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3   Eine Portion Freiheit

Monbiot-2006

"Wenn du bereust, so werden dich die Teufel in Stücke reißen."  Marlowe, Faustus, Akt 2

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Die notwendigen Veränderungen so schmerzlos wie möglich zu gestalten bedeutet unter anderem, sie so fair wie möglich zu gestalten. Selbst wenn wir moralische Erwägungen beiseite lassen, gibt es einen guten politischen Grund für Fairness. Die Leute handeln bereitwilliger, wenn sie feststellen, dass alle anderen auch handeln.

In seinem Buch <Happiness> schreibt Professor R. Layard über seine Beobachtung, dass »wir eine Einkommenseinbuße nur dann bereitwillig akzeptieren würden, wenn andere dasselbe tun. Aus diesem Grund gab es auch während des Zweiten Weltkriegs so wenig ökonomische Unzufriedenheit.«2 In seinem im Dezember 1940 veröffentlichten Essay <The Lion and the Unicom> drückte George Orwell etwas Ähnliches aus: »Die Dame im Rolls-Royce untergräbt die Moral stärker als eine ganze Flotte von Görings Bombern.«3

Anders formuliert: Eins der Erfolgskriterien für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen um 90 Prozent besagt, dass der Verzicht alle gleichermaßen treffen muss. Damit wäre sichergestellt, dass ich den Kauf einer Energiesparbirne nicht mehr als absolut vergeblich empfinden muss angesichts der Vorstellung, dass Mr. Meikle aus Coalburn an seinem Haus eine Million Glühbirnen als Weihnachtsbeleuchtung anbringt.

Wollten wir versuchen, den Klimawandel ausschließlich mithilfe von Energiesteuern einzudämmen, geschähe zweierlei: Die Armen würden sehr viel härter getroffen als die Reichen, weil die Kosten einen proportional höheren Anteil ihres Einkommens aufzehrten. Und die Reichen könnten weiterhin so viele fossile Brennstoffe verbrauchen, wie es ihre finanzielle Lage zulässt.

Rein theoretisch könnte man natürlich ein Steuer- und Erstattungs-System entwickeln, das für einen Transfer von den Reichen zu den Armen sorgen und ständig angepasst würde, um die nationalen Emissionen von Kohlenstoff innerhalb vorgegebener Grenzen zu halten. Ein solches System wäre nicht schwieriger einzuführen als eine konkrete Rationierung, aber es wäre wegen seiner komplexen Gebühren und Erstattungen sehr viel schwieriger zu erklären.

Komplizierte Vorstellungen sind in der Politik meist ungünstig, denn vielen Leuten fehlt die Zeit und die Geduld, sich so lange damit zu beschäftigen, bis sie alles verstanden haben. Oft wird ein Teil des Vorhabens abgelehnt, bevor man die Idee insgesamt verstanden hat.

Eine Alternative wären neue Gesetze, die jede unserer Aktivitäten regeln und für alle Menschen gleichermaßen gelten. Solche Gesetze könnten beispielsweise festlegen, wann wir das Licht einschalten oder wie weit wir reisen dürfen. Ich glaube nicht, dass viele Leute darin eine attraktive Option sähen. Wie die ökonomischen Planer der Alliierten im Zweiten Weltkrieg feststellten, gibt es ein System mit weniger Zwang, dessen Fairness sofort einleuchtet: Rationierung.

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Rationierung beginnt mit einer Entscheidung darüber, wie viel Kohlendioxid die Welt jährlich ausstoßen darf. Wenn es beispielsweise korrekt wäre, zu sagen, dass unsere gegenwärtigen Kohlendioxidemissionen von jährlich 7 Milliarden Tonnen bis 2030 auf 2,7 Milliarden Tonnen reduziert werden müssen, und wenn wir die größten Einschnitte möglichst früh realisieren wollen, dann könnten wir entscheiden, dass die Welt im Jahr 2012 nicht mehr als 5,5 Milliarden Tonnen produzieren darf. Wir teilen diese Menge durch die Zahl der Menschen, die 2012 voraussichtlich auf der Erde leben werden, und stellen fest, wie viel Kohlendioxid jeder einzelne von ihnen in die Atmosphäre abgeben darf: Das wären rund 0,8 Tonnen. Jede Nation würde diesen Wert dann mit der Zahl ihrer Einwohner multiplizieren, um so die nationale Obergrenze festzulegen.

Das bedeutet, dass einige Länder, im Allgemeinen die ärmsten, ihre Emissionen noch steigern dürften: Äthiopien dürfte bei unveränderten Einwohnerzahlen sogar 2030 noch 5,5-mal so viel Kohlendioxid ausstoßen wie heute. Insgesamt ergäbe sich jedoch eine jährliche Einschränkung der globalen CO2-Emissionen, wobei sich die verschiedenen Länder derselben Pro-Kopf-Menge annähern würden. Dieser Ansatz wird — wenig überraschend — als »Einschränkung und Annäherung« bezeichnet.4) Er wurde von einem Mann namens Aubrey Meyer entwickelt. Er ist einer dieser außergewöhnlichen Menschen, deren Mangel an relevanten Qualifikationen sich zu seinen Gunsten auszuwirken scheint: Er ist Konzertbratschist. Meyer ist es gelungen, eine Alternative zu den stärker auf Zwang angelegten Expertenvorschlägen zu entwickeln, die einfach ist und sich auf Wissenschaft und Fairness gründet.

