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6    Entweder Umweltschutz oder Selbstmord in Stufen

Dr.-Ing. Hans Reimer 1971

 

Fragen, Möglichkeiten, Wünsche

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Weltverbesserer negieren gern den komplexen Zusammenhang der Dinge, überbewerten einzelne Einflußgrößen auf das Ganze, sehen allzu gern ihr Problem unzulässig isoliert. Was dabei herauskommt, sind Schwarz­weißbilder, oft genug verzerrt und überspitzt, oft aber auch geeignet, die Konturen sichtbarer zu machen - als Versuche integrierter Betrachtungen. In diesem Sinne sei es gestattet, an dieser Stelle die Umwelt durch eine vom Abfall verschmutzte Brille zu betrachten und so zu tun, als ob die kontrollierte Beseitigung der Zivilisationsüberbleibsel das Heil allein bedeute.

Abfallbewußtere Technik

Die Einordnung der Technik in unsere Welt ist bekanntlich noch lange nicht abgeschlossen. Ihre gesellschaftspolitischen Aspekte werden seit Karl Marx, ihre sozialen Auswirkungen seit Max Weber, ihre künstlerischen seit es die Technik überhaupt gibt, diskutiert. Die Literatur findet an ihr ein dankbares Objekt, und Karl Jaspers hat versucht, sie geschichts-philosophisch zu durchdenken. Sie führt ein recht gefährliches Eigenleben und hat — das bedarf keiner Erläuterung — auch eine Abfallseite.

Wenn man nun darangeht, die kontrollierte Beseitigung menschlicher Abfälle zu organisieren, stößt man bald auf die Tatsache, daß ein guter Teil dieses Kulturgutes von einer für den eigentlichen Verwendungszweck gar nicht erforderlichen Zählebigkeit ist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt drängt sich die Frage auf, ob die Technik nicht dahin gebracht werden könnte, noch weitere Randbedingungen für ihre Wucherungen zu akzeptieren. Sie hat sich doch zumindest in einigen Bereichen damit abgefunden, daß ihre Fließbänder nur noch acht Stunden am Tage und an fünf Werktagen pro Woche laufen, weil der in drei Schichten eingeteilte Mensch eigentlich keiner mehr ist, auch wenn es volkswirtschaftlich gesehen ungünstiger ist. Sie hat so zumindest für einen Teil ihres Daseins akzeptiert, daß der menschliche Rhythmus und nicht der der Maschinen den Takt anzugeben hat.

Warum sollte die Technik nicht auch dahin gebracht werden können, bei der Produktion von Konsumgütern neben Wirtschaftlichkeit und anderem mehr auch »umweltschonende Beseitigung nach Benutzung« einzuprogrammieren! Sicher sind das keine ganz leichten Eingriffe, da sie gewissermaßen die genetischen Bausteine betreffen. Wenn man heute aber schon das organische Leben fast beliebig manipulieren kann, erscheint es aber doch andererseits nicht ganz unmöglich, auch bei den Fließbandprodukten einige »Chromosomen« zu verrücken.

Nicht einmal die Zurückdrängung des unsinnigen Konsums an sich, die abfalltechnisch gesehen noch viel effektvoller wäre, wird gefordert, sondern lediglich die bessere Zerstörbarkeit der Produkte der Technik nach ihrer Verwendung. Vor einer Gängelung des manipulierten Wohlstandskonsums muß man wohl von vornherein resignieren. Vielleicht ist das die Erfüllung einer Art von Wachstumsgesetz der Technik, nach dem Entwicklung und Fortschritt nur bei progressiven Zuwachsraten möglich sind. Aber dafür, daß weggeworfene Kühlschränke, Gartenmöbel und Plastiktüten Boden- und Grundwasser wenn schon nicht vergiften, so doch in landschaftszerstörender Weise verschandeln — dafür gibt es doch keinen auch nur halbwegs einleuchtenden Grund. Der Laie stellt sich das so vor: Jedesmal, wenn in den Hirnen der Chemiker, Physiker, Ingenieure oder in den Hirnen der Fabriken — den Labors und Konstruktionssälen also — ein neuer Werkstoff, eeine neue Verarbeitungs- und Fertigungsmethode, kurz ein neues Produkt heranreift, muß ein rotes Blinklämpchen in Aktion treten und signalisieren: denk an die Abfallbeseitigung, tu es hier und jetzt!

Ist das unzumutbar? Ganz im Gegenteil. Denn in den Eierköpfen, in denen der Fortschritt einzeln und im Team gemacht wird, ist schon ein ganzes Paneel von solchen Blinkleuchten installiert. Sie leuchten für Wirtschaftlichkeit, Preiswürdigkeit, Einhaltung von Terminen, sie berücksichtigen die Konkurrenz und die Wünsche des Verkaufs, sie haben sogar ein Signal für so ein komplexes Ding wie »die Bedingungen des Marktes« eingebaut. Vielleicht sollte mal jemand in der weisen Erkenntnis, daß die Dinge am wirkungsvollsten an der Wurzel, im Entstehen selbst, beeinflußt werden können, ein Legat für »Abfallbewußte Technik« ausloben.

Nicht nur die Effizienz der Herstellung neuer Produkte, sondern auch deren Verschwinden ohne Belästigung muß als Ethik in das Bewußtsein für die Technik eingewoben werden. Leider sind noch nicht einmal Ansätze in dieser Richtung erkennbar. Die Chemie produziert fast täglich neue Kunststoffe, preist ihre Isolierfähigkeit, Härte, ihren Glanz und ihre Anschmiegsamkeit, je nachdem, was gerade daraus hergestellt werden soll.

