Gruppe Wacholder

Die Stadt, die ich so geliebt  Musik


Kießling

wikipedia  Matthias_Kießling 
*1956 in Erlabrunn bis 2021 in Cottbus (65)

bing  matthias+kiessling+wacholder

youtube  matthias+kießling

ostfolk.de/aktuell/matthias-kies-kiessling-ist-tot-25.10.2021/

wikipedia  Wacholder 

wacholder.de  

Google Wacholder 

detopia: 

Qultur.htm  

Hammer=Rehwü 

Künstlersterbejahr

 

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Interview mit "Wacholder" 2008 über die Gegenwart und die Vergangenheit

Quelle: Danke  https://www.ostmusik.de

Frage:
Seit ein paar Tagen seid ihr im Rahmen eurer Jubiläumstour <30 Jahre WACHOLDER< unterwegs. Wie läuft es bislang ?

Scarlett:
Bislang sehr gut. Die Konzerte sind gut besucht, die Menschen sind fröhlich, wir sind fröhlich – alles schick! Wir haben am 14.Januar in Hainichen begonnen, waren danach in Steinbach/Hallenberg, dann Halberstadt, Marienberg im Erzgebirge, gestern im Erfurter Museumskeller und heute nun hier im Potsdamer Lindenpark.

Frage:
Und die Leute, die zu euren Konzerten kommen, sind u. a. deshalb so fröhlich, weil sie sich freuen, euch wieder zu sehen und zu hören…

Scarlett:
Ja genau, dementsprechend super ist auch die Stimmung.

Frage:
In der aktuellen Folker!-Ausgabe steht zu lesen, dass es definitiv keinen Mitschnitt resp. keine Live-CD von der Tour geben wird…

Scarlett:
Der Zeitpunkt, an dem dieses Interview geführt wurde, liegt ja nun schon ´n paar Tage zurück, da befanden wir uns noch mitten im Stadium der Planung. Aber an unserer Ansicht, nichts Live-haftiges zu veröffentlichen, hat sich nichts geändert – definitiv! Es sind ja alles Titel , die wir mindestens schon ein-, zweimal veröffentlicht haben und so halten wir eine erneute Veröffentlichung für relativ sinnlos.

Frage:
Ihr habt euch beim Uni-Fasching im Februar 1978 gefunden und WACHOLDER gegründet. War das damals eher so eine Art - dem Anlass geschuldete - <Schnapsidee>, oder habt ihr euch gesagt, wir probieren das jetzt mal aus und sehen dann, was daraus entsteht?

Matthias Kießling:
Ja, die altbekannte Geschichte… Es gab aber schon vorher, im Jahre 1976, den eigentlichen Initiations-Ritus: das 1. Leipziger Folk-Festival, bei welchem ich zum ersten Mal mit dieser Szene in Berührung gekommen bin. Ein Jahr später haben wir uns alle drei in Cottbus als Studenten getroffen und es entstand die Idee, es einfach mal mit der Folkmusik zu probieren, ob wir daran unseren Spaß haben und wenn ja, wie weit und lang er uns trägt. In diese Zeit fällt ja auch die Gründung von Zupfgeigenhansel, Hannes Wader machte seine erste reine Folk-Platte - das hat uns alles sehr beeindruckt und so stellten wir im April ´78 unser erstes Programm auf die öffentliche(n) Bühne(n).

Frage:
Es gab eurerseits aber schon ´ne eindeutig Präferenz für Folk…

Matthias Kießling:
Ja, das hat sich einfach so entwickelt… Damals waren auch einfach andere Zeiten. Zunächst hast du Radio Luxemburg gehört, später dann natürlich den <Treffpunkt> auf Rias2 und auch im DDR-Rundfunk konntest du mitunter gute Musik hören; also nicht nur immer Rock, sondern auch mal 'n Titel von Bob Dylan, Hannes Wader oder Reinhard Mey, wobei ich natürlich hinzufügen muss, dass reine Folkmusik dann doch eher Fehlanzeige war. Da lief dann vieles über Bekannte, so wie in meiner Heimatstadt Plauen - da konnte ich mir dann Dubliners-Platten anhören, z.B. die berühmte polnische Irish  Folk-Pressung, welche so 1972/73 kursierte. Die eindrucksvolle Berührung mit deutschem Folk war für mich die schon erwähnte Volkssänger-LP von Hannes Wader aus der Zeit, in der er noch bei Philips unter Vertrag war. Danach  Zupfgeigenhansel - da bin ich dann richtig auf den Geschmack gekommen. Dazu dann noch das von den Folkländern an der Leipziger Grafik-Hochschule organisierte erste Folkfestival, mit einer Bandbreite von McPherson´s Farewell bis hin zu Wader-Sachen – das war schon sehr beeindruckend. Unser erstes Programm bestand demzufolge dann auch aus ca. achtzig Prozent dieser Volkssänger-Platte und Titeln von Leuten und Bands, die man sich so auserkoren hatte, wie z.B. Liederjan .

Frage:
Kennengelernt hab ihr drei euch aber erst an der Bauhochschule in Cottbus, oder seid ihr euch zuvor schon mal über den sozialistischen Lebensweg gelaufen?

Scarlett:
Nee, nee – erst in Cottbus…

Jörg Kokott:
…und da gab´s einen legendären Fasching. Mit dieser Art von Musik hatte ich bis dahin überhaupt keinen Kontakt – ich komme aus der Klassik, habe klassische Gitarre gelernt – und habe während der Lehrzeit in einer Rockband gespielt, (wenn man das mal so bezeichnen will…). Der erste Kontakt mit Scarlett und Kies war wirklich bei diesem Fasching, wo wir uns alte deutsche Trink- und Studentenlieder herausgesucht hatten…

Scarlett:
…das war im Februar 1978 und daraus hat sich dann dieser WACHOLDER-Kern entwickelt. Die Leute, die es interessiert hat, die ihren Spaß daran hatten, sind zusammengeblieben. Bei mir war es ähnlich wie bei Ko, ich hatte keinerlei Kontakt zu dieser Musik - ich komme eher aus der Ecke, in welcher die Kirchenmusik ertönt – das heißt, zwölf Jahre Kirchenchor in allen altersbedingten Varianten, vom Kinder- bis hin zum Erwachsenenchor, danach war ich in Chanson-Projekte und  Singegruppen involviert. Deutschsprachig zwar schon, aber eben nicht in Richtung Folk, das habe ich alles erst durch Kies kennen gelernt.

Frage:
Wie wurde eure Musik damals in der DDR von den offiziellen Stellen aufgenommen?

Scarlett:
Nett...

Matthias Kießling:
...Teils, teils, zum überwiegenden Teil aber doch eher problemlos, man hat es eher positiv zur Kenntnis genommen, sagen wir mal so. Es hat eigentlich nie ernsthaften staatlichen Stress gegeben, weil das natürlich auch über das gern gespielte Spiel seitens des Publikums und uns  (vielleicht auch seitens der Offiziellen) lief, dass wir mit dem traditionellem Liedgut des 19.Jahrhunderts – Stichwort 18. März 1848 – über Revolution und Veränderung, über das Reiben an der Obrigkeit, singen und anhand dieser zweiten Ebene, geschichtliche Texte für aktuelle Probleme zu verwenden, eine gewisse Aufmüpfigkeit zeigen konnten. Aussagen, die man nicht so ohne weiteres öffentlich artikulieren konnte, im traditionellem Gewande dann aber schon – und: es herrschte ein augenzwinkerndes Einverständnis…

Jörg Kokott:
…gab es doch noch ein Publikum, welches verstand, zwischen den Zeilen zu lesen. Heute habe ich den Eindruck, dass diese Fähigkeit in den letzten Jahren etwas verloren gegangen ist.

Frage:
Ihr stellt aber nach wie vor aktuelle Bezüge zum Zeitgeschehen her?

Scarlett O´:
Natürlich, das ist unsere Absicht. Wenn wir damals etwas gegen Potentaten gesungen haben, wusste es das Publikum durchaus richtig – also in  unserem Sinne - zu interpretieren. Und falls doch mal jemand mit dem erhobenen historisch-dialektischen Zeigefinger kam – böse, böse! – konnten wir uns natürlich ganz bequem zurücklehnen und sagen "Was wollt ihr denn? Das sind die Lieder der unterdrückten Völker und Klassen der vergangenen Jahrhunderte, wir haben die Texte ja nicht geschrieben, wir bringen sie nur zu Gehör…"

Frage:
Etwas behördlichen Stress gab es dann aber doch einmal, ihr hattet ein kurzzeitiges Auftrittsverbot im Zusammenhang mit der Hammer=Rehwü von Wenzel & Mensching. Betraf das ausschließlich WACHOLDER oder das gesamte Projekt?