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Sobald ein Land seine Obergrenze kennt, kann es selbst darüber entscheiden, wie die Emissionsrechte verteilt werden sollen. Theoretisch könnte man einfach jedem Bürger seinen globalen Anteil zugestehen, beispielsweise die genannten 0,8 Tonnen Kohlendioxid. Das sieht zwar auf den ersten Blick sehr überschaubar aus, würde aber letztlich ein ungeheuer kompliziertes Verrechnungssystem erfordern. Denn alles, was man kauft, müsste sowohl einen Warenpreis als auch einen Kohlenstoffpreis haben. Wenn man beispielsweise am Straßenrand anhielte, um ein Körbchen Erdbeeren zu kaufen, dann wäre dafür nicht nur der übliche Preis von vielleicht 2 Euro zu zahlen, sondern zusätzlich 0,01588 Prozent der individuellen Kohlenstoffzuteilung — vorausgesetzt, irgendjemand hätte berechnet, dass durch Anbau, Transport und Verpackung der Erdbeeren 127 Gramm Kohlendioxid freigesetzt werden. So würde die Sache also nicht funktionieren.

Ein wesentlich einfacheres System wurde von Mayer Hillman entwickelt und von einem anderen unabhängigen Denker namens David Fleming verfeinert. Unternehmen wie auch private Verbraucher müssten ihre Kohlenstoffzuteilung nur auf zwei Waren anrechnen lassen: Benzin und elektrischen Strom.5) Wenn der Verbrauch von Benzin und Strom sich auf insgesamt 40 Prozent der nationalen Kohlendioxidemissionen beliefe, dann bekämen die Bürger dieses Landes 40 Prozent ihres Kohlenstoffbudgets ausgehändigt. Jeder würde dieselbe Menge erhalten, und niemand müsste bezahlen. Unsere Kohlenstoffzuteilung würden wir lediglich benutzen, wenn wir unsere Strom- oder Gasrechnung begleichen oder den Wagen volltanken. (Flemings Schema könnte etwas erweitert werden, um Flug- und Bahnreisen mit zu erfassen.6)

Wenn also im Jahr 2012 die Pro-Kopf-Zuteilung für Kohlenstoff 0,8 Tonnen (800 Kilogramm) betrüge, dann würde jeder Bürger eine Art Kreditkarte erhalten, die ihn berechtigt, 40 Prozent oder 320 Kilogramm CO2 zu verbrauchen.

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Die restlichen 60 Prozent des nationalen Kohlenstoffbudgets würden der Regierung gehören, die wiederum einen Teil davon versteigerte, entweder direkt an Unternehmen, die Benzin oder Strom kaufen wollen, oder an Kohlenstoffmakler, die solche Anteilsscheine ebenfalls an Unternehmen oder Personen, die mit ihrem Budget nicht auskommen, weiterverkaufen würden. Wie bei jeder anderen Ware würde der Preis von Angebot und Nachfrage abhängen — je knapper, desto teurer wären demnach die Anteilsscheine. Wenn man jetzt am Straßenrand anhielte, um ein Körbchen Erdbeeren zu kaufen, dann wären die Kosten für den Kohlenstoff schon in den Endpreis eingerechnet, und ein Produkt wäre umso teurer, je mehr Kohlenstoff für seine Herstellung benötigt wird.

Aber indem man ein System zur Rationierung von Kohlenstoff schafft, schafft man letztlich eine neue Währung. Die Berechtigung zur Luftverschmutzung wird genauso verbucht, gespart, ausgegeben und getauscht, wie das heute bei Geld der Fall ist. Soweit ich sehen kann, hat diese neue Währung bisher noch keinen Namen außer der phantasielosen Bezeichnung »Kohlenstoff-Anteilsschein«. Da ich es gern etwas einprägsamer hätte, werde ich sie nun »Eisdeckel« nennen in der Hoffnung, dass dieser Name die Leute daran erinnert, wozu das System dienen soll: Es versetzt uns in die Lage, unsere Kohlendioxid­emissionen zu deckeln und den Planeten kühl zu halten.

Die Eisdeckel, die Sie bekämen, könnten Sie an andere Leute verkaufen. Wenn Sie am Ende des Jahres feststellten, dass Sie Ihre Zuteilung nicht vollständig verbraucht hätten, könnten Sie den Rest einem anderen Verbraucher anbieten. Oder wenn Sie zu viel verbraucht hätten, könnten Sie von jemand anders zusätzliche Eisdeckel erwerben. Kaufen oder verkaufen könnten Sie bei der Post oder der Bank, bei Stromanbietern, Tankstellen oder Reisebüros. Dasselbe gilt für ausländische Besucher, die keine Zuteilung von der Regierung bekommen haben.7) Und natürlich wird der Preis gewaltig steigen, wenn die Nachfrage hoch und das Angebot knapp ist.

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Unter diesen Bedingungen kann die Dame in ihrem Rolls-Royce zwar immer noch herumfahren, aber erst nachdem sie eine ganze Menge Geld an Leute gezahlt hat, die ärmer oder sparsamer sind als sie selbst. Ökonomische Gerechtigkeit ist in das System eingebaut.

Dieses Konzept ist sehr viel fairer als beispielsweise der Emissionshandel, der jetzt innerhalb der Europäischen Union stattfindet. Deren System, das seit Anfang 2005 praktiziert wird, begann damit, dass den großen europäischen Konzernen kostenlose Emissionsgutscheine ausgehändigt wurden. Im Großen und Ganzen erhielten die Firmen, die für die meisten Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind, auch die meisten Gutscheine: Der Umweltverschmutzer wurde bezahlt.8 Bei der Verteilung der Gutscheine war man so großzügig, dass die Berater der britischen Regierung im Mai 2006 schätzten, die Energieversorger würden bei der Sache rund eine Milliarde Pfund an unverhofften Gewinnen einstreichen, ohne irgendetwas zur Verringerung der Emissionen beizutragen.9 Diese Form des Emissionshandels ist eine klassische Geste der Bevorzugung. Etwas, was uns allen gehören sollte — das Recht, innerhalb des Systems eine bestimmte Menge Kohlendioxid zu produzieren —, wurde zum Vorrecht der Konzerne.

Rationierung bedeutet natürlich Entbehrung und Einschränkung, doch sie gewährt mehr Freiheit als die anderen Möglichkeiten zur Reduzierung der Kohlen­dioxid­emissionen. Wenn die Regierung beispielsweise versuchte, unsere Emissionen durch verschiedene Gesetze zu begrenzen, dann müsste die Polizei ständig unser Verhalten kontrollieren.