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Leicht waschbar sind die Synthetics, aber der Lumpenhändler will sie nicht mehr haben! Wann wird es gesellschaftsfähig, kreative Betätigung auch auf die Beseitigung des Erschöpften hervorzuheben?

In Kunststoffteppiche werden seit neuestem Kupferdrähte eingewebt, um die kleinen Schläge statischer Elektrizität vom Wohlstandsbürger fernzuhalten. Wann aber wird eine »Reißleine« eingewebt, an der man nach Abnutzung des Teppichs zieht, damit sich die Molekülketten, aus denen er aufgebaut ist, zurückverwandeln in harmlose, natürliche Konfigurationen? Kann nicht eine Spraydose mit unschädlichen Treibgasen und Aerosolen ersonnen werden, die jedem Kunststoff in kürzester Zeit den Garaus macht? Und wenn es im ersten Durchgang nur ein Einschrumpeln statt einer nachhaltigen Beseitigung wäre, nur um das lästige Volumenproblem loszuwerden.

Kann nicht der Plastik-Einweg-Flasche, bevor sie demnächst im großen Stil Bier- und Cola-gefüllt ihren Weg zum Verbraucher antritt, eine winzige Dosis »Molekül-Spray« in einem geeigneten Hohlraum beigegeben werden? Wie weit denkt eigentlich der Produzent von Maschinen zur Herstellung von plastiküberzogenen Pappbechern für Milchtransport und der Fabrikant, der mit diesen Dingern erfolgreich gegen Glasflaschen antritt, an die Beseitigung der Emballagen? Ist es nicht doch überwiegend rücksichtsloses Profitstreben, wenn hygienische Gründe, Personalknappheit und weniger Ärger mit dem Leergut vorgeschoben werden?

Wer gibt dem Produzenten eigentlich das Recht, allein betriebswirtschaftlich orientiert an den Absatz seiner Produkte und nicht gleichzeitig an deren Beseitigung zu denken? Wenn schon keine Ansätze für eine abfall­bewußtere Technik zu sehen sind, so gibt es doch Beispiele dafür, daß negative Beiwirkungen auf anderen Gebieten der Massenproduktion abgestellt werden können. Die Fabrikanten von Hühnerfleisch dachten zunächst ja auch nur an die Optimierung der Fleischproduktion und mischten munter Hormone unter das Futter. Bis sie eines Tages darauf aufmerksam gemacht werden mußten, daß die Längerlebigkeit der Fleisch­konsumenten letztlich ihrem eigenen Interesse dient, auch wenn vorübergehend die Zuwachsraten des Fleischansatzes sanken. Dieses Beispiel lehrt, daß es oft nicht ohne sanfte Gewalt geht, weil Gewinnstreben nur selten mit Umweltschutz auf einen Nenner gebracht werden kann.

Hier soll - um das klar herauszustellen - nicht der Planwirtschaft das Wort geredet werden. Das Versagen der dabei unvermeidlichen Funktionärs-Hierarchien ist seit langem bekannt. Oder ist die sozialistische Gesellschaft abfallbewußter als die kapitalistische? Ganz und gar nicht. Aber ein paar gesetzlich fundierte Leitplanken im Stützkorsett der Produzentenverantwortung könnten dem Abfallbewußtsein guttun. Schließlich gibt es doch auch dafür schon Vorbilder, sogar in der Bundesrepublik Deutschland. Gemeint ist der Mineralöl-Pfennig.

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Abfallsteuern — Abfallpfennig

Ob es allerdings mit Pfennigen noch getan werden kann, ist die große Frage. Jedenfalls treibt man auf dem Mineralölsektor mit großem Erfolg die Kosten für die kontrollierte Beseitigung schon bei der Produktion ein. Warum also nicht auch bei sämtlichen anderen Stoffen, die sich nicht von selbst in Wohlgefallen auflösen? Weil es über die Preise doch wieder beim Endverbraucher landet? Das tut es doch ohnehin. Und was d:r Mehrwertsteuer recht ist, sollte dem Umweltschutz billig sein. Sozialer wäre es allemal, denn die Wohlhabenden konsumieren mehr, mögen sie also auch mehr für die Beseitigung ihrer Fossilien bezahlen. Nicht unbedingt lebensnotwendige Güter könnte man härter belasten als andere. Hier ein paar Steuersätze und -klassen:

Bei diesen Zahlenwerten ist vorausgesetzt, daß Abfuhr und Beseitigung der festen Abfälle wie heute allgemein üblich 80 bis 110 Mark pro Tonne kosten. Diese Werte gelten für mittlere und große Anlagen. Die Einnahmen aus der Abfallsteuer sind an die für die Abfallbeseitigung zuständigen Institutionen abzuführen. Gleichgültig, ob privatwirtschaftlich orientiert oder in öffentlicher Hand. Ihre Zweckbindung ist unbedingt einzuhalten. Als Verteilungsschlüssel könnte die Einwohnerzahl, die Anzahl der abfallintensiven Industrie- und Gewerbebetriebe, die zusätzliche Kurgästezahl bei saisonalen Schwankungen und vieles andere mehr berücksichtigt werden.

