Washington, DC: U.S. Government Prinring Office, 2004).  
6)  Andrew Simms, "Farewell Tuvalu," The Guardian (London), 29. Oktober 2001; Jacopo Pasotti, "Maldives Experience That Sinking Feeltng," Science Now, 17. Juni 2005; Brown,! op. cit. Note 1; Stuart R. Gaffin. High Water Blues: Impacts of Seil Level liise on Selected I Coasts andIslands (Washington, DC: Environmental Defense Fund, 1997), S. 27. 

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Die Versicherungsindustrie ist sich der Beziehung zwischen steigenden Temperaturen und der Stärke von Stürmen schmerzlich bewusst. Da die Schadens­meldungen im Zusammenhang mit Unwettern stark zugenommen haben, sind die Erträge in den letzten Jahren gesunken, ebenso wie die Einstufung der Kredit­fähigkeit von Versicherungsunternehmen und Rückversicherern, die wiederum die Versicherungen versichern. In Unternehmen, die historische Daten als Grundlage für die Berechnung der Versicherungs­prämien für zukünftige Sturmschäden benutzen, stellt man fest, dass die Vergangenheit inzwischen keine verlässliche Orientierungshilfe für die Zukunft mehr darstellt.7)  

Das ist nicht nur ein Problem für die Versicherungsindustrie, sondern für jeden von uns. Durch uns verändert sich das Klima weltweit und wir setzen Entwicklungen in Gang, die wir gar nicht immer begreifen und deren Folgen wir nicht vorhersehen können.

 

Die steigenden Temperaturen und ihre Folgen

 

Wissenschaftler am Goddard Institute for Space Studies der NASA sammeln Daten aus einem globalen Netzwerk von etwa 800 Klimaüberwachungs­stationen, um die Veränderungen in der weltweiten Durchschnitts­temperatur zu messen. Die Aufzeichnungen reichen 125 Jahre bis zum Jahr 1880 zurück.8)

Seit 1970 ist die weltweite Durchschnittstemperatur um 0,8°C gestiegen. In dieser Zeitspanne war der Anstieg in jedem neuen Jahrzehnt immer größer als der im vorangegangenen. (Abb. 4-1) Meteorologen haben festgestellt, dass die 22 wärmsten Jahre innerhalb ihrer Aufzeichnungen nach 1980 kamen. Und sechs der letzten acht Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen 1880. In drei dieser sechs Jahre — 2002, 2003 und 2005 — sind in großen Lebensmittel produzierenden Regionen die Ernten aufgrund rekordverdächtiger Hitze verdorrt.9)

 

7)  "Awful Weather We're Having," The Economist, 2. Oktober 2004; Richard Milnel "Hurricanes Cost Munich Re Reinsurance," Financial Times, 6. November 2004. 
8)  J. Hansen, NASA's Goddard Institute for Space Studies (GISS), "Global Temperatur! Anomalies in 0.1 C," ar http://data.giss.nasa.gov/gistemp/tabledata/GLB.Ts.txt, Update September 2005; Klimaüberwachungsstationen aus Reto A. Ruedy, GISS, E-Mail an Janet Larsen, Earth Policy Institute, 14. Mai 2003.  
9)  Abbildung 4-1 aus Hansen, op. cit, Nore 8; Informationen über Ernten aus USDA. op. cm Note 3; USDA, Grain: World Markets and Trade (Washington, DC: mehrere Monate).

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Abb. 4-1 

Abb. 4-2

 

Seit der Industriellen Revolution ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre deutlich gestiegen, wobei es den größten Anstieg nach Beginn der Aufzeichnungen 1959 gab. Seit dieser Zeit ist die Konzentration immer weiter gestiegen und so ist dieser Anstieg zu einem der vorhersagbarsten Umwelttrends der Welt geworden. Wie in Abbildung 4-2 zu sehen ist, sind die CO2-Werte um 1960 stark angestiegen. Etwa zehn Jahre später, um 1970, begann auch die Temperatur zu steigen.10)

 

10)  Abbildung 4-2 aus Keeling und Whorf, op. cit. Note 2. Schätzungen historischer Kohlendioxidwerte in Daten aus Seth Dunn, "Carbon Emmissions Dip", in Worldwatch Institute, Vital Signs 1999 (New York......) ... Note 8

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Vor dem Hintergrund dieser rekordverdächtigen Anstiege erscheinen die Vorhersagen des Intergovern­mental Panel on Climate Change (IPCC) über einen Anstieg der durchschnittlichen Temperatur um 1,4 bis 5,8°C weltweit innerhalb dieses Jahrhunderts durchaus nicht unwahrscheinlich. Zusammen mit dem Abschmelzen der grönländischen Eisplatte, dem Abschmelzen der Eisgletscher in den Gebirgen überall auf der Welt und dem Umstand, dass die weltweite Durchschnittstemperatur für 2005 einen neuen Rekord erreicht hat, legen neuere Daten über den Temperaturanstieg in einigen nördlichen Regionen — wie Alaska, Westkanada und Sibirien — nahe, dass sich der weltweite Temperaturanstieg im oberen Teil der vom IPCC prognostizierten Spanne bewegen wird

Ein solcher Anstieg von 5,8°C bis 2100 — ein Anstieg, der mit dem zwischen der letzten Eiszeit und der Gegenwart vergleichbar ist — würde eine Welt entstehen lassen, die sich deutlich von der unterscheidet, die wir kennen.11)  

Praktisch gesehen handelt es sich bei dem vom IPCC prognostizierten Temperaturanstieg um einen weltweiten Durchschnittswert, tatsächlich werden die Anstiege sehr unterschiedlich ausfallen. Der Anstieg wird über Landflächen weitaus größer sein als über den Ozeanen, er wird in den höheren Breitengraden größer sein als am Äquator und im Kernland eines Kontinents größer als in den Küstenregionen.12)  

Höhere Temperaturen lassen die Ernteerträge sinken, bringen die Schnee- und Eisreservoire in den Bergen, durch die die Flüsse gespeist werden, zum Schmelzen, verursachen heftigere Stürmen, führen dazu, dass die von einer Dürre betroffenen Flächen größer werden und verursachen häufigere und weit zerstörerischere Flächenbrände.13)  

 

11)  Intergovernmcntal Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2001: The Scientific! Basis. Contribution of Woiking Group I to the Third Assessment Report of t' Intergovernmental Panel on Climate Change (New Yotk: Cambridge University Pr 2001); Arctic Climate Impact Assessment (AC1A), Impacts of a Warming Ar (Cambridge, GB.: Cambridge University Ptess, 2004); National Snow and Ice Data Cen' (NSIDQj "Arctic Sea Ice Shrinking, Greenland Ice Sheet Melting, According to Stud' Pressemitteilung, 7. Dezember 2002; Frank Paul et al., "Rapid Disinregration of Alpin Glaciers Observed with Satellite Data," Geophysical Research Letters, Vol. 31. L21402 (12. November 2004); Hansen, op. cit. Note 8: Vergleich mit dem Zeitraum seit der Eiszeit aus Warren Washington, zitiert in Stephen Phillips, "Ignoring Climate Will Land Us in Hot Water," Times Higher Education Supplement, 7. Februar 2003. 
12)  IPCC, op. cit. Note 11.  
13)  Shaobing Peng et al., "Rice Yields Decline with Higher Night Temperature fem Global Warming," Proceedings of the National Academy of Sciences, 6. Juli 2004, S. 9971-75; john Krist, "Water Issues Will Dominate Californias Agenda This Year," Environmental News Network, 21. Februar 2003; Thomas R. Knutson und Robert E. Tuleya, "Impact of CO2-Induced Warming on Simulated Hurricane Intensity and Precipitation: Sensitiviry ro the Choice of Climate Model and Convective Paiametethation,' Journal of Climate, Vol. 17, Nr. 18 (15. September 2004), S. 3477-95; Aiguo Dai, Kevin E. Ttenberth und Taotao Qian, "A Global Dataset of Palmer Drought Scvcrity Index for 1870-2002: Relationship wtth Soil Moisture and Effects of Surface Warming," Journal of Hydromeieorology, Vol. 5 (Dezember 2004), S. 1117-30; "Even Modest Climate Change Means More and Larger rires, Environment News Service, 31. August 2004. 

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Im Bericht eines Forschungsteams des National Center for Atmospheric Research, der im Januar 2005 auf der Jahrestagung der American Meterological Society in San Diego, Kalifornien, vorgestellt wurde, heißt es hätte in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Anstieg der Landfläche, die von Dürren betroffen ist, gegeben. Das Team berichtete, die als sehr trocken einzustufende Landfläche sei von 15 Prozent der Gesamtoberfläche der Erde 1970 auf etwa 30 Prozent 2002 angestiegen. Diesen Anstieg schreibt man einerseits den steigenden Temperaturen und andererseits den abnehmenden Niederschlägen zu, wobei die steigenden Temperaturen im letzten Teil dieser Periode an Bedeutung gewonnen haben. Der Hauptautor des Berichts, Aiguo Dai, berichtete, die Austrocknung konzentriere sich auf Europa und Asien, Kanada, den Westen und Süden Afrikas und auf den Osten Australiens.14)  

Forscher des Forest Service des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums berichteten, dass sich die Fläche der Waldbrände in den elf westlichen Bundesstaaten bei einem Anstieg der Sommertemperaturen um nur 1,6°C bereits verdoppeln könnte. Die Grundlage der in der Ausgabe von Conservation Biology vom August 2004 veröffentlichten Studie bildeten Aufzeichnungen über die Temperaturen und die Brände in der Region aus 85 Jahren.15

Die National Wildlife Federation (NWF) berichtet, dass bis 2040 einer von fünf Flüssen in der Region des Pazifischen Nordwestens zu heiß wäre, als dass Lachse, Stahlkopfforellen und andere Forellen dort überleben könnten, sollten die Temperaturen weiter ansteigen. Paula Del Guidice, Direktorin des Northwest Natural Resource Centers der NWF, sagte: "Die globale Erwärmung wird den Druck, auf das, was vom ursprünglichen Lebensraum der Kaltwasserfische in der Region noch übrig ist, stark erhöhen."16 Die erhöhten Temperaturen werden sich auf die Ökosysteme überall auf der Welt auswirken und manchmal in einer Art und Weise, die wir nicht ohne weiteres vorhersehen können. 

