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2.4.  Der umwelt-soziologische Ansatz von Luhmann

   2.5  Pädagogik

 

 

Die Soziologie lehrt uns, daß wir in einer "Risikogesellschaft" (Beck 1986) leben: Mit der hochentwickelten Industriegesellschaft sei ein Zerstörungs­potential entstanden, das zu Katastrophen von unabsehbaren Ausmaßen führen könne. Soziologisch ist dabei u.a. der Gedanke, daß die moderne Industriegesellschaft "normale Katastrophen" (Perrow 1984) produziere, deren Ursachen im System selbst begründet liegen. 

Die Analyse der "unvermeidbaren Risiken der Großtechnik" (so der Untertitel der Studie von Perrow) gilt als die "beste soziologische Untersuchung über Katastrophen" (Dreitzel/Stenger 1990, S.8).   DNB Perrow Katastrophen  deutsch 1987 Campus, Original 1984 Normal Accidents

Sie beginnt mit einem Rückblick auf den Reaktorunfall von Harrisburg und setzt sich im weiteren Verlauf systematisch mit den diversen Gefahren der Risikogesellschaft auseinander, so z.B. mit Schiffsunfällen, Luft- und Raumverkehr, Atomwaffen oder der Genforschung. Die betrachteten Systeme werden qualitativ unter den Kriterien der Komplexität und Kopplung analysiert. Sind hohe Komplexität und starre Kopplung immanente Charakteristika eines Systems, dann sei das Versagen nach Perrow auch bei ausgefeilter Sicherheitstechnik normal. Weise das System außerdem noch ein hohes Zerstörungspotential auf, dann sei auch die Katastrophe normal.

Es stellt sich heraus, daß Gentechnologie, Atomkraft und Atomwaffen mit ihrem Katastrophenrisiko in jeder Hinsicht an der Spitze liegen. Anhand von Fallstudien zeigt Perrow auf, daß im Falle einer Katastrophe das "falsche" Verhalten von Individuen, wenn es auch ex post als nachlässig oder inkompetent erscheint, bei näherer Betrachtung in der Regel auf die prinzipiellen Grenzen kognitiver Fähigkeiten zurückgeführt werden könne. Das Buch schließt mit einer Kritik der sich auf den Begriff der Rationalität berufenden Risikoforschung, sowie der Empfehlung, auf Atombomben und Atomkraftwerke schnellstmöglich zu verzichten und die Gentechnologie striktester staatlicher Kontrolle zu unterwerfen. Anderenfalls werde es zwangsläufig zu weiteren Systemunfällen katastrophaler Art kommen. Der "Super-GAU" von Tschernobyl im Jahre 1986 gab der düsteren Prognose nur zwei Jahre nach Erscheinen des Buches recht. Aus Sicht der sog. Kastrophensoziologie vertritt Vester (1988) die Auffassung, daß die Wissenschaft von der Katastrophe zu spät komme, um noch eine wirksame Politik zu begründen.

Im Gegensatz zu Katastrophen, die als "Ereignis" wahrgenommen und datiert werden können, haben die ebenso katastrophalen Auswirkungen der schleichenden Umweltzerstörung eher prozessuralen Charakter. Sind die Ursachen der ökologischen Krise bzw. ökologischer Katastrophen auch im System zu suchen? Wenn ja, ist die moderne Gesellschaft dann überhaupt noch prinzipiell in der Lage, sich auf ökologische Gefährdungen einzustellen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Niklas Luhmann, der seinen Überlegungen den Titel "Ökologische Kommunikation" (1986) verleiht.

Bereits im Vorwort formuliert Luhmann seine Hauptthese, "daß die moderne Gesellschaft infolge ihrer strukturellen Differenzierung sowohl zu wenig als auch zu viel Resonanz erzeuge" (S.7). Gemessen an historischen Dimensionen des Nachdenkens über Menschen und Gesellschaft sei das Thema der ökologischen Krise ganz neu. Seit kurzer Zeit erst gebe es eine öffentliche Diskussion über ökologische Bedingungen gesellschaftlichen Lebens und über Zusammenhänge zwischen dem Gesellschaftssystem und seiner Umwelt. Für die Soziologie, die bisher rein gesellschaftliche Perspektiven gepflegt habe, kam diese Diskussion überraschend, so daß das ökologische Thema auch heute noch durch eine "soziologische Abstinenz" (S.11) gekennzeichnet sei.

Unter Rückgriff auf die Biologie erinnert Luhmann daran, daß eine ökologische Selbstgefährdung durchaus im Rahmen der Möglichkeiten von Evolution liegen. So müsse man damit rechnen, daß ein System so auf seine Umwelt einwirke, daß es später in dieser Umwelt nicht mehr existieren könne. Langfristig gesehen sorge die Evolution dafür, daß es zu ökologischen Gleichgewichten komme, was aber nichts anderes bedeute, "als daß Systeme eliminiert werden, die einem Trend der ökologischen Selbstgefährdung folgen" (S.38). Evolutionstheoretisch gesehen beruhe die sozio-kulturelle Evolution darauf, daß die Gesellschaft nicht auf ihre Umwelt reagieren müsse und daß sie uns gar nicht dorthin gebracht hätte, wo wir uns heute befinden. Luhmann illustriert diesen Zusammenhang mit folgendem Hinweis: "Die Landwirtschaft beginnt mit der Vernichtung von allem, was vorher wuchs" (S.42).