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Es müsste Strafen dafür geben, wenn wir unser Fernsehen nicht rechtzeitig ausschalten oder das Licht beim Zubettgehen nicht löschen. Einige Technologien müssten konsequent verboten werden. Solange wir bei einer Rationierung jedoch im Rahmen unserer Zuteilung blieben oder bereit wären, zusätzliche Eisdeckel zu kaufen, könnten wir tun, was wir wollten. Wer es sich leisten kann, verbrennt vielleicht seine gesamte Ration in einer einzigen Kohlenstofforgie und deckt dann seinen Bedarf für den Rest des Jahres, indem er anderen Leuten Eisdeckel abkauft. Man kann den ganzen Tag fernsehen und zum Ausgleich einen supereffizienten Öko-Kühlschrank kaufen. Das spielt keine Rolle. Am Ende zählt nur, ob das Land insgesamt seine zulässigen Kohlendioxidemissionen nicht überschreitet.

Der durch die Rationierung von Kohlenstoff geschaffene Markt wird automatisch die Nachfrage nach Technologien anregen, die wenig Kohlenstoff verbrauchen, beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel und erneuerbare Energien. Diese Lösung ist also in jeder Hinsicht flexibler als mögliche Alternativen.

Aber die Sache ist trotzdem nicht so einfach: Zwar gibt es im Allgemeinen eine direkte Korrelation zwischen Reichtum und Energieverbrauch, aber sie zieht sich nicht vollständig durch die Gesellschaft. In Großbritannien verbrauchen beispielsweise 30 Prozent der sehr armen Menschen (die im ärmsten Fünftel der Haushalte leben) mehr Energie als der nationale Durchschnitt.10) Das hat vor allem mit dem entsetzlichen Zustand ihrer Häuser zu tun. Einige Leute müssen für halbwegs warme Räume so viel Brennstoff verheizen, dass sie fast genauso gut draußen leben könnten. Eine Rationierung von Kohlenstoff kann folglich nur dann gerecht sein, wenn es parallel dazu ein Programm gibt, das die Wohnbedingungen der Ärmsten schnell verbessert.

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Ein Teil der armen Bevölkerung lebt vielleicht auch in Gegenden, die schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Sie brauchen Taxis oder ein eigenes Auto, um zur Arbeit oder zum Einkaufen zu fahren. Auch hier ist Hilfe nötig — eine bessere Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel zum Beispiel —, damit die Ärmsten sich nicht zwischen Nahrung und Energie entscheiden müssen. Es reicht also nicht aus, einfach einen Markt zu schaffen und zu erwarten, dass sich das gesamte Klimaproblem damit löst — das wäre ungefähr so, als hätte man in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts von den Slumbewohnern in Manchester erwartet, dass sie selbst für bessere sanitäre Verhältnisse sorgen. Sie konnten einiges tun, wenn sie das Geld dafür hatten: Ihr Wasser abkochen, sich mit Seife waschen und ihre Kleidung öfter wechseln. Aber sie konnten nicht aus eigener Kraft für eine Kanalisation oder sauberes Wasser sorgen, und weil sie arm waren, hatte niemand ein finanzielles Interesse daran, ihnen das zur Verfügung zu stellen. Die massiven Investitionen in neue Dienstleistungen, die eine Rationierung von Kohlenstofferfordert, müssen in bestimmten Gegenden aus öffentlichen Mitteln finanziert und vom Staat gefördert werden.

Die Regierung könnte auch einen Teil der nationalen Zuteilungen zurückhalten, um sie an Menschen mit niedrigem Einkommen auszugeben, die sonst während eines harten Winters Schwierigkeiten hätten. Das könnte so ähnlich funktionieren wie die Beihilfen, die heute in nordeuropäischen Ländern bei kaltem Wetter gezahlt werden: Wenn die Temperatur unter einen bestimmten Grenzwert sinkt, erhalten die ärmsten Einwohner von der Regierung eine finanzielle Zuwendung, damit sie ihre Heizkosten bezahlen können.11)

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Je mehr Energie wir mit unserer Kohlenstoffzuteilung erwerben können, desto einfacher ist es natürlich, dieses System politisch zu akzeptieren. Wenn eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 90 Prozent bedeutet, dass wir unseren Energieverbrauch um 90 Prozent einschränken müssen, dann ist es schwer vorstellbar, wie irgendeine Regierung das durchsetzen könnte. Wir müssen deshalb versuchen, den Zusammenhang zwischen Kohlenstoff und Energie möglichst weitgehend aufzulösen. Wenn es beispielsweise gelänge, die gesamte Stromversorgung durch erneuerbare Energien sicherzustellen, dann wären keine Eisdeckel mehr nötig, um das Licht brennen zu lassen. Der Zweck dieses Buchs besteht darin, die politisch effektivsten Mittel zu finden, die unseren Energieverbrauch verringern und gleichzeitig den Kohlenstoffgehalt der verbrauchten Energie reduzieren.

Nichts davon löst automatisch das politische Problem. Da jede Regierung anstrebt, die Einschränkungen im Leben ihrer Bürger möglichst gering zu halten, sind die internationalen Klimaverhandlungen bisher weit von dem entfernt, was die Wissenschaft sagt. Es gibt noch immer kein globales Ziel für die Reduzierung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Die Reduzierung, auf die man sich im Kyoto-Protokoll geeinigt hat — 5,2 Prozent bis 2012 —, stehen in keinem Verhältnis zu den Einschränkungen, die das Problem erfordert. Das Kyoto-Protokoll erinnert an den europäischen Emissions­handel: Die Berechtigung eines Landes zur Umweltverschmutzung orientiert sich an den Schadstoffen, die es bisher produziert. Je mehr Schmutz man in die Atmosphäre entlässt, desto mehr darf man in Zukunft produzieren.