Matthias Kießling:
In diesem konkreten Falle nur WACHOLDER. Die Geschichte ist etwas kompliziert und für uns am Ende auch folgenlos geblieben. Das war ein Versuch, WACHOLDER  aus dem Verkehr zu ziehen – mit durchaus justitiablen Vorwürfen, unterstellte man uns doch allen Ernstes "Aufwiegelung zum organisierten und bewaffneten Widerstand" und "Diffamierung der sozialistischen Errungenschaften", "Beleidigung der Arbeiterklasse der Mongolischen Volksrepublik"  inklusive. Klingt wie ´n Witz, ist/war aber keiner. Letzten Endes, um die Geschichte mal abzukürzen, erwies es sich jedoch als reine Luftblase.

Scarlett:
Ungefähr eine Woche hatten wir keine Berufsausweise…

Matthias Kießling:
...wir hatten durchaus Glück…

Jörg Kokott:
…wobei das Rundschreiben, dass die Gruppe WACHOLDER Auftrittsverbot hat, überall ankam, das zweite, in dem die Aufhebung dessen stand, allerdings nicht. Da gab es dann noch lange Zeit später erstaunte Gesichter. Aber wir haben es überlebt…

Frage:
Da seid ihr ja noch mal glimpflich davongekommen. Ihr habt euch als Künstler kritisch mit der Situation in der DDR auseinander gesetzt. Dann kam die Wende und mit ihr ganz neue Probleme für die Menschen dieses Landes. Wie habt ihr diesen Prozess erlebt, wie seid ihr mit den Veränderungen zurecht gekommen und wie habt ihr als Künstler reagiert?

Jörg Kokott:
Ich bezeichne das ja nicht als <Wende>, lieber ist mir die Formulierung vom <Großen Andersrum>. Wenzel bringt das in einem seiner Lieder sehr schön auf den Punkt, wenn er vom halben Land singt – immer nur die Hälfte. Jetzt haben wir die eine Hälfte bekommen, vorher hatten wir die andere, aber niemals ein Ganzes…

Scarlett:
Ich empfinde es so, dass bei vielen Dingen die Texte - auf einer anderen Bedeutungsebene – wiederum aktuell sind. Wir konnten  also vieles übernehmen, haben aber natürlich auch neue Texte, die vor allem von Kies kamen, ins Programm genommen, Texte, die sich mit der konkreten Situation der Leute heute befassen und von denen wir auch heute Abend einige bringen werden.

Jörg Kokott:
Die Gültigkeit der Texte hat sich ja noch 1993 hier in diesem Hause gezeigt, wo wir die Hammer=Rehwü noch zweimal aufgeführt haben – ein nach wie vor hochaktuelles Programm, trotz der vergangenen Jahre!

Matthias Kießling:
Einerseits gib es die ungläubig-erstaunte Reaktion "Was, so etwas durftet ihr damals singen?", zum anderen hat sich die Anzahl der Probleme ja nicht verringert, es sind nur andere. Dinge, über die man sich vor dreißig Jahren keine Gedanken machen musste, stehen nun im Mittelpunkt des Interesses und was damals problematisch war, ist heute kein Thema; die Wertigkeit hat sich einfach nur verschoben. In existentiellen Dingen ist es ungleich schwieriger als früher, hingegen ist bei Belangen des täglichen Lebens vieles einfacher.
Ein anderes Problem ist dagegen meine Erkenntnis, dass die Leute es heutzutage etwas gröber brauchen. Da ohnehin jeder alles sagen kann, ist es auch relativ uninteressant, was man selber sagt. Man fällt eigentlich nur noch auf, wenn man die Hosen runterlässt. Auffallen um jeden Preis ist wahrscheinlich ein wichtiges Kriterium, da muss man schon sehr genau überlegen, in welchem Zirkus man in welchem Maße mitmacht.

Frage:
Habt ihr denn schon mal richtig die Hosen runter gelassen und seit dadurch auch aufgefallen?

Scarlett:
Nöö-nöö…

Jörg Kokott:
Muss man nicht…

Frage:
Soweit ich als <Westler> richtig informiert bin, habt ihr schon einige Abschiedstourneen hinter euch. Ist das jetzt die letzte?

Scarlett:
Das ist schon interessant, denn wir haben nur eine einzige Abschiedstournee gemacht, im Jahre 2001. Bei diesem Anlass haben wir gesagt, dass wir uns eventuell/wahrscheinlich/ unter Umständen irgendwann bei einem Jubiläum noch einmal zusammensetzen. Diese Umstände sind nun vor einiger Zeit eingetreten, es gab viele Nachfragen seitens des Publikums. So habe ich dann vor ca. zwei Jahren mal einige Veranstalter angetestet – die Reaktionen waren nichts weniger als euphorisch und dann haben wir uns also zu einer Jubiläumstour entschlossen – und hier sind wir jetzt!

Jörg Kokott:
Die Reaktionen bislang haben uns ja auch gezeigt, dass es eine gute Entscheidung war. Die Veranstalter sind ganz glücklich, ausverkaufte Häuser zu haben – na gut, gestern hätten vielleicht noch zwei, drei reingepasst, nur dass die dann nicht mehr viel gesehen hätten – und die Reaktionen des Publikums sind mitunter richtig rührend. Die Leute bedanken sich nach dem Konzert bei uns, erzählen von ihren Erinnerungen, die sie mit WACHOLDER verbinden - das ist eine sehr angenehme Erfahrung…

Frage:
Wisst ihr, wie eure Musik in den alten Bundesländern aufgenommen wird?

Scarlett:
Das kommt ganz darauf an. Wir sind ja  bis 2001 auch in den alten Bundesländern aufgetreten und da war es nicht viel anders als hier, das hat sich im Prinzip nicht oder kaum unterschieden. Natürlich verbinden sie keine Jugenderinnerungen mit uns, weil sie uns damals logischerweise nicht kannten. Aber es gab und gibt da ja auch eine Folk-Szene, da unterscheiden sich die Reaktionen kaum. Bei der jetzigen Tour haben wir das ja noch vor uns, das werden wir dann seh´n.

Matthias Kießling:
Teilweise hat es ja auch nostalgischen Charakter, wenn ich so an die Zeit 1979/80 denke. Da gab es z.B. Einladungen aus Köln zu einem Folk-Festival, bei dem wirklich alles spielte, was in der Szene Rang und Namen hatte – durften wir natürlich nicht hin. Doch die Leute, die uns damals eingeladen hatten, kamen dann nach der Wende zu unseren Konzerten.

Jörg Kokott:
Auch bei meinen Solo-Konzerten kann ich da keinen Unterschied ausmachen ob ehemals Ost oder ehemals West. Es gibt auf beiden Seiten enthusiastische, doofe und kluge Köpfe.

Scarlett:
Genau!

Frage:
Seht ihr euch denn als 'ne ostdeutsche oder doch eher als 'ne gesamtdeutsche Band, um diesen etwas abgegriffenen Ausdruck mal aufzugreifen?

Scarlett:
Sagen wir mal so: Wir haben im Osten elf Jahre und im Westen 12 Jahre, bis zur Auflösung, existiert. Da kann man dann gewichten. Wir sind aber in dem Sinne ´ne Ost-Band, weil wir uns eben da gegründet haben und dort auch die mediale Aufmerksamkeit hatten, danach kam relativ wenig. Was also die Leute erinnern und assoziieren ist dann halt meistens die erste Platte und die Besetzung mit fünf Leuten. Aber ich finde diese Kategorisierung ohnehin schwachsinnig.

Jörg Kokott:
Da wäre doch mal sehr interessant zu wissen, wie eine im Westen gegründete Band auf diese Herkunftsfrage reagieren würde…Es gibt aber schon ´n paar Auffälligkeiten. Nehmen wir mal die Jubiläumskonzerte zum 60.Geburtstag von Wader oder Wecker – da fällt dann schon auf, dass die Zahl der mitwirkenden, aus dem Osten stammenden Künstler doch eher gegen Null tendiert…

Frage:
Habt ihr noch Kontakte zu euren ehemaligen Mitstreitern?. Oder gibt es gar ein paar <special guest>-Auftritte?

Scarlett:
Private Kontakte haben wir nach wie vor, aber <special guests> sind erst einmal nicht geplant, es sei denn, jemand springt mal zwischendurch auf die Bühne – vielleicht heute, das weiß man ja nicht vorher – oder der eine oder andere Geiger kommt vorbei… Nee, das haben wir einfach nicht geplant, schon rein vom Organisatorischen her war das gar nicht zu schaffen, zumal wir alle drei auch in andere Projekte involviert sind und es bei uns drei Leuten schon schwierig war, einen gemeinsamen Zeitplan für die Proben zu finden.

Jörg Kokott:
Wir haben freundschaftliche Kontakte zu allen ehemaligen Mitspielern und telefonieren des öfteren miteinander.

Frage:
Könntet ihr eure Solo-Projekte etwas ausführlicher vorstellen?

