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   7. Die sieben Sphären   

 »Wenn der Allmächtige mich um Rat gefragt hätte, bevor

er die Schöpfung unternahm, würde ich mich für etwas

Einfacheres verwendet haben.« - Alfons X. von Kastilien

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Jetzt wird die Sache kompliziert. Das Hüftbein zum Beispiel ist einfach mit den Schenkelknochen verbunden. Auf der Erde aber ist alles mit allem verbunden. In einem Anatomiebuch unseres Planeten müßte sich jeder Artikel auf alle anderen beziehen. Wenn man all die Ereignisse — und seien sie noch so unwahrscheinlich — bedenkt, die in einem System mit so vielen Teilen geschehen können, ist die Anzahl der Möglichkeiten erschreckend.

In der Vergangenheit waren die Modelle der Klimaexperten völlig auf die Atmosphäre konzentriert. Jetzt bemühen sich viele Wissenschaftler, weiter zu schauen. Mit dem Einsatz aller Mittel, mit Stift und Papier, Taschenrechnern und Computern versuchen sie, alle sieben Sphären zu berücksichtigen.

Sie beginnen mit der Untersuchung der Wirkungen, die eine einzige Veränderung in einem einzelnen Teil des Systems hat: in der Sphäre des Eises, des Meeres, des Lebens, der Luft, des Feuers, des Steins oder des Menschen. Dann bemühen sie sich zu verfolgen, wie diese Veränderung in die anderen Sphären hineinwirkt, sich in ihnen ausweitet, verwandelt, vervielfältigt oder auflöst. Schließlich versuchen die Forscher abzuschätzen, was alle diese Veränderungen zusammengenommen in bezug auf die Temperatur des Planeten für die nächsten hundert Jahre bewirken könnten.

Diese schrittweise Annäherung ist der Aufgabe zwar vollkommen unangemessen, aber im Augenblick tun wir damit das Bestmögliche. Und schon zeichnet sich ab, daß wir mehr aufs Spiel setzen als wir ahnten. Im Jahr 1982 stellte eine Gruppe von Klimaexperten an der amerikanischen Akademie der Wissenschaften einen Bericht zusammen und resümierte: »Unsere gelassene Bewertung der CO2-Produktion beruht hauptsächlich auf <vorhersehbaren> klimatischen Veränderungen ... Aber wir könnten überrascht werden.«

Heute würden die meisten Klimaexperten diesen Standpunkt revidieren. In einem aus sieben Sphären bestehenden System sind Überraschungen garantiert. Es muß zu Kettenreaktionen kommen. Wir könnten in der Tat sehr überrascht werden.

Eis 

Bis vor kurzem haben sich die Wissenschaftler bei dem Versuch, sich das Schlimmste vorzustellen, das bei einer Erwärmung passieren könnte, auf das antarktische Schelfeis konzentriert. Wie wir bereits gesehen haben, reicht auf der westlichen Seite des Kontinents ein großer Teil des Eises in Form von Gletschern in den Ozean hinaus. Es ist fast kein Land vorhanden, um es abzustützen. Das gesamte Schelfeis könnte eines Tages ins Meer stürzen.

Allerdings ist die Antarktis so kalt und isoliert, und ihre Eisdecke ist so dick, daß sie für eine sehr lange Zeit nicht schmelzen oder brechen dürfte. Noch heute ist es dort so kalt, daß es nicht einmal schneien kann. Wenn sich die Erde erwärmt, könnte auf dem Südpol viel mehr Schnee fallen, und die ganze südliche Eisdecke würde sich ausdehnen. Ja, wenn ein paar der jüngsten Modelle zutreffen, könnte das Landesinnere des Weißen Kontinents so viele Schneefälle erleben, daß der Meeresspiegel weltweit für eine Weile sinken würde.

Vielleicht haben wir uns um den falschen Pol gesorgt.

Aus dem Weltraum betrachtet, sieht die Erde wunderbar symmetrisch aus, mit einer großen weißen Eiskappe auf jedem Pol. Aber die südliche Eiskappe ist ein Kontinent, und die nördliche ist nur ein Floß. Der größte Teil des nördlichen Schelfeises schwimmt einfach auf dem arktischen Ozean.

Die nördliche Eiskappe existiert seit ein paar Millionen Jahren, seit Beginn des Pleistozän. Das Reich dieses Eises ist ungeheuer groß. Im arktischen Winter (der von November bis Juni dauert) dehnt sich das Eis von seinem Sommerminimum von sieben oder acht Millionen Quadratkilometern auf ein Wintermaximum von fünfzehn Millionen Quadratkilometern aus (und ist damit zehnmal so groß wie der US-Bundesstaat Alaska). 

* (d-2013)   wikipedia / Alfons_X.  (1221-1284) 

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Der sowjetrussische Klimatologe Mikhail Budyko erkannte als erster, daß die gesamte arktische Eisdecke bedroht ist. Er veröffentlichte seine ersten Notizen darüber schon 1962. Es hat lange gedauert, bis diese Erkenntnis ins westliche Denken einsickerte, weil sich die Menschen im Westen, von denen viele in wärmeren Zonen leben, weniger als die Sowjets der immensen Bedeutung des arktischen Ozeans bewußt sind.

Glaziologen, die das außergewöhnliche Anwachsen des Schelfeises während des Winters beobachteten — von Flugzeugen und Hundeschlitten aus und manchmal sogar, indem sie sich mit Taucheranzügen in die Fluten wagten und unter das Eis tauchten —, wissen, daß die Eisdecke oft papierdünn ist. Als erstes überzieht sich das unter null Grad kalte Wasser mit einem »Grundeis«-Film; winzige Kristalle schwimmen auf dem Wasser, sogenannte »Eissamen«. Dann verbacken die winzigen Eiskristalle zu einer dünnen Lage, »Nilas« genannt, auf der wogenden See und passen sich ihr wie eine Ölschicht an. Wenn das Nilas dreißig Zentimeter dick geworden ist, heißt es junges Eis oder einjähriges Eis.

An manchen Stellen ist das einjährige Eis zu Wülsten von bis zu achtzehn Metern Dicke zusammengepreßt. Aber es ist noch zerbrechlich. Immer wieder kommen Risse und Spalten vor, weil die Meeresströmungen von unten gegen die Eisdecke drücken. Lange Rinnen, manche nur wenige Meter, andere mehrere Kilometer breit, tun sich auf. Mysteriöse Löcher bilden sich, Polynias: ausgedehnte Seen, durch warme Aufwärtsströmungen oder Meeresflecken oder durch komplexere Ursachen erzeugt. Das Zusammenspiel von Meer und Eis führt oft zu riesigen Mustern, die von oben betrachtet wie verschränkte Finger aussehen, schwarze Wasserfinger und weiße Eisfinger.

Schnee und Eis sind ausgezeichnete Reflektoren. Eine Schicht frischgefallenen Schnees reflektiert nicht weniger als achtundneunzig Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Sogar das alte von Blasen durchsetzte Sommereis in der Arktis reflektiert vier- oder fünfmal mehr Sonnenlicht als das dunkle Meereswasser seiner Umgebung. Eis strahlt das Sonnenlicht direkt in den Raum zurück, bevor die Oberfläche erwärmt wird. Daher ist die Arktis weit kälter, als sie es ohne Eis wäre. Die Eisdecke macht diesen Pol buchstäblich zu einer »Wärmesenke« für die gesamte nördliche Hemisphäre. Nur, weil es weiß ist, treibt das Eis des arktischen Ozeans die Wettersysteme an.

Die gesamte Zirkulation der Luft und des Meeres in dieser Hemisphäre, die Strömungen, die jedem Land dieser Hemisphäre das endlose Schauspiel des Wetters bescheren, können aus kosmischer Sicht als der mit großer Konsequenz betriebene Versuch beschrieben werden, den Nordpol zu erwärmen.*

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Das Eis im arktischen Ozean treibt außerdem eine Art vertikales Wasserrad in der tieferen See an. Die Verdopplung des Eises in jedem Winter schließt einen großen Teil des im Meerwasser gelösten Salzes aus. Dieses Salz belastet das Wasser, das nicht gefroren ist, und die schwere Last zwingt das Wasser auf den Grund. Es ist, als drücke das Salz die Kellen eines gigantischen Wasserrads nieder; sie sinken und sinken und sinken. Dadurch wird Wasser vom Meeresgrund nach oben getrieben. Beim Aufsteigen trägt es Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche und hilft einen Großteil der Meeresfauna des Planeten zu ernähren.

