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3 - Alles, was glänzt: Die Goldsucher

 

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Im selben Jahrhundert hatten in Europa auch die Fantasien von weltlicher Herrlichkeit eine neue, aufregende Quelle der Inspiration gefunden, die alle Aufmerksamkeit auf sich zog. 1492 war Christoph Kolumbus gen Westen gesegelt, um einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden, der die Landroute über die Seidenstraße ersetzen konnte — ein unrealisierbarer Traum, damals wie auch die nächsten 400 Jahre. Statt Japan bekam Kolumbus am Ende die Bahamas. Doch immerhin hatte er eine Neue Welt entdeckt. Es war ein leerer Landstrich, auf dem man sich aus einer Distanz von fast 5000 Kilometern unermesslichen Reichtum und Ruhm lebhaft vorstellen konnte.

Weitere Entdecker aus Europa ließen nicht lange auf sich warten. Immer mehr machten sich auf den Weg, und viele von ihnen jagten dem Traum einer Nordwestpassage nach. Dieser Traum war es auch, der einen gewissen Captain John Smith Anfang des 17. Jahrhunderts dazu veranlasste, mit dem Geld einiger englischer Investoren in die Neue Welt aufzubrechen. Smith glaubte, der Potomac River führe ans andere Ende Nordamerikas bis zum Pazifischen Ozean, letztlich kam er aber nur bis Bethesda in Maryland, Eine Schiffspassage nach Asien war auch der große Traum des Engländers Henry Hudson, der 1609 in Albany, New York State, endete. Ein Jahr später finanzierten englische Geldgeber, die weiterhin an den Traum der arktischen Handelsroute glauben wollten, Hudsons zweiten Versuch. Diesmal schaffte er es anstatt nach China immerhin bis nach Ontario. Doch als Hudson seinen Weg in Richtung Westen fortsetzen wollte, brach seine Crew, die für seinen Traum weniger Begeisterung aufbringen konnte, eine Meuterei vom Zaun, und Captain Hudson ward nie wieder gesehen.

Die Spanier, die Kolumbus nachfolgten, steuerten in südwestliche Richtung, anstatt ergebnislos nach einer Nordwestpassage nach Indien zu suchen. Dort stießen sie auf hoch entwickelte Kulturen und deren Stadtsiedlungen: die Azteken in Mexiko und die Inkas in Südamerika. Und was sie bei dieser Gelegenheit auch fanden, war das Gold der Inkas und Azteken - welches sie stahlen, über ein Jahrhundert lang schürften und dazu benutzten, ein transatlantisches Weltreich aufzubauen.

Die Engländer neideten den Spaniern ihre plötzliche Macht — und ganz besonders das viele Gold der Neuen Welt.

Wenn aber in den südlichen Gefilden solche Schätze zu holen waren, warum nicht auch Tausende Kilometer weiter nördlich, in den Ländern, die England am nächsten lagen? Und so wurde an der Wende zum 17. Jahrhundert die Goldsuche zu einem Fetisch für englische Möchtegernkolonisten. Gleichzeitig war dies der Anfang eines wiederkehrenden Phänomens, auf das wir hier noch häufig stoßen werden: dass nämlich die Amerikaner in der Lage sind, um ein plausibles Stückchen Realität herum mit Begeisterung wunsch- oder angstgetriebene Märchen zu spinnen, von deren Wahrheit sie felsenfest überzeugt sind.

 wikipedia  Richard_Hakluyt  1552-1616      wikipedia  Walter_Raleigh 1552-1618

Ein junger Absolvent der Universität Oxford und Faktotum des Königshauses namens Richard Hakluyt gehörte während der 1580er- und 1590er-Jahre zu den leidenschaftlichsten und einflussreichsten Amerika-Enthusiasten Englands. Er pickte die Rosinen aus den Berichten früherer Entdecker - einige davon aus zweiter und dritter Hand - und setzte daraus ein köstliches Bild vom perfekten Paradies zusammen. All die Forschungsreisen ins östliche Nordamerika, schrieb er in einem ausladenden Manuskript, »beweisen ohne jeden Zweifel, dass Gold und Silber ... wertvolle Edelsteine, Türkise und Smaragde ... entdeckt wurden«, den gesamten Küstenstrich hinauf und hinab. Im südlichen Teil »barg das Land Gold und Silber«, und auch ein kurzes Stück gen Norden war mit Sicherheit Gold zu finden, denn »die Farbe der Landschaft spricht ganz und gar dafür«. Und auch noch weiter nördlich »werden Gold und Silber erwähnt«.

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Zu dieser Zeit wuchs die englische Bevölkerung stärker als die Wirtschaft des Landes, also schlug Hakluyt vor, die »untätigen Männer« nach Amerika zu verschiffen und sie in Goldminen arbeiten zu lassen.