Der systemtheoretische Ansatz von Luhmann setzt eine Reihe von Fachbegriffen voraus. Ein Schlüsselwort im Rahmen der ökologischen Kommunikation ist der Begriff der "Resonanz". Sie beschreibt das Verhältnis von System und Umwelt und weist darauf hin, daß Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren können, nicht jedoch als geschlossene Einheit. Die Einheit des Systems sei nichts anderes als die Geschlossenheit seiner autopoietischen (sich selbst regulierenden) Operationsweise. Die Operationen selbst seien stets einzelne Operationen im System, jedoch keine Totaloperationen. Komplexe Systeme wie Gesellschaften differenzieren sich in verschiedene Teilsysteme. Will man erkunden, wie eine Gesellschaft auf ökologische Gefährdungen reagieren könne, muß man nach Luhmann die Möglichkeiten ihrer Teilsysteme überprüfen. Allerdings lasse sich schon an dieser Stelle eine "Formel für die Unlösbarkeit ökologischer Probleme sehen" (S.43), bedenkt man, daß die Gesellschaft danach nie als Ganzes handeln könne.

 wikipedia  Niklas_Luhmann 1927-1998

Was bezeichnet der Begriff der ökologischen Kommunikation? Nach Luhmann ist er Ausdruck eines ausschließlich gesellschaftsinternen Phänomens. In der ökologischen Kommunikation 

"geht es nicht um die vermeintlich objektiven Tatsachen: daß die Ölvorräte abnehmen, die Flüsse zu warm werden, die Wälder absterben, der Himmel sich verdunkelt und die Meere verschmutzen. Das alles mag der Fall sein oder nicht der Fall sein, erzeugt als nur physikalischer, chemischer oder biologischer Tatbestand jedoch keine gesellschaftliche Resonanz, solange nicht darüber kommuniziert wird. Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen: solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen" (S.63). 

Die Gesellschaft als geschlossenes System könne nichts anderes als kommunizieren und diese Kommunikation durch Kommunikation selbst regulieren. Die Umwelt des Gesellschaftssystems habe keine Möglichkeit, mit der Gesellschaft zu kommunizieren. Als Zwischenergebnis hält Luhmann folgenden Satz fest: "Die Gesellschaft kann sich ökologisch nur selbst gefährden" (S.68). Damit werde es zur Schlüsselfrage, wie die Verarbeitungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer diversen Subsysteme im Hinblick auf Umweltinformationen strukturiert sei.

Unter den verschiedenen Funktionssystemen der Gesellschaft analysiert Luhmann als erstes die Wirtschaft (S.101). Unter Wirtschaft wird dabei die Gesamtheit derjenigen Operationen verstanden, die über Geldzahlungen abgewickelt werden. Die Definition der Wirtschaft ist auf die moderne, durch den Geldmechanismus ausdifferenzierte Wirtschaft abgestellt. Aufgrund ihrer monetären Zentralisierung sei die Wirtschaft heute ein streng geschlossenes, zirkuläres, selbstreferentiell konstituiertes System, da sie Zahlungen vollziehe, die Zahlungsfähigkeit voraussetzen und Zahlungs­fähigkeit schaffen. 

Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems sei vor allem durch den Zeitfaktor bestimmt: Das System operiere so schnell, daß es nur noch Ereignisse beobachten könne und so kaum mehr durch Strukturen zu integrieren sei. Wie unter diesen Umständen eine steuernde Intervention in die organisierte Komplexität des Marktes überhaupt möglich wäre, bedürfte einer eingehenden Analyse. Allein die Größenordnungen dieses Marktes - Schätzungen gehen von täglichen Fluktuationen in der Größenordnung von mehreren hundert Milliarden Dollar aus - geben nach Luhmannn zu bedenken. Man könne nicht voraussetzen, daß die Systemzeit der Wirtschaft mit der Zeitlichkeit der Prozesse in der ökologischen oder auch in der gesellschaftlichen Umwelt des Systems abgestimmt sei. 

Auch wenn z.B. fossile Brennstoffe rasch abnehmen, mag es jetzt noch nicht rentabel sein, auf andere Energieträger umzustellen: "Die allmähliche Erschöpfung von Ressourcen oder auch der bevorstehende Termin einer politischen Wahl kann für das ökonomische Kalkül bedeutsam sein - aber ob oder ob nicht entscheidet sich in der Wirtschaft nach deren eigenen Bedingungen" (S.113). 

Bei so schwierigen Bedingungen der Erhaltung eines Zeit in Anspruch nehmenden Doppelkreislaufs der Weitergabe von Zahlungsfähigkeit und von Zahlungsunfähigkeit könne man annehmen, daß das System der Wirtschaft mit sich selbst schon genug zu tun habe. Resonanz für Umweltfragen sei daher nur möglich, wenn sich ökologische Gefährdungen in diesen Doppelkreislauf einbringen ließen. Nur wenn es gelänge, Umwelt über Mengen- und Nutzenkalküle in die Wirtschaft einzubringen, könne es ein wirtschaftliches Motiv geben, die Umwelt pfleglich zu behandeln. Der Schlüssel des ökologischen Problems liege im Teilsystem Wirtschaft in der Sprache der Preise. Auf Störungen, die sich nicht in dieser Sprache auszudrücken ließen, könne die Wirtschaft in ihrer heutigen Form nicht reagieren.

Nach der Wirtschaft untersucht Luhmann das Rechtssystem (S.124ff). Hier werde der Sprache der Preise die Sprache der Normen gegenübergestellt - nach der Devise (S.124): "Was die Wirtschaft nicht freiwillig bringt, muß die Politik mit Hilfe ihres Rechtsinstrumentariums durchsetzen." Diese Alternative sei jedoch viel zu einfach angelegt und führe zu dem Ergebnis, daß die Politik überfordert werde. Ebenso wie die Wirtschaft seien auch Politik und Recht nur Teilsysteme der Gesellschaft und keineswegs die Gesellschaft selbst. 

 DNB Luhmann 

Obwohl das Recht in enger Beziehung zur Politik stehe und Gesetzgebungen politische Vorverständigungen erfordern, handele es sich ebenfalls um ein selbstreferentiell geschlossenes System, das Normen nur aufgrund von Normen erzeugen könne und mit seinem Gerichtsapparat darüber wache, daß diese Bedingung seiner Autopoiesis eingehalten werde. Das Rechtssystem gewinne seine operative Geschlossenheit dadurch, daß es durch die Differenz von Recht und Unrecht kodiert sei und kein anderes System unter diesem Code arbeite. 

