Eugen und Wolfgang

Ruge

Historische Gegenwartsromane aus der Sowjetunion

2010 - Lenin, Vorgänger Stalins - Wolfgang Ruge - Bing.Buch  - DNB.Buch

2011- In Zeiten des abnehmenden Lichts (Roman)- Eugen Ruge - Bing.Buch DNB.Buch

2012 - Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion -  Wolfgang Ruge Bing.Buch  DNB.Buch

2019 - Metropol (Hotel in Moskau)-- Eugen Ruge - Bing.Buch DNB.Buch

wikipedia Wolf  Ruge  *1917 in Berlin bis 2006 (89)

wikipedia Eugen Ruge *1954 bei Swerdlowsk

 

detopia:

R.htm    Kommbuch 

Sterbejahr    Pankowbuch

 

Petruschewskaja     Slezkine     Wolkogonow

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Audio:

Audio 2019 MDR 30min Interview mit Autor  (!)

mdr  lesezeit-eugen-ruge-metropol 

Audio 2019 dlf 10min mp3  über Metropol

Audio 2012 Bartels dlf  

Audio 2012 Baag dlf  

amazon.de/Metropol-Eugen-Ruge 

deutschlandfunk.de/eugen-ruge-metropol-grand-hotel-angst   2019

 


Zum Leninbuch

Klappentext

Lenin ein Fanatiker und Putschist, ein Visionär und Held? 

Wolfgang Ruge geht in dieser außergewöhnlichen politischen Biografie dem Phänomen Lenin nach, zeigt ihn in seiner Widersprüchlichkeit und trifft damit nicht nur die persönliche Tragik des Revolutionärs, sondern die Tragik der sozialen Revolution überhaupt. 

Ruge zeigt, wie ein ursprünglich auf die Befreiung der arbeitenden Klassen gerichteter Vorsatz unter konkreten historischen Bedingungen immer unkenntlicher wird und schließlich in eine unvorstellbar opferreiche, repressive Herrschaftspraxis mündet. Ruge zieht eine Bilanz auch seiner eigenen Lebensträume und Irrwege mit beinahe zerstörerischer Rücksichtslosigkeit.

 

 

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.01.2011 

Rezensent Jörg Baberowski zeigt sich beeindruckt von dieser Lenin-Biografie des 2006 verstorbenen Historikers Wolfgang Ruge. Aus dem Werk spricht für ihn Enttäuschung über Lenin und Schonungslosigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Begründer der Sowjetunion.

Nichtsdestoweniger sieht er darin mehr als die "wütende Abrechnung" eines ehemaligen Kommunisten, der den sowjetischen Terror am eigenen Leib erfahren hat. Die Ausführungen und Interpretationen Ruges scheinen ihm allesamt erhellend. 

Besonders deutlich wird für ihn der Kontrast zwischen der Wirklichkeit der frühen Sowjetunion und den Ideen in den Schriften Lenins, der sich in seinem Handeln als Überzeugungstäter, Gewalt- und Machtmensch erwiesen habe.

 


Zu:  Gelobtes Land

17.01.2012, Besprochen von Gerrit Bartels
dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1653551

 

"Gelobtes Land" ist ein ergreifendes Buch, bei aller sprachlichen Nüchternheit. Der 2006 verstorbene DDR-Historiker Wolfgang Ruge hat mit den Erinnerungen an seine Zeit in Moskau und in sibirischen Lagern ein Dokument darüber geschaffen, wie der Sozialismus seine eigenen Kinder gefressen hat.

Es ist einer der letzten Augusttage des Jahres 1933, an dem sich Wolfgang Ruge und sein Bruder Walter von Berlin aus auf dem Weg nach Moskau machen. Ihre getrennt lebenden Eltern, beide überzeugte Kommunisten, haben ihnen dazu geraten. Die Mutter hat Beziehungen zur kommunistischen Internationale, der Vater, ein Lehrer, der mit der Machtergreifung der Nazis entlassen worden war, ist schon in Moskau.

Die Brüder wollen, so schreibt es der 2006 verstorbene Wolfgang Ruge in "Gelobtes Land" explizit nicht aus Hitler-Deutschland fliehen, sondern im "Staat der Werktätigen" "am Aufbau einer neuen Gesellschaft mithelfen".

