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2.  Zwei Flecken auf einem Fels

 

 

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Es ist leicht, einen Hund und einen Felsen zu betrachten und zu dem Schluß zu kommen, daß der eine lebendig ist und der andere nicht. Es ist sehr viel schwerer, zwei Flecken auf einem Fels zu vergleichen und zu dem gleichen Schluß zu kommen. Und doch kann der eine Fleck anorganisch und dem übrigen Felsen sehr ähnlich sein, während der andere vielleicht eine primitive Pflanzenform, wie eine Flechte, darstellt, die sich aus den gleichen Chemikalien zusammen­setzt wie ein Hund.

Die Art der Fleckengruppe hat eine enorme Bedeutung, auch wenn sie noch nicht eindeutig bestimmt ist. 1976 setzten im Rahmen des Viking-Projekts zwei unbemannte Landefahrzeuge auf der Oberfläche des Mars auf und versuchten mit verschiedenen Mitteln zu bestimmen, ob es dort Leben gibt. Die Kameras, mit denen sie ausgerüstet waren, stellten die direkteste Methode dar, Leben festzustellen. Was man bisher über die Oberfläche des Mars wußte, war so kärglich und unvollständig, daß selbst das Vorhandensein von Tieren bis zu einer Größe von Eisbären nicht ausgeschlossen werden konnte.

Die Kameras zeigten nichts, was sich bewegte, auch keine offenkundigen Hinweise auf das Vorhandensein von Leben. Dr. Gilbert Levin, ein Mitglied des Viking-Forschungsteams, ließ sich jedoch nicht so schnell entmutigen und sah sich die Fotos ganz genau an. Er entdeckte, daß das Gestein in der Nähe eines der Landefahrzeuge grüne Flecken aufwies, die Ähnlichkeit mit den Flechten auf der Erde hatten. 

Flechten, die eigentlich eine Art Mittelding zwischen Algen und Pilzen sind, gehören zu den anpassungsfähigsten Lebensformen auf der Erde. Sie können an kalten, unwirtlichen Orten überleben, etwa auf Berggipfeln und in der Antarktis. Sie ruhen, wenn die Umstände schlecht sind, und bersten vor Leben, sobald Sonne und Feuchtigkeit zurückkehren. Sollten irgendwelche bekannten Lebensformen auf dem Mars zu finden sein, gehören Flechten zu den wahrschein­lichsten Kandidaten.

Leider ist die Untersuchung auf diesem Stand stehengeblieben, weil keine Proben der Flecken zu Analyse­zwecken mitgebracht werden konnten. Wir müssen warten, bis die Erforschung der Marsoberfläche eines fernen Tages wieder aufgenommen wird, wenn wir mehr über die Art dieser Flecken erfahren wollen. Wenn wir eine Probe dieses Materials zur Erde bringen könnten, gäbe es kaum Schwierigkeiten, sie zu bestimmen. Unter dem Mikroskop zeigen Flechten charakteristische Zellen und Filamente, während Minerale im allgemeinen ein ganz anderes Bild abgeben. Eine chemische Analyse würde sogar noch eindeutigere Ergebnisse bringen. Bestimmte Atome und Moleküle sind typisch für das Lebende auf der Erde, und im Gestein sind ganz andere vorhanden. Diese Untersuchungen leiten sich aus unserer langen Erfahrung sowohl mit Flechten wie mit Mineralen her, erfassen jedoch nicht den wesentlichen Unterschied zwischen lebender Schöpfung und nichtlebender Materie. Doch gerade diesen Unterschied müssen wir zur Gänze erkunden, wenn wir erklären wollen, wie das eine möglicherweise aus dem anderen entstanden ist.

Kehren wir zu unserem ersten Vergleich zwischen Hund und Fels zurück, und betrachten wir den Aufbau, weniger das Lebenselement. Der Körper des Hunds läßt sich in mehrere Teile zerlegen: etwa in Kopf, Beine, Rumpf und Schwanz. Gestein zeigt normalerweise keinen derartig offensichtlichen Aufbau. Und selbst wenn wir ein unregelmäßiges Exemplar mit eindeutigen Unterteilungen ausmachen könnten, wäre diese Gestaltung doch rein zufällig. Andere Hunde haben die gleichen Körperteile wie der zuerst von uns betrachtete, Steine jedoch haben keine derartigen Gemeinsamkeiten.