Die nördliche Eisdecke ist weniger als die südliche vom übrigen Planeten isoliert, und aufgrund der vielen Löcher in ihrem Eis ist es dort viel wärmer. Die Luft über dem Nordpol ist im Durchschnitt etwa zwölf Grad wärmer als die über dem Südpol (das entspricht dem Unterschied zwischen Miami und New York City). Eine leichte globale Erwärmung könnte die allwinterliche Ausdehnung des Eises verhindern, und eine etwas größere Erwärmung bewirkt möglicherweise den gänzlichen Rückzug des Sommereises.

1896 sah Svante Arrhenius eine Kettenreaktion voraus: das Kohlendioxid erwärmt die Luft — die Erwärmung der Luft bringt das Eis an den Polen zum Schmelzen — das Schmelzen des Eises legt dunkle polare Wasser und dunkle Tundren frei — dunkles Wasser und dunkle Tundren nehmen mehr Wärme als Eis auf — die polare Farbänderung heizt die Pole weiter auf, Diese Serie von Ereignissen schließt Sonne, Luft, Eis, Erde, Wasser, Leben und die menschliche Sphäre mit ein: alle sieben Sphären.

Eine solche Kettenreaktion könnte in der südlichen Hemisphäre noch Jahrtausende auf sich warten lassen, da die antarktische Eisdecke sehr stabil ist. Aber in der nördlichen Hemisphäre könnte sie die arktische Eisdecke bereits zu unseren Lebzeiten vernichten. Wir werden vielleicht noch Zeugen einer Erde, wie sie seit Jahrmillionen nicht existiert hat: unsymmetrisch, mit einer dicken Eisdecke am südlichen und nichts als dunklem Wasser am nördlichen Ende. 

* Das Eis kühlt den Nordpol auch auf andere Art. Dadurch, daß es riesige Teile des arktischen Meeres bedeckt, verhindert es eine Berührung zwischen Wasser und Luft. Das Wasser ist wärmer als die Luft, also würde das Wasser die Luft erwärmen, wenn das Eis nicht zwischen ihnen stünde. Tatsächlich steigt, wann immer Risse im arktischen Meereseis entstehen, Dampf vom offenen Wasser auf. Einige dieser Dampfwolken sind so mächtig, daß sie die Stratosphäre durchdringen wie die Rauchwolken größerer Vulkanausbrüche. 

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Diese Entwicklung muß nicht lange auf sich warten lassen. Dem Klimatologen Hermann Flohn von der Universität Bonn zufolge könnten wir »eine unipolar vereiste Erde nach einer kurzen Übergangsperiode (von vermutlich nur wenigen Jahrzehnten)« erleben.

Meteorologen finden die Aussicht auf eine Welt mit nur einem Eispol beängstigend. Sie wissen, wie sensibel die globale Zirkulation auf vergleichsweise mikroskopische Veränderungen im arktischen Eis reagiert. So haben Beobachter seit dem 18. Jahrhundert zum Beispiel festgestellt, daß die Winter in Nordeuropa häufig wärmer sind, wenn sie in Grönland kälter als gewöhnlich ausfallen, und umgekehrt. Dieser wechselseitige Effekt wurde von modernen Meteorologen auf Einflüsse des Grönlandeises zurückgeführt. Leichte Veränderungen des Eises haben die Macht, das Winterwetter selbst an so weit entfernten Orten wie den Aleuten auf der anderen Erdhälfte zu verändern.

Was würde passieren, wenn es am Nordpol kein Eis mehr gäbe? Die Auswirkung auf die globale Luft- und Wasserzirkulation wäre unmittelbar, ausgedehnt und völlig unvorhersehbar. Wenn der Planet völlig asymmetrisch würde, mit einer ausgedehnten und sich immer noch vergrößernden Eisdecke im Süden und einem schwindenden Eisfleck im Norden, bekäme auch die südliche Hemisphäre diese Veränderung zu spüren.

Was aber noch schlimmer ist, das Wasserrad im Meer könnte sich verlangsamen oder sogar stehenbleiben, wenn sich das Eis auf dem Meer nicht mehr alljährlich um eine größere Fläche ausdehnt, um es anzutreiben. Ein großer Teil der Biosphäre in den Ozeanen würde an Stickstoff- und Phosphormangel eingehen.

Wenn der Ozean eisfrei wird, wäre die Sowjetunion zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Land mit einer ausgedehnten Küste. Das ist einer der Gründe, warum Budyko glaubt, sie werde als großer Sieger aus der globalen Erwärmung hervorgehen.

Es handelt sich hier um eine starke positive Rückkopplung. Die Erwärmung des Planeten läßt das arktische Eis schmelzen, beraubt ihn damit eines gigantischen Sonnenlichtreflektors und sorgt so für eine weitere Erwärmung des Planeten.

 

Meer 

Eine plötzliche globale Veränderung wie diese würde weitere Kettenreaktionen auslösen. Für eine der größten Überraschungen könnte der Meeresboden sorgen.

Bei tiefen Temperaturen und hohem Druck verwandelt sich Methangas in solides Eis. Zur Zeit bestehen diese Bedingungen an vielen Orten unserer Erde: unter dem dicken Permafrost der arktischen Tundra und an den kalten, schlammigen Kontinentalsockeln vom arktischen Ozean bis zum Golf von Mexiko. Allein die Festlandsockel machen ein großes Gebiet aus — etwa fünf Prozent der Erdoberfläche.

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Man nimmt an, daß Methan auch in den Sedimenten zweier kalter Binnengewässer gebunden ist: dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Das Gas wurde in den siebziger Jahren per Zufall durch ein Geologenteam an Bord des Forschungsschiffs Challenger während des Tiefseebohrprojekts entdeckt. Die Geologen hoben mit ihrem Drillbohrgerät lange Schlammkerne aus dem Meeresboden. Als sie die Bohrzylinder hochzogen und aufs Deck legten, begannen Schlammassen wie Geschosse aus den Rohren zu schießen. Die chemische Analyse ergab, daß das Gasgemisch, das den Schlamm aus den Rohren trieb, zu fast hundert Prozent aus Methan bestand.

Auf dem Meeresboden ist das Methaneis mit dem Wassereis eine erstaunliche chemische Verbindung names Clathrate oder Einschlußverbindung eingegangen.

Jedes Methanmolekül ist von einem halben Dutzend Wassermolekülen eingeschlossen, wie ein Goldfisch in einem Goldfischglas. Als die Geologen den Schlamm an die Oberfläche beförderten, schmolz das Clathrate, das Methan bildete Blasen, und die Blasen platzten aus dem Schlamm heraus. Vergleichbares geschieht, wenn ein Tiefseetaucher zu rasch an die Oberfläche aufsteigt. In seinem Körper gebundener Stickstoff wird frei und erscheint als Gasbläschen in Blut, Gewebe und Gelenken — die sogenannte Druckluft- oder Caissonkrankheit, die fatale Folgen haben kann. Das Herauskochen des Methans aus dem Schlamm war die Ursache dafür, daß der Schlamm an Deck der Challenger aus den Rohren schoß.

Methanclathrate ist den Geologen noch immer ein Rätsel, und niemand weiß genau, in welchen Mengen es vorhanden ist. Veröffentlichte Annahmen gehen von tausend bis fünfhunderttausend Gigatonnen aus (eine Gigatonne ist eine Milliarde Tonnen). Eine vorsichtige Schätzung beliefe sich also auf fünfzigtausend Gigatonnen. Zur Zeit enthält die Atmosphäre ungefähr fünf Gigatonnen Methan. Also ist im Methaneis etwa hundertmal so viel Methan gebunden, wie in der ganzen Atmosphäre vorhanden ist.