Doch in Moskau kommt alles anders: Die Brüder sind größtenteils auf sich allein gestellt, sie verlieren sich aus den Augen. Schon 1934 beginnt sich das gesellschaftliche Klima unter Stalin zu verhärten, die Repressionen nehmen zu.

Wolfgang, der keinen Schulabschluss hat, arbeitet als Zeichner und Kartograf, wechselt mehrmals die Wohnung, übernachtet einmal auch wochenlang in einem Nachtzug. 1941 wird er, er hat inzwischen die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen, als "Deutschländer" nach Kasachstan ausgewiesen. Schlimme, beschwerliche Jahre in der sibirischen Verbannung folgen, stets in der Gefahr, an Hunger, Kälte, der beschwerlichen Forstarbeit oder Krankheiten zu sterben.

Ruge berichtet davon in seinen Erinnerungen gewissenhaft, detailliert, anschaulich, zum Teil distanziert, abgeklärt - und ernüchtert: Er bleibt Marxist, glaubt an den Sozialismus aber nicht mehr in der Form, in der er diesen unter Stalin erlebt hat.

Die Zeit in der Sowjetunion ist traumatisch für den späteren DDR-Historiker. Viele Jahre dauert es, bis er sich an die Niederschrift seiner Erlebnisse machen konnte. Außerdem, so gibt sein Sohn im Nachwort zu bedenken, hätte dieses Buch nicht in der DDR veröffentlicht werden können.

Insofern ist die Entstehungsgeschichte von "Gelobtes Land" eine komplizierte. Ruge begann nach seiner Emeritierung an einer umfangreichen Familiengeschichte, die 13 Bände umfassen sollte. "Gelobtes Land" besteht vor allem aus den Teilen 9-11. Es wurde in zwei Etappen geschrieben: Mitte der achtziger und Ende der neunziger Jahre, als sich bei Ruge - er ist 81 Jahre alt - erste Symptome einer Demenz-Erkrankung zeigen.

Trotzdem ist das Buch in der Form, in der es jetzt von Eugen Ruge herausgegeben wurde, ein sehr dichtes, konzentriertes Buch geworden. Die Kindheitsjahre in Berlin, die Familiengeschichte und die Moskauer Zeit bilden das höchst lesenswerte Intro.

Das nicht weniger lesenswerte Zentrum jedoch sind die Jahre in den sibirischen Lagern. Detailliert schildert Ruge die Technik des Baumfällens, den täglichen Kampf ums Überleben. Und immer wieder zeichnet er kurz die vielgestaltigen Biografien seiner deutsch-russischen Leidengenossen nach.

"Gelobtes Land" ist ein ergreifendes Buch, bei aller sprachlichen Nüchternheit. Es ist ein Dokument darüber, wie der Sozialismus seine eigenen Kinder gefressen hat.

Und es liest sich gut als Prolog und Ergänzung zu Eugen Ruges Erfolgsroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" - der literarischen Fortsetzung von Wolfgang Ruges Lebensbericht.

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Verarbeitung eines Traumas

Wolfgang Ruge: „Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion“

dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1653850

  16.01.2012    Von Robert Baag

 

2003 erschienen seine Erinnerungen unter dem Titel "Berlin-Moskau-Sosswa". Sein Sohn, der Schriftsteller Eugen Ruge, hat das Buch jetzt überarbeitet und mit einem lesenswerten Nachwort versehen.

Sein neues Leben beginnt für den 16-jährigen Wolfgang Ruge wie das nächste Kapitel in einem revolutionär-romantischen Abenteuerroman:

Dann die entscheidenden 20 oder 30 Schritte. Fasziniert starre ich auf den großen Holzbogen, der den nicht befahrenen Schienenstrang aus der alten in die neue Welt überspannte. Zwar konnte ich die fremdländischen Buchstaben nicht lesen und die Worte nicht verstehen, doch wusste ich, was dort stand: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch." Mich übermannte ein unbeschreibliches Gefühl - wie es ein religiöser Mensch beim Anblick der Jungfrau Maria empfinden mag. So betrat ich meine neue Welt.

Der kühl-abweisende Empfang durch die sowjetischen Grenzer und Zöllner jenseits der finnischen Grenze kann Ruge und seinen Bruder Walter keineswegs befremden. "Revolutionäre Wachsamkeit" ist eine Selbstverständlichkeit für die beiden begeisterten Berliner Jungkommunisten, die soeben, 1933, über Skandinavien aus Nazi-Deutschland geflohen sind.

