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5. Resümee

 

 

99-102

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war, die Entstehung, Entwicklung und Wirkung der alternativen Gruppen in Zwickau im Kontext der jeweiligen kirchen­politischen Rahmenbedingungen zu untersuchen.

Um die Handlungs­spielräume von Kirche und Gruppen ausloten zu können, mußte jedoch zunächst der Kontext der staatlichen Strukturen ausgeleuchtet werden.

Daraus ergaben sich die folgenden Grundaussagen zum praktischen Funktionieren des Herrschaftssystems der DDR in Kirchenfragen: In den politischen Strukturen des DDR-Staates waren von der zentralen Führungsebene bis auf Kreisebene eigene Arbeitsbereiche angelegt, deren Aufgabe es war, den Einfluß der Kirche in der Gesellschaft zu kontrollieren und zurückzudrängen. Allein das drückt bereits das Wesen der staatlichen Kirchenpolitik aus. Zu keiner Zeit versuchte die Staats- und Parteiführung Impulse, die von der Kirche ausgingen, als Faktoren möglicher positiver Prägung für die DDR-Gesellschaft zu begreifen und für ihre Interessen nutzbar zu machen. 

Die Betrachtung der Kirche als Gegner änderte sich auch nach dem Grundsatzgespräch von 1978 nicht. Entsprechend eröffnete die äußerliche Anerkennung der Kirchen als gesellschaftliche Größe ein Doppelspiel, zwischen 'vertrauensvollem' Gespräch und geheimdienstlicher Manipulation. Die staatlichen Interessen sollten auf allen Ebenen über loyale kirchliche Amtsträger in die Kirche implementiert werden, um sie zu spalten und dadurch zu schwächen. Die alternativen Initiativen aus dem kirchlichen Raum wurden als Hebel für diese <innerkirchliche Differenzierung> angesetzt.

Konzeptionell basierte die staatliche Kirchenpolitik auf dem Prinzip des Informationsvorsprungs. Totale Überwachung erbrachte dem Staat einen Informations­vorsprung, der ihm die Zeit für das Zustandekommen und Umsetzen einer zentralen Entscheidung einräumte. Zugleich kam der Staat so in die Offensive, aus der heraus er in der Lage war, allein durch Präventivmaßnahmen Entwicklungen frühzeitig zu beeinflussen und Eskalationen zu verhindern, zum Beispiel durch taktische Begünstigung oder aber Drohung mit Entzug der zugebilligten Position als gesellschaftlich anerkannter Größe.

In diesem System spielten Kreis- und Bezirksfunktionäre die Rolle von Weisungs- und Informations­übermittlern. Strukturbedingt wurde ihnen keine Bedeutung als politischen Persönlichkeiten zugemessen, entsprechend war in ihren Positionen auch kein Handlungsspielraum vorgesehen. Nichts läßt in Zwickau als auch im Bezirk Karl-Marx-Stadt darauf schließen, daß es dort Versuche gegeben hätte, solche Freiräume zu erringen; durchweg funktionierte der Bezirk im Sinne der SED vorbildlich.


Noch am 26. Oktober 1989 berichtete die Staatssicherheit über die allgemeine Stimmung, es würde "argumentiert, im Bezirk Karl-Marx-Stadt würden Partei- und Staatsfunktionäre vielfach nur zaghaft und nicht wie in Berlin oder Dresden energisch den Dialog führen".374

In dem Moment, wo das nach außen vertretene Bild der staatlichen Kirchenpolitik durch Fehler unglaubwürdig geworden war, wurden auch die staatlichen Präventivmaßnahmen nicht mehr ernst genommen. Einmal in die Defensive geraten, nützte dem Staat die Information nichts mehr, zumal ein zentraler Fehler systembedingt sogleich zu einem Prestigeverlust auf allen Ebenen führte und in dieser Verunsicherung Folgefehler nach sich zog. Diese Zusammenhänge verdeutlichten sich ausgehend von den Ereignissen um die Berliner Zionskirche, die sofort zu einer analogen Konstellation, wenn auch nicht in gleicher Schärfe, mit dem <Markt der Möglichkeiten> auch in Zwickau führten, bis hin zu den Auseinandersetzungen um das Neue Forum. So entstand auf staatlicher Seite letztlich wie allerorts, so auch in Zwickau „der absurde Kontrast zwischen vollständiger Informiertheit und realer Handlungunfähigkeit".375

 

Der Blick, den die Arbeit auf die Rolle der Evangelischen Kirche in der Auseinandersetzung mit den Gruppen in den 80er Jahren eröffnet, läßt sich nur differenziert betrachten. Allgemeingültig läßt sich allenfalls feststellen, daß der Amtskirche durch die direkte Gesprächsbeziehung zum Staat nach 1978 zunehmend die Wortführerfunktion in gesellschaftlichen Alternativen von ihrer Basis abgenommen wurde und sie dementsprechend in eine Vermittlerposition geriet. Dies verdeutlichte die kirchliche Auseinandersetzung mit dem Sozialen Friedensdienst.