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Aber auch wenn die Übernahme des Prinzips von Einschränkung und Annäherung den politischen Streit nicht beendete, so würde es doch dafür sorgen, dass die Auseinandersetzung nicht mehr in einem moralischen und intellektuellen Vakuum stattfindet. Die Unterhändler hätten ein Ziel — eine gerechte Aufteilung der Kapazitäten unseres Planeten, Schadstoffe aufzunehmen —, und das wäre sowohl sachlich als auch fair. Die beste Schätzung, wie viel Kohlenstoff der Planet im Jahr 2030 aufnehmen kann, wird sich im Zuge der wissenschaftlichen Entwicklung verändern, aber das Ziel kann entsprechend angepasst werden. Bei einer redlichen Verteilung der Emissionsrechte können die Länder nicht mehr behaupten, sie seien nicht fähig zu handeln, weil andere sich der Verpflichtung entziehen. Mag sein, dass ihnen dieser Vorschlag nicht gefällt, aber niemand kann leugnen, dass er gerecht ist.

Das Argument, das am häufigsten gegen diese Art globaler Kohlenstoffreduktion vorgebracht wird, egal, ob sie durch Rationierung oder andere Maßnahmen erreicht werden soll, ist die Behauptung, die Therapie sei schlimmer als die Krankheit. So wie man Dr. Faustus sagte, wenn er bereue, würden ihn die Teufel in Stücke reißen, sagt man uns, dass der ökonomische Niedergang, den nachhaltige Grenzwerte für Kohlendioxidemissionen verursachen würden, schlimmer wäre als alle Verluste, die uns im Zuge des Klimawandels drohen.

Der berühmteste Vertreter dieser Position ist der dänische Statistiker Björn Lomborg, dessen Werk die Medien auf beiden Seiten des Atlantiks in Entzücken versetzt. In seinem Buch <The Sceptical Environmentalist>, das eine sehr gründliche Arbeit mit guten Referenzen ist, argumentiert Lomborg, wenn man nichts gegen den Klimawandel unternähme und einfach zusähe, wie die Natur ihren Lauf nimmt, dann würden die Kosten 4820 Milliarden Dollar betragen. Der Versuch, die globalen Temperaturen bei 2,5 Grad über dem Niveau von 1990 zu stabilisieren, würde 8553 Milliarden Dollar kosten. 

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Und wenn man gar versuchen wollte, sie bei 1,5 Grad über dem Niveau von 1990 zu stabilisieren (das entspricht ungefähr dem, was ich hier zu erreichen versuche), dann lägen die Kosten bei 37.632 Milliarden — also fast 38 Billionen Dollar.12) Er warnt: »Unsere besten Absichten, etwas gegen die globale Erwärmung zu unternehmen, könnten uns am Ende sehr viel mehr, vielleicht sogar das Doppelte der Kosten verursachen, die uns die globale Erwärmung allein aufbürdet.« Wir sollten unser Geld lieber in Projekte investieren, die sich besser auszahlen und »zukünftige Generationen armer Menschen mit sehr viel größeren Ressourcen« zurücklassen.13)

Ich könnte nun versuchen — wie es viele Umweltökonomen getan haben —, Lomborg mit dem Argument zu widersprechen, dass er und die Wirtschafts­wissen­schaftler, auf die er sich verlässt, sich geirrt haben: Wenn wir den Klimawandel einfach geschehen lassen, dann verursacht das weitaus höhere ökonomische Kosten als die Maßnahmen zu seiner Begrenzung.

Aber das werde ich nicht tun, denn es ist ein unmoralischer Vergleich.

Wir können beispielsweise sagen, dass die materiellen Schäden durch Hurrikan Katarina, der vielleicht durch den Klimawandel heftiger gewütet hat, sich auf 75 Milliarden Dollar belaufen.14) Und wir können diese Zahl verwenden, um daraus einen Preis für Kohlenstoffemissionen abzuleiten. Aber drückt sich darin auch das Leid der Menschen aus, deren Häuser zerstört wurden? Drückt sich darin die teilweise Zerstörung von New Orleans aus, einer der quirligsten und kreativsten Städte der Welt? Und — die wichtigste Frage — drückt sich darin der Wert des Lebens jener Menschen aus, die bei dieser Naturkatastrophe gestorben sind?

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Anders ausgedrückt: Ist es möglich, einen Preis für Menschenleben festzulegen? Oder einen Preis für Ökosysteme oder das Klima? Könnten solche Kosten — global umgerechnet — tatsächlich auf 4820 Milliarden Dollar oder welche Währung auch immer beziffert werden? Wer das für möglich hält, der wird wohl zu viel Zeit mit seinem Taschenrechner und zu wenig mit Menschen verbringen.

Bei ihrem Versuch, für solche Dinge einen Preis festzulegen, haben die Ökonomen einfach die Grenzen ihrer Wissenschaft ignoriert. 1996 wurde beispiels­weise in einer Studie für das <Intergovernmental Panel on Climate Change> geschätzt, ein Menschenleben in den armen Ländern könne mit 150.000 Dollar bewertet werden, ein Leben in den reichen Ländern dagegen mit 1,5 Millionen.15) Zu diesen Zahlen sind die Forscher gekommen, indem sie schätzten, wie viel die Leute für Anpassungs­maßnahmen zahlen könnten, die ihr Leben retten würden. Nicht überraschend, stellten sie dabei fest, dass das Leben reicher Menschen mehr wert war als das Leben armer. Diese Zahlen waren nicht nur falsch; sie waren sinnlos.

Heutzutage sind die Ökonomen nicht mehr so schnell bereit, sich lächerlich zu machen. Deshalb wird alles, was sich nicht quantifizieren lässt, einfach nicht in die Bilanz aufgenommen. Das bedeutet letztlich, dass der Verlust all dessen, was wirklich wichtig ist — funktionierende Ökosysteme, menschliche Gemeinschaften, Menschenleben —, schlicht übersehen wird. Weil diese Werte nicht gezählt werden, zählen sie nicht.

