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STEFAN KÖRBEL    Google1 
ist ein anerkanntes Multitalent innerhalb der deutschen Kleinkunstszene. Die Turbulenzen um 68 fielen genau mit seiner Pubertät zusammen - da blieben ausgeprägte politische Interessen sowie die Neigung zur Holzgitarre zurück. 1976 gründete er KARLS ENKEL, die in den 80er Jahren Kultstatus erlangten, ebenso die 1986er Schöpfung "Bolschewistische Kurkapelle Schwarz/Rot". Tourt in den 80er mit Gina Pietsch und im Trio mit Tina Tandler/Lexa Thomas, in den 90ern mit Bettina Wegner. Vor allem aber als Solist: gewinnt 1987 den Hauptpreis der DDR-Chansontage - der ihm aber aus politischen Vorbehalten dann doch nicht verliehen wird (sondern - dem Freund Gundermann!). 
Gründet 1990 - noch in der DDR! - ein eigenes Plattenlabel: NEBELHORN (ca. 40 CD- Veröffentlichungen, fünfmal "Preis der Deutschen Schallplattenkritik"). Ab 1999 "Club Voltaire" in Berlin, Versuch einer multifunktionalen Kunstkneipe. Körbel spielt Gitarre, Geige, Mandoline, Saxophon. Zeugnis seiner gewachsenen stimmlichen Ausdrucksstärke ist das Programm "Tengo Tango" - Tangos aus aller Welt (mit Valeri Koryshman, Akkordeon). Körbel ist begeisterter Segler und Kanupaddler und bereits mit acht Jahren in einem Kinderschlauchboot fast bis zum eigenen Tode auf der Ostsee gen Schweden abgetrieben....


 

Interview mit Stefan Körbel 2001

Junge Welt, 24./25. Februar 2001

 

Wie kommst du zur Zeit professionell über die Runden? 

"Professionell über die Runden“ ist gut. Ich mache zur Zeit drei Sachen: Liedprogramme, mit denen ich durch die Lande reise, die Plattenfirma »Nebelhorn« und seit anderthalb Jahren den »Club Voltaire«. Den betreibe ich zusammen mit meinem Freund Thomas Schwanke, weitgehend nach der Idee des »Club Voltaire« in Franfurt(Main), den es dort seit 1963 als ein lokales linkes Zentrum gibt. Wir haben dort das Programm »Forty Eight Crash« gespielt, Lieder und Texte aus der Revolution von 1848, waren schwer begeistert, und ich dachte; eigentlich fehlt so was in Berlin. Obwohl diese Stadt ja meint, alles zu bieten. Stimmt aber eben nicht.

 

Was passiert in eurem „CIub Voltaire“? 

Wir haben von Anfang an versucht, ein qualitativ hochwertiges Programm mit dezidiert politischer Komponente zu machen und uns dabei nicht nur auf ein Genre festzulegen. Das ist zum Teil aufgegangen. Die Lage ist nicht ganz glücklich; es gibt keine Laufkundschaft Das schöne ist aber: Wir sind nicht pleite: Das ist ja erst mal das A und O. Es ist noch alles drin. Nach wie vor möchten wir unterschiedliche Milieus zusammenbringen, Jüngere und Ältere, organisierte und „freischwebende“ Linke. Wir haben von Mittwoch bis Sonntag auf, und an diesen Tagen kann es Veranstaltungen geben, muss es aber nicht. Sonnabends ist meist Konzert, sonntags Dr. Seltsams club existentialiste, an den anderen Tagen geht alles übrige: Diskussion, Buchpremiere, Kabarett.

 FaM:  http://www.club-voltaire.de/ ---  Körbels Club in Berlin gibts wohl nicht mehr (?)

 

Wie wichtig ist die Ost- West-Differenz heute noch? 

Ich glaube schon, dass es Unterschiede in der Wahrnehmung von Realitäten gibt und Unterschiede in der Wahrnehmung von sich selbst. Ich merke aber auch, dass das für Leute, die jetzt 25 sind, schon längst nicht mehr die Rolle spielt wie für meine Generation. Ich bin jetzt 47. Meine Generation ist sowieso am meisten am Arsch. In dem Alter kann man weder noch mal richtig von vorn anfangen, noch ist man schon am Ende. Ich kenne Leute meines Alters, die haben vier- oder fünfmal umgeschult seit der Wende. 

