Martha Schad

Stalins Tochter

Das Leben der 
Swetlana Allilujewa 

 

2004 im Lübbe-Verlag 

2013 Herbig
Neuausgabe mit 270 Seiten

 

2004    320 Seiten

 

wikipedia Swetlana Allilujewa *1926
in Moskau bis 2011 in Wisconsin (85) 

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Beate Ulbricht  (Ulbrichts Tochter) 

Juri Slezkine - Das Haus der Regierung 

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Swetlana und Berija

 

 

 

Die Historikerin Martha Schad zeichnet das spannungsreiche Leben der Swetlana Allilujewa nach, die heute völlig zurückgezogen im Westen lebt, und deren Autobiografie vor drei Jahrzehnten eine Persönlichkeit im Zwiespalt zwischen Tochterliebe und Zeitzeugenschaft zeigte. Das Lebensdrama einer Frau auf der Suche nach sich selbst. 

 

Swetlana war Stalins einzige Tochter. Sie liebte ihren Vater bedingungslos, bis sie als junge Erwachsene die Unmenschlichkeit des Sowjetdiktators erkannte. Beschämt harrte sie in Russland aus, bis ihr 1967, inmitten des Kalten Krieges, die Flucht in die USA gelang – ein Ereignis, das weltweit für Schlagzeilen sorgte. 1984 trieb es sie, jedoch nur für kurze Zeit, zurück in ihre Heimat. Desillusioniert zog sie danach für einige Jahre nach England, um sich schließlich wieder in den USA niederzulassen. Dort verstarb sie 2011, vereinsamt und völlig verarmt.

Anhand von Dokumenten, Zeitzeugenberichten und langen Gesprächen mit Stalins Tochter zeichnet die Historikerin Martha Schad den ebenso tragischen wie außergewöhnlichen Lebensweg der Swetlana Allilujewa nach, der es nicht gelang, aus dem Schatten ihres übermächtigen Vaters herauszutreten. Ein einfühlsames Porträt und ein packendes Stück gelebter Zeitgeschichte

 

Autorin

Dr. phil. Martha Schad, geb. in München, hat an der Universität Augsburg Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Sie arbeitet als freiberufliche Historikerin und Autorin. Bei Langen Müller erschien "Kaiserin Elisabeth und ihre Töchter" (1998), das in einem Jahr fünf Auflagen erlebte. 1999 folgte "Das Tagebuch der Marie Valerie", der Lieblingstochter von Kaiserin Elisabeth.

 

"Martha Schad, eifrig in den Bildarchiven hoher und höchster Familien recherchierende Historikerin..." Welt am Sonntag

 

Inhalt

Der Tod des Vaters 9
Swetlanas Mutter Nadeschda 17
Der Tod der Mutter 39
Vater und Tochter sind ein Herz und eine Seele 58
Die erste und tragische Liebe 69
Swetlanas Ehemänner in Russland 81
Swetlanas Freunde und Familie 95
Stalins Terror gegen die eigene Familie 105
Jahre der Selbstbefreiung  (112)
Die Reise nach Indien 117
Zwischenaufenthalt in Europa 135
Die Neue Welt - Amerika 153
Die Schriftstellerin Swetlana Allilujewa 168
Der amerikanische Ehemann Wesley W. Peters 180
Meine Tochter ist so amerikanisch wie Apple-Pie 200
Die Rückkehr der verlorenen Tochter 210
Swetlana Allilujewa, die Weltbürgerin 224

Ein Blick zurück 233

Anhang 244
Danksagung 244
Anmerkungen 246
Literaturverzeichnis 262
Personenregister 266

 


Verlag

In die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat niemand nachhaltiger eingegriffen als Adolf Hitler und Joseph Stalin. Hitler blieb ohne Nachkommen, Stalin seinerseits hatte drei Söhne und eine Tochter.

