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Kapitel 2   ---  Die ökologische Krise in den Wissenschaften

 2.2  Tschumi  2.3  Wicke  

 

2.1  Ökologische Krise als interdisziplinäres Thema 

Die Menschheit ist in die moderne Geschichte gegangen wie ein Tier in eine Falle.
Gomez Davila, 1987, S.164   

 

Was der kolumbianische Schriftsteller Gomez Davila kurz und prägnant auf den Punkt bringt, liest sich als wissen­schaftliche Warnung wie folgt:

Das Raumschiff Erde und damit die Überlebensmöglichkeit bzw. das Leben unserer Kinder und Kindeskinder in einer an­nehm­baren Umwelt sind extrem gefährdet ....  Die Möglichkeit und Wahrschein­lichkeit einer weltweiten erfolgreichen Lösung der Umweltprobleme, insbesondere angesichts der in den unter­entwickelten Staaten dominierenden Probleme der Befriedigung der elementaren Lebens­bedürfnisse nach Nahrung und menschen­würdigem Wohnen ergeben ein weitgehend pessimistisches Bild. Ohne eine schnellstmögliche gemeinsame Aktion aller Staaten, bei der gleichzeitig die Probleme der Bevölkerungs­entwicklung, der Nahrungs- und Energie­versorgung sowie der Umwelt­probleme energisch und wirksam angegangen werden, besteht die Gefahr einer gravierenden Bedrohung der Menschheit.

 

Mit diesem eindringlichen Appell leitet Wicke das Buch <Umwelt Global — Veränderungen, Probleme, Lösungsansätze> (Jänicke, Bolle und Carius 1995) ein, das im Anschluß an eine Ringvorlesung der Freien Universität Berlin (WS 1994/95) erschienen ist.

Bleiben wir zunächst beim Autor des Geleitwortes, der ein Beispiel für Wissenschaftler ist, die aus dem <Elfenbeinturm Universität> emigriert sind: Wicke schreibt diese Zeilen als <Umweltstaatssekretär> Berlins, nachdem er seine eigenen Bücher in den 80er Jahren noch in der Rolle eines Professors für Wirtschaft verfaßte. Dazu gehört auch das Buch <Der ökologische Marshallplan> (1989), das bereits eine stärkere Handlungsorientierung und damit den Wechsel des Autors von der Wissenschaft in die Politik anzudeuten schien. Die Idee eines Marshallplanes wurde 1992 durch die Veröffentlichung von <Earth in the Balance — Ecology and Human Spirit> durch US-Vizepräsident Al Gore weltbekannt (vgl. Kap. 1).

Es wäre verwunderlich, wenn angesichts der Aktualität und Brisanz des Themas die Wissenschaften zur ökologischen Krise schweigen würden. Wie die Herausgeber von "Umwelt global" in der Einleitung feststellen, sehe sich die Umweltforschung heute einer wachsenden öffentlichen Nachfrage nach "Handlungsempfehlung" gegenüber, mit der sie allerdings ihre Probleme habe (Jänicke u.a. 1995, S.1). 

Einerseits gebe es die Tradition von wissenschaftlicher Wertfreiheit, die Vorstellung, daß der Wissenschaft nur eine deskriptive und analytische Rolle zukomme, Wertung und Handlungs­empfehlungen Gesellschaft und Politik vorenthalten blieben. Zum anderen stecke die Erforschung der Umwelt als komplexes System noch in den Anfängen, so daß gesicherte Aussagen über problematische, gesellschaftlich zu steuernde Kausalbeziehungen in den komplexeren Verursachungs­strukturen nicht leicht zu treffen seien.

Selbst in der Klimaforschung, deren Grundlagen als relativ gesichert gelten könnten, bestehe noch ein Auslegungsspielraum hinsichtlich der ermittelten Trends und ihrer zukünftigen Wirkungen. Die prognostische Unsicherheit liege auch darin begründet, daß die Annäherung an die reale Welt auf verschiedenen Ebenen erfolge, auf denen jeweils nur unvollständige Infomationen über das Gesamtsystem verfügbar seien. So könnten immer nur Ausschnitte der Wirklichkeit dargestellt werden. Zu diesem Zweck werde eine theoretische Modellwelt erfunden, deren Gegenstand ein "synthetischer Planet" (S.2) sei.

Ein entscheidendes Problem für den Vergleich der in diesen naturwissenschaftlichen Modellwelten gesammelten Erkenntnisse mit der realen Welt sei darin begründet, daß zwischen den naturwissenschaftlichen Welten und der natürlichen Welt eine ökonomisch, gesellschaftlich und normativ geprägte Welt liege, die massiven Einfluß auf die natürliche Welt nehme. Aus einer umweltwissenschaftlichen Perspektive seien hier "die entscheidenden Problemverursachungen (wie auch die potentiellen Problemlösungen)" (S.3) zu suchen. Allerdings ließen sich soziale Entscheidungsprozesse mit ihren kaum vorhersagbaren Eintrittswahrscheinlichkeiten nur schwer in entsprechende Modelle integrieren.

So stellen sich die folgenden alternativen Fragen: "Ist die Unsicherheit umweltwissenschaftlicher Erkenntnisse ein Grund, Wissenschaft von dem gesellschaftlichen Erkenntnisbedarf abzukoppeln? Oder geht es nicht vielmehr darum, Handlungsempfehlungen in einem breiten interdisziplinären Diskurs so einvernehmlich, so vorsichtig und so abgesichert wie möglich zu formulieren?" (S.3). Die Autoren plädieren für den letztgenannten Weg. Sie weisen darauf hin, daß viele methodische Probleme auch dadurch entstehen würden, daß den Schäden meist hinterhergeforscht werde. Weiterhin sei zu bedenken, daß die Universitäten erst relativ spät damit begonnen hätten, auf die Herausforderung der Umweltproblematik interdisziplinär zu reagieren. Die Unsicherheit umweltwissenschaftlichen Forschens dürfe kein Alibi für Untätigkeit sein, denn "wer sonst, wenn nicht die Wissenschaft in dem breiten Spektrum ihrer Disziplinen könnte Auskunft über ökologische Gefährdungen geben?" (S.4).