Das Innere eines Hunds ist ebenfalls klar gegliedert. Die verschiedenen Organe haben alle ihren speziellen Platz. Diese Gliederung setzt sich nach unten fort auf kleinere und immer kleinere Bausteine. Die Organe bestehen aus Gewebe, das seinerseits aus Zellen besteht. Die Zellen wiederum setzen sich ihrerseits aus ganz charakteristischen Teilen zusammen. Im Gestein gibt es keine derartige Reihenfolge klar umrissener Gliederungs­stufen.

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Die Evolutionstheorie besagt, daß die höheren Gliederungsebenen des Lebens sich aus den niedrigeren entwickelt haben. Wir werden sehen, daß die ältesten in Versteinerungen gefundenen Zellen einfach waren. Man nimmt allgemein an, daß komplexere Zellen erst später in der Evolution auftauchten und aus vielen Zellen bestehende Organismen noch später.

Der Ursprung des Lebens hat demnach zu tun mit dem Aufbau der untersten Ebenen, mit Molekülen und Zellbausteinen. Wir müssen lernen, wie das Leben auf diesen Ebenen heute funktioniert, bevor wir untersuchen können, wie diese Situation sich zum ersten Mal ergeben hat. Wir unterbrechen hier, um diese submikroskopische Welt zu erforschen.

 

Die Welt des Kogol 

 

Es ist schwierig, aber nicht unmöglich zu veranschaulichen, wie sich die Größe einer Zelle oder eines Atoms im Vergleich zu Gegenständen aus dem Alltagsleben verhält. Wir wollen das mit Hilfe einer imaginären Vorrichtung tun, die wir kogol nennen, was für »kosmischer Größen-ordnungs/ift« steht. Während ein normaler Aufzug uns in ein höheres oder tieferes Stockwerk bringt, scheint kogol uns größenmäßig wachsen oder schrumpfen zu lassen. Wir betreten den Lift auf der Ebene o, dem Erdgeschoß, und können Knöpfe von i bis 25 drücken, um nach oben zu kommen, oder Knöpfe von -1 bis -15, um in tiefere Ebenen zu gelangen. Jede positive Zahl steigert unsere sichtbare Größe um das Zehnfache der jeweils vorangehenden Stufe, während jede negative Zahl unsere Körpergröße entsprechend verkleinert im Vergleich zur Stufe darüber.

Würden wir beispielsweise den Knopf 1 drücken und zur ersten Ebene hinauffahren, erschienen wir zehnmal größer als wir normalerweise sind. Betrüge unsere Normalgröße 180 Zentimeter, würden wir danach in eine Welt hinaustreten, in der wir offenbar 18 Meter groß wären. Menschen würden uns gerade bis zur Wade reichen, und Bäume kämen uns wie Sträucher vor. Würden wir dagegen den Knopf 2 drücken, würden wir nach dem Aussteigen feststellen, daß wir die Größe eines Wolkenkratzers erreicht hätten.

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Die mathematisch Vorgebildeten werden vielleicht bemerkt haben, daß die Zahl auf den Knöpfen im KOGOL die Zehnerpotenz darstellt, mit der unsere sichtbare Größe multipliziert wird. Auf der zweiten Ebene wären wir also i o2 oder i oomal so groß wie normal.

Die Größen, die wir erreichen, sind eine Täuschung. Die Naturgesetze erlauben uns nicht, unser Leben in einer breitgefächerten Größenskala zu führen und wie üblich unseren Geschäften nachzugehen, ungeachtet der Liliputaner und Brobdingnager von Jonathan Swift. Wenn unsere Körpergröße beispielsweise um das Zehnfache stiege, würde die Körperoberfläche um etwas das Hundertfache zunehmen und unser Gewicht, die Gesamtmenge des Fleischs, um das Tausendfache. Die durch die körperliche Betätigung erzeugte Wärme würde proportional zum Gewicht steigen, aber uns stände nicht genug Oberfläche zur Verfügung, um sie abzuleiten. Wir würden sehr bald bei lebendigem Leib gebraten. Vorher wären wir zu Boden gedrückt worden. Die Kraft unserer Beine wäre um das Zehnfache im Vergleich zu ihrem Querschnitt gestiegen, was jedoch unzureichend wäre und sie nicht in die Lage versetzen würde, uns zu tragen.