Wenn sich die Temperatur in großen Meerestiefen bei den Kontinentalsockeln zu erhöhen beginnt, wird eine kolossale Menge Methanclathrate aus dem Schlamm entweichen. Natürlich wird das Methan immer noch einen weiten Weg bis in die Luft vor sich haben. Aber Roger Revelle, der sich mit diesem Problem eingehend befaßt hat, schätzt, daß »fast achtzig Prozent des aus Clathrate freigesetzten Methans in Blasen aus dem Schlamm entweichen und rasch bis an die Meeresoberfläche aufsteigen wird, bevor es im Wasser oxydieren kann.«

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Die mittlere Vorhersage der globalen Erwärmung von drei Grad Celsius vorausgesetzt, hat Revelle berechnet, daß die Gesamtmenge des Methans, das während der Erwärmung aus dem Schlamm des Meeresbodens emporsteigen wird, ungefähr eine halbe Gigatonne pro Jahr beträgt. Im Verlauf des nächsten Jahrhunderts wird (dieser vorsichtigen Schätzung zufolge) genug Methan freigesetzt, um den heutigen Methangehalt der Atmosphäre zu verdoppeln.

Wenn die arktische Eiskappe verschwindet, könnten sich die Meerestiefen so rasch erwärmen, daß der Ozean allein weitere zwölf Gigatonnen Methan freigibt.

Der Methangehalt der Atmosphäre nimmt schon jetzt mit der enormen Rate von etwa einer Gigatonne pro Jahrzehnt zu. Wie wir sahen, ist das reine Volumen dieses Zuwachses nicht nur beunruhigend (weil der Treibhauseffekt des Methans pro Molekül zwanzigmal größer als der des Kohlendioxids ist), sondern auch bisher unerklärt. Möglicherweise hat dieser seltsame Rückkopplungseffekt bereits eingesetzt, und der Anstieg der globalen Temperaturen der letzten hundert Jahre hat schon Gigatonnen Methan aus ihren molekularen Gefängnissen auf dem Meeresgrund befreit.

Wie das plötzliche Verschwinden der arktischen Eiskappe könnte dieser Rückkopplungseffekt den Planeten stärker und rascher aufwärmen als vorhergesagt. Natürlich werden diese beiden Effekte — die Erwärmung des arktischen Meers und die Freisetzung des Methans — einander beschleunigen.

Glücklicherweise wird das gesamte Methan innerhalb weniger Jahrhunderte in der Atmosphäre zerlegt und oxydiert sein. Unglücklicherweise wird es in Wasser und Kohlendioxid zerlegt. In Form von Kohlendioxid wird das große Ausatmen des Schlamms der Ozeane Jahrtausende anhalten und könnte, wenn die dicke Eiskappe schließlich schwindet, dazu beitragen, daß weitere Milliarden Tonnen Methan aus dem arktischen Permafrost und den kalten Gestaden der Antarktis befreit werden.

Schon heute entströmt Methan den Rindern und Ziegen der Erde, die das Gas freisetzen, in Rekordmengen. Wenn der Planet beginnt, es freizusetzen, könnte die konservative Schätzung einer Erwärmung um drei Grad durch das Kohlendioxid um wenigstens weitere drei Grad durch das auftauchende Methan aufgestockt werden.

 

Leben 

Das Ausmaß, in dem die Biosphäre dieses globale Mißgeschick beeinflußt, ist phantastisch. Denken Sie nur an die Atmung der Welt. Die Pflanzen atmen bei der Photosynthese so viel Kohlenstoff ein, daß sie der Atmosphäre alljährlich hundert Milliarden Tonnen davon entnehmen.

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Zugleich atmen die Tiere und Pflanzen dieser Welt im Zuge der Respiration so viel Kohlendioxid aus, daß sie der Atmosphäre insgesamt ungefähr hundert Milliarden Tonnen Kohlenstoff zurückgeben.

Da die ganze Atmosphäre nur rund siebenhundert Milliarden Tonnen Kohlenstoff enthält, bedeutet dieser ungeheure Stoffwechsel, daß das gesamte Kohlendioxid des Planeten Erde alle sieben Jahre in die Atmosphäre hinein- und wieder aus ihr herausgelangen muß.

Wie wir sahen, verändert sich die Atmung der Welt bereits: Jedes Jahr ist sie tiefer als im Jahr zuvor. Wenn das Leben nun anfangen sollte, ein wenig tiefer einzuatmen, als es ausatmet, würde das genügen, um der Luft Milliarden von Tonnen Kohlenstoff zu entnehmen, Jahr für Jahr. Der Kohlenstoff würde eingeschlossen in der grünen Welt der Stengel, Stämme und Gräser, des Laubes, der Pilze und des Humus, von denen nichts einen Treibhauseffekt aufweist.

Wenn das Leben umgekehrt beginnen sollte, auch nur ein bißchen mehr Kohlenstoff auszuatmen, als es einatmet, dann würden alljährlich Milliarden Tonnen Kohlenstoff von den Wäldern und ihren weichen Böden emporsteigen und ein Teil des blauen Himmels werden. Das Leben würde einen Teil seines Gewichts abstreifen, um die Atmosphäre zu erwärmen.

Kurz: Wenn die Photosynthese zunimmt, die Respiration aber gleich bleibt, entnimmt die Biosphäre der Luft Kohlenstoff. Wenn die Respiration zunimmt, die Photosynthese aber gleich bleibt, dann fügt die Biosphäre der Luft Kohlenstoff hinzu.

Es ist leicht, sich vorzustellen, wie die Photosynthese zunehmen könnte. Kohlendioxid ist nämlich ein ausgezeichneter Dünger für grüne Pflanzen, und Besitzer kommerzieller Treibhäuser verdoppeln oder verdreifachen den Anteil dieses Gases an der Luft, weil sie wissen, daß es ihre Baumsetzlinge, Tomaten und Orchideen rascher wachsen läßt. Die Pflanzen sind dankbar für Kohlendioxid.

Düngt das Gas, das wir in die Atmosphäre blasen, auch die grüne Wildnis, das große Treibhaus? Das ist schwer meßbar. Um einen beweiskräftigen Test anzustellen, müßte ein Ökologe mehrere große Eichen- und Pinienwälder innerhalb künstlicher Atmosphären anlegen und nach fünfzig Jahren die Resultate messen. Dieser Test würde sehr viel Geduld und Geld erfordern. Aber auch ohne ihn halten es Keeling, Revelle und viele andere Forscher für so gut wie erwiesen, daß das Gas die Wälder düngt. Sie betrachten das als einen positiven Aspekt der globalen Veränderung, die jetzt begonnen hat. Denn dadurch wird die Biosphäre angereichert, und die Zuwachsrate des Gases verlangsamt sich: eine willkommene Art der Rückkopplung.

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Georg Woodwell, Direktor des Woods Hole Research Center, ist eine weltweit anerkannte Autorität auf dem Gebiet des Stoffwechsels der Wälder. Er ist einer der wenigen Ökologen, die tatsächlich versucht haben, zu messen und dabei zu beobachten, was geschieht. Woodwell bestätigt, daß das Kohlendioxid wahrscheinlich die Bäume düngt; aber er glaubt, daß die Forscher, die sich auf diesen Effekt konzentrieren, etwas übersehen. In den sechziger Jahren hatten Woodwell, Richard Houghton und andere in einem Wald in Brookhaven, New York, eine komplizierte Gasmeßapparatur aufgestellt, mit deren Hilfe sie herausfinden wollten, wieviel Kohlendioxid der Wald ein- und ausatmete. Ähnliche Forschungen hatte Keeling in den fünfziger Jahren im Yellowstonepark mit seinen Glasflaschen »per Hand« betrieben; in Brookhaven fanden die Aufzeichnungen ganzjährig und kontinuierlich an bestimmten im gesamten Wald verteilten Stellen statt.

Die Forscher entdeckten einen verhängnisvollen Zusammenhang. Je wärmer das Wetter war — unabhängig von der Jahreszeit —, desto tiefer wurde die Kohlendioxidausatmung des Waldes.