Auch die Eltern der beiden haben in Stalins Sowjetunion vor Hitlers Gestapo Zuflucht gesucht. Sie arbeiten in der Komintern, der "Kommunistischen Internationale", mit deren Hilfe die Weltrevolution unter Moskauer Führung vorangetrieben werden soll.

Der zunächst fast harmlos, in Teilen gar kolportagehaft daherkommende Einstieg in die Autobiografie des späteren DDR-Historikers Ruge verwandelt sich rasch in eine faszinierende, oft schonungslos grausame Zeitreise, die fast ein Vierteljahrhundert umspannen wird. Sie gibt den Blick eines seit Kindertagen gläubigen Kommunisten auf die sowjetische Wirklichkeit der 30er- bis 50er-Jahre wieder, seine schnell einsetzende Ernüchterung, der aber - anders als etwa sein Vater nach dem Krieg - nicht in der Bundesrepublik leben will, sondern sich 1956 bewusst die DDR für seine Rückkehr aus der UdSSR aussucht.

 

Wie ist es Wolfgang Ruge nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR 1941 als "Germaniec", als "Deutschländer" ergangen, der - inzwischen Sowjetbürger deutscher Nationalität - das Schicksal der nach Kasachstan und Sibirien zwangsumgesiedelten und in die sogenannte "Trudarmija" buchstäblich zu Sklavenarbeit gepressten Russlanddeutschen hat teilen müssen? 

Solidarität der deutschstämmigen Häftlinge untereinander, so Ruges Erfahrung, ist keineswegs die Regel. Vor allem die knapp ein Jahrzehnt zuvor schon zwangskollektivierten wolgadeutschen Bauern - im damaligen Politsprech: "Kulaken" - schotten sich ab, ignorieren die hungernden Mitgefangenen.

Noch während des tagelangen strapaziösen Eisenbahntransports ins Arbeitslager...

... beobachte ich, wie die Ex-Kulaken sich in jeder freien Minute um die eisernen Öfchen drängeln und kochen, brutzeln und braten. Ständig essen sie Kartoffeln mit Knödeln (das ist das wolgadeutsche Nationalgericht), Fleischtaschen oder Plätzchen. So rächen sich die Opfer der "liquidierten Klasse" an uns, die sie als Nutznießer der Kollektivierung oder gar als Bannerträger kommunistischer Ideen betrachten.

Jahre später räumt Ruge einsichtsvoll ein:

Ich bleibe der "Deutschländer", ein Fremdkörper, für die meisten undurchschaubar. Sie können nicht begreifen, warum ich aus Europa, das sie mit Wohlleben und Technik identifizieren, in ihr ärmliches Land gekommen bin.

Besonders fesselnd zu lesen sind seine lakonisch gehaltenen, scharfen Beobachtungen zum Moskauer Emigrantenalltag Mitte, Ende der 30er-Jahre. Da gibt es zwar eine dünne Schicht privilegierter Politflüchtlinge, Spitzenfunktionäre der KPD wie etwa der spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht. Doch auch unter ihnen grassiert spätestens seit 1936 die Angst vor Haft, Verbannung oder Genickschuss durch Stalins Geheimpolizei NKWD.

Andrej Wyschinskij, sowjetischer Generalstaatsanwalt und enger Vertrauter des Diktators Stalin hat zuvor in den Schauprozessen gegen die alte Garde der Bolschewiki, der Freunde, Weggefährten und Gesinnungsgenossen Lenins, das Leitmotiv des sogenannten "Großen Terrors" vorgegeben:

"Verräter und Spione, die unsere Heimat dem Feind verkauft haben, sind zu erschießen wie tollwütige Hunde. Unser Volk fordert nur eins: Zerquetscht die verfluchte Natternbrut!"

Wolfgang Ruges Erinnerungen lassen den Eiseshauch spüren, die beklemmende Atmosphäre, die sich nach dem Wüten Wyschinskijs nicht nur über Moskau, sondern über das ganze Land zu legen beginnt. Hautnah erlebt Ruge die stete Ungewissheit, ob, wie und wann es auch ihn trifft.