Matthias Kießling:
Ich habe 2004 mein erstes Solo-Album veröffentlicht, an welchem ich bissel lange gewerkelt hab´, weil es die ersten Aufnahmen seit 23 Jahren waren. Es ist ein reines Folk-Album und ist sehr gut aufgenommen worden, worüber ich mich natürlich sehr gefreut habe. Mit Titeln davon und noch einigen anderen Sachen bin ich dann mit einem zweiten Gitarristen auf Tour gegangen. Dann gibt es noch ein weiteres Projekt, das ist Norland Wind, eine Celtic-Folk-Unternehmung, mit welcher wir immer, in großer, achtköpfiger Besetzung, im Frühjahr und Herbst unterwegs sind. Das macht sehr großen Spaß und ist eine völlig andere Baustelle; mit sehr viel gälischen Einflüssen und auch davon gibt es wiederum noch ein dreiköpfiges Side-Project mit Gitarre, Geige und Harfe, ebenfalls keltisch-gälisch ausgerichtet. Dazu kommt dann  noch meine Arbeit als Studiomusiker und Kompositionen für den sorbischen Rundfunk.

Frage:
Du hast also gut zu tun und kannst von Deiner Musik auch leben?

Matthias Kießling:
Ja, ich kann nicht klagen...

Jörg Kokott:
Ich habe gerade eine neue CD, ´´Der Ring´´, herausgebracht, die sich auch gleich mit einem Titel in der Liederbestenliste plazieren konnte. Inzwischen bin ich mit meinem 60. Programm unterwegs. Dazu gehören natürlich auch die von WACHOLDER, aber ich selbst bringe pro Jahr schon ein, zwei verschiedene heraus. Parallel zum aktuellen ´´Ring-Programm´´ läuft noch das mit Texten von Heinrich Heine weiter. Dann bin ich mit Wolfgang Rieck als Duo unterwegs, ein weiteres Duo gibt es mit Cordula Schönherr, eine der besten Geigerinnen der Folk-Szene, da spielen wir, überwiegend instrumental, osteuropäische Folk-Musik. Wenn diesem Duo sich der Bassist Thomas Strauch hinzugesellt, nennt sich das dann ´´Bettelfolkband´´ und es geht querbeet durch die europäische Folk-Landschaft.
Nicht zu vergessen die drei Programme mit Thomas Bruhn, die da heißen ´´Durst´´ ,  ´´Mehr Durst´´ und ´´Noch mehr Durst´´. Die beiden ersten stammen von irischen, das dritte von – Freunde des Volkes – russischen Autoren…
Ja und dann spiele ich auch noch viel für Kinder, da gibt es ebenfalls drei verschiedene Programme und unterrichte außerdem an Schulen im Literaturunterricht das Thema ´´Die deutsche Ballade´´.
Gut zu tun also, da muss man dann schon aufpassen, nicht zum ´´falschen´´ Programm zu greifen. In dieser Hinsicht sind die sieben Wochen am Stück jetzt mit WACHOLDER - immer das gleiche Repertoire – für mich schon Entspannung.

Scarlett O´:
Ja, die pure Entspannung. Ich habe 1998 mein erstes Solo-Programm auf die Bühne gebracht, mit Begleitung durch Meister Ko. Seitdem Jahre 2000 mache ich meine Programme zusammen mit Jürgen (Ehle), da laufen mittlerweile fünf Programme parallel. Jetzt sitzt er gerade an der CD zu unserem allerneuesten namens ´´Fifty-Fifty´´, welches wir im September fertig gestellt haben anlässlich unser beider – oh Schreck - 50.Geburtstage. Da, so dachten wir, sollten wir doch noch mal über das Leben im Allgemeinen und über unseres im Speziellen neu nachdenken. So entstanden jede Menge neuer Texte und Kompositionen. Jürgen  spielt jetzt die Instrumente ein und ich werde dann nach der Wacholder-Tour die Lieder einsingen. Wenn alles gut klappt, wird die CD im April herauskommen - natürlich auch ´´Fifty-Fifty´´ betitelt.

Frage:
Woher nehmt ihr, bei dieser beeindruckenden Kreativität,  die Anregungen, Ideen, Inspirationen für eure Arbeit? Im <stillen Kämmerlein> wohl kaum…

Scarlett O´:
Das ist bei wohl bei jedem anders. Bei mir heißt das: Augen und Ohren auf, Stapel von Zetteln mit Notizen über alles, was man aufschnappt und sich endlich trauen, selbst Texte zu schreiben. Für unser Weihnachtsprogramm hatte ich vor ein paar Jahren schon mal einige Texte geschrieben und auch mal so zwischendurch n´ paar Zeilen, aber nicht so intensiv wie jetzt, weil ich immer dachte, das sollte ich lieber Leuten überlassen, die das besser können. Ich hatte den Eindruck, dass, schreibe ich z.B. ein Liebeslied, dieses immer so furchtbar kitschig wird, also lasse ich es lieber. Diesmal hab ichs gewagt und bin mit den eigenen Sachen durchaus zufrieden. Das heißt aber nicht, dass wir völlig auf Texte von anderen Schreibern/Dichtern verzichtet haben. Von Werner Karma z. B. sind mehrere Texte im Programm und dann auch auf der neuen CD.

Frage:
Zu guter Letzt noch die unvermeidliche Frage nach der musikalischen Initialzündung bei jedem von euch. Gab es da ein bestimmtes, prägendes <Erweckungserlebnis>, sei es eine Band, einen bestimmten Titel, oder seid ihr einfach so da hineingewachsen? 

Scarlett:
Na eher rein gewachsen, da aufgewachsen in einer sehr musikalischen Familie. Ich bin mit Musik groß geworden. Meine Oma spielte Klavier, meine Mutter Klavier und Flöte, ich selbst habe dann noch vor der Schulzeit im Kirchenchor gesungen, hatte im zarten Alter von sechs Jahren den ersten Klavierunterricht dort in der Kirche bei einer ganz wundervollen Kantorin, die sehr auf ihre Schüler einging. Mein Bruder z.B. wollte Trompete lernen, so hat sich die gute Frau erst einmal selbst das Trompetenspiel beigebracht, um es dann auch meinem Bruder lehren zu können. Sie hat Heerscharen von Buckower Kindern die Liebe zur Musik vermittelt. Ich war also einer Fülle von musikalischen Einflüssen ausgesetzt, hauptsächlich aber Klassik. Rock ´n´ Roll allerdings fand gar nicht statt, das konnte meine Mutter nun überhaupt nicht ertragen, so nach dem Motto ``Klassik, Oper & Kirchenmusik ist Kultur, alles andere nur Krach´´…

Jörg Kokott:
Mein Vater ist Gitarrist, hat viele Jahre Tanzmusik in verschiedenen Orchestern gespielt, hat auch Gitarre studiert, war zuletzt Professor für Gitarre an der Hochschule in Dresden und hatte u. a. mit Jörg Masler und Jens Saleh auch sehr prominente Schüler. Ich hatte also gar keine andere Chance, musste mit neun Jahren anfangen, Gitarre zu lernen, obwohl ich damals dazu nicht die geringste Lust hatte. Heute aber bin ich meinem Vater dafür natürlich sehr dankbar. Meine Schwester durfte dann Klavier lernen, das hätte ich wesentlich lieber gehabt. Aber es war schon hilfreich, dieses Instrument spielen zu können, z. B. während der Armeezeit, denn wenn man mit der Gitarre vor dem Bauch ein munteres Liedlein singt, braucht man nicht im Stechschritt über den Hof exerzieren, das war dann schon sehr angenehm…. Nach der Armeezeit dann das Studium in Cottbus, wo wir uns kennenlernten und seit der Zeit mache ich Musik, abgesehen von einem kleinen Abstecher in die Gastronomie…Aber Musik ist schon das Beste!

Matthias Kießling:
Ich <durfte> Klavier lernen, da war ich zehn Jahre alt. Die übliche Geschichte halt, hast du doch in diesem Alter nun überhaupt keinen Bock auf Mozart. Also hast du dich hingesetzt und mittels Tonband versucht, <She´s (Like) A Rainbow>  oder ähnliches den Tasten zu entlocken. Später dann von Keith Emerson und  Ekseption zu Deep Purple, Bob Dylan und schließlich Hannes Wader, da hatte ich mir dann schon im Eigenversuch erfolgreich Gitarre beigebracht, wollte ich doch auch so wie die beiden letztgenannten spielen können. Musikalisch war ich offen für alles, vom Jazz hin zum Free-Jazz, verschiedenste Festivals, schrägste Perkussion-Performances mit Kettensägen und ähnlichem, um schließlich beim Folk zu landen. Gehört, gesehen und gefunden könnte man sagen und seit 1978 dann selbst dabei – bis heute...

 


 

 

Was macht eigentlich WACHOLDER 

Fred Heiduk im Gespräch mit Scarlett O´, 2007 

Quelle: Ostmusik-Seite. Danke!   https://www.ostmusik.de/

 

Scarlett, lass uns die Geschichte Eurer Gruppe Stück für Stück aufarbeiten. Ihr seid eine Studentenband. Wie kommen Baustudenten zur Musik? 