Physiologen bezeichnen die durch eine Temperaturzunahme von zehn Grad verursachte Veränderung des Atmungsrhythmus mit der Maßeinheit Q10. Wenn eine Eiche einen Q10 von 2 hat, bedeutet das, daß sich die Respirationsrate der Eiche bei einem Temperaturanstieg von zehn Grad verdoppelt.

Woodwells Team stellte nun fest, daß der Q10 ihres Waldes irgendwo zwischen 1,3 und 3 lag. Das bedeutet, wie Woodwell erklärt, daß sich die Respirationsrate des Waldes bei einem Temperaturanstieg um ein Grad um nicht weniger als fünfundzwanzig Prozent steigern würde. Eine Erwärmung um vier Grad könnte sie somit um ganze hundert Prozent erhöhen.

Als Woodwell seine Daten noch einmal durchsah, wurde er auf diesen Komplex nachhaltig aufmerksam. »Die Photosynthese wird durch die Temperatur nicht sehr beeinflußt«, sagt er, »sondern durch Licht und die Verfügbarkeit von Düngemitteln und Wasser. Weiter unten auf der Liste, vielleicht als Punkt zehn oder so, erschiene die Kohlendioxidkonzentration der Atmosphäre. Die Respiration aber wird durch Temperatur, Temperatur und nochmals Temperatur gelenkt.«

Woodwell hält es demnach für sehr wahrscheinlich, daß die globale Erwärmung die Respiration gegenüber der Photosynthese bevorzugt. Sie könnte die Respirationsrate mehrmals verdoppeln, während die Photosyntheserate nur sehr geringfügig angehoben würde. Die Atmung der Welt würde also aus dem Gleichgewicht geraten, und die Biosphäre gewaltige Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre abladen.

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Das muß nicht geschehen. Es ist nur ein Faden im Gewebe der Möglichkeiten. Aber wegen der ungeheuren in Betracht kommenden Kohlenstoffmenge ist Woodwells Szenario alarmierend. Es steht außer Zweifel, daß sich die Atmung der Welt verändert; die gegenwärtig in den Bäumen und im Humus der Wälder gebundene Menge an Kohlenstoff beträgt etwa eintausendfünfhundert Gigatonnen. Das ist dreimal so viel Kohlenstoff, wie heute die ganze Atmosphäre enthält. Und ein großer Teil dieses Kohlenstoffs ist hochmobil, wie Woodwell ausführt: »Keelings Kurve zeigt, daß der Stoffwechsel der Wälder die Erdatmosphäre innerhalb weniger Wochen verändern kann.«

Was aber Woodwells Szenario noch alarmierender macht, ist der Rückkopplungseffekt, der auch droht, die arktische Eiskappe aufzuzehren und Milliarden von Tonnen Methan aus dem darunter befindlichen Schlamm freizusetzen. Es ist die Art Rückkopplung, die Arrhenius schon 1896 (vor Einführung des Wortes »Rückkopplung«) andeutete. Die Erwärmung des Planeten wird den Schnee zwingen, von den oberen Breiten der nördlichen Hemisphäre zurückzuweichen, und damit immer mehr dunklen Boden und dunkles Wasser den Sonnenstrahlen aussetzen und somit bewirken, daß die Temperaturen in diesem Teil der Welt weit schneller und weit höher ansteigen, als es dem globalen Durchschnitt entspricht. Es wird am Pol immer noch kälter als am Äquator sein, aber nicht mehr so viel kälter — das Temperaturgefälle der Breitengrade wird sich mehr und mehr reduzieren. So betrachtet, kann man das nördlichste Viertel des Planeten wortwörtlich als den »heißesten« Punkt der Treibhausvorhersagen ansehen.

Und wo ist die Atmung der Welt am tiefsten? Am heißen Punkt. Sie können das anhand der Kurve Keelings erkennen. Keelings berühmte Aufzeichnung ist in Wirklichkeit eine Komposition: Sie zeigt einen globalen Durchschnitt aus vielen Aufzeichnungen, die er anhand seiner Messungen auf der ganzen Welt zusammenstellt. Jedes Meßgerät zeichnet den Atmungsrhythmus der Biosphäre an dem Breitengrad auf, an dem es installiert wurde. Keelings Kohlendioxiddetektoren am Point Barrow in Alaska zeichnen eine außergewöhnliche Amplitude von zwanzig Teilen pro Million auf:

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Seine Detektoren am Mauna Loa zeichnen eine Amplitude von nur fünf oder sechs Teilen pro Million auf:

Und seine Instrumente am Südpol zeichnen eine Amplitude von lediglich einem Teil pro Million auf, also eine sehr flache Atmung:

Das bedeutet, daß die riesigen Flächen der Tundra und des sich über Kanada und Sibirien erstreckenden immergrünen Waldes und die dichten laubwechselnden Wälder Nordamerikas, Europas sowie des gemäßigten Asiens für die wirklich tiefe Atmung dieses Planeten

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sorgen. Und diese Pflanzen können einen stärkeren Anstieg der Temperatur bewirken als jeder andere Teil der Biosphäre. Schon in den letzten hundert Jahren hat sich der Globus insgesamt um etwa einen halben Grad Celsius erwärmt, und die Temperatur des heißen Punktes hat sich vermutlich um einen ganzen Grad erwärmt.*

Wenn Woodwells Annahmen bezüglich des Q10 der Biosphäre stimmen, hat die globale Erwärmung des letzten Jahrhunderts die Respiration der Tundren und Wälder bereits genug beschleunigt, um die Respiration der gesamten Biosphäre um einige Prozente über den normalen Level zu erheben. Wenn es sich wirklich so verhält, bläst die Biosphäre schon jetzt in jedem Jahr einige Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre — jedesmal, wenn die Welt atmet.

Es ist Woodwells Alptraum, daß die Erwärmung selbst die Erwärmung beschleunigt. Je rascher sich die Welt erwärmt, desto schlechter ist das für die Bäume, und je mehr Kohlenstoff in die Luft gelangt, um so schneller erwärmt sich der Planet. Woodwell ist der Meinung, daß wir Zeugen des Beginns der Auflösung großer Teile der Biosphäre sind. »Wenn die Respiration die Photosynthese überflügelt«, schreibt er, »hören Pflanzen und andere Organismen auf zu wachsen und sterben schließlich.« Auf lange Sicht werden andere Bäume zwischen den Gefallenen gedeihen und ihre Plätze einnehmen. Die zapfentragenden immergrünen Nadelhölzer des hohen Nordens werden sterben, und letztlich werden laubwechselnde Bäume aus dem Süden dem neuen Klima Rechnung tragen und sie ersetzen. Aber auf kurze Sicht, in den nächsten Jahrzehnten, werden riesige Gebiete des heißen Punkts nichts weiter als Ödland sein: »Eine Welle biotischer Verarmung, die ebenso tiefgreifend sein wird wie die durch die Vereisung verursachte.« 

Weiter schreibt Woodwell: »Die plötzliche Vernichtung der Wälder durch Luftverschmutzung, die wir jetzt im nördlichen und mittleren Europa und in den östlichen Gebirgen Nordamerikas erleben, stellt nur einen Vorgeschmack der allem Anschein noch bevorstehenden Zerstörung dar.«

 

* Eine Erwärmung der Tropen könnte ebenfalls gefährlich sein, obwohl die Tropen in Keelings Kurve nicht als »tief atmend« verzeichnet sind. Keelings Kurve gibt die Antwort der Biosphäre auf den Wechsel von Sommer und Winter wieder. In den Tropen ist der Unterschied zwischen Sommer und Winter so gering, daß der Kohlendioxidausstoß der Regenwälder das ganze Jahr über ungefähr gleich bleibt. An jedem Tag von Januar bis Dezember entnehmen die Bäume der Luft Kohlenstoff und erstatten ihr Kohlenstoff zurück.

Da die Menge des ausgeborgten und zurückerstatteten Kohlenstoffs stets gleich bleibt, bewirken die Regenwälder nur eine geringe Veränderung in Keelings Kurve. Wenn aber die Erwärmung des Planeten das Gleichgewicht zwischen Photosynthese und Respiration in den Regenwäldern verändert, könnten sie anfangen, jährlich viele Gigatonnen Kohlenstoff in die Luft abzugeben (zusätzlich zu den Gigatonnen, die sie freisetzen, wenn wir sie roden und verbrennen).