 

14)  National Center for Atmospheric Research and UCAR Office of Programs, "Droughts Growing Reach: NCAR Study Points to Global Warming as Key Factor," Pressemitteilung (Boulder, CO: 10. Januar 2005); Dai, Trenberth und Qian, op. cit. Note 13.  
15)  Donald McKenzie et al., "Climatic Change, Wüdfire, and Conservation," Conservation Biology, Vol. 18, Nr. 4 (August 2004), S. 890-902.  
16)  Elizabeth Gillespie, "Global Warnung May Be Making Rivers Too Hot: CoM-Water Fish v'll Struggle, Report Says," Seattle Post-Intelligencer, 24. März 2005.

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Das Pew Center for Global Climate Change hat eine großangelegte Studie veröffentlicht, in der etwa 40 wissenschaftliche Berichte zum Zusammenhang zwischen Temperatur und Veränderung innerhalb der Ökosysteme analysiert wurden. Zu den vielen in den einzelnen Abhandlungen aufgeführten Veränderungen zählen Berichte über einen um zwei Wochen verfrühten Frühlingsbeginn in den Vereinigten Staaten, über drei Schwalben, die neun Tage früher nisteten als 40 Jahre zuvor, und eine Verschiebung des Lebensraums des Rotfuchses gen Norden, so dass er inzwischen in den Lebensraum des Polarfuchses eindringt. Und die Inuit waren sehr überrascht, plötzlich auf die ihnen bis dahin unbekannten Wanderdrosseln zu stoßen. Tatsächlich kennt die Sprache der Inuit kein Wort für <Wanderdrossel>.17)

Hector Galbraith von der Universität von Colorado-Boulder, einer der Co-Autoren der Pew-Studie, sagte: "Die Folgen dieser Veränderung treten viel schneller zu Tage als... erwartet." Weiter sagte er: "Die Ökosysteme reagieren weitaus empfindlicher auf Klimaveränderungen als man noch vor zehn Jahren annahm." In einer von Conservation International mitfinanzierten Studie wird prognostiziert, dass mehr als ein Viertel aller an Land lebenden Tiere und Pflanzen aussterben könnten, sollte sich der Klimawandel weiter fortsetzen.18 Douglas Inkley, einer der führenden wissenschaftlichen Berater bei NWF und Hauptautor eines Berichts für die Wildlife Society, merkt an: "Wenn wir es nicht verhindern, wird es die Welt der wild lebenden Tiere und Pflanzen, wie wir sie kennen — und der Orte, in die wir Jahrzehnte harter Arbeit investiert haben, um sie als Rückzugsgebiete und als Lebensraum für Wildtiere und -pflanzen zu erhalten — vielleicht bald schon nicht mehr geben."19)

 

Die Folgen für die Ernteerträge

 

Die Ernteerträge sind eine der wirtschaftlichen Entwicklungen, die am empfindlichsten auf die erhöhten Temperaturen reagieren. In vielen Ländern werden die Pflanzen jetzt schon fast an ihrem thermischen Optimum angebaut, wodurch sie für Temperaturerhöhungen sehr anfällig sind. Bereits ein relativ geringer Anstieg von 1 oder 2°C in der Vegetationszeit kann dazu führen, dass die Getreideernte in den wichtigen Lebensmittel produzierenden Regionen, wie der Nordchinesischen Ebene, dem Gangesbecken in Indien oder dem Corn Belt in den USA, sinken.20)

 

17)  Camille Parmesan und Hector Galbraith, Observed Impacts ofGlobrtl Climate ChangtU in the U.S. (Arlington, VA: Pew Center on Global Climate Change. 2004); DeNeen L^| Brown, "Signs of Thaw in a Desert of Snow, Washington Post, 28. Mai 2002.  
18)  Douglas B. Inkley et ah, Global Climate Change and Wildlife in North America (Bethesda,^H MD: The Wildlife Society, Dezember 2004).  
19)  Douglas B. Inkley et al,, Global Climate Change and Wildlife in North America (BethescU^B MD: The Wildlife Society, Dezember 2004).

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Durch höhere Temperaturen kann die Photosynthese gestört oder sogar ganz gestoppt werden, die Bestäubung kann verhindert werden. Es kann dazu kommen, dass die Pflanzen vertrocknen. Obwohl die erhöhte Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre, aufgrund derer die Temperaturen ansteigen, auch dafür sorgen könnte, dass die Erträge steigen, heben die schädlichen Auswirkungen der höheren Temperaturen auf die Pflanzen den Düngeeffekt von CO2 für die Hauptnutzpflanzen auf.

In einer Studie zur Zukunftsfähigkeit der lokalen Ökosysteme haben Mohan Wali und seine Kollegen von der Ohio State Universität festgestellt, dass die Photosyntheseaktivität der Pflanzen bei höheren Temperaturen solange steigt, bis die Temperaturen die 20°C-Marke erreicht. Ab diesem Punkt bleibt die Photosyntheseaktivität solange konstant, bis 35°C erreicht werden, danach beginnt sie zu sinken, bis sie bei 40°C ganz aufhört.21) 

 

Während der Befruchtungszeit sind die Pflanzen am anfälligsten. Von den drei wichtigsten Nahrungsmittel­pflanzen — Reis, Weizen und Mais — ist Mais besonders anfällig. Damit Mais sich fortpflanzen kann, muss der Pollen von der Narbe auf die seidigen Fasern fallen, die am Ende jedes Maiskolbens austreten und jeder dieser seidigen Fäden ist innerhalb des Kolbens mit einem Maiskorn verbunden. Damit sich das Korn entwickeln kann, muss ein Pollenkorn auf den seidigen Faden fallen und dann bis zum Kern wandern. Wenn nun die Temperaturen ungewöhnlich hoch sind, vertrocknen die Fäden sehr schnell, werden braun und können ihre Aufgabe im Befruchtungsprozess nicht mehr wahrnehmen. Auf den Philippinen hat man die Auswirkungen erhöhter Temperaturen auf die Befruchtung von Reis im Detail untersucht. Dortige Wissenschaftler berichten, die Befruchtungsrate bei Reis fiele von 100 Prozent bei 34°C auf praktisch null Prozent bei etwa 38 C, wodurch es dann zu Missernten käme.22 Hohe Temperaturen können außerdem dazu führen, dass die Pflanzen verdorren. 

 

20)  John E. Sheehy, International Rice Research Institute, Philippines, E-Mail an Janet Larsen, Earth Policy Institute, 1. Oktober 2002; Pedro Sanchez, "The Climate Change-Soil Pertility-Food Security Nexus," Rede, Sustainable Food Security for All by 2020, Bonn, Deutschland, 4.-6. September 2002; USDA, op. cit. Note 3.  
21)  Mohan K. Wali et al., "Assessing Terresrrial Ecosystem Sustainabiliry," Narure & Resources, 22 Oktober-Dezember 1999, S. 21 -33.  
22)  Sheehy, op. cit. Note 20; Sanchez, op. cit. Note 20.

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Während man möglicherweise ein ganzes Team an Wissenschaftlern braucht, um die Auswirkungen erhöhter Temperaturen auf die Befruchtung von Reis zu verstehen, kann jeder Mensch leicht sehen, wenn ein Maisfeld unter der Hitze leidet. Wenn eine Maispflanze ihre Blätter einrollt um so der Sonne weniger Angriffsfläche zu bieten, verringert sich die Photosynthese-Aktivität. Wenn sich die Spaltöffnungen auf der Blattunterseite verschließen, um so den Feuchtigkeitsverlust einzudämmen, wird auch die Aufnahme von CO2 reduziert und somit die Möglichkeit zur Photosynthese eingeschränkt. Bei erhöhten Temperaturen verfällt die Maispflanze, die unter Idealbedingungen so ungeheuer produktiv ist, in einen thermischen Schock.