Die Umwelt des Gesellschaftssystems komme allenfalls als Anlaß für Konflikte in Betracht. Wie jedes System sei auch das Rechtssystem nur nach Maßgabe eigener Strukturen resonanzfähig. Ein soziologisch wichtiger Indikator dafür sei, daß die Willkürkomponente bei umweltbezogenen Rechtsentscheidungen deutlich zunehme, z.B. für die Notwendigkeit, Grenzwerte zu definieren, bzw. für die Bestimmung von Risikotoleranzen. Der Jurist stelle sich gar nicht die Frage, wie Menschen zu Risikoeinschätzungen kommen. Die empirische Risikoforschung sei ihm ebenso irrelevant wie rationale Entscheidungsmodelle. Der Jurist müsse nach selbstgefundenen Maximen selbst entscheiden, die auch keineswegs naturgegeben sind. Die Schwellenwerte, die festzulegen sind, finden in der Natur keine sichere Verankerung. Dazu seien ökologische Probleme viel zu komplex. Die Risikoakzeptanzen sind, wie die Praxis zeige, subjektiv außerordentlich verschieden. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß rechtsdogmatische Prozesse Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte brauchen, um über Fallerfahrungen das Recht entsprechend umzugestalten. Einstweilen könne man nur beobachten, daß das Rechtssystem auf das Desiderat eines "Umweltrechts" (S.147) mit einer erheblichen Vermehrung und Komplizierung des Vorschriftenapparats reagiere.

Beim Code der Wissenschaft, mit der sich Luhmann als nächstes auseinandersetzt (S.150ff), handele es sich um die Unterscheidung von wahr und unwahr. An die Stelle der ursprünglichen Hierarchie als Form der Einheit trete in der modernen Wissenschaft eine Differenzierung des Systems in Disziplinen und Subdisziplinen. Damit werde jede Möglichkeit aufgegeben, die Position von Wissen mit Bezug auf die Einheit des Systems zu bestimmen. Luhmann übersetzt die humanistische Wissenschaftskritik, nach der die historisch-europäische Spezialisierung der Wissenschaft auf Sinnverlust hinauslaufe, in die Sprache seiner Systemtheorie wertungsneutral mit der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems für wissenschaftliche Forschung. 

Der Code wissenschaftlicher Wahrheit/Unwahrheit sei spezialisiert auf Erwerb neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Entsprechend diene wissenschaftliche Analyse nicht der Lösung von Problemen, sondern ihrer Multiplikation, sie gehe von gelösten Problemen oder von Problemen mit Lösungsaussichten aus und frage weiter. Nachdem das System einige Jahrhunderte unter diesen Bedingungen gearbeitet habe, offenbare sich, was dabei herauskommt: Mit diesem ungeheuren Rekombinationspotential überfordere die Wissenschaft sich selber (S.157). Die Wissenschaft erscheine als ein System, das beobachtete Systeme beobachtet. Sie findet sich so als ein komplexes System, das im Hinblick auf selbst provozierte Störungen durch die Umwelt die eigenen Berechnungen neu berechne. Wenn jedoch die Resonanz auf ökologische Gefährdungen das Thema wissenschaftlicher Forschung werden solle, müsse die Wissenschaft die gesamte Gesellschaft, also auch sich selbst als Teilsystem der Gesellschaft, beschreiben.

Die Analyse der drei Funktionssysteme Wirtschaft, Recht und Wissenschaft ergibt, daß in allen Fällen eine durch einen Code geschlossene autopoietische Selbstreproduktion die Bedingung der Resonanzfähigkeit und ihrer Grenzen sei. 

Nichts anderes gilt nach Luhmann für das System der Politik (S.167ff). Nach alter Tradition werde für die Politik eine Ausnahmestellung beansprucht. In der corpus-Metaphorik wird sie mit Kopf oder Seele identifiziert. In anderen Bildern nehme sie die Position der Spitze oder des Zentrums des Systems ein. Auch heute noch werde die Lösung aller anderswo nicht lösbaren Probleme zentral von der Politik erwartet. Als gerufene Kraft, die Verhältnisse in Ordnung zu bringen, reproduziere die Politik Hoffnungen und Enttäuschungen und lebe davon, daß Themen rasch ausgewechselt werden können: "Das Einbringen ökologischer Probleme in die Politik mag diesen Schaukeleffekt noch verstärken, denn an ihnen wird nun vollends deutlich, daß die Politik viel können müßte und wenig können kann" (S.169). Auch das politische System sei nur im Rahmen der Eigenfrequenzen resonanzfähig, nicht als Folge naturgesetzlicher Beschränkungen, sondern als Konsequenz der autopoietischen Autonomie und funktionsbezogenen Ausdifferenzierung. 

Eine weitere Einschränkung der Umweltpolitik ergibt sich aus der territorialstaatlichen Begrenzung der Codierung politischer Macht und aus dem Fehlen wirksamer völkerrechtlicher Regulierungen der Umsetzung ökologischer Probleme in Staatspolitik. Dies sei umso problematischer, da sich die Auswirkungen von Umweltproblemen in vielen Hinsichten nicht regional eingrenzen ließen. Nicht nur in räumlicher, auch in zeitlicher Perspektive folge die politische Resonanz einer Eigenlogik. Die Zeitstruktur der Politik sei wenig mit den Erfordernissen anderer Systeme abgestimmt, geschweige denn mit den Veränderungen der ökologischen Umwelt. Angesichts des Waldsterbens mag man es mit neuen Abgasnormen für Automobile politisch eilig haben, aber im politischen Alltagsgeschäft sei dies nur ein Argument unter vielen anderen. Luhmann wirft daher die Frage auf, ob die gegenwärtige Parteiendemokratie überhaupt in der Lage sei, Umweltthemen kontrovers in die Politik einzubringen.

Die Rolle der Religion (S.183ff) als ein weiteres Funktionssystem der Gesellschaft bewertet Luhmann besonders kritisch, wie schon die einleitenden Bemerkungen zeigen: "Auch Theologen werden zu Diskussionen eingeladen, die sich mit Umweltproblemen befassen. Sie stehen nicht unter Motiv- oder Interessenverdacht, bieten argumentative Kompetenz und sind unbestreitbar guten Willens. Ihre Beiträge zur ökologischen Diskussion bleiben gleichwohl mehr als dürftig. Weithin wiederholen sie nur, was ohnehin gedacht und gemeint wird ohne spezifisch religiösen Bezug" (S.183). Wenn ein religiöser Bezug dagegen hergestellt werde, könne es angesichts der gegenwärtigen Zukunftsunsicherheit kaum befriedigen, die Herrlichkeit der Weltordnung im Unsichtbaren zu vermuten. Auch die Frage der Theodizee - wie Gott all dies zulassen konnte - helfe nicht weiter. Das Problem liege in der Unableitbarkeit der Programmatik aus dem Code Immanenz versus Transzendenz. Auf dieser Grundlage könne die Theologie zur gesellschaftslichen Resonanz auf Umweltgefährdungen wenig Hilfreiches beisteuern: "Sie wird, wie jedermann, sich auch gegen Waldsterben, Luftverschmutzung, atomare Gefahren oder Übermedikalisierung der menschlichen Körper äußern können, nachdem die Probleme eine gewisse Evidenz erreicht haben; aber sie wird kaum mit einer genuin eigenständigen Form der Problematisierung eingreifen können. Sie bleibt auf einen gewissen Vorlauf des gesellschaftlichen Problembewußtseins angewiesen. (...) Sie hat, hart gesagt, keine Religion zu bieten" (S.191).