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Die Vorteile einer solchen Abfallsteuer wären enorm. Die finanzielle Basis der Abfallbeseitigung wäre endlich gesichert, kommunalpolitischen Manipulationen und der Tagespolitik entrückt. Ob eine Müllver­brennungs­anlage gebaut oder betrieben würde oder nicht, brauchte bei der allerdings nicht zu umgehenden Bindung dieser Mittel an den Umweltschutz nicht mehr gegen Straßenkreuzungen, Krankenhäuser, Theater oder Schwimm­paläste aufgewogen und wie heute üblich zu leicht befunden werden. Denn die wirtschaftliche Seite der Abfallmisere ist nicht zu übersehen. Daher muß parallel mit der Abfallsteuer Public Relations für Umweltschutz getrieben werden. Die PR muß nicht nur den Sinn für Umweltschutz ins Bewußtsein einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht pflanzen, sondern auch Verständnis für die Kostenseite erwecken. Denn es kostet nun einmal einiges, um seine Umwelt für sich und vor allem für seine Nachkommen freizuhalten.

Es ist aber trotz alledem vergleichsweise wenig, was da vom Wohlstand geopfert werden muß. Bei Voraussetzung der aufwendigsten Abfallbeseitigungsmethode — nämlich der Verbrennung — sind pro Kopf jährlich höchstens 65 Mark aufzuwenden. Das ist weniger als der Gegenwert einer Schachtel Zigaretten pro Woche, ein Bruchteil dessen, was der Wohlstandsbürger für Automobilismus, Fernsehen und dergleichen bereitwillig abzweigt. Dieser Betrag von 65 Mark pro Kopf und Jahr ist wie folgt errechnet (für die Beseitigung durch Verbrennen ohne Einsammlung und Abfuhr der Abfälle):

 

Hausmüll 0,30 t/cap/a 30,— DM/t 9,— DM/cap/a
Industriemüll 0,30 t/cap/a 60,— DM/t 18,— DM/cap/a
Kommunaler Klärschlamm 0,5 t/cap/a 10,— DM/t3 5,— DM/cap/a
Industrieschlamm 0,5 t/cap/a 60,— DM/t 30,— DM/cap/a
Altöl 0,015 t/cap/a 80,— DM/t 1,20 DM/cap/a
Summe    

63,20 DM/cap/a

 t/cap/a = Tonnen pro Kopf und Jahr 

detopia-2022: Die "Kubiktonne" bei Kommunaler Klärschlamm ist mir unklar.

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Freilich hat der Bürger damit nur einen Teil seiner Umwelt geschützt. Für die Bekämpfung der Gewässerverschmutzung, für die Reinhaltung der Luft und für die Abwehr von Lärm muß er auch noch an den Opferstock treten. Aber was sind schon rund 200 Mark pro Kopf und Jahr oder 12 Milliarden pro Jahr für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit einem jährlichen Brutto-Sozialprodukt von 600 Milliarden Mark? Sind uns vernünftige Lebensbedingungen nicht zwei Prozent unseres Wohlstandes wert? Allerdings würde eine allen heutigen Ansprüchen gerecht werdende Beseitigung fester, flüssiger und gasförmiger Abfallstoffe bei Nichtbeachtung vorhandener Anlagen für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mindestens zweihundert Milliarden Investitionsaufwendungen erfordern. Eine gewaltige Summe gewiß, aber doch nur ein einziges Mal 33 Prozent der jährlichen Wertschöpfung der Volkswirtschaft dieses Landes.

Viermal der Gegenwert dessen, was die sogenannte Verteidigung uns Jahr für Jahr wert ist. Wenn man aber nun weiter bedenkt, daß diese Summe mangels geeigneter Herstellungskapazitäten auf mindestens zehn Jahre verteilt werden muß, wenn man berücksichtigt, daß kurz-, mittel- und langfristige Wirtschaftspläne nicht durcheinandergebracht werden dürfen, so wird erst recht klar, daß finanzielle Gründe einer umfassenden Neuordnung der Abfallbeseitigung auf keinen Fall im Wege zu stehen brauchen. Selbst in Wahljahren kann das der Bevölkerung zugemutet werden. Drum laßt uns anfangen, hier und jetzt!

Was den Einsatz moderner Werbemethoden für die Abfallbeseitigung angeht, so sollte man sie ruhig etwas zuversichtlicher beurteilen, als dies im allgemeinen geschieht. Die schwachen Erfolge regionaler Aktionen von der Art »Frau Saubermann« müssen keineswegs beispielhaft sein. Zunächst muß einmal eine breite Öffentlichkeitsarbeit für den Umweltschutz geleistet werden. Erst dann sind gezielte Aktionen auf einzelne Mißstände angebracht. Schließlich haben Public Relations-Methoden in den USA zu einem nicht unbedeutenden Rückgang des Zigarettenrauchens und in der Bundesrepublik zu dem ebenfalls nicht zu übersehenden relativen Absinken der tödlichen Verkehrsunfälle beigetragen. Familie-Saubermann-Appelle haben ja im übrigen nicht das Problem an sich zum Inhalt. Ein paar Zigarettenschachteln am Wegesrand, Plastiktüten auf den Straßen zwischen Einkaufszentrum und Wohnung usw. sind weiß Gott kein schöner Anblick, aber die Umwelt ist ja hiervon nicht direkt bedroht. Selbst wenn solche Abfälle massiert auf Autobahnparkplätzen und den Wanderwegen touristischer Ballungszentren auftreten, so werden hiervon kaum Boden- und Grundwasser vergiftet.