Oh... Die Wege waren ganz unterschiedlich. Zunächst mal waren wir eine echte Faschingsband (lacht). Es wurde eine Gruppe gesucht und da hat sich eine Riesentruppe gefunden. Das war im Februar 1978. Studenten aus allen Studienjahren kamen zusammen und machten Musik. Zum Fasching eben. Natürlich haben wir uns vorher schon getroffen und geübt, gemacht und getan. Kies hat da schon mal Hannes Wader oder sowas gesungen. Bereits da kristallisierte sich heraus, dass einige Mitstreiter das Ganze etwas ernster nehmen. Die blieben nach der Faschingsfete zusammen. Das war der Stamm von Wacholder. 

Wir studierten brav weiter Bauwesen und machten nebenher Musik. Das erste Konzert als Wacholder gab es am 27. April 1978. Die Wacholders kamen zum Teil aus recht musikalischen Elternhäusern oder hatten sonst bereits mit Musik zu tun. Ko war, wenn ich mich recht entsinne, mal Thomaner. Kies hatte schon früh mit Jürgen Wolf und dessen Brüdern in Plauen zu tun. Da gab es die Folkländer bereits und Kies hatte in die Szene daher schon ein wenig hineingerochen. Er kannte Lieder von Wader, die irischen Geschichten und die deutschsprachigen Sachen, die in der Szene gesungen wurden. Solche Sachen wie die Lieder der Zupfgeigenhansel-LP von Amiga, die wie ein Lauffeuer rum ging. Er ist also an allem Schuld (lacht). 

Und ich hab vorher auch schon mal ein paar Lieder gehört, zu Hause mit Mutter, Oma, Geschwistern bei Hausmusik gemacht und im Kirchenchor gesungen - über 12 Jahre, von klein auf – später in Singeklubs und im Chansonstudio. Ich konnte sogar das ein oder andere Instrument spielen - oder wenigstens festhalten - wie die anderen auch. So kam es, dass wir uns auf deutschsprachigen Folk konzentrierten.

 

Das heißt - ihr seid alle keine professionellen Musiker. Wacholder ist ein eine Laiengruppe und ein reines Zufallsprodukt? 

Das nun auch wieder nicht. Lass mich das mal an meiner Person erzählen, da weiss ich es am besten. Ich hatte mich während der Lehre auf dem Bau an der Musikhochschule Dresden beworben. Da bin ich, ich geb's zu, schlecht vorbereitet, mit Pauken und Trompeten durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Danach hab ich mich sofort noch in Weimar beworben, also im selben Jahr - was unüblich war, aber ich war so frech. Es lagen, glaube ich, zwei Monate dazwischen. Diesmal war ich sehr gut vorbereitet und einige Studenten, die beim Vorsingen dabei waren, gratulierten mir danach schon zur Aufnahme. Wurde aber nix, weil der Vorsitzende der Prüfungskommission derselbe wie in Dresden war. Er könne mich nicht hintereinander in Dresden ablehnen und in Weimar annehmen. Man riet mir, ein Jahr zu warten, aber das wollte ich nicht. Ich glaub, im Osten hat man über sowas gar nicht nachgedacht, mal einfach ein Jahr ohne was rumzuwarten - stand für mich überhaupt nicht zur Debatte. Und außerdem hatte meine Berufsschule, die sowieso stinkig war, dass ich Musik studieren wollte, schon vorsichtshalber einen Studienplatz in Cottbus an der Ingenieurhochschule für mich reserviert, was ich den Leuten in Weimar auch sagte. 

Komischerweise fanden die das lustiger als ich und sagten mir: "Cottbus klingt prima, weil: da gibt‘s ein Konservatorium, an dem zwei unserer Hochschullehrer unterrichten. Da gibt es eine Berufsklasse. Da kann man bestimmt was machen. Wenn sie wollen, gehen sie da hin." Das hat mich alles aber die ersten zwei Jahre beim Baustudium gar nicht mehr interessiert. Aber als es dann Wacholder gab, wurde das anders. 

Dazu muss man sagen, dass es früher im Osten ja nicht ganz so einfach war wie heute, auf eine Bühne zu kommen. Ohne Einstufung, also eine offizielle Erlaubnis, ging gar nichts. Eine Einstufung als Volkskunstkollektiv hatten wir mit unserem ersten Konzert erworben. 85 Mark durften wir so am Anfang für einen Abend mit 6 Leuten verlangen. Uns war ziemlich schnell klar, dass wir beruflich Musik machen, also irgendwann damit auch Geld verdienen wollten. Dazu brauchte man 'ne Berufspappe. So bin ich mit zweieinhalbjähriger Verspätung zum Konservatorium getigert, hab mich bei besagten Gesangslehrern gemeldet: "Hier bin ich, möchte in die Profiklasse und meine Wacholder-Kollegen gleich mit!" Ist ein wenig verkürzt erzählt, hat aber geklappt, sie haben uns dankenswerterweise genommen. Kies, Ko und ich, später dann nach und nach auch die "neuen Wacholders", sind parallel zum Baustudium in die Berufsklasse am Konservatorium gekommen. ML - Marxismus-Leninismus für Wessis und Nachgeborene - und so‘n Zeug hat man uns aus dem Baustudium anerkannt, so dass wir nach 2 Jahren neben einem Ingenieurstudium auch ein kleines der Musik abgeschlossen haben. Zumindest ab dem Zeitpunkt waren wir dann also echte Profis (lacht). Wenngleich die Laien alles hatten, was die Profis Wacholder dann umsetzten. Mit beiden Abschlüssen in der Tasche, hatten wir dann auch noch das Glück, dass man uns Musik machen ließ, statt uns in einen Betrieb nach Staatsbedarf als Ingenieur auf 3 Absolventenjahre zu verpflichten, wie es ja üblich war.

 

Wo liegen die musikalischen Wurzeln Wacholders neben der Faschingsband? Hattet ihr mit der Singebewegung und den Hootenannys zu tun? 

Nicht wirklich. Wenn, dann peripher. Kies, der, so meine ich, in seiner Lehre auch schon in einer Band Musik gemacht hat, hatte wie gesagt Kontakt zu den Wolf-Brüdern und damit zur Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dort waren die Folkländer entstanden und hatten schon ein Folkfest veranstaltet, bevor an Wacholder überhaupt zu denken war. Das kannte Kies schon. Kos Vater war Gitarrendozent an der Musikhochschule in Dresden. Ko hat in Bands gespielt und kannte alle möglichen Leute. Aber zu ihrer persönlichen Geschichte müsstest Du die Männer wirklich selbst fragen, ich will nichts Falsches erzählen, hab auch ein miserables Personen- und Namensgedächtnis. Ist schon anstrengend genug, meine eigene Geschichte zusammenzukriegen... Ich hatte an meiner Schule in Buckow - neben Kirchenchor, Flötenquartett und Klavierunterricht - mit Freundinnen einen Singeklub gegründet. Und auch während der Lehre in Frankfurt/Oder war ich in einem Singeklub. Dann gab‘s da noch das Chansonstudio Frankfurt/Oder, wo ich auch war. 1974 hab ich bei den Chansontagen sogar 'nen Anerkennungspreis gewonnen. Klar kannte man da auch die Größen der Szene. Zumindest dem Namen nach (lacht). Karls Enkel, Friedman, Thalheim und so. Einige habe ich auch auf den sogenannten Singe-Werkstätten getroffen. Gundi, das war später. Unsere anderen Mitstreiter aus der ersten Besetzung hatten zum Teil ähnliche wilde Wurzeln, von Kirchen- bis Heimatmusik. Man sieht – das war alles ganz verschieden, warum wer jetzt Musik machte. Aber Spaß hat's gemacht. Immer!

Spaßige Instrumente waren bei Wacholder auch immer vor. Wie kamt ihr auf Brummtopf oder Teufelsgeige?