Die Betrachtung des letzten Funktionssystems in der Analyse von Luhmann, die Erziehung (S.193ff), wird mit folgender Frage eingeleitet: "Große Hoffnungen könnte man auf das Erziehungssystem setzen. Man sieht, daß unter Jugendlichen das Interesse an ökologischen Fragen einen Vorrang einnimmt. Könnte nicht das Erziehungswesen, besonders in Schulen und Universitäten, dieses Interesse aufgreifen und in Richtung auf eine allmähliche gesellschaftliche Änderung des Bewußtseins und der Einstellung zur Umwelt ausbauen?" (S.193). 

Im Gegensatz zum pädagogischen Optimismus des 18. Jahrhunderts weist Luhmann darauf hin, daß auch das Erziehungssystem nur ein Funktions­system unter anderen sei. Auch dieses System sei wie jedes andere nur aufgrund von scharfen Restriktionen resonanzfähig. Die eigenen Strukturprobleme ließen der Pädagogik wenig Spielraum für eine Umprogrammierung in Richtung auf Erhöhung ökologischer Sensibilität. Das Erziehungssystem wirke unmittelbar auf eine besondere Umwelt des Gesellschaftssystems, nämlich auf die körperlichen und mentalen Befindlichkeiten von Menschen. Damit davon eine Wirkung im Gesellschaftssystem ausgehe, müsse die Umwelt wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken bzw. kommunikativ angeschlossen werden. Alles in allem beurteilt Luhmann die Aussichten ökologischer Resonanz seitens der Pädagogik vergleichsweise optimistisch, wie das abschließende Zitat zeigt: "Das Erziehungssystem bietet (...) für eine Ausbreitung intensivierter ökologischer Kommunikation die vielleicht größten Chancen - unter der Voraussetzung, daß sich zwei Schwellen der Resonanz überwinden lassen; die des Erziehungssystems selbst und die aller anderen Funktionssysteme der Gesellschaft, in die über Erziehung neue Einstellungen, Werthaltungen und Problemsensibilitäten eingeführt werden sollen" (S.200).

Trotz der gegenwärtigen Bemühungen aller sechs vorgestellten Funktionssysteme, ökologisch zu kommunizieren, sei nach Luhmann keine Garantie dafür gegeben, daß die Gesellschaft als Gesamtsystem ökologischen Gefährdungen vorbeugen oder auch nur begegnen könne. Reagieren könne die Gesellschaft überhaupt nur, wenn ökologische Problemlagen den "Doppelfilter der Codierung und Programmierung" (S.220) durchlaufen. Die Folgerung, daß die Gesellschaft angesichts ökologischer Gefährdungen zu wenig Resonanz aufbringe, decke sich mit dem, was die öffentliche Meinung vermute. Dies sei jedoch nur die eine Hälfte des Problems. Die andere Hälfte werde meist übersehen: "Es kann nämlich gleichzeitig auch zu viel Resonanz geben, und das System kann, ohne von außen zerstört zu werden, an internen Überforderungen zerspringen" (S.220). So müsse zwischen externen und internen Systemgrenzen unterschieden werden. Durch ihre Außengrenzen schirme die Gesellschaft ihre eigene Autopoiesis gegen die hohe Komplexität nichtkommunikativer Sachverhalte ab, so daß die Gesellschaft nicht mit, sondern nur über ihre Umwelt kommunizieren könne. An den gesellschaftsinternen Systemgrenzen sei es dagegen wahrscheinlich, daß sich Turbulenzen eines Systems auf andere übertragen. Da in all diesen Verhältnissen keine übergeordnete Vernunft walte, sei innergesellschaftlich ein viel höheres Maß an Resonanz zu erwarten als im Verhältnis zur äußeren Umwelt.

Nicht zu kontrollieren von den Funktionssystemen sei die Angst (S.239). Angst widerstehe jeder Kritik der reinen Vernunft: "Sie ist das moderne Apriori - nicht empirisch, sondern transzendental. Sie ist das Prinzip, das nicht versagt, wenn alle Prinzipien versagen" (S.240). So bleibe die Angst ein Störfaktor im sozialen System. Die Angst könne den Anspruch erheben, allgemein zu sein, Luhmann spricht in diesem Zusammenhang vom "volente generale" (S.242). Gerade die öffentliche Politik könne angststeigernd wirken, wie etwa z.B. die immer detaillierter werdenden Beipackzettel der Arzneien oder die intensive Diskussion im Bereich der Lebensmittelchemie, die schließlich zu dem Eindruck führen müsse, daß nichts ungefährlich und alles verseucht sei. 

Weiterhin wirke die Metakommunikation über die Angst selbstinduzierend. Wenn Angst kommuniziert werde, gewinne sie eine moralische Existenz: "Sie macht es zur Pflicht, sich Sorgen zu machen, und zum Recht, Anteilnahme an Befürchtungen zu erwarten und Maßnahmen zur Abwendung der Gefahren zu fordern" (S.245). Die ökologisch Besorgten würden daher zu Warntätern und auf diese Weise zur Aufladung der ökologischen Kommunikation mit Moral beitragen.

Am Ende des Buches (unter der Überschrift "Zur Rationalität ökologischer Kommunikation", S. 248) desillusioniert Luhmann mögliche Erwartungen an Patentlösungen seitens der Soziologie. Wer gehofft habe, daß in den Überlegungen zum Thema der ökologischen Kommunikation geklärt werden würde, wie diese Kommunikation zur Lösung der dringenden Umweltprobleme unserer Gesellschaft beitragen könnte, werde sich enttäuscht sehen. Luhmann ging es vielmehr darum, aufzuzeigen, wie die Gesellschaft auf Umweltprobleme reagiere, und nicht, wie sie reagieren sollte oder müßte. 