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Die Öffentlichkeitsarbeit muß sich darauf erstrecken, die wirklich gravierenden und kaum wieder gutzumachenden Folgen anzuprangern. Sie muß Verständnis für die Kosten des Umweltschutzes wecken, sie muß der Bevölkerung klarmachen, daß auch Abfall Gegenstand aufwendiger wissenschaftlicher Forschung sein kann und muß.

Vorläufig ist von alledem jedoch überhaupt nichts zu registrieren. Wenn die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen zum Landtagswahlkampf 1970 eine Zeitschrift mit dem Titel Unsere Zukunft an Rhein und Ruhr herausbringt und darin das Problem des Umweltschutzes nur am Rande angesprochen ist, wird doch ganz deutlich, daß an maßgeblicher Stelle die Beschäftigung mit dem Dreck nicht als opportun angesehen wird.

Dabei brauchte sich das Land Nordrhein-Westfalen seiner Bemühungen für eine bessere Umwelt weiß Gott nicht zu schämen. Es unterhält weltberühmte wissenschaftliche Institutionen, die mit nachgewiesenem Erfolg Luft- und Gewässerverschmutzung erforschen, registrieren und bekämpfen, und es widmet sich in wahrhaft unbürokratischer Weise auch den Abfällen, die uns hier beschäftigen. Aber scheinbar ist die Unterstreichung neuer Verkehrsbauvorhaben, der allgemeinen Wirtschaftsförderung, der Bildungs- und Wohnungsbaupolitik eben viel wichtiger als die Herausstellung der gewiß beachtlichen Leistung für den Umweltschutz. Damit muß gründlich aufgeräumt werden. Die Vorsorge für die Erhaltung einer gesunden Umwelt muß von den Verantwortlichen als genauso image-fördernd wie alle anderen Probleme der modernen Industriegesellschaft angesehen und gehandhabt werden.

Überregional planen — Abfallbeseitigung als Infrastruktur

Die Umwelt, die es zu schützen gilt, kennt keine Grenzen. Sie ist wahrhaft kosmopolitisch. Die logische Folge aus dieser trivialen Feststellung wäre eine möglichst großräumige Planung bei der Abfallbekämpfung. Davon würde nicht nur die Umwelt, sondern auch die Kostenseite der Abfallbeseitigung profitieren. Die Wirklichkeit ist von dieser so leicht zu begründenden Notwendigkeit überregionalen Denkens weit entfernt. Da kochen die verschiedenen Gebietskörperschaften — Städte und Landkreise im kleinen, Bundesländer und Staaten im großen — ihr eigenes Abfallsüpplein still und jeder für sich allein — wie leicht zu verstehen meist auf Sparflamme. Da werden innerhalb einer Abfallregion die verschiedensten Abfallarten nicht rationell gemeinsam, sondern in Konkurrenz zueinander getrennt behandelt.

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Schließlich kann man nicht das Risiko einer Gemeinschaftsanlage für Haus- und Industriemüll eingehen, da so die Industrie gezwungen werden müßte, den auf sie entfallenden Kostenteil zu tragen. Die Gewerbe­steuer­zahler müssen dagegen hofiert werden, auch wenn die Umwelt darunter leidet. Und was dem einen Landkreis recht ist bei der Industrieansiedlungspolitik, ist dem anderen billig. In der Tat sind die Anforderungen an den Umweltschutz oft von entscheidender Bedeutung für Industrieansiedlungen. Als vor einigen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland das Land Nordrhein-Westfalen daranging, nicht nur einen »blauen Himmel« zu versprechen, sondern dieses Vorhaben auch schrittweise zu verwirklichen, wichen einige besonders üble Umweltbeeinflusser in andere Bundesländer aus. Als man daraufhin versuchte, diese Dinge überregional, das heißt auf Bundesebene zu ordnen, öffneten die EWG-Nachbarstaaten bereitwillig ihre Grenzen für deutsche Schmutzproduzenten. Andererseits wird in den USA, wo man im großen und ganzen gar nicht zimperlich ist, die Umwelt zu zerstören, die Gefahr einer möglichen Umweltbeeinträchtigung sogar vorgegeben, um lästigen ausländischen Konkurrenten die Aufnahmen einer Inlandsproduktion zu vermiesen.

Aber wenn schon auf internationalem Plan überregionales Handeln vorerst nicht erwartet werden kann, sollte man sich doch wenigstens auf nationaler Ebene bewußter als »Abfallgemeinschaft« empfinden. Vorläufig ist die geordnete Abfallbeseitigung, da sie Geld kostet, den Politikern ein geeignetes Wahlkampfobjekt und damit jener Sphäre sachlicher Behandlung entrückt, die gerade für dieses Medium gefordert werden muß. Nein, vorläufig handelt man noch nach dem Motto »Uneinigkeit macht stark«, jedem sein wilder Müllhaufen. Es lebe der Abfall-Föderalismus! Wie lange noch?

Die Abfallbeseitigung erfordert aber überregionales Denken, soll sie durchgreifend helfen. Sie ist deshalb ein Stück Infrastruktur wie Verkehr, Energieversorgung, Nachrichtenwesen und Bildungspolitik. Nur die Bereitschaft, über den eigenen Kirchturm hinauszudenken, wird es ermöglichen, die Dinge in den Griff zu bekommen. Der Gesetzgeber hat — zumindest bei uns — einen ersten Schritt in dieser Richtung getan. Die Bildung von Zweck­verbänden für die Abfallbeseitigung wird begünstigt, ihre rechtliche Stellung wurde geklärt, die Verwaltungsvorschriften sind erlassen. Die Erfüllung der Paragraphen mit »Abfall-Leben« steht allerdings meist noch aus. Warum beschränkt sich die Initiative der Zweckverbände meist darauf, von zuständigen Länder- und Bundesbehörden Geld loszueisen?

