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Teil 3   Der Opfer-Täter-Reigen  

 

 

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Wird man mit den Lebensgeschichten der Frauen, mit dem Mißbrauch ihrer Wünsche, ihres Körpers und ihrer Gefühle konfrontiert, drängt sich der Eindruck einer — wenn auch unbewußten — Komplizenschaft der Romeo-Opfer mit ihren Agenten auf. Es scheint, als habe es ein seltsames Bündnis zwischen ihnen gegeben, an dessen Schutz beiden gelegen war. Wie sonst hätte diese geheimdienstliche Strategie in so vielen Fällen effizient und dauerhaft funktionieren können?

Die meisten der betroffenen Frauen jedoch weisen diese Sichtweise entschieden zurück. Sie wollen ihr Schicksal ausschließlich als private Katastrophe sehen und ihren Anteil nur im passiven Erleiden dessen, was andere ihnen zugefügt haben: Das sind die Romeos und der hinter ihnen stehende Apparat, das sind aber auch die Gerichte, die die Frauen für ein Delikt bestraften, dessen Straftatbestand die Frauen oft nicht realisieren wollen. Doch auch wenn sie zu ihren Verfehlungen durch raffinierte und perfide Methoden gedrängt oder gar genötigt wurden, haben sie nachweislich und in eigener Verantwortung gehandelt.

 

Nur sehr wenige Frauen hatten außer ihrem emotionalen Engagement auch politische Motive für ihren Verrat. Gerda O. zum Beispiel, die zumindest mit dem Sozialismus liebäugelte. Aber auch die BND-Beamtin Gabriele Gast, die seit ihrer Recherchenreise für ihre Dissertation 1968 sehr vom politischen System der DDR beeindruckt war. 

Fast alle anderen Romeo-Opfer aber versichern glaubhaft, daß sie völlig apolitisch waren und es im übrigen immer noch seien und daß sie niemals aus ideologischen Gründen gehandelt hätten. Vielleicht ist das eine der Ursachen, warum sie sich bis heute weigern, die Tragweite ihres Handelns zu erkennen und die Verantwortung für ihre Spionagetätigkeit und deren manchmal weitreichende Folgen zu übernehmen. 

 

In der Tat haben einige der Frauen Weltpolitik gemacht.

Helge B. zum Beispiel, die von 1968 bis 1970 die Position der Bundesregierung bei den Verhandlungen der deutsch-polnischen Verträge an die DDR verraten hatte, war eine Agentin, deren Spionagetätigkeit man nach ihrer Festnahme mit der eines Günter Guillaume verglich.

 

 

Im Zusammenhang mit der Affäre um Werner Stiller setzte sich auch Inge Goliath, 
die persönliche Sekretärin des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion Werner Marx, mit ihrem Romeo und Ehemann Wolfgang in die DDR ab.

 

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Sie wurde 1966 von dem DDR-Agenten »Peter Krause« angeworben und war für die HVA wegen ihrer inoffiziellen Position in der Deutschen Handelsmission in Warschau besonders interessant: Durch ihr intimes Verhältnis zum damaligen Botschafter Heinrich Böx, das sie mit Einverständnis ihres Romeos eingegangen war, hatte sie Zugang zu brisanten Materialien und Hintergrundinformationen. So gab sie Äußerungen des rumänischen Botschafters in Polen über die Berlin- und Deutschlandpolitik weiter, die in der fragilen Situation jener Jahre zu großen Verwicklungen hätten führen können.