Rezepte dieser Art lägen in der Forderung zutage, weniger Ressourcen zu verbrauchen, weniger Abgas in die Luft zu blasen und weniger Kinder in die Welt zu setzen. Die Gesellschaft könne aber nur als differenzierte Einheit den Umweltprobleme begegnen, doch eine organisatorische Koordination lasse sich nicht erreichen, da nicht einmal ein einziges Funktionssystem als Einheit organisiert und entscheidungsfähig sei, geschweige denn die gesamte Gesellschaft. Damit entfielen teleologische Handlungsrationalitäten, die es dem System ermöglichen, sich selbst als Streben nach Wahrheit, Recht, Macht, Reichtum, Bildung oder gottgefälliger Lebensführung zu bezeichnen und sich so für rational zu halten. Für die soziologische Beobachtung dieser Beobachtung sei es eine attraktive Theorie, sich vorzustellen, daß letztlich das ganze Unbehagen des Themas ein Protest gegen die funktionale Differenzierung und ihrer Effekte sei. Die Soziologie halte der Gesellschaft einen Spiegel vor - in der Annahme, daß sie nicht durch ihn hindurchblicken könne (S.214): "So betreibt auch die Soziologie 'Aufklärung' und erklärt deren Erfolgslosigkeit gleich mit."

 

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2.5   Der umwelt-pädagogische Ansatz von de Haan

 

 

Unter dem Titel "Ökopädagogik - Aufstehen gegen den Untergang der Natur" erschien 1984 ein Sammelband, der die ökologische Krise aus pädagogischer Sicht thematisiert. Nicht nur der Titel, der das Präfix "Öko-" mit einer wissenschaftlichen Disziplin verknüpft, sondern auch der Zeitpunkt der Publikation, können als originell bezeichnet werden, bedenkt man, daß Anfang der 80er Jahre viele Menschen eher durch die atomare Hochrüstung beunruhigt waren, als durch die schleichende Umweltzerstörung.

In Verknüpfung der beiden Bedrohungen schreiben die beiden Herausgeber im Vorwort (Beer & de Haan 1984, S.7): "Schneller, als Atomraketen hergestellt werden können, steigt z.B. die Summe der toten und absterbenden Wälder, verliert die Welt wieder eine Pflanzen- oder Tierart. Das Industriesystem leistet beides: den Aufbau eines gigantischen Tötungspotentials wie eine gigantische faktische Zerstörung dieses Planeten, so daß wir uns in dunklen Augenblicken fragen, ob nicht beide Seiten sich längst in einer Konkurrenz befinden und nur noch nicht entschieden ist, mit welcher Methode der Untergang schneller und gründlicher sich erledigen läßt."

Unter der Voraussetzung der Annahme, daß technische Lösungen und staatliche Verordnungen allein die Katastrophe nicht verhindern, sondern es eines grundsätzlichen Umdenkens bedarf, sieht sich die Pädagogik gefordert: 

"Wo aber von individuellem Bewußtein, von Verhaltensänderung die Rede ist, müssen selbstverständlich Lernprozesse stattfinden. Bewußtseinsveränderungen fallen schließlich nicht vom Himmel - wie der saure Regen, sondern werden über Lernprozesse im weitesten Sinne initiiert. Und wo Lernprozesse nötig sind, wird von den Erziehenden, Lehrenden, der Pädagogik erwartet, daß sie sich mit den Problemen auseinandersetzen" (Beer/de Haan 1984, S.8). 

Einen Einblick, was von seiten der Erziehungswissenschaft in diesem Zusammenhang an Vorstellungen entwickelt wird, gibt de Haan (1984, S.77ff) in seinem Beitrag mit dem Titel "Die Schwierigkeiten der Pädagogik". In Analogie zu unterschiedlichen Herangehensweisen an die Problematik allgemein im Sinne einer ökonomischen Orientierung einerseits und einer ökologischen Orientierung andererseits, werde entsprechend in der Pädagogik eine Unterscheidung zwischen "Umwelterziehung" und "Ökopädagogik" vorgenommen. Im Gegensatz zum sozial-technischen Ansatz der Umwelterziehung, werde mit dem Begriff der Ökopadagogik bzw. des "ökologischen Lernens" eine Lebens- und Lernweise propagiert, die der sozial-technischen Reaktion auf die Überlebenskrise zu entkommen sucht. Das sich in diesem Konzept ausdrückende Verhältnis zur Natur stehe allerdings nach de Haan (S.78) in der Gefahr, einer vermeintlichen "Natürlichkeit" aufzusitzen.

Die bereits in den 70er Jahren sich entwickelnde Umwelterziehung, bei der es sich keineswegs um ein einheitliches Konzept handele, sieht ihre Aufgabe allgemein darin, ein Problembewußtsein der ökologischen Krise zu wecken, Kenntnisse über ihre Ursachen und Gegenmaßnahmen zu vermitteln, moralische Handlungsbereitschaft gegen die drohende Katastrophe zu erzeugen, sowie Handlungswillen und Handlungsfähigkeit bei der Bevölkerung zu fördern. 

Von der Umwelterziehung werden auch politische Eingriffe und wirtschaftliche Veränderungen gefordert, um nicht alle Ressourcen in kurzer Zeit zu verschleißen. Doch scheint der postulierte Einklang mit der Natur vor allem nötig zu sein, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Insofern sei nach de Haan die Achtung vor und die Harmonie mit der Natur nur geheuchelt (S.79): "Kein Lebewesen, keine Landschaft oder Wildnis ist damit vor der Ausrottung oder Zerstörung geschützt, solange sie nicht den Menschen für ihr Überleben von Nutzen ist". Auf diese Weise würden von der Umwelterziehung einerseits die herrschenden wissenschaftlich-technischen Formen der Naturausbeutung kritisiert, andererseits werde aber an den klassischen Formen der Naturbe- und verarbeitung festgehalten. 