Es wäre falsch, das nur Björn Lomborg und den Ökonomen anzulasten, deren Arbeit die Grundlage seiner Aussagen bildet. Auch diejenigen, die behaupten, etwas gegen den Klimawandel unternehmen zu wollen, können gar nicht anders: Sie fühlen sich verpflichtet, der globalen Katastrophe ein Preisschild anzuhängen. Die britische Regierung hat beispielsweise entschieden, dass die »sozialen Kosten« der Kohlendioxidemissionen irgendwo zwischen 35 und 140 Pfund pro Tonne liegen, bei einem mittleren Wert von 70 Pfund.16) 

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Da könnte man genauso gut fragen, was das zum Teufel soll. Glaubt die Regierung wirklich, sie könnte den Amazonas mit einem Preisschild versehen? Oder Bangladesh? Hier geht es letztlich um eine moralische und nicht um eine ökonomische Entscheidung. Wir können entweder beschließen, dass es richtig ist, wenn wir eine Menge Geld für den Versuch ausgeben, den katastrophalen Klimawandel zu verhindern, oder wir können beschließen, dass es nicht richtig ist. Doch wir müssen diese Entscheidung auf der Grundlage treffen, wie viel uns Menschen und Orte als Menschen und Orte wert sind, aber nicht als Zahlen auf einem Kontenblatt.

Das befreit mich indessen nicht von der Notwendigkeit auszurechnen, wie viel die in diesem Buch genannten Vorschläge kosten könnten.

Zu sagen, das sei nicht einfach, ist mehr als untertrieben. Nirgendwo sind mir so extrem voneinander abweichende Behauptungen begegnet wie in diesem Bereich. Die außerordentlich präzise Zahl von Björn Lomborg — 37.632 Milliarden Dollar — ist das eine Extrem. Auf der anderen Seite stehen Leute, die behaupten, dass uns die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen in Wirklichkeit finanzielle Vorteile bringt, weil die Notwendigkeit, in neue Technologien zu investieren, das Wirtschaftswachstum anregen und mehr Energieeffizienz zu finanzieller Effizienz führen wird. Die britische Regierung schätzt beispielsweise, dass wir bei der Einsparung von 37 Prozent der gegenwärtig in unseren Häusern verbrauchten Energie auch rund 5 Milliarden Pfund einsparen würden.17)

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Zwischen diesen Extremen ist alles möglich. Die Europäische Kommission hat sich für Studien entschieden, in denen es heißt, dass die Stabilisierung der Kohlendioxidemissionen auf 550 ppm bis 2100 die Welt irgendetwas zwischen 1 Billion und 8 Billionen Dollar kosten wird.18) Wollten wir die Emissionen unter 450 ppm halten, würde das zwischen 2,5 und 18 Billionen Dollar kosten. Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Azar und der Biologe Stephen Schneider haben eine ähnliche Zahl für ein völlig anderes Ziel errechnet: Die Stabilisierung der Kohlendioxidemissionen auf 350 ppm würde ungefähr 18 Billionen Dollar kosten.*19)

Es geht hier um gewaltige Summen. Als ich sie las, war mein erster Gedanke, dass sie zwar im Allgemeinen geringer sind als die von Björn Lomborg genannten Kosten, aber trotzdem absolut unbezahlbar. Doch wie Azar und Schneider hervorheben, gilt das nur, wenn wir den kompletten Betrag sofort aufbringen müssten. Wenn wir die Kosten zwischen dem jetzigen Zeitpunkt und dem Zieldatum verteilen, würden sie uns weniger belasten.

Die Modellrechner, die uns mit solchen riesigen Summen in Angst und Schrecken versetzt haben, sagen auch vorher, dass die globale Ökonomie während des 21. Jahrhunderts um 2 bis 3 Prozent jährlich wachsen wird, was bedeutet, dass sie im Jahr 2100 zehnmal größer sein wird als 2000. Wenn es uns nun Billionen oder sogar zig Billionen Dollar kostete, die Kohlendioxidemissionen niedrig zu halten, dann würden wir den Zeitpunkt, an dem wir zehnmal reicher sind als heute, lediglich um einige Jahre nach hinten verschieben. »Nicht schon 2100, sondern erst 2102 zehnmal reicher zu sein«, erklären Azar und Schneider, »würde kaum auffallen.«20) Mein Zieljahr (2030) liegt allerdings wesentlich näher als ihres, sodass die ökonomischen Auswirkungen stärker zu spüren wären.

* Alle diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf Kohlendioxid. Würde man die anderen Treibhausgase mit einbeziehen, dann lägen die entsprechenden Konzentrationen um etwa 15 Prozent höher.

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Ich könnte behaupten, dass meine Vorschläge insgesamt 10, 20 oder 30 Billionen Dollar kosten, oder ich könnte den Eindruck erwecken, dass ich genau wüsste, was geschehen wird, indem ich Ihnen sage, die Vorschläge würden 14.739 Billionen Dollar kosten. Aber jeder dieser Schätzungen könnten Sie nur so weit trauen, wie Sie allen Annahmen trauen können — über das ökonomische Wachstum, die Zinsraten, die Energiepreise, neue Technologien, Regierungspolitik —, die dahinterstehen. Weil die Annahmen so weit auseinanderdriften, dass sie sich gegenseitig fast bedeutungslos machen, wäre jede Zahl, die ich nenne, vollkommen willkürlich. 

Aber ich kann wenigstens versuchen, Ihnen eine grobe Vorstellung von den ökonomischen Härten zu geben, die vielleicht auf uns zukommen.

Eine Möglichkeit dazu ist der Vergleich zwischen den Preisentwicklungen, zu denen die Vorschläge in diesem Buch führen könnten, und den Preis­entwick­lungen der Vergangenheit. Die Kapitel 5 bis 7 zeigen, dass auch damit einige Schwierigkeiten verbunden sind, weil die geschätzten Kosten für Energie, die auf verschiedene Weise produziert wird, ebenfalls eine erhebliche Spannbreite haben. Aber grob gesagt werden meine Vorschläge wahrscheinlich dazu führen, dass die Erzeugerpreise für Elektrizität und Wärme bis 2030 inflationsbereinigt um etwa 100 Prozent steigen. Das klingt nach einer gewaltigen Erhöhung, bis man es im Zusammenhang sieht. 