Der von Jänicke, Bolle und Carius (1995) herausgegebene Sammelband "Umwelt global" enthält ausgewählte Versuche, wissenschaftlich auf die ökologische Krise zu reagieren. Das auf der obengenannten Ringvorlesung basierende Buch ist ein Beispiel für praktizierte Multi- bzw. Interdisziplinarität (in der letzten Sitzung gab es eine fächerübergreifende Podiumsdiskussion). Es lohnt sich daher, die Zusammenstellung der einzelnen Beiträge einmal Revue passieren zu lassen: Im ersten Drittel des Bandes (ca. 32% des Gesamtseitenumfangs) steht die naturwissenschaftliche Sicht im Mittelpunkt, wie sie in den Beiträgen "Globaler Wandel und Wasserverfügbarkeit" (Bolle), Meteorologische Aspekte des Ozonproblems" (Labritzke), "Fernerkundung der Erde" (Furrer), "Die Stadt als ökologisches System" (Weigmann) und in dem Beitrag "Über die Besonderheiten des Großstadtklimas am Beispiel Berlins" (Malberg) zum Ausdruck kommt.

Vertreten sind dabei vor allem die Disziplinen Biologie und Geologie (es fehlen u.a. die Physik und die Chemie). Der zweite Abschnitt umfaßt die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Problemanalysen "Kriterien und Steuerungsansätze ökologischer Ressourcenpolitik" (Jänicke), "Klimaschutzpolitik als CO2-Minderungspolitik" (Mez), "Technikentwicklung, Unsicherheit und Risikopolitik" (Conrad) und "Die Ökologie der neuen Weltpolitik" (Altvater) für die politischen Wissenschaften, weiterhin "Rechtliche Ansätze zur Regulierung von Stoffströmen" (Kung) und "Rechtliche Aspekte der Altlastenproblematik" (Peine) für die Rechtswissenschaften, sowie die Beiträge "Das Unternehmen als Initiator der ökologischen Umorientierung" (Stitzel) und "Nutzung und Schutz tropischer Regenwälder" (Nitsch) aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.

Insgesamt machen diese Beiträge über die Hälfte (56%) des Bandes aus. Geistes- und sozialwissenschaftliche Betrachtungsweisen sind dagegen quantitativ gesehen eher unterrepräsentiert (12%) und finden sich in den Aufsätzen "Umweltbewußtsein" (de Haan), "Ökologisches Verantwortungsbewußtsein" (Hoff) und "Ethik für die Zukunft erfordert Institutionalisierung von Diskurs und Verantwortung" (Böhler) wieder. Vertreten sind die Pädagogik, die Psychologie und die Philosophie (nicht vertreten ist die Soziologie).

So vorbildlich diese Zusammenschau durch ihre Vielfalt an einzelwissenschaftlichen Bausteinen grundsätzlich auch sein mag, es fallen doch einige Ungleich­gewichte auf. Dabei scheint die Dominanz politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Betrachtungsweisen gegenüber den naturwissenschaftlichen Analysen eher untypisch zu sein, da letztere Gruppe in der Regel als erste befragt wird, wenn es um die Erforschung der ökologischen Krise geht (als ein Hinweis für diese These sei z.B. auf die von den Herausgebern diskutierten Modelle hingewiesen, in denen der Faktor Mensch eine untergeordnete Rolle spielt). 

Die geringe Präsenz der Geistes- und Sozialwissenschaften scheint dagegen schon eher typisch für die interdisziplinäre Rollenverteilung mit dem Thema zu sein, wobei die Frage erlaubt sei, inwieweit diese Fächer nicht auch selbst dafür verantwortlich sind, daß man von ihnen in dieser Hinsicht so wenig hört. Wenn umweltwissenschaftlich allerdings von dieser Gruppe sowohl wichtige Ursachen­klärungen als auch potentielle Problemlösungen erwartet werden, ist es an der Zeit, diese Disziplinen stärker als bisher in die ökologische Diskussion miteinzubeziehen.

 

So wurden bei der Auswahl der für diese Arbeit zusammengestellten Ansätze geistes- und sozialwissenschaftliche Beiträge zu der Frage nach Ursachen und Lösungen der ökologischen Krise überrepräsentativ berücksichtigt — als Kontrast zum gegenwärtigen interdisziplinären Diskurs. Dabei wird davon ausgegangen, daß gerade die Vielfalt an Beispielen die allgemeine Diskussion beleben kann, ferner eine alle Disziplinen zufriedenstellende Ausgewogenheit sowieso kaum realisierbar erscheint, bedenkt man, daß auch in den einzelnen Disziplinen selbst ein Selektionsprozeß stattfindet. Wichtig scheint es zu sein, alternative Sichtweisen gegenüber einem technischen Denken und Aktionismus aufzuzeigen, wie er teilweise in der Konzeption der vorgestellten Ringvorlesung zum Ausdruck kommt. Allerdings ist der Versuch, die einzelnen Wissenschaften miteinander ins Gespräch zu bringen, ein großer Fortschritt im Vergleich zu der herkömmlicherweise isolierten Forschungspraxis und gar nicht hoch genug zu würdigen.

Die in dieser Arbeit vorgestellten Ansätze öffnen einen weiten Horizont an Perspektiven, die für die psychische Konzeption eines ökologischen Gewissens sich als hilfreich erweisen werden. Wir beginnen mit einem umweltbiologischen (Tschumi) und einem umweltökonomischen (Wicke) Beitrag. Sie stehen stellvertretend für die sonst im Mittelpunkt stehenden naturwissenschaftlichen und politik- bzw. wirtschaftswissenschaftlichen Analysen. Die weiteren Ansätze entstammen alle aus geistes- oder sozial­wissen­schaftlichen Kontexten.

Obwohl einige Ansätze sprachlich durch das Präfix "Öko-" gekennzeichnet sind, wurde aus Gründen der Einheitlichkeit in unserer Systematik das Präfix "Umwelt-" gewählt. 

Bei den ausgewählten Ansätzen handelt sich um Beiträge der Soziologie (Luhmann), Pädagogik (de Haan), Psychologie (Roszak), Philosophie (von Hösle) und Theologie (Drewermann).

Da das "Niveau" der Ansätze sehr unterschiedlich bewertet werden kann, sei noch einmal darauf hingewiesen, daß es bei der Gegenüberstellung eher um das inspirative Potential der einzelnen Beiträge geht als um eine Konkurrenz etwa zu der Frage, welches Fach die ökologische Krise am besten zu meistern imstande ist.

Ein Qualitätsvergleich wäre allein schon wegen der Differenz der verschiedenen Fachkulturen nicht nur problematisch, sondern auch wenig sinnvoll. Das Ziel der abschließenden Zusammenfassung im letzten Kapitel dieses Abschnitts (Kap. 2.9) ist es, die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Perspektiven zu erarbeiten, die für den weiteren Verlauf der Arbeit bedeutsam sein können. Die Ansätze werden daher zunächst nach- bzw. nebeneinander (multidisziplinär) vorgestellt und danach auf dieser Basis miteinander (interdisziplinär) vernetzt.