Wir haben uns nach einfachen alten oder alt klingenden Instrumenten umgesehen. Wenn man die noch bezahlen oder nachbauen konnte, dann kamen sie in unser Programm. Übrigens baue ich gerade wieder einen Brummtopf für die Geburtstagstour, da es bei den Wacholders keinen mehr gibt. Es gibt ein Bild, da liegen um uns herum über 30 verschiedene Instrumente. Alles, was irgendwie folkloristisch war und Krach machte, gehörte zu unserer Ausstattung. Gitarren, Mandolinen und Lauten, Kontrabass, Alulöffel, Teufelsgeige bis zu 'ner Art afrikanische Trommel, wo zwei Knöpfe an Strippen auf die Felle schlugen. Wir haben alles ausprobiert, was wir in die Hände bekamen. Und gepiepst und gequietscht hat es auch immer (lacht). Besonders lustig war das am Anfang, als wir noch kein Auto hatten. Da sind wir oft mit dem ganzen Zeug in X Koffern und Taschen per Zug zu Konzerten gefahren. Olaf hatte den Kontrabass und zwei große Reisetaschen, die anderen teilten sich die übrigen der gut 30 Instrumente. Dazu gehörten auch die verschiedenen Quetschen von Kies, die ja höllenschwer waren. Man hätte noch ein paar Arme gebrauchen können. Wenn ich dann mal mit 'ner Tasche ankam, weil Mädchen sich ja auch mal umziehen wollen, gab's schon mal 'nen bösen Blick von den Jungs. Weil - dann mussten die noch ein Teil extra schleppen (lacht). Aber die Jungs waren ja groß und stark. So haben wir das 'ne gewisse Zeit durchgehalten, bis wir dann an einen Mietwagen, es war ein Moskwitsch, kamen. So etwas gab's sogar in der DDR. Die Reisen damals mit dem Zug waren allerdings eine ganz besondere Geschichte. Ich erinnere mich an mehrere Fahrten, wo der halbe Zug sang, weil wir in irgendeinem Abteil Remmi Demmi machten (lacht). Einige unserer Instrumente haben nach unserem Abschied von den Bühnen den Weg ins Deutsche Museum gefunden. Obwohl das alles gar nicht auf ganz alte Musik ausgerichtet war.

Hätte es auch Rock statt Folk sein können? 

Das kann ich wieder nur für mich sagen. Man träumt schon davon, als ganz große Rocknummer, weltweit anerkannt und berühmt auf 'ner Bühne zu stehen. In vollen Stadien und so. Und dann da Frontfrau ... (lacht). Hätt' ich damals nicht Kies und Ko kennengelernt, wer weiß...? Ich wäre bestimmt auch eine prima Rockerbraut geworden (lacht) - Einbildung ist auch 'ne Bildung. Ich hab sie aber kennengelernt. Und es war schnell klar, was wir zusammen machen wollten. Wir wollten uns musikalisch auf deutsch ausdrücken und dem Ganzen einen folkloristischen, leicht irischen Touch geben. Die Szene war ja gerade im Entstehen. Von Anfang an sollten unsere Sachen Anspruch haben, speziell die Texte. Obwohl wir zunächst viele Sauf-, Tanz- und Gesellenlieder machten, ging es uns schon darum, Inhalte zu transportieren. Daher war es sehr interessant zu sehen, wie sich das alles entwickelte. Ob die Jungs lieber Rocker geworden wären, muss man sie mal fragen. Keine Ahnung. Aber letztlich sind wir sehr zufrieden mit dem, was wir gemacht haben und wie es lief. Ob wir das als Rockband oder was auch immer erreicht hätten, ist wohl sehr fraglich.

Nun seid ihr also Folkband. Nicht die erste, aber eine der bekanntesten. Warum wechselte Erik Kross von den älteren und ebenfalls sehr bekannten Folkländern zu Wacholder? 

Erik hat, so meine ich, in Cottbus gewohnt und am Konservatorium gearbeitet. Das war 1980. Und ich war gerade für längere Zeit wegen Schwangerschaft außer Gefecht gesetzt. Vielleicht rechneten meine Männer gar nicht damit, dass ich wiederkäme. Ich hab das zwar immer gesagt, aber die Jungs dachten vielleicht, na ja – die erzählt viel, aber dann ist sie drei Jahre im Schwangerschaftsurlaub. So schneiten sie eines Tages im Krankenhaus vorbei und stellten mir zwei neue Bandmitglieder vor, Pascha und Erik ... (lacht). Wenige Wochen nach der Geburt meiner Tochter stand ich wieder auf einer Bühne. Die Plattenaufnahme zu "ein Kessel Rotes" am 01. Mai 1980 hab ich wieder mitgemacht. Das war meine erste offizielle Mugge nach der Entbindung. Aber die Jungs konnten ja gar nicht anders, als sich um neue Mitspieler zu kümmern. Weil wir ja inzwischen nur noch zu dritt waren. Unsere anderen drei Mitstreiter aus der Anfangszeit hatten sich dann doch für den Bauingenieur entschieden.

 

Pascha und Erik sind ja noch nicht die legendäre Besetzung. Da gehören für mich Almut Walther und Matthias Wegner dazu. Warum wechselte die Besetzung erneut? 

Das hat dann wohl doch nicht gepasst. Die Art, Musik zu machen, die Texte und und und... Es gab die berühmten vielen kleine Dinge, die dazu führten, das Pascha und Erik wieder ausstiegen. Und dann suchten wir ganz explizit wieder einen Geiger. Das war schon die Zeit der Hammer=Rehwü. Almut war mit Ko zusammen und wechselte wohl auch deshalb von "Landluper" zu Wacholder. Und unseren Geiger haben sich gewissermaßen Wenzel und Mensching gewünscht. Die suchten einen "Einstein" (lacht) für die Hammer=Rehwü. Und Matthias war, als er für die Rehwü zurechtgemacht wurde, der perfekte Einstein.

Matthias Wegner hab ich irgendwie als clownesken Gegenpart zu Ko in Erinnerung. Stimmt der Eindruck? 

In gewisser Weise wohl. Wenn Matthias mal solo durfte, was wir aber in der Regel zu verhindern wussten (lacht), dann sind sie mit ihm schon mal durchgegangen. Dann hat er gern mal Faxen gemacht. Aber eigentlich brauchten wir ihn wirklich als guten Geiger. Er spielte einfach alles, wenn es gebraucht wurde - und manchmal auch, wenn's nicht gebraucht wurde. Das geht aber allen Geigern so - ha. Also die lustige Nummer lag ihm schon, finde ich.

Wenn wir dann schon bei den Mitgliedern sind, die nicht mit auf Tour gehen, wüsste ich doch gern, was aus ihnen geworden ist und ob möglicherweise der oder die eine oder andere als Gast auf der Tour dabei sein wird. 

Also geplant ist das zumindest nicht. Aber wer weiss, vielleicht drängelt sich ja doch irgendwo ein ehemaliger Wacholderzweig auf die Bühne (lacht). Was die Ehemaligen machen, weiss ich nicht von allen Mitstreitern. Einige machen unverändert Musik: Pascha im Nebenjob, Erik, Wolfram Huschke und Matthias. Der macht bei Auftritten im Rahmen seiner Veranstaltungsagentur, die er schon kurz nach der Wende gegründet hatte, bis heute neben Geigerei auch Conference. Andere, wie Almut zum Beispiel, sind in der Branche geblieben, ohne selbst Musik zu machen. So ist Almut beim Radio gelandet. Na und einige aus unserer ersten Besetzung sind doch noch Bauingenieure geworden.

Wird es auf der kommenden Tour sozusagen als Geburtstagsgeschenk für die Fans möglicherweise einen neuen Titel geben? 

Einen ganz neuen Wacholdertitel wird es nicht geben. Wir werden unsere alten Hits spielen, quer durch die aktiven Wacholderjahre 1978-2001. Das ist es ja auch, was die Leute hören wollen. Und jeder von uns wird ein Lied aus seinem aktuellen Programm vorstellen, die sind dann natürlich neu. Und etwas anders ist auch, dass es kein Keyboard geben wird, dafür wieder einen Brummtopf.

Woher kommen überhaupt die Texte eurer Lieder? 

Für uns war zunächst mal die Art der Texte sehr wichtig. Wir wollten nicht Volkslied im allgemeinen machen, sondern haben uns an Art und Aussagen von Leuten wie Hannes Wader oder Zupfgeigenhansel orientiert. Bei den ersten Muggen haben wir die sogar direkt rauf und runter gesungen. Aber zugleich haben wir uns um eigene Lieder bemüht. Das war schon ein wenig verrückt. 

Unsere erste und ganz wichtige Quelle war Steinitz' "Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten" von 1954. Da waren genau die Texte jenseits von "Hoch auf dem gelben Wagen" und "Am Brunnen vor dem Tore" drin, die uns gefielen und die man von Staats wegen doch nicht angreifen konnte. Es war ja die Musik des unterdrückten, revolutionären Volkes (lacht). Und zum anderen haben wir alles durchstöbert, was man sich denken kann. Ich hab von zu Hause aus, mit meinem Hintergrund mit Kirche und so, diverses "Volksliedbuchgut" (lacht - auf dieser Wortschöpfung Scarletts liegen glaub ich keine Rechte). 

Natürlich haben wir auch den "Zupfgeigenhansel", das berühmte Liederbuch des Wandervogels von 1909 geplündert. Später haben wir dann auch klassische Volkslieder angefasst, nachdem wir feststellten: So schlimm waren die gar nicht, wie wir sie aus Schulzeiten in Erinnerung hatten. 