Die Tatsache, dass der nördliche Teil der Neuen Welt bereits von Menschen bewohnt war, war äußerst ungünstig. Dennoch berichtete Hakluyt, dass die Ureinwohner »gute Menschen von sanfter und freundlicher Natur« seien, die sich »bereitwillig unterordnen« würden. Und nachdem die Bevölkerungsdichte in Nordamerika weniger als fünf Prozent der englischen betrug, erachteten die Neuankömmlinge das Land als praktisch leer, als eine Tabula rasa, die sich in eine Art englisches Utopia verwandeln ließe.

Hakluyts fieberhafte Chronik Amerikas war von einem dreißigjährigen Aristokraten, Dichter, Schwerenöter, Abenteurer, eifrigen Protestanten und goldgierigen Amerika-Fan in Auftrag gegeben worden: Walter Raleigh. Er war ein charmanter, überbordender Senkrechtstarter - der klassische amerikanische Trendsetter, lange bevor es das englische Amerika überhaupt gab. Ab dem Augenblick, als er Hakluyts Bericht, der dem Zweck diente, Queen Elizabeth von der Kolonisierung zu überzeugen, in Händen hielt, vergingen gerade mal drei Jahre, bis er zu Sir Walter Raleigh avancierte. Er erhielt den königlichen Auftrag zur Ausbeutung und Unterwerfung der nordamerikanischen Ostküste und entsandte drei voneinander unabhängige englische Expeditionsteams, um das besagte Gold zu bergen. Sie fanden nichts.

Wenngleich Raleigh persönlich nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte, glaubte er dennoch nicht nur an das Vorhandensein prächtiger Goldlager, sondern auch daran, den biblischen Garten Eden gefunden zu haben. Aus den Angaben der Bibel hatten englische Kleriker errechnet, dass das Paradies auf einer nördlichen Breite von fünfunddreißig Grad liegen müsse. Genau wie auf Roanoke Island!, stellten sie erfreut fest.

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Und damit noch nicht genug der neuen Beweise (die man immerhin vom Hörensagen kannte) für die wundersame Präsenz Gottes in Virginia: Das Buch eines Botanikers mit dem Titel Joyful News of the New World (Freudige Nachrichten aus der Neuen Welt) berichtete, dass es in Amerika manch einzigartige Pflanze gebe, die in der Lage sei, alle Krankheiten zu heilen. Ein berühmter englischer Dichter veröffentlichte seine »Ode to the Virginian Voyage«, worin er Virginia als das »einzige Paradies auf Erden« bezeichnete und als einen Ort, wo die Engländer »Perlen und Gold« finden würden. Nicht wenige Engländer glaubten daran, dass es sich buchstäblich um den neuen Garten Eden handelte.*

Nur leider war dem nicht so. Ein Großteil der ersten Siedler, die Raleigh losgeschickt hatte, wurde krank und starb. Daraufhin entsandte er eine zweite Expedition von Goldjägern. Auch diese scheiterte, und sämtliche Siedler kamen dabei ums Leben.

Doch Sir Walter hielt an seinem großen Traum vom Gold fest. Als es ihm 1595 bei seiner Reise nach Südamerika nicht gelang, die sagenumwobene goldene Stadt El Dorado aufzustöbern, hielt ihn das nicht davon ab, seine Fantasievorstellung in England weiter zu verbreiten. Er veröffentlichte ein Buch voll historischer Anekdoten fraglicher Herkunft, die dazu dienen sollten, seinem Traum einen Anstrich von Wahrheit zu geben. Somit wurde Raleigh zum Mitbegründer eines ausgeklügelten Pseudoempirismus, der in den folgenden Jahrhunderten zu einem permanenten Wesenszug der Berichterstattungen aus Fantasyland werden sollte, egal ob es sich dabei um Religion, Quacksalberei in der Wissenschaft, Verschwörungen oder irgendetwas anderes handelte, das gerade dringend verkauft werden musste.

1606 erteilte der neue König auf dem englischen Thron, Jakob I. (engl. James I.), trotz des desaströsen Ausgangs von

 

* Über ein Jahrhundert später nutzte ein englischer Grundstücksmakler bei dem Versuch, Georgia zu vermarkten, immer noch dieselben Verkaufsargumente: Es sei »das herrlichste Land des gesamten Universums« und zumindest ebenbürtig mit dem biblischen »Paradies, liege es doch auf demselben Breitengrad wie Palästina ... bestimmt von Gottes eigener Hand ... zum Segen ... eines auserwählten Volkes.« Und außerdem, da war er ganz sicher, gebe es dort Silberminen.

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