 

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2  Der umwelt-biologische Ansatz von Tschumi

 

 

"Umweltverschmutzung ist ..., was jedermann tut, wenn es zu viele Leute gibt, die es tun" (Leyhausen 1973, S.5). So einfach offenbart sich das Thema der ökologischen Krise aus biologischer Sicht. Für Biologen entstehen Umweltprobleme vor allem dann, wenn sich die Anzahl von Lebewesen unkontrolliert vermehrt.

Biologen verbreiten tendenziell keinen Fatalismus, sondern versuchen, an die Vernunft zu appellieren. Diese Appelle lesen sich manchmal allerdings recht zynisch (Leyhausen 1973, S.8): "Die Bevölkerungen der ganzen Welt müssen um jeden Preis — und ich wiederhole: um jeden Preis — zum Wachstumsstillstand gebracht werden (...)".

Erster Ansprechpartner für die Frage nach Ursachen und Lösungsansätzen der ökologischen Krise ist die noch recht junge Wissenschaft der "Ökologie", die dem Problem ihren Namen gab. Als Teildisziplin der Biologie entstanden, kann sie heute als eine Art "Dachwissenschaft" (Maurer 1988, S.381) verstanden werden. Wie jegliche Wissenschaftsdisziplin kann zwar auch die Ökologie den Menschen keine Vorschriften machen, was sie tun sollen, sie kann jedoch auf einige biologische Gesetzmäßigkeiten und Fakten verweisen, die zunächst einmal zur Kenntnis genommen werden sollten, bevor man alle weiteren Fragen diskutiert.

Zu Beginn der Untersuchung stellt sich die Frage, was "Ökologie" überhaupt ist — sieht man einmal davon ab, daß der Begriff heutzutage zu einem ideologisch-politischen Schlagwort geworden ist. 

Grundlage der folgenden Ausführungen ist das Buch "Umweltbiologie — Ökologie und Umweltkrise" (1980) des Schweizer Ökologen und Biologen Pierre Tschumi. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird eine Einführung in die allgemeine Ökologie vermittelt, wobei die quantitativen, für die Umweltprobleme relevanten Aspekte dieser Wissenschaft besonders betont werden. Im zweiten Teil des Buches werden Umweltprobleme als Folge der Mißachtung ökologischer Gesetzmäßigkeiten und Randbedingungen dargestellt. Dabei wird die These vertreten, daß Naturschutzbestrebungen die Umweltzerstörung solange nicht aufzuhalten vermögen, als der Integrität ganzer Ökosysteme nicht mindestens die gleiche Bedeutung beigemessen werde wie dem individuellen Leben. Voraussetzung dazu sei eine Umwelttheorie, in deren Mittelpunkt das Ökosystem stehe.

Obwohl für den Zusammenhang dieser Arbeit sicherlich der zweite Teil des Buches von Tschumi von besonderem Interesse ist, scheint es vorweg angebracht, sich einige Begrifflichkeiten der Ökologie zu vergegenwärtigen, um erst einmal ein gewisses Grundverständnis zu erhalten: Wie definiert sich die Ökologie und nach welchen Organisationsstufen ist unser Leben aufgebaut? 

Vor über hundert Jahren gab Haeckel, der als der Begründer der Ökologie gilt, folgende Definition (1866, S.286): "Unter Oecologie verstehen wir die gesammelte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können". Dabei wird insbesondere auf die "Stellung, welche jeder Organismus im Naturhaushalte, in der Oeconomie des Natur-Ganzen einnimmt" hingewiesen (1866, S.287). Heute wird die Ökologie etwas schlichter, aber sinngemäß noch identisch definiert als "Wissenschaft von den Beziehungen der Organismen zueinander und ihrer Umwelt" (Tschumi 1980, S.2).

Das Leben manifestiert sich auf verschiedenen Organisationsstufen, wobei jede Stufe des Lebens Gegenstand eines oder mehrerer Wissenschaftszweige ist: Die tiefste und einfachste Stufe ist die der Zellen (Zellbiologie und Molekularbiologie). Bei mehreren Organismen sind Zellen mit gleicher Funktion zu Geweben (Histologie) zusammengeschlossen, wobei verschiedene Gewebe miteinander Organe (Anatomie und Physiologie) oder mehrzellige Organsysteme (Embryologie und Genetik) bilden können. Mehrzellige Organismen bilden überindividuelle Einheiten, Fortpflanzungs­gemeinschaften oder Populationen (u.a Populationsgenetik, Populationsökologie, Verhaltensforschung und Evolutionslehre), deren Erbgut in jeder Generation durch geschlechtliche Fortpflanzung neu kombiniert wird.

Auch Populationen sind als solche keine selbstständig lebensfähigen Einheiten, sie leben in der Natur in weitgehender Abhängigkeit voneinander und bilden komplizierte Lebensgemeinschaften oder Biozönosen. Jede Biozönose ist abhängig von den nichtlebenden Komponenten ihres Lebensraumes, dem Biotop. Lebensgemeinschaft und Biotop bilden zusammen die nächste Stufe der Hierarchie: das Ökosystem. Sämtliche Ökosysteme der Welt sind durch mannigfaltige Wechselwirkungen miteinander verbunden und bilden ein übergeordnetes Ökosystem, die Biosphäre. Sie bildet die letzte und selbstständigste Stufe unseres biologischen Systems. Sie stellt den Lebensraum der Menschheit dar und ist "durch unser Wirken gefährdet" (S.2). 

Die drei letztgenannten Stufen (Biozönose, Ökosysteme und Biosphäre) werden von den verschiedenen Zweigen der Umweltforschung erfaßt, zu der die Ökologie, aber auch Teilbereiche der Physik, Chemie, Geologie, Geographie usw. gehören. Im Rahmen der Ökologie werden jene Faktoren, Strukturen und Vorgänge erforscht, welche das Leben auf den Stufen der Populationen, Biozönosen, Ökosysteme und Biosphäre charakterisieren. Werden die Beziehungen einzelner Arten oder Organismen zu ihrer Umwelt erforscht, dann treibt man Autoökologie. Dagegen geht es in der Demoökologie um die Erforschung der ökologischen Vorgänge auf der Ebene einzelner Populationen. Gegenstand der Synökologie oder Ökosystemforschung sind schließlich ganze Ökosysteme und die Biosphäre.