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Luft 

Es wird Rückkopplungseffekte in der Atmosphäre selbst geben. Wolken zum Beispiel könnten eine höchst wirkungsvolle Rückkopplung mit den sieben Sphären eingehen. Sie bedecken in jedem Augenblick etwa die Hälfte des Planeten, und sie reflektieren einen großen Teil des Sonnenlichts, bevor es die Möglichkeit hat, die Oberfläche des Planeten zu erwärmen. Also kühlen sie die Erde.

Auf der anderen Seite besteht die Hauptmasse der Wolken aus Wasserdampf, und Wasserdampf ist ein Treibhausgas. Also wärmen Wolken die Erde. Wer je an einem sonnigen Tag eine Wolke über sich hatte, kennt diesen Kühleffekt. Und wer je eine Nacht bei bewölktem Himmel im Freien verbracht hat, kennt den Wärmeeffekt der Wolken.

Der Treibhauseffekt könnte eine Zunahme der Bewölkung nach sich ziehen, weil die Erwärmung die oberste Schicht der Ozeane aufheizen wird (die Oberflächentemperaturen der Meere sind in den achtziger Jahren stark gestiegen, wie Satellitenmessungen ergaben). Diese Erwärmung wird mehr Wasser verdunsten lassen, die Atmosphäre mit Wasserdampf anreichern und somit vielleicht mehr Wolken produzieren.

Werden diese zusätzlichen Wolken den Planeten eher kühlen oder erwärmen? Wenn sie ihn kühlen, bekommt die Erde gleichsam einen neuen Thermostaten, der etwa wie folgt funktionieren könnte: Die Luft wärmt sich auf. Die Oberfläche der Meere erwärmt sich. Die Verdunstungsgeschwindigkeit erhöht sich. Die Bewölkung wird dichter. Die Temperaturen sinken. Diese Entwicklung würde die düsteren Vorhersagen der Wissenschaftler zumindest relativieren.

Aber was ist, wenn die Wolken den Planeten erwärmen? Dann müssen wir uns auf eine völlig andere Rückkopplung gefaßt machen: Die Luft wärmt sich auf. Die Oberfläche der Meere erwärmt sich. Die Verdunstungsgeschwindigkeit erhöht sich. Die Bewölkung wird dichter. Luft und Meere erwärmen sich noch mehr... ein Alptraum. Die zusätzlichen Wolken könnten das Polareis zum Schmelzen bringen, Methan in gewaltigen Mengen in die Atmosphäre befördern und Bäume sterben lassen.

Einzelheiten wie die Höhe jeder neuen Wolke werden eine große Rolle spielen. Der heutigen Theorie zufolge ist der Charakter einer Wolke genau das Gegenteil von dem, was man in ihr zu sehen glaubt. Sehr hoch stehende Wolken haben einen beachtlichen Treibhauseffekt. 

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Wenn wir in den nächsten zehn Jahren mehr langgestreckte Federwolken erblicken, die für alle Welt wie die Eiskristalle an einer überfrorenen Fensterscheibe aussehen, könnte das bedeuten, daß die Wolken im Begriff sind, den Planeten zu überhitzen.

Niedrige Wolken haben einen beachtlichen Kühleffekt. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren viel mehr dicke Schichten von Stratuswolken am Himmel sehen, die an eine sich über uns senkende Daunendecke erinnern, könnte das bedeuten, daß die Wolken im Begriff sind, den Planeten abkühlen zu helfen.

Computermodelle können nicht vorhersagen, welche Art von Wolken wir häufiger erblicken werden. Da sich der Planet schon um einen halben Grad erwärmt hat, könnte unser Himmel bereits angefangen haben, sich zu verändern, aber selbst das weiß keiner, weil bis vor kurzem niemand die Wolken genau genug beobachtet hat.

In den achtziger Jahren sind intensiv Satellitenprogramme gestartet worden, um die Wolken zu überwachen. Ein besonders ehrgeiziges Programm beobachtet zur Zeit die Wolkenbänke der Erde gleichzeitig von drei Satelliten aus, die zwischen 1984 und 1986 in den Orbit geschossen wurden.

Dieses Programm trägt den Namen ERBE für Earth-Radiation-Budget-Experiment. Gemeinsam beobachten die drei Satelliten die gesamte Erdatmosphäre von Pol zu Pol. Sie messen das an jedem Punkt der Erde einfallende Sonnenlicht, das von den Wolkenoberschichten reflektierte Sonnenlicht und die vom Erdboden aufgestiegene und reflektierte Energie. Durch einen Vergleich der eingehenden und ausgehenden Strahlung können die Wissenschaftler beginnen, Aussagen darüber zu machen, welche Rolle die Wolken im Energiehaushalt des Planeten spielen.

Die Forscher haben ihren ersten planetaren Budget-Report im Januar 1989 veröffentlicht. Der Bericht bezieht sich nur auf einen Monat, den April 1985. Aber nach einer vorläufigen Überprüfung der Daten für andere Monate sind die Forscher zu der Ansicht gelangt, daß er sich als typisch erweisen könnte. In jenem April lagen ausgedehnte Schichten von Zirruswolken über dem tropischen Pazifik und dem Indischen Ozean, über den Regenwäldern Südamerikas und Brasiliens und über den Sturmbahnen des Atlantiks und des Pazifiks. Alle diese Wolken bewirkten einen starken Treibhauseffekt.

Zugleich gab es niedrige kühlende Wolkendecken über dem Atlantik, dem Nordpazifik und über den mittleren Breitengraden der südlichen Hemisphäre, die für ihre Zyklen berüchtigt ist. Diese Wolken hatten einen starken Kühleffekt.

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Im globalen Durchschnitt schienen die Wolken in jenem April mehr zur Abkühlung als zur Erwärmung der Erde beigetragen zu haben. Der Planet wäre ohne die Wolken weit wärmer geworden. Ja, es sieht so aus, als hätten die Wolken in diesem Monat den Planeten weit mehr abgekühlt, als eine Verdopplung des Kohlendioxids der Welt ihn erwärmt haben könnte.

Im nächsten Jahrzehnt werden Satelliten uns mehr über die Natur der Rückkopplung berichten, die wir von Wolken zu erwarten haben. Sie ermöglichen es uns unter Umständen zu sagen, ob es neue Wolken am Himmel gibt und ob durch sie das Wetter für uns besser oder schlechter wird.

Vor kurzem haben Klimaexperten Tests mit einem Dutzend verschiedener Klimamodelle der Erde durchgeführt. Jedes der Modelle wurde einmal ohne Wolken getestet und einmal mit Wolken. Ohne Wolken stimmten die Voraussagen der globalen Erwärmung fast völlig überein. Aber mit Wolken schwankten die Modellvorhersagen um den Faktor drei.

Ramanathan, der Leiter des ERBE-Teams, warnt vor der Annahme, daß uns die Wolken retten. Sie könnten hilfreich sein. Im günstigsten Falle können sie verhindern, daß die Polkappen verschwinden, das Methan freikommt und sich der Kohlenstoff der Biosphäre verflüchtigt — alle diese Möglichkeiten wurden für den Fall einer globalen Erwärmung vorausgesagt. Aber es könnte sich auch herausstellen, daß die Wolken gar keine thermostatische Wirkung haben. Klar ist, daß sie nicht zuverlässig sind. Die dichte Wolkendecke der Venus, die fünfundneunzig Prozent des einstrahlenden Sonnenlichts von diesem Planeten abhält, verhindert nicht, daß der Treibhauseffekt auf der Venus die Planetenoberfläche bis auf die Temperatur erhitzt, bei der Blei schmilzt.