Swetlana, die "Lichtgestalt" gewann die ganze Liebe ihres Vaters, bis sie als Heranwachsende die Unmenschlichkeit des Sowjetdiktators erkannte, der selbst vor seiner eigenen Verwandtschaft nicht Halt machte. Verzweifelt beging seine zweite Frau Nadeshda Selbstmord. 

Einer nach dem anderen aus Stalins Nähe verschwand in Sibirien oder wurde erschossen. Stalin starb 1953; vier Jahre später legte Swetlana den Vaternamen Stalin ab und nannte sich nach ihrer Mutter Allilujewa - ein entscheidender Schritt ihrer Emanzipation. 

1967 gelang ihr die Flucht aus der Sowjetunion, zunächst nach Indien und schließlich über die Schweiz in die USA - ein aufsehenerregendes Geschehen, das weltweit für Schlagzeilen sorgte. Ein wechselvolles Leben begann für Swetlana in der Neuen Welt. Eine neue Liebe versprach ihr neues Glück: sie heiratete Lesley W. Peters, den verwitweten Schwiegersohn und Mitarbeiter des berühmten Architekten George Lloyd Wright. Nach zwei Jahren war alles vorbei, doch sie blieb mit ihrer Tochter Olga in den USA. 

Aus Sehnsucht nach ihren anderen Kindern kehrte sie für kurze Zeit in die Sowjetunion zurück. Gorbatschow ermöglichte ihr die erneute Ausreise. Heute lebt Swetlana zurückgezogen in einem kleinen Ort des amerikanischen Südens. 

Martha Schad ist dem ungewöhnlichen Schicksal der Stalinstochter in gründlichen Recherchen nachgegangen. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen wird der Lebensweg jener Frau nachgezeichnet, die einmal Stalins "kleiner Spatz" war. Durch Gespräche mit Verwandten Swetlanas sowie dem Stalin-Biographen Edward Radzinskij, die die Autorin in Moskau führen konnte, gewinnt die Biographie unmittelbare Authentizität. So entstand die erste Lebensbeschreibung von Swetlana Allilujewa in deutscher Sprache - ein spannend zu lesendes, interessantes Buch.

 

Aus Wikipedia 2019

 

Wie die meisten Kinder der sowjetischen Nomenklatura wurde Swetlana Stalina von Kindermädchen erzogen, von denen sie Deutsch als erste Fremdsprache lernte. Sie sah ihre Eltern nur gelegentlich. Ihre Mutter Nadeschda Allilujewa starb am 9. November 1932, als Swetlana Stalina sechs, ihr Bruder Wassili Stalin elf Jahre alt war. Der Tod der Mutter wurde offiziell als Folge einer Blinddarmentzündung dargestellt. Andere Theorien sehen einen Suizid, einen Mord im Auftrag Stalins oder durch seine Hand als Ursache. Swetlana berichtete in ihren Memoiren von einem Suizid.[2]

Mit 16 Jahren verliebte Swetlana Stalina sich in den jüdischen Filmemacher Alexei Kapler (15. September 1904 bis 11. September 1979), Stalinpreisträger 1941. Ihr Vater wandte sich vehement gegen die Beziehung des Mädchens zu dem mehr als 21 Jahre älteren Mann, der, wie Stalin vermutete, durch sie den Aufstieg suchte. Swetlana Stalina führte die Verbannung Kaplers im Jahr 1944 auf die Judenfeindlichkeit ihres Vaters zurück. Sie studierte Literaturwissenschaft und amerikanische Geschichte.[3] Im Alter von 17 Jahren verliebte sie sich in ihren Kommilitonen an der Universität Moskau (und früheren Mitschüler ihres Bruders Wassili Stalin) Grigori Morosow (1921–2001), der wie Alexei Kapler ebenfalls Jude war. Josef Stalin gestattete widerwillig die Heirat, erklärte aber, er wolle den Bräutigam niemals treffen. 1945 wurde der Sohn Iossif Allilujew geboren. 1947 ließ sich das Ehepaar scheiden. Grigori Morosow war später Professor am MGIMO und der Sohn wurde bekannter Kardiologe. Beide wurden in ihren Fachgebieten als Verdiente Wissenschaftler der RSFSR ausgezeichnet.