Schließlich die jahrelange Lagerhaft im Nord-Ural als Zwangsarbeiter, als "Trudarmist": Sie hätte ihn eigentlich später - wieder in Freiheit - einen ähnlichen Weg gehen lassen können wie Wolfgang Leonhard, vier Jahre jünger als Ruge und damals ebenfalls junger kommunistischer Polit-Emigrant in Moskau: Leonhard flieht als eigentlich vielversprechender DDR-Nachwuchskader schon Ende der vierziger Jahre aus Stalins Machtbereich.

"Die Revolution frisst ihre Kinder" - hieß seine damals weltweit für Aufsehen sorgende Abrechnung mit dem Stalinismus. In der Reihe "Gedächtnis der Nation" erinnert sich Leonhard:

"Es gibt hunderte von deutschen Kommunisten, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind zur selben Zeit als ich auch da war, wo der Vater verhaftet war, Vater und Mutter, Familienmitglieder erschossen wurden. Das hat ihre politische Überzeugung nicht ins Wanken gebracht. Es hat sogar Fälle gegeben, wo nach der Wende sich frühere deutsche Kommunisten weigerten, in Interviews mitzuteilen, was sie alles in der Sowjetunion erlebt haben. Also, das ist nicht irgendeine politische Überzeugung, sondern es geht so tief wie im Mittelalter ein religiöser Glaube."

 

"Wolfgang Leonhard war Zeuge des Terrors. Wolfgang Ruge hat den Terror erlebt..."

...hebt dagegen Ruges Sohn Eugen im Nachwort hervor. Sein Vater habe nie einen Zweifel daran gelassen...,

...dass der Stalinismus ein verbrecherisches System war, (dennoch) hat er den Glauben bewahrt an eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, ohne erniedrigende Ungleichheit, ohne die Herrschaft des Geldes. (...) Gewiss, eine Veröffentlichung in der DDR war unmöglich. Und eine Veröffentlichung im anderen, westlichen Deutschland, das er bis zum Schluss als das fremde, ja sogar als das gegnerische empfand, kam für Wolfgang Ruge nicht in Frage. (...) Und wer will einen Menschen, der 15 Jahre in Lager und Verbannung zugebracht hat, verpflichten, um der Wahrheit willen weitere Repressionen auf sich zu nehmen?

 

Wolfgang Ruges Ringen mit dem Erlebten in Stalins Sowjetunion, zeitgleich mit dem Entschluss sein Leben später dennoch in einem post-stalinistischen Herrschaftssystem fortzusetzen - es wäre sicher spannend gewesen über diesen inneren Konflikt Ausführlicheres zu erfahren. Doch selbst sein Sohn kann am Ende nur mutmaßen...

...dass seine Erlebnisse nicht nur schwer oder ernüchternd waren, sondern - ich erlaube mir, dieses allzu oft gebrauchte Wort zu verwenden - traumatisch. Wolfgang Ruge hat, so glaube ich, zeitlebens nach einer angemessenen Form für die Verarbeitung seines Traumas gesucht. Und das ist der zweite Grund für die komplizierte Entstehungsgeschichte dieses im Grunde nie fertig gewordenen Buches.

Ein Buch, das zweifellos seinen würdigen Platz in der Reihe jener Literatur finden wird, die andere Zeitzeugen des Stalin'schen Terrorsystems wie etwa Alexander Solschenizyn, Varlam Shalamov, Margarete Buber-Neumann oder auch Jevgenija Ginzburg veröffentlicht haben. 

Wolfgang Ruge hat Neues dazu beigetragen, ergänzt vermeintlich schon Bekanntes um wesentliche bislang unbeachtete Details. Ruge hat ein wichtiges, ein spannendes Buch hinterlassen.

 


 

https://www.mdr.de/kultur/eugen-ruge-metropol-106.html

 

Wer bestimmt, was Wahrheit ist?

Mit seinem Debütroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" hat sich Eugen Ruge 2011 sofort in die erste Liga deutscher Schriftsteller geschrieben. Noch im selben Jahr brachte ihm das Buch gleich mehrere Preise ein, darunter den Deutschen Buchpreis. Es folgten weitere, etwas schmalere Werke und ein Band mit Theaterstücken. Nun folgt Ruges zweiter Roman, der von seiner Familie handelt, genauer gesagt von seinen Großeltern, die in den Dreißigern einige Jahre in der Sowjetunion verbracht haben, zuletzt im legendären Moskauer "Hotel Metropol".