In den letzten Jahren haben sich in verschiedenen Ländern Ökologen, die sich auf Nahrungsmittelpflanzen spezialisiert haben, eingehend mit dem genauen Zusammenhang zwischen Temperatur und Ernteertrag beschäftigt. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sind im j Zeitalter der steigenden Temperaturen äußerst beunruhigend. Eine der umfassendsten dieser Studien wurde am International Rice Research Institute (IRRI) auf den Philippinen, der weltweit besten Forschungsorganisation für Reis, durchgeführt. Ein Team angesehener Spezialisten auf dem Gebiet der Nahrungsmittelpflanzen fand heraus, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur am Ort der Forschungen zwischen 1979 und 2003 um etwa 0,75°C gestiegen ist.23

Man zog die Daten für 1992 bis 2003 über die Ernteerträge der Feldstücke, die man zu Experimenten mit bewässertem Reis unter optimalen Bedingungen angelegt hatte, mit heran und die Ergebnisse des Teams bestätigten eine unter Spezialisten für Nahrungsmittelpflanzen gängige Daumenregel — dass ein Temperaturanstieg um 1°C über der Norm zu einem Absinken der Ernteverträge bei Weizen, Reis und Mais um etwa zehn Prozent fuhrt. Die Ergebnisse des IRRI stimmten mit denen anderer Forschungsprojekte überein. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass "es durch die Temperaturerhöhungen infolge der globalen Erwärmung zunehmend schwerer werden wird, die wachsende Bevölkerung der Erde zu ernähren."24 Während diese Studie zur Analyse der Reiserträge durchgeführt wurde, analysierte man in den USA die Auswirkungen höherer Temperaturen auf die Mais- und Sojaerträge. Hier kam man zu dem Schluss, dass die Auswirkungen höherer Temperaturen auf die Erträge dieser Pflanzen noch größer wären. 

 

23)  Peng et al., op. cit. Note 13.  
24)  Ebenda.; Proceedingi of the National Academy of Sciences, "Warmer Evening TempetatureÄj Lower Rice Yields," Pressemitteilung (Washington. DC: 29. Juni 2004).

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Unter Einbeziehung der Daten von 1982 bis 1998 aus 618 Landkreisen im Falle von Mais und 444 im Falle von Sojabohnen schlussfolgerten David Lobell und Gregory Asner, dass die Erträge um 17% sinken, falls die Temperatur um 1°C steigt. Wenn man nun die für den amerikanischen Corn Belt prognostizierten Temperaturanstiege bedenkt, wo ein Großteil der weltweiten Mais- und Sojabohnenernte angebaut wird, so sollten diese Ergebnisse jenen, die für die weltweite Lebensmittelsicherheit verantwortlich sind, zu denken geben.25)  

Zwei Wissenschaftler in Indien, K. S. Kavi Kumar und Jyoti Parikh, haben die Auswirkungen höherer Temperaturen auf die Weizen- und Reiserträge berechnet. Ihr Modell basiert auf Daten von zehn Anbauorten und sie schlussfolgerten, dass in Nordindien ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1°C die Weizenernte nicht ernsthaft beeinträchtigen würde, doch ein Anstieg um 2°C führte zu einem Absinken der Erträge an fast allen Anbauorten. Sie stellten fest, dass wenn man nur die Veränderungen der Temperaturen betrachtete, ein Anstieg um 2°C bei bewässerten Weizenfeldern zu einem Absinken der Erträge um 37 bis 58% führte. Als sie die negativen Auswirkungen der erhöhten Temperaturen gegen die positive Wirkung von CO2 als Dünger abwägten, ergab sich für die verschiedenen Anbauorte ein Absinken der Erträge zwischen 8 und 38%. Für ein Land, bei dem man davon ausgeht, dass es bis Mitte des Jahrhunderts 500 Millionen mehr Einwohner haben wird, ist dies eine äußerst beunruhigende Aussicht.26

 

Die himmlischen Reservoire

 

Die Schnee- und Eismassen in den Bergen sind die Süßwasserreservoire der Natur — die Art, wie die Natur das Wasser aufbewahrt, um die Flüsse während der Trockenzeit im Sommer zu speisen. Doch diese Reservoire werden jetzt durch den Temperaturanstieg bedroht. In einer Bergregion kann schon ein Temperaturanstieg um 1°C den Anteil der Niederschläge in Form von Schnee deutlich zurückgehen und den in Form von Regen deutlich steigen lassen. Dies wiederum erhöht die Gefahr von Überschwemmungen in der Regenzeit und senkt die Menge an Schnee, die in der Trockenzeit schmelzen kann und so zur Speisung der Flüsse zur Verfügung steht.

 

25)  David B. Lobell und Gregory P. Asner, "Climate and Management Contriburions to Recent Trends in U.S. Agricultural Yields," Science, Vol. 299 (14. Februar 2003), S. 1032. 
26)  K. S. Kavi Kumar und Jyoti Parikh, "Socio-Economic Impacts of Climate Changc on uraian Agriculture," international Review for Environmental Strategie*, Vol. 2, Nr. 2 (2001), S. 277-93; United Narions, World Population Prospects: The 2004 Revision (New York: Februar 2005).

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In einigen Landwirtschaftsregionen sind diese "himmlischen Reservoire" die Hauptquelle für Trinkwasser und für Wasser zur Bewässerung. Im Südwesten der USA ist beispielsweise der Colorado — die Hauptquelle für Wasser zur Bewässerung — stark von den großen Schneefeldern in den Rocky Mountains abhängig. Auch Kalifornien ist nicht nur in hohem Maße vom Wasser des Colorado abhängig, sondern auch von der Schneeschmelze in der im östlichen Teil des Bundesstaates gelegenen Sierra Nevada. Sowohl die Sierra Nevada als auch die Küstenregion versorgen das kalifornische Central Valley, den Obst- und Gemüsekorb der Welt, mit Wasser zur Bewässerung.

Die vorläufigen Ergebnisse einer Untersuchung zu den Auswirkungen der steigenden Temperaturen auf drei große Flusssysteme im Westen der USA — Columbia, Sacramento Colorado, — deuten darauf hin, dass im Winter weitaus weniger Schnee zur Speisung der Flüsse im Sommer abgelagert werden wird und dass die Regenfälle und Überschwemmungen im Winter entsprechend zunehmen werden.27

Sollte es so weitergehen wie bisher, so prognostizieren weltweite Klimamodelle für den Westen der Vereinigten Staaten bis Mitte des Jahrhunderts eine Abnähme der abgelagerten Schneemenge um 70 Prozent. Eine ausführliche Studie des Pacific Northwest National Laboratory des US-Energieministeriums für das Yakima River Valley, ein riesiges Obstanbaugebiet im Bundesstaat Washington, zeigt, dass die Ernteerträge infolge der abnehmenden Schneeablagerungen und der daraus resultierenden Abnahme der Menge an Wasser zur Bewässerung immer mehr sinken. Ein Temperaturanstieg von 2°C könnte das land-1 wirtschaftliche Einkommen in dem Tal um 92 Millionen Dollar sin- j ken lassen, ein Anstieg um 4°C bereits um 163 Millionen Dollar, fast I ein Viertel des Wertes der derzeitigen Ernte.28

 

In Zentralasien ist die Landwirtschaft in mehreren Ländern — Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan und Afghanistan — zur Deckung ihres Bedarfs an Wasser zur Bewässerung stark von der Schneeschmelze aus dem Hindukusch, dem Pamir und den Bergen des Tienschan abhängig. Der nahegelegene Iran erhält einen Großteil seines Wassers durch die Schneeschmelze in den 5.700 Meter hohen Bergen des zwischen Teheran und dem Kaspischen Meer gelegenen Elbrusgebirges.29

 

27)  Krist, op. cit. Note 13.  
28)  Michael J. Scott et al, "Climate Change and Adaptation in Irrigated Agriculture - A Casej Study of the Yakima River," in UCOWR/NIWR Conference, Water Ällocation: Economicn and the Environment (Carbondale, IL: Univ. Council on Water Resources, 2004); Pacific Northwest National Laboratory, "Global Warming to Squeeze Western Mountains Drjl by 2050," Pressemitt. (Richland, WA: 16. 2. 2004); Pacific Northwest Nar. Lab.. "We'«j Here, We're Warming, Can We Get Used to It?" Pressemitt. (Richland, WA: 17. 2. 2005). 

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In Bezug auf die dadurch versorgten Bauern sind die Schnee- und Eismassen im Himalaja die größten. Jeder große Fluss in Asien, dem Lebensraum der Hälfte der Weltbevölkerung, entspringt im Himalaja, so auch der Indus, der Ganges, der Mekong, der Jangtse und der Huangho. Wenn die Regenfälle infolge höherer Temperaturen zunehmen und der Schneefall abnimmt, so wird es in der Regenzeit vermehrt zu Überschwemmungen kommen und es wird weniger Schnee vorhanden sein, durch dessen Schmelze in der Trockenzeit die Flüsse gespeist werden könnten.30

Wenn die zur Verfügung stehende Menge Schnee, durch deren Schmelzen der Jangtse gespeist wird, abnimmt, so wird auch die Weizenernte in China, die größte in der Welt, sinken. Ein Absinken der Wassermenge des Jangtse hätte auch direkten Einfluss auf Chinas Reisernte, ebenfalls die größte in der Welt. Und die Weizenernte Indiens, die nur hinter der von China zurückstehen muss, würde direkt durch Veränderungen der Wassermenge des Indus und des Ganges beeinflusst, während alles, was dazu führt, dass der Mekong im Sommer weniger Wasser führt, wiederum Einfluss auf die Reisernte Vietnams hätte, eines der größten Reisexporteure.31 Das Schrumpfen der Gletscher im Himalaja könnte die Wasserversorgung von Hunderten Millionen Menschen beeinflussen. In Ländern wie China und Indien könnte die Wassermenge, die während der Regenzeit in Form von Schnee und Eis abgelagert wird, um in der Trockenzeit wieder freigesetzt zu werden, stark abnehmen und in einigen Fällen gänzlich aufhören zu existieren. Die Folge wären Überschwemmungen, die zerstörerischer wären als bisher und sich immer wieder mit immer ernsteren Wassermängeln im Frühsommer abwechseln würden.32

 

29)  Bhawani S. Dongol et al., "Low Flows in the Middle Mountain Watersheds of the Hindu-Kush Himalayas (HKH)," Abhandlung, vorgestellt auf der International Conference on the Great Himalayas: Climate, Health, Ecotogy, Management and Conservation, Kathmandu, Nepal. Januar 2004; Mountain Agenda, Mountains of the World: Water Towers for the 2 Ist Century (Bern: 1998); Mehrdad Khalili. "The Climate of Iran: North, South, Kavir (Desert). Mountains," San'ate Hamlo Naql, März 1997, S. 48-53.  
30)  Für weitere Infromationen siehe Evelyne Yohe, "Sizing Up the Barths Glaciers," NASA tarth Observatory, aufearthobservatory.nasa.gov/Study/GLIMS, 22. Juni 2004.
31)  Angaben zu den Ernten aus USDA, op. cit. Note 3. 
32)  Robert Marquand. "Glaciers in the Himalayas Melting at Rapid Rate," Christian Science -Monitor, 5. November 1999.