Swetlana Stalinas zweiter Ehemann war der Philosoph und Chemiker Juri Schdanow (1919–2006), Sohn des Politbüro-Mitglieds Andrei Schdanow. Sie heirateten 1949 und bekamen 1950 eine Tochter, Jekaterina. Die Ehe wurde im Herbst 1952 geschieden.

Nach dem Tod ihres Vaters im März 1953 nahm Swetlana Stalina den Nachnamen ihrer Mutter an und nannte sich Swetlana Allilujewa. In Moskau arbeitete sie als Lehrerin und Übersetzerin.

Die dritte Ehe, die von Swetlana Allilujewas Nichte Galja und ihrer Freundin Eleonora Mikojan bezeugt wird, ging Swetlana Allilujewa mit Iwan Alexandrowitsch Swanidse (genannt Dschoni, Dschonik, Dschonrid nach John Reed, dem Autor des Buches über die Oktoberrevolution) ein. Seine Eltern waren die Opernsängerin Marija Swanidse (geb. Korona) und der Historiker Alexander Swanidse, der Bruder von Stalins erster Ehefrau Ketewan Swanidse, genannt Kato. Nach der Tötung der Eltern 1941 wuchs er bei deren früherer Haushälterin auf, die ihn aufnahm. Diese Ehe wurde von Allilujewa selbst nie erwähnt und es ist nicht bekannt, ob Kinder aus ihr hervorgingen.

Von Ende der 1950er Jahre an arbeitete sie als Literaturwissenschaftlerin im Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau. Laut ihrer autobiografischen Aufzeichnungen verteidigte sie dort auf Parteiversammlungen regimekritische Werke von Ilja Ehrenburg und Andrei Sinjawski, fand dafür aber keine Mehrheit unter den Mitarbeitern des Instituts. Auch las sie dort die verbotenen Werke Leo Trotzkis über ihren Vater, die ebenfalls in der Sowjetunion nie publizierte Kritik Maxim Gorkis am blutigen Kulturkampf der Bolschewiken (Unzeitgemäßen Gedanken zu Kultur und Revolution) sowie das Original des Berichts über die Oktoberrevolution von John Reed (Zehn Tage, die die Welt erschütterten), in der ihr Vater entgegen späteren sowjetischen Ausgaben überhaupt nicht erwähnt ist. Heimlich ließ sie sich in dieser Zeit auch ihrer eigenen Darstellung zufolge russisch-orthodox taufen.[4]

 

Swetlana in New York City (1967) Im Dezember 1966 durfte sie erstmals ins Ausland reisen, nach Indien. Sie hatte in einem Sanatorium einen älteren indischen Kommunisten kennengelernt, der zur Behandlung in die Sowjetunion gekommen war. Nach ihrer Darstellung verliebten sich beide ineinander, doch Premierminister Alexei Kossygin persönlich erklärte ihr, dass sie keine Genehmigung der Behörden für eine Heirat, geschweige denn Übersiedlung ins Ausland bekomme. Als der bereits schwer kranke Inder noch in der Sowjetunion starb, bekam sie jedoch im Dezember 1966 die Genehmigung, seine Familie zu besuchen. Außenminister Andrei Gromyko ordnete ihre Überwachung durch die sowjetische Botschaft in Delhi an.[5] Zwei Tage vor dem geplanten Rückflug gelang es ihr am 6. März 1967, sich ihren Aufpassern zu entziehen. Sie meldete sich bei der US-Botschaft in Neu-Delhi und bat um Asyl. Über Rom wurde sie zunächst unter dem Namen „Miss Carlen“ in die Schweiz[6] gebracht. Sie verlangte, den amerikanischen Diplomaten George F. Kennan zu sprechen, dessen Namen sie aus der sowjetischen Presse kannte; er war als scharfer Kritiker des Regimes Stalins immer wieder angegriffen worden. Nach sechs Wochen an einem geheimgehaltenen Ort im Kanton Freiburg in der Schweiz flog sie in die USA und kam zunächst auf dem Landsitz Kennans unter. Sie freundete sich mit ihm und seiner Familie an.[7] Sie erhielt den Status einer einfachen Einwanderin.

