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1  Der Mensch zerstört die Erde

 

 

Wege zum Selbstmord?

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Der Mensch des industriellen Zeitalters muß sein Verhältnis zur Umwelt neu gestalten, will er überleben. Geboren in eine Zeit, die die Überwindung der Natur als Parole ausgegeben hatte, muß er erkennen, daß seinem Treiben Grenzen gesetzt sind, daß seine Taten und seine Einstellung tödliche Konsequenzen haben können.

Die Nachfahren werden unsere Taten nicht nur an unserer Fähigkeit zum interplanetarischen Flug messen, sondern auch und vor allem daran, wie wir unseren angeborenen Startplatz — unsere Erde — zurücklassen.

Nicht das Tempo von Elektronen in Halbleitern bestimmt die weitere Entwicklung der menschlichen Zivilisation — auch die Geschwindigkeit sauberer Luft in der Erdatmosphäre, das Fließen reiner Gewässer werden Gradmesser des Fortschritts sein. Die Jagd nach höherem Lebensstandard wird das Verlangen nach Atmung frischer Luft ohne Filtermaske einschließen. Die Umwelt-Teilung in Ballungs- und Erholungsgebiete, in Industrie- und Entwicklungsländer ist am Ende. Hie Reichtum und Dreck, dort Armut und sauberer Badestrand — das ist eine Vorstellung, die nicht mehr geht. Die Umwelt ist global und daher nicht teilbar.

Was aber an unserer Umwelt ist in Gefahr? Durch wen und seit wann? Was ist dagegen zu tun?

Die Antworten auf diese Fragen werden wohl von jedem Menschen — sei er nun professionell oder nur für sein unmittelbares Leben an der Umweltfrage interessiert — anders beantwortet. Professor Grzimek meint Tier und Landschaft, meint Springantilopen für die Serengeti und Zwölfender für den Bayerischen Wald. Er denkt vielleicht auch noch an die von Giften bedrohten kleinen Tiere und sieht so die Nahrung für die großen schwinden. Es gibt Zeitgenossen, die in der wachsenden Asphalthaut auf dem Festlandteil unseres Planeten — und allen Folgen daraus — die größte Bedrohung sehen.

Grüne Witwen in falsch konzipierten Vorstädten sind die Umweltplage der Soziologen, von Einfamilienhaus-Teppichen gequälte Landschaft für die Anhänger besserer Raumordnung.

Flugplatzanrainer haben sicherlich andere Vorstellungen vom Umweltschutz als die Ostseefischer, deren Netze neuerdings Giftgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg einfangen.

Die in diesen Tagen so oft bemühte und ebenso oft mißbrauchte »schweigende Mehrheit« spricht sicher vornehmlich von radioaktiv verseuchter Atmosphäre, Gestank, Lärm, trüben Gewässern und Müllhalden — wenn sie überhaupt um ihre Meinung zur Umweltbedrohung gefragt wird.

Seit wann sind wir milieugeschädigt? Solange die Menschheit diesen Planeten bevölkert, hat sie ihn verändert. Bedrohliche Formen haben diese Veränderungen schon sehr früh angenommen. Die Entwaldung des Mittelmeerraums vor mehr als zweitausend Jahren war ein noch heute spürbarer Eingriff in das gewachsene Umweltgefüge dieser Region. Aber so wie menschliche Aggression erst seit der Erfindung des Schießpulvers beliebig potenziert werden kann, so kann man auch für die Umweltbedrohung einen Stichtag nennen: das Aufkommen der Maschine, das technische Zeitalter. Das Pulver hat die Muskelkraft bis hin zur Atombombe verstärkt, die Maschine, das Kind der ersten technischen Revolution, hat sich zu einem molochartigen Selbstzweck entwickelt, der allein in der Bundesrepublik Deutschland jährlich zweihundert Millionen Kubikmeter Abfälle, zwanzig Millionen Tonnen luftverunreinigender Stoffe und fünfzehn Milliarden Kubikmeter Abwasser zurückläßt.

Und nun glauben die sich gerade etablierenden Umweltschützer, sie können diese Dinge mit ein paar Gesetzen wieder unter Kontrolle bringen, gewissermaßen die zweite technische Revolution evolutionär vollziehen. Noch sind wir nicht einmal in der Lage, die volle Tragweite der Vergiftung zu ermessen. Geforscht, entwickelt und finanziert wird hauptsächlich in Richtung noch größerer Vergiftung. Allein die wirtschaftlichen Anforderungen eines teilweisen Umweltschutzes sind kaum »evolutionär« zu befriedigen. In der Bundesrepublik sind hierfür nach groben Abschätzungen mindestens 250 Milliarden Mark erforderlich. Zusammen mit den nicht länger aufschiebbaren Ausgaben für eine Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Verkehr und Kommunikation) erwachsen so der Industrie-Gesellschaft Belastungen, die ohne tiefgreifende gesellschaftspolitische Änderungen schwer zu tragen sein dürften.

Die Umwelt, ihre Bedrohung und ihr Schutz, ist also ein höchst komplexes Gebilde. Wie kommt man ihm nahe, ohne ihr zu nahe zu treten? Einige, die den komplexen Charakter dieser Dinge nicht erkennen wollen, glauben, daß der Teufel — mißverstandene Technik — mit dem Beelzebub — eine neue Technik: der Umweltschutz — ausgetrieben werden könne. Als ob lediglich eine neue Variante der Technik ausreichte, unser Lebensmilieu nachhaltig zu verbessern.

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Dennoch ist es, um ein breites Publikum auf die Gefahren aufmerksam zu machen und um Verständnis für Gegenmaßnahmen zu wecken, erforderlich, einige Schmutzarten isoliert zu betrachten. Besonders wichtig erscheint dies für diejenigen Bestandteile des Dreckberges, deren Gefahren allgemein noch gar nicht richtig erkannt sind oder verkehrt eingeschätzt werden. Das sind die Abfallstoffe der Zivilisation, die man gemeinhin Müll, Autoschrott, Klärschlamm und so weiter nennt. Dazu kommen noch einige andere, die der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt sind.

Darf man diesen Dreck nun wirklich für sich allein, getrennt von den Stoffen und Vorgängen, die Luft und Gewässer verschmutzen, unter die Lupe nehmen? Eigentlich nicht. Denn zumindest sind die drei Umweltfaktoren Luft, Wasser und Boden so eng miteinander verwoben, daß eine isolierte Betrachtung nicht so recht einleuchten will. Andererseits wird gegen Luft- und Gewässerverschmutzung schon eine Menge unternommen. Und dies nicht erst seit die Umweltschützer hauptamtlich tätig geworden sind. Schon seit hundert Jahren interessieren sich Abwasserfachleute dafür, was Städte und Industrien in Themse und Ruhr entleeren. Ernsthafte Bemühungen zur Reinhaltung der Luft sind auch schon seit mindestens dreißig Jahren zu verzeichnen.

Aber diese Bemühungen sind kein Wunder, denn bei Luft-und Gewässerverschmutzungen gehen die latenten Gefahrenmomente meist mit natürlich wahrnehmbaren, unmittelbaren Anzeichen der Gefahr einher. Die Wirkungen treten dort auch schneller, drastischer und oft augenfälliger zu Tage. Smog-Tote, entnadelte Bäume, welkendes Laub, Fischleichen und Gestank sind eben eindeutige Indizien — wenn auch dabei noch eine ganze Reihe unsichtbarer und keineswegs harmloser Begleiterscheinungen auftreten.