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Auch in vielen anderen Bergketten, darunter die Alpen und die Anden, nehmen die Schnee- und Eismassen ab. Die Menschen betrachten die Schnee- und Eismassen in den großen Gebirgsketten der Welt und das in Form von Schnee und Wasser gespeicherte Wasser als Selbstverständlichkeit, weil es eben schon lange vor Beginn der Landwirtschaft da war. Doch das ändert sich jetzt. Wir riskieren, diese himmlischen Reservoire zu verlieren, auf die die Städte genauso angewiesen sind wie die Bauern, wenn wir weiter dazu beitragen, dass die Temperaturen auf der Erde steigen.33)  

 

Das Eis schmilzt und der Meeresspiegel steigt

 

In seinem bahnbrechenden dritten Bericht, der Anfang 2001 veröffentlicht wurde, prognostizierte das IPCC für dieses Jahrhundert einen Anstieg des Meeresspiegels um 0,09 bis 0,88 Meter infolge der Wärmeausdehnung und der Eisschmelze. Zahlreiche neuere Studien aus den darauffolgenden vier Jahren deuten daraufhin, dass die Eisflächen der Erde sogar weitaus schneller schmelzen, als von den Wissenschaftlern des IPCC vorhergesagt.34

Eine Studie zweier Wissenschaftler vom Institute of Arctic and Alpine Research der Universität von Colorado aus dem Jahr 2002 zeigte, dass die großen Gletscher an der Westküste Alaskas und in Nordkanada immer schneller abschmelzen. Frühere Daten hatten vermuten lassen, dass der Meeresspiegel infolge dieses Abschmelzungsprozesses um etwa 0,14 Millimeter pro Jahr steigen würde, doch neuere Daten für die 90er Jahre zeigen, dass der Meeresspiegel durch das schnellere Abschmelzen der Gletscher nun um etwa 0,32 Millimeter pro Jahr steigt — mehr als doppelt so schnell.35 Eine Studie des U.S. Geological Survey (USGS) erhärtet diese Ergebnisse und zeigt, dass inzwischen in allen elf der vergletscherten Bergketten Alaskas die Gletscher schmelzen. In einer früheren Studie des USGS hieß es, die Zahl der Gletscher im Glacier National Park36 in den USA sei inzwischen von 150 im Jahr 1850 auf weniger als 50 gesunken. Es steht zu erwarten, dass die noch verbliebenen Gletscher innerhalb von 30 Jahren ebenfalls verschwunden sein werden und zukünftige Generationen werden sich nur noch wundern können, warum der Nationalpark diesen Namen trägt.37)

 

33)  Paul et aL op. cit. Note 11; Lonnie G. Thompson. "Disappearing Glaciers Evidente ofä Rapidly Changing Earth,"' Jahresversammlung der American Association for che Advancement of, San Francisco, CA, Februar 2001; Juan Forero, "As Andean Glaciers Shrink, Water Worries Grow," New York Times, 24. November 2002; Monica Vargas, "Perus Snowy Peaks May Vanish as Planet Heats Up," Reuters, 23. Juli 2004.  
34)  IPCC, op. cit. Note 11.  
35)  Universi ty of Colorado in Bouider, "Global Sea Levels Likely to Rise Higher in 21 st I Century chan Previous Predictions," Pressemitteilung (Bouider, CO: 16. Februar 2002).  
36)  Anm. d. Übers.: Der Name bedeutet wörtlich Gletscher-Nationalpark.  

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Ein weiteres Team von Wissenschaftlern des USGS, das Satellitendaten zur Messung der Größenver­änderung der von Gletschern bedeckten Fläche weltweit benutzte, beschrieb ein immer schnelleres Abschmelzen der Gletscher in verschiedenen Bergketten, darunter auch die Anden in Südamerika, die Schweizer Alpen und die spanischen Pyrenäen.38

In den gesamten Anden nimmt das Abschmelzen der Gletscher immer mehr zu. Der Glaziologe Lonnie Thompson von der Ohio State Universität berichtet, der Qori Kalis-Gletscher auf der Westseite der Quelccaya-Eiskappe in den peruanischen Anden sei zwischen 1998 und 2000 jedes Jahr dreimal schneller geschmolzen als zwischen 1995 und 1998. Und im letztgenannten Zeitraum schmolz er jedes Jahr wiederum doppelt so schnell wie zwischen 1993 und 1995. Thomson geht davon aus, dass die Quelccaya-Eiskappe zwischen 2010 und 2020 ganz verschwunden sein wird. Und im benachbarten Ecuador hat sich der Antisana-Gletscher, der die Hälfte des Wasserbedarfs von Quito deckt, in den vergangenen acht Jahren um fast 100 Meter zurückgezogen.39

Bernard Francou, Forschungsdirektor des Instituts für Forschung und Entwicklung der französischen Regierung, glaubt, dass 80% der südamerikanischen Gletscher in den nächsten 15 Jahre verschwunden sein werden. Das sind keine guten Neuigkeiten für Länder wie Bolivien, Peru und Ecuador, die zur Deckung ihres Wasserbedarfs für die Haushalte und zur Bewässerung auf die Gletscher angewiesen sind.40

Auch in den europäischen Alpen schmelzen die Gletscher. Wissenschaftler der Universität Zürich berichten, dass die Gletscher in der Schweiz zwischen 1973 und 1985 um ein Prozent geschrumpft sind, zwischen 1985 und 2000 aber um 18 Prozent. Die Wissenschaftler bemerkten: "Die Veränderungen könnten auch den Tourismus, einen wichtigen Stützpfeiler der Schweizer Wirtschaft, beeinflussen, da sich dadurch die malerischen Talgletscher der Schweiz in karge, steinige Gegenden verwandeln könnten." Wenn die Gletscher schmelzen und die Schneegrenze sich immer weiter bergauf verschiebt, könnte sich auch die winterliche Skisaison verkürzen.41

 

37)  Alaska Examines Impacts of Global Warnung," National Geographie News, 21,Dezember -001; Myrna H. R Hall und Daniel B. Fagre, "Modeled Climate-Induced Glacier Change in Glaeier National Park, 1850-2100." BioScience, Februar 2003, S. 131-40.
38)  American Institute of Physics, "New Research Shows Mountain Glaciers Shrinking Worldwide," Pressemitteilung (Boston: 30. Mai 2001). 
39)   Thomson' °P- cit- NoK Ä Erk Hansen, "Hot Peaks," OnEarth, Herbst 2002. S. 8. 
40)  Hansen, op. cit. Note 38.  
41)  Paul et al" op. cit. Note 11; Ceri Radford, "Melting Swiss Glaciers Threaten Alps," Reuters, 16- November 2004.

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Lonnie Thompsons Studie zum Kilimandscharo zeigt, dass der höchste Berg Afrikas zwischen 1989 und 2000 33 Prozent seiner Eisflächen eingebüßt hat. Thompson geht davon aus, dass die Schneespitze des Kilimandscharo bis 2015 völlig verschwunden sein wird. Im März 2005 schrieb der Londoner Guardian:

"Der höchste Berg Afrikas ist mit seinem schneebedeckten Gipfel einer der Orte der Welt, die fast sofort wiedererkannt werden. Doch wie auf dieser Luftaufnahme zu sehen, ist die Schneekappe, das Markenzeichen des Kilimandscharo in 5.895 Meter Höhe, inzwischen fast vollständig verschwunden — 15 Jahre früher, als die Wissenschaftler vorhergesagt hatten."42)

Auch die riesigen Schnee- und Eismassen im Himalaja nehmen ab. Die Union Internationale des Associations dAlpinisme berichtet, der Gletscher, der vorher an dem Basislager endete, von dem aus Edmund Hillary undTenzing Norgay 1953 zu ihrer historischen Besteigung des Mount Everest aufbrachen, habe sich inzwischen um fünf Kilometer zurückgezogen. Für den Geologen Jeffrey Kargel, der sich intensiv mit dem Himalaja befasst, kommt dies nicht überraschend. Er sagte: "Das passt in das allgemeine Bild über die Vorgänge in Nepal, Indien, Bhutan und, wenn auch in geringerem Maße, Tibet."43