Zwischen November 2004 und November 2005 ist der durchschnittliche Erzeugerpreis für Elektrizität in Großbritannien von 2,1 Pence auf 3,6 Pence gestiegen — um 71 Prozent. In den zwölf Monaten bis 2006 sind die Erzeugerpreise für Erdgas hier um 75 Prozent gestiegen.21 In den folgenden drei Jahren steigen sie von unter 20 Pence pro Einheit auf 70 Pence — eine Erhöhung um 350 Prozent.22 Der Preisanstieg beim Gas liegt damit ungefähr 28-mal höher als der voraussichtliche Anstieg der Energiepreise, den meine Vorschlage verursachen würden. Die neuen Gaspreise haben zwar zu einigen Problemen geführt, aber nicht zum ökonomischen Kollaps.

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Die größere Belastung ist eine, die wir nicht wirklich »spüren« werden. Es sind die Auswirkungen auf das, was wir hätten tun können, wenn es die Einschränkungen, die ich empfehle, nicht gäbe. Das Geld, das wir ausgeben müssen, um etwas gegen den Klimawandel zu tun, und die ökonomischen Chancen, auf die wir verzichten müssen, werden regelmäßig — manchmal, so kommt es mir vor, mit Absicht — von den Leuten verwechselt, die uns von Maßnahmen zum Klimaschutz abhalten wollen.

Im Moment leiden wir alle unter ökonomischen Einschränkungen aufgrund der Tatsache, dass es nicht erlaubt ist, bewusstseins­verändernde Drogen zu kaufen. Wäre der Handel damit legal, hätte er das ökonomische Wachstum gefördert, was bedeuten würde, dass wir im Durchschnitt etwas reicher wären, als wir sind. Aber mit Ausnahme weniger Leute, die darauf gehofft hatten, solche Produkte ohne Furcht vor Strafen verkaufen zu können, schleichen wir nicht deprimiert herum und lamentieren darüber, dass uns das Geld fehlt, das wir uns anderenfalls hätten in die Tasche stecken können. Diese Einschränkung wirkt sich also real aus, aber wir spüren die Folgen nicht persönlich. Unser Bankkonto leidet nicht unter dem Fehlen von Geld, das wir ansonsten vielleicht hätten einnehmen können.

Nach diesem Exkurs in den Vergleich ökonomischer Leiden komme ich nun zu einer Besonderheit des von mir vorgeschlagenen Systems, das sich durch seine Selbstbegrenzung auszeichnet: Der Preis der Eisdeckel entwickelt sich umgekehrt proportional zu den Energiepreisen. Wenn wir beispielsweise viel Geld in erneuerbare Energien zur Stromerzeugung investieren und damit die Verbindung zwischen Energie und Kohlenstoff lockern, wird jede Kilowattstunde Elektrizität mehr kosten.

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Die Preise steigen, weil — im Moment — die meisten erneuerbaren Energien teurer sind als Kohle oder Gas. Andererseits können wir mehr Strom verbrauchen, ohne die Grenzen unserer Kohlenstoffration zu überschreiten. Wenn nun weniger Leute zusätzliche Eisdeckel kaufen müssen, dann wird deren Preis automatisch sinken. Dieser niedrigere Preis macht sich überall in der Wirtschaft bemerkbar und wirkt der Inflation entgegen, die durch die höheren Strompreise verursacht wird. Die Gesamtkosten der Energie werden zwar höher sein als heute, aber bis zu einem gewissen Grad begrenzen sie sich selbst.

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass ich nun ohne Rücksicht auf die Kosten vorschlagen könnte, was wir gegen den Klimawandel unternehmen sollten. Ich muss in jedem Fall die preiswerteste Lösung zur Reduzierung von Kohlendioxidemissionen suchen, denn jedes Pfund oder jeder Euro, den ich für einen ineffizienten Prozess ausgebe, steht mir für einen effizienten Prozess nicht mehr zur Verfügung.

Aber wir müssen noch eine weitere Frage stellen: Wer oder was soll mit den Kosten belastet werden, die durch die geplanten Veränderungen entstehen?

Die Leute, die der Meinung sind, wir sollten nichts unternehmen, behaupten gern, dass derselbe Betrag mehr Leben retten würde, wenn wir das Geld einsetzten, um Hunger zu lindern, die Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen oder Krankheiten wie Aids, Tuberkulose oder Malaria vorzubeugen.23 Dieser Ansatz übersieht jedoch, dass der Klimawandel wahrscheinlich noch mehr Hunger, Wasserknappheit und übertragbare Krankheiten verursachen wird, sodass die damit verbundenen Kosten steigen. Aber das ist nicht das prinzipielle Argument gegen diese Position. 

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Vielmehr steckt dahinter eine unfassbare Annahme: Es wird davon ausgegangen, dass Geld für den Klimaschutz aus dem Budget für die Entwicklungshilfe abgezogen wird. Man unterstellt, dass die reichen Länder zur Finanzierung von Maßnahmen gegen den Klimawandel vorrangig ihre Ausgaben für die Entwicklungshilfe einschränken werden.