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Warum steht nicht der Umweltschutz im Vordergrund? Wieso eigentlich sehen die zuständigen Stellen es zum Beispiel an der deutschen Ostseeküste als wichtiger an, die Landschaft mit Wohn- und Hotelsilos zu verschandeln, anstatt ihren Kurgästen zu ersparen, in den Fäkalien alter und neuer Anwohner baden zu gehen?

Die Städtebauer haben gerade entdeckt, daß die Ansiedlung von Menschen auch mit Soziologie zu tun hat. Vielleicht werden in Zukunft weniger grüne Witwen in grünen Trabantenstädten verplant. Auch der Verkehr ist vom Städtebau schon wahrgenommen worden. Leider hat das vorläufig nur Niederschlag in der Straßenbreite und in der Parkplatzbereitstellung gefunden. Daß der Verkehr auch eine Komponente Lärm und eine Komponente Abgas hat, wird gern verdrängt. Die Abfallseite haben die Städteplaner vorerst aber noch gar nicht wahrgenommen. Wie könnte es sonst angehen, daß außer ein paar Mülleimern — und die noch unzweckmäßig angeordnet — nichts vorgesehen wird.

In den Modellstädten von morgen und übermorgen, die jetzt überall in Ausstellungen und in abendfüllenden Fernsehsendungen vorgestellt werden, wird behauptet, hier habe man an alles gedacht. Wirklich? Vergeblich sucht man in den vom Autoverkehr befreiten Fußgängerzonen Platz für den Abfallstrom. Wo ist das Plexiglasmodell der Zukunftsstadt, das dem Strom von Müll, Abwasser, Sperrmüll gebührend Rechnung trägt? Vergeblich sucht man selbst in dem von berühmten Architekten entworfenen Flächenbenutzungsplan ein Fleckchen Erde für »Abfallbeseitigung«. Man wird es nicht finden.

Aber es hat ja auch fünfzig Jahre gedauert, bis aus der Zwergschule eine Gesamtschule und aus dem kleinstädtischen Krankenhaus eine überregionale Zentralklinik wurde. Vielleicht ist die schleppende Bereitschaft, die Umwelt zu schonen, auch ein Versäumnis der Bildungspolitik. Zwergschulgänger sollen ja auch heute noch — selbst in großstädtischen Gebieten — das Einfamilienhaus als die erstrebenswerteste Form des Wohnungs­eigentums ansehen.

Für die Sanierung unserer Städte werden von allen Seiten neue Wege für Licht, Luft, Sonne, es werden Fernheizung, Kindergärten, Fußgängerzonen und Parkflächen gefordert. Kein Mensch verlangt neue Wege für den Abfall. Die Abfallbeseitigung muß aber voll integriert werden in die Planung für die Stadt von morgen, wenn wir nicht in den Resten unseres Wohlstandes ersticken wollen.

Allgemeingültige Rezepte für die Abgrenzung von Abfallregionen gibt es nicht. Hier muß von Fall zu Fall entschieden werden, welche Gebiete man am günstigsten zusammenschließt. Nur in den seltensten Fällen deckt sich die optimale Abfallregion mit bestehenden Gemeinde-, Länder- oder sonstigen Grenzen.

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Deshalb ist ein unbürokratisches Vorgehen an erster Stelle wünschenswert, sanfte Gewalt von mit entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Behörden an zweiter Stelle wichtig. Die finanzielle Seite der Abfallbeseitigung darf in keinem Fall eine großzügige Regelung blockieren. Die Kosten müssen über Gebührenhaushalte gedeckt werden. Und wenn eine unabhängige Stelle ermittelt hat, daß für die Bundesrepublik Deutschland höchstens zwanzig Anlagen zur Behandlung von Autowracks erforderlich sind, und dafür die günstigsten Standorte benannt hat, so sollte man nicht zögern, an den Abbau der Autohalden zu gehen. Möglichst schnell, bevor uns auch noch diese Abfallsorte über den Kopf wächst. Ähnliche Studien müssen von kompetenter Stelle für sämtliche übrigen Bereiche der Abfallbeseitigung überregional durchgeführt, die aus ihnen hergeleiteten Empfehlungen schnellstens verwirklicht werden.

Integrierter Umweltschutz

Flüssige und feste Abfallstoffe und einiges, was mit ihrer Entstehung und Beseitigung zusammenhängt, stehen im Mittelpunkt dieses Buches. Es wäre einem verbesserten Umweltschutz allerdings höchst abträglich, würde man Hausmüll, Autowracks usw. allzu einseitig berücksichtigen. Worauf es ankommt, ist ein umfassender Umweltschutz, der nur über eine Integration der bisherigen, leider oft genug isoliert durchgeführten Maßnahmen erreicht werden kann. Was läßt sich integrieren, was nicht?