»Der Effekt der Bewölkung ist möglicherweise die größte Unsicherheit, die größte Unbekannte des Treibhauseffekts«, sagt Richard Somerville vom Scripps. »Er ist der Hauptgrund dafür, daß wir nicht voraussagen können, eine wie große Erwärmung wir noch zu unseren Lebzeiten durch den Treibhauseffekt zu erwarten haben.«

 

Die Sonne 

Inzwischen brennt die Sonne vom Himmel. Die meisten Vorhersagen der globalen Erwärmung gehen (mangels genauerer Informationen) davon aus, daß die Sonne im 21. Jahrhundert genauso hell wie im 20. Jahrhundert scheinen wird. In den Computermodellen stellt die Sonne einen konstanten Faktor dar.

Die Sonnenastronomen aber wissen es besser. Sieben Generationen geduldiger Astronomen haben die Sonne beobachtet, um herauszufinden, ob die Sonne ein Stern mit konstanten Zustandsgrößen oder ein veränderlicher Stern ist. 

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Während des 19. und 20. Jahrhunderts haben Beobachter auf einsamen Bergeshöhen so viele Messungen vorgenommen und so viele ellenlange Zahlenlisten erstellt, daß sie sich in einigen Fällen sogar veranlaßt fühlten, diese Listen selbst zu messen; von einer Auflistung wurde berichtet, sie sei vierzig Zentimeter breit und sechzig Meter lang gewesen.

Schließlich wurde ein außergewöhnlich genaues Instrument in den Weltraum geschossen, um den Sonnenschein zu messen. Die NASA beförderte es am Valentinstag 1980 an Bord eines Satelliten mit dem scherzhaften Namen Solar Max ins All. Solar Max flog fast sechshundertfünfzig Kilometer hoch in den Orbit, buchstäblich über die Erdatmosphäre hinaus. Seine Instrumente verschafften den Astronomen einen ersten wirklich klaren Blick auf die Sonne.

Max' Lichtmesser ergab, daß die Menge des Sonnenlichts, das die Erde erreicht, von Stunde zu Stunde, Tag zu Tag, Woche zu Woche, Monat zu Monat und Jahr zu Jahr schwankt. Schon von Tag zu Tag betrugen die Schwankungen bereits 0,25 Prozent. Es zeichnete sich auch ein allgemeinerer Trend ab. Zwischen 1980 und 1985 wurde die Intensität des Sonnenlichts jährlich um 0,019 Prozent im Durchschnitt schwächer. Dieser Trend wurde durch unabhängige Messungen von Raketen, Höhenballons und dem Wettersatelliten Nimbus-7 bestätigt.

Es ist bekannt, daß eine geringfügige Veränderung der Sonne eine große Veränderung auf der Erde nach sich zieht. Bei einer Steigerung der Sonnenintensität von nur zwei Prozent in den nächsten hundert Jahren würde die Erdatmosphäre durch das zusätzliche Sonnenlicht ebenso stark aufgeheizt wie durch eine Verdopplung des Kohlendioxidgehalts. Vier Prozent mehr Sonnenlich hätten denselben Aufheizeffekt wie eine Verfünffachung des Kohlendioxidgehalts. Acht Prozent mehr Sonnenlicht würden die Erde ebenso wie ein verdreißigfachter Kohlendioxidgehalt aufheizen.

Sogar die allergeringsten Veränderungen der Sonne hätten große Auswirkungen. In einigen Klimamodellen kann die Erde aufgrund gewisser instabiler Größen im Klimasystem von einer Eiszeit in einen eisfreien Zustand versetzt werden, wenn die Intensität der Sonne um nur 0,0002 Prozent zunimmt.

Einige Wissenschaftler vermuten, daß die Sonne mindestens zweimal in unserer geologischen Ära mit einer beachtlichen überdurchschnittlichen Helligkeit geschienen hat: vor ungefähr 5000 und vor 1000 Jahren.

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Die frühere Periode wird das Altithermal genannt (trockene Wärmeperiode). Das Altithermal könnte bei der Entstehung der ersten Hochkulturen etwa der Chinesen, Sumerer und von Harappa im Industal geholfen haben.

Die spätere Periode trägt den Namen Mediävales Optimum. Im 11. Jahrhundert n. Chr. lagen die globalen Temperaturen um einen oder zwei Grad Celsius höher als heute. Zeitweilig gab es in England achtunddreißig fruchtbare Weingärten, und die Weintrauben Yorks und Herfordshires galten als ebenso gut wie die aus Bordeaux oder der Champagne. Vielleicht werden wir nie erfahren, wodurch diese langen warmen Perioden verursacht wurden. Doch wenn die Sonne ihre Ursache war, und wenn jetzt die Treibhausgase den Planeten überhitzen, würde sich eine neuerliche Steigerung der Sonnenintensität im nächsten Jahrhundert katastrophal für uns auswirken. Aber die Sonnenintensität könnte in den letzten zehntausend Jahren auch ungefähr zehnmal nachgelassen haben. Die meisten dieser »kleinen Eiszeiten«, wie sie genannt werden, hielten ebenfalls mehrere Jahrzehnte an. Beim letzten Mal scheint sich die Sonne sehr plötzlich abgeschwächt zu haben. Barbara Tuchmann beschreibt die Folgen dieses Ereignisses in <Der ferne Spiegel>:

Winterliche Kälte legte sich auf den Beginn des 14. Jahrhunderts wie ein Hinweis auf kommendes Elend. Zweimal, 1303 und 1306/07, fror die Ostsee zu. Jahre mit der Jahreszeit ungemäßen Kälteeinbrüchen folgten, mit Stürmen und starken Regenfällen; der Wasserspiegel des Kaspischen Meers stieg an. Die Zeitgenossen konnten nicht wissen, daß es die Auswirkungen der »kleinen Eiszeit« waren... Sie wußten auch nicht, daß wegen der Klimaänderung Verbindungen nach Grönland allmählich abbrachen, daß die Siedlungen der Normannen dort ausgelöscht worden waren, daß der Weizenanbau in Island nicht mehr möglich war und auch in Skandinavien zurückgedrängt wurde.

Es war, als hätte jemand die Sonne dunkler gestellt und sie für Jahrhunderte in diesem Zustand belassen. Gletscher der nördlichen Hemisphäre drangen weiter in den Süden vor als in den vorangegangenen fünfzehntausend Jahren. Pieter Brueghel malte seine berühmten Schneeszenen, und Hans Brinker gewann seine Silbernen Schlittschuhe auf den zugefrorenen Kanälen Hollands.

1986 hat die Sonne den Instrumenten an Bord von Solar Max zufolge einen sechsjährigen Rückgang der Strahlungsintensität beendet und wieder begonnen, heller zu werden. Vielleicht ist das ungünstig. Wenn die Sonne mit derselben Gemächlichkeit ein Jahrhundert lang schwächer geworden wäre, hätte das ausgereicht, einen großen Teil der in den derzeitigen Modellen vorausgesagten globalen Erwärmung aufzuheben. Es hätte sich für uns so günstig wie zusätzliche Schichten niedriger Stratuswolken ausgewirkt.

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Niemand weiß, was die Sonne dazu veranlaßt, schwächer oder heller zu werden, und niemand weiß, was von beidem sie in den nächsten hundert Jahren tun wird. Anders als die meisten der übrigen Sphären befindet sich die Sonne völlig außerhalb unseres Einflußbereichs. Wir können nur das Beste hoffen. »Wenn der Energieausstoß der Sonne ständig um bedeutende Werte ab- oder zunehmen sollte«, bemerkte Charles Abbot, einer der frühen Sonnenastronomen, »würde die Zukunft unserer Zivilisation vernichtet.« In den nächsten hundert Jahren würde es einer geringeren Veränderung als je zuvor bedürfen, um die Zivilisation zu zerstören, wenn die Veränderung in die falsche Richtung geht.

 

Lithosphäre 

Noch eine weitere Sphäre ist unserem Einfluß entzogen. Geschmolzenes Gestein sickert ständig durch die Oberfläche der Erdkruste. Ein Teil dieses empor­steigenden Magmas wird wie in den vergangenen hundert Jahren auch in den nächsten hundert Jahren Abflußmöglichkeiten auf dem ganzen Planeten finden. Jedes Bulletin des <Smithsonian's Scientific Event Alert Network>* listet neue vulkanische Ereignisse auf:

* Wissenschaftliches Ereignisbeobachtungsnetz des Smithsonian Institute (Anm. d. Übers.)