Außerdem werde auf der Basis von Experimenten, klassifizierenden und quantitativen Methoden die Natur in Stücke zerlegt und neu zusammengesetzt, bis man herausgefunden habe, welche Belastung ihr zuzumuten sei, solange der Mensch nicht untergehe: "Die aggressive Kampfkonstellation gegenüber der Natur wird nicht aufgegeben" (S.80). Es sei abzusehen, daß die Menschheit durch diesen Versuch, den Folgen der Naturzerstörung noch einmal mit den Mitteln der Zerstörung zu begegnen, d.h. "den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, (...) nur um so tiefer in den Naturzwang hinein(gerät)" (Horkheimer/Adorno 1971, S.15).

Im Gegensatz dazu versuche die Ökopädagogik in einer stärkeren Orientierung an den verschiedensten Bewegungen, Initiativen und Lebens­gemeinschaften, einem anderen Verhältnis zur Natur tatsächlich näherzukommen. Naturgemäße Wissenschaft und Technik sollen ein natürliches Leben erlauben, besonders für die heranwachsenden Generationen, denn in diesen neuen Gemeinschaften solle die gute Natur der Kinder erst richtig zur Entfaltung kommen. "Nur durch die Entwicklung vielfältiger, kleiner kulturell unterschiedlicher Integrationszentren und Netzwerke", nur durch "die Entwicklung lebensfähiger, subsistenzorientierter, überschaubarer und selbstgestalteter kleiner Lebensräume" (Dauber 1982, S.128f.) scheine die Welt nicht nur zu retten, sondern auch positiv gestaltbar zu sein. 

Die recht einseitige Ausrichtung der meisten Ökopädagogen habe nach de Haan u.a. zur Folge, daß innerhalb der Ökopädagogik die Frage entfalle, ob nicht die Erziehung auf eine neue Gesellschaft hin zu einer Instrumentalisierung der nachwachsenden Generationen führen müsse, denn wenn das Ziel durch die Erziehenden schon vorgegeben sei, könne es sich nur noch um "Akte der Manipulation" (S.83) handeln. Mit der Rede von der Natürlichkeit des Subjekts schlage ein offener Rousseauismus durch, mit dem auch Vorstellungen der Reformpädagogik unreflektiert hervorgeholt würden. Die Auseinandersetzung mit der herrschenden Gesellschaft in Erziehungsprozessen werde zugunsten einer Erziehung außerhalb der Gesellschaft aufgegeben.

Nach dieser eingehenden Kritik am Konzept der Umwelterziehung bezüglich des in ihr fortgesetzten Gewaltverhältnisses gegenüber der Natur und der Kritik an der Ökopädagogik, die das, was in ihr als natürlich bezeichnet werde, nicht als normative Setzungen begreife, versucht de Haan (1984, S.87ff.), einige Perspektiven zu entwickeln, um die Mängel in den Konzeptionen zu überwinden. Dabei plädiert er u.a. für eine grundlegende Wissenschafts- und Technikkritik, die auch die Geschichte der Natur miteinbezieht. Erst über die Reflexion auf andere Interpretationen der Natur sei es möglich, auch eine andere Wissenschaft von der Natur zu denken. De Haan erinnert dabei an Blochs Vorstellungen von einer sog. Allianztechnik (1967) - eine auch in der Ökopädagogik vielbeschworene Utopie (Daxner 1981). Dabei muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß der Rekurs auf Bloch in diesem Zusammenhang nicht ganz unproblematisch ist, wie wir später noch sehen werden (vgl. Kap. 6.3).

Nach de Haan sei das Projekt der herrschenden Gesellschaften in der Neuzeit, über Naturbeherrschung die Befreiung des Subjekts und der Gattung aus allen Zwängen zu leisten, gescheitert. Abgesehen davon, daß es fraglich sei, gesellschaftliche Ansprüche an die nachwachsenden Generationen zu stellen, habe die gegenwärtige Gesellschaft kommende Generationen "mit gigantischen Erblasten befrachtet - erinnert sei nur an den noch Jahrtausende gefährlich bleibenden Atommüll. Das heißt, die kommenden Generationen werden sich notwendig abzuarbeiten haben an den Folgen einer Naturzerstörung, für die sie gar nicht verantwortlich gemacht werden können. Diese Bürde noch zu ergänzen um den Anspruch, das katastrophale Projekt fortzusetzen, ist geradezu absurd" (S.90). 

Dennoch sei die Hoffnung auf eine bessere Zukunft unabdingbar, auch wenn diese Hoffnung angesichts des herrschenden faktischen Untergangs­prozesses durchaus bezweifelt werden könne. Eine zentrale Aufgabe der Ökopädagogen sei es, diejenigen Zukunftsentwürfe zu kritisieren, in denen latent das fortgesetzt werde, was zum heutigen Desaster geführt habe. De Haan schließt seinen Aufsatz mit einigen Leitsätzen einer entsprechend verstandenen Ökopädagogik (S.91): "Ökopädagogik heißt dann, den Lernenden ihre eigenen Zukunftshoffnungen zur Prüfung aufzugeben. Ökopädagogik heißt dann auch, diese Entwürfe der Lernenden dort zu kritisieren, wo in ihnen die Naturbeherrschung nur fortgesetzt wird. Ökopädagogik schließt damit ein, den Lernenden die Möglichkeit einer Wissenschafts- und Technikkritik ebenso zu bieten wie eine Aufklärung über die Geschichtlichkeit von Natur und Gesellschaft, Aufklärung über die Aufklärung zu betreiben. Ökopädagogik heißt letztlich, die Lernenden zu unterstützen bei der Suche nach dem Neuen, das dem Untergang entkommt."

Gut zehn Jahre, nachdem der Begriff der "Ökopädagogik" erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, zieht de Haan eine Bilanz der pädagogischen "Erfolge" und entwickelt zugleich neue "Perspektiven der Umwelterziehung/Umweltbildung" (1995). 

Zunächst plädiert er angesichts eines uneinheitlichen Gebrauchs der Termini Umwelterziehung, ökologisches Lernen und Ökopädagogik für den zukünftigen Gebrauch der noch unverbrauchten Bezeichnung "Umweltbildung", die in eine instrumentell/zweckrationale und eine reflexive Ausrichtung unterteilt werden könne. Bei der reflexiven Umweltbildung, die über eine bloße Verhaltensänderung bei Individuen hinausgehe, differenziert de Haan (S.20) weiterhin zwischen einer verständigungs- und einert kulturorientierten Umweltbildung. 