von Bettina Baltschev, MDR KULTUR-Literaturkritikerin

Eugen Ruge

Eugen Ruges neues Buch spielt in Moskau 1936: Die deutsche Kommunistin Charlotte ist den Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Mit ihrem Mann und einer jungen Britin reist sie durch die Sowjetunion ... Bildrechte: IMAGO ? Vorlesen

Eugen Ruge wurde 1954 im Ural geboren, seine Mutter ist Russin. Wenn jetzt ein Roman erscheint, der in Moskau spielt, liegt der Gedanke nahe, dass er von ihrer Familie handelt. Doch anders als gedacht, erzählt auch Eugen Ruges neuer Roman, wie bereits "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von der Familie seinen Vaters Wolfgang Ruge. Im Zentrum der Geschichte steht diesmal dessen Mutter Charlotte. Bereits in Ruges erstem Roman hatte sie eine Rolle spielt, als überzeugte Kommunistin, die aus dem mexikanischen Exil in die DDR zurückgekehrt war. Doch – so schreibt es Eugen Ruge im Nachwort von "Metropol" – wusste er selbst lange nicht, dass Charlotte vor dem Exil in Mexiko bereits mehrere Jahre in der Sowjetunion verbracht hatte. Gemeinsam mit Wilhelm, ihrem Mann, arbeitete sie dort für die OMS, den sowjetischen Nachrichtendienst der Kommunistischen Internationalen, eine Einrichtung, die unter der Bezeichnung "Punkt 2" irgendwo auf dem Land liegt. Doch eines Tages wird das Ehepaar von dort abberufen und im Moskauer Hotel "Metropol" untergebracht. Warum, wissen sie zunächst selbst nicht genau. Dem Leser gibt das Jahr der Handlung bereits einen Hinweis: es ist 1936 und die stalinistischen Säuberungen sind im vollen Gange.

Buch "Metropol" von Eugen Ruge ?

6 min

?Die Buchvorstellung zum Hören: Bettina Baltschev über Eugen Ruges "Metropol"

 

Buch "Metropol" von Eugen Ruge

Deutsche Kommunisten im Moskau der 30er-Jahre

Buch "Metropol" von Eugen Ruge ?

Buch "Metropol" von Eugen Ruge Bildrechte: Rowohlt Das historische Panorama, das Eugen Ruge in "Metropol" zeichnet, ist weit, auch wenn die Handlung vorrangig rund um das Hotel "Metropol" stattfindet, in Hotelzimmern und Büros. Im Zentrum steht immer Charlotte Germaine, wie sich Eugen Ruges Großmutter in der Sowjetunion nennt. Flankiert wird sie jedoch von zwei weiteren eindrücklichen Figuren: Da ist Wassili Wassiljewitsch Ulrich, ein Richter und General, der im Akkord Menschen verurteilt, die ins Visier Stalins geraten sind. In der Regel sind es Todesurteile, die Wassili Wassiljewitsch nicht davon abhalten, in seiner Freizeit Schmetterlinge zu sammeln und unglücklich verheiratet zu sein. Und dann ist da noch Hilde Tal, eine Lettin, ebenfalls Kommunistin, die Charlotte und Wilhelm denunziert, vermutlich um ihr eigenes Leben zu retten. Es kommt allerdings anders, denn sie wird von Wassili Wassiljewitsch zum Tode verurteilt, während sich Charlotte und Wilhelm nach Paris und später nach Mexiko retten können.

Eugen Ruge widmet Charlotte Germaine, Wassili Wassiljewitsch Ulrich und Hilde Tal je eigene die Kapitel seines Romans und lässt deren Wege sich immer wieder kreuzen. Dazu kommen Dutzende weitere Personen, die ebenfalls im "Metropol" ausharren und von denen viele eines Tages einfach verschwinden. Denn das Prinzip der stalinistischen Säuberungen ist reine Willkür, die jeden jederzeit treffen kann. Warum ausgerechnet Charlotte und Wilhelm überleben, darüber kann Eugen Ruge nur mutmaßen.

