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 Unser geschichtlicher Ausflug in das weite Gebiet der wissenschaftlichen Phantastik ist am vorläufigen Zielpunkt, beim Heute, angelangt. Vieles Beachtens­werte war zu entdecken, manches im Schattendasein anderer Werke Stehende wurde durch schärfere Ausleuchtung neu gesehen, und es gab in dieser Landschaft auch Wildwuchs, Unkräuter und Irrwege. 

Mit einer ewig gültigen Definition ist die historische Erscheinung Science Fiction also auf keinen Fall zu erfassen. Sie unterliegt — wie die Wirklichkeit selber — einem ständigen Wandlungsprozeß. Da gibt es bestimmende, lange Zeit hindurch zu verfolgende, sich nur allmählich ändernde Merkmale und Besonderheiten; andere sind kurzlebiger, vielleicht in einer Epoche oder gar nur in einer Entwicklungsphase vorhanden. 

Die Science Fiction der Zukunft wird ebenfalls anders sein als die der Gegenwart. Sicher wird es in absehbarer Zeit keine merklichen Änderungen in der Bandbreite der Science Fiction geben. Solange mit minderen Trivialprodukten Geschäfte zu machen sind, werden sich die Raumopern in immer phantastischeren Entfernungen abspielen, kältegeschockte Astronauten mit Photonenraketen exotische Galaxien durchrasen, gigantische Kriege der Welten toben, «E.T.»s auf die Erde verschlagen sowie Sexbomben durch Supermänner vor schleimigen Monstern gerettet werden; Telepathen, Androiden und Roboter werden die Erde bedrohen, Chrononauten vor- und rückwärts durch die Epochen reisen, und immer wieder werden Autoren bessere und auch schrecklichere Weltentwürfe vorlegen.

Heute wird vieles Wirklichkeit, woran unsere Vorfahren nicht einmal im Traum zu denken wagten. Satelliten umkreisen die Erde, erste Raumsonden haben die Grenzen des Sonnensystems verlassen, die Beschaffenheit von Mars und Venus ist kein Geheimnis mehr, Kernenergie gehört fast schon zum alltäglichen Leben, und die Mikroelektronik dringt unaufhaltsam vor. All das gibt aber zugleich viel mehr als früher Anlaß zu neuen Ängsten und Sorgen. 

Die Rationalisierung und Produktivitätssteigerung setzt Menschenkraft frei, so daß in großen Teilen der Welt das Heer der Arbeitslosen immer mehr anwächst. 

Die unvernünftige Nutzung der Technik führt zu erheblichen Störungen im Verhältnis des Menschen zur Natur. Da werden die riesigen Waldvorkommen Südamerikas rücksichtslos ausgebeutet trotz der warnenden Beispiele in anderen Teilen der Welt. Schwefelsaurer Regen vernichtet Baumwuchs, Flüsse verwandeln sich in Kloaken, Biotope werden zerstört. In aller Welt ziehen die Riesenstädte magnetisch weitere Millionen Menschen an, als Folge häufen sich Verkehrschaos, soziale Probleme, Lärm und Smog.

Stimmte die Science Fiction noch bis zur Mitte unseres Jahrhunderts einen Lobgesang auf Technisierung und Urbanisierung an, so hat sich das in der letzten Zeit vor allem in der literarisch ambitionierten wissenschaftlichen Phantastik erheblich geändert. Gerade die besten Werke des Genres fliehen nicht mehr so stark hinaus zu Abenteuern in exotischen Weiten, sondern bemühen sich, unsere Zeitprobleme phantastisch zu umspielen und dadurch den Lesern bewußt zu machen. Autoren stellen sich der Verantwortung, die wir für nachfolgende Generationen haben. 

Immer wieder werden die Fragen der Selbstvernichtung der Menschheit durch schrecklichere Waffensysteme zu zentralen Anliegen.

 Spekulationen über wahrhaft brüderliche Gesellschaftsformen, in denen Hunger, Arbeitslosigkeit, Knechtschaft und Elend auf immer gebannt sind und die deshalb keine Kriege mehr brauchen und kennen, nehmen zu. 

Gegenstand der SF ist ja nicht die Technik, sondern der Mensch.

Umfassend wird deshalb nach meiner Überzeugung die Science Fiction der Zukunft soziale, psychische, ökologische und biologische Probleme antizipieren, die heute gerade noch vorstellbaren Grenzen aller Fähigkeiten des Menschen abtasten, sie immer wieder neu in Frage stellen und damit zugleich erweitern.

Die Science Fiction der kommenden Jahre wird ihrem Publikum genauso Vergnügen bereiten wie die vergangene und gegenwärtige ihren Freunden. Sicher aber wird sie ein wenig mehr als bisher nicht nur dazu beitragen, die Leser zu unterhalten, sondern sie darüber nachdenken zu lassen, wie unsere Erde auch noch für unsere Kindeskinder als Lebensraum bewahrt werden kann.

Diese Hoffnung wird genährt durch Prozesse, die sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten allenthalben abzeichnen. Bedeutende Werke der Weltliteratur kreisen um Motive und Topoi der wissenschaftlichen Phantastik; gleichzeitig verändern sich spürbar die Originalität des phantastischen Arrangements, die literarisch-ästhetische Qualität und die humanistischen Intentionen einer großen Zahl von SF-Schriftstellern. 

Die seit über einhundert Jahren weit geöffnete Schere zwischen «eigentlicher» Literatur und Science Fiction zur bloßen Unterhaltung beginnt sich hier zu schließen. Und eines Tages wird Science Fiction vielleicht wieder in ihrer Gesamtheit anerkannter und unlösbarer Teil des Literatur­prozesses sein, so wie sie es über Jahrhunderte war.

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Ende

 

 

 

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