Die Betrachtung des aktuellen Standes der Umweltbildung in Deutschland, wie sie sich in empirischen Studien, Materialien und Konzept­entwicklungen, in den Currikula und den Lehrplänen der einzelnen Erziehungsbereiche widerspiegele, fällt nach de Haan "ernüchternd" aus (S.21ff.). Nach wie vor beschäftigen sich die meisten Medieneinheiten mit Naturwissenschaft und Technik, die soziale Seite komme dagegen kaum in den Blick. Statistisch gesehen werden im Durchschnitt pro Klasse und Schuljahr 1,3 Umweltthemen behandelt, was ungefähr 8 Schulstunden Umweltbildung (ca. 1% des gesamten Unterrichts pro Jahr) entspreche. Ähnlich marginal falle der Umweltanteil in der Erwachsenenbildung mit z.B. ca. 2% des gesamten Kursangebotes an Volkshochschulen aus, wobei der Markt an die Grenze des Nachgefragten angelangt zu sein scheint. Der Anteil der Lehrveranstaltungen zu Umweltthemen an Universitäten überspringe nicht einmal die 1%-Hürde. Insgesamt gesehen sei damit eines der zentralen Themen im Bildungsbereich nur sehr randständig vertreten.

Weiterhin dominiere in allen Bildungsbereichen, insbesondere an der Universität, die Fachorientierung, so daß eine problemorientierte Bearbeitung ökologischer Fragestellungen, die eine Verbindung zwischen Wissenschaftsdisziplinen, Methoden und Interaktionsstrukturen sucht, ein "Desiderat" (S.22) sei. Die vielfach geforderte "Ökologisierung" der Bildungseinrichtungen, der Versuch, einerseits durch umweltfreundliche Materialien und umweltreundliche Mobilitätsstrukturen, andererseits durch Partizipation aller an Entscheidungsprozessen und ökologischen Veränderungen Beteiligten, sei nur auf geringstem Niveau auszumachen. Die Defizite verschärften sich noch, wenn man gezielt auf einige Praxisfelder schaue oder nach der politischen Dimension in der Umweltbildung suche. Schließlich fehle es auch an einer Innovations- und Wirkungsforschung, die sich systematisch mit den Effekten der Umweltbildung und den Hemmnissen ihrer Realisierung und Verbreitung befasse. Insgesamt gesehen scheine es, als ob man sich in der "kleinen Routine" einzurichten beginne und es bei einer "Feiertagsökologie" bleibe (S.23). Umweltbildung habe momentan jedenfalls keinen Einfluß auf die "große Routine" des Alltags im Bildungssektor. Zwar habe es so etwas wie eine "Grüne Wende" im Bildungssektor in dem Sinne gegeben, daß Ökologie überhaupt zum Thema des Lehrens in Bildungseinrichtungen avanciert sei, eine Breitenwirkung habe die Umweltbildung aber bisher noch nicht erfahren. Insofern sei die "grüne Wende" trotz umfangreicher Modelle und Materialien nur eingeleitet, jedoch nicht vollzogen. Neben einer "grünen Wende" postuliert de Haan (S.24) für die Zukunft eine "kulturelle Wende".

Die neue Perspektive, mit der ökologische Probleme angegangen werden müßten, laute "Sustainable Development" (nachhaltige Entwicklung). Dieses Konzept, von der Brundtland-Kommission in den 80er Jahren im Zuge des Nord-Süd-Dialogs politikfähig gemacht, auf der Rio-Konferenz 1992 zum Weltmodell erklärt und im Umweltgutachten des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen zur zentralen nationalen Orientierungsgröße annonciert, habe einschneidende, umwälzende Konsequenzen für das Leben und Wirtschaften sowie für das Politik- und Bildungssystem. 

Das Wuppertaler "Institut für Klima, Umwelt und Energie" habe in diesem Zusammenhang in einer Studie mit dem Titel "Zukunftsfähiges Deutschland" errechnet, daß demnach z.B. die Ressourcennutzung auf rund 20% der heutigen Werte reduziert werden müsse. Für die Umweltbildung ergeben sich daher große Herausforderungen. 

Nach der Wuppertaler Studie ließen sich z.B. einige individuelle Handlungsfelder mit starker Rückwirkung auf die Umweltnutzung benennen, die zum Schwerpunktthema von Umweltbildungs-maßnahmen werden könnten, u.a. der Energieverbrauch, das Mobilitätsverhalten, der Lebensmittelkonsum, die Expansion der Nutzung von Haushaltsgeräten, der Wohnungsbau, sowie Strategien einer generellen Effizienzrevolution in der Ressourcennutzung. Mit Ausnahme des Energieverbrauchs handele es sich dabei um Themen, die in der Umweltbildung bisher kaum behandelt werden. Neben einer thematischen Neuorientierung plädiert de Haan (S.25) für starke Rückbezüge auf die Forschungen zum Umweltbewußtsein und auf die herrschenden Lebensstile.

Was die Umweltbewußtseinsforschung (vgl. Kap. 5) angehe, so enthielten die Annahmen, ohne Umweltwissen gäbe es kein Umweltbewußtsein und ohne Umweltbewußtsein gäbe es wiederum kein umweltgerechtes Verhalten, zwar eine gewissse alltagsverständliche Plausibilität, ließen sich aber empirisch nicht bestätigen. Eigene Studien (Haan und Kuckartz 1994) hätten ergeben, daß umweltgerechtes Verhalten nicht zwingend notwendig auch ein Umweltbewußtsein voraussetzen müsse. 

Die Ergebnisse einer an 300 Personen durchgeführten standardisierten Befragung nach Umweltschutz­motiven mögen überraschen: "Menschen handeln in unterschiedlichen umweltrelevanten Bereichen aus unterschiedlichen Motiven heraus umweltgerecht bzw. nicht umweltgerecht" (S.30). Hauptsächlich aus Lebensstilmotiven heraus nutzten Menschen auf Wochenendausflügen und im Urlaub das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel, das ökonomische Motiv gelte u.a. für den Verzicht von Flugreisen gegenüber dem Gebrauch des Autos und aus Gründen des Wohlbefindens werde das Licht ausgeschaltet oder Treibhaussalat im Winter verzehrt. 