Ursel Lorenzen verriet elf Jahre lang als Sekretärin beim NATO-Generalsekretariat in Brüssel hochsensible Geheimnisse. Nach ihrer Flucht in die DDR im Jahr 1979 enttarnte sie sich selbst, was zur bis dahin größten Spionageaffäre des nordatlantischen Bündnisses führte. Dort ließ sie sich auch noch zu Propagandazwecken benutzen, trat mit öffentlichen antiwestlichen Bekenntnissen hervor und stimmte der Produktion eines dreiteiligen Fernsehfilms über ihre Person zu (eine schlecht gemachte Sozialismusoperette um die ideologische Läuterung einer jungen Frau): »Vera. Der schwere Weg der Erkenntnis«, von Markus Wolf persönlich protegiert und Anfang 1989 im DDR-Fernsehen ausgestrahlt.59)

Markus Wolfs »Spitzenquelle« Gabriele Gast, Regierungsdirektorin beim BND und stellvertretende Leiterin des Referats »Auswertung Sowjetunion«, die unter anderem jede Woche für den Bundeskanzler eine Vorlage über die Situation in Osteuropa verfaßte, hätte durch ihre Verratstätigkeit leicht die allergrößten Verwicklungen und Krisen im so labilen Gleichgewicht zwischen Ost und West auslösen können. Sie wurde 1991 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und verteidigt bis heute die politischen Motive für ihre Tat. Aber sie ist persönlich verbittert über die Haltung ihrer früheren Leitfigur Markus Wolf, der ihr nach ihrer Verhaftung 1991 keinerlei Hilfe oder Unterstützung, noch nicht einmal eine Zeile oder eine freundschaftliche Geste zukommen ließ. 

Ihr ehemaliger Romeo Karl-Heinz Schneider, Mitangeklagter in ihrem Verfahren (dessen Urteil allerdings als Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts 1995 aufgehoben wurde), ignorierte sie während des gesamten Prozesses demonstrativ.

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Ursel Lorenzen am 9. März 1979

Sie und ihr Romeo Dieter Will wurden aus Brüssel in die DDR abgezogen, nachdem der MfS-Offizier Werner Stiller in die Bundesrepublik übergelaufen war und man die Enttarnung einer Reihe von DDR-Agenten fürchtete.

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Es ist natürlich der Gipfel der ideologischen Perversion, daß Markus Wolf und seine Mitarbeiter die umfassende Fremdsteuerung, den gezielten Mißbrauch der Frauen ausgerechnet im Namen eines Systems exekutierten, das sich der Emanzipation der Frau in Gesellschaft, Familie und Beruf verschrieben und sich den Kampf gegen ihre Ausbeutung aufs Panier geschrieben hatte. Aber machen wir uns nichts vor. Macht hat überall nur einen primären Zweck: den ihres Erhalts oder, noch besser, ihrer Expansion. Das gilt für alle Staaten, ihre Systeme und Institutionen. Moral ist eine Kategorie, die der Macht wesensfremd ist und die ihr höchstens aufgezwungen werden kann. Durch demokratische Verordnungen und Kontrollen zum Beispiel. Und ein Geheimdienst ist erst recht keine moralische Anstalt, nirgends auf der Welt. Er muß Schwachstellen finden, wo er sich einnisten und den Gegner bekämpfen kann. 

 

      

Gabriele Gast

 

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Eine der Schwachstellen des Westens war die »Schwäche« seiner Frauen, deren Benachteiligung und Mißachtung sich nun auf völlig unvorhergesehene Weise rächte — allerdings leider auch an den Frauen selbst. Geprägt von negativen gesellschaftlichen und individuellen Erfahrungen, durch die sie oft kein stabiles Selbstvertrauen hatten aufbauen können, reagierten sie mit einem übergroßen Bedürfnis nach Schutz, nach Liebe und auch nach männlicher Führung. Es ist sicher kein Zufall, wenn einige Frauen in der Beschreibung ihrer Romeos vor allem deren väterliche Qualitäten hervorheben, ihre Geduld, Zuwendung und ihre manchmal patriarchalische Bestimmtheit. Viele der Romeos müssen sich diesem Wunsch nach konservativ-autoritären Männerfiguren nahezu vollkommen anverwandelt haben.

 

Die Frauen haben durch die Akzeptanz dieses Männerbildes ihre Unterwerfung sogar noch manifestiert, jedenfalls selten oder nie an ihr gerüttelt. Denn ihre Beziehungen zu den HVA-Männern beruhten auf einem Tauschhandel.