In den USA verfasste sie zwei autobiografische Bücher, die in amerikanischen Verlagen erschienen und Bestseller wurden. Sie wurden in viele Sprachen übersetzt, waren aber in der Sowjetunion verboten.[8] In dem Band „Only one year“ gab sie ihrem Vater die Verantwortung für die Ermordung der kriegsgefangenen polnischen Offiziere im Wald von Katyn im Frühjahr 1940 und stellte die Frage, ob er deshalb Gewissensbisse gehabt habe.[9]

Swetlana (1970) 1970 heiratete sie in vierter Ehe den Architekten William Wesley Peters (1912–1991), mit dem sie 1971 eine Tochter, Olga, bekam. 1973 wurde das Ehepaar geschieden.[10]

1982 zog sie mit der Tochter nach Cambridge. 1984 kehrte sie in die Sowjetunion zurück und lebte mehrere Jahre in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Mit ihren georgischen Verwandten kam es bald zu einer heftigen Fehde.[10] 1986 schickte sie ihre 15-jährige Tochter Olga in den Westen zurück. Die Tochter besuchte in Großbritannien eine Schule in Saffron Walden bei Cambridge.

Ende der 1980er Jahre zog Swetlana Allilujewa in das Vereinigte Königreich. Nach eigenen Angaben war sie 1990 verarmt und lebte mit ihrer Tochter in einem gemieteten Haus in Bristol.[10] 1996 wechselte Swetlana wieder in die USA. Sie nahm den Nachnamen ihres Ex-Ehemannes Peters an. Zuletzt lebte sie als Lana Peters in einem Altenheim in Richland Center, Wisconsin,[11] unweit ihres zeitweiligen früheren Wohnsitzes mit Peters, der dort bis zu seinem Tod Vorsitzender der Frank Lloyd Wright Foundation in dessen Sommersitz Taliesin war.

 

Auszug:

Besuch bei Stalins Tochter

von Martha Schad  in: Cicero 4/2005

 

Sie war Stalins geliebte Tochter - und litt doch ihr ganzes Leben darunter, Kind des Diktators zu sein. Seit ihrer Flucht aus der Sowjetunion lebt Swetlana Allilujewa unter neuem Namen beim einstigen Klassenfeind USA. Ein Besuch in einem Altenheim in Wisconsin.

Mit der Erinnerung an den Sieg im "Großen Vaterländischen Krieg" erlebt Josef Stalin eine ungeahnte Renaissance. Die Feierlichkeiten am 9. Mai 2005 zeigten Stalins Veteranen mit stolz geschwellter, ordenbehangener Brust, denen die ganze Welt ihren Respekt zollt für ihren heldenhaften Kampf gegen den Nationalsozialismus. Eine Frau hätte an dieser Feier ebenfalls teilnehmen können: Swetlana Allilujewa, Stalins Tochter. Ihr Schicksal war es, in eine Familie und eine Zeit hineingeboren zu sein, die als die Ära eines der schlimmsten Despoten der Geschichte Russlands gilt. 

Doch Swetlana Stalina Allilujewa gelang es, aus dem Käfig auszubrechen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen, wenn auch spät, mit Rückschlägen, Momenten der Verzweiflung, großer Unruhe, aber auch mit grenzenlosem Glück. Nach ihrer spektakulären Flucht aus der Sowjetunion in den 60 Jahren über Indien in die USA, der Veröffentlichung ihrer Bücher "Zwanzig Briefe an einen Freund" und "Das erste Jahr" ist es still um sie geworden. Seit Jahren gibt sie keine Interviews mehr. Nach jahrelanger Recherche gelang es mir dennoch, im vergangenen Jahr herauszufinden, wo sie heute lebt.