Anders bei der Müllkippe! Dort entziehen sich die Hauptgefahren fast jeder natürlichen Wahrnehmung. Boden- und Grundwasservergiftung sind nur mit komplizierten Meßmethoden und nur durch Fachleute feststellbar. Der sichtbare Teil der negativen Umweltbeeinflussung — das ist Gestank von Schwelbränden, Rattenplage und Verunzierung der Landschaft — berührt einen vergleichsweise kleinen Teil der Bevölkerung. Es ist zu wenig bekannt, daß auch vom Müllberg bedrohliche Störungen ökologischer Gleichgewichte ausgehen und daß das Problem bei weitem nicht dadurch behoben ist, daß man die Verstopfung von Mülltonnen und Müllabwurf-anlagen beseitigt.

Der Abfallberg ist wie der Eisberg: die größten Gefahren lauern unterhalb der Wasserlinie. Aus diesen Gründen steht die Lawinengefahr, die vom Abfallberg ausgeht, ihre Entstehung und Bekämpfung im Mittelpunkt dieses Buches.

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Vom Winde nicht verweht

Die Luft, die wir atmen, die Atmosphäre unseres Planeten, ist ungefähr so lange, wie es höher entwickelte Lebewesen auf ihm gibt, aus Sauerstoff (21 Prozent), Stickstoff (78 Prozent) und Spuren einiger weiterer Gase (Argon, Kohlendioxyd) zusammengesetzt. Das hat sich, wie wohl inzwischen allgemein bekannt ist, gründlich geändert. Die natürliche Luftzusammensetzung gibt es heute nicht mehr, weder in großen Höhen noch über den Weltmeeren oder Polarkappen, die natürliche Luftzusammensetzung ist ungleichgewichtig geworden. Wenn auch die dort »angebotene« Atmosphäre vorläufig noch um einige Größenordnungen reiner ist als über Industriegebieten und städtischen Zusammenballungen — die Meßgeräte haben auch dort schon Ausschlag.

Schätzungsweise 2,5 Millionen Tonnen Staub und 2,5 Millionen Tonnen Stickoxyde, dazu 3 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoff, 5 Millionen Tonnen Schwefeloxyde und 7 Millionen Tonnen Köhlenmonoxyde werden allein in der Bundesrepublik* alljährlich in die Atmosphäre entlassen. 20 Millionen Tonnen, das ist eine Menge, könnte man sie einfangen und einfach verfrachten, die eine Million Güterwagen füllen würde. Dieser gigantische Zug würde, längs des Äquators aufgestellt, fast ein Viertel der Erde umspannen. Und dies nur von 60 Millionen Erdenbürgern! Wer Steigerungen nicht für möglich hält,informiere sich über die Zahlen der USA: dort produzieren dreimal soviel Menschen sechsmal soviel luftverunreinigende Stoffe. Etwa 130 Millionen Tonnen werden dort jährlich Lungen und Pflanzen zugemutet.

Was verdreckt die frische Luft? Wer? Wo führt das hin? Was ist dagegen zu tun?

Fast alles, was der Atmosphäre an sogenannten luftfremden Stoffen gas-, staub- und dampfförmig, als Nebel oder Aerosole, flockig und fest, schwebend und fliegend anvertraut wird, beeinträchtigt ihren Wert für den Stoffwechsel von

* Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1969.

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Mensch, Tier und Pflanze. Da gibt es neben den bereits genannten Ingredienzien der Erdatmosphäre des technischen Zeitalters noch über fünfhundert weitere heute bereits als gefährlich bekannte Stoffe*.

Zu diesen Luftverunreinigungen im näheren Sinne kommen meteorologische Störungen, Boden- und Wasservergiftungen via Luft und sicher eine Reihe von Wirkungen, die wir noch gar nicht kennen. Wenn weiter so mit der Luft oder dem in ihm enthaltenen Sauerstoff herumgewirtschaftet wird, muß man auch befürchten, daß eines Tages davon mehr aufgebraucht wird, als die Natur produziert. Wenigstens diese Gefahr, wie neueste Messungen bewiesen haben, besteht im Moment noch nicht.

Der bei weitem überwiegende Teil der Luftverschmutzung ist auf die Umwandlung von Energie zurückzuführen. Auf dieses Konto geht das Lagerfeuer des guten Hirten in freier Natur und der Gartengrill ebenso wie der Ausstoß des Kraftwerkschornsteins, die Rauchfahne des Düsenklippers und nicht zuletzt das, was den Auspufftöpfen unserer Benzinkutschen entströmt. Schon lange ist der Mensch nicht mehr mit dem direkten Energieangebot der Sonne zufrieden. Er will es auch nach Sonnenuntergang warm haben und kochen können. Und das auch dort, wo ihr Strahl selten oder gar nicht hinfällt. Er greift die auf Erden so reichlich gestapelten Sonnenenergien vergangener Zeiten an. Ob Kohle, Öl oder Erdgas, alle sind auf die Sonne zurückzuführen.

 

Diese sogenannten fossilen Brennstoffe brauchen zur Freisetzung ihrer chemisch gebundenen Energie Sauerstoff. Denn die Verbrennung ist eine Oxydation, ein chemischer Vorgang also, bei dem dieser Stoff benötigt wird. Das chemische Element Sauerstoff ist auf unserem Planeten sehr reichlich vorhanden. Etwa 50 Prozent der Erdkruste (ca. 16 Kilometer stark), der Weltmeere und der Atmosphäre bestehen aus Sauerstoff. Er ist Bestandteil von gesundem Wasser, von Metallverbindungen, von Sand und sogar von Steinen. Nirgendwo aber ist Sauerstoff so leicht zugänglich, vor allem so billig zu beschaffen, wie aus Luft. Leider ist es mit der bloßen Sauerstoffentnahme nicht getan. Als die Sonne vor Jahrmillionen in immer wieder versinkenden tropischen Wäldern und durch ungezählte Meeresbewohner die Grundlagen unserer heutigen Energiereserven legte, sind den Brennstoffen noch eine Reihe gewissermaßen betriebsfremder Stoffe angelagert worden. Es sind dies in erster Linie Aschen, Schwefel, Chlor usw. Sie werden bei der Verbrennung, auch wenn diese noch so vollkommen ist [voll-

* Siehe Tabelle im Anhang.

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kommene Verbrennung ist Oxydation aller brennbaren Bestandteile), mit den übrigen Verbrennungsprodukten, das ist Kohlendioxyd (CO2) und Wasserdampf (H2O) ausgestoßen. Kohlendioxyd und Wasserdampf nehmen, wenn sie in der Atmosphäre zunächst auch einmal luftfremd sind, am großen Stoffkreislauf der Natur aktiv teil. Sie sind deshalb nicht direkt gesundheitsschädlich. Auf (noch zu erörternden) Umwegen beeinflussen sie unsere Umwelt aber doch. Alle sonstigen Produkte der Verbrennung zur Energieerzeugung, die in der Praxis übrigens nie vollkommen ist, verunreinigen nach Kräften. An zweiter Stelle der Luftverschmutzung nach der Energieerzeugung steht die Produktion von Gütern aus Rohstoffen aller Art. Gleichgültig, ob Stahl oder Puddingpulver »gekocht« wird, die Atmosphäre bekommt ihren Teil davon. Dabei wird oft gar kein Sauerstoff benötigt, um so mehr aber werden luftfremde Stoffe ausgespuckt:

Nach Energieumwandlung und Industrieproduktion wird die »Rangfolge« der Luftschmutzfinke von den Atombomben und deren Folgen angeführt. Die radioaktive Verseuchung der Atmosphäre, an der die ganze Menschheit teilhaben darf, ist eine besonders makabre Variante der Luftverunreinigung, weil sie unter Umständen Jahrzehnte andauern kann. Explodierende Atom- und Wasserstoffbomben schleudern feinste Teilchen radioaktiven Materials in große Höhen. Die Geigerzähler ticken auch nach Tausenden Kilometern Distanz schneller, wenn Reste solcher Atompilze auf die Erde niedergehen. Seit die beiden Supermächte genügend oberirdische Erfahrungen mit Testbomben gesammelt haben und nur noch unterirdisch laboriert wird, ist die Gefahr — jedenfalls für die Atmosphäre — bedeutend kleiner geworden. Ob allerdings das Erdreich wirklich so neutral reagiert, wie uns die obersten Kriegsherren einreden wollen — wer weiß?