Sinnvoll zusammen behandeln läßt sich Reinhaltung der Luft, Reinhaltung der Gewässer (Grundwasser und Oberflächen-wasser) und Reinhaltung des Bodens. Andere Umweltbeein-trächtiger wie beispielsweise der Lärm, die unkontrollierte Verwendung von chemischen Pflanzengiften usw. lassen sich nur mit geringem Erfolg zusammen mit den übrigen Einflüssen besser bekämpfen als allein.

Aber all das, was der Mensch in festem, flüssigem und gasförmigem Zustand in seine Umwelt entläßt, ob es nun die Verbrennungsgase der Automobile, die Rauchgase ungezählter Produktionsprozesse, die Abwässer der chemischen Industrie oder Abfälle menschlicher Behausungen sind, muß — in welcher Form auch immer — in einem größeren Zusammenhang als bisher gesehen werden. Denn die historisch gewachsene Trennung der einzelnen Sparten des Umweltschutzes hat sich, das ist hier schon mehrfach angesprochen worden, bisher mehr zum Schaden denn zum Nutzen für die Lebensbedingungen auf unserem Planeten erwiesen.

Die Abwasserreinigung, die nur an den Gewässerschutz denkt und die Existenz der dabei

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anfallenden Klärschlämme »verdrängt«, handelt letztlich ebenso unvernünftig wie die »Rauchgasreiniger« aller Art, die die Filterinhalte um die nächste Ecke herum ablagern. Soll der Planet Erde nicht an sich selbst zugrunde gehen, hilft nur eine enge Zusammenarbeit auf den Gebieten des Umweltschutzes, die sich direkt berühren.

Einfach wird diese Vereinigung der Bemühungen zur Erhaltung unserer Umwelt sicher nicht sein. Nicht nur, weil bei den Umweltschützern, wie in anderen Bereichen auch, starres Ressortdenken anzutreffen ist, sondern vor allen Dingen, weil eine Reihe sonstiger Interessen auf dem Spiel stehen.

Ein schönes Beispiel »ressortbehafteten« Denkens liefert Rachel Carson in ihrem bekannten Buch <Der stumme Frühling>. Natürlich soll man Herbizide von unseren Feldern und Fruchtplantagen verbannen, auch den allzu künstlichen Kunstdünger, sofern es andere Mittel zur Hervorbringung der gleichen landwirtschaftlichen Produktivität gibt. Der von Rachel Carson dafür aufgezeigte Weg kommt allerdings kaum in Betracht. Denn mit dem bißchen Kompost, der aus tierischen und menschlichen Abfällen erzeugt werden kann, lassen sich sicherlich giftstoff-freiere Produkte erzeugen als heute, aber ob in so reichlichem Maße, daß davon auch noch eine Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen ernährt werden kann?

Die Entwicklung und Anwendung von chemischen Pflanzengiften nur als die Ausgeburt der Gewinnsucht von einigen Monopolkapitalisten darzustellen, ist wohl eine zu grobe Vereinfachung. Man darf nämlich eines nicht übersehen: daß die Menschheit sich rapide und nicht nur der Zahl nach progressiv entwickelt, ist in erster Linie eine Folge der Technik. Die Beseitigung aller Nachteile dieses Mediums wird es unter Umständen selbst in Frage stellen. Wenn früher in unterentwickelten Gebieten das Gleichgewicht zwischen Nahrungsmittelproduktion, Lebensalter und Zahl der Bevölkerung nur über Volksseuchen in Verbindung mit krassen unsozialen Gesellschaftsstrukturen »reguliert« werden konnte, haben in unserer Zeit vielleicht gewisse negative Beiwirkungen der Technik jene gleichgewichtserhaltende Kraft, die eine allzu wuchernde Entwicklung verhindert.

Für eine Integration der Umwelttechnik, zumindest im Hinblick auf die Abfallbeseitigung, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte. Ein erster Schritt könnte beispielsweise darin bestehen, zu einer möglichst vorurteilslosen Beurteilung der verschiedenen Beseitigungsmethoden zu gelangen. Ob geordnet abzulagern, zu kompostieren oder zu verbrennen ist, darf nicht mit weltanschaulichen Argumenten vernebelt, sondern muß mit nüchternem Sachverstand entschieden werden. Es gibt eben keine optimale Methode an sich, um die Umwelt zu schützen. Vielmehr müssen von Fall zu Fall die geeignetsten Maßnahmen ergriffen werden.

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Weiter könnte man sich vorstellen, daß man endlich einmal zu einer reproduzierbaren Definition des Begriffes »Umwelt« gelangt. Was nützt es, wenn die »Luftreinhalter« nur darauf achten, daß die Konzentration an Stäuben und bestimmten Schadgasen vorgegebene, als gefährlich erkannte Werte nicht übersteigen und nicht gleichzeitig die kumulative Wirkung dieser Stoffe untersucht wird. So gibt es beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland genaue Vorschriften über die zulässige Emission von Schwefeldioxyd, Chlorwasserstoff und Fluorwasserstoff, um einige typische Vertreter zu nennen. Diese drei Kategorien von Schadgasen entwickeln sich bei den verschiedensten technischen Prozessen in großen Mengen und gelangen in die Atmosphäre. Die zuständigen Behörden glauben ihre Pflicht getan zu haben, wenn sie bei jeder Gasart für sich die Unterschreitung der zulässigen Grenzwerte feststellen.