Um die Gefährdung der Biosphäre, die den Menschen an den Rande seiner eigenen ökologischen Existenzgrundlage führt, geht es Tschumi im zweiten Teil seines Buches unter dem Titel "Humanökologische Aspekte der Umweltkrise" (S.137ff). Die Umweltkrise wird dabei systematisch in Beziehung zu den Faktoren Bevölkerungswachstum, Technologie, Wirtschaftswachstum sowie einigen aktuellen Umweltproblemen (u.a. Eutrophierung der Gewässer, Probleme der Schädlingsbekämpfung, Energiegewinnung durch Kernspaltung und Klima) gesetzt. 

Auffallend dabei ist, daß einige Umweltprobleme (z.B. die Abholzung der tropischen Regenwälder oder das Ozonloch) nur am Rande erwähnt werden, da sie zum Zeitpunkt des Erscheinens der "Umweltbiologie" noch kaum bekannt waren. Beeindruckend ist es, mit welcher Gründlichkeit die diversen Gefährdungen untersucht werden. Mit einem Kapitel "Umweltschutz durch Umdenken" (S.246ff) schließt Tschumi und nennt einige aus seiner Sicht notwendigen Schritte zur Bewältigung der ökologischen Krise.

Ausgangs- und Kristallisationspunkt der Analyse ist der folgende Satz: "Die meisten, wenn nicht alle, gewichtigen Umweltprobleme der Gegenwart stehen mittelbar oder unmittelbar mit der seit Jahrhunderten anhaltenden und sogar beschleunigten Zunahme der Erdbevölkerung in Zusammenhang" (S.137). Tschumi sieht alle Umweltprobleme als Folge einer zu hohen Besiedlungsdichte. Bei einem Vergleich des Wachstums der Erdbevölkerung in der Vergangenheit und heute zeige sich, daß die Verdopplungszeit der Menschheit sich von ursprünglich weit über einem Jahrtausend auf 35 Jahre verkürzte, wobei bis vor kurzem sogar die jährlichen Zuwachsraten noch anstiegen (sog. "überexponentielles Wachstum").

Bei der Suche nach den Ursachen der historischen Zunahme der Erdbevölkerung stelle sich heraus, daß es weniger die hohen Geburtenraten als vielmehr die geringen Sterberaten seien, die das 20. Jahrhundert von allen früheren Zeiten so gewaltig unterscheide. Die Abnahme der Mortalität, insbesondere der Kindersterblichkeit, als das Ergebnis zahlreicher technisch-wissenschaftlichen Fortschritte, mußte zwangsläufig zu einem Geburtenüberschuß und damit zum Anwachsen der Bevölkerung führen. Demgegenüber lasse sich, wie Tschumi aufzeigt, die Produktivität der Biosphäre nicht beliebig steigern, was letztlich zu einem Zusammenbruch der menschlichen Population führen müsse.

Tschumi warnt davor, vor lauter Befangenheit im Zivilisatorischen die ökologischen Gegebenheiten und Grenzen zu übersehen: "Ökologische Krisen könnten freilich beim Menschen einen ganz anderen Ausgang finden als im Tierreich. Zwischenstaatliche oder internationale Konflikte, wirtschaftliche Zusammenbrüche oder Umwälzungen und andere soziale und politische Reaktionen sind vielleicht eminentere Folgen eines ökologisch untragbaren Zustandes als weltweite Hungersnöte" (S.159).

Für das langfristige Weiterbestehen eines Ökosystems sei nicht nur die Einhaltung konstanter Konsumentenbestände und -bedürfnisse, sondern auch die strikte Befolgung des Kreislaufprinzips erforderlich. In einem natürlichen Ökosystem würden nur wiederverwertbare Produkte und Abfälle erzeugt. In einem ungestörten Ökosystem herrsche somit ein kreisförmig geschlossener Materialfluß, das System arbeite gleichsam im Kreislaufverfahren. Unter der Überschrift "Technologie und Umweltkrise" verweist Tschumi demgegenüber auf die Tatsache, daß die Menschheit weltweit gesehen z.B. rund 92% der technisch genutzten Energie aus nicht erneuerbaren Brennstoffen gewinne. Die menschliche Technologie sei daher im Gegensatz zur Funktionsweise eines Ökosystems durch einen Einweg-Materialfluß gekennzeichnet. So drohen auf der einen Seite die früher für unerschöpflich gehaltenen Roh- und Brennstoffe der Erde in wenigen Jahrzehnten zur Neige zu gehen, darüberhinaus wird die Umwelt durch wachsende Mengen von nichtwiederverwerteten Abfällen verschmutzt.

Aus Sicht der Ökologie sei ein wichtiger Grund für die Unterbrechung des natürlichen Kreislaufes in der Verstädterung zu suchen. Die Verstädterung nahm quasi parallel zur Bevölkerungsexpansion zu, innerhalb der letzten 50 Jahre weltweit im Durchschnitt um 100%. Bei Tieren gehe mit zunehmender Besiedlungsdichte stets eine Zunahme der Aggressivität einher. Auch beim Menschen lasse sich eine rapide zunehmende Kriminalität in großen und dichtbesiedelten Städten nachweisen. Unter der Verstädterung leiden auch die Beziehungen zwischen Mensch und Natur. Infolge der Verstädterung verlieren immer mehr Menschen den direkten Kontakt mit der Natur als Spenderin von Nahrung, Wasser und Erholung. Damit gehe gleichzeitig das Gefühl der Verbundenheit mit der Natur, der Abhängigkeit von ihr und der Verantwortung für sie verloren. Tschumi sieht in der Verstädterung einen wesentlichen "psychologischen Bahnbrecher für die heutige technologisch bedingte Umweltkrise" (S.163).

Insgesamt sei die Lebenserwartung der heutigen Technologie im Vergleich zur Lebens­erwartung eines natürlichen Ökosystems sehr gering. Im Energiesektor seien die gleichen Fehler zu beobachten wie im Bereich der Rohstoffe. Vor allem in den Industrienationen ist der technische Energiebedarf äußerst hoch, er liegt im Vergleich zum biologischen Bedarf z.B. in den USA fast um das Hundertfache darüber (in Deutschland pro Kopf und Fläche gesehen sogar noch höher — im Gegensatz zu den sog. Entwicklungsländern, wo er sich meist unter dem biologischen Bedarf befindet), wobei der Bedarf größtenteils aus nicht erneuerbaren Rohstoffen gedeckt werde. 