Dieses Argument könnte von Bedeutung sein, wenn die reichen Länder jetzt schon alles in ihrer Macht Stehende täten, um den armen Ländern zu helfen, und deshalb keine finanziellen Spielräume mehr hätten. Aber eine Nation, die sich durch ihre Ausgaben für die Entwicklungshilfe an den Rand des finanziellen Ruins bringt, ist schwer vorstellbar. Die Regierungen der europäischen Länder haben sich darauf geeinigt, bis 2015 — sage und schreibe 35 Jahre nach dem Zieldatum, das sie sich ursprünglich gesetzt hatten — 0,7 Prozent ihres nationalen Einkommens für die Entwicklungshilfe auszugeben. Die Vereinigten Staaten bringen zurzeit 0,17 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes — wenig mehr als 19 Milliarden Dollar — für Entwicklungshilfe auf.24) In Großbritannien sind es 0,36 Prozent oder 4,3 Milliarden Pfund.25)

Für andere Zwecke sind diese Regierungen sehr viel großzügiger. Das britische Budget für den Ausbau der Autobahn M1 beträgt 3,6 Milliarden Pfund.26) Das ist fast siebenmal so viel, wie das Land gegenwärtig pro Jahr für Maßnahmen gegen den Klimawandel ausgibt. Insgesamt sind 11,4 Milliarden Pfund für den Bau und die Erweiterung von Straßen vorgesehen. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung eine Politik zur Verringerung des Straßenverkehrs verfolgt — oder verfolgte —, dürften diese Ausgaben schwer zu rechtfertigen sein.

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Es war bemerkenswert schwierig, die realen Zahlen von der britischen Regierung zu erhalten. In einer parlamentarischen Antwort behauptete Regierungs­sprecher Lord McKenzie, es würden »mindestens 545 Millionen Pfund jährlich für Investitionen ausgegeben, die der Bekämpfung des Klimawandels dienen«,27) aber obwohl ich dreimal nachgefragt habe, hat mir die Regierung diese Zahl bisher nicht weiter aufgeschlüsselt. Die Formulierung »für Investitionen ausgegeben, die der Bekämpfung des Klimawandels dienen«, macht mich misstrauisch, denn darunter könnten auch Ausgaben fallen, die sich nur zufällig auf den Klimawandel auswirken, oder solche, die nicht nur auf den Klimawandel, sondern auch auf andere Ziele ausgerichtet sind. Warum hat er nicht einfach gesagt: »Es werden mindestens 545 Millionen Pfund jährlich zur Bekämpfung des Klimawandels ausgegeben«?

In seinem 2001 veröffentlichten Buch <Perverse Subsidies> addiert Professor Norman Myers die direkten Zahlungen der Regierung an US-Konzerne zu den weiteren Kosten, welche sie der Gesellschaft aufbürden, und kommt dabei auf eine Gesamtsumme von 2,6 Billionen Dollar.28 Das ist ungefähr das Fünffache der Profite, die sie zu der Zeit machten, als sein Buch geschrieben wurde. Als Perverse Subsidies veröffentlicht wurde, zahlten die dreißig reichsten Regierungen ihren Landwirten jährlich 362 Milliarden Dollar; außerdem subventionierten sie die fossilen Brennstoffe und die Kernenergie mit ungefähr 71 Milliarden Dollar und den Transport auf den Straßen mit erstaunlichen 1,1 Billionen Dollar. Weltweit zahlen die Regierungen den Konzernen jährlich 25 Milliarden Dollar für die Zerstörung der globalen Fischgründe und 14 Milliarden für die Vernichtung unserer Wälder.29

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Der Energy Policy Act, den die Bush-Administration 2005 durch den Kongress gepeitscht hat, bescherte der Kohleindustrie weitere 2,9 Milliarden Dollar und den Öl- und Gaskonzernen nochmal 1,5 Milliarden.30

Der demokratische Kongressabgeordnete Henry Waxman hat erklärt, die Ölsubventionen seien »auf mysteriöse Weise in die endgültigen Energiegesetze eingefügt worden, nachdem das Gesetzgebungsverfahren für weitere Änderungen schon geschlossen war«.31 Der größte Teil des Geldes, so fand er heraus, sei gezahlt worden an...

...ein privates Konsortium aus dem Wahlkreis des Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion Tom DeLay ... Der führende Mitbewerber für diesen Vertrag war anscheinend das Konsortium Research Partnership to Secure Energy for America (RPSEA) ... Halliburton ist Mitglied von RPSEA und sitzt im Vorstand, ebenso die Marathon Oil Company ... 

Kurzum ... die Steuerzahler heuern ein privates Konsortium an, das von der Öl- und Gasindustrie kontrolliert wird, um mehr als 1 Milliarde Dollar an die Öl- und Gaskonzerne auszuhändigen. Für diese außergewöhnliche Großzügigkeit gibt es keine rationale Erklärung. Die Öl- und Gasindustrie erzielt Rekordumsätze und riesige Gewinne. Nach Angaben eines Branchenkenners werden die Nettoeinnahmen der führenden Ölkonzerne 2005 bei rund 230 Milliarden Dollar liegen.(32)

Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur beliefen sich die direkten und indirekten Subventionen der Europäischen Union für die Kohleindustrie 2001 auf 13 Milliarden Euro und die Subventionen für die Öl- und Gasindustrie auf 8,7 Milliarden Euro.*33)

* Direkte Subventionen sind Zahlungen, die vom Staat direkt an die Industrie geleistet werden. Indirekte Subventionen ergeben sich aus steuerlichen Vergünstigungen und anderen Zugeständnissen.

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Deutschland leistete in diesem Jahr direkte Zahlungen an die Kohleindustrie in Höhe von über 4 Milliarden Euro, was 82.000 Euro für jeden im Kohlebergbau eingesparten Arbeitsplatz entspricht.34) Großbritannien unterstützt seine Öl- und Gasindustrie durch eine niedrigere Mehrwertsteuer auf deren Produkte, was den Staatshaushalt ungefähr 1,4 Milliarden Euro pro Jahr kostet.35)

Anfang 2006 errechneten Josef Stiglitz, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, und Linda Bilmes, eine Wirtschaftswissenschaftlerin aus Harvard, dass bei »sehr konservativer Schätzung« der Krieg im Irak die Vereinigten Staaten bisher 1 bis 2 Billionen Dollar gekostet hat.36)

Wenn wir nun bedenken, dass nur ein sehr kleiner Teil der Kosten für den Klimaschutz von den Regierungen aufgebracht werden muss, dann wird deutlich, dass es hier nicht um die Alternative geht, Geld für den Klimaschutz oder für die Entwicklungshilfe und wichtige Sozialleistungen auszugeben. Vielmehr geht es um die Frage, ob der Staat sein Geld für den Klimaschutz oder für Kohle, Öl, den Straßenbau, Landwirtschaftssubventionen, Umweltzerstörung oder Angriffskriege ausgibt.