Witzig ist auch: Die Leute, die Geld haben, sich Kultur zu leisten, haben meist keine Zeit. Und, die, die endlos Zeit haben, blättern nicht so locker 30 Mark für 'ne Theaterkarte hin. Nun gut, unser Problem ist das nicht so, wir sind sehr preiswert. 

Aber: Warum gibt es so verdammt wenig Interesse? Woher diese Lethargie, diese geradezu manische Ablehnung von politischem Erkenntnisgewinn? Dass vieles, was bei solchen Ereignissen wie '89 aufkommt, anschließend wieder wie ein Luftballon zusammenfällt, ist ja nicht neu. Die Leute, die '89 hochpolitisch waren, waren vorher oft gar nicht politisch, sondern einfach nur mit der DDR unzufrieden. Als die vorbei war, war für sie auch die Politik vorbei. 

Andererseits gab es Menschen, die in der DDR zum Beispiel eine bestimmte ökologische Orientierung hatten, die sie auch weitergetragen haben, um dann in genau dasselbe Dilemma zu geraten wie die westökologischen Linken schon zehn Jahre vorher.

 

Wie fühlst du heute als Liedermacher? 

Gegenwärtig spiele ich nicht so sehr eigene Songs, sondern die von anderen Leuten. Neben dem 1848er-Programm spielen wir Songs der 20er Jahre. Ich will nicht leugnen, dass ich nach der Wende die Lust an eigenen Liedern verlor, dass ich mit den Verhältnissen nicht mehr souverän umgehen konnte, dass meine Art von Witz und Ironie im Westen nicht verstanden wird – und auch, dass meine Ossis das, was dort verstanden wird, nicht mögen. 

Ich habe da gesagt, okay, ich mache erst mal gar nichts, ehe ich mich für irgendein Konzept verbiege und nur Unterhaltungsmusik anfertige. Ich wollte dann gerne eine meiner Vorlieben, nämlich die 20er Jahre Songs von Eisler usw. singen – ohne Gitarre vorm Bauch, sondern mit Klavier, so, wie diese Lieder mal gemeint waren. In diesen wunderbaren Texten von Mühsam, Tucholsky, Klabund und anderen liegen wirklich Schätze, die man einfach heute wieder singen muss.

Und zur Liedermacherei: Die Befürchtung, dass da eine Kulturform auf der Strecke bleibt, würde ich nicht an dem Genre festmachen, sondern am Publikum. Es ist die Frage, ob der Zeitgeist so einen Ansatz wieder zulässt oder nicht. Liedermachersein hatte in der DDR sowieso eine andere Geschäftsgrundlage. In jeder Stadt mit Uni oder Hochschule gab es ein oder mehrere Studentenclubs, außerdem den Kulturbund als gesamt-DDR-umfassende Kulturhobbyvereinigung, Bibliotheken und noch zig Institutionen, die alle Veranstaltungen gemacht haben. Da waren immer so 100 oder 150 Leute anwesend, und die wollten Auseinandersetzung, die saßen gespannt auf der Stuhlkante und nicht zurückgelehnt: Nu mach mal, du da vorne. 

Wenn du da vorne saßest mit der Klampfe, wusstest du, im Publikum haben alle dieselben Erfahrungen, denselben Frust, und sie wollen deine Meinung dazu. Sie haben dasselbe Buch gelesen und dieselben Filme gesehen. Irgendeinen neuen sowjetischen Film, der irgendwas angepackt hat. Du konntest von der gleichen Voraussetzung ausgehen, was eine bestimmt Art von Intensität und Verbindlichkeit, in Liedern oder von Kunst überhaupt erst ermöglichte, auch eine bestimmt Art von Ironie, Konnotationen und so was. Der Publikumsknick mit den Liedermachern passierte aber übrigens in Ost wie West zur selben Zeit, etwa 1992.

 

Du hast statt dessen eine Plattenfirma gegründet? 