Die enormen Diskrepanzen (vgl. Tschumi, S.67) erstrecken sich also nicht nur auf die Abweichungen vom realen Verbrauch zum natürlich Bedarf, sondern auch auf den unterschiedlichen internationalen Konsum (ein durchschnittlicher Bundesbürger verbraucht z.B. über hundertmal so viel Energie wie ein Afrikaner!). Tschumi konstatiert (S.173f), daß die meisten bisher ergriffenen Umwelt-schutzmaßnahmen sich gegen die technologischen Symptome der Umweltkrise richteten. Langfristige Lösungen könnten aber auf technologischer Ebene erst durch eine "Kausaltherapie" und nicht durch eine Symptombehandlung allein gefunden werden. Die Intensität des Material- und Energieflusses könne auch durch die Förderung der Langlebigkeit von Produkten und durch Mäßigung der Konsumfreudigkeit reduziert werden. Erziehung zu Sparsamkeit im Energieverbrauch und Materialkonsum könne einen wesentlichen Beitrag zum technologischen Umweltschutz leisten. Die letzt-genannten von Tschumi vorgeschlagenen Maßnahmen gehen dabei im Prinzip über einen technologischen Umweltschutz hinaus, da sie nämlich den "subjektiven Faktor", den Menschen selbst, betreffen.

Neben dem Bevölkerungswachstum und der Technologieentwicklung setzt sich Tschumi mit dem "Wirtschaftswachstum" als einem dritten wichtigen Bereich im Rahmen der Suche nach Ursachen der ökologischen Krise auseinander und stellt dabei die These auf, daß das Anwachsen der Umweltbelastung durch den linearen technischen Material- und Energiefluß mit einer Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität und des Wohlstandes einhergehe. Gehobener Lebensstandard und wirtschaftliches Wachstum leisteten dem Ausbau einer Großtechnologie und damit einer Verstärkung ihrer Eingriffe in die Umwelt Vorschub. Die Hebung des allgemeinen Wohlstandes führe z.B. zu einer ungehemmten Expansion des Tourismus’. 

Der Energiekonsum einer Nation sei umso größer, je größer das Volkseinkommen oder das sog. Bruttosozialprodukt sei. Der materielle Wohlstand bzw. die wirtschaftliche Aktivität einer Gesellschaft wird nach wie vor anhand des Bruttosozialprodukts gemessen. Man versteht darunter die Summe aller Erträge aus Produktion und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Die Umweltbelastung oder das Verunreinigungspotential einer Nation könne als das Verhältnis zwischen dem Bruttosozialprodukt und der Fläche eines Landes errechnet werden. Danach stehe die Bundesrepublik Deutschland weltweit an der Spitze der Umweltbelastung, wobei die relative Belastung in weiträumigeren Regionen geringer ausfällt als in den dichter besiedelten Industrienationen.

Der Befund, daß mit einem hohen Lebensstandard eine entsprechend hohe technologisch bedingte Umweltbelastung einhergehe, wird vor allem durch einen Vergleich zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern bestätigt. Obwohl die Industrieländer weniger als 30% der Weltbevölkerung stellen, beanspruchen sie ca. 85% des weltweiten Energiekonsums. Unter den Industrienationen verbrauchen die USA ungefähr ein Drittel der Welt-Energie, mehr als doppelt so viel wie alle Entwicklungsländer zusammen, die über 70% der Erdbevölkerung stellen. Tschumi bilanziert: "Die heutige technologisch geprägte Umweltkrise, welche durch Rohstoffverknappung einerseits und Umwelt-verschmutzung andererseits charakterisiert ist, geht somit in erster Linie auf das Konto der Industrienationen" (S.182). Der gewichtige Beitrag, den die Industrienationen zur ökologischen Krise leisten, zeige, daß ihre Wirtschaftsordnung auf Grundlagen ruhe, die nicht unweltkonform seien. Die Lehre, wonach die Güter der Natur frei und unerschöpflich seien, werde durch die Umweltkrise widerlegt. Eine Volkswirtschaft, welche ihren Erfolg lediglich aufgrund einer Zunahme des Bruttosozialproduktes und des materiellen Wohlstandes werte, übersehe, daß in ihren Kalkulationen weder die dem Menschen noch die dem Lebensraum zugefügten Schäden berücksichtigt seien. Zur Frage des Zusammenspiels zwischen Ökologie und Ökonomie postuliert Tschumi abschließend: "Die Ökonomie muß sich mehr als bisher ihrer ökologischen Grundlagen bewußt werden. Umweltkonform ist ein Wirtschaftssystem z.B. dann, wenn es seine Produktionsleistung und seinen Konsum den beschränkten natürlichen Ressourcen, und nicht mehr, wie bisher, einem künstlich stimulierten exponentiell wachsenden Bedarf angleicht. Die aus jeder wirtschaftlichen Aktivität resultierenden sozialen Kosten oder Umweltschäden müßten in einem solchen System gebührend einkalkuliert und vom Urheber bezahlt werden (Verursacherprinzip). Sie dürfen nicht mehr einfach ignoriert bzw. auf die Allgemeinheit oder auf die Nachwelt abgewälzt werden" (S.184).

 

Unter der Überschrift "Umweltschutz erfordert Umdenken" (S.246ff) faßt Tschumi am Ende des Buches seine Schlußfolgerungen zusammen. Dabei betont er nochmal aus biologischer Sicht die Notwendigkeit einer Kausaltherapie, da durch eine Symptombehandlung allein kein krankes System kuriert werden könne. Tschumi weist darauf hin, daß die bisherige Entwicklung der Wissenschaften, Technologie und Wirtschaft aus Gründen der Effizienz zu einer immer größeren Spezialisierung auf einzelne Teilgebiete führte. In diesem Zusammenhang sei eine sektorielle Ausbildung gefördert worden, in welchem der Überblick über das ganze System verloren ging. Aus diesem Grunde könnten viele Spezialisten in ihrem wissenschaftlichen, technischen, industriellen oder wirtschaftlichen Teilgebiet die möglichen Rückwirkungen ihrer Tätigkeit auf ganze Ökosysteme und die Biosphäre kaum mehr einschätzen: "Diesem Zustand könnte etwas mehr ökologisches Denken entgegenwirken. Die Ökologie als multidisziplinäre und synthetische Disziplin lehrt uns nämlich nicht nur Teilphänomene, sondern auch das Funktionieren ganzer Systeme zu verstehen, mit allen Wechselwirkungen zwischen den Teilen und den einzelnen Erscheinungen, bedingt durch kreisförmigen Materialfluß, dynamische Gleichgewichte und Rückkoppelungen. Mag das darauf begründete Spezialistentum zum Vollbringen von Spitzenleistungen in Wissenschaft und Technik weiterhin unentbehrlich sein, so wird es im Bereiche des Umweltschutzes durch ganzheitliche Betrachtungsweise und inter- oder multidisziplinäre Arbeit ergänzt werden müssen. Dazu kann eine auf die menschlichen und umweltbezogenen Probleme ausgerichtete Ökologie wesentlich beitragen" (S.246/47).