In einer vor kurzem abgeschlossenen Studie hatte ein Team aus über 50 amerikanischen und chinesischen Wissenschaftlern über 26 Jahre das immer schnellere Abschmelzen der Gletscher in Westchina gemessen. In der Studie hieß es, die Masse der 46.298 Gletscher in China sei in den vergangenen 24 Jahren um 5,5 Prozent gesunken. Das Abschmelzen der Gletscher hat sich in dieser Region, wie in vielen anderen weltweit, seit den frühen 90er Jahren stark beschleunigt.44

Yao Tandong, ein führender chinesischer Glaziologe (Gletscherforscher), der auch an der Studie mitgearbeitet hat, geht davon aus, dass bis 2060 zwei Drittel der chinesischen Gletscher verschwunden sein werden. Das Abschmelzen der riesigen Eisfelder im Himalaja, die mehr Eis umfassen als jede andere Region außer den Polen, könnte zu einem dramatischen Anstieg des Meeresspiegels führen. Yao Tandong fasst die Situation folgendermaßen zusammen: "Ein Abschmelzen der Gletscher der Region in großem Umfang könnte letztlich zu einer ökologischen Katastrophe führen."45

 

42)  Thompson, op. cit. Note 11; "The Peak of Mt Kilimanjaro As It Has Not Been Seen fofl 11,000 Years," The Guardian (London), 14. März 2005.  
43)  Kargel zitiert in Hansen, op. cit. Note 38.  
44)  Jonathan Watts, "Highest Icefields Will Not Last 100 Ycars. Study Finds: Chinas Glac Research Wams of Deserts and Hoods Due to Warming," The Guardian (Lond 24. September 2004; ''China Wams of 'Ecological Catastrophe' from Tibets Mel Glaciers," Agence France-Presse. 5. Oktober 2004; "Glacier Study Reveals Chi" Prediction," China Daily, 23. September 2004.

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Eine weitere neue Studie, Impacts of a Warming Arctic, kommt zu dem Schluss, dass sich die Arktis etwa doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Erde. In der Studie des Arctic Climate Impact Assessment (ACIA), Hie von einem Team aus 300 internationalen Wissenschaftlern durchgeführt wurde, stellte man fest, dass die Wintertemperaturen in den Regionen rund um die Arktis, darunter Alaska, der Westen Kanadas und der Osten Russlands, in den vergangenen 50 Jahren bereits um 3 bis 4°C gestiegen sind. Robert Corell, der Vorsitzende der ACIA, bemerkt dazu: Die Folgen der globalen Erwärmung treffen die Menschen in der Arktis." Diese Region, so sagte er, "macht gerade eine der rapidesten und massivsten klimatischen Veränderungen auf der Welt durch."46

In ihrer Aussage vor dem Handelskomitee des US-Senats beschrieb Sheila Watt-Cloutier, eine Inuit, die die 155.000 Inuit in Alaska, Kanada, Grönland und der Russischen Föderation vertrat, den Kampf der Inuit ums Überleben in dem sich rasant verändernden Klima der Arktis als "Momentaufnahme dessen, was mit diesem Planeten geschieht." Sie bezeichnete die Erwärmung der Arktis als "entscheidendes Ereignis in der Geschichte dieses Planeten." Weiter sagte sie: "Die Erde schmilzt buchstäblich weg."47

In dem ACIA-Bericht wird beschrieben, welche "verheerenden Folgen" der Rückzug des Meereises für die Eisbären hat, deren Überleben dadurch gefährdet sein könnte. Auch die im Eis lebenden Robben, eine grundlegende Nahrungsquelle der Inuit, sind gefährdet.48

Durch die höheren Temperaturen in der Arktis tauen auch die ehemaligen Permafrostböden der Region auf. Durch das Auftauen der Tundra werden Gebäude, Pipelines und Straßen destabilisiert und beschädigt. Doch es gibt auch Folgen, die weit über ein lokales strukturelles Problem hinausgehen. In einem Bericht in Science heißt es: »Niemand weiß genau, wieviel Kohlenstoff in den Permafrostböden der borealen und alpinen Zone gespeichert ist, doch Schätzungen schwanken zwischen 350 und 450 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) — etwa

 

45)  Watts, op. cit. Note 43; '"China Wams of 'Ecological Catastrophe' From Tibets Melting Claciers," op. cit. Note 4.3; "Glacier Study Reveals Chilliiig Prediction," op. cit Note 43. 
46)  ACIA op. cit. Note 11; ACIA-Webseite, www.acia.uaf.edu, Update 13.07.2005; 'Rapid Arctic Warming Brings Sea Level Rise, Extinctions," Environment News Service, 8.11.2004
47)  J.K. Pegg, "The Earth is Melting, Arctic Native Leader Wams,'' Environment News Service, , 16- September 2004. 
48)  ACIA. op. cit. Note 11.

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ein Viertel bis ein Drittel des gesamten im Boden enthaltenen Kohlenstoffs. Die große Frage lautet jetzt: Was wird passieren, wenn auch nur ein Bruchteil dieser riesigen Kohlenstofflager freigesetzt wird?" Zum Vergleich sei hier gesagt, dass durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe jährlich sieben Milliarden Tonnen Kohlenstoff freigesetzt werden.49)

 

Die Auswirkungen auf Grönland beunruhigen die Wissenschaftler, die die Erwärmung der Arktis dokumentieren, vermutlich am meisten. Selbst wenn das gesamte Eis im nördlichen Polarmeer schmelzen sollte, hätte dies keine Auswirkungen auf die Höhe des Meeresspiegels, da sich das Eis bereits im Wasser befindet. Sollte allerdings infolge der Erwärmung der Arktis die an einigen Stellen fast 2,5 Kilometer dicke grönländische Eisplatte schmelzen, so würde dadurch der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen. Es brauchte nicht Jahre, sondern Jahrhunderte, um die grönländische Eisplatte vollständig schmelzen zu lassen, doch neuere Karten zeigen bereits starke Schmelzprozesse an den äußeren Rändern der Eisplatte, besonders an der Ostküste.50

Wissenschaftler sind nicht nur wegen der offensichtlichen Auswirkungen des Abschmelzens der Eisplatte auf den Meeresspiegel besorgt, sondern auch, weil es die Zirkulation innerhalb des Ozeans, insbesondere den Fluss des Golfstroms, stören könnte. Unter den derzeitigen Bedingungen bringt der Golfstrom warmes Oberflächenwasser aus dem Südatlantik nach Norden und trägt so zum milden Klima West- j europas bei. Bei seiner Wanderung gen Norden kühlt sich das warme Wasser mit dem hohen Salzgehalt infolge des Wärmeverlusts und der Verdunstung ab und Salzgehalt und Dichte steigen. Dies führt dazu, dass es absinkt und als Tiefenwasser südwärts fließt. Ein Einströmen von Süßwasser von den geschmolzenen Eisflächen Grönlands oder denen im nördlichen Polarmeer könnte dieses Zirkulationsmuster stören, was zu geringfügig niedrigeren Temperaturen im Nordosten der Vereinigten Staaten und im Norden Kanadas und einem deutlichen Temperaturabfall in Europa führen könnte. Historische Daten lassen vermuten, dass sich derartige Veränderungen gelegentlich sehr schnell vollziehen - manchmal innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte.51

 

49)  Erik Stokstad, "Defrosting the Carbon Freezer of the North," Science, Vol. 304 (11. Juni 2004), S. 1618-20; Kohlenstoffemissionen aus G. Marland, T. A. Boden und R. J. Andres. "Global, Regional, and National C02 Emissions," in Oak Ridge National Laboratory. op. cit. Note 2.  
50)  R. Warrick et ab. "Changes in Sea-Level," in J.T. Houghton et ab, Hrsg., Ciimate Change,
1995: The Science of Ciimate Change (Cambridge, GB.: Cambridge University Press, 1995), S. 359-405, zitiert in Dorthe Dahl-Jensen, "The Greenland lee Sheet Reacrs," Science, Vol. 289 (21. Juli 2000), S. 404-05.

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Wenn das Eis im Nordpolarmeer schmilzt, bietet sich dadurch die Möglichkeit, dieses für den Schiffsweg zwischen Atlantik und Pazifik zu nutzen. Doch für unsere Zivilisation im 21. Jahrhundert könnte die Suche nach der Nordwestpassage, der Traum früherer Entdecker, die bisher um das Kap der guten Hoffnung hatten herumsegeln müssen, zum Albtraum werden. Reedereien sehen sich bereits nach möglichen verkürzten Routen um. Laut einem Bericht in der kanadischen Globe and Mail beträgt der Weg von Europa nach Asien über den Panamakanal üblicherweise etwa 12.600 Seemeilen, während der Weg über die Nordwestpassage nur noch 7.900 Seemeilen lang wäre. Das Risiko besteht darin, dass die Umweltschäden durch eventuelle Unfälle, wie ein Auslaufen von Ol in das Nordpolarmeer, in dieser eisigen Umgebung über Jahrzehnte, wenn nicht länger, halten könnten.52

Am anderen Ende der Erde bedeckt die zwei Kilometer dicke antarktische Eisplatte einen Kontinent, der etwa zweimal so groß ist wie Australien, und speichert 70 Prozent des Süßwassers der Welt. Jetzt brechen immer mehr Eisschollen, die vom Kontinent aus in das umliegende Meer ragen, ab und das in einem alarmierenden Tempo.53