Wir sollten uns lieber fragen, warum es unseren Regierungen so leicht fällt, das Geld für die Zerstörung der Biosphäre aufzubringen, und so schwer, die finanziellen Mittel für deren Rettung bereitzustellen.

Aber für den größten Teil der Kosten kommen ohnehin nicht die Staaten auf, sondern die Konzerne und die Bürger. Das bedeutet, dass ein Teil des Geldes, das wir sonst für andere Güter und Dienstleistungen ausgeben würden, nun für die teurer werdende Energie benötigt wird. Auch wenn es dafür noch keine klaren Beweise gibt, wird diese Entwicklung wahrscheinlich den Aufschwung am Arbeitsmarkt hemmen, der sich sonst aus dem größeren Wirtschafts­wachstum ergeben würde.37)

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Das setzt voraus, dass die Vorhersagen unserer Regierungen über ein weiteres Wirtschaftswachstum bei sonst unveränderten Bedingungen in diesem Jahrhundert stimmen. Aber diese Voraussetzung kann nicht als gesichert gelten.

Inzwischen zeichnet sich klar ab, dass sogar noch zu Lebzeiten von Menschen, die heute in einem mittleren Alter sind, die weltweiten Erdölvorräte ihren Gipfelpunkt erreichen und dann sinken werden. Noch wird heftig darüber diskutiert, wann innerhalb der nächsten dreißig Jahre das geschehen wird. Während ich dies schreibe, behaupten einige Experten, es könnte jetzt schon so weit sein, doch das würde sich erst im Rückblick zeigen, wenn die Ölpreise exponentiell zu steigen beginnen.38 Andere, die nicht minder qualifiziert wirken, halten es für unwahrscheinlich, dass so etwas vor 2037 geschieht.39 Weitgehend unumstritten ist jedoch, dass diese Situation früher oder später eintreten wird.

Im Jahr 2005 veröffentlichte das US Department of Energy einen Bericht unter dem Titel <Peaking of World Oil Production: Impacts, Mitigation & Rjsk Management>.40) Die Berater des Ministeriums unter dem Vorsitz des Energieexperten Robert L. Hirsch kamen zu den Schluss: »Ohne eine rechtzeitige Entschärfung des Problems werden die ökonomischen, sozialen und politischen Kosten beispiellos sein.«41

Es sei zwar möglich, die Nachfrage zu verringern und mit der Entwicklung von Alternativen zu beginnen, aber dafür, so hieß es, würde man »zehn bis zwanzig Jahre« brauchen: Wenn wir abwarten, bis die globale Ölproduktion ihren Gipfel erreicht, und erst dann ein Crashprogramm einleiten, wird die Welt für mehr als zwei Jahrzehnte mit einem beträchtlichen Ölmangel konfrontiert... Das Problem einer dauerhaft sinkenden weltweiten Ölproduktion ist mit keiner bisherigen Erfahrung der modernen Industriegesellschaft zu vergleichen.42

Die Internationale Energieagentur schätzt, dass ein Preisanstieg von 10 Dollar pro Barrel Öl bei den reichen Nationen zu einem Verlust von 0,4 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes führt.43) Asien verliert 0,8 Prozent, die afrikanischen Staaten südlich der Sahara büßen über 3 Prozent ein.44) Wenn die Ölproduktion sich nicht mehr weiter steigern lässt, könnte der Preis pro Barrel um 100 oder 200 Dollar, ja fast um jeden beliebigen Betrag steigen. Das Ergebnis könnte, wie Hirsch befürchtet, die schlimmste ökonomische Depression sein, die es in der modernen Welt je gegeben hat. Mehrere der von mir in diesem Buch vorgeschlagenen Maßnahmen sollten wir auch dann ergreifen, wenn es gar keinen Klimawandel gäbe, um den Zeitpunkt hinauszuschieben, an dem sich die Ölproduktion nicht mehr steigern lässt, und die ökonomischen Auswirkungen der Folgen abzumildern. 

Angesichts der Probleme, die auf uns zukommen, wenn der Gipfel der weltweiten Ölproduktion überschritten ist, scheint es mir gerechtfertigt zu sagen, dass die Ausgaben für den Klimaschutz eine Rezession ebenso gut verhindern wie verursachen können. Aber sogar ohne das Ölproblem kann es mit Sicherheit nur eine Antwort auf die Frage geben, ob die Verhinderung des katastrophalen Klimawandels es wert ist, einen Teil — sogar einen großen Teil — unseres prognostizierten Wirtschaftswachstums in den Jahren bis 2030 zu opfern. Wenn wir in den reichen Nationen jetzt nichts gegen den Treibhauseffekt unternehmen, werden wir während dieser Jahre wahrscheinlich mehr Geld in der Tasche haben, als wenn wir jetzt handelten. 

Wir könnten dieses Geld ausgeben für — ja, wofür denn genau? Mehr Autos, mehr Flüge, mehr Barbiepuppen, mehr Riesengarnelen? Mehr Straßen, mehr Subventionen für die Landwirtschaft, mehr Kriege? Auf jeden Fall ist schwer zu erkennen, wie alle diese Vergnügen den Schaden aufwiegen könnten, den der Klimawandel in unserem Leben anrichten wird. Ich könnte es auch anders ausdrücken, aber das hat schon jemand vor mir getan:

Um 24 Jahre eitler Lust 
hat Faust die ewige 
Freude und Glückseligkeit 
verloren!
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George Monbiot 2006 Heat Hitze Burning