Tschumi vertritt außerdem die Auffassung, daß ökologisches Denken, Offenheit für die Probleme der Gegenwart und die zur erfolgreichen Bekämpfung der Umweltkrise erforderlichen Informationen und Fertigkeiten eigentlich durch Erziehung und Schulung schon den Kindern mitgegeben werden sollten. Tschumi sieht die Notwendigkeit einer umwelt- und gegenwartsbezogenen Bildung, welche die überaus wichtigen Wechsel-beziehungen zwischen Natur und Zivilisation aufzeige und der Gegenwart und Zukunft mehr verpflichtet sei als der Vergangenheit. Mangelndes Verantwortungsbewußtsein für ganze Ökosysteme, Lebensgemeinschaften und Populationen sowie für künftige Generationen sei ein wesentliches Kennzeichen unserer Umweltkrise. Abschließend wird gefragt, ob hierfür nicht auch eine Individualethik Schuld sei, die jener Normen entbehre, welche bei Beanspruchung von natürlichen Ressourcen die Interessen anderer Völker und späterer Generationen wahren sollten. Kein Gebot und kein Gesetz schütze unsere Nachfahren, die Dritte Welt und die Natur vor dem Raubbau, der heute betrieben werde. Tschumi endet schließlich mit einem für einen Biologen eher ungewöhnlichen Aufruf:

Wir sollten daher unverzüglich den Geltungsbereich unserer Ethik derart ausweiten, daß sie auch Verantwortung für die Zukunft der Population, für die Integrität der Umwelt und für jene Völker impliziert, welche andere Kulturen tragen als die unsrige. Damit sind die Hüter der Ethik angesprochen.  (Tschumi 1980, S.248)

 

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2.3  Der umwelt-ökonomische Ansatz von Wicke

 

 

In kaum einem gesellschaftlichen Bereich werden Umweltfragen so kontrovers diskutiert wie in der Wirtschaft. Während Begriffe wie "Öko-Marketing" und "Öko-Management" besonders von Umweltverbänden oft kritisch beäugt werden (obwohl diese Gruppen solche Strategien selbst praktizieren), viele Verbraucher entsprechenden Etiketten auf Produkten immer mehr mißtrauen und "die" Wirtschaft mitunter den Ruf genießt, "an allem Schuld" zu sein, gibt es andererseits die Auffassung, daß die ökologische Krise vor allem eine Frage der Ökonomie sei und von dieser Seite auch gelöst werden könnte. 

Als Prototyp für diese optimistische Sicht soll der umwelt-ökonomische Ansatz von Lutz Wicke anhand von zwei unterschiedlichen Publikationen vorgestellt werden: Zum einen geht es um "Die ökologischen Milliarden" (1986), ein Bestseller-Buch, das die Kosten der Umweltzerstörung monetär zu messen versucht, zum anderen um das Lehrbuch "Umweltökonomie" (1989), das einen Einblick in die wirtschaftswissenschaftliche Herangehensweise an die Problematik vermittelt.

Das Buch "Die ökologischen Milliarden" enthält, wie zu vermuten ist, eine Menge Zahlenmaterial: "211.000.000.000 Mark — mindestens!" (S.9), soviel koste das Sterben des Deutschen Waldes für den Untersuchungszeitraum von 1984 bis 2060, wird einleitend proklamiert. Wicke bemerkt zu Beginn seiner Untersuchungen, daß Ökonomen sich in der Regel auf den "Preis" konzentrierten, jedoch nur selten die Frage nach dem "Wert" stellen würden. 

Dem Einwand, der von Nichtökonomen erhoben werde, nach dem Natur und Gesundheit unschätzbare Güter bzw. Werte an sich seien, hält Wicke einige Argumente für eine Monetarisierung der Umweltschäden entgegen. Rationale Umweltpolitik erfordere die Saldierung aller Vor- und Nachteile des Umweltschutzes. Weiterhin liege es in der Natur des Menschen, daß er mit seinen Habseligkeiten hauszuhalten lerne, wenn er für ihren Gebrauch einen angemessenen Preis entrichten müsse. 

Vor allem aber kritisiert Wicke das Bruttosozialprodukt als nicht angemessenes Maß für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, weil es im Zusammenhang mit der Umweltzerstörung einen viel zu hohen Wohlstandswert vortäusche. Insofern sei es unbedingt erforderlich, Umweltschäden in Geldeinheiten zu messen. Die ökologische Schadensbilanz der Industrienation Deutschland berechnet Wicke in der ersten Hälfte des Buches in mehreren Kapiteln, in denen er die Kosten des Waldsterbens, der Luftverschmutzung, der Gewässerverschmutzung, der Bodenzerstörung und des Lärms addiert.

Die Kosten des Waldsterbens werden bis Mitte des nächsten Jahrhunderts in Abhängigkeit der allgemeinen Umweltschutzmaßnahmen zwischen 211 und 344 Milliarden beziffert, wobei betont wird, daß es sich bei dem niedrigeren Wert um eine Untergrenze des geschätzten Waldschadens handele. Nicht einbezogen wurden dabei z.B. Einkommensverluste der Holzindustrie oder Schäden im Bereich Klima- und Immissionsschutz. Mit insgesamt rund 48 Milliarden Mark werden die Kosten beziffert, die der deutschen Volkswirtschaft jährlich durch die Luftverschmutzung entstehen.

Auch hierbei handelt es sich um eine "absolute Untergrenze", bei den einzelnen Schadenspositionen fehlen z.B. gesundheitliche luftverschmutzungs­bedingte Herz- und Kreislauferkrankungen oder immaterielle Schäden wie die Beeinträchtigung des menschlichen Wohlbefindens. Weiterhin betrage der Schaden, der durch die Verschmutzung von Flüssen und Seen, der Nord- und Ostsee und des Grundwassers jährlich angerichtet wird, über 18 Milliarden Mark, wobei u.a. im Bereich der Meeresverschmutzung die ökologischen Schäden mangels inländischer Studien ausgeklammert werden mußten. 

Als am wenigsten erforscht gelten die Kosten der Bodenzerstörung. Sie werden mit 5 Milliarden Mark angegeben, wobei die sog. "Tschernobyl-Kosten" mit 100 Millionen Mark nur 2% ausmachen. Praktisch "unschätzbar" seien dagegen die Krankheiten und Todesfälle, die auf bodenseitige Chemikalien in Lebensmitteln zurückzuführen sind. Als sehr zuverlässige Schätzungen werden schließlich die 33 Milliarden Mark Lärmkosten bezeichnet. Hierbei geht der mit Abstand größte Posten auf Wertminderungen von Häusern und Grundstücken zurück. 