...und so weiter und so weiter — die Schlagzeilen der Lithosphäre. Sogar der Namensvetter aller Vulkane, Vulcano (eine Insel wenige Kilometer nördlich von Sizilien, die sich die Römer als die Wirkstätte des Götterschmiedes Vulcanus vorstellten), könnte eines Tages ausbrechen, obwohl er zur Zeit ruht.

Durch die Vulkane hat sogar die Lithosphäre die Macht, den Planeten in den nächsten hundert Jahren wärmer oder kälter zu gestalten.

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Wir sind zwischen zwei Sphären gebettet, über die wir keine Kontrolle haben, die Sphäre des Feuers und die Sphäre des Steins, und beide Sphären können die Geschwindigkeit beeinflussen, mit der die globale Erwärmung stattfindet.

Der größte Vulkanausbruch der letzten fünfhundert Jahre (und vielleicht sogar der letzten zehntausend Jahre) fand 1815 statt, als der Vulkan Tambora auf einer indonesischen Insel ausbrach. Der Aprilhimmel war in einem Umkreis von dreihundertundzwanzig Kilometern tintenschwarz. Charles Lyell erwähnt diesen schwarzen vulkanischen Himmel in seinem berühmten Werk über die <Grundsätze der Geologie>: »Die auf Java durch die Asche am Tag erzeugte Finsternis war so absolut, daß dergleichen nicht in der schwärzesten Nacht gesehen wurde.«*

Im Juni waren die Temperaturen auf der anderen Seite der Welt um mehrere Grade unter den Normal wert gesunken. In Vermont schrieb Hiram Harwood in sein Tagebuch, der Mais sei »übel zugerichtet und kaum zu sehen« gewesen. In Connecticut schrieb Calvin Mansfield: »Starker Frost — wir müssen lernen, demütig zu sein.« In Manhattan fielen erfrorene Singvögel auf die Wall Street, und noch weiter im Süden in Virginia verlor der Farmer Thomas Jefferson bei Monticello so viel Mais, daß er seinen Agenten bitten mußte, ihm tausend Dollar zu leihen.

Der Ozeanograph Henry Stommel und seine Frau Elisabeth berichten in einem Buch über die Folgen dieses Vulkanausbruchs: In Irland verdarb der Frost die Kartoffeln. In Frankreich stritten sich Bauern um Saatkornsäcke. In der Schweiz waren Korn, Kartoffeln und Brot so rar, daß Bettler auf den Straßen Zürichs gezwungen waren, sich von Katzen zu ernähren.

Es war eine weltweite Katastrophe; auch auf der anderen Seite des Planeten litten die Menschen fast die gleichen Nöte. In den Vereinigten Staaten flohen mehr als zehntausend Menschen aus Vermont und Maine nach Süden und Westen, ähnlich wie nach der Dust Bowl in Oklahoma. Auch die Provinz Schansi im Nordosten Chinas (sie liegt auf demselben Breitengrad wie Vermont und Maine) war von Frost und Hunger betroffen. Die Bauern verließen ihre Felder und flohen nach Süden und Westen.

* Der Ausbruch des Tambora war hundertmal größer als der des Mount St. Helen 1980 und zehnmal größer als der des Krakatau 1883. Er war auch größer als der Ausbruch im Mittelmeer auf Thera (ital. Santorim) um 1470 v.Chr., der die minoische Kultur auf Kreta zerstörte und die Legende von Atlantis begründete.

Der Ausbruch auf Thera könnte in Verbindung mit dem Exodus als neunte Plage in Ägypten aufgezeichnet worden sein. Nach der Bibel lag etwa um diese Zeit »über ganz Ägypten eine Finsternis; eine Finsternis, die man fühlen konnte«. Das hört sich wie die unvergleichliche Finsternis nach dem Ausbruch des Tambora an.

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Was die Erde abkühlte, war nicht die schwarze vulkanische Asche, über die Lyell schrieb. Asche fällt viel zu rasch zu Boden, um das Wetter zu beeinflussen. Heute hält man eher Schwefelgase für die Verursacher der Wetteränderungen, denn sie sind leichter als Asche und können von der durch die Eruption erzeugten thermalen Aufwärtsdrift mit hinauf bis in die Stratosphäre genommen werden, wo sie ein bis zwei Jahre bleiben. Dort können sie glitzernde Tröpfchen schwefliger Säure bilden, die so viel Sonnenlicht in den Weltraum zu reflektieren vermögen, daß der Effekt einer zweiprozentigen Schwächung der Sonnenintensität entspricht. Der Vulkan öffnet also eine Art Sonnenschirm oder hüllt einen Säuremantel um den Planeten. Vom Erdboden aus erscheinen diese Schwefelgase in der Stratosphäre wie eine sehr dünne Schicht hoher Zirruswolken.

Wissenschaftler beim Wigley's Institut für Klimaforschung in East Anglia haben einen historischen Überblick der Vulkanausbrüche zusammengestellt. Sie bemerkten, daß den meisten aufgezeichneten größeren Ausbrüchen eine deutliche Abkühlung folgte. Ein großer Vulkanausbruch irgendwo auf der Welt kann die globale Temperatur ein Jahr lang um mehr als einen halben Grad Celsius senken.

Die Erde hat seit Jahrzehnten keinen derart großen Ausbruch mehr erlebt. Aber auch so kühlt der kleinere vulkanische Fallout, der in Form zerrissener Schleier in der Stratosphäre hängt, den Planeten um schätzungsweise zwei bis drei Grad Celsius ab. Wenn wir im dritten Jahrtausend eine Serie von Ausbrüchen der Tambora-Stärke hätten (gut verteilt; vielleicht einen oder zwei pro Jahrzehnt), könnten sie den Planeten noch weit mehr abkühlen.

Besser wäre natürlich eine Schwächung der Sonne. Der Ausbruch des Tambora kostete hunderttausend Menschen das Leben, und die schweflige Säure der Vulkanausbrüche trägt zur Zerstörung der Ozonschicht in der Stratosphäre bei und fällt schließlich in Form sauren Regens zu Boden. Ein Jahrhundert voller Vulkanausbrüche wäre wahrlich keine erfreuliche Aussicht, außer für die Klimaanlagenindustrie.

Reid Bryson, Direktor des Instituts für Umweltforschung an der Universität von Madison, meint, Vulkane könnten den Treibhauseffekt schon einmal zu unseren Gunsten abgeschwächt haben. Während der Jahre 1945 bis 1975 kühlte sich der Pianet, wie wir gesehen haben, trotz des Anstiegs der Treibhausgase ab. In jenen Jahren, sagt Bryson, betrug die Zahl der Vulkanausbrüche das Doppelte des Durchschnitts: Sie stieg von weniger als zwanzig pro Jahr auf fast

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vierzig; die Vulkane haben die Erwärmung bekämpft. Bryson hat Messungen der Sonnenkonstante überprüft, die in jenen Jahren auf dem Mauna Loa und anderen Berggipfeln vorgenommen worden waren. Er ist der Ansicht, daß sich auch die Opazität der Atmosphäre, also ihre Undurchsichtigkeit, verdoppelt hat.

Höchstwahrscheinlich werden Vulkane und die Sonne einen weit geringeren Einfluß auf das nächste Jahrhundert haben als das Kohlendioxid. »Die Leute halten nach der abgelegenen Möglichkeit Ausschau, daß wir glücklich davonkommen«, sagt ein Treibhausanalytiker. »Aber die überwiegende Mehrheit der Forschungsergebnisse spricht dafür, daß wir tief in Schwierigkeiten stecken.« Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß sich über unseren Köpfen ein Ringkampf vollzieht, und es bleibt uns nur die Hoffnung, daß die Gegner einander ebenbürtig sind. Wenn die nächsten hundert Jahre Salven von Vulkanausbrüchen bringen, könnte es sein, daß sich der Planet weniger aufheizt, als bisher angenommen. Aber wenn das 21. Jahrhundert an Vulkanausbrüchen ärmer als das 20. wird, könnte sich der Planet stärker als vor kurzem vorausgesagt aufheizen. Die Stommels ziehen in ihrem Buch den Schluß:

Im nächsten Jahrhundert könnte die Erhaltung unseres Klimas — und tatsächlich auch unserer Existenz — von dem empfindlichen Gleichgewicht zweier kaum verstandener Mechanismen abhängen, von denen der eine dazu tendiert, die globale Temperatur zu erhöhen, und der andere, sie zu senken.