Sie fühlten sich von den Männern, in dieser Intensität oft zum ersten Mal, endlich wahrgenommen, begehrt — und in ihrem Alltagsleben von jemandem geleitet. Dafür verrieten sie ihnen Staatsgeheimnisse und persönliche Informationen über ihre Kollegen, belogen Bekannte, Freunde, Familienangehörige. Sie verdrängten, daß sie etwas Verbotenes taten, wenn sie brisante Dokumente fotografierten oder aus dem Büro schmuggelten. Und sie bemühten sich manchmal zehn oder zwanzig Jahre lang mit aller Kraft, ihren Romeos die unglaubwürdigsten Geschichten abzunehmen, die diese zusammen mit ihren Führungsoffizieren erfunden hatten, um die Frauen zum Spionieren zu überreden.

Sie wollten der Wahrheit nicht einmal dann ins Auge sehen, wenn ihr Romeo sie verließ, weil er auf Befehl der Zentrale abgezogen wurde, ihr für sein Verschwinden geradezu abenteuerliche Erklärungen auftischte und dann auch noch höchstpersönlich seinen Nachfolger präsentierte. 

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Diese durchweg hochintelligenten Frauen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten bis zur Chefsekretärin von Ministern, zu gehobenen oder gar leitenden Mitarbeiterinnen von Behörden und Institutionen aufgestiegen waren, nahmen den geliebten Männern selbst die dümmsten Lügengeschichten ab — all dies, um ihr kleines großes Lebensglück nicht zu gefährden, um der Einsamkeit, unter der sie so viele Jahre gelitten hatten, zu entkommen. Mit ungeheurer Energie räumten sie alles aus dem Weg, was dieses Glück hätte gefährden können: Zweifel, Mißtrauen, Verantwortung, eigenes Selbstbewußtsein.

Dabei wußten die Frauen, daß der Geheimnisverrat streng verboten war und bestraft wurde. Gleich nach ihrer Einstellung klärte man die Mitarbeiter staatlicher Institutionen genauestens auf und wies sie auf die Gefahren einer Anwerbung durch fremde Geheimdienste sowie die drohenden Strafen hin. Auf den Fluren der Ämter hingen Ende der 70er Jahre Plakate des Verfassungsschutzes, die vor Romeos warnten. Auf einem von ihnen war ein romantisch unter einem Baum hingestrecktes Liebespaar abgebildet. Der Text lautete: »Es gibt ein Codewort zum Offnen von Tresoren: Liebe«. Auch Aufklärungsfilme zu diesem Thema wurden produziert und den Mitarbeitern vorgeführt.

Viele der Frauen benötigten Alkohol oder Tabletten, um ihre Angst vor Entdeckung und Strafverfolgung zu betäuben, kannten also die Konsequenzen ihres Tuns. Sie ertrugen Einsamkeit und Isolation, wenn sie wie Gabriele K. oder Karin S. den jeweiligen Mann nur selten sehen konnten, verzichteten auf Ehe und Kinder. In vielen Fällen ließen sie sich sogar zu Abtreibungen zwingen oder zumindest drängen und verbluteten fast auf den Küchentischen von »Engelmacherinnen«, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschten als eine Familie und Kinder mit dem geliebten Mann.

Wie lebt man mit dieser Last der Erinnerungen, nachdem der verhüllende Schleier des Betrugs, aber auch des Selbstbetrugs weggerissen wurde?

Fast alle diese Frauen sind nach wie vor auf der Flucht: Sie fliehen vor der Wahrheit, die sich hinter ihren Erlebnissen verbirgt, sie fliehen vor dem ihnen zugefügten Trauma, und sie fliehen vor der Entdeckung durch die Öffentlichkeit.

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Plakate des Verfassungsschutzes, die vor den Anwerbungsstrategien der Romeo-Agenten warnen sollten.