Was ist aber mit dem Menschen, der an der Inhalation von fünfzig Prozent zulässiger Schwefeldioxyd-Konzentration und von fünfzig Prozent zulässiger Fluorwasserstoff-Konzentration zugrunde geht? Ist seine Ausschaltung durch die Umwelt, in die er geboren wurde, »höhere Gewalt« wie etwa die Bundesbahnunglücke? Oder wem nützt es, wenn durch eine sorgfältigere Abfallbeseitigung der Umweltfaktor Boden geschont wird und gleichzeitig einige kleinkarierte Eigenheimer durch ihre Häuschen-Teppiche jährlich einige tausend Quadratkilometer Boden aus dem Verkehr ziehen? Was nützt die Reinigung vieler kommunaler und industrieller Abwässer, wenn aus der Luft tonnenweise Staub und giftige Gase direkt oder über Regen indirekt in die Gewässer gelangen? Ist es nicht Schizophrenie, wenn eine einzige Komponente der Autoabgase, nämlich das Kohlenmonoxyd, bekämpft wird, die bleihaltigen und andere in jeder Weise schädlichen Bestandteile vorläufig aber völlig ungeschoren davonkommen?

Warum erzwingt man nicht das Elektroauto, statt durch eine indirekte Erhöhung der Kilometerpauschale den mißverstandenen Individualismus der Autofahrerei noch weiter zu fördern?

Dieser Katalog von widersprüchlichen Verhaltensnormen einer im Grunde an ihrer Umwelt interessierten Menschheit läßt sich beliebig fortsetzen. Hier müssen die Verhältnisse so geordnet werden, daß aus dem heutigen Kollisionskurs der Zuständigen ein gemeinsames Vorgehen für die gesamte Umwelt wird.

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Umweltschutz als Bildungsaufgabe

Nicht zuletzt muß auch das Verständnis für die Bedeutung und Erhaltung unserer Umwelt bei der Bildung berücksichtigt werden. Wo seit dem Erscheinen der Technik Produktivität — hier für den Massenwohlstand, dort für den Endsieg des Sozialismus — durch ethische Grundprinzipien fest in die Bildungsideale eingewoben werden, muß auch die Umwelt, in der sich das alles abspielt, als eine Grundgröße verankert werden. Das erscheint viel wichtiger als die Schaffung einer neuen technisch-wissenschaftlichen Disziplin für den Umweltschutz. Die Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigung mit den Mitteln der Technik ist zwar sehr bedeutsam, letztlich aber nur eine Reaktion auf vorangegangene Fehler ebenderselben Technik. Erforderlich aber ist die Aktion für eine »saubere Technik«, die nur über eine im Bewußtsein verankerte Umwelt-Ethik erzielt werden kann. Es muß allgemein so werden, wie es in Punch dargestellt wurde. Dort stellte einer, der gerade seinen Sperrmüll am Waldesrand abgeladen hatte, fest: »Da kann man mal sehen, wie die Appelle für einen sauberen Wald einen beeinflussen, ich schäme mich geradezu, daß ich den Dreck dort abgeladen habe.«

Jeder sollte immer und bezüglich aller Faktoren, die unsere Umwelt ausmachen, jenes schlechte Gewissen haben, und zwar aus der Erkenntnis der sachlichen Zusammenhänge heraus ohne Verbrämung mit welt­anschau­lichem Firlefanz. Natürlich wird man auch nicht daran vorbeikommen, die Technologie des Umweltschutzes zu lehren, auch wenn sie auf längst bekannte Grundlagen zurückgeht und keineswegs ein selbständiges Wissensgebiet darstellt. Es wird jedoch im Laufe der Zeit so viel hierüber zusammenzutragen sein, daß eine gewisse Eigenständigkeit dieser Disziplin als lohnend angesehen werden muß. Vorerst steckt die Lehre vom Umweltschutz noch in den Kinderschuhen und ist an keiner Stelle sinnvoll zusammengefaßt. Der Bereich des Gewässerschutzes schneidet dabei noch am günstigsten ab. Denn das Fachgebiet der sogenannten Siedlungswasserwirtschaft ist bereits seit Jahrzehnten Bestandteil der Ingenieurausbildung. Die Berücksichtigung dieses Faches bei der Ausbildung von Ingenieuren geschah allerdings nicht in erster Linie, die Umwelt zu schützen, sondern weil Wasser für Menschen und Maschinen schon vor fünfzig Jahren anfing knapp zu werden. Da mußte man sich etwas einfallen lassen, den Dreck von den Gewässern fernzuhalten, um deren Wiederverwendung zu ermöglichen. Im Ruhrgebiet entstanden schon um die Jahrhundertwende Zweckverbände, die gemeinsam Abwasserreinigungsanlagen errichteten und betrieben.

Während die Siedlungswasserwirtschaft zum Standardausbildungsprogramm der Bauingenieure gehört, werden »Reinhaltung der Luft« und vereinzelt auch schon »Abfallbeseitigung« im Ausbildungsplan der Maschinen­bau-Aspiranten erfaßt. Das wird damit begründet, daß die Apparate zur Reinhaltung der Luft und zur Vernichtung von Abfällen in den Maschinenbau gehören, die Methoden und Verfahren zur Abwasserreinigung dagegen mehr im klassischen Ingenieurbau verankert sind. Diese Zersplitterung muß selbstverständlich aufhören, wenn die gesamte Umwelt geschützt werden soll. Auch wenn sich Wasser, Luft und Boden zunächst als voneinander unabhängige Umweltfaktoren darbieten, so sind sie dennoch auf so vielfältige Weise miteinander verknüpft, daß sie nicht unabhängig voneinander geschützt werden können.