Die Eisschollen rund um die Antarktis entstehen, wenn Gletscher vom Kontinent in die tiefer liegenden Regionen des Meeres driften. Diese Wanderung des Eises, die durch die ständige Bildung neuen Eises an Land gefördert wird und im Abbrechen der Eisschollen an den äußeren Rändern der Eisplatte und der Entstehung von Eisbergen gipfelt, ist keine neue Erscheinung. Doch das Tempo dieses Prozesses ist neu. Als sich 1995 Larsen A, eine große Eisscholle an der Ostküste der Antarktischen Halbinsel, löste, war dies ein klares Zeichen, dass in der Region etwas nicht stimmte. Im Jahr 2000 dann löste sich ein riesiger Eisberg, der mit 11.000 km fast so groß war wie Connecticut, von der sogenannten Ross-Eisscholle.54)

 

51)  IPCC, Climate Change 2001: The Scientific Basis. Cotttribution of Working Group I to the Third Assessment Report of che Intergovernmental Panel on Climate Change (New York: Cambridge University Press. 2001), S. 948-51; Committee of Abrupt Climate Change, Abrupt Climate Change: Inevitable Surprises (Washington. DC: National Research Council, 2002).  
52)  Joe Friesen, "Arctic Melt May Open Up Northwest Passage: Portal Could Cut Nearly 5,000 Nautical Miles Front Asia-Europe Trip Via Panama Canal," Globe and Mail (Toronto), 9.11.2004
53)  U.S. Department of Energy, Energy Information Administration, "Antarctica: Fact Sheet," auf www.eia.doe.gov/emeu/cabs/antarctica.html, September 2000. 
54)  Andrew Shepherd, "Larsen lee Sheet Has Progressively Thinned," Science, Vol. 302 (31. Oktober 2003), S. 856—59; "Breakaway Bergs Disrupt Antarctic Ecosystem," Environment News Service, 9. Mai 2002; "Giant Antarctic Ice Shelves Shatter and Break Away," Environment News Service, 19. März 2002.

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Nachdem sich Larsen A gelöst hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis Larsen B folgen würde. Im November 2001 alarmierte ein Forscher des Instituto Antartico Argentino den Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft, weil er festgestellt hatte, dass die Frühlingstemperaturen ungewöhnlich hoch waren und dass sich die Eisscholle um 20 Prozent schneller bewegte.

 

Es kam also nicht überraschend, als sich der nördliche Teil von Larsen B im März 2002 löste und ins Meer glitt. Etwa zur selben Zeit löste sich ein großes Eisstück vom Thwaite-Gletscher, wobei der entstandene Eisberg mit einer Größe von 5.500 km2 etwa so groß war wie Rhode Island.55 Selbst erfahrene Eisforscher sind überrascht, wie schnell sich diese Auflösung vollzieht. Dr. David Vaughan, Glaziologe vom British Antarctic Survey, der die Larsen-Eisscholle intensiv beobachtet hat, sagte: "Das Tempo ist erschreckend." Entlang der Antarktischen Halbinsel, in unmittelbarer Nachbarschaft von Larsen, ist die Durchschnittstemperatur in den letzten 50 Jahren um 2,5°C gestiegen. Die höheren Temperaturen führen dazu, dass das Eis an der Oberfläche der Eisschollen schmilzt. Nach Ansicht der Wissenschaftler wird das Eis durch Schmelzwasser, das in Brüche an der Oberfläche eindringt, geschwächt und dadurch anfälliger für ein weiteres Aufbrechen.56)

Wenn sich bereits im Wasser befindliche Eisschollen von der kontinentalen Eismasse lösen, hat das kaum direkte Auswirkungen auf den Meeresspiegel an sich. Doch ohne die Eisschollen, die das Gletschereis bremsen, das sich normalerweise mit 400 bis 900 Metern pro Jahr bewegt, könnte sich die Bewegung vom Kontinent her beschleunigen, wodurch der Eisschild an den Rändern der Antarktis ausdünnen könnte. Sollte dies geschehen, käme es zu einem Ansteigen des Meeresspiegels. Dr. Neal Young vom Antarctic Cooperative Research Center der Universität von Tasmanien in Australien stellt fest, dass sich die Geschwindigkeit der Bewegung des Gletschers zum Wasser hin nach der Loslösung von Larsen A mindestens verdoppelt hat.57

 

55)  NSIDC, "Antarctic Ice Shelf Collapses," auf nsidc.org/iceshelves/larsenb2002, 19. Matz 2002; "Breakaway Bergs Disrupt Antarctic Fxosystem," op. cit. Note 53; "Giant Antarctic Ice Shelves Shatter and Break Away." op. cit. Note 53.  
56)  NSIDC, op. cit. Note 54; "Breakaway Bergs Disrupt Antarctic Ecosystem," op. cit. Note 53; "Giant Antarctic Ice Shelves Shatter and Break Away," op. cit. Note 53; Vaughan zitiert iti Andrew Revkin, "Large Ice Shelf in Antarctica Disintegrares at Great Speed," New York Times, 20. März 2002.  
57)  Michael Byrnes, "New Antarctic Iceberg Split No Threat," Reuters, 20. Mai 2002; Young zitiert in "Giant Antarctic Ice Shelves Shattet and Break Away," op. cit. Note 53,

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Die beschleunigte Eisschmelze, die mit dem immer schnelleren Anstieg der Temperaturen seit 1980 einhergeht, bedroht vor allem tief liegende Regionen von Küstenstaaten und tief gelegene Inselstaaten, nie wohl am leichtesten messbaren Auswirkungen steigender Meeresspiegel sind Überschwemmungen von Küstenregionen. Donald P Boesch vom Center for Environmental Sciences der Universität von Michigan schätzt, dass die Küstenlinie pro Meter Anstieg des Meeresspiegels im Durchschnitt um 1.500 Meter zurückweichen wird.58

Im Jahr 2000 veröffentlichte die Weltbank eine Karte, auf der zu sehen war, dass bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter die Hälfte der Reisanbaufläche in Bangladesch überflutet werden. Bei einem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels von bis zu einem Meter innerhalb dieses Jahrhunderts wären Millionen von Bangladeschis zur Migration gezwungen. Dies wäre für ein Land, das mit 142 Millionen Einwohnern bereits eines der am dichtesten bevölkerten Lander der Erde ist, eine traumatische Erfahrung. Auch die zum Reisanbau genutzten Talauen der Flüsse in anderen asiatischen Ländern, darunter Indien, Thailand, Vietnam, Indonesien und China, wären betroffen. Bei einem Anstieg des Meeresspiegels um nur einen Meter stünde mehr als ein Drittel von Shanghai mit seinen 13 Millionen Einwohnern unter Wasser.59

Im Falle eines solchen Anstiegs des Meeresspiegels würden die Vereinigten Staaten 36.000 km2 Land einbüßen, das meiste davon in den mittleren Bundesstaaten am Atlantik und am Golf von Mexiko. Bei einer 50-Jahres-Sturmflut60, dies heißt jedoch nicht, dass es alle 50 Jahre eine solche Flut geben muß, es geht nur um die Wahrscheinlichkeit, würden große Teile von Lower Manhattan und die National Mall im Zentrum von Washington, DC, von Meerwasser überflutet.61 Die Öffentlichkeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Auswirkungen der Eisschmelze auf den Meeresspiegel, doch auch die thermische Ausdehnung der Ozeane infolge steigender Temperaturen lässt den Meeresspiegel ansteigen. Momentan, so nehmen die Wissenschaftler an, tragen Eisschmelze und thermische Ausdehnung im etwa selben Maß zum Anstieg des Meeresspiegels bei.

 

58)  Boesch zitiert in Bette Hileman, "Consequences of Climate Change." Chemical & EugineeringNews, 27. März 2000, S. 18-19.
59)  Weltbank, World Development Report 1999/2000 (New York: Oxford Uni versity Press, ■^000), S. 100; Bevölkerungszahlen aus United Kations, op. cit, Note 26; Bevölkerungszahlen nir Shanghai aus United Nations, World Urbanization Prospects: The 2003 Revision (New York: 2004); Informationen zu Shanghai aus Stuart R. Gaffin, High Water Blues: Impacts of Sea Level Rise ort Seleeted Coasts and Islands (Washington, DC; Environmental Defense Fund, 1997), S. 27.  
60)  Anm. d. Übers.: Stürme mit einet bestimmten Stärke werden nach der Wahrscheinlichkeit ungeteilt, ob sie alle 50 oder 100 Jahre auftreten könnten (vergl. Jahrhundert.fh.il).]  
61)  James E. Neumann et al., Sea-levelRise & Global Climate Change: A Review of Impacts t0 U.S. Coasts (Ärlington, VA: Pew Center on Global Climate Change, 2000); Gaffin, op. cit. Note 58.