Summa summarum ergebe sich eine ökologische Schadensbilanz der Bundesrepublik Deutschland von über 100 Milliarden Mark pro Jahr, was ungefähr 6% des Bruttosozialprodukts entspreche. Wicke hält diese Bilanz für unvollständig, weil nur die Schäden berücksichtigt werden konnten, bei denen sich aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes Umweltschäden feststellen oder vorhersagen ließen und die überhaupt mit Hilfe anerkannter wirtschaftswissenschaftlicher Methoden in Geldeinheiten bewertbar seien. Die Bezifferung der Schäden wurde dabei nach dem Prinzip "im Zweifel eher zu niedrig als zu hoch" angesetzt, um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich um ein "Katastrophenbuch" (S.122).

Wicke betont, daß mit den vorgelegten Berechnungen "erstmalig in der Welt eine recht verläßliche ökologische Schadensbilanz eines Landes aufgestellt werden konnte" (S.125). Kenntnisse über den Geldwert der Umweltschäden seien in den meisten westlichen Ländern nicht vorhanden, sodaß internationale Vergleiche noch nicht angestellt werden könnten. Den über 100 Milliarden Mark an rechenbaren Schäden in Westdeutschland — "eine riesige, zum Teil nicht wiedergutzumachende Verschwendung!" (S.131) — stehen eine ganze Reihe sehr wichtiger, jedoch kaum monetarisierbarer Schadenskomponenten gegenüber.

Zu den nicht-rechenbaren Umweltschäden zählen z.B. die psychosozialen Kosten. Eine schlechte Umweltqualität habe psychische und soziale Auswirkungen. Wie Gillwald (1985, S.26) festgestellt hat, führen unterhalb der Schwelle gesundheitlicher Beeinträchtigungen bereits "Umweltärgernisse" wie unschöne Häuser, Müllberge, Gerüche, Staub und Geräusche zu Einbußen an Wohlbefinden, Abbau von Verhaltens­alternativen, Einschränkungen von Aktivitäten und Verarmung zwischenmenschlicher Beziehungen. 

Weiterhin belegen wissenschaftliche Untersuchungen (vgl. Schluchter 1986, S.281ff.) nicht nur, daß Umweltärgernisse Nervosität und Aggression fördern und die Leistungsbereitschaft spürbar verringern, sondern auch, daß Menschen, die in einer ansehnlichen Umgebung zuhause sind, ihre Mitmenschen positiver einschätzen und meist kontaktfreudiger und hilfsbereiter seien. Ebenso wie die psychosozialen Kosten konnten die ökologischen Risiken im Rahmen der ökologischen Schadensbilanz praktisch nicht erfaßt werden. So seien u.a. Fragen des Biotop- und Artenschutzes, der Überschreitung globaler Verträglichkeitsschwellen und der Langzeitwirkung von emittierten Schadstoffen weitgehend offen. Angsichts dieser vielen "stillen Reserven" könne der ermittelte Gesamtschaden mit Sicherheit als zu niedrig angesehen werden.

Die Aufstellung einer monetären, ökologischen Schadensbilanz, der aufgrund ihrer extrem vorsichtigen Schätzungen nicht der "Vorwurf einer Dramatisierung des Problems der Umweltzerstörung" zu machen sei (S.131), stellt nur ein Teilziel des Buches dar. Aufbauend auf diesem Befund versucht Wicke nachzuweisen, daß durch ein allgemeines umweltfreundliches Verhalten und durch eine marktorientierte Verbesserung der Umweltpolitik die Schäden in wenigen Jahren deutlich reduziert werden könnten. Wicke vertritt die These, daß wirkungsvolle Umweltschutzmaßnahmen "die" volkswirtschaftliche Zukunftsinvestion schlechthin seien. Der große Nutzenüberschuß bei sinnvollen Umweltschutzmaßnahmen zeige, daß ökonomisch gesehen kein besserer Ansatzpunkt für investive Ausgaben für die Zukunft zu erkennen sei. Eine deutlichere ökologisch und ökonomisch begründete Aufforderung zum verstärkten Handeln könne es nicht geben. Bevor Wicke sein Programm "Umwelt, Markt und Arbeit" im Sinne einer "rationalen Umweltpolitik" vorstellt, setzt er sich zunächst mit einigen "Anti-Umweltschutz-Argumenten" aus ökonomischer Sicht auseinander (S.140ff).

Zu den bekanntesten Anti-Umweltschutzargumenten gehören der Verweis auf die Gefährdung oder Vernichtung von Arbeitsplätzen, der Verweis auf die Beeinträchtigung des aus Beschäftigungsgründen notwendigen Wirtschaftswachstums und der Verweis auf die Minderung der Wettbewerbs­fähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten. Das "Jobkiller"-Argument werde sowohl durch empirische Ergebnisse wie auch durch prinzipielle volkswirtschaftliche Überlegungen widerlegt. Per Saldo sei Umweltschutz keinesfalls ein Arbeitsplatzkiller, sondern ein Arbeitsplatzgarant. 

Wicke bezeichnet das Jobkiller-Argument als "Ammenmärchen" (S.145), das selbst dann, wenn es wahr wäre, angesichts der riesigen Kosten der Umweltzerstörung und der sehr guten Nutzen-Kosten Relation von wirkungsvollen Umweltschutzmaßnahmen kein Argument gegen verstärkten Umweltschutz sein könne. Auch die Argumentation, nach dem der Umweltschutz eine arbeitsplatzmindernde Wachstumsbremse darstelle, ließe sich nicht halten, da Wirtschaftswachstum ohne Umweltschutz langfristig nicht möglich sei. Dies könne im Falle des Wettbewerb-Arguments auch empirisch belegt werden. So zeige das Beispiel Japan sehr deutlich die Unhaltbarkeit der Wettbewerbsargumentation: Japan habe in den 70er Jahren ein Jahrzehnt gewaltiger Umweltanstrengungen hinter sich, und wie alle Welt wisse, sei die Konkurrenzfähigkeit der japanischen Wirtschaft in dieser Zeit gestiegen.