kogol wird am besten als eine Reihe von Modellen gesehen, die geschickt entworfen wurde, um wiederzugeben, wie die Welt aussehen könnte, wenn wir unsere Größe verändern könnten. Die Ebenen könnte man sich vorstellen oder auch tatsächlich auf verschiedenen Stockwerken eines Museums errichten; erreichen würde man sie mit einem normalen Aufzug mit den entsprechenden Bezeichnungen. Bei unserer Suche nach dem Ursprung des Lebens brauchen wir nicht die Ebenen über dem Erdgeschoß, sondern die darunter. Beginnen wir unsere Erkundung und betrachten dieses Buch. Es mißt geschlossen etwa 14 mal Z2 mal 3 cm. Drücken wir den Knopf 1 des Kogol, und betrachten wir es erneut. Es ist zu einer Platte mit den Ausmaßen etwa eines großen Bettes geworden.

Für unsere weiteren Ausflüge wollen wir das Buch aufschlagen. Konzentrieren wir uns auf irgendein »i« auf dieser Seite und drücken den Knopf -3. Unsere Körpergröße ist auf ein Tausendstel ihres normalen Werts geschrumpft, wenn wir aus dem Aufzug treten; wir sind so groß wie das »i« — ohne den Punkt. Wir könnten uns gerade auf das »i« legen. Der i-Punkt selbst wäre ein schwarzer Fleck von 30 Zentimeter Durchmesser, der Größe eines Papierkorbs an der Oberseite. Die gesamte Seite, auf der wir stünden, würde eine Fläche von drei Wohnblocks in der Länge und zwei in der Breite bedecken, genug, um einen großen öffentlichen Platz abzugeben.

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Wenn wir an den Rand gingen und hinunterschauten, säßen wir oben auf einem Felsen von der Höhe eines sechsgeschossigen Gebäudes. Der Blick seitlich auf den Felsen würde dem auf die Seite eines Teppichstapels ähneln. Jeder »Teppich«, eine Seite dieses Buches, wäre etwa 6 cm dick. Auch die Oberfläche der Seite, auf der wir stünden, gliche eher einem Teppich als einem glatten Blatt, wiese verwobene Fäden, Kanäle und leicht sichtbare Vertiefungen auf.

Wir unternehmen diesen Ausflug nicht, um die Kunst des Büchermachens zu studieren, sondern als Teil der Suche nach dem Ursprung des Lebens. Um unser Verständnis vom Leben zu schärfen, legen wir das Modell eines einfachen Organismus auf den i-Punkt, ein Pantoffeltierchen. Im wirklichen Leben bewohnen Pantoffeltierchen allerdings eher Süßwasserteiche als Buchseiten. In unserem Modell hat es etwa die Größe unserer Hand und nimmt ungefähr den halben Punkt ein. Bei genauerem Hinsehen können wir erkennen, daß es die Form einer gedrungenen Zigarre hat und mit Hunderten kleiner, haarähnlicher Gebilde bedeckt ist, seinen Wimpern. Auf einer Seite hat es eine Öffnung zum Einstrudeln der Nahrung.

Die Nahrung des Pantoffeltierchens besteht häufig aus Bakterien, winzigen Organismen, die zu den kleinsten gehören, die auf diesem Planeten leben. Sie kommen auch in diesem Modell vor und befinden sich in der Nähe des »Mundes« des Pantoffeltierchens. Auch auf der Ebene -3 des KOGOL sind sie noch sehr klein, etwa in der Größe eines gedruckten »o« in unserem Alltag.