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Beides zusammen lässt den Meeresspiegel messbar ansteigen und diesen Anstieg muss man im Auge behalten, da es sich um einen Trend handelt, der eine Migration von unvorstellbarem Ausmaß auslösen könnte. Außerdem wirft er Fragen über unsere Verantwortung gegenüber kommenden Generationen auf, die sich die Menschheit vorher so nie gestellt hat.62)  

 

Stürme mit größerer Zerstörungskraft

 

Die steigenden Meeresspiegel sind nicht nur eine Folge der höheren Temperaturen weltweit. Höhere Temperaturen des Oberflächenwassers in den tropischen Ozeanen führen dazu, dass mehr Energie in die Atmosphäre gelangt und dort tropische Sturmsysteme auslöst, wodurch es immer häufiger zu Stürmen mit immer größerer Zerstörungskraft kommt. Die Kombination aus steigenden Meeresspiegeln, heftigeren Stürmen und stärkeren Sturmfluten könnte verheerend sein.63) 

Im Herbst 1998 traf der Hurrikan Mitch — einer der stärksten Stürme, die je von der Atlantikseite gekommen waren, mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 320 km/h — auf die Ostküste Mittelamerikas. Da der übliche Abzug des Sturms in nördlicher Richtung durch atmosphärische Bedingungen behindert wurde, fielen in Teilen von Honduras und Nicaragua innerhalb weniger Tage etwa zwei Meter Regen. Durch diese Sintflut stürzten Häuser, Fabriken und Schulen ein, zurück blieben nur Trümmer. Auch Straßen und Brücken wurden zerstört. In Honduras wurden 70 Prozent der Ernte und ein Großteil des Mutterbodens — der sich über große geologische Zeiträume gebildet hatte - einfach weggespült. Große Schlammlawinen zerstörten ganze Dörfer und begruben in einigen Fällen sogar die Einwohner unter sich.64

Der Sturm kostete 11.000 Menschen das Leben, Tausende weitere wurden nie gefunden. Die grundlegende Infrastruktur — Straßen und Brücken in Honduras und Nicaragua — wurde größtenteils zerstört. Flores, der Präsident von Honduras, fasste es folgendermaßen zusammen: "Insgesamt kann man sagen, dass es uns 50 Jahre gekostet hat, das aufzubauen, was jetzt innerhalb weniger Tage zerstört wurde." Durch die Sturmschäden, die das jährliche Bruttosozialprodukt der beiden Länder noch überstiegen, wurden sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung um 20 Jahre zurückgeworfen.65

 

62)  IPCC. op. cit. Note 11, S. 665.  
63)  Knutson andTuleya, op. cit. Note 13.  
64)  Janet N. Abramovitz, "Averting Unnatural Disasters," in Lester R. Brown et al., Stau; of tbe
Work/2001 (New York: W.W. Norton & Company, 2001) S. 123-42.

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2004 gab es in Japan rekordverdächtige zehn Taifune, die einen Gesamtschaden von zehn Milliarden Dollar verursachten. In der gleichen Zeit wurde Florida von vier der zehn heftigsten Hurrikans der US-Geschichte getroffen. Diese vier Stürme zusammen führten zu Versicherungsansprüchen in Höhe von 22 Milliarden Dollar.66 Ein Jahr später stellte der Hurrikan Katrina all diese Stürme in den Schatten, als er die Golfküste der USA mit einer Sturmflut von mehr als sechs Metern Höhe überrollte und viele Küstenstädte völlig zerstörte. Durch den Sturm wurde auch New Orleans so stark überflutet, dass große Teile der Stadt unbewohnbar wurden. Insgesamt flohen infolge des Sturms Hunderttausende Menschen aus Alabama, Mississippi und Louisiana. Dieser heftige Sturm, der durch die höheren Temperaturen des Oberflächenwassers im Golf noch verstärkt wurde, hinterließ nach ersten Schätzungen Schäden im Gesamtwert von 200 Milliarden Dollar. Und da es Jahre dauern kann, bis sich die Region vollständig erholt hat, könnten die Kosten noch weiter steigen.67)  

Vor diesem Hintergrund wird es für Versicherer und Rückversicherer zunehmend schwieriger, ein sicheres Prämienniveau zu berechnen, denn die traditionell als Berechnungsgrundlage für Versicherungsprämien benutzten historischen Daten eignen sich inzwischen nicht mehr als Richtlinie für die Zukunft. Die Zahl der großen Flutkatastrophen weltweit ist beispielsweise in jedem einzelnen der letzten Jahrzehnte angestiegen, von 6 großen Überflutungen in den 50er und 60er Jahren, über 8 in den 70ern, 18 in den 80ern bis auf 26 in den 90er Jahren.68

 

65)  Todesopfer des Sturms aus National Climatic Data Center, National Oceanic & Atmospheric Administration, U.S. Department of Commerce, "Mitch: The Deadliest Atlantic Hurricane Since 1780," www.ncdc.noaa.gov/oa/reports/mitch/mitch.html, Update 1. 7. 2004; Flores zitiert in Arturo Chavez et al.. "After the Hurricane: Forest Sector Reconstruction in Honduras," Forest Produas Journal, Nov./Dez. 2001, S. 18-24; BIP aus IWF, World Economic Outlook Database, auf www.iml.org/external/pubs/ft/weo, Update Apr. 2003.  
66)  Michael Smith, "Bad Weather, Climate Change Cost World Record $90 Billion," Bloomberg, 15.12.2004; "Insurers See Hurricane Costs as High as $23 Billion," Reuters, 4.10.2004
67)  Lisa Rein und Dan Balz, "240,000 Evacuees Strain Capacity," Washington Post, 4. September 2005; National Climatic Data Center, "Climate of 2005: Summary of Hurricane Katrina." Datenblatt, www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/iesearch/2005/kattina. html, Update 1. September 2005; PJ. Webster et al., "Changes in Tropica! Cyclone Number, Duratfon, and Intensity inaWarmingEnvironment," Science.\'o\. 309 (16. September 2005), S. 1844-46; "Katrina May Cost as Much as Four Years of War: Government Certain to Pay More than S200 Billion Following Hurricane," Associated Press, 10. 9. 2005.  
68)  Awtul Weather We're Having," op. cit. Note 7; Munich Re, Topics Geo Annual Review: Natural Catastrophes 2004 (München, Deutschland: 2005). S. 15.

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Die Versicherungsunternehmen sind davon überzeugt, dass die Verluste in Zukunft infolge der höheren Temperaturen und der heftigeren Stürme noch größer sein werden. Die Unternehmen sind deshalb besorgt, ob die Industrie angesichts dieser Attacken wachsender Zerstörung überhaupt solvent bleiben kann. Ebenso sieht man es bei Moody's Investor Service, der 2002 die Kreditwürdigkeit mehrerer der weltweit führenden Rückversicherer zurückgestuft hat. Seit damals hat eine dieser Firmen — Münchner Rück — verlauten lassen, dass 2004 selbst nach der Anpassung an die Inflation ein Rekordjahr in Bezug auf' die Ansprüche an Versicherungen weltweit war.69) 

Thomas Loster, ein Klimaexperte bei Münchner Rück, sagte Ende 2004: "Ebenso wie in den Jahren 2002 und 2003 wird die Gesamtbilanz der Naturkatastrophen klar von wetterbedingten Katastrophen dominiert, von denen viele als außergewöhnlich und extrem bezeichnet werden können ... Wir müssen dieses gefährliche Experiment, das die Menschheit da mit der Erdatmosphäre betreibt, stoppen."

Die Versicherungsindustrie ist besonders besorgt wegen der möglichen neuen klimatisch bedingten Risiken, wie Hurrikan Catarina, der sich 2004 über dem Südatlantik gebildet hatte, obwohl die Wassertemperaturen dort normalerweise nicht hoch genug sind, um einen Hurrikan entstehen zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob der Hurrikan Catarina, der die Südküste Brasiliens heimsuchte, eine Anomalie darstellt oder den Beginn eines beunruhigenden neuen Trends.70 Münchner Rück hat eine Liste mit Stürmen veröffentlicht, bei denen der Versicherungsschaden bei einer Milliarde Dollar oder mehr lag. Die erste derartige Naturkatastrophe fand 1983 statt, als der Hurrikan Alicia die Vereinigten Staaten heimsuchte und Versicherungsschäden im Wert von 1,5 Milliarden Dollar hinterließ. Unter den 49 Naturkatastrophen mit einem Versicherungsschaden von einer Milliarde Dollar oder mehr, die seit 2004 zu verzeichnen waren, gab es drei Erdbeben, einschließlich des verheerenden Tsunamis in Asien 2004, bei den restlichen 46 handelte es sich um wetterbedingte Katastrophen — Stürme, Überflutungen, Hurrikans und Waldbrände. In den 80er Jahren gab es drei derartige Ereignisse, in den 90er Jahren 26 und allein in der ersten j Hälfte unseres Jahrzehnts, zwischen 2000 und 2004, bereits 17.71)

 

69)  "Disaster and Its Shadow," The Economist, 14. 9. 2002, S. 71; "Moody's Downgradesj Munich Res Ratings to 'Aal,'" Insurance Journal, 20. 9. 2002: Hilary Burke, "Insurers [0 Pay Record Disaster Damages in 2004," Reuters, 16. 12. 2004: Richard Milne, "Hurricanes Cost Munich Re Reinsurance," Financial Times, 6. 11. 2004.  
70)  Tim Hirsch, "Climate dränge Hits Bottom Line," BBC News, 15. Dezember 2004.  
71)  Munich Re, "Natural Disasters: BiUion~$ Insurance Losses." in Louis Perrpy, "Impacts of Climate Change on Financial Institutions Medium ro Long Term Assets and Liabilities," Abhandlung, vorgestellt vor der Staple Inn Actuarial Society. 14. Juni 2005.