 

Nach Bekanntwerden ihrer Tat gereichte all das, was geschehen war, ausschließlich zur Schande der Frauen, kaum je zu der ihrer Täter, selbst wenn die bekannt waren. Die Gesichter der blamierten, ihrer Würde beraubten Frauen wurden, wenn die Hatz der Fotografen erfolgreich war, überall abgedruckt, und zwar oft mit voller Namensnennung. Mitunter haben Bekannte und Kollegen die rücksichtslose Sensationsgier der Medien unterstützt, zum Beispiel jener Büronachbar einer Sekretärin, der den Schnappschuß von seiner lächelnd hinter dem Schreibtisch sitzenden Kollegin nach deren Verhaftung zu viel Geld machte.

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Man deklarierte den Körper dieser Frauen und ihre Lust zum Zentrum des Delikts, man begaffte und beurteilte sie, verlachte oder dämonisierte ihre Sexualität. Zumindest verachtete und verhöhnte man sie als »willfährige« und »schamlose« Personen. Während der Prozesse mußten die Frauen erleben, wie die intimsten Details ihres Lebens zum Gegenstand öffentlicher Verhandlungen wurden, sahen sie sich als naiv und einfältig oder als sexhungrig denunziert.

*

 

Wie kann man das alles bewältigen? 

Die meisten Opfer der Romeos werden mit ihren Erinnerungen kaum fertig, viele von ihnen sind alkohol- oder tablettenabhängig, befinden sich in psychiatrischer oder in psychotherapeutischer Behandlung, sind suizidgefährdet. Die Täuschung ihrer innersten Empfindungen hat sie tief traumatisiert, und manchmal haben sie sogar die Grenze zum Wahnsinn gestreift, vor allem diejenigen, die bis heute nicht wissen, wer der Mann wirklich war, den sie geliebt und mit dem sie jahrelang zusammengelebt hatten.

Dabei sind die Frauen — grausige Paradoxie ihrer Lebensgeschichte — oft noch immer nicht bereit, die Männer, die ihnen so Entsetzliches zugefügt haben, zu verdammen oder sich zumindest innerlich von ihnen zu lösen. Manche von ihnen lieben ihre früheren Romeos nach wie vor, obwohl sie ihnen seit ihrer eigenen Enttarnung vor zehn oder zwanzig Jahren nicht wieder begegnet sind und inzwischen jedes Detail des zynischen Plans kennen.

Die meisten der Frauen scheinen jedes Vertrauen in menschliche Beziehungen und in ihre eigene Menschenkenntnis für immer verloren zu haben. Sie leben überwiegend allein, nicht selten anonym.

Aber es gibt einige wenige Ausnahmen: Frauen, die sich aus ihrer emotionalen Verstrickung und Scham endlich lösen können und einen Blick zurück im Zorn und nicht nur im Schmerz wagen: Zorn auf den Mann und die Macht, die hinter ihm stand, aber auch Zorn auf den Verrat an sich selbst.

Wer einmal in diesem Spinnennetz aus Liebe und Verrat, Selbstverleugnung und Hingabe, von Sadismus und Masochismus gefangen war, benötigt eine immense Kraft, um ein neues Ich aufzubauen, das sowohl der Erinnerung standhält als auch einen Blick in die Zukunft ermöglicht. 

Gabriele K. schrieb in einem Brief über sich und die betroffenen Frauen:

»Ich denke, wenn wir uns verstecken, dann haben die gewonnen, die das mit uns getan haben. Und das darf einfach nicht sein! Denn wenn wir uns immer weiter zurückziehen, dann haben wir auch wenig Möglichkeiten, uns offen mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Und wenn es mir innerlich ganz, ganz schlecht geht, dann überfällt mich inzwischen die Wut und ich sage mir: <Nein, diese Typen, die mir das angetan haben, dürfen nicht siegen!> Und dann ziehe ich mich an den eigenen Haaren wieder hoch und humple doch irgendwie weiter durchs Leben.«  

201-202

 

E n de 

 

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