Was heißt statt dessen — parallel. Noch zu DDR-Zeiten habe ich die Plattenfirma <Nebelhorn> gegründet. Anlass war meine eigene Platte, die ich im Rundfunk eingespielt hatte, die eigentlich von der Staatsfirma Amiga unter dem Titel <Restbestände> rausgebracht werden sollte, doch Amiga war dann in der Krise wie fast alle DDR-Betriebe. Ich hatte meine Aufnahme unterm Arm und dachte, da kann ich eigentlich nur selbst handeln, denn eine Westfirma wird darauf schon gar nicht anzusprechen sein. In der Folge sagten viele Kollegen, du hast doch jetzt ein Label, du weißt doch, wie das geht, und wir haben hier auch noch was. 

Im Ergebnis habe ich Platten von ziemlich vielen DDR-Liedermachern gemacht und Weltmusik, Avantgarde und sonstwas. Bislang 36 Platten für die es fünfmal den Preis der Deutschen Schallplattenkritik gab, was vom Durchschnitt her einsame Spitze sein dürfte. Hat aber keinen Einfluss auf die Verkaufszahlen. Das hing eher von den Interpreten ab. Bei vielen Sachen – Literaturprojekten, Theater- oder Crossovergeschichten – habe ich einfach gedacht: Das ist so gut, man muss es einfach machen, da muss eine CD übrig bleiben, auch wenn die in einem halben Jahr nicht mehr spielen.

 

Nebenher jobben musstest du nie? 

Nee, das musste ich wirklich nie. Nicht vor der Wende und nicht danach. Es ging immer irgendwie gerade so. Diese ganze Sub-Szene, Prenzlauer Berg und so, hat ja auch nur dadurch existieren können, dass sich keiner um seinen Lebensunterhalt wirklich Gedanken machen musste. Mit 15 bis maximal 50 Mark Miete konnte man immer irgendwie existieren. Bei mir fing das um 1975 an. Ich hatte eine Gruppe mitgegründet, die hieß Karls Enkel und hat den Versuch der Verschmelzung von Liedtradition und Theatertradition betrieben, ziemlich schräg und damals geradezu mit Kultstatus.

Wir waren die erste freie Theatergruppe der DDR, also vom Status her nirgendwo angebunden, nicht staatlich, nicht kommunal, nicht FDJ. Wir haben das zehn Jahre erfolgreich gemacht mit eigenen Programmen, aber auch tote Dichter hergenommen – zum Beispiel mit dem Erich-Mühsam-Programm 1979, das in der angstbesessenen DDR auch nicht so einfach durchzusetzen war, aber natürlich ein Riesenerfolg wurde. Anfang der 80er Jahre habe ich mit eigenen Songs angefangen, Körbel solo, in den besten Zeiten noch mit zwei Begleitmusikern. Das ging dann auch noch bis zwei, drei Jahre nach '89.

 

Wie sind damals die DDR-Liedermacher im Westen aufgenommen worden? 

Natürlich guckt jeder Veranstalter erstmal: Kennt man die hier, kriegt man den Saal voll? Aber selbst, wenn sie nicht so denken würden — es wäre nach wie vor eine andere Sprache. Hinzu kommt, dass die, im Westen ein bisschen arrogant an die Sache rangehen und sagen, na ja, politische Songs sind doch vorbei, das hat man in den 70er Jahren gemacht, vielleicht noch in den 80ern, aber doch heute nicht mehr. Und da denke ich immer, um Gottes willen. Die Probleme, sind doch nicht ausgegangen. 

Ich versteh's manchmal wirklich nicht: dieses Leben nur im Moment, ohne Reflexion, ohne Kritik, ohne Engagement, und das einzige Bewegte sind die Börsenkurse. Als Schröder die Wahl gewonnen hat, da haben, wir in Bremen gesungen; SPD-Hochburg. Da dachte ich für einen Moment: Na, irgendwie müssen sie jetzt mal an der Uhr drehen; Weitermurkeln und Globalisierungswahn geht doch nicht. Geht aber wohl doch. Schlimmer: Kaum sind sie dran, lügen sie sich in einen Angriffskrieg. Manchmal denke ich, dieses Land hätte eine neue APO nötig. Aber die kann man eben nicht herbeireden — und herbeisingen kann man sie schon gar nicht. #

Interview: Christof Meueler 
Aus der Reihe: Beiträge zum politischen Lied (3). Wie lebt man als Liedermacher?

 

 

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