Schaut man sich die Ergebnisse der Lebensstilforschung der letzten 15 Jahre an (vgl. Reusswig 1994), so lasse sich zum einen eine Pluralität von Lebensstilen verzeichnen, zum anderen tendierten diese Lebensstile mehr und mehr darin, eine Mischform zwischen materiellen Orientierungen und immateriellen Wertvorstellungen zu sein. Es sei nach de Haan (S.29) leicht einzusehen, daß es mit der Vision einer globalen nachhaltigen Entwicklung zu veränderten Lebensstilen kommen müsse. Nach den bisherigen Studien haben Askese und Gemeinschaftsdenken in einer Gesellschaft, in der vor allem Konsum und Egoismus von den meisten ihrer Mitglieder zur Lebensmaxime erklärt werden, wenig Aussichten auf Durchsetzung. Die Attraktivität der neuen Weltvision müsse sich daher erst über kulturelle Veränderungen herausstellen. So seien zukünftig auch die Wechselbeziehungen zwischen Anthropologie und Natursphäre in den Vordergrund zu stellen, um die Umweltbildung als eine "1%-Disziplin" aus ihrem Schattendasein herauszuholen und eine "grüne Wende" voranzutreiben, die ihren Namen verdient.

Abschließend sei noch ein besonderer Bereich angesprochen, der sich auch im ökopädagogischen Feld orten läßt. So schreibt de Haan bezugnehmend auf den Ansatz von Luhmann, "daß darin zwar die Resonanzen des Umweltdiskurses in verschiedenen sich selbst regulierenden Systemen der Gesellschaft analysiert werden (...), nicht jedoch hinsichtlich der Massenmedien. Gerade sie sind es aber, die dem Kommunikationsprozeß immer wieder Material liefern" (1995, S.18). In dem Sammelband "Umweltbewußtsein und Massenmedien - Perspektiven ökologischer Kommunikation" (1995) werden quasi "öko-publizistische" Fragen in einem weiten Spektrum (u.a. auch unter Einbeziehung der Kunst) zur Diskussion gestellt. 

De Haan selbst konzentriert sich dabei v.a. auf empirische Befunde zum Zusammenhang von Umweltbewußtsein und Informationsquantität bzw. -qualität. Die naheliegende Annahme der "Agenda-Setting"-Theorie, nach der die Berichterstattung über Umweltprobleme mit der Zeit anschlage und eine Bewußtseinserweiterung erzeuge, werde demnach nicht bestätigt, das Gegenteil sei sogar der Fall: "Je mehr jemand fernsieht, desto unwahrscheinlicher ist es, daß diese Person äußert, ökologisch zu handeln" (S.19). 

Nach den derzeitigen Forschungen trage das sog. Echomodell noch am meisten zur Aufklärung der Zusammenhänge bei. Dabei wird von der Hypothese ausgegangen, daß der Einfluß auf das Problembewußtsein der Bevölkerung immer dann am größten sei, wenn eine Berichterstattung über ein Thema zwar nur in kürzeren Zeiträumen, dafür aber umso intensiver erfolge. Die Wirkung von Medien unterliege mehrfachen Selektionsmechanismen und könne mit einem einfachen "Stimulus-Response"-Modell nicht aufgefangen werden. 

Das schlichte Aufrüsten der Wissensbestände in der Bevölkerung helfe bei der Förderung von Umweltbewußtsein und umweltgerechtem Verhalten nicht weiter. Die Massenmedien thematisierten Umweltprobleme zumeist als Unterhaltung und liefern wenig Hintergrundinformationen. Auch Umweltverbände wie Greenpeace konzentrierten sich bevorzugt auf telegene Informationen. Komplexe Konzepte wie das der "Nachhaltigen Entwicklung" könnten aber nach de Haan (S.33) "nicht mit Schlauchbooten eingekreist" werden.

Für eine "offensive ökologische Öffentlichkeitsarbeit", die sowohl kognitiv als auch emotional ansprechend ist, plädiert Robert Jungk (1984). Ökologische Themen, die in der Regel langfristige Themen sind, müßten kurz und prägnant in einer eindrücklichen Sprache dargestellt werden, ohne dabei die nötige Tiefe zu verlieren oder der Boulevard-Presse Konkurrenz zu machen. In der Tat zeige der sog. Katastrophen-Journalismus, daß die Katastrophe die "Nachricht par excellence" (Lindner 1990, S.127) sei. Ökologisch relevante Berichte über katastrophale Entwicklungen mit globalen Auswirkungen würden dagegen erst nach diesen Auswirkungen "post festum" zu einem interessanten Gegenstand der Berichterstattung, was logisch ein Widerspruch und praktisch ein Dilemma sei. 

Jungk sieht in der Frage, ob es sog. "Informatoren" gelingt, Menschen für ökologische Probleme zu sensibilisieren und zu aktivieren, eine aktuellere und bedrängendere Aufgabe als in dem üblichen Bildungsauftrag des herkömmlichen Lehrers. Die Suche nach einer Antwort auf die Überlebensfrage der Menschen sei heute "die eigentliche existentielle Aufgabe aufgeklärter Menschen" (Jungk 1984, S.102).

Die aktuelle ökopädagogische Rolle der Medien bewertet der Kulturphilosoph Peter Sloterdijk als sehr problematisch, da die Grundmessage der Informations­medien auf Entwarnung eingestellt sei: 

Alle Medien sprechen im Westen seit mindestens zehn Jahren eine zwiespältige Sprache im Hinblick auf die ökologische Krise. Sie warnen und entwarnen immer gleichzeitig. Und die Bevölkerung hat die Entwarnung auf der Ebene der Verhaltensweisen übernommen. Man kann nicht auf der verbalen Ebene warnen und vom Verhalten her die Entwarnung signalisieren. Und das ist genau die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft seit mindestens 15 Jahren über ökologische Themen diskutiert. Wir haben kein Ernstfallbewußtsein. (1995, S.65) 

Der Ernstfall sei diejenige Situation, die Individuen hinreichend zu Opferleistungen motiviere. Die Entwarnungsrhetorik mache aber alle Gewinne auf ideologischem Gebiet zunichte (S.66): 

"Das sogenannte Umdenken hat stattgefunden auf der Ebene der Köpfe. Aber die Körper können nicht folgen, weil kein Ernstfall erklärt wird (...)".

 

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Ökologisches Gewissen # Die Zukunft der Erde aus der Perspektive von Kindern, Jugendlichen und anderen Experten #  2000

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