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Die beiden größten Katastrophen im Hinblick auf die angerichteten Schäden vor dem Hurrikan Katrina waren Hurrikan Andrew 1992, der 60.000 Häuser zerstörte und Schäden im Gesamtwert von 30 Milliarden Dollar hinterließ, und die Überschwemmung im Jangtsebecken in China 1998, bei dem die Schäden ebenfalls einen Wert von 30 Milliarden erreichten — eine Summe, die etwa dem Wert der chinesischen Reisernte entspricht. Die wachsenden Schadenssummen sind teilweise der zunehmenden Entwicklung der Städte und der Industrie in den Küstengebieten und den Talauen der Flüsse zuzuschreiben, aber auch den immer häufiger auftretenden Stürmen mit ihrer zunehmend größeren Zerstörungskraft.72

Die Regionen, die derzeit am anfälligsten für heftige Stürme sind, sind die Atlantik- und die Golfküste der Vereinigten Staaten und die Karibikstaaten. In Asien werden wohl vor allem die ost- und südostasiatischen Länder, darunter die Philippinen, Taiwan, Japan, China und Vietnam, die volle Wucht der vom Pazifik kommenden starken Stürme zu spüren bekommen. Weiter westlich, im Golf von Bengalen, sind besonders Bangladesch und die Ostküste Indiens gefährdet.

In Westeuropa, wo es üblicherweise nur einmal alle einhundert Jahre einen Wintersturm mit großen Schäden gibt, gab es 1987 erstmals einen Wintersturm, der einen Schaden von mehr als einer Milliarde Dollar anrichtete - die Schadenssumme belief sich auf 3,7 Milliarden Dollar, von denen 3,1 Milliarden Dollar durch Versicherungen abgedeckt waren. Seither gab es acht Winterstürme mit Versicherungsschäden zwischen 1,3 und 5,9 Milliarden Dollar.73

Andrew Dlugolecki, ein führender Experte bei der CGNU-Versicherungsgruppe, dem größten Versicherungs­unternehmen in Großbritannien, stellt fest, dass die durch atmosphärisch bedingte Ereignisse hervorgerufenen Schäden um etwa zehn Prozent pro Jahr gestiegen sind. "Wenn sich dieser Anstieg unendlich fortsetzen sollte", so Dlugolecki, "würden die Sturmschäden bis 2065 das Weltsozialprodukt übersteigen. Doch offensichtlich stünde die Welt bereits lange vorher v°r dem Bankrott." In der realen Welt setzen sich nur wenige Trends mehrere Jahrzehnte lang mit der gleichen Geschwindigkeit fort, doch Dlugolecki wollte damit sagen, dass der Klimawandel zerstörerisch, spaltend und sehr kostspielig sein könnte.74

 

72)  Munich Re, Taftes At/nual Review: Natura/ Catastwpbes 2001 (München, Deutschland: --002), S. 16—17; Wert der Weizen- und Reisernte in China aus USDA, op. cit. Note 3, "reise aus IWF, International Financial Statistics, elektronische Datenbank, auf ifs.apdi. net/imf herangezogen.  
73)  Munich Re, op. cit. Note 69.

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Die Subventionierung des Klimawandels

 

Obwohl die Öffentlichkeit zunehmend besorgt ist wegen eines durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe ausgelösten Klimawandels, wird die weltweite fossile Brennstoffindustrie immer noch mit mehr als 210 Milliarden Dollar pro Jahr durch die Steuerzahler subventioniert. Die Subventionen für fossile Brennstoffe stammen aus einer anderen Zeit, einer Zeit, als die Entwicklung der Öl- und Kohleindustrie als Schlüssel zum wirtschaftlichen Fortschritt galt — nicht als Bedrohung für unsere Zivilisation des 21. Jahrhunderts. Wenn Förderungen einmal eingeführt sind, kommt es zur Bildung von Lobbies, die sich selbst im Fall von Förderungen, die von Anfang an nicht angebracht waren, mit allen Mitteln dagegen wehren, dass sie wieder abgeschafft werden.75)

In den Vereinigten Staaten sind die Öl- und Gasunternehmen derzeit die wohl mächtigste Lobby in Washington. Zwischen 1990 und 2004 haben sie 181 Millionen Dollar an Spenden für eine Kampagne angehäuft, um besondere Steuervorteile im Wert mehrerer Milliarden zu schützen. In seiner Aussage vor dem Ways and Means Committee des Repräsentantenhauses 1999 sagte Donald Lubick, stellvertretender Finanzminister für Steuerpolitik, über die Öl- und Gasunternehmen: "Das ist eine Industrie, die im Vergleich zu ihrer Größe vermutlich mehr Steuervorteile erhält als jede andere Industrie in diesem Land." Die Tatsache, dass derartig profitable Investitionen möglich sind, ist ein Gradmesser für die Korrumpierbarkeit des politischen Systems der USA und besonders für die Kapazitäten derer, die genug Geld besitzen, um die Wirtschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen.76)  

 

74)  Andrew Dlugolecki, "Climate Chcmge and the Financial Services Industry," Eröfrnungsrede des UNEP Financial Services Roundtable, Frankfurt, Dtld.. 16. 11. 2000; "ClimaÄ Change Could Bankrupt Us by 2065," Environment News Service, 24. 11.2000.  
75)  Björn Larsen, World Fossil Fuel Subsidies atid Global Carbon Emissions in a Model with Interfnel Substitution, Policy Research Working Paper 1256 {Washington, DC: Weltbank, | Februar 1994), S. 7.   
76)  Angaben über Spenden aus Center for Responsive Politics, "Oil and Gas: Long Term i Contribution Trends," auf www.opensecrets.org/industries/indus.asp?Ind=E01, Update 10. j Mai 2005; Committee on Ways and Means, Incentives for Domestic Oil and Gas j Prodiutiort and Status of the hidustry, Anhörung vor dem Subcommittee on Ovetsight ol the Committee on Ways and Means, Repräsentantenhaus (Washington, DC: U.S. Government Priining Office, Februar 1999), S. 16.

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Subventionen durchdringen und verzerren jeden einzelnen Bereich der Weltwirtschaft. So waren beispiels­weise die Kohlesubventionen in Deutschland anfangs gerechtfertigt, da dadurch Arbeitsplätze gesichert werden sollten. Zu Hochzeiten subventionierte die Regierung diesen Industriezweig mit fast 90.000 Dollar pro Jahr und Arbeitskraft. Rein wirtschaftlich betrachtet wäre es sinnvoller gewesen, die Bergwerke zu schließen und die Bergleute dafür zu bezahlen, dass sie nicht arbeiten.77) 

 

Viele Subventionen bleiben dem Steuerzahler verborgen. Dies gilt besonders für die fossile Brennstoff­industrie, in deren Fall zu den Subventionen auch Dinge wie eine Abschreibung auf Substanzverminderung für die Ölförderung in den Vereinigten Staaten gehört. Noch dramatischer verhält es sich mit den laufenden Militärausgaben zur Sicherung des Zugangs zum Erdöl im Nahen Osten, die von Analysten der Rand Corporation vor dem letzten Irakkrieg auf zwischen 30 und 60 Milliarden Dollar jährlich geschätzt wurden, während das aus der Region importierte Öl nur einen Gegenwert von 20 Milliarden Dollar hatte.78 In einer Studie von Redefining Progress aus dem Jahr 2001 zeigte sich, dass der amerikanische Steuerzahler die Nutzung von Automobilen jährlich mit 257 Milliarden Dollar subventioniert, das sind etwa 2.000 Dollar pro Steuerzahler. Neben der Tatsache, dass damit die Karbonemissionen subventioniert werden, bedeutet das außerdem, dass jene, die kein Auto besitzen — darunter auch diejenigen, die sich keines leisten können — diejenigen bezuschussen, die es können.79

Einer der Lichtblicke bei dieser Subventionierung der fossilen Brennstoffe ist, dass sie ein Reservoir an Steuerabzügen bieten, die auf klimafreundliche, erneuerbare Energiequellen, wie Wind und Sonnenenergie oder geothermische Energie, umgelenkt werden können. Eine solche Umlenkung der Subventionen für die fossilen Brennstoffe auf die Entwicklung erneuerbarer Ressourcen würde zu Gewinnen auf beiden Seiten führen, wie in Kapitel 12 noch näher ausgeführt wird. Mit der Subventionierung der Nutzung fossiler Brennstoffe werden gleichzeitig Hitzewellen, die die Ernten verdorren lassen, das Abschmelzen der Gletscher sowie steigende Meeresspiegel und heftigere Stürme mit größerer Zerstörungskraft subventioniert. Vielleicht ist es an der Zeit die Steuerzahler überall auf der Welt zu fragen, ob sie wollen, dass ihr hart erarbeitetes Geld so verwendet wird.

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77)  Kym Anderson und Warwick J. McKibbin, "Reducing Oral Subsidies....," Environment and Development Economks, Oktober 2000, S. 457-81.  
78)  Militärausgaben aus Graham E. Füller und lan O. Lesser, "Persian Gulf Myths," Foreign "ffairs, Mai-Junü997, S. 42-53; Wert der Erdölimporte der USA aus dem Persischen Golf aus U.S. Department of Energy, Energy Information Administration, Annuai Energy Review (Washington, DC: 2001), S. 165.  
79)  Mark M. Gliclcman, Beyond Gas Tdxes: Linking Driving Fees to Externalitiei (Oakland, CA: Redefining Progress, 2001), S. 1; Zahl der Steuerzahler aus Internal Revenue Service, "Number of Returns Filed, by Type of Return and State, Fiscal Year 2000," in 2000 IRS Data Book (Washington, DC: 2001).

 

 

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