Und dann hatte sich irgendwie jeder aus der Gruppe auf spezielle Quellen spezialisiert. Der eine jagte Kirchenbücher, der andere Heine-Bücher. Wir durchforsteten Antiquariate nach allem, was nach alten Gedichten aussah, stöberten in alten Liedsammlungen und im Volksliedarchiv. Immer auf der Suche nach sangbaren Texten. Wir wollten nicht nur Bekanntes kopieren oder imitieren. Zumal ich glaube, dass man kein Lied von damals heute so bringen kann, wie es damals klang, war schließlich keiner mit 'nem Tonband dabei. Melodien, die uns gefallen haben, oder echte Traditionals haben wir zum Teil so gesungen, wie wir sie fanden. Aber ansonsten haben wir die Texte, auf denen ja keine Rechte lagen, so verkomponiert, wie wir lustig waren. Die Musik sollte die Aussagen in den Liedern und damit das dort ausgedrückte Lebensgefühl wiedergeben. 

Und man konnte sich in der Form prima mit ganzen Geschichtsetappen auseinandersetzen, einem Programm sozusagen einen roten Faden geben. Wie bei unserem Heineprogramm. Die Idee dazu stammte von Wenzel und Mensching. Die arbeiteten nach der Hammer=Rehwü gerade mit Karls Enkel an einem Goetheprogramm und hatten außerdem noch ein Textbuch für ein Heineprogramm zusammengestellt. Das haben sie uns angeboten. Wir haben noch ein paar Heine-Texte hinzugefügt, im Groben das Textbuch aber so übernommen wie's war und die Musik zu den Texten komponiert. Jeder suchte sich die Texte aus, die ihm besonders gefielen und vertonte sie, wie er es für richtig hielt. Rausgekommen ist sozusagen unser Einstieg in eigene Konzeptprogramme. Den Stil haben wir dann beibehalten. Zum Beispiel für unser Programm "Trotz alledem- Lieder zu 1848". Was nicht vertont vorlag, oder wo uns die Musik nicht zusagte, das haben wir umgeschrieben. Ebenso für das danach kommende Programm "Hüt‘ dich Wacholdrio", das sich mit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auseinandersetzt.

 

Womit wir mitten in den Programmen der Gruppe Wacholder gelandet sind. Ihr habt ja regelmäßig neue Programme auf die Bühne gestellt. Nicht alle sind auf Platte erschienen. Warum eigentlich nicht? 

Das hatte auch etwas mit dem üblichen, real existierenden Sozialismus in der DDR zu tun. Wenn man nicht eine große Nummer war, durfte man sich freuen, überhaupt etwas veröffentlichen zu dürfen. Wir hatten ja sogar recht schnell, nach nur 5 Jahren (lacht) unsere erste eigene Platte "Herr Wirt, so lösche unsere Brände" - erschienen 1983. Das waren teilweise Sauf- und Gesellenlieder, deren Texte nicht ganz so vordergründig politische Aussagen und Parallelen hatten, aber auch Liebeslieder und Soldatenlieder. Die meisten Kompositionen stammten von uns. Wenn's nach uns gegangen wäre, hätten wir von jedem Programm, also jedes weitere Jahr, eine Platte gemacht. Ging aber nicht. Ob da nun jemand die Parallelen in den alten Texten zu aktuellen Zuständen erkannt hat und das für gefährlich hielt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich gab's nicht genug Bitumen für die schwarzen Scheiben. Gesagt wurde uns, dass es auch noch andere Gruppen gäbe, die erst einmal dran seien mit Produktionen und wir warten müssen, bis wir wieder an der Reihe wären.

 

Eure zweite Amiga LP <Es ist an der Zeit> kam kurz vor der Wende. Die LP wurde von den Fans bejubelt, aber gleichzeitig warf man Euch vor, die Platte wäre nicht wirklich gut, weil sie nur alte, bekannte Titel enthielt. Wie steht Wacholder zu dieser Platte? 

Amiga war 1988 die Reihe rum und wir durften wieder... Zunächst einmal ist richtig, dass das Album vor allem Titel enthielt, die wir irgendwann in unseren Programmen gesungen hatten. Wenn man so sagen will, ist die LP fast eine Best of, beinhaltet sie doch tatsächlich Titel der alten Programme, die besonders gut ankamen. Es gab aber diese Bedingung von Amiga, um überhaupt die Platte machen zu können: Diesmal bitteschön keine eigenen Kompositionen, sondern nur Traditionelles! Man muss das mal mit der ersten LP vergleichen. Da waren nur 2 oder 3 traditionelle Lieder drauf, die übrigen hatten wir selbst komponiert. Jeder von uns drei. Fünf Jahre danach sagte man uns dann: "So, Ihr seid wieder mit 'ner Platte dran, aber dieses Mal keine Eigenkompositionen. Ihr habt doch da sehr schöne, auch internationale, Traditionals … Ihr macht doch eine Platte fürs Publikum." 

Inzwischen hatten wir fünf Programme mit sehr, sehr vielen eigenen Kompositionen. Wir hätten mehrere Platten mit Neuem machen können… Dieses Mal durften wir nicht. Da half alles Diskutieren nicht. Entweder wollten sie keine Tantiemen zahlen, oder – ich weiß es nicht… Dass dann die Wende dazwischenkam, war ihr Pech, (macht eine Pause) aber auch unseres (lacht), weil das Album hat nämlich niemand bemerkt in der ganzen Hektik. Ich sag mal, das Album war für einen DDR-Markt gemacht, wo den Leuten internationale Folklore angeboten werden sollte. So sind auf der Platte einige sehr bekannte internationale Titel, die wir teils original nachsingen. Für den Zweck wäre die Platte auch sehr gut geeignet gewesen. Aber wie gesagt… Wir hätten ebenso gern auch eine LP mit neuen, eigenen Titeln gemacht und hätten das Material auch gehabt. Trotzdem zeigt auch diese LP unsere musikalische Entwicklung und hat Texte, wie wir sie liebten. Frech und bissig mit viel Hintersinn.

 

Ist es dann nicht ein Widerspruch, dass Wacholder trotz der eindeutig zweideutigen Texte auf und bei vielen bekannten staatlich protegierten Platten und Veranstaltungen zu finden ist? Mir fallen das Festival des politischen Liedes, der Liedersommer der FDJ und die dazugehörigen Platten ein. Hat man Euch verkannt? 

Verkannt wurden wir nicht. Im Gegenteil. Man verstand die Bezüge schon genau. Auch auf staatlicher und kulturpolitischer Seite. Aber so Recht konnte und wollte man an uns gar nicht ran. Zum einen hatten wir 'ne ganze Reihe Fans und zum anderen waren die Quellen der Texte unangreifbar. Wir haben sie ja zudem in der Regel nicht geschrieben, sondern sangen eben Lieder des unterdrückten Volkes vergangener Jahrhunderte in unserer Interpretation. Und wie unsere Texte von unseren Zuhörern verstanden wurden, das konnte man uns nicht anlasten. Und dann kann man heute wohl zu Recht sagen, dass viele, die behaupten, dies und das konnte man in der DDR nicht machen, es gar nicht erst versucht haben. Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam funktionierten oft bestens. Was die zentralen Festivals angeht, war die Teilnahme nicht unüblich. Wir hatten ja auch eine gewisse Bekanntheit. Wir wurden erfolgreich in Rundfunk und Fernsehen von "bösen" Redakteuren gespielt und sangen unzweifelhaft politische Texte, in denen gegen die Potentaten und Gewaltigen alter Zeiten opponiert wurde. Von daher wurden wir zu den Festivals eingeladen und passten da auch durchaus hin. Dazu kam, dass es für uns, die wir ja nicht reisen durften, so ziemlich die einzige Chance war, mal mit Kollegen aus dem Westen zu spielen. Und es war immer auch eine Möglichkeit, mit den Leuten mal privat zu reden, und Nächte durch zu feiern. Auch für die Festivals gilt: Man musste sich nicht zwangsläufig vom Staat vereinnahmen lassen. Da wollten uns Funktionäre gern in FDJ-Hemd sehen. Das lehnten wir rundweg ab und haben es auch nie gemacht. Hartmut König wollte uns mal für einen Fernsehauftritt dazu verdonnern. Wir haben ihm klargemacht, dass wir in FDJ-Hemd nirgendwo auftreten. Allerdings hat es uns bei der Hammer=Rehwü um ein Haar doch erwischt.

Was ist passiert? 

In der DDR war man ja von den Bezirken als Musiker zugelassen. Und die Bezirke konnten auch ihre Zulassungen wieder zurückziehen, einen Künstler oder ein Stück verbieten. Nun war es bei der Hammer Rehwü so, dass die Musiker aus vier Bezirken kamen. Die Enkel aus Berlin, Beckert/Schulz aus Dresden und wir aus Cottbus. Dazu ein Potsdamer. Das ganze Programm war von hoher Stelle, vom Komitee für Unterhaltungskunst, abgesegnet. Wir durften sogar Plakate für die Tournee drucken lassen. Dafür sind wir brav von Pontius zu Pilatus gelaufen und hatten am Ende ein Papierkontingent und die Genehmigung für den Druck. Aber auch das hatte noch nicht viel zu sagen. Denn es gab an allen möglichen Stellen ein paar ehrgeizige Menschen, die zwar offiziell mit der Kultur zu tun hatten, aber völlig ahnungslos waren. Und die konnten gewaltigen Ärger verbreiten. 