In diesem Zusammenhang ein Wort zur friedlich angewendeten Kettenreaktion, besonders für die Stromerzeugung. Sie gehört eigentlich in die Rubrik Energieumwandlung, auch wenn fossile Brennstoffe dort noch vorläufig bei weitem überwiegen. Die Atomkraftwerke haben keine Schornsteine, geben also keine Rauchzeichen.

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Sind sie deshalb für die Umwelt völlig unbedenklich? — Keineswegs! Aber noch einmal davon abgesehen, daß sie im Gegensatz zu Atombomben und den allermeisten Automobilen wirklich lebensnotwendig sind, weil der Energiebedarf der Menschheit in Zukunft anders gar nicht gedeckt werden kann, stellen Atomkraftwerke doch relativ geringe Umweltrisiken dar. Gerade weil man von Anbeginn um die äußerste Brisanz der Radioaktivität wußte — schließlich sind es gezähmte Bomben —, hat man außergewöhnliche Sicherheitsanstalten getroffen. Davon profitiert auch die Umwelt des Atomkraftwerks. Im übrigen basteln die Physiker an Kernprozessen mit ungefährlicheren Spaltprodukten und geringerer Kontaminierungsgefahr. Die Aktion »saubere Atome« läuft also schon.

Und wie steht der Mensch »atmosphärisch« gesehen neben all dem?

Er nimmt sich als Luftverbraucher und deshalb auch als Luftverschmutzer neben den Giganten »Energie« und »Industrie« wahrhaft kümmerlich aus. In Ruhe braucht er sechs Liter Luft pro Minute, strengt er sich körperlich wirklich einmal an, bringt er es auf 120 Liter pro Minute. Der Automotor, der diesen Menschen ins Büro treibt, verbraucht schon im Stadtverkehr sechzig- bis achtzigmal mehr, auf der Autobahn gar vier-bis fünfhundertmal soviel. Anders gesagt: Die 15 Millionen Autos der 60 Millionen Bundesbürger verbrauchen, wenn sie alle auf einmal in Bewegung sind, mehr Luft als die gesamte Menschheit (drei Milliarden) zur gleichen Zeit inhaliert. Dabei pusten die Menschen harmlose, von der Natur ohne »Verdauungsschwierigkeiten« aufnehmbare Produkte aus. Was man gerade von den Autos nicht sagen kann. Wie bei den meisten Schadstoffen, die die Umwelt bekleckern — gleichgültig, ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft —, bestimmen nicht die Stoffe allein, sondern die Konzentration, in der sie auftreten, ihre Gefährlichkeit. Raucht ein Mann in einem schlechtgelüfteten Zimmer, geht's noch an, bei mehreren kommt der Husten. Das bloße Vorhandensein von Schadstoffen sagt daher über ihre Umweltgefahr noch nichts aus, man muß auch wissen, wie »dick« sie kommen.

 

Wo führt die Luftverunreinigung hin?

Präzise ist diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Auf jeden Fall zutreffend, wenn auch etwas pauschal, kann man festhalten, daß unsere Gesundheit darunter leidet. Und zwar direkt und indirekt, schnell und langsam, an der Oberfläche, in der Tiefe — tödlich!

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Die menschliche Natur ist recht zählebig, und als Indikator für die Folgen von Luftverunreinigungen reagiert sie nicht schnell genug. Wenn Gegenstände aus Bronze und Sandstein, die in prätechnischer Zeit Jahrhunderte überdauert haben, plötzlich beginnen, in ihre Bestandteile zu zerfallen, so kann man aber ermessen, von welcher Aggressivität die Luft um uns erfüllt ist.

Von den vielen heute als gesundheitsschädlich bekannten Luftverunreinigungen sind vor allem jene von Interesse, die eine weite Verbreitung haben und in der Außenluft vorkommen. Dazu gehören in erster Linie die Gase, Kohlenmonoxyd, Schwefeldioxyd, Chlor- und Fluorwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Nitrosegase und Ammoniak. Auch die sogenannten korpuskularen Verunreinigungen, das heißt Stäube aller Art, stellen eine ernstzunehmende Gefahr in der Außenluft dar. Mit den Raumluftverschmutzern dagegen ist zwar auch nicht zu spaßen, sie sind aber so zahlreich und so unterschiedlich in ihren Wirkungen, daß hier kaum darauf eingegangen werden kann.

Die Garageninschrift »Gefahr bei laufendem Motor« ist allgemein bekannt. Die angezeigte Gefahr bezieht sich auf das im Auspuffgas so reichlich vertretene Kohlenmonoxyd, das besonders beim Leerlauf der Motoren verstärkt vorliegt. Daß dieses Gas auch zu einer bedrohlichen Außenluftverunreinigung geworden ist, hängt ebenfalls fast ausschließlich mit dem Auto zusammen. Kohlenmonoxyd, nach seiner chemischen Formel auch CO genannt, ist ein giftiges Gas. Es entsteht bei unvollkommener Verbrennung von Kohlenstoff, der fast in jedem Brennstoff vorkommt. Schon ein CO-Gehalt von 0,1 Volumenprozent in der Luft führt in kurzer Zeit zum Tod. Die sichere Todeswirkung dieses Gases, das ein Teil der brennbaren Substanz des Stadtgases bildet, wird ja von Selbstmördern geschätzt. Auch die perfekte Wirkung des Ausräucherns von Wühlmäusen mit Auspuffgasen geht auf den Kohlenmon-oxydgehalt zurück.

Daß CO geruchlos ist, macht es noch gefährlicher — der Mensch kann es nicht wahrnehmen. Von diesem Gas werden alljährlich allein in der Bundesrepublik sieben Millionen Tonnen hauptsächlich in die großstädtische Außenluft entlassen. Bis zu 15 Prozent, also das Hundertfünfzigfache der tödlichen Dosis, entströmen einem schlecht eingestellten Automotor im Leerlauf. Daß der Automotor Hauptproduzent des Schadgases ist, hängt im übrigen damit zusammen, daß seine Verbrennungseinrichtungen — die Einheit Lufteinsaugung-Vergaser-Zün-dung-Zylinder — nur bei einem Betriebszustand, zum Beispiel voller Leistung, exakt aufeinander abgestimmt werden können.

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Für die vielen übrigen technischen Feuerungen in Kraftwerken, Heizungsanlagen usw. gilt das nicht, so daß von dort bedeutend weniger CO emittiert wird. Schlechte Verbrennung und damit Entstehung von Kohlenmonoxyd gibt es häufig auch bei der Raumheizung mit Einzelöfen, vor allem wenn Kohlen und Briketts verbrannt werden.

Die Kohlenmonoxyd-Vergiftung aus dem Auspuff nimmt immer bedrohlichere Formen an. Polizisten halten es nur noch kurze Zeit an verkehrsreichen Kreuzungen aus. Dann enthält ihr Blut schon eine bedrohliche Menge Kohlenmonoxyd. Das Gas verbindet sich mit den Sauerstoffträgern im menschlichen Blut, dem Hämoglobin, so schnell und begierig, daß die Sauerstoffversorgung des Körpers in kürzester Zeit zusammenbricht. Werden Autos in engen Räumen zusammengepfercht, wie es in Garagen, Tunnels usw. der Fall ist, müssen Ventilationsanlagen für ständige Verdünnung sorgen. CO-Wolken in Straßenschluchten aber kann man nur mit kräftigem Wind ausräumen. Der aber wird durch die Bebauung so gebremst, daß seine Spülwirkung verlorengeht.

Während CO in der Außenluft nur Mensch und Tier, in Ballungsgebieten, kaum wahrnehmbar, schnell und stetig angreift, wirkt Schwefeldioxyd (SO2) auch auf dem flachen Lande, langsamer zwar, dafür aber auch bei Pflanzen. Dieses Gas entströmt nicht den Automobilen, sondern den Schornsteinen. Es entstammt nahezu ausschließlich der Verbrennung — auch der vollkommenen — von schwefelhaltigen Heizölen und Kohlen. Nach toxikologischen Gesichtspunkten gehört es zu den sogenannten lungenschädigenden Gasen, wie etwa Ammoniak und Chlor. Bei geringem Gehalt an Schwefeldioxyd tränen die Augen, die Atemwege werden gereizt. Die mittlere Dosis verschlägt den Stimmbändern die Sprache und verursacht Brustschmerzen, hohe Konzentrationen führen durch den sogenannten Stimmritzenkrampf zum Erstickungstod. Als sich vom 4. bis 9. Dezember 1952 ein dichter Nebel über London senkte, starben durch Ausfall des »Großventilators Wind« viertausend Menschen an der schwefeldioxydge-schwängerten Luft. Die Bronchien der Delinquenten streikten, Katarrh und Erstickungstod waren die Folgen. Da man die negativen Auswirkungen dieses Gases in erster Linie durch Verdünnung, das heißt Verteilung in großer Höhe (hohe Schornsteine) bekämpft, werden seine Auswirkungen oft kilometerweit vom Emissionsort verschleppt. Die Norweger haben so das zweifelhafte Vergnügen, Schwefeldioxyd-Luftfrachten vom Ruhrgebiet und den Midlands abzubekommen.

Trifft eine Schwefeldioxyd-Wolke eine Kuhherde querab vom Schornstein, so hat diese — wie andere Tiere im übrigen auch

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— bessere Überlebenschancen als der Mensch.

Denn bei Tieren wird im Gegensatz zum Menschen nur 60 Prozent der eingeatmeten Luft durch Nase und Luftröhre absorbiert. Die tödliche Reizschwelle liegt doppelt so hoch wie beim homo technicus. Ganz anders aber sieht es bei den Pflanzen, besonders bei Nadelhölzern, aus. Hier wirkt Schwefeldioxyd unmittelbar auf den Assimilationsvorgang ein. Die tödliche Reizschwelle liegt bei Pflanzen unter 1 ppm*, das heißt unter einem Gehalt von einem millionsten Teil Gas in der Luft.

Gasförmige Salzsäure, die Chemiker nennen sie Chlorwasserstoff (HCl), ist noch keineswegs so verbreitet wie Kohlen-monoxyd und Schwefeldioxyd. In der Nähe von Kali- und Sodafabriken beim Verbrennen von Kunststoffabfällen und bei Ziegeleien und Beizereien können sich in der Luft Salzsäure-Nebel bilden. Chlorwasserstoff ist ein starkes Reizgas, das den Schleimhäuten zusetzt und Zahnschäden verursacht. Bereits zwei Milligramm je Liter Luft sind bei etwa einstündiger Einwirkung tödlich. Es waren im übrigen Salzsäureschwaden, die schon im Jahre 1863 ein Einschreiten der Behörden in England notwendig gemacht haben. Das damals ergangene Gesetz, das sogenannte »Alkali works regulation act«, ist eine der ersten Maßnahmen zum Umweltschutz überhaupt gewesen.

Noch weit gefährlicher als Chlorwasserstoff ist der Fluorwasserstoff (HF). Er wird uns von Aluminiumfabriken, Gießereien, Emaillierwerken, Glashütten und Porzellanfabriken beschert. Fluor ist ein starkes Zell- und Fermentgift für Menschen und Säugetiere. Es beeinflußt den Zuckerstoffwechsel und den Kalziumhaushalt des Körpers. Die Zähne werden fleckig, die Knochen sklerotisch. Die höchst zulässige Grenze liegt mit zwei Milligramm je Kubikmeter bei einem rund tausendmal geringerem Wert als die tödliche Dosis von Chlorwasserstoff. Auch Pflanzen können Fluor, das in anderen Verbindungen erfolgreich zur Bekämpfung der Karies angewendet wird, in gasförmigem Zustand nicht vertragen. Das Gas reichert sich in den Blättern an, gibt ihnen eine braune bis schwarze Farbe und wandert bis in die Wurzeln der Bäume.

Der Bleigehalt der Luft ist auch in Friedenszeiten sehr hoch geworden. Dieses giftige Metall wird dem Benzin beigemischt, um seine sog. Klopffestigkeit zu erhöhen. Hat es diesen Dienst geleistet, schlägt es sich in Mensch und Tier sehr dauerhaft nieder. Was es dort für Schäden anrichtet, ist noch gar nicht ganz erforscht. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind eine Reihe von Zivilisationskrankheiten auf Bleiablagerungen im Körper zurückzuführen!

* Abkürzung für parts per million, Teile auf eine Million = 0,0001 %

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Die makabre Liste der gasförmigen Luftverunreinigungen und ihrer Wirkungen ließe sich noch beliebig verlängern. Neben den hier aufgeführten Exempeln direkter Angriffe auf Mensch, Tier und Pflanzen gibt es noch eine Reihe indirekter Folgen. Diese Schadgase bilden, zusammen mit den staubförmigen Verunreinigungen und sonstigem Dreck, jene Dunstglocke über den Ballungsgebieten, die Smog genannt wird. Besonders bei sogenannten Inversions-Wetterlagen, wenn der Austausch der verdreckten Luft mit der noch sauberen Umgebungsluft durch meteorologische Vorgänge blockiert ist, werden die Wirkungen nicht mehr nur für einzelne, sondern für alle Bewohner der Dunstglocke spürbar.

Ebenso vielfältig nach Herkunft und Wirkung wie die gasförmigen sind die staubförmigen Verunreinigungen. Zu ihnen gehören sinngemäß auch die Aerosole, die Schwebestoffe, und der Ruß. Im Gegensatz zu den meisten Gasarten in der Atmosphäre kann der Staubgehalt auch natürliche Ursachen haben. Tausend Tonnen kosmischen Staubes gehen allein jährlich aus dem Weltall auf unseren Planeten nieder. Der Ascheregen, der Herculaneum und Pompeji bedeckte, muß auch als natürliche Luftverunreinigung staubförmigen Charakters angesehen werden. Die vorübergehende Wirkung derartiger Naturkatastrophen nimmt sich bescheiden aus neben dem, was Kohlekraftwerke, Hochöfen und Blasstahlwerke ausspucken. Der Ruß rührt von unvollkommener Verbrennung, ähnlich wie das Schadgas Kohlenmonoxyd. Der Staub dringt in die Atemwege und lagert sich in der Lunge ab. So ist es kein Wunder, daß der Lungenstaubgehalt von Ruhrgebietsbewohnern hundertmal höhere Werte annimmt als der der Leute auf Borkum. Die feinen Staub- und Rußteilchen sind oft Träger anderer Stoffe, wie beispielsweise des als krebserregend gefürchteten Benz-pyrens.* In den Städten des Ruhrgebiets beträgt der Staubniederschlag bis 1,5 Gramm je Quadratmeter und Tag. Wenn auch solche Spitzenwerte noch selten gemessen werden, die langjährig registrierten Durchschnittswerte von 0,6 bis 0,8 Gramm je Quadratmeter und Tag sind genug, wenn man ein gut Teil davon einatmen muß. Häufig genug gelangen die giftigen Substanzen des Staubes in den Boden und geben ihre Fracht an die ohnehin verschmutzten Gewässer ab. Am Zustandekommen der Dunstglocken hat der Staub einen entscheidenden Anteil. Er bildet sogenannte Kondensationskerne, die den Wasserdampfgehalt der Luft schon lange vor dem sogenannten Sättigungszustand zu Nebel werden lassen.

* Aromatischer Kohlenwasserstoff, der z. B. im Steinkohlenteer und im Tabakteer vorkommt.

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Wasserdampf ohne Staub in der Atmosphäre ist nämlich im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Meinung nicht schädlich. Am besten kann man dies in reiner Landluft demonstrieren. Dort bleibt die Atmosphäre auch im Sättigungszustand, also bei hundertprozentiger Luftfeuchtigkeit, noch durchsichtig. Eine häufig völlig falsch eingeschätzte Gefahr stellt Ozon (chemisch: O3) dar. Ozonhaltige Luft ist keineswegs so erfrischend, wie von domistizierten Waldläufern oft postuliert wird. Das starke Oxydationsmittel Ozon übt schon in niedrigen Konzentrationen eine Reizwirkung auf die Atemwege aus und führt zu chronischen Vergiftungen. Es ist in der natürlichen Luft kaum enthalten, entsteht aber in ihr durch photochemische Reaktionen mit bestimmten Luftverunreinigungen, hervorgerufen durch die ultravioletten Bestandteile des Sonnenlichts. Sein Auftreten ist daher von der Tageszeit abhängig.

In Los Angeles sind die für Ozonbildung erforderlichen Bedingungen besonders ausgeprägt vorhanden, so daß dort schon Werte bis 1,0 ppm gemessen worden sind. Diese Konzentration an Ozon reicht bei intermittierter Einatmung über die Dauer von zwei Wochen bereits für chronische Vergiftungen aus, die sich in Form von Kurzatmigkeit und ständigen Kopfschmerzen äußern. Hühner gehen bei 1 ppm Ozon, also bei einem Kubikzentimeter pro Kubikmeter Luft, bereits nach fünf Tagen ein.

Mit Lungenkrebs und entlaubten Bäumen, mit Schleimhautreizung und Hühnertod ist die Schreckensskala der Luftverunreinigung noch keineswegs beendet. Blei in der Kuhmilch gehört ebenso dazu wie abbröckelnder Sandstein und einschneidende klimatische Veränderungen. So wird beispielsweise der seit langem beobachtete Anstieg der Temperatur auf unserem Planeten mit dem steigenden Kohlendioxydgehalt in der Atmosphäre in Verbindung gebracht. Dieses Gas ist in der natürlichen Luft mit nur 0,03 Volumenprozent enthalten. Da aber jährlich aus zahlreichen Verbrennungsprozessen allein in der Bundesrepublik 750 Millionen Tonnen in die Atmosphäre gelangen, erhöht sich der C02-Gehalt langsam, aber ständig. Schon sind die Spitzenwerte von 0,05, also 50 Prozent über der C02-Konzentration in natürlicher Luft, gemessen worden. Weltweit hat sich der C02-Gehalt in der Atmosphäre in den letzten hundert Jahren um etwa 15 Prozent gesteigert. Ein weiterer Anstieg bis zum Anbruch des dritten Jahrtausends von 25 Prozent wird erwartet. Damit würde das ausgewogene Gleichgewicht der Energiebilanz unseres Planeten nachhaltig beeinflußt. Kohlendioxyd ist ähnlich wie Wasserdampf für Wärmestrahlen nicht in gleicher Weise durchlässig (diatherm) wie andere Gaskomponenten in der Atmosphäre. Es ist vielmehr ein sogenannter Gasstrahler, der einen Teil der von der

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Erde zurückgestrahlten Sonnenwärme wieder reflektiert. Dadurch hat der Kohlenoxydanteil der Atmosphäre eine energiespeichernde Wirkung, der den Energiehaushalt unseres Planeten maßgeblich beeinflußt. So steht dem um 15 Prozent angestiegenen Kohlendioxydanteil in der Atmosphäre eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur auf der Erde um 0,5 Grad Celsius in den vergangenen hundert Jahren gegenüber. Nimmt die Verbrennung fossiler Brennstoffe weiter so progressiv zu wie bisher, so wird dieser Temperaturanstieg bereits im ersten Jahrhundert des dritten Jahrtausends die Durchschnittstemperatur um vier bis fünf Grad Celsius auf der Erde anheben. Das hätte weitreichende Wirkungen — um nur eine zu nennen: das Abschmelzen der Eismassen an den Polen.

Was ist gegen all diese Luftverunreinigungen zu tun? Entscheidendes ist nur zu erreichen, wenn die Ursachen und nicht wie bisher die Wirkungen bekämpft werden. Dafür aber muß der saubere Automotor her, dafür müssen die Brennstoffe entschwefelt werden. Die Emission von Stäuben ist durch noch wesentlich umfangreichere Filteranlagen auf ein ungefährliches Maß zu reduzieren, neue Methoden der Rauchgasreinigung sind zu entwickeln.

Dem Auto, als dem bei weitem potentesten Luftverschmutzer, kann man auf mehreren Wegen beikommen. Der saubere Automotor ist selbst bei Beibehaltung des Vergasermotors keine Utopie mehr. Mit Nach­verbrennungs­einrichtungen kann der so gefährliche Gehalt an Kohlenmonoxyd stark reduziert werden. Der Bleigehalt des Benzins — ein Mittel, die Oktanzahl des Treibstoffs (Klopffestigkeit) zu erhöhen — muß ein für allemal aus dem Treibstoff verbannt werden. Langfristig viel aussichtsreicher als die Verbesserung bewährter Motorkonstruktionen scheint allerdings die Aussicht auf das Elektroauto. Nur ein völlig abgasfreies Auto wird die Atmosphäre spürbar entlasten. Bis es soweit ist, sollte man elektrisch betriebene Massenverkehrsmittel mit allen vertretbaren Mitteln zuungunsten eines mißbrauchten Individualismus' fördern.

Die Entschwefelung der Heizöle und der Kohle ist technisch schon lange möglich. Sie ist allerdings mit hohen Kosten verbunden und würde den Brennstoffpreis spürbar erhöhen. Wenn aber alle im Wettbewerb stehenden Industrieländer ihre Bemühungen synchronisierten, würden Energiepreiserhöhungen wirtschaftlich ohne weiteres tragbar sein. Wie überhaupt überregionales Denken gerade bei der Luftverschmutzung eigentlich zur Selbstverständlichkeit werden müßte.

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Tote Wasser

Nur wenig Prinzipien aus der Mythologie der Altvorderen sind im Laufe der menschlichen Geschichte so beherzigt worden wie die Spülmethode des Herrn Herkules für die Reinigung von Großtierhaltungen. Das Prinzip »Augias-Stall« — den Dreck abströmen und das Gefühl, ihn beseitigt zu haben, aufkommen zu lassen —, ist wahrscheinlich schon älter als die Sage.

Wenn es zunächst Bäche waren, die genügten, den Unrat aufzunehmen, mußten schon bald — nämlich seit Beginn der sogenannten Arbeitsteilung im frühen Mittelalter — Flüsse herhalten. Wo die Zünfte der Färber und Gerber tätig waren, kippten die Wässer schon vor achthundert Jahren um. Aber auch hier war es dem industriellen Zeitalter und seiner Gigantomanie vorbehalten, die Dimensionen zu verrücken. Ströme und Meere wurden erforderlich, kühlend und spülend Rückstände aufzunehmen. Die Folgen sind hinlänglich bekannt. Daß der Rhein tot ist, weiß jeder. Daß nun auch die Weltmeere an der Reihe sind, hat soeben Jean Cousteau bestätigt. Er stellte nach einer dreijährigen Expedition über Atlantik und Pazifik das große Sterben fest. Die Ostsee-Fischerei hat praktisch aufgehört, der Stör muß bald in Aquarien gezüchtet werden, weil Wolga und Kaspisches Meer keine Lebensbedingungen mehr bieten.

Denkt man daran, daß alle höheren Lebewesen einmal aus dem Wasser hervorgegangen sind, muß man beglückt sein über den zeitlichen Abstand, den wir von jenen Tagen gewonnen haben. Was uns heute an Wasser umgibt, könnte kaum noch Grundlage für entwicklungsfähige Lebewesen abgeben. Im Gegensatz zur Luft gibt es beim Wasser auch rein mengenmäßig schon eine Knappheit. In nicht allzu ferner Zukunft werden die natürlichen Quellen jedenfalls für Süßwasser erschöpft sein. Denn Wasser wird nicht wie Luft ständig erneuert — dafür allerdings auch nicht in gleichem Maße aufgebraucht. Der Wasserhaushalt der Erde ist konstant, das Wasser verändert sich nur im Aggregatzustand und in seiner örtlichen Verteilung. Der Wasserkreislauf der Erde wird von der Sonne in Bewegung gehalten. Da ständig die gleichen Mengenströme beteiligt sind, erhöht sich die Konzentration an schädlichen Stoffen laufend. Die Möglichkeiten, sie natürlich abzubauen, sind schnell erschöpft. Die Befreiung der Gewässer von Schmutz und Gift ist daher noch ein viel dringenderes und weltumspannenderes Problem als die Reinhaltung der Luft.

Während die Luftverunreinigung im wesentlichen die

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Nutznießer des Wohlstandes in industriellen Ballungsgebieten trifft, schlagen die schmutzigen Fluten auch Wellen an fernen Gestaden.

Wasser ist eigentlich schon von Natur aus verunreinigt. Chemisch reines Wasser, H2O natürlichen Ursprungs, gibt es nicht. Selbst das verdunstete, später kondensierte und als Regen wiedergewonnene Wasser ist, obgleich aqua destillata, keineswegs frei von Fremdstoffen. Die Regentropfen nehmen aus der Lufthülle einen Teil der dort reichlich vertretenen Stoffe auf, und sie schleppen auch noch Produkte aus ihrem Vorleben als Wasser mit sich herum. Gleichwohl ist Regenwasser einige hundertmal reiner als Grundwasser. Das Wasser aus dem Boden ist oft Jahrhunderte unterwegs, bevor es an die Erdoberfläche tritt, und hat bei seinem Durchgang durch die Bodenschichten Mineralien der verschiedensten Formen angelagert. Der auch bei der Verwendung reinsten Quellwassers sich bildende Kesselstein zeugt davon. Es sind gerade diese Inhaltstoffe der natürlichen Wässer, die ihren Wohlgeschmack bewirken und mancherorts sogar die Verlängerung der Ortsbezeichnung »Bad« rechtfertigen. Oft sind sie so reichlich vertreten, daß das Wasser ungenießbar ist. So sind es bei der Wasserverschmutzung nicht die Fremdstoffe an sich, die Probleme aufwerfen, sondern künstliche Zutaten, die das natürliche Wasser in seinen chemischen, physikalischen und vor allem biologischen Eigenschaften verändern.

Am Wasservorkommen sind die Ozeane mit etwa 83,5, die Erdkruste (Lithosphäre) mit etwa 15,5 Prozent, die Eismassen an den Polen mit ein Prozent, Oberflächenwasser aus Seen, Flüssen und das Grundwasser in den oberen Schichten mit nur 0,3 Prozent beteiligt. Der Gesamtvorrat beträgt etwa 1,6 Milliarden Kubikkilometer. Das ist eine so enorme Menge, daß auch die Umrechnung in Güterzugeinheiten sie nicht anschaulicher macht. Dennoch macht diese Wassermenge vom Rauminhalt des Planeten nur 0,15 Prozent aus, während es an seiner Oberfläche mit 61 Prozent beteiligt ist. Das unterstreicht die »Oberflächlichkeit« der Wasservorkommen, demonstriert, wie dünn und somit verletzlich die Wasserhaut ist.

Wie sind nun die Mengenströme am Wasserkreislauf beteiligt? S. Clodius hat das für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einmal berechnet.* Danach gehen jährlich rund zweihundert Milliarden Kubikmeter Wasser in Form von Regen, Schnee, Hagel und Tau nieder. Das sind etwa 803 Millimeter Niederschlag.

Nur ein Bruchteil davon wird für die

* Siehe Schema im Anhang.

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Wasserversorgung der Bevölkerung und der Industrie verwendet.

Es sind ganze 7 bis 8 Prozent oder 14 bis 16 Milliarden Kubikmeter im Jahr (1970). Eine Hälfte davon entstammt dem Grundwasser, die andere den verschiedenen Oberflächengewässern (Seen, Flüsse usw.). Wie kommt es, daß dieser relativ bescheidene Wasserstrom, der nach seiner Benutzung Abwasser darstellt, soviel Schwierigkeiten macht?

Zunächst muß man berücksichtigen, daß nicht der ganze Niederschlag für die Verdünnung des Abwassers bereitsteht. Die Hälfte verdunstet — über Pflanzen, Boden und sonstige Oberflächen. Zum Verwässern des Abwassers verbleiben nur noch rund 85 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Auf diese Menge bezogen macht der Abwasserstrom schon 12 bis 14 Prozent aus. Diese grobe Rechnung ist aber nur überregional gültig, ein hydrologischer Durchschnitt gewissermaßen. Den gibt es aber nicht, und so kann der Niederschlag aus der Lüneburger Heide nicht für die Verdünnung der Abwässer an Rhein und Ruhr herangezogen werden. Folge: Dort kann der Wasserverbrauch örtlich ein Vielfaches des Niederschlages ausmachen, das heißt, der Wasserbedarf muß aus dem Abwasser gedeckt werden. Von Verdünnung keine Rede mehr.

Ähnlich sieht die Bilanz für alle Industrieländer aus. Schon gibt es Überlegungen, den regionalen Zusammenbruch der Wasserversorgung durch Fremdbelieferungen zu decken. Die Pipeline von den südschwedischen Seen nach Deutschland ist geplant, die Meerwasserentsalzung an der Küste auf dem Reißbrett.

Wer trägt die Schuld an der Misere? Natürlich der Mensch, im Gegensatz zur Luftverunreinigung aber nicht nur seine Maschinen, sondern auch er selbst als physische Person. Allerdings mit seinen vom technischen Zeitalter diktierten Ansprüchen. Während der Wasserverbrauch der Bevölkerung durch die wachsenden Anforderungen der Zivilisation langsam, aber stetig steigt (Zuwachsrate etwa drei Prozent im Jahr), wächst die Schmutzlast des Abwassers glücklicherweise nicht im gleichen Maße. Beim Geschirrspülen von Hand werden zehn Liter Wasser verbraucht, die Maschine benötigt 150 Liter. Dabei ist die Menge der wegzuspülenden Schmutzstoffe konstant geblieben. Ähnlich sind die Verhältnisse bei anderen »Spülvorgängen« im persönlichen Bereich des Menschen. Immerhin ist das, was aus den Haushaltungen an Abwasser ankommt, keineswegs harmloser Natur, wenn es sich auch nach Menge und Zusammensetzung neben der Industrie als Abwasserproduzenten eher bescheiden ausnimmt. So liefern die Haushaltungen in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich öffentlicher Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schlachthöfe usw. jährlich etwa drei Milliarden Kubikmeter Abwasser. Das sind 25 Prozent des Gesamtaufkommens.

Die Industrie dagegen

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liefert zwölf Milliarden Kubikmeter pro Jahr, und ihr Bedarf wächst doppelt so schnell an (vier bis fünf Prozent im Jahr). Für die Bewertung der schädlichen Stoffe im Abwasser gibt es eine Reihe von Kriterien, die eine Aussage über ihre chemischen, physikalischen, biologischen und bakteriologischen Wirkungen zulassen. Dabei hat es sich als praktisch erwiesen, gewisse Eigenschaften der verschiedenartigsten Abwässer mit denen eines Menschen zu vergleichen (Einwohnergleichwert). So entspricht eine Papierfabrik abwassertechnisch gesehen pro Tonne Papier tausend Menschen, eine Chemiefabrik bringt es leicht auf zehntausend Einwohnergleichwerte, eine Gerberei sogar auf fünfzehntausend, jeweils bezogen auf eine Tonne Produktion.* Bei solchen Multiplikationen wird deutlich, welche potentielle Gefahr einige Industriezweige für die Gewässer darstellen. Es wird einem dabei auch klar, warum zwei Dutzend Papierfabriken in Schweden und Finnland den Inhalt des Bottnischen Meerbusens in eine Chemie-Brühe und warum einige wenige Chemiefabriken zwischen Basel und Rotterdam den Rhein in eine stinkende Kloake verwandeln.

Die Schmutzfracht der Abwässer hat je nach Herkunft eine recht verschiedenartige Zusammensetzung. Physikalisch gesehen reicht die Skala von dicken Brocken bis zu gelösten Stoffen, das heißt von einigen Millimetern bis zu einem millionste! Millimeter Teilchen-Größe. Einige davon sinken im Abwasser nach unten (absetzbare Stoffe), andere verbleiben schwebend. Der Chemiker unterteilt in mineralische und organische Stoffe, der Biochemiker in abbaufähige und nicht abbaufähige. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Einteilungen, zum Beispiel nach hygienischen oder bakteriologischen Gesichtspunkten.

Die organische Substanz der Schmutzstoffe (Kohlehydrate, Eiweiß, Fett) kann durch Mikroorganismen abgebaut werden. Sie mineralisieren diese Stoffe, das heißt, verwandeln sie in Kohlensäure und Wasser. Dafür wird Sauerstoff benötigt, und zwar etwa sechzig Gramm je »Einwohner« und Tag. Man vergesse an dieser Stelle nicht: Eine Tonne Papier entspricht tausend Einwohnern. Soviel Sauerstoffbedarf können Flüsse, Seen und auch das Meer nicht immer decken. Das Wasser kippt um, die Fische schnappen vergebens nach Luft, sie ersticken. Gleichzeitig mit dem Fischsterben erfolgt eine Schädigung anderer Lebewesen im Wasser. Die gesamte Mikroflora wird in Mitleidenschaft gezogen.

Viel schlimmer noch als dieser Erstickungstod der Gewässer ist die toxische Wirkung anorganischer Stoffe in den Abwässern.

* Für weitere Abwasserproduzenten siehe Tabellen im Anhang.

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Die sogenannte Schädlichkeitsgrenze in Milligramm Schadstoff je Liter gemessen liegt für Salze, wie sie die chemische Industrie tonnenweise abläßt, zwischen 0,1 und 300 Milligramm je Liter. Sie töten die Mikroflora ab, so daß auch die organischen Bestandteile gar nicht oder nur noch viel langsamer abgebaut werden.

Treten bestimmte organische Bestandteile in Massen auf, wie es hinter Papierfabriken, Brauereien, Hefefabriken und ähnlichen vorkommt, so entstehen Monokulturen von Pilzen und Algen, die in kurzer Zeit alles übrige Wasserleben erdrücken. Zusätzliche Schlammablagerungen, weiterer Sauerstoffmangel, anaerober Abbau der organischen Bestandteile, verbunden mit der Entstehung übelriechender, oft sogar giftiger Gase sind die Folgen.

Die oft nicht zu umgehende Wassergewinnung aus solchen Kloaken stellt den Wasserchemiker vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten.

Was ist zu tun, um dem Abwassertreiben in der heutigen Form ein Ende zu bereiten? Während bei der Bekämpfung der Luftverunreinigung der Blick nur nach vorne gerichtet sein muß, weil die natürliche Selbstreinigungskraft noch vorhanden ist, muß für die Reinhaltung der Gewässer auch der Dreck vergangener Tage weggeräumt werden. Würde die Emission aller luftverunreinigenden Stoffe schlagartig gestoppt, wäre — von einigen Atomwolken einmal abgesehen — innerhalb kürzester Zeit der Himmel wieder klar.

Bei den toten Wassern würde das nicht genügen. Der jahrzehntelange, ja zum Teil jahrhundertelange Mißbrauch hat die natürliche Selbstreinigungskraft der Binnenwässer in Industriegegenden völlig gebrochen. Die meterdicken, meist nährwertreichen Schlammschichten auf den Böden von Seen und Flüssen würden weiter Schilf und Algen sprießen, Fisch und Daphnien nicht aufkommen lassen. Klar wird die trübe Brühe aus den gleichen Gründen auch nicht von selbst. Für die Regenerierung bereits toter Gewässer sind eine Reihe von Verfahren entwickelt worden. Man kann den fehlenden Sauerstoff im Wasser künstlich ersetzen. Dafür wird das Wasser intensiv umgewälzt, das heißt mit Luft in Verbindung gebracht. Bei anderen Methoden wird Luft unter Überdruck in das Wasser hineingepreßt. Oft genügt die Sauerstoffdusche nicht mehr. Dann müssen meterdicke Schlammschichten, der Nährboden ausgedehnter Monokulturen, oder Giftstoffablagerungen weggeräumt werden.

Den Verfahren eines derartigen nachträglichen Gewässerschutzes ist eines gemeinsam: Ihre Anwendung kostet viel Geld, und da die Verursacher oft nicht mehr zur Kasse gebeten werden können, entweder weil sie nicht mehr da sind oder weil sie mangels entsprechender Gesetzgebung gegen keinerlei Wasserrecht verstoßen haben, so müssen öffentliche Hände Geld ausschütten. Und das beschleunigt im allgemeinen die Dinge nicht. Natürlich ist die Reinigung neuer Abwasserströme ebenso wichtig wie die Regeneration bereits toter Gewässer. Beides muß Hand in Hand gehen.

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Für die Säuberung von Abwässer sind viele Verfahren entwickelt worden. Die Abwassertechnik ist seit Jahrzehnten eine fest etablierte Disziplin der Ingenieurwissenschaften, Biologie und Chemie. Die Verdreckung der Gewässer liegt daher auf keinen Fall daran, daß Reinigungsmethoden fehlen. Im Gegenteil, für jede bekannte Schmutzkomponente gibt es ein spezifisches Verfahren. Für neuartigen Dreck lassen sich neuartige Reinigungsanlagen konstruieren. Im Technologischen liegen die Probleme also nicht. Was fehlt, ist die Bereitschaft, die entwickelten Methoden anzuwenden, weil sie Kosten verursachen. Was fehlt, ist die Bereitschaft, die Dinge überregional zu ordnen und entsprechende Gesetze und Verwaltungsvorschriften zu erlassen beziehungsweise bestehende strikter anzuwenden. Was fehlt, ist auch die Bereitschaft der Abwasser-Fachleute, den Gewässerschutz als nur einen der zu schützenden Umweltfaktoren anzusehen. Denn wem nützt die Abwasserreinigung, wenn das, was aus dem Abwasser herausgefiltert wird, direkt daneben dem Boden bedenkenlos anvertraut wird. Oder wie anders als äußerst kurzsichtiges Ressortdenken von »Nur-Wasserfachleuten« soll man es nennen, wenn in einem bekannten Standardwerk über Wasserfragen noch 1969 geschrieben wird:

»Es gäbe keinerlei Abwasserprobleme, wenn die häuslichen und industriellen Abwässer von den Stellen ihres Abfalls auf schnellstem Wege der Kanalisation zugeführt und dann weiter in geschlossenen Rohrleitungen ins Meer geleitet werden könnten. Bei Einleitung in größeren Tiefen wären kaum irgendwelche Mißstände an den Küsten oder Beeinträchtigungen der fischereilich genutzten Gexoässer zu befürchten. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige, zumindest vorerst vollständige Lösung der Abwasserbeseitigungsfrage aus finanziellen Gründen praktisch nicht durchführbar ist und engste Zusammenarbeit vieler Staaten Voraussetzung wäre. Nur wenige küstennahe Großstädte können ihre Abwässer auf bequeme Weise durch Einleitung ins Meer abstoßen.«

Hat dieser gute Mann noch nichts davon gehört, daß gerade in der Nähe großer Städte, die sich ihrer Abwässer in derart bequemer Weise entledigen, keine Fische mehr vorkommen?

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Ein ganz entscheidender Bereich des Abwasserproblems kann durch die Einrichtung geschlossener Wasserkreisläufe im industriellen Sektor gelöst werden. Der Rohstoff Wasser ist, gerade weil man so schonungslos damit umgegangen ist, zu einer teuren Mangelware geworden. Wenn man für die Region Stuttgart das Wasser aus dem Bodensee heranführen muß, versteht sich von selbst, daß wasserintensive Industrien dort zur wiederholten Anwendung des kostbaren Nasses gezwungen sind. Das gilt vor allem für die Verwendung des Wassers als Kühlmedium. Man rechnet damit, daß der Wasserbedarf der bundesrepublikanischen Industrie im Jahre Zweitausend zu 75 Prozent aus Kreislaufwasser (64 Milliarden Kubikmeter pro Jahr von 87 Milliarden Kubikmeter) gedeckt werden muß. Heute sind es erst knapp sechzig Prozent. In anderen Bereichen, und hierzu zählt auch das kommunale Abwasser, müssen Reinigungsanlagen gebaut werden. Denn erst 25 bis 30 Prozent der städtischen Abwässer in der Bundesrepublik Deutschland werden vollbiologisch gereinigt, das heißt so gesäubert, daß die sie aufnehmenden Gewässer keinen Schaden nehmen.

25 Prozent der kommunalen Abwässer gehen völlig ungereinigt ab. Das ist eine Menge, die auch ohne industrielle Belastung für den Erstickungstod der meisten Flüsse ausreicht. Zwischen »ordnungs­ge­mäß« (vollbiologisch) und »ungereinigt« gibt es noch eine graue Zone mit 40 bis 50 Prozent nur teilweise gereinigten Abwassers. Der Finanzbedarf zur Ordnung des Abwasserproblems auf dem kommunalen Sektor wird allein auf 80 Milliarden DM (Preisbasis 1970) gesetzt. Der Löwenanteil fällt auf die Einsammlung, also die Kanalisation und nicht so sehr auf die Klärwerke.

Bei den industriellen Abwässern, die in den Vorfluter entlassen werden, liegen die Verhältnisse ähnlich. Höchstens 30 Prozent davon werden ordnungsgemäß gereinigt. Auch hier sind Milliarden-Investitionen erforderlich, um die Wasserverschmutzung nachhaltig zu beseitigen. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt hier allerdings bei den Klärwerken selber und nicht so sehr bei der Schaffung von Kanalisationssystemen. Ein besonderes Problem bei der Industrie liegt in den Wettbewerbsverzerrungen, die dadurch entstehen können, daß die Anforderungen an den Umweltschutz und damit die finanziellen Aufwendungen dafür regional sehr unterschiedlich sein können. Schuld an diesen zusätzlichen Erschwernissen sind Staats- und Verwaltungsgrenzen, Bürokratie und mißverstandener Föderalismus. In der Bundesrepublik Deutschland hat die für viele Dinge hinderliche Länderhoheit auch Folgen für den Gewässerschutz. Was die Hessen dem Main verbieten, gestatten die Rheinland-Pfälzer ihrem Strom, und die Bayern färben ihre Gewässer lieber blau-weiß ein, als dem Bund einige ihrer freistaatlichen Rechte zu opfern.

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Tote Wasser sind nicht nur eine Folge ungenügend gereinigter Abwässer. Viele Stoffe sind auch ungelöst in Wasser für Flüsse, Seen und Meere tödlich. Für viele sei hier stellvertretend auf Pflanzenschutzmittel und Mineralölprodukte hingewiesen. Als im Jahre 1969 einige hundert Kilogramm eines hochkarätigen Pflanzengiftes auf einem Rheindampfer über Bord gingen, starb das bißchen Leben, was in ihm noch verblieben ist, auf Hunderten von Stromkilometern in kürzester Zeit völlig aus. Die toxische Wirkung dieser Mittel ist enorm. Von einigen der sogenannten Pesticide genügen 0,015 mg/l (Milligramm pro Liter), um Süßwasserfische innerhalb von achtundvierzig Stunden zu töten. Das wegen anderer Schadwirkungen bestens bekannte DDT wirkt in einer Konzentration von 0,075 mg/l tödlich. Ein zehntel bis ein hundertstel Milligramm, das ist eine so verschwindend kleine Menge, daß es keiner verlorengegangener Giftsäcke bedarf, um sie zu erreichen. Die Windtrift genügt schon.

Auf der ganzen Erde, und hier wiederum im wesentlichen konzentriert auf die wohlhabenderen Länder, werden jährlich 1,5 Millionen Tonnen chemischer Pflanzenschutzmittel angewendet. Für Europa beträgt der durchschnittliche Verbrauch dreihundert Milligramm Pflanzenschutzmittel je Quadratmeter Ackerland. Diese Mittel haben nicht nur den »Stummen Frühling« zur Folge, indem sie das gesamte Insektenleben und die Singvögel ausrotten, sie haben auch einen erheblichen Anteil an der weltweiten Zerstörung der Gewässer. Die Abwassermenge einer Raffinerie beträgt das Fünfzig- bis Hundertfache der durchgesetzten Rohölmenge. Sie zählen abwassertechnisch gesehen weder der Menge noch der Giftwirkung nach zu den besonders gefährlichen Abwässern.

Eine weitaus höhere Gefahr für die Gewässer stellen dagegen direkte Mineralölverseuchungen dar. Ein durch Korrosion zerstörter Heizöltank von zwei bis drei Kubikmeter Ölinhalt kann einige tausend Kubikmeter Grundwasser auf Jahrzehnte verseuchen. Zwar ist es inzwischen gelungen, kohlen­wasser­stoff­oxydierende Bakterienstämme zu züchten, also einen biochemischen Abbau derartiger Produkte zu erreichen, die Gefahr ist damit aber noch keineswegs gebannt.

Auch Oberflächengewässer sind dem direkten Angriff der Mineralöle ausgesetzt. Leckgeschlagene Tanker und bei Nacht und Nebel auf hoher See abgelassene Rückstände aus den Tanks markieren die Schiffahrtswege auf den Weltmeeren. Als jüngst Thor Heyerdahl von Nordafrika an die amerikanische Ostküste segelte, mußte er mit Schrecken feststellen, daß der Atlantik über ganze Tagesreisen lang für Fischfang und Bad nicht mehr geeignet ist.    wikipedia  Thor_Heyerdahl  *1914 in Norwegen bis 2002 (87)

Bei den direkten Wasserschädigern wie Pflanzengiften und Mineralölprodukten gibt es keine Reinigungsmethoden wie bei Abwasser. Hier hilft nur die strenge Aufsicht, doppelte und dreifache Sicherheit. Die Behörden, die für die Bodensee-Ölpipeline ein zusätzliches Schutzrohr gefordert haben, haben nicht zuviel verlangt, wie manch forsche Regional- und Industrieplaner behauptet haben, sondern eher zuwenig.

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Dr.-Ing. Hans Reimer 1971 Müllplanet Erde