Aus der kritischen Durchsicht der Anti-Umweltschutz-Argumente leitet Wicke die Forderung ab, durch eine wesentliche Verstärkung der Umweltschutz­anstrengungen mit einem marktorientierten Einsatz erhöhter Aufwendungen die derzeitigen Umweltschäden über einen Zehn-Jahreszeitraum drastisch zu vermindern. An diesem Punkt nennt Wicke eine der seiner Ansicht nach wichtigsten Ursachen der Umweltzerstörung: das Gewinn- und Eigennutzstreben. Die Ursachenanalyse der Umweltzerstörung ergebe in markt- und planwirtschaftlichen Systemen das gleiche Bild: "Das (in planwirtschaftlichen Systemen gebremste) Gewinn- und Eigennutzstreben sorgt via Streben nach Kostensenkung und Gewinnerhöhung bzw. Planerfüllung und Prämiensteigerung dafür, daß der 'homo oeconomicus' in beiden Systemen in der Regel mehr Umweltschutz vermeiden will". 

Die zuletzt genannte These (S.155) wird an einem Beispiel illustriert, das den geringen Beitrag zeige, den der einzelne zur Umweltverbesserung beitragen könne: "Derjenige, der auf die Benutzung des Autos verzichtet, verliert bei ungünstigen Verkehrsbedingungen vielleicht zwei Stunden Freizeit am Tag, er reduziert aber den Schadstoffausstoß der Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik z.B. nur um ein Zwanzigmillionstel." 

Aus ökologischer Sicht sei daher die Forderung nach einem Einspannen der Haupttriebfeder des marktwirtschaftlichen Systems - dem Streben nach hohem Gewinn und hohem Konsumnutzen - für den Umweltschutz zu erheben, die sich in dem Slogan "Umweltschutz durch Eigennutz" (S.153) zusammenfassen lasse.

Zur Verwirklichung dieses Postulates sei "keine umweltpolitische Revolution" (S.168) erforderlich, sondern ein Konzept für mehr Markt im Umwelt­schutz, das über die Mobilisierung des Eigeninteresses zu mehr Umweltschutz führe, langfristig die Wachstumschancen erhöhe und das Vertrauen in das System der sozialen Marktwirtschaft stärke. Bei Realisierung der Aktivierung des Eigeninteresses aller Verbrauchergruppen zum Kauf umweltfreundlicherer Güter sowie einer verbesserten Umweltkontrolle und verschärfter Haftung bei umweltgefährdender Produktion werde sich innerhalb einer sehr kurzen Zeit eine gewaltige umweltfreundliche Umstrukturierung der Wirtschaft ergeben. 

Zur Realisierung eines solchen "grünen Wirtschaftswunders" (S.234) macht Wicke eine Reihe von detaillierten Vorschlägen, die er in einem Programm mit dem Titel "Umwelt, Markt und Arbeit" (S.235-241) zur Diskussion stellt. Im Vergleich zum von Wicke gern zitierten sozialen Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeuschland der 50er-Jahre handele es sich beim grünen Wirtschaftswunder um "eine relativ leicht lösbare Aufgabe" (S.170). 

Dennoch konstatiert Wicke am Ende des Buches, daß trotz wichtiger und sehr kostenaufwendiger umweltpolitischer Verbesserungen die Anstrengungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichen würden, um den nachfolgenden Generationen eine Umwelt "in einem ausreichenden Umfang zu bewahren" (S.253). Die Gründe für die Diskrepanz zwischen politischer Ankündigung und politischem Willen auf der einen und der Nichtrealisierung dieser Vorstellung auf der anderen Seite seien in der tatsächlichen Opposition der Wirtschaft gegen wirkungsvolle Aktivitäten sowie in einem geringem Engagement der gesetzes- und verordnungsvorbereitenden Verwaltung für solche Lösungen zu suchen.

Während das Buch "Die ökologischen Milliarden" (1986) sich an ein breites Publikum wendet und in seiner Darstellungsform trotz eines rationalen Impetus auch emotionale Züge trägt, versucht das Lehrbuch "Umweltökonomie" (1989) auf der Basis einer systematischen Gliederung des umwelt­ökonomischen Gesamtkomplexes (mit Hilfe vieler Beispiele aus der umweltpolitischen Praxis) die wichtigsten umweltökonomischen Problemkreise sachlich und verständlich zu analysieren. 

Das Buch beginnt mit einer Aufgabenbeschreibung der Umweltökonomie im Rahmen der Umweltpolitik und erläutert die Ausgangs­tatbestände für die Durchführung einer effizienten Umweltpolitik. Im Mittelteil werden Möglichkeiten zur Verwirklichung umweltpolitischer Ziele mit Hilfe von umwelt­politischen Instrumenten im Rahmen gesamtwirtschaftlicher Ziele und der zentralen umweltpolitischen Frage "Umweltschutz und/oder Wirtschaftswachstum?" (S.495ff) diskutiert. Unter der Prämisse, daß sich Umweltschutz und Wirtschaftswachstum langfristig bedingen, werden abschließend einige Ansatzpunkte für eine rationalere Umweltpolitik vorgestellt.

Die Gesamttendenz des Lehrbuches entspricht den Ergebnissen, die sich auch unter dem Titel "Die ökologischen Milliarden" wiederfinden. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Demokratisch organisierte Staaten mit einer 'Sozialen Marktwirtschaft' wie die der Bundesrepublik Deutschland haben sowohl von der materiellen Basis als auch von der umweltpolitisch-instrumentellen Seite her gute Voraussetzungen, ihre Umweltprobleme erfolgreich zu lösen, und es sind durchaus schon Erfolge zu verzeichnen. Diese wären aber wesentlich größer, wenn der politische Durchsetzungswille noch stärker vorhanden wäre und die Umweltpolitik entschiedener und mit wirksameren (effizienteren), insbesondere stärker marktorientierten, das Eigeninteresse am stärkeren Umweltschutz aktivierenden umweltschutzpolitischen Instrumenten durchgesetzt würde. Die soziale Marktwirtschaft würde auf diese Weise zur Öko-Sozialen Marktwirtschaft weiterentwickelt. (im Vorwort)

Die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer weltweiten erfolgreichen Lösung der Umweltprobleme beurteilt der Autor jedoch insbesondere angesichts der in den <unterentwickelten> Staaten dominierenden Probleme der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse nach Nahrung und menschenwürdigem Wohnen pessimistisch:

"Ohne eine schnellstmögliche gemeinsame Aktion aller Staaten, bei der gleichzeitig die Probleme der Bevölkerungsentwicklung, der Nahrungs- und der Energie­versorgung sowie der Umweltprobleme energisch und wirksam angegangen werden (...), besteht die Gefahr einer gravierenden Bedrohung der Menschheit". (Wicke 1989, VII).

 

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