Eines Tages, nachdem die Hammer=Rehwü schon eine ganze Weile erfolgreich lief und Presse, Funk und Fernsehen sie lobend zur Kenntnis genommen hatten, traf uns unvermittelt das System. Im Ernst! Die Hammer=Rehwü wurde in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften in langen Beiträgen gefeiert. Im Radio war wohl auch bereits etwas gelaufen. Da wurde wegen dieses Programms die Gruppe Wacholder mit Auftrittsverbot belegt. In Cottbus saß im Publikum die Direktorin der Cottbuser Konzert- und Gastspieldirektion, beinah hätte ich KGB statt KGD gesagt... 

Jedenfalls saß eine dieser örtlichen Kulturgewaltigen mit ein paar unauffälligen Herren in der Aufführung und schrieb die ganze Zeit irgendetwas mit. Ganz offensichtlich missfiel ihr das Programm, aber da kam sie insgesamt nicht ran. Sie konnte nur die Cottbuser Akteure maßregeln. Und diese Chance nutze sie gründlich. Am Tag nach diesem Auftritt standen ein paar Herren vor der Tür, und befehligten die Wacholderleute zum Rat des Bezirkes zum Staatsanwalt. So trabten Kies und ich da hin - die anderen waren nicht in Cottbus und daher nicht so schnell greifbar - und wurden richtig in die Mangel genommen. An Hand von fünf Zeilen aus dem gesamten Programm bewies man uns staatsfeindliche Hetze gegen die DDR und den offenen Aufruf zum bewaffneten Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wir haben uns schon in der Minna auf dem Weg nach Bautzen gesehen… Aufruf zum bewaffneten Widerstand hätte da wohl mehr als genügt. Nach 1 ½ Stunden entzog man Wacholder mit sofortiger Wirkung die Berufsausweise und uns wurde DDR-weit verboten, Konzerte aufzuführen. Dazu gab es die Zusage, man würde uns bei der anderweitigen Berufssuche behilflich sein. Damit waren wir entlassen. (Scarlett schweigt, um dann unter Lachen fortzufahren. Es ist, als erlebe sie diese Episode gerade noch einmal, jedoch dieses mal als Betrachter statt als Betroffene.)

Kies und ich, wir haben uns vor der Tür angesehen und ohne Worte gefragt, wie geht es denn jetzt weiter? Was machen wir denn nun? Das kam dermaßen unvermittelt… Und wir waren jetzt Staatsfeinde…! Damit war zunächst die Hammer Rehwü, für die es ja eine volle Tour mit noch 20 Muggen oder so gab, gecancelt und Wacholder war eigentlich auf Lebenszeit und für überall verboten. Irgendwann haben wir uns dann ein wenig eingekriegt und haben erst mal losgerackert. Die Kollegen informieren. Gar nicht so einfach ohne Telefon. Es hatte ja nicht jeder eins. Dafür mit Fernschreiben und Telegrammen und über Freunde, die man erreichen konnte. Jedenfalls haben wir Almut, Ko und den Geier informiert, dass sie ihre Pappen abzugeben haben - unsere hat der Staatsanwalt behalten - und jetzt arbeitslos seien. Dazu haben wir Wenzel informiert, dass die Hammer Rehwü nicht laufen kann, weil wir verboten sind. Und dann haben wir alle, die wir kannten und die eventuell was bewegen konnten, in Bewegung gesetzt.

Wir haben den Zentralrat der FDJ in Berlin, die Akademie der Künste, unsere Gesangslehrer, bekannte Dozenten an den Musikhochschulen, eben jeden, den wir erreichen konnten und von dem wir uns Hilfe und Ideen versprochen haben, angerufen. Die konnten zwar nicht sofort etwas tun, aber wir hatten doch Glück. Denn am nächsten Tag gab es eine große Konferenz der Chefs der Räte der Bezirke mit dem Kulturminister in Berlin. Das wusste man beim Zentralrat FDJ, wo ja nicht nur sture Funktionäre, sondern durchaus ein paar vernünftige Leute saßen. Einer von denen, die wir angerufen hatten, bestellte uns nach Berlin zum Zentralrat. Man wolle versuchen, den Minister wegen des Vorgangs am Rande dieser Konferenz direkt anzusprechen. Wir sollten unbedingt dabei sein. Also haben wir alles, was wir an Unterlagen finden konnten, zusammengesucht, sind nach Berlin gefahren, haben einen großen eigenen Bericht verfasst. Den bestätigten die Leute vom Zentralrat und wir sind zusammen zum Minister marschiert. Er hat unser Schreiben auch bekommen und in einer Pause, wir waren da schon wieder weg, wohl den Cottbuser Kumpel antreten lassen und ihn gefragt: "Was ist denn bei euch in Cottbus los? Ihr könnt doch nicht ein Projekt verbieten, das von ganz oben genehmigt ist. Merkt ihr nichts?" 

Der Cottbuser wurde verdonnert, die Tour zur Hammer Rehwü sofort wieder in Gang zu bringen, und sich die nächste Aufführung persönlich anzusehen. Das geschah natürlich. So saßen, ich glaube in Frankfurt/Oder war das, die Cottbuser Kulturfunktionäre geschlossen im Publikum und bildeten sich eine eigene Meinung (lacht). Vorher hatte das ja nur diese Lise mit ihren zwei Vertrauten allein gesehen. Wir wurden dann ein paar Wochen später wieder zum Rat des Bezirkes Cottbus bestellt. Es dauerte wieder 1 ½ Stunden. Nur dieses Mal wurden wir nicht verboten, sondern es wurde uns verkündet, wie proletarisch fortschrittlich… und… Mission der Arbeiterklasse… und… bla, bla…, wie toll doch die Hammer Rehwü ist. 

Was sie allerdings nicht gemacht haben, ein Rundschreiben an alle Bezirke zu senden, dass wir wieder spielen dürfen. Wir hatten dadurch auch immer mal wieder Probleme. Weil einzelne Veranstalter die Information zum aufgehobenen Verbot einfach nicht schriftlich hatten. Es kam immer mal wieder: "Ich denk ihr seid verboten? Wir dürfen euch doch nicht engagieren." Und schon deshalb sind wir ein Jahr später groß und offiziell beim Festival des politischen Liedes aufgetreten. Das war sozusagen unsere öffentliche Rehabilitation. Und zudem gab es den Kunstpreis der FDJ und damit viel lobende PR. 

Aber diese Tante, die sich vielleicht profilieren wollte, übrigens die Frau des Chefs der Cottbuser MfS-Stelle, und was sich aus den Verbot für ein paar Tage entwickelte, hat uns beruflich lange durchaus geschadet. Und dabei hatten wir noch Glück. Wenn man an den bewaffneten Widerstand denkt. (lacht). Wer weiss? Vielleicht war die Dame auch die, die dafür sorgte, dass wir immer brav zu Hause bleiben durften. Bei den Anfragen nach Wacholder aus dem Westen wurde immer mal der Oktoberclub als Ersatz geschickt. Wacholder hatte offiziell nie Zeit für Auslandsgastspiele und so sind wir erst drei Monate vor dem Mauerfall mal bis nach Selb in Bayern… Nee, halt (lacht), das darf man nicht sagen! Also nach Franken, für eine Mugge gekommen. Andererseits hat sie uns so auch eine gehörige Aufmerksamkeit beschert. Denn die Szene verfolgte das Hick-Hack schon sehr genau.

 

In den Westen durfte Wacholder nicht. Aber ich erinnere mich an eine Tour in der DDR mit der Sands-Family. War das ein Ausgleich? Wieso eigentlich diese irische Folklore beim Festival des politischen Liedes und dann mit euch auf Tour? 