Ich traf also mit Stalins Tochter zusammen, einer kleinen Dame, 79 Jahre alt, deren Verstand hellwach ist, deren immer noch strahlend blaue Augen blitzten und die mich mit großer Herzlichkeit und Humor empfing. Unter dem Namen ihres geschiedenen amerikanischen Ehemannes lebt Lana Peters in einem Altersheim im US-Bundesstaat Wisconsin. Sie wirkt mit ihrem jetzigen Leben ganz zufrieden. Ihr Geist ist rege, sie spricht ein sehr gepflegtes Englisch, ist humor- und temperamentvoll.

Von Gestalt ist sie sehr klein, was man nicht erwartet, wenn man sie von Fotos kennt. Sie erinnert sich gerne daran, dass sie bereits mit vier Jahren deutsche Kindergedichte auswendig konnte. Ihr Wunsch war es, einmal dorthin zu reisen, woher ihre Urgroßmutter Maria Margaretha Aichholz stammte, nach Wolfsölden bei Backnang in Württemberg. Auf ihre deutschen Wurzeln ist sie immer noch sehr stolz. Ansonsten sieht sie ihre Wurzeln in Georgien, nicht in Russland. Sie sagt: "Das beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe, war, die UdSSR zu verlassen."

 

Drei Tage durfte ich mit ihr verbringen, sie fotografieren, auch filmen. Doch das Wichtigste waren die stundenlangen Gespräche, Fragen, die sie mir bereitwillig beantwortete - zumindest solange man ihren Vater nicht erwähnte.

Als kleines rothaariges Mädchen, das sehr Stalins Mutter glich, liebte sie ihren Vater. 

Die Loyalität erlebte Brüche, als die Heranwachsende mitbekam, dass ihr Vater telefonisch den Mord eines großen Schauspielers anordnet und dieser ihn als Autounfall vertuschen ließ. 

Den Selbstmord ihrer Mutter empfindet sie heute gänzlich anders als sie dies zuvor in ihren Büchern beschrieben hatte. Bisher bedauerte sie ihre Mutter, dass diese mit dem Leben an der Seite ihres despotischen Vaters nicht zurechtkam. Heute empfindet sie eine große Wut auf ihre Mutter, die ihre beiden Kinder und ihren Ehemann im Stich gelassen habe.

Der Selbstmord war für alle schrecklich. "Für ihre Eltern, ihren Mann, schwer für ihre Kinder, und es war eine Katastrophe für das ganze Land, wie man später sah." Ihr Vater ließ damals alles entfernen, was an seine Frau erinnerte und lebte fortan nicht mehr im Kreml. Die Betreuung Swetlana und ihres Bruders übernahm der Staatssicherheitsdienst. Das Ausmaß an Brutalität den eigenen Familienmitgliedern gegenüber, die plötzlich zu "Feinden des Volkes" geworden waren, sieht Swetlana im engen Zusammenhang mit dem Selbstmord ihrer Mutter. Er nannte Sie "Kleiner Spatz".

Als ich den Schriftsteller Aleksej Kapler erwähne, strahlt Swetlana: Ihre erste große Liebe, vom Vater brutal zerstört. Aus Trotz heiratet sie den Studenten Grigorij Morosow, einen Juden wie Kapler. Unter ihrem Vater entstand der Antisemitismus auf neuer Grundlage, vor allem in der Partei. "Mein Vater unterstützte den Antisemitismus nicht nur, er hat ihn selbst hervor gebracht." Kaplers Schicksal war schrecklich - in seinem Judenhass ließ Stalin ihn zehn Jahre lang einsperren. Ihre zweite Ehe ging Svetlana auf Wunsch ihres Vaters mit Jurij Schdanow ein, Sohn von Stalins berüchtigtem Stellvertreter. In der ersten Ehe wurde der Sohn Josef (heute Arzt in Moskau), in der zweiten Ehe die Tochter Katja (Meeresbiologin in Sibirien) geboren. Auch diese Ehe wurde bald wieder geschieden.