Da in der Ämterhierarchie der Evangelischen Kirche aber, im völligen Gegensatz zu den beschriebenen staatlichen Strukturen, dem einzelnen Amtsträger in seinem Verantwortungsbereich ein ausgesprochen hoher persönlicher Handlungsspielraum eingeräumt wurde, können im folgenden nur Aussagen über die Ephorie Zwickau getroffen werden. Gerade in diesem Handlungsspielraum liegt jedoch, wie an den Persönlichkeiten sowohl des Zwickauer Superintendenten Mieth als auch des Dompfarrers Käbisch wirkungsvoll zu sehen war, ein beträchtlicher Teil der Eigenheit eines Ortes im Verhältnis von Staat, Kirche und Gruppen begründet. 

 

374)  Archiv der Friedensbibliothek, Stasi-Akte „Information über das weitere Betreiben der sogenannten Friedensbibliothek...", hier: Information vom 27.10.1989. 

375)  Rüddenklau, Wolfgang, Störenfried, Berlin 1992, S.360.

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Daß die staatliche Strategie, die Kirche an dem Konflikt mit den alternativen Gruppen aufzuspalten und aufzureiben in Zwickau nicht zur Wirkung kam, obwohl das außerordentliche sozial-alternative Engagement eines einzelnen Pfarrers oft genug auf die Skepsis seiner Amtskollegen und auch weiter Gemeindekreise stieß, ist im wesentlichen auf die Vermittlerautorität des Superintendenten zurückzuführen.

Zwischen Gruppen und Gemeinden, Pfarrern und Pfarrern, Kirchenleitung und alternativer Basis erwirkte Mieth eine Balance, die letzten Endes auch den Freiraum für das vielfältige Engagement der alternativen Gruppen gewährte.

Auch in den Gruppen kam den kirchlichen Mitarbeitern eine besondere Vermittlerrolle zu: Sie schlugen die Brücke zwischen sozialem Anliegen und kirchlichem Bezug, sie brachten in Kritik und Engagement die Dimension christlicher Verantwortung ein.

 

Als ein Charakteristikum der Zwickauer Gruppenkonstellation war zu bemerken, daß alle unterschied­lichen Gruppierungen in einem kirchlichen Bezug standen. Dies erklärt sich aus dem jeweiligen Entstehungs­zusammenhang der einzelnen Gruppen: So war schon das erste alternative Engagement von der kirchlichen sozial-diakonischen offenen Jugendarbeit ausgegangen, aus ihr war nicht nur eine breite alternative Jugend­kultur entstanden, sondern auch eine Gruppenarbeit hervorgegangen, die sich in verschiedenen Arbeits­bereichen mit innergesellschaftliche Tabuthemen beschäftigte. 

Ein zweiter Schwerpunkt hatte sich aus dem Engagement von Domkirchner und Dompfarrer gebildet und neben den bestehenden, das für Zwickau besonders drängende Thema der Umweltbelastung zum Gegenstand kirchlich alternativer Auseinandersetzung gemacht. Ein dritter Schwerpunkt schließlich, der des konziliaren Prozesses, war wieder durch einen kirchlichen Mitarbeiter, diesmal einen Laien initiiert worden. Auch wenn alle diese Schwerpunkte bei weitem nicht nur kirchlich gebundene Interessierte ansprachen, so waren die Initiativen doch in allen Fällen von engagierten Christen ausgegangen, die alle ihr gesellschaftliches Engagement als Ausdruck einer christlichen Verantwortung begriffen, dies auch weitervermittelten und darin bewußt in ihrer Person einen Bezug zur Kirche herstellten.

Mit der Herausbildung der verschiedenen Schwerpunkte vollzog sich zugleich eine Entwicklung, in der das Bewußtsein von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen wuchs, für die in verschiedenen Phasen verschiedene Ausprägungen charakteristisch waren. Für die erste Phase, die Herausbildung einer <Jugendszene>, war dies zunächst die Entstehung eine Stimmung, die in einem alternativen Lebensstil ihren Ausdruck fand. In der zweiten Phase entstanden aus dieser Stimmung konkrete Initiativen, diese standen in direktem Zusammenhang mit den persönlichen Lebensproblemen der Gruppenmitglieder. In der dritten Phase rückten mit der Friedens- und Umweltproblematik äußere Lebensrisiken in der Blick, in der vierten, der des konziliaren Prozesses, wurde der größere Kontext, die Vernetzung, zum Wesensmerkmal der neuen Etappe.

Diese Phasen gingen durchaus nicht monokausal auseinander hervor oder lösten sich glatt ab, vielmehr überlappten und überlagerten sie sich und hatten doch ihre spezifische Eigenheit. Gemeinsam war diesen Gruppen, daß sie alle wesentlich von markanten Einzelpersonen geprägt waren, daß sie untereinander eine starke Solidargemeinschaft bildeten und daß sie alle soziale Veränderungen bewirken wollten, ohne dabei den Sozialismus als Gesellschaftsentwurf in Frage stellen zu wollen.

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Ende

 

 

 

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Katja Schlichtenbrede - Alternative Gruppen in Zwickau  in den 80er Jahren im Spannungsfeld  von Staat und Kirche - 1999