Die Zelle, ein mit Flüssigkeit gefüllter und von einer Membrane umgebener Einschluß, ist eine Grundeinheit in der Biologie. Unser Körper besteht aus mehreren Billionen Zellen. Die beiden Geschöpfe, die wir untersucht haben, bestehen jeweils aus einer einzigen Zelle, trotz ihrer unterschiedlichen Größe. Jedes hat scheinbar sehr viel mehr mit dem jeweils anderen gemein als mit uns, und doch ordnet ein grundlegendes Einteilungsschema in der Biologie das Pantoffeltierchen der gleichen Gruppe zu wie uns, den sogenannten Eukaryoten. Aber wir sind keineswegs allein mit ihm, sondern teilen uns mit fast allem, was lebt und uns vertraut ist, in die Gruppe, von der Ananas bis zum Zebra. Die andere Klasse, die Prokaryoten, umfaßt vor allem die Bakterien und Blaualgen. Die Grundlage dieser Unterteilung ist der komplexe Bauplan der einzelnen Zellen. Die Merkmale, die uns mit einem Pantoffeltierchen

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verbinden, kann man erkennen, wenn wir ein Modell einer typischen menschlichen Zelle auf der Ebene -3 auf diese Buchseite legen und sowohl das Pantoffeltierchen wie diese Zelle von innen erleuchten, so daß man das Innere sieht.

Die menschliche Zelle hätte die Größe einer Münze, wäre kleiner als das Pantoffeltierchen und hätte weder Wimpern noch Mundöffnung. Beide Zellen würden jedoch einen markanten Innenraum aufweisen, den sogenannten Nukleus oder Zellkern. Außerdem besäßen beide eine verwirrende Vielfalt von Säckchen, Röhren und anderen Gebilden, die sogenannten Organellen. Die Modelle würden sehr viele innere Einzelheiten und eine Menge Ähnlichkeiten erkennen lassen.

Die Bakterien sind für eine Untersuchung auf der Ebene -3 zu klein, so daß wir wieder den KOGOL besteigen müssen. Wir drücken den Knopf -6 und steigen auf dem Punkt des »i« aus. Wir haben jetzt ein Millionstel unserer normalen Größe, während der i-Punkt auf der Ebene -3 seine Ausmaße um 1000 vergrößert hat. Er hat jetzt einen Durchmesser von etwa 330 m, die Größe eines kleinen Sees, wohingegen der Hauptteil des Buchstabens »i« sich nun über 1,75 km erstreckt. Der Seitenrand ist viele Kilometer entfernt . Ein Ausflug dorthin, ja nicht einmal ein kleiner Abstecher in die Umgebung des i-Punkts würde uns Spaß machen, da das Gelände ziemlich zerklüftet geworden ist. Dicke Fasern aus Papier, einer Chemikalie mit dem Namen Zellulose, türmen sich über uns auf, und unter uns drohen tiefe Spalten und Krater. Wir beschränken unsere Erkundungen auf die allernächste Nachbarschaft, ein einzelnes Bakterium. Wir betrachten die Welt aus der Perspektive eines Bakteriums.

Das Bakterium ähnelt einem abgerundeten Zylinder von 2 m Länge und 1 m Dicke. Das Pantoffeltierchen würde dagegen wie ein Ungetüm wirken und hätte die Ausmaße eines kleinen Kriegsschiffs. Sechs peitschenähnliche Fäden, die Plasmageißeln, ragen aus dem Bakterium heraus, jeder länger als dessen Körper, wenn auch nicht dicker als ein Finger. Sie dienen der Fortbewegung.

Wir haben unser Bakterienmodell mit einer Innenbeleuchtung ausgestattet, die wir einschalten können, wenn wir sein Innenleben untersuchen wollen. Dabei sollten wir jedoch anmerken, daß die kleineren Einzelheiten in einem echten Bakterium mit normalem Licht nicht mehr untersucht werden können, nicht einmal mit einem Mikroskop. Das sichtbare Licht kann Gegenstände unterhalb einer bestimmten Größe nicht auflösen. Die Wissenschaftler haben die Feinstruktur der Bakterien mit Hilfe einer andersartigen Beleuchtung und eines besonderen Geräts erforscht, mit dem Elektronenmikroskop.