Großes Thema nüchtern erzählt

Eugen Ruge protokolliert die Geschichte seiner Großeltern so nüchtern wie überzeugend. Wie bereits in seinem Erfolgsroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" lässt er die Ereignisse für sich sprechen, gibt ihnen Raum und überlässt die Bewertung seiner Figuren dem Leser. Diese Figuren sind stark und schwach zugleich, ihre Schicksale sind ambivalent und in diesem düsteren Kapitel sowjetischer Geschichte abhängig von Zufällen, Stimmungen und Launen. So denkt Wassili Wassiljewitsch Ulrich über dem Urteil von Hilde Tal darüber nach, warum er eigentlich Frauen immer in Arbeitslager schickt, obwohl in der Sowjetunion doch Gleichberechtigung herrsche. Es ist nur ein kurzer Gedanke, der für Hilde Tal jedoch das Todesurteil bedeutet und dem Leser den Atem stocken lässt.

Aktuelle Themen

Natürlich ist es ist ein biografischer Vorteil, dass Eugen Ruge aus einer sehr bewegten Familienchronik schöpfen kann. Wäre er jedoch kein ausgezeichneter Schriftsteller, würde er auch dieses Kapitel der Chronik nicht gekonnt verdichten und allgemeingültige Züge freilegen. Obwohl "Metropol" tief in der Vergangenheit spielt, in den 30er-Jahren in der Sowjetunion, denkt man bei der Lektüre die Gegenwart unwillkürlich mit. Denn das stalinistische Trauma wirkt bis heute nach, nicht nur in Russland, sondern in ganz Osteuropa. Und auch die Themen Überwachung, bewusst gestreutes Misstrauen und die Frage, wer darüber bestimmt, was Wahrheit ist, sind heute aktueller denn je. Mit "Metropol" hat Eugen Ruge ein ergreifendes, ein wichtiges Buch geschrieben.

 

 

https://www.mdr.de/kultur/themen/lesezeit-eugen-ruge-metropol-100.html

 

Lesezeit | 07.10.–01.11.2019

Ulrich Noethen liest "Metropol" von Eugen Ruge

Nach dem Erfolg von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" kehrt Eugen Ruge zur Geschichte seiner Familie zurück. Sein neues Buch führt ins Moskau der 30er-Jahre und erzählt vom Schicksal seiner Großmutter vor dem Hintergrund des Stalinschen Terrors. Bereits einen Tag vor der Buchveröffentlichung präsentiert MDR KULTUR eine Lesefassung des beeindruckenden Romans. Es liest Ulrich Noethen.

Ulrich Noethen bei den Aufnahmen zu "Die vier Himmelsrichtungen" im Hörspielstudio des MDR im März 2014

Ulrich Noethen im MDR-Hörspielstudio. Bildrechte: MDR/Marco Prosch ? Vorlesen

Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Die Hitze ist überwältigend, Stalins Strände sind schmal und steinig und die Reisenden bald beherrscht von einer Spannung, die beinahe körperlich greifbar wird. Es verbindet sie mehr als sich auf den ersten Blick erschließt: Sie sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den "Volksfeinden", denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann.

Die Lesung hören (bis 24. November 2019)

 

"Metropol" folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat. Ungeheuerlich ist der politische Terror der 1930er Jahre, aber mehr noch: was Menschen zu glauben imstande sind. "Die wahrscheinlichen Details sind erfunden", schreibt Eugen Ruge, "die unwahrscheinlichsten aber sind wahr." Und die Frau mit dem Decknamen Lotte Germaine, die am Ende jenes Sommers im berühmten Hotel Metropol einem ungewissen Schicksal entgegensieht, war seine Großmutter.

Auf den Spuren der Großmutter

Bereits in seinem großen Familienroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt Eugen Ruge von seinen Großeltern, Charlotte und ihrem zweiten Mann Wilhelm, die 1952 aus dem mexikanischen Exil in die DDR übersiedeln. Während die Großmutter oft von Mexiko sprach, schwieg sie über ihren Aufenthalt in der Sowjetunion. Nach ihrem Tod findet Ruge im Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte eine Kaderakte der Großmutter: zwei Stapel ungeordneter Papiere, Dokumente, die Auskunft geben über ihre Moskauer Zeit. Er macht daraus einen faszinierenden zeitgeschichtlichen Roman.

„Dies ist die Geschichte, die du nicht erzählt hast. Du hast sie mit ins Grab genommen. Du warst sicher, dass sie niemals wieder ans Licht kommt. Du hast dein Leben lang daran gearbeitet, sie vergessen zu machen, sie zu löschen aus deinem, aus unserem Gedächtnis. Fast ist es dir gelungen.“

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/eugen-ruge-auf-den-spuren-seiner-familie.1270.de.html?dram:article_id=321577  2015

 

 

 

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