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In dreißig bis fünfzig Jahren

Der Anspruch des natürlichen Menschen am Umwelthaushalt ist bescheiden, der des manipulierten Konsumenten maßlos. Und deshalb ist ein Teil des Umweltmaßes bereits voll. Die Biosphäre der Binnengewässer aller Industrieländer ist mit wenigen Ausnahmen kaputt, biologisch tot.

Die Meere und die Atmosphäre sind auf dem besten Wege, als Sauerstoff-, Wasser- und Nahrungsquelle ausgeschaltet zu werden. Die Meldung über ihr Ableben wird bei Beibehaltung der heutigen Wachstumsraten der Verschmutzung in etwa fünfzig Jahren kommen. Kurz danach fangen die Eismassen der Polkappen an abzuschmelzen, weil die mittlere Temperatur infolge des steigenden Kohlendioxydgehaltes um fünf Grad geklettert sein wird.

Der Teil der Menschheit, der bis dahin sein Leben nicht an den Lungenkrebs verloren hat oder auf andere Weise vergiftet wurde, wird verhungern. Denn der Wasserstand wird um sechzig Meter steigen und riesige Flächen landwirtschaftlich genutzten Areals bedecken. Der verbleibende Boden wird bis dahin sein Leben als Umweltfaktor ohnehin ausgelebt haben. Er wird noch als tote Trägersubstanz für Chemiepflanzen Dienst tun, wenn bis dahin nicht die indirekte Eiweißproduktion, das Fleisch aus der Retorte, am Markte sein wird. Insekten wird es schon viel früher nicht mehr geben und auch keine Vögel.

Irgendwann in dreißig bis fünfzig Jahren wird man erkennen, daß Gegenmaßnahmen, weil viel zu spät angewendet, überhaupt nichts mehr nützen, da die Regeneration der Umwelt langsamer als der globale Umwelttod sind. Der Rohstoff Umwelt geht zur Neige. Ersatzstoffe wie für viele andere durch Raubbau erschöpfte Vorräte gibt es nicht. Der Kahlschlag wird perfekt sein, dauerhaft und mit Sicherheit tödlich.

Die bisherige Umweltverschmutzung zeichnet sich noch im wesentlichen durch ihre direkten Wirkungen aus. Giftige Abwässer töten den Fluß, wilde Müllhaufen den Boden. Mit zunehmender Zerstörung der Umwelt wird sich aber die Wasservergiftung der Luft und diese via Regen auch dem Erdreich mitteilen. Die primäre Luftverschmutzung hat sekundäre Folgen in Wasser und Boden und so weiter. Primäre und sekundäre Wirkungen werden sich addieren und aufschaukeln. Der Teufelskreis schließt sich immer schneller, er tut es selbsttätig auch ohne neue Verschmutzungen. Denn das in Luft, Wasser und Erdreich angelagerte Gift verstärkt und verteilt sich in unheimlicher Automatik weiter.

Es ist auch der Fluch der zerstörten Umwelt, daß sie fortwährend Böses nur gebiert. Da Umwelt nicht transferiert werden kann, wird es den Industrieländern nicht möglich sein, auch diesen Rohstoff anderwärts zu beschaffen. Weder Entwicklungshilfe oder andere Formen des Neokolonialismus noch Profitstreben der neuen Herren in Afrika, Asien und Lateinamerika werden diesen Rohstoff auf den Weltmarkt bringen. Kein Konto einer Schweizer Bank wird für die Verschleuderung dieses Rohstoffes wachsen. Ein schwacher Trost für die dem Hunger ausgelieferten Bewohner der südlichen Erdhälfte, daß ihre fetten und reichen Brüder im Norden gleichzeitig — allerdings an nicht zu stillendem Umwelthunger — krepieren werden. Nicht die durch das Patt gezähmte Atombombe bedroht die Menschheit, viel entscheidender tun es Nahrungsmittel- und Umwelt­mangel.

Hat es noch Zweck, sich dagegen zu stemmen? Ja, wenn es sofort geschieht, denn es ist nicht nur fünf, sondern eine Minute vor Zwölf.

SALT-Gespräche für den Umweltschutz müssen her, und nicht nur zwischen den Supermächten, sondern zwischen allen Industrieländern.

Die allgemeine Umweltpflicht muß Gesetz, die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft werden.

Wenn Umweltschutz genau so ernst und so teuer genommen wird wie das Militärspiel, dann ist es noch zu schaffen. Dann würde — um noch einmal in diesem verdammten Schema zu bleiben — auch die volks­wirt­schaftliche, oder besser weltwirtschaftliche, Seite nicht durcheinandergebracht. Zwanzig Jahre fünfzig Prozent des Verteidigungsetats umfunktioniert auf nachhaltige Reinhaltung von Himmel und Erde würden Erleichterung schaffen.

Man könnte aufatmen und vergessen, daß 1970 nur ein paar periphere Maßnahmen - gerichtet gegen ein paar neue Umweltbedrohungen - beschlossen wurden, ohne das Übel an der Wurzel zu packen. Man könnte dann vergessen, daß 1970 nur publizistischer Wind gegen die Giftwolken, aber keine ernsthaften Maßnahmen entfacht wurden.

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Anmerkung der Redaktion, 1973:
Inzwischen sind intensivere, auch legislative Maßnahmen ergriffen worden, die allerdings das Müllproblem nach wie vor kaum betreffen.

 

 

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