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Unser Modell bereitet keine derartigen Schwierigkeiten. Wir können erkennen, daß ein festes, netzartiges Material, die Zellwand, das Bakterium umgibt; darunter liegt eine weichere Schicht, die Zellmembran. Die Geißeln sind durch ein hakenartiges Ende, das einige Stäbchen und Ringe enthält, mit diesen Umhüllungen verbunden. Das Innere des Bakteriums ist relativ komplex aufgebaut, wenn auch nicht so komplex wie ein Pantoffeltierchen oder eine menschliche Zelle. Eine der Organellen des Pantoffeltierchens oder der menschlichen Zelle würde ein ganzes Bakterium ausfüllen. Das Bakterium hat auch keinen Nukleus, doch sind einfachere Strukturen zu erkennen. Winzige Kugeln von der Größe kleiner Münzen sind über die Flüssigkeit in dem Organismus verteilt, in einigen Fällen verbunden durch einen Faden. Diese sogenannten Ribosomen finden sich in allen Zellen. Ein weiteres Merkmal unseres Modells ist ein an der Innenseite der Zellmembran befestigtes Gebilde, das einer in vielen Windungen um einen Kern gewickelten Schnur ähnelt. Dieses Gebilde, das bakterielle Chromosom, enthält eine Chemikalie, die DNA.

Diese Zellbausteine, die selbst dann noch von bescheidener Größe sind, wenn man sie auf der Ebene -3 unseres kogol betrachtet, stellen noch nicht die unterste Organisationsstufe des Lebens dar. Sie sind aus besonderen Molekülen aufgebaut, die auf ganz spezielle Art angeordnet sind. Diese Moleküle ihrerseits entstehen durch die besondere Verbindung bestimmter Atome. Wir müssen daher unsere Untersuchung über den Aufbau des Lebens auf der Ebene der Atome beginnen.

 

Ein Universum aus Atomen

 

Religiöse Fundamentalisten beetreiten die Evolutionstheorie, und die amerikanische Fiat Earth Society zweifelt sogar die Kugelgestalt unseres Planeten an; aber soviel ich weiß, gibt es keine Vereinigung, die die Atomtheorie der Materie ablehnt. Alle, die Wissenschaft betreiben, stimmen darin überein, daß Atome existieren und die Eigenschaften der Materie bestimmen, auch wenn sie so klein sind, daß man sie nicht direkt oder mit dem Mikroskop betrachten kann.

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In unserem Kogol-Modell können wir sie jedoch sehen. Wir befinden uns auf der Ebene -6, auf der der Punkt eines »i« die Ausmaße eines kleinen Sees hat. Wenn wir irgend etwas aus unserer Umgebung ganz genau untersuchen würden, eine Zellulosefaser aus dem Papier, einen Druckfarbenfleck oder eine Bakteriengeißel, fänden wir, daß es körnig beschaffen wäre wie Sand am Strand oder ein Foto in einer Zeitung. Die für unsere Augen kaum wahrnehmbaren Körner wären Atome. Es wäre sehr beschwerlich, die auf das Bakterium entfallende Anzahl festzustellen, denn sie beläuft sich auf etwa 200 Millionen dieser Körner. Die Unterschiede in der Art der vorhandenen Atome und ihre Anordnung sind verantwortlich für die Eigenschaften, durch die sich Papier, Druckfarbe und ein Bakterium voneinander unterscheiden. Zur Erforschung dieser Unterschiede wollen wir unsere Fahrt mit dem kogol unterbrechen und ein weiteres fiktives Gerät zu Hilfe nehmen, den Atomwolf.

Im Gegensatz zu unserem wundersamen Fahrstuhl hat das neue Gerät ein Gegenstück in der realen Welt. Die Chemiker können jede Substanz nehmen und, durch Anwendung verschiedener Verfahren und Einsatz einiger Instrumente, die darin enthaltenen Arten der Atome bestimmen. Wir wollen den Ablauf in dieser Darstellung beschleunigen und verwenden daher ein Gerät, das alles schluckt und im Nu die relative Anzahl der in dem Stoff enthaltenen Atome bis auf ein halbes Prozent genau angibt.