Geist Albert Einstein pflegte die Implikationen seiner Theorien anhand einfacher mentaler Bilder aufzuzeigen: ein Beobachter in einem abwärtsfahrenden Aufzug etwa, ein Zwilling oder eine tickende Uhr in einer Rakete. Das waren seine berühmten »Gedankenexperimente« : weit erhellender und sicherer als die wirkliche Fahrt in einem Aufzug.

Wir überprüfen die Treibhaustheorie der Klimaveränderung in einem realen Experiment. Das Experiment umfaßt den ganzen Planeten. Es macht uns alle, unsere Kinder und deren Kinder, zu Beobachtern. Wie lange wird es wohl dauern, bis dieser Versuch so schrecklich wird, daß Bevölkerungen und Regierungen aufwachen? Wie lange, bis wir beschließen, das Experiment zu beenden?

 

In den frühen sechziger Jahren machte Keeling ein kleines Gedankenexperiment. 

Angenommen, der Treibhauseffekt hätte schon vor hundert Jahren eingesetzt; angenommen, wir hätten schon vor hundert Jahren begonnen, die Luft mit Kohlendioxid zu versetzen. 

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Keeling stellte eine Berechnung an, derzufolge die Temperaturen des Planeten genauso ansteigen und sinken, wie sie es in diesen hundert Jahren tatsächlich getan haben, aber einem übergeordneten Trend der allmählichen Erwärmung unterworfen sind. Er stellte sich die Frage, wieviel Zeit wohl verginge, bis dieser Trend für jedermann offensichtlich werde?

In Keelings Experiment halten wir schon in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts Ausschau nach dem Anstieg, und wir müssen feststellen: »Mein Gott, es sieht so aus, als sei der Treibhauseffekt bereits eingetreten, denn die Temperatur ist schon alarmierend gestiegen.«

»Aber dann«, erklärt Keeling, 

»nachdem sich die Aufregung gelegt hat, stellen wir fest, daß sich die Temperaturen in die andere Richtung bewegen. Und etwa zwanzig Jahre später, gegen 1870, hat jedermann fast vergessen, daß es überhaupt ein Problem gegeben hat. Doch in den nächsten zehn Jahren klettern die Temperaturen höher und noch höher und immer noch höher. Dann haben wir Grund genug, das Jahr 1900 mit Sorge zu erwarten. Aber selbst 1900 glauben viele Leute nicht daran. Jetzt befinden wir uns in Abwartehaltung. Denn die Temperatur fällt nicht und steigt auch nicht an. Endlich versetzt uns die große Erwärmung von 1930 einen Schlag. An diesem Punkt steigert sich unsere Besorgnis gegenüber der in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Allerdings beginnen die Temperaturen wieder zu fallen, während wir noch über den Anstieg diskutieren. Wir sind zu Tode erschrocken, und dann fallen die Temperaturen noch weiter. <O Gott, was sollen wir bloß tun?!>«

Um das Jahr 1980 gäbe es eine ansehnliche Anzahl von Leuten, die sich Sorgen machen. Die Anzahl hängt von einigen Details ab: Wenn Havanna untergeht und London im Wasser versinkt... 

»Aber ich würde sagen, etwa zu diesem Zeitpunkt treffen sich in den USA zwei Drittel der Angehörigen des Repräsentantenhauses mit zwei Dritteln des Senats zu einer Konferenz und fassen einen Gemeinschaftsbeschluß, in dem sie sich über die Existenz eines Treibhauseffekts einigen. Das müssen sie tun, damit zwei Drittel des Kongresses ihrem Beschluß zustimmen. Und sie müssen sich immer noch um die Zustimmung des Weißen Hauses bemühen. Aber sie sind nahe dran, nicht wahr?

Das Widersinnige ist nur, daß eine Verdopplung des Kohlendioxidgehalts stattfindet, bevor sie diese Übereinstimmung erzielen!« 

Er hätte sich gegenüber dem Stand vor der industriellen Revolution verdoppelt. 

»Und an diesem Punkt können sie die Erwärmung natürlich nicht mehr aufhalten. Sie schreitet munter voran, und kaum etwas kann verhindern, daß sie sich von Jahr zu Jahr steigert.«

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Dies ist ein Gedankenexperiment, keine Voraussage. 

In der Realität könnten sich die Temperaturen schneller oder auch langsamer erhöhen. Aber für Keeling erhellte das Experiment die Natur unseres Problems in den nächsten hundert Jahren. 

»Wenn Sie Zweifel in bezug auf die Klimaänderung haben«, sagte er vor einigen Jahren zu mir

»kann man argumentieren, bis man schwarz wird, bevor Sie sich überzeugen lassen. Reden Sie mit dem Direktor einer Tabakfabrik über die Gefahren des Rauchens. Wenn wirtschaftliche Interessen verlangen, daß Sie offenkundige Beweise leugnen, werden Sie es tun. 

Das ist der Grund, aus dem ich voraussagen möchte, daß zwei Drittel des Kongresses nicht bereit sein werden, etwas in bezug auf den Treibhauseffekt zu unternehmen, bis wir tatsächlich in der Mitte des nächsten Jahrhunderts eine Verdopplung haben.«

Vielleicht haben wir Menschen bessere Reflexe und mehr Vernunft, als Keelings Experiment voraussetzt. Vielleicht verschwenden wir nicht soviel Zeit, ehe wir uns in Bewegung setzen. Allerdings kann es auch sein, daß Keeling recht behält. Wird beim nächsten Absinken der globalen Temperatur auch unser Angstpegel sinken?

Niemand kann alle Rückkopplungsschleifen berechnen. (Denken Sie etwa an die Meeresströmungen. Wärmere Luft zieht wärmeres Wasser, neue Winde und neue Strömungen nach sich. Neue Strömungen könnten den Planeten abkühlen oder erwärmen. Sie könnten mehr Kohlendioxid absorbieren oder freisetzen. Sie könnten das maritime Leben begünstigen oder lähmen. Und so weiter und so weiter.) 

Einige Wissenschaftler versuchen herauszufinden, wie alles zusammenspielt. 1983 überprüfte Kellogg vom NCAR fünf der wichtigsten Rückkopplungs­schleifen einschließlich der Möglichkeit des Verschwindens der polaren Eiskappen und des Methanaufstiegs aus dem Meer. Es kann gut sein, daß sich das Kohlendioxid rascher in der Atmosphäre aufbaut und die globalen Temperaturen höher klettern als vorausgesagt.

1989 veröffentlichte Dan Lashof von der amerikanischen <Environmental Protection Agency> eine noch umfassendere Studie. Er bemühte sich, ein Dutzend Rückkopplungs­schleifen zu berücksichtigen. Auch er kam zu dem Schluß, daß Rückkopplungsschleifen die globale Veränderung eher vergrößern als verringern.

Modellen zufolge, die diese Rückkopplungsschleifen nicht berücksichtigen, wird sich die Erde im nächsten Jahrhundert um ungefähr drei Grad Celsius erwärmen. Beziehen wir die Rückkopplungs­schleifen mit ein, kann sie sich - laut Lashof - um weitere drei Grad erwärmen. Tatsächlich sind die Unsicher­heiten aber so groß, daß Lashof auch eine globale Erwärmung um acht bis zehn Grad Celsius nicht ausschließen kann.

Anfang 1986 machte Keeling seine pessimistische Voraussage in bezug auf die Geschwindigkeit, mit der die Menschen reagieren werden. Nur wenige Monate später meldete eine Meßstation in der Antarktis eine Entdeckung. Diese Entdeckung änderte die Haltung und die Erwartung der Welt fast so sehr, wie es die Meßstation auf dem Mauna Loa getan hatte.

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The Next One Hundred Years / Die Klimakatastrophe