Svetlana kann ihrem Vater viel verzeihen, nicht aber die Tatsache, dass er Mitglieder seiner eigenen Familie einsperren und umbringen ließ. Ich hatte immer versucht herauszufinden, wieviel sie von dem Leid in der eigenen Familie wusste. Heute sagt sie, dass alle in der Familie ihrer Mutter und der Familie von Stalins erster Frau im Bild gewesen seien. Dass sie tagelang weinte, weil wieder eine geliebte Tante plötzlich wie vom Erdboden verschwunden war, das habe ihren Vater nicht interessiert. Sein Morden sei fürchterlich gewesen.

DER TOD IHRES VATERS markierte den großen Einschnitt in Swetlanas Leben. Sie sah ihn sehr realistisch, beobachtete, wie ihn nach und nach alles Menschliche verließ und er immer mehr zu einem finsteren Monument seiner selbst wurde. "Das Sterben des Vaters war furchtbar und schwer", sagt Swetlana. Als sie endlich zu ihrem schwerkranken Vater vorgelassen wurde, hielt sie seine Hand und hoffte, dass er sie noch erkennen würde. "Und dann tat er mir sehr leid. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich keine gute Tochter gewesen war. Und dieser hilflose alte Mann war mein Vater, der mich einmal geliebt hatte." Swetlana, ihr Sohn Josef, ihre Nichte Galja sowie ihr Bruder Wassilij nahmen an der aufwendigen Beerdigung teil. Nur noch ein einziges Mal besuchte Stalins Tochter die Ruhestätte ihres Vaters im Mausoleum, nie war sie später an der Kreml-Mauer, wohin ihr Vater 1961 umgebettet werden musste, nachdem er durch die Entstalinisierung seinen Glorienschein verloren hatte.

Das heutige Geschehen in der Sowjetunion interessiert sie kaum noch. Bis heute schätzt sie Nikita Chruschtschow. Als dieser auf dem XX. Parteitag der KPdSU im April 1956 in einer dramatischen Sondersitzung die ungeheuerlichen Gräueltaten Stalins in einer eindrücklichen Rede anprangerte, kannte Swetlana diese schon.

Chruschtschow hatte sein Manuskript am Tag zuvor Stalins Tochter zum Lesen gegeben - er wollte ihr den Schock ersparen und verhindern, dass sie Verbrechen des Vaters aus der Zeitung erfuhr. 

In der unter Chruschtschow einsetzenden Heimkehrerwelle kamen viele "wunderbaren Frauen" zurück, die Swetlana kannte. "Niemand von ihnen sah mich schräg an, oh, das ist die Stalin Tochter, lasst uns einen großen Bogen um sie machen. Niemand beschuldigte mich, dass ich irgendeine Beziehung zur Politik gehabt hätte." 

Aus ihrem Mund hört man nie das Wort Gefängnis, Lager oder Konzentrationslager. Wenn sie erzählt, wer alles während der Schreckensherrschaft ihres Vaters inhaftiert wurde, spricht sie stets von "Exil".

Spricht man Svetlana direkt auf ihren Vater an, sagt sie: "Erwähnen Sie seinen Namen nicht. Lassen Sie meinen Vater in Frieden ruhen."

Als ich doch immer wieder seinen Namen erwähne, beginnt sie laut zu schreien und heftig zu gestikulieren: "Fragen Sie mich nie, nie, nie wieder nach meinem Vater."

 

  

 

 

guter Lesebericht

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-7732 

2006 von Andreas Oberende, betreut durch Jörg Barbarowski

 

 

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