Atome spielen in einem Gegenstand etwa die gleiche Rolle wie Buchstaben in einem gedruckten Text. Für ein gedrucktes Buch werden rund 80 Symbole verwendet. Es gibt 2.9 Groß- und 30 Kleinbuchstaben, 10 Zahlzeichen und rund ein Dutzend gängige Satzzeichen. Das Universum enthält über einhundert verschiedene Atome, einige vom Menschen künstlich hergestellt und so kurzlebig, daß sie von untergeordneter Bedeutung sind. In einer lebenden Sprache ist die Anordnung von Symbolen (wir nennen sie ab sofort Buchstaben) zu Worten wichtiger als die Gesamthäufigkeit eines bestimmten Buchstabens. Dieses Buch, ein aktueller Bestseller und die Bibel enthalten den Buchstaben »s« oder »e« wahrscheinlich ähnlich oft. Sollten sie voneinander abweichen, wird das kaum in irgendeiner bedeutsamen Weise mit dem Inhalt des betreffenden Buchs zusammenhängen. Wenn jedoch wirkliche Gegenstände untersucht werden, sind sowohl die Arten der vorhandenen Atome wie auch ihre Anordnung von Bedeutung. Wir können das jetzt mit Hilfe des Atomwolfs veranschaulichen.

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Als erstes wollen wir Luft in die Maschine strömen lassen. Sie surrt und tuckert und druckt dann aus: Stickstoff 77%, Sauerstoff 21%, Wasserstoff 1%, Argon 0,4%, andere Atome nur in geringen Mengen. Nur vier von etwa einhundert möglichen Atomen sind in größerem Umfang vorhanden. Auch die Anordnung der Atome in der Luft ist einfach. Um das zu verdeutlichen, wollen wir uns zum Vergleich wieder der Sprache bedienen. Buchstaben werden zu Worten angeordnet, während Atome durch chemische Bindungen zu Molekülen zusammengefügt werden. Worte haben selten mehr als zwanzig Buchstaben, doch Moleküle meist eine sehr große Anzahl Atome. In der Luft sind jedoch nur einfache Moleküle in größerem Umfang vorhanden, was Worten aus ein, zwei oder drei Buchstaben entspräche. Argon ist einatomig. Es gehört zur Gruppe der sogenannten Edelgase. Sie bilden keine Verbindungen und treten nicht zu Molekülen zusammen. Sauerstoffatome verhalten sich ähnlich. Wasserstoffatome bestehen zusammen mit Sauerstoff, im Verhältnis 2:1, und bilden ein Molekül, dessen chemische Darstellung H2O ist, das wir jedoch besser unter der Bezeichnung Wasser kennen.

Eine Anmerkung muß noch gemacht werden, um die Leichtigkeit der Luft zu erklären. Die verschiedenen Moleküle in der Luft ballen sich nicht zusammen, sondern sind weit voneinander getrennt. Als Analogie denke man an ein Buch mit nur wenigen, auf jeder Seite verstreuten Buchstaben.

Um unsere Untersuchung fortzusetzen, schütten wir als nächstes etwas Wasser in unserem Atomwolf. Sofort druckt er aus: Wasserstoff 67%, Sauerstoff 3 3 %. Die Zusammensetzung von flüssigem Wasser ist die gleiche wie die des Wassers in der Luft. Ein Stückchen Eis, das man in den Wolf werfen würde, ergäbe das gleiche Ergebnis. Festes und flüssiges Wasser unterscheiden sich insoweit vom gasförmigen Zustand, als ihre Moleküle dicht beieinander sind, nicht weit auseinander, wie in der Luft. Um den Unterschied zwischen fest und flüssig zu erklären, gebrauchen wir jedoch besser ein anderes Bild und betrachten eine Gruppe Einzelpersonen. Der flüssige Zustand ähnelt einer überfüllten Tanzfläche, auf der sich die Tänzer bewegen und aneinander vorbeischieben. Zur Verdeutlichung des festen Zustands stelle man sich ein vollbesetztes Theater vor, in dem die einzelnen Personen zwar auch dicht beieinander sitzen, aber an Ort und Stelle bleiben.

Als nächstes wollen wir eine Bakterienprobe untersuchen, um zu se-

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