Mit der Folklore liegst du nur zum Teil richtig. Die Sands sind ja Iren und die spielen natürlich in der irischen Art. Es ist Folk, aber keine traditionelle irische Folklore, die zwar verwendet wird, aber ohne starre Regeln. Die irischen Folkpuristen lehnen deren Art komplett ab. Ihre Musik ist, wenn man so will, die Art Folklore, die wir in deutsch machten. Nur hatten sie den Vorteil einer ganz anderen Weltsicht und der Lieder in englischer Sprache, die die Zensur hier doch nicht so bis zum I-Punkt verstanden hat. Gerade die englischen Wortspielereien, wie es sie ja auch im deutschen gibt. Sands haben in der DDR auf englisch Sachen gesungen, die es auf deutsch vermutlich nicht gegeben hätte. Die Sands waren und sind hochpolitisch und links. Schon von daher passte das durchaus. Gerade deshalb wurden sie ja in die DDR eingeladen. Und auch menschlich sind das ganz prima Typen. Wir haben uns gut mit ihnen verstanden und die DDR Touren waren ein Riesenerfolg. Da sie dann schon mal hier waren, Musiker, die auf dem Festival des politischen Liedes aufgetreten waren, linke Musiker also, war es kein Problem, mit ihnen zu touren. Eine große Sondererlaubnis oder so brauchte es da nicht extra. Das hätte mit Lindenberg oder BAP sicher ganz anders ausgesehen. Unsere Touren mit der Sands Family und Dick Gaughan aus Schottland - den darf ich nicht vergessen - wurden allerdings offiziell von oben, von der Künstleragentur der DDR organisiert, auch wenn wir die Muggen rangeschafft hatten. Sie haben's abgesegnet und der Rest lief ganz entspannt. Bis hin zu den Gagen, die man nicht verhandelte, sondern nach Einstufung bekam, egal, wie viele Leute im Saal waren. Nur eines konnten die Sands nicht verstehen. Dass wir trotz der vielen Einladungen nie mit ihnen in Irland oder irgendwo im Westen auf Tour gingen (lacht). Sofort nach der Wende haben wir das nachgeholt, sind dann mit ihnen auch durch den Westen getourt und haben sie in Irland besucht. Wir haben bis heute Kontakt.

 

Du sprachst gerade westdeutsche Rockgrößen an. Da fällt mir die Frage ein: Seid ihr eigentlich mal mit dem Idol des deutschen Folk, Hannes Wader, gemeinsam aufgetreten? 

Ja sind wir. Wader haben wir auch beim Polfestival persönlich kennen gelernt. Nach der Wende sind wir zum Beispiel im Kloster Banz gemeinsam aufgetreten. Allerdings nacheinander.

Nach der Wende passierte überhaupt einiges bei Wacholder. Ihr habt vier Alben gemacht und weitere gefeierte Programme. Was sind die markanten Punkte der Bandgeschichte im zweiten Jahrzehnt? 

Zunächst muss man sagen, dass es uns, anders als vielen anderen Bands nach der Wende nicht schlechter als zuvor ging. Zumindest was die Zahl der Auftritte und Konzerte anging. Und jetzt durften wir ja auch ins Ausland (lacht). Ich kann mich an den Mai 1991 erinnern, als wir jeden Tag gespielt haben und ich mit Gipsbein sogar im Fernsehen war (lacht). ZDF Teleillustrierte - da steh ich mit Gipsbein am Keyboard. Warum wir die Wende recht gut überstanden? Vielleicht, weil wir jetzt wirklich in den Westen durften, wo man uns ja ewig eingeladen hatte und wo wir jetzt erstmals auftreten konnten. Und dann hatten wir Material ohne Ende und wollten das nun auf CD bringen. So haben wir dann alle 2 Jahre eine CD gemacht. Mehr ging finanziell nicht. Das musste ja auch finanziert werden. Und dann gab es ja immer wieder tolle Sachen. Das Heine-Programm, die noch einmal aufgeführte Hammer=Rehwü 1993, die Touren in Irland und Italien, die Auftritte mit diversen Musikerkollegen... Es war eine schöne Zeit. Wir hatten jede Menge Spaß, ein wenig Erfolg und haben uns immer gut verstanden. 

Doch irgendwann kam der Punkt, an dem wir uns sagten, der Zeitpunkt wäre ganz gut, auseinander zu gehen, bevor wir von der Bühne gejagt würden. Zu der Zeit waren wir ja seit 1993 in der jetzigen Triobesetzung unterwegs und hatten auch das ein oder andere Soloprojekt hinter uns oder steckten gerade mittendrin. Wir haben, wie Du sagtest, nach der Wende noch vier Alben produziert. Das letzte zum 20. Geburtstag - produziert von Jürgen Ehle - 1998 mit diversen Gästen. Der Rest ist Geschichte und endete mit der großen Abschiedstour. Wir waren an einem Punkt, wo aus der Gruppe heraus kaum noch musikalische Entwicklung zu erwarten war. Es musste frischer Wind rein und den konnten wir uns selbst nicht geben. Unsere Fans haben das alles vielleicht nicht so gesehen und hätten uns wohl noch etwas ausgehalten. Aber wir wollten nicht zu unserer eigenen Revivalband werden. Also machten wir nach 23 Jahren Schluss. Wir kündigten auch noch an, dass wir nicht alle Jahre wieder ein Konzert zu irgendwas geben würden. Die Entscheidung haben wir nicht bereut. Vielmehr haben wir uns voll und ganz in unsere Soloprojekte gestürzt und dort das gemacht, was mit der Band so nicht mehr gegangen wäre. Gelegentlich spielten wir dann doch mal wieder miteinander, aber nie als Wacholder und in der letzten Besetzung.

 

Wart Ihr die letzten eures Standes? 

Nee, das glaub ich nicht. Wir waren lange dabei, aber die Szene hörte nicht auf zu existieren, weil Wacholder nicht mehr auftrat. Es blieben doch einige übrig und neue kamen hinzu. Bis heute gibt es gute Folkbands mit anspruchsvollen Texten. Und sogar meine alten Helden, wie Wader, Wecker und so, sind alle noch da. Hochpolitisch und aktiv. Das Meiste findet halt nicht in den Medien statt, aber die Szene lebt und hat ihre Protagonisten. Und ich denke, es wird auch immer wieder neue junge Leute geben, die diese Musik entdecken und möglicherweise meinen, sie seien die ersten. Na, und international ist die Szene ja gut im Geschäft. Wir als Wacholder haben nun nichts unternommen, um unsere Weisheiten an den Nachwuchs weiterzugeben, keine Folkschule oder so aufgemacht. Aber wenn jemand interessiert ist, kann er sich mit den Wacholder-CDs auseinandersetzen oder einen von uns fragen. Es gab ja auch Leute, die sich wissenschaftlich mit der Gruppe Wacholder auseinandersetzten und Diplomarbeiten darüber schrieben (lacht).

Wacholder hatte ja noch ein paar Besonderheiten. Ich erinnere mal an die Liederhefte. (lacht) Da haben mich bereits Leute gefragt, ob wir die wieder dabei haben. Werden wir nicht! (lacht). Die Dinger sind auch so'n Kapitel. Da hab ich Stunden, Tage und Wochen an meinem alten Kopierer gestanden und kopiert, vorher natürlich die alten Hefte auseinandergenommen und saubere Vorlagen gebaut. Schweinearbeit!

 

Was waren die Hefte eigentlich? Welche Lieder enthielten sie? 

Das waren die Lieder unserer Programme. Wir wurden immer wieder angesprochen von Leuten, die unsere Stücke nachspielen, singen oder lesen wollten. Die ersten sind noch zu DDR-Zeiten entstanden. Auf so 'ner Art Klopapier in A4-Format. Das war so Restpapier von irgendwelchen Zeitungen. Die ersten Liederhefte wurden in Schwarze Pumpe gedruckt. So sehen die heute auch aus. Die zerfallen gerade. Doch selbst dazu – Genau! (lacht) - brauchte man eine Druckgenehmigung, die man erst kriegte, wenn ein Papierkontingent da war. Wir waren aber gar nicht die ersten mit Liederheften. Die Folkländer machten das schon vor uns. Aber die hatten mit ihrer Grafikhochschule auch ganz gute Voraussetzungen. Unsere ersten Hefte waren noch kleine Kunstwerke. So mit Handzeitungen, richtig schön... Später hat Kollege Computer schon den einen oder anderen Handgriff, wie die Aufzeichnung von Notensätzen und solche Fleissarbeiten, übernommen. Im Westen hörte das dann auch mit den Druckgenehmigungen auf (lacht). Und was machten wir? Wir druckten nicht mehr, sondern kopierten.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, wird es zur Jubiläumstour kein neues Heft geben. 

Stimmt. Das war einfach organisatorisch nicht auch noch zu stemmen. Ich hab ja neben dem Wacholderausflug noch mehrere kleine andere Beschäftigungen, sprich verschiedene Programme mit Jürgen, das gesamte Management dazu, nebst eigener Plattenfirma … (lacht) Und sieben Wochen Wacholder-Tour zu planen und zu organisieren ist auch kein Nebenjob. Das Management geht von den Spielorten über die Unterbringung und Verpflegung der ganzen Tourtruppe. Natürlich auch ein kleines bisschen PR. Es ist schön, jetzt noch einmal mit Wacholder unterwegs zu sein. Wir können uns zusammen auf dem Gebiet nochmal richtig austoben. Sieben Wochen sind ja nicht ganz wenig. Aber dann ist es gut, glauben wir übrigens alle. Danach macht jeder wieder seins. Wir freuen uns wie gesagt auf die Tour und hoffen auf volle Säle mit toller Stimmung.

Die Freude ist ganz unsererseits. Dass die Tour gut besucht sein wird, davon bin ich überzeugt. In diesem Sinne möchte ich mich bei Dir bedanken und wünsche in den nächsten Wochen viel Spaß und unvergessliche Augenblicke.

Interview